Beiträge von Philhellene


    Ich kenne tatsächlich (natürlich eher klassik- und v. a. opernferne!) Leute, die sich unter einem "Rosenkavalier" wohl irgendetwas Operettenhaftes vorstellten und in der ersten Pause empört das Opernhaus verließen, weil da eine Frau einen Mann singt... was da dem Regisseur schon wieder eingefallen sei... :D


    :hello: Martin


    Lieber Frank!


    Die Version für Chor a cappella ist die originale! Erst später hat Villa-Lobos, wohl um Aufführungen des Gesamtzyklus zu erleichtern, eine Fassung für Streichorchester erstellt.


    Liebe Grüße,
    Martin

    Eine sehr interessante Übertragung gibt es heute in Ö1: Die Oper "La Esmeralda" von der mir bislang völlig unbekannten französischen Komponistin Louise Bertin (1805-1877); das Libretto von Victor Hugo (sein einziges Opernlibretto!).


    Samstag, 28. März 2009, 19:30 Uhr Ö1
    Louise Bertin: "La Esmeralda"
    aufgenommen am 23.7.2008 in der Opera Berlioz in Montpellier


    Maya Boog (La Esmeralda)
    Manuel Nunez Camelino (Phoebus)
    Francesco Ellero d'Artegna (Frollo)
    Frederic Antoun (Quasimodo)
    Yves Saelens (Clopin)
    Eugenie Danglade (Fleur-de-Lys)
    Eric Huchet (Le Vicomte de Gif)
    Evgeny Alexiev (Monsieur de Morlaix)
    Marc Mazuir (Monsieur de Chevreuse)
    Marie-France Gascard (Madame de Gondelaurier)
    Sherri Sassoon-Deshler (Diane)
    Alexandra Dauphin-Heiser (Berangere)
    Gundars Dzilums (Pierrat Torterue)
    Lettischer Rundfunkchor
    Orchestre National de Montpellier Languedoc-Rousillon
    Musikalische Leitung: Lawrence Foster

    La vida breve


    Für den Inhalt dieser großartigen Oper darf ich auf meine Inhaltsangabe im Opernführer verweisen. Vielleicht möchte auch jemand den wenig resonanzreichen Thread im Opernforum fortführen. Zuletzt möchte ich noch auf die gerade aktuelle Diskussion über die Aufführung in Frankfurt verweisen.


    Punkte dürfen vergeben werden für:


    Orchester, Chor, Dirigent


    Salud
    L'Abuela/Die Großmutter
    Carmela
    Paco
    El Cantaor/Der Sänger



    EMI 1966



    Orquesta Nacional de Espana, Orfeón Donostiarra, Rafael Frühbeck de Burgos - 5


    Salud: Victoria de los Ángeles - 5+
    L'Abuela: Inés Rivadeneyra - 5+
    Carmela: Ana María Higueras-Aragón - 5
    Paco: Carlo Cossutta - 4
    El Cantaor: Gabriel Moreno - 5


    Gesamtwertung: 29/6 = 4,83


    TQ: 4


    Fazit: Victoria de los Ángeles ist die Salud schlechthin: Mit dieser Rolle begann 1948 ihre internationale Karriere; insgesamt hat sie drei Studioaufnahmen vorgelegt, von denen diese hier, die dritte die elaborierteste ist: Die Perfektionistin hat sogar den Dialekt von Granada erlernt, um ihre einfühlsame und vielgerühmte Darstellung dieser unglücklichen Frau noch glaubwürdiger zu machen. Dazu kommt das feurige Dirigat von Rafael Frühbeck de Burgos und der großartige baskische (Laien!-)Chor Orfeón Donostiarra, der ja in dieser Oper sehr viel zu singen hat.


    Warum die Mezzosopranistin Inés Rivadeneyra nicht bekannter ist und nicht öfter zu Aufnahmen eingeladen wurde, gehört zu den ungelösten und wohl unlösbaren Rätseln der Musikgeschichte! Soweit ich weiß, existiert außer der vorliegenden nur noch eine Aufnahme von "El amor brujo" mit ihr, die aber wohl vergriffen ist, und einige obskure Zarzuela-Platten, die ebenfalls nicht mehr aufzutreiben sind.
    Ihre Großmutter jedenfalls (in Wirklichkeit ist sie fünf Jahre jünger als Victoria de los Ángeles!) ist ein weiteres Highlight dieser Aufnahme. Ihre Stimme ist dunkel, intensiv und expressiv, und eher schlank geführt. In ihre Interpretation der mitleidenden Großmutter steckt so viel Ausdruck, so viel Emotion! Ich hätte sie gerne als Carmen (die sie live gesungen hat!) und mit einigen Oratorienarien ("He was despised", "Erbarme dich"...) gehört.


    Mit Ana María Higueras-Aragón verhält es sich ähnlich: Zwar gibt es sie auch als exquisiten Trujamán in "El retablo de Maese Pedro" zu erwerben, ferner auf einer vergriffenen Aufnahme von Sartorios "L'Orfeo" und auf ein paar nicht ganz so vergriffenen Zarzuela-Platten, aber abseits des spanischen Repertoires gibt es mit ihr eigentlich auch gar nichts. Dabei ist sie eine ausgezeichnete, 1966 noch blutjunge Sängerin, vielleicht nicht ganz so genial wie Inés Rivadeneyra, die sich auf jeden Fall mehr Aufmerksamkeit verdient hätte


    Als Cantaor wird hier der Flamenco-Sänger Gabriel Moreno eingesetzt, der sich natürlich mit dem cante jondo auskennt und stilistisch perfekt ist. Ein ganz leichter Abfall gegenüber dem restlichen extrem hohen Niveau ist lediglich beim Paco von Carlo Cossutta zu verzeichnen, der "nur" sehr schön singt und manchmal ein bisschen mit dem Spanischen kämpft.

    Ich kenne Carlo Cossutta lediglich als zwar stimmschönen, aber nicht ganz idiomatischen Paco in "La vida breve".



    Das restliche Ensemble (Victoria de los Ángeles :jubel: :jubel:, Inés Rivadeneyra :jubel:, Ana María Higueras :jubel:, José María Higuero u. a.) ist allerdings Top und rein spanisch, wirklich ausgezeichnet, ebenso Orchester, Chor (der baskische Chor Orfeón Donostiarra) und der Dirigent Rafael Frühbeck de Burgos.


    Liebe Grüße,
    Martin

    Archiv (DG) 1988



    Orchester, Dirigent: The English Concert, Trevor Pinnock - 5
    Chor: The English Concert Choir - 5


    Sopran: Arleen Augér - 5
    Alt: Anne Sofie von Otter und Michael Chance - 5+
    Tenor: Howard Crook - 4
    Bass: John Tomlinson - 5


    Gesamt: 29/6 = 4,83


    TQ: 5


    Für mich ist diese Einspielung Referenz: Orchester und Chor sind exzellent und auf HIP-Maß zurechtgestutzt, wobei sich Pinnock an den Berichten über Händels eigene Aufführungen orientiert hat. Der Klang ist klar, aber süffig.
    Das exzeptionelle Solistenquintett hat lediglich im Tenor Howard Crook eine kleine Schwachstelle, der seinen Part sehr klangschön, aber langweilig singt. Arleen Augér besticht mit einem sehr reinen und lieblichen lyrischen Sopran, Michael Chance mit seinem virilen Countertenor vor allem in der energiegeladenen Arie "But who may abide". John Tomlinson ist ein Barockbass, wie man ihn sich vorstellt: Mit dunkler und farbenreicher Stimme bietet er dennoch exakte Koloraturen. Die Sensation ist aber Anne Sofie von Otter, die ein geniales "He was despised" hinlegt, über das Kathleen Ferriers zu Recht legendäre Aufnahme nur knapp den Sieg davontragen kann (und wenn man noch die zu Ferriers Zeiten naturgemäß mangelhafte Tontechnik einbezöge, wahrscheinlich unterläge).

    Darüber hab ich auch schon einmal nachgedacht, konkret wäre es mir dabei um das Fauré-Requiem gegangen, von dem ich schon recht viele Aufnahmen habe und auch schon eingehend verglichen. Man könnte die neue Rubrik TMOOC (Oratorien und Chormusik) oder - vielleicht eleganter - TMOOX (mit einem griechischen Chi für Chormusik :D ) nennen, um sie von den Opern-TMOs zu unterscheiden.
    Wichtig erschiene mir aber sowohl bei Oratorien und auch anderer Chormusik wie Requiemvertonungen oder evt. Messen (aber nur größere, nicht jede frühe Mozartmesse!), die sich meiner Meinung auch für einen solchen Vergleich eignen, dass der Chor extra bewertet werden muss - schließlich hat er meistens ziemlich viel zu tun. Eine Musterbewertung in dieser Rubrik würde also so aussehen:


    Orchester und Dirigent
    Chor
    (wichtige) Solisten


    Bei Musikstücken, die nicht mindestens drei, besser vier Bewertungskategorien aufweisen, wäre natürlich, wie schon bei den Opern, von einem TMOOC/TMOOX-Thread abzusehen. (Daher entfallen auch viele klassische und romantische Messen, in denen das Solistenquartett eigentlich keine so große Rolle spielt, dass in meinen Augen eine Auflistung der Solisten gerechtfertigt wäre.) Sinfonien mit (starker) Chor- und Solistenbeteiligung wie z. B. Mahler 2 und 8 würden aber meines Erachtens auch unter TMOOC/TMOOX fallen. Von einer Aufnahme reinorchestraler Musik in die TMO-Wertungen würde ich zumindest momentan abraten, obwohl natürlich auch da bei Doppel- und Tripelkonzerten oder auch bei Kammermusik Einzelwertungen denkbar wären.


    Liebe Grüße,
    Martin

    Zitat

    Original von Gregor
    Lief doch da auch ein Opernbesucher herum, der doch glatt sagte, die Geschichte dieser Oper ist natürlich Blödsinn. 8o


    8o :motz:


    Der "Eugen Onegin" hat einen der realistischsten Plots der Opernwelt überhaupt! Ein junges Mädchen verliebt sich und wird abgewiesen, heiratet einen anderen und bleibt dem treu. Das ist in der Geschichte der Menschheit sicherlich schon massenhaft vorgekommen!
    Und gleichzeitig bin ich immer wieder überrascht, wie spannend das Ergebnis trotz der sehr alltäglichen Handlung doch ist! Sicherlich trägt dazu auch die sensible musikalische Umsetzung Tschaikowskys bei, aber auch von selbst entwickelt die schlichte, schmucklose Handlung ihren anmutigen Reiz, der für mich auch irgendwie etwas Archaisches hat.


    Liebe Grüße,
    Martin

    Wie wärs mit den diversen Schattenerscheinungen in "Les Troyens"? Wenn nun jemand meint, das entspreche doch gar nicht der antiken Unterweltsvorstellung, muss ich ihm widersprechen: Homer, Odyssee, 11. Kapitel zeigt, wie die Schatten aus der Erde heraufdiffundieren, um das Blutopfer zu konsumieren. Die archaisch-griechische Vorstellung malte sich ganz offensichtlich keine detaillierte Gegenwelt aus, wie wir das aus der klassischen Zeit und vor allem aus Vergils Aeneis kennen.


    Liebe Grüße,
    Martin

    Zitat

    Original von severina
    Ich beneide euch ;( ;(
    lg Severina :hello:


    Liebe Severina, ich auch!
    Zwei so geniale Opern in anscheinend ausgezeichneter Darbietung!


    Besonders de Falla ist meiner Meinung nach ein viel zu selten gespielter und sowieso unterschätzter Komponist! Und wenn er gespielt wird, dann meistens die besonders folkloristischen Werke, aber nicht "La vida breve", "El retablo de Maese Pedro", das Cembalokonzert oder das herrliche Lied "Psyché", von "Atlántida" ganz zu schweigen...


    Liebe Grüße,
    Martin

    Zitat

    Original von Elisabeth
    Großartig-überraschend ganz besonders, was sie aus der Olympia macht - da verspricht Clemens nicht zuviel.


    Bin begeistert!


    Neben der herrlichen Olympia, den überaus aparten Couplets aus "L'Étoile", ihrer sehr kindlichen Lakmé und natürlich "J'ai deux amants" :D halte ich besonders die beiden Arien aus "Manon" für sehr erwähnenswert.


    Patricia Petibons absolut geniales "Adieu notre petite table" küre ich sofort zur allerbesten Interpretation dieses Stückes, und auch im "Obéissons" kann sie mit der nicht nur meiner Meinung nach besten Manon in Gesamtaufnahmen, Victoria de los Ángeles, durchaus mithalten. Deshalb wünsche ich mir ja auch schon seit Jahren ein paar Gesamtaufnahmen im Bereich der französischen Oper des 19. Jh.s mit ihr, etwa "L'Étoile", "L'amour masqué" "Manon", "Roméo et Juliette" und in fernerer Zukunft vielleicht "Thais" - bislang leider vergeblich...


    Liebe Grüße,
    Martin

    Zitat

    Original von Jacques Rideamus
    Als ich meine obrige Darstellung der verchiedenen Clowns - Interpretinnen schrieb, war eine Nummer entweder noch nicht da oder von mir übersehen worden. Das ist insofern bedauerlich, als sie zu den besten überhaupt gehört.


    Die Sängerin ist Patricia Petibon, die sich gerne als Clown stilisiert, aber dennoch in dem komisch-melancholischen Repertoire viel zu selten zu hören ist, und was das Schönste ist: man kann es sogar kostenlos hören, nämlich hier:
    "http://www.youtube.com/watch?v=1AyMaRzL-2Q&feature=related"


    Für die Frau und das Stück kann man gar nicht genug Reklame machen. :yes:


    Lieber Jacques!


    Als ich vor Zeiten das "Send in the Clowns"-Youtube-Vergleichshören nachvollzog (wobei ich mir nicht mehr sicher bin, ob ich tatsächlich alle angehört habe, aber sicherlich eine große Auswahl), sind mir an Patricia Petibons Interpretation im Vergleich zu den anderen vor allem zwei Dinge positiv aufgefallen: Erstens ist sie die einzige, die im Mittelteil, über den du treffend gesagt hast, dass in ihm gleichermaßen der Inhalt aus der musikalischen Form ausbricht, den Ausdruck intensiviert statt - zu Unrecht! - verringert; zweitens ist sie jene Interpretin, die am ehesten Gesang und Ausdruck vereint.


    Dame Judi Dench, der ansonsten für ihre geniale Interpretation meine ungeteilte Bewunderung zukommt und die man unbedingt gesehen und gehört haben sollte, muss sich gleichwohl in diesen Punkten vorwerfen lassen, dass sie wesentlich besser spielt als singt und ausgerechnet im Mittelteil versucht, "schön" auszusingen, was sie erstens nicht kann und zweitens gerade da nicht sollte.


    Liebe Grüße,
    Martin

    Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Dafür langt's. Die einfachere Version mit der miesen Sau habe ich auch schnell gewußt, aber das zweite Beispiel ist zu schwierig, mit Lexikon habe ich zwar sogar schon mir bislang unbekannte Zweitbedeutungen gefunden, aber bei der Grammatik hapert's; zu viele Akkusative irgendwie...
    Ist "natura" hier einmal Part Fut.? Ist "visum" PPP oder Akk. von visus= Anblick? usw.


    Dann gebe ich doch eine Runde Tipps für JR aus, bevor ich es auflöse...


    "natura" ist einmal Part. Fut., das stimmt. Und Akkusative gibt es nur zwei im ganzen Satz. Außerdem ist Vorsicht bei der Groß/Kleinschreibung angeraten... :D;)


    Ich gebe aber zu, es ist wirklich ein gemeiner Satz, für den aber der Terminus "garden path sentence" sehr zutreffend ist; denn wie schon oben erwähnt: Doppelbedeutung im eigentlichen Sinne gibt es hier keine.


    :hello:
    Martin

    Liebe Lateinaspiranten!


    Ich löse einmal das erste auf:


    Mater => a) Nom. Sg. von "mater" = Mutter; b) Vokativ Sg. von "mater" = Mutter (die beiden Fälle sind in allen Deklinationsklassen außer o-Dekl. maskulin gleichlautend)
    mea => a) Nom. Sg. Fem. von "meus" = meine; b) Imperativ von "meare" = kommen
    sus => Nom. Sg. von "sus" = Sau
    mala => a) Nom. Sg. Fem. von "malus" = böse, schlecht; b) Akk. Pl. von "malum" = Apfel
    est => a) 3. P. Sg. Ind. Präs. Aktiv von "esse" = sein; b) 3. P. Sg. Ind. Präs. Aktiv von "edere" = essen (unregelmäßige Nebenform!)


    1. Übersetzungsmöglichkeit: Meine Mutter ist eine verdammte Sau!
    2. Übersetzungsmöglichkeit: Mutter, komm! Die Sau frisst die Äpfel!


    :hello:
    Martin


    P.S.: Das zweite funktioniert ähnlich - nicht die einleuchtenden Formen bekannter Vokabel, sondern seltene Formen obskurer Vokabeln werden verwendet - ist aber insofern hinterhältiger, als dass es 1. eigentlich nicht zwei sinnvolle Übersetzungsmöglichkeiten gibt (wenn man es mit den offenkundigen Bedeutungen versucht, scheint es nicht einmal ein Satz zu sein) und 2. sogar die richtige Übersetzung einen etwas surrealistischen Sachverhalt ausdrückt.

    Solche Wortspiele und Zweideutigkeiten gibt es allerdings auch im Lateinischen: Recht bekannt ist dieses:


    MATER MEA SUS MALA EST :D


    Ziemlich hinterhältig und weniger bekannt ist das folgende:


    PUELLA PARUM NATURA NATURAM VISUM VITIUM


    Allen Lateinkundigen wünsche ich viel Vergnügen beim Übersetzen!
    Die anderen müssen sich leider bis zur Auflösung gedulden.


    :hello:
    Martin

    Zitat von Wulf

    Lieber Martin,


    sag ich doch - weiter oben. :D

    Das ist mir nicht entgangen! Aber ich wollte deine Wertung nicht schlicht verdoppeln, sondern auch meine eigenen Gedanken zur "Carmen" darlegen.



    Zitat

    Schön, daß Du auch das opera-comique-Argument bringst. Auch wenn das Komische in der Musik von Bizet bisweilen beißend und sarkastisch ist bzw. wirkt.

    "Carmen" ist eine französische Opéra-comique (namentlich, formal, inhaltlich und musikalisch!) und muss als solche dargeboten werden! Welche Motivation die noch immer zahlreichen Dirigenten und Sänger haben, die sie partout all'italiano zu Gehör bringen wollen, erschließt sich mir in keiner Weise, da die Oper dadurch nur an Reiz verliert. Als Experiment mag es ja einmal recht interessant gewesen sein, aber mittlerweile sollte man doch flächendeckend zur Vernunft und Einsicht in den Stil der Carmen gekommen sein!


    "Carmen" ist zu weiten Teilen eine herrlich witzige Oper, was vor allem dem Charakter der Carmen - aber auch ihren offenbachesken Komplizen! - geschuldet ist. Eine meiner Lieblingsstellen ist im Finale des zweiten Akts:


    LE DANCAIRE et LE REMENDADO
    Mon cher monsieur, mon cher monsieur,
    nous allons s'il vous plaît quitter cette demeure.
    Vous viendrez avec nous? Vous viendrez avec nous?


    CARMEN
    C'est une promenade. :D :D :D


    Bizet hat die Komik der Situation kongenial vertont! Wenn das von der Sängerin der Carmen adäquat vorgebracht wird (wie in obiger Aufnahme oder auch von der süffisanten Victoria de los Ángeles), gehört das zu den witzigsten Stellen des gesamten Musiktheaters!


    Liebe Grüße,
    Martin

    Ich höre gerade "Carmen" und da bieten sich doch einige zuschaueraktivierende Maßnahmen an: So könnte etwa während des Entr'actes zum vierten Akt und des darauffolgenden Chores dem Publikum textgetreu Fächer, Orangen, Wein und Wasser feilgeboten werden. Das ist bestimmt eh durstig, und Pause gibt es zwischen drittem und viertem Akt in der Regel keine. So hat das Opernhaus auch einen zusätzlichen Gewinn und spart sich auch die Statisterie, da das reale Publikum gleichzeitig das Publikum beim Stierkampf darstellt. :D Natürlich muss der Chor irgendwo im Publikumsraum Aufstellung genommen haben und auch der finale Showdown zwischen Carmen und Don José muss in einer Loge (die Carmen als Geliebte des heroischen Toreros selbstverständlich hat!) geschehen, denn auf der Bühne findet ja der Stierkampf statt!


    Ich selbst habe bei einer Aufführung von "Orphée aux enfers erlebt, dass Flugblätter mit Gerüchten über dem Publikum ausgegossen wurden - und natürlich gab es ein Gerangel unter den Zuschauern, denn jeder wollte eines ergattern, um die neuesten Neuigkeiten aus Olymp und Hades zu erfahren... :D


    :hello:
    Martin

    Dialogfassung (!) mit dem Ensemble der Pariser Opéra comique, 1950 (bei verschiedenen Labels erhältlich, ich habe die linke Ausgabe)



    Chor und Orchester der Opéra comique Paris, André Cluytens - 5+ (Das Orchester spielt großartig leidenschaftlich und farbig. Cluytens dirigiert nicht nur die schnellste, sondern auch die unterhaltsamste "Carmen", die ich je gehört habe, dabei auf jede Sentimentalität verzichtend. Als Beispiel dafür möge sein filigran-beschwingtes Vorspiel zum dritten Akt dienen, das hier regelrecht an Volksmusik erinnert!)


    Carmen: Solange Michel - 5+ (Eine fabelhafte Allrounderin; ihre Carmen ist ein temperamentvoller Wirbelwind, der in Sekundenschnelle von ironisch zu böse, von leidenschaftlich zu melancholisch, von charmant zu tragisch umschalten kann - wie es auch von Célestine Galli-Marié, der Uraufführungs-Carmen, berichtet wird. Neben Victoria de los Ángeles ist Solange Michel die einzige Carmen, die ich kenne, die in der Séguidille die Textstelle "mon amoureux!... (Lacht) Il est au diable..." zufriedenstellend umsetzt. Ihre Stimme ist sehr schön und in allen Lagen sauber geführt.)


    Don José: Raoul Jobin - 5 (Da war er noch in Form und zeigt, was ein guter französischer Tenor ist!)


    Micaela: Martha Angelici - 5 (Die Ehefrau des Intendanten kennt sich natürlich aus mit der Opéra comique...)


    Escamillo: Michel Dens - 5


    Rest: 5 (perfektes Ensemble, in dem alle Charaktere genau geformt werden. Hinreißend ist das Schmugglerquintett! Überhaupt sind der Dancairo von Jean Vieuille und der Remendado von Fréderic Leprin umwerfend komisch!)


    Gesamtwertung: 30/6 = 5,00


    Fazit: Ich habe seit langem eine genaue Vorstellung von einer perfekten Carmen-Aufführung. Carmen ist eine Opéra comique und muss auch dementsprechend dargeboten werden (und nicht als Mascagni-Leoncavallo-Verschnitt!): lebhaft, geistreich, leichtfüßig und mit einer gewissen französischen Eleganz. Über die Carmen-Darstellerin habe ich schon irgendwo hier im Forum gesagt: Wenn sie eine gute Périchole singen kann, wird sie unzweifelhaft auch eine gute Carmen singen können. Bei allen meinen Überlegungen zur perfekten Carmen wusste ich nicht, dass es diese perfekte Carmen-Aufführung, wie ich sie mir vorstelle, schon gibt: Das ist sie! Das ist die unangefochtene Referenz, an der sich alle Carmen-Aufführungen messen müssen!


    TQ: 3 (relativ direktes Klangbild, was mir aber gut gefällt, und für die Zeit - 1950 - eigentlich sehr gut, aber natürlich nicht am Stand von 2000... Ein paar wenige Stellen gibt es, an denen Störgeräusche vom Mikrofon hörbar sind, aber ansonsten bleibt der Genuss ungetrübt. Auf keinen Fall ist die Tonqualität ein Grund, diese exzeptionelle Aufnahme zu verschmähen!)


    Liebe Grüße,
    Martin

    Na gut, dann leg ich auch mal den Lieblingskitsch-Striptease hin, alphabetisch geordnet...


    Canteloube - Chants d'Auvergne (die sind einfach so schön, obwohl ich eigentlich dagegen bin, schöne echte Volksmusik mit einem romantischen Sinfonieorchester aufzublasen...)


    Orff - Carmina Burana (finsterstes Pseudomittelalter, aber immer wieder schön!)


    Rutter - Requiem (ist der Flöteneinsatz im Agnus Dei nicht hinreißend?)


    Josef Strauß - Walzer und Polka-mazur (ist das seicht? Mir gefällts!)


    :untertauch: :untertauch: :untertauch:


    Martin

    Zitat

    Original von audiamus
    Auch im Katalanischen gibt es mehr oder weniger ausgeprägten Dialekt. Das kölsche "L" wird gerne sehr betont, wobei das Endungs-S von stark strapaziert bis hin zu völlig verschluckt vorkommt.


    Ich kenne Katalanisch-Aussprache in erster Linie von Sängerinnen, die es wissen sollten, wie Montserrat Figueras, Victòria dels Àngels, Montserrat Caballé, und mir kommt vor, dass die das S, wenn es nicht intervokalisch oder vor stimmhaften Konsonant und somit stimmhaft ist, sehr scharf, wie ein Mittelding zwischen SCH und S artikulieren, möglicherweise indem sie mit einer SCH-Mundstellung ein stimmloses S sprechen. Ist ungefähr klar was ich meine?


    Und im Portugiesischen ist das S (wieder mit den nämlichen Ausnahmen) sowieso ein SCH. Die Vokalaussprache ist im Katalanischen und Portugiesischen auch ähnlich (im westkatalanischen Dialekt hingegen mehr italienisch). Spanische Vokale empfehle ich eher nicht, denn das Spanische kennt im Gegensatz zu allen anderen romanischen Sprachen keine geschlossenen Vokale.


    Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Als Nicht-Romanist kommt man mit der Faustregel, katalanisch irgendwo zwischen Spanisch und französisch auszusprechen ;) vielleicht ganz gut durch. Aber woher weiß man, ob ein Name/Träger überhaupt Katalane ist?


    Bei Savall stimmt die Versailles-Assoziation. Und Jordi wie Journal. :D Wenn man die Konsonanten französisch nimmt und die Vokale portugiesisch, dann könnte es für den Anfang schon ganz gut klappen... ;)


    Wenn eine Dame Montserrat heißt wie mindestens drei (in einem Fall: leider noch) aktive international bekannte Sopranistinnen, ist es ziemlich naheliegend, sie als Katalanin zu verorten: Munsr'rat. Sonst: nachschauen (Wikipedia hat in der Regel bei Katalanen die katalanische Namensform zuerst). Ziemlich viele spanische Künstler des 20. Jh. sind Katalanen (Neben den schon erwähnten drei Montserrats und Savall z. B.: Enric Granados, Frederic Mompou, Xavier Montsalvatge [Schvi'e Munsl'vatsch], Victòria dels Àngels, Josep Carreras, Antoni Ros-Marbà, Alícia de Larrocha, Antoni Gaudì, Salvador Dalí, Joan Miró...)


    Anm.: soll hier für den Schwa-Laut stehen, der leider nicht angezeigt werden kann.


    Liebe Grüße,
    Martin

    Zitat

    Original von Jacques Rideamus
    Wie kann man seinen Geliebten "mon chou", also Kohlkopf, nennen ?(


    Das resultiert vielleicht einfach aus inniger Liebe zum Essen... :D
    Ganz ehrlich: Hasi ist auch nicht besser! (weder klanglich noch kulinarisch)


    Liebe Grüße,
    Martin

    Lieber Joschi,


    mir gehts interessanterweise genau umgekehrt wie dir: Ich liebe französische Oper und finde den Großteil der italienischen Oper musikalisch uninteressant... Für mich besteht der Unterschied, den ich wahrnehmen kann, in der Feinfühligkeit der musikalischen Gestaltung: die französische Musik ist meiner Meinung nach sensibel, geistreich und individuell auf die Charaktere zugeschnitten, die italienische hat die Neigung, mit dem Holzhammer aufzutrumpfen und zeichnet sich durch eine gewisse Austauschbarkeit aus - zumindest empfinde ich das so.


    Und das, obwohl ich eigentlich ein Italien-Fan bin. Auch ein Fan einiger italienischer Komponisten, besonders von Vivaldi. Aber im Gebiet der Oper bin ich Franzose. ;) (Mit ein paar mährischen Einsprengseln... :D) Die französische Musik, da hat Fairy Queen auch ganz Recht, hat etwas leichtes, mediterranes, spielerisches und lichtreiches und spricht mich unmittelbar an.


    (Deswegen fange ich gar nicht an, eine Rangliste französischer Lieblingsopern hier einzustellen. Ich wüsste ehrlich gesagt nicht, wo ich anfangen und aufhören soll, und vor allem nicht, in welcher Reihenfolge...)


    Liebe Grüße,
    Martin

    Die Masse des Publikums bleibt leider oft aus ganz anderen Gründen aus.
    Zum Beispiel die unglückliche Intendantin Karen Stone in Graz: Sie ließ ein sehr vielfältiges Repertoire spielen: von Barockoper (Semele!) bis Britten, französische Oper, Tschaikowski, und natürlich auch deutsche und italienische Oper und Operette und Musicals (etwa einen herrlichen "Sweeney Todd"). Alles in zwar nicht 1:1-werkgetreuen Inszenierungen, aber doch in einer eher konservativen Bilderwelt. Zusätzlich war der Großteil dieser Inszenierungen (natürlich nicht alle) auch noch gut durchdacht und hat mich sehr angesprochen! Die Sänger, die sie nach Graz geholt hat, waren ebenfalls sehr ansprechend (und wahrscheinlich auch entsprechend kostspielig). Ich bin damals gern und oft in die Oper gegangen und habe mir viele Stücke öfter als einmal angeschaut.
    Die Auslastung ist aber stetig gesunken und Karen Stone selbst nach politischen und medialen Anfeindungen gegangen.


    Ihr Nachfolger spielt jetzt fast nur Schlachtrösser (heuer: Tannhäuser, My Fair Lady, La Bohème, West Side Story, Nabucco, Così fan tutte, Die Zauberflöte, Der Rosenkavalier - und als Ausreißer oder Feigenblätter Die Liebe zu den drei Orangen und The Lighthouse) mit überwiegend Regietheaterinszenierungen (die mir nicht immer so durchdacht scheinen wie bei Karen Stone), hat heuer sogar die Operette gestrichen, und hat ein volles Haus.
    (Ich für meinen Teil hoffe ja schon auf die nächste Intendantin Elisabeth Sobotka, die nächste Saison kommt!)


    Das böse Regietheater vertreibt die gute Masse? Nein, bekannte Namen ziehen sie an!


    Liebe Grüße,
    Martin


    P.S.: In Berlin mit der "Aida" schaut die Sache natürlich ein bisschen anders aus, aber wenn zwei Opernhäuser in einer Stadt die selbe Oper spielen, ist der Konkurrenzkampf wohl eher hart. Da spielt aber neben der Inszenierung garantiert auch die Besetzungsliste eine wichtige Rolle!