Beiträge von Dr. Holger Kaletha

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    Der am 10. März 1946 in Seoul (Südkorea) geborene Kun-Woo Paik gehört zu den namhaften Pianisten von internationalem Rang, die paradoxer Weise bei uns in Europa und insbesondere in Deutschland kaum bekannt sind. In Asien ist das freilich anders - wobei man auch lesen kann, dass dies nicht zuletzt damit zu tun hätte, dass der Pianist 1974 eine der im asiatischen Raum bekanntesten Schauspielerinnen, Yoon Jeong-hee, heiratete, die trauriger Weise an Alzheimer erkrankte und am 19. Januar dieses Jahres (2023) verstarb. Dabei hatte Kun-Woo Paik , der u.a. bei der berühmten Rosina Lhévinne studierte, auch bei der deutschen Pianistenlegende Wilhelm Kempff Unterricht genommen. In den großen und bedeutenden Konzertsälen dieser Welt konzertierte er, ist mit Orchestern aus der "ersten Reihe" und namhaften Dirigenten aufgetreten, darunter Neville Marriner, Mariss Jansons und Eliahu Inbal. Sein in Aufnahmen dokumentiertes Repertoire ist durchaus reichhaltig. So erinnere ich mich an die Zeit des Klavierunterrichts, wo mein Lehrer, selber Konzertpianist, bei den unbedingt hörenswerten Interpreten des Klavierwerks von Maurice Ravel ihn, Kun-Woo Paik, nannte. Leider sind die allermeisten Aufnahmen von ihm vergriffen - so auch seine damals auf LP veröffentlichte Gesamteinspielung des Ravel-Klavierwerks:


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    Im Jahr 2000 schloss Kun-Woo Paik einen Exklusivvertrag mit dem Label DECCA, wo er u.a. sämtliche Klaviersonaten von Beethoven aufnahmen, was ihm aber offensichtlich bei uns nicht zu mehr Bekanntheit verholfen hat. So war ich überrascht, als ich bei Youtube auf seine späten Aufnahmen beim "Gelbetikett" Deutsche Grammophon stieß - darunter Schumann und die Aufnahme sämtlicher Nocturnes von Chopin.



    Die Aufnahmen haben mich gleich begeistert. Kun-Woo Paik zeigt sich hier als feinsinniger und tiefsinniger Klavierpoet, der über die wahrlich seltene musikalische Weisheit verfügt, das Klangrelieff von Chopins Präziosen bis in den letzten Winkel auszuleuchten und den feinsten Stimmungsnuancen nachzuhorchen. Hoch poetisch gespielt auch die Goyescas von Enrique Granados - eingefangen in Bild und Ton an einem wahrlich zauberhaften Ort:



    Nur schade - offenbar hat die DGG diese Aufnahmen nicht als CD veröffentlicht. Warum wohl? Aus vertragsrechlichen Gründen vielleicht wegen seines Exklusivvertrages bei DECCA? Darüber kann man aber nur spekulieren. Tiefschürfend auch sein Schumann:




    Wie einst Svjatoslav Richter bevorzugt er es wohl, nach Noten zu spielen. :)


    Ein solches auf jede Effekthascherei und Oberflächenbrillanz verzichtendes, hochpoetisches, ungemein kultiviertes und musikalisch tiefgründiges Klavierspiel hat es wahrlich verdient, mehr als bisher geschehen beachtet zu werden, gerade auch bei uns im Westen.


    :) :) :)

    Rachmaninow ist ein Komponist mit einer ganz eigenen, unverwechselbaren Tonsprache und er hat seinen Klavierstil geprägt, der unverwechselbar seiner ist. Deswegen ist er unvergleichlich und ich vergleiche ihn auch nicht. Ich will und kann auf ihn nicht verzichten. So geht es wohl nicht nur vielen Musikfreunden, sondern vor allem auch den Musikern (Pianisten). Sehr anhörenswert ist, was Vladimir Ashkenazy über Rachmaninow sagt. :)

    Lieber Christian,


    die Schumann-Aufnahmen würden mich natürlich auch sehr interessieren. :) Weißt Du, warum es von ihm keine CDs gibt?


    Liebe Grüße

    Holger

    Kun-Woo Paik ist mir als Name schon lange ein Begriff, obwohl ich keine einzige CD von ihm habe. :untertauch: Einen Thread bei Tamino hat er auch nicht. Kürzlich stieß ich bei Youtube auf Videos der Nocturnes von Chopin von ihm, die ich ganz hervorragend fand - und er ist sogar bei der Deutschen Grammophon:


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    Nur es gibt seine Aufnahmen nicht auf CD - nur als Download zu haben. Das finde ich sehr merkwürdig. Verkauft die DGG seine CDs nur in Korea? Der inzwischen 77jährige Kun-Woo Paik hat für das Gelbetikett auch Schumann aufgenommen:


    https://www.deutschegrammophon…humann-kun-woo-paik-12097



    Schöne Grüße

    Holger

    Man startet mit einer 20 jährigen Einsteigerin, wobei das nicht wirklich zutrifft: Berühmt war sie (imo zu Recht) schon mit 16, wie einige Konzertausschnitte aus verschiedenen Ländern mit verschiedenen Orchestern zeigen. Wir werden zeitnah der Künstlerin einen eigenen Thread widmen, die seit Jänner einen Exklusivvertrag mit Deutsche Grammophon besitzt und auf Anraten ihres Mentors Vladimir Spivakov nach Wien übersiedelt ist.

    Lieber Alfred,


    die CD habe ich auch gesehen und fand sie verlockend. Vielleicht greife ich bei nächster Gelegenheit mal zu... :)


    Schöne Grüße

    Holger

    An den Glocken fasziniert mich immer besonders die Stimmung des Lento lugubre. Was für ein Satz!

    Rachmaninow ist ja tatsächlich öfter mal moderner als ihm zugestanden wird. Sei es das jazzige 4. KK, die expressiven Glocken oder auch Teile der ungeliebten 3. Sinfonie...

    Stimmt genau! Das 4. Klavierkonzert mag ich eigentlich lieber als das 3. Wirklich überragend ist Ashlenazys letzte Aufnahme der 3. Symphonie mit dem Philharmonia Orchestra, dessen Ehrendirigent er ist von seiner Abschiedstournee - hier habe ich sie besprochen:


    Kopfhörer-Klausuren. Dr. Kalethas esoterisches Hörtagebuch


    Ich höre gerade meine einzige Aufnahme der "Glocken" mit Ashkenazy,


    das klingt tatsächlich recht modern !

    Ashkenazys Aufnahmen sind natürlich auch hervorragend - ich habe beide, die ältere mit dem Concertgebouw Orkest und die spätere mit der Tschechischen Philharmonie. Bei letzterer sind noch einige wunderbare Chorwerke von Rachmaninow mit dabei!


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    :hello:


    P.S.: In diesem Jahr ist Rachmaninows 150. Geburtstag! :) :!:


    Schöne Grüße

    Holger

    Wie erst kürzlich bekannt wurde, ist der Dirigent Wolf-Dieter Hauschild, geboren am 6. September 1937 in Greiz, am Himmelfahrtstag (18. Mai 2023) im Alter von 85 Jahren in Leipzig verstorben.

    Oh, traurig! Hauschild habe ich in Bochum live erlebt, als er die deutsche Uraufführung von Schnittkes Concerto grosso Nr. 6 dirigierte, dazu Schostakowitschs Konzert für Klavier und Trompete mit Victoria Postnikova und ihrem Sohn. Wir waren dann in seinem Künstlerzimmer anschließend. weil mein Studienfreund ihn persönlich kannte. Er fluchte über die Akustik, dass ihm da die Pauken versumpfen würden, daran erinnere ich mich noch.

    Interessant fand ich weiter oben im Thread, dass Dr. Holger Kaletha Adorno erwähnt hat: Dass es zum guten Ton gehört Rachmaninow zu kritisieren, habe ich auch erfahren müssen. Ich kann diesen Teil der Rezeptionsgeschichte nicht sehr gut nachvollziehen, gleichwohl ahnen woher der Wind weht.


    Mein musikalischer Mentor riet mir damals, nicht allzu sehr in Chopin und Rachmaninow zu versinken und es doch z.B. mit Beethovens Violinkonzert zu probieren. Ein weiser Hinweis – allein völlig ungehört bei einem 18 jährigen :)

    Im Gegensatz zu meiner damaligen Schwärmerei ist die alte Liebe zu Rachmaninow immer noch vorhanden und köchelt von Zeit zu Zeit hoch.

    ^^ Lieber Tristan, interessant in dieser Hinsicht ist, was Svjatoslav Richter sagt: Prokofieff hasste ausgerechnet die Etudes tableaux. Warum? Weil er sich nicht eingestehen wollte, dass sein so moderner Klaviersatz von Rachmaninow herkommt! ^^ Deine Geschichte ist natürlich lustig. Ich bin immer ein Rachmaninow-Liebhaber gewesen und bleibe einer. Zum Festtag passen vielleicht (kein Klavierkonzert ^^ ) die "Glocken". Da ist Rachmaninow mit seiner expressiven Urgewalt nicht weit von Orffs Camina Burana entfernt. Meine Lieblingsaufnahme (mit einem unglaublichen Bassisten!) ist Svetlanov:



    :hello:


    Schöne Grüße zum Pfingstmontag

    Holger

    Also, wenn wir uns mal treffen, dann fährst du am besten mit deinem roten Ferrari nach Düsseldorf und dort nach Schloss Benrath, da käme Holger dann dazu.


    ... bei einem Treffen mit Dir und Holger wäre ich sofort dabei, das wäre mit Sicherheit ein Heiden/ Haydn-Spaß ;-)

    Ganz bestimmt! ^^ Unweit vom Schloss gibt es in Benrath das Musikantenviertel, da gibt es sogar eine Haydn-Straße! :hello:


    Ich habe mal in das wohl letzte Buch des 2019 verstorbenen Beethoven-Experten Martin Geck geschaut (Martin Geck Die Symphonien Beethovens, Olms-Verlag 2019) und folgendes gefunden:


    Zur Problematik der Fuge bei Beethoven schreibt er:


    "Vom Biographen Wilhelm von Lenz ist Beethovens Vorstellung überliefert, dass "in die alt hergebrachte Form der Fuge ein anderes, ein wirklich poetisches Element kommen" müsse. (...) Die offenkundig absichtlich >schlecht< komponierten Fugen im Finale der Achten sind demgegenüber Ausdruck eines sinnlos-wilden Herumgefuchtels." (Einer "Kampfsymbolik", davon hatte Geck vorher gesprochen.)


    Also was es schon bei Beethoven gibt und geben kann, eine >schlecht komponierte< Fuge ihres poetischen Sinnes wegen, das bei Gustav Mahler erst recht. Da ist das "poetische Element" die Vorstellung polyphonischer Vielstimmigkeit als einer chaotischen, babylonischen Sprachverwirrung. ;)


    Über die Doppelfuge im Chorfinale der 9. schreibt Geck kritisch:


    "Die große Geste ist zwar durch die hehre Absicht gedeckt, die Devisen von "Freude schöner Götterfunken" und "Seid umschlungen Millionen< im Sinne eines gewaltigen Volkschores zusammenzuführen. Doch offenbar ist Beethoven die Idee so spät gekommen, dass er sich nunmehr mit zwei Themen auseinandersetzen muss, die sich bestenfalls dem äußeren Eindruck nach zur Kombination eignen."


    Schon der Empfindsamkeit des 18. Jhd. galt die Fuge (gerade auch die von J. S. Bach) als viel zu gelehrsam und altmodisch verzopft - Beethoven hatte offenbar deshalb so gar keine Lust "gelehrsam" zu sein und eine satztechnisch perfekte Fuge zu komponieren. ^^ Die Semantik ist ihm wichtiger als die Satztechnik.


    Zur Wirksamkeit von Gattungsnormen im 19. Jhd. (zit. nach Geck, s.o.!):


    Felix Mendelssohns Schwester Fanny, die bekanntlich selber komponierte, schreibt 1836 nach einer Aufführung der 9. Symphonie durch ihren Bruder, dass sie Beethoven zum Teil "abscheulich" findet und lässt sich über das Chorfinale wie folgt aus, ...


    das "dithyrambisch sein soll, aber nun auf seiner Höhe umschlägt und in sein Extrem fällt, in´s Burleske."


    Interessant ist, dass sich Fanny Hensel-Mendelssohn nicht am Dionysisch-Orgiastischen dieses Finale stört (der Dithyrambos ist der dionysische Rhythmus), sondern daran, dass Beethoven die Gattungsnorm verletzt hat. Die Symphonie ist nämlich eine dramatische Gattung. Die Burleske gehört aber nicht in eine Tragödie, sondern zur Komödie - burlesk waren die Komödien des Aristophanes. ;)


    Und noch einmal nachgehört:


    Es ist immer faszinierend, Arturo Toscanini beim Dirigieren zuzuschauen. Er dirigiert den Chorsatz rhythmisch und der Chor singt sehr "energisch". Das ist ein nicht unbedeutender Zug finde ich. Die Sänger singen mit "Power". Das ist heute kein Problem mehr für Hörer, die an Rock-Musik und Heavy Metal gewöhnt sind. ^^ Beethovens "Kraftmeierei" ist aber für seine Zeit schon etwas Neues. Die Arie der Königen der Nacht ist zwar auch sehr schwierig, aber hat eben diese göttliche Leichtigkeit des Seins und gleichsam schwerelose Anmut. Bei Beethoven wird so gar nicht anmutig mit Kraft und Kraftanstrengung gesungen. Da äußert sich wiederum Beethovens "Wille" und Subjektivität - was es bei Mozart so noch nicht gibt.




    Schöne Grüße zum Pfingstmontag

    Holger

    Zuviel Geld, habe ich weiß Gott nicht, lieber Holger 😉

    Ich auch nicht, lieber Peter!

    Abgesehen davon, sind es ‚nur‘ die Evoke 20 (welche im Übrigen hervorragend klingen) - da wäre die erwähnte Vor- Endstufen-Kombination sicherlich etwas überdimensioniert. 😊

    Dynaudio ist schon Klasse! :) Ich habe die Excite X38 (Excite ist die Vorläuferserie von Evoke) - damals (2019) auch noch günstig als Auslaufmodell bekommen und bin sehr zufrieden. Der Hochtöner ist genial (Seidenkalotte), hoch auflösend und trotzdem nervt er nie. Und Dynaudio ist ein unglaublich ehrlicher Lautsprecher ("Dänen lügen nicht!" - das bekannte geflügelte Wort zu Dynaudio ^^ ) . Er gibt alles wieder - eben auch fast schon seismologisch hypersensibel, welche Elektronik angeschlossen ist. Meine Rechnung ging damals auf. Wenn man einen kleinen, auch von der Preisklasse her bescheidenen Lautsprecher hat, spielt er mit einer Top-Elektronik, wenn man das Glück hat, sie schon zu haben, die eigentlich preislich gar nicht passt, klanglich mindestens eine Klasse höher. Deswegen würde ich die Evoke 20 vielleicht mit sowas wie einem Yamaha AS 1200 (2000 Euro) betreiben, das wird sich glaube ich auszahlen.

    Mit dem Klavier hast du einen guten Griff getan - Preis/Leistung bei den Yamahas ist genial - Qualität, Verarbeitung ebenfalls 👍

    Ich hatte mich vor ein paar Jahren für ein Seiler (wollte halt was aus deutscher Produktion haben) entschieden und es bisher auch nicht bereut.

    Seiler ist sehr schön! Ich wollte eigentlich das alte Schimmel-Klavier meines Vaters aus den 50iger Jahren restaurieren lassen, was klanglich wunderbar ist. Nur ist unser Haus hier sehr hellhörig. Ich brauche deshalb unbedingt eine Silent-Schaltung, so dass ich auch abends spielen kann, weil ich tagsüber beruflich unterwegs bin. Sonst steht das Klavier nur da und ich kann nicht üben. Gleich zwei Klavierbauer haben mir abgeraten, eine Silent-Schaltung in so ein altes Instrument einzubauen. Yamaha beherrscht diese Technik perfekt. Der Transport wird Millimeterarbeit. Höhe des Fensters, wo das Instrument durch muss, genau so viel wie das Instrument. Das geht dann, wenn sie oben den Deckel abnehmen. So gibt es 4 cm Spiel. ^^


    Schöne Pfingsten wünschend

    Holger

    Gerade habe ich das Chorfinale von meinem Lieblingsdirigenten - Claudio Abbado - gehört, den Mitschnitt mit den Berliner Philharmonikern von einer Italien-Tournee (es singt der Schwedische Rundfunkchor). Er ist hier einmal mehr der Meister der Balance, der er ist, vermittelt das Feuer der Begeisterung vereint mit Feinsinn und Sinn für Klassizität. Das finde ich einfach wunderbar!


    Schönes Teil, der A1 👍


    Ich selbst, habe im Musikzimmer noch einen A-S700 im Einsatz, den ich aber aufgrund der nicht optimalen Abstimmung mit meinen Dynaudio-Lautsprechern ersetzen möchte.
    Der RN 800A könnte es werden … würde dann auch noch die aktuelle Streaming-Lösung obsolet machen … schau‘n mer mal … 😉

    Ich habe auch Dynaudio-Lautsprecher, und die brauchen einen Verstärker mit eher höherem Dämpfungsfaktor. Den hat Yamaha. Ich muss aber sagen, dass der RN803 D - das Nachfolgemodell wird ähnlich klingen - ein wunderbares Gerät zwar ist mit optimalem Preis-Leistungsverhältnis, aber (ich betreibe die Geräte am selben Lautsprecher), bei weitem nicht an das klangliche Niveau meiner AVM-Kette herankommt. Da liegen Welten dazwischen. Insofern würde ich mir überlegen, ob Du Dir, wenn von Yamaha, nicht doch besser einen von den Top-Verstärkern anschaffst. Ein bekannter von mir hatte den RN 803 D und dazu noch den Top-Vollverstärker von Yamaha für 5000 Euro. Er ist ein großer Freund von Verstärkern und hat sich auch, nur um sie einzuschätzen, etliche "Billigverstärker" gekauft. Sein Urteil: Der RN 803 D ist besser als die ganz kleinen Nur-Verstärker von Yamaha, aber der "Große" ist dann noch noch einmal eine andere Liga. Wenn Du zuviel Geld hast, kannst Du auch zur Yamaha Vor-Endstufe C-5000 M-5000 greifen. Die habe ich tatsächlich gehört bei Jemandem (wunderbare Geräte!), der sie aber mit Lautsprechern betreibt, die leider einfach nicht auf dem Niveau des Verstärkers sind, so dass die Kombi nicht zeigen konnte, was in ihr steckt.


    https://www.lowbeats.de/test-v…ion-yamaha-c-5000-m-5000/


    P.S.: Meine aktuelle Erwerbung von Yamaha ist ein Klavier - nur noch nicht geliefert. :)


    Schöne Grüße

    Holger

    Dennoch bin ich keineswegs der Meinung, dass Beethoven die Stimme hier "instrumental" behandelt - egal, aus welcher Motivation heraus - ich denke und empfinde eher, dass er hier ganz bewusst die Exstase, die höchste Emphase, den höchsten Jubel ausdrücken will. Und das soll man dann durch ein Instrument ersetzen, nur weil es hoch wird!? Ganz im Gegenteil, genau aus diesem Grund ist dieser Chor ganz besonders vokal!

    Du hast natürlich völlig Recht mit Deinem "Einspruch!" ^^ Ja, die Stelle soll das "höchste Glück" was dem Menschen möglich ist in Jubel und Extase ausdrücken. Es gibt zwar auch jubelnde Trompeten, aber letztlich können sie den Ausdruck einer menschlichen Stimme hier nicht hervorbringen. Da bin ich ganz Deiner Meinung. Nur die Missverständnisse und Diskussionen kommen letztlich daher, dass die ästhetische Erfahrung verschiedene Ebenen hat, die zusammenspielen. Jubel und Extase - das ist die Ausdrucksebene, und damit zusammenhängend die wirkungsästhetische Dimension. Worauf sich meine Argumentation bezug, war die "Form", die Darstellungsebene. Ausdruck, Wirkung und Darstellung - diese Aspekte gehören zusammen, werden aber in den ästhetischen Debatten der letzten Jahrhunderte oft gegeneinander ausgespielt. Bestes Beispiel ist der Disput zwischen Eduard Hanslick und Richard Wagner. Hanslick interessiert nur die "Darstellung" und was sich darstellt, die musikalische "Form" als schöne Erscheinung; Wagner dagegen hält das für oberflächlich und spielt dagegen die Ausdrucksebene der Musik aus: Musik ist nicht "tönend bewegte Form" sondern "tönend bewegter Ausdruck". Das kann man hier in Bezug auf diesen Chorsatz natürlich auch machen und dann disputieren - man sollte es aber nicht tun, weil man sonst der ästhetischen Komplexität von Beethoven nicht gerecht wird. Wäre Beethoven ein biederer Klassizist, dann hätte er diese extreme Ausdrucksdimension, welche die Fasslichkeit der Form sprengt, nicht zugelassen. Aber: Er bleibt eben ein Klassiker, der versucht, die Ausdrucksebene mit der Darstellungsebene zu vermitteln, bemüht sich also um Ausgewogenheit. Das unterscheidet ihn von einem Expressionisten. Der Jubel bei Beethoven ist eben noch nicht der expressionistische Schrei (das berühmte Bild von Edvard Munch). Deswegen steht das, was ich ausgeführt habe, auch nicht im Gegensatz zu dem, was Du zu Recht sagst. Beethoven lässt auf der Ausdrucksebene die Extase zu, fängt sie aber auf Darstellungsebene, der musikalischen Form, gleichsam auf durch einen "schönen" Tonsatz, jetzt "schön" nicht verstanden im Sinne von klassizistisch "glatt", sondern im idealisch-utopischen Sinne eines eigentlich unmöglichen harmonischen Zusammenstimmens, das doch möglich wird, wie es ja auch der Aussage von Schillers Ode entspricht. Metaphorisch ausgedrückt: Beethovens Jubel komponiert keinen Schrei, der das Haus der schönen Form zum Einsturz bringt, sondern ein durchgängiges Beben erzeugt, dass alles in Bewegung bringt, dass die Wände nur so zittern. Damit bleibt er eben doch bei aller Exaltiertheit ein Klassiker, der die Form wahrt. Jean-Francois Lyotard würde das den "Trost der schönen Form" nennen. :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

    Ich würde gerne nochmal auf diese Ausführungen von Holger zurückkommen. ChKöhn hat ja bereits Zweifel hieran angemeldet, die ich auch sehr plausibel finde. Unter anderem hat er auf die "Große Fuge" verwiesen, die bekanntlich nicht allzu lange nach der Neunten entstanden ist und der man nun wahrlich keine Orientierung "am ästhetischen Ideal des Schönen" unterstellen kann.


    Ich meine, dass man auch im Finale der Neunten an mehreren Stellen eine Abkehr von einem solchen "Ideal des Schönen" ausmachen kann.


    - Da wäre einmal die berühmte Stelle "steht vor Gott", die in vollem fortissimo dargeboten werden soll. Statt Schönheit nehme ich hier vor allem Überwältigung wahr.

    Es ist keine Frage, dass das Erhabene als Bedeutung in diesem Chorfinale vorkommt. Die Frage ist nur, ob man deshalb den Schreibstil (wie man das im 18. Jhd. ausgedrückt hat), also die kompositorische Form dieses Chrorsatzes als "erhaben" und nicht "schön" ästhetisch bezeichnen kann oder sogar muss. Darauf kommt es an - auf den Chorsatz. Das 18. Jhd. hat nun klare Kriterien gehabt, was einen erhabenen und nicht schönen kompositorischen Schreibstil auszeichnet. So heißt es etwa bei Johann Georg Sulzer zum erhabenen Stil, er enthalte "kühne Gedanken, freie Behandlung des Satzes, anscheinende Unordnung in der Melodie und Harmonie, stark markierte Rhythmen von verschiedener Art, kräftige Baßmelodien und Unisoni (...) plötzliche Übergänge und Ausschweifungen von einem Ton zum andern (...)." Die Ästhetik des Erhabenen diente dazu, den bizarren Schreib- und Vortragsstil von Carl Philipp Emanuel Bach zu rechtfertigen und ihn nicht einfach als formlos und unschön ästhetisch werten zu müssen. Der entscheidende Aspekt, der das Erhabene vom Schönen unterscheidet, ist die Formlosigkeit. So bei Immanuel Kant, dem zufolge das Erhabene das Unbegrenzte und Formlose an einem ästhetischen Gegenstand ist, das, was wir ästhetisch genießen "ohne Rücksicht auf die Form". Der Wagnerianer Arthur Seidl ("Vom Musikalisch-Erhabenen") schließlich bestimmt das Erhabene durch seine "Formwidrigkeit". (Das war dann der Streit mit Eduard Hanslick, dem Verfechter des Musikalisch-Schönen einer "tönend-bewegten Form", der das Formwidrig-Unschöne und Erhabene dann im Gegenzug als gar nicht erhaben, sondern nur unschön und hässlich bekämpfte.) Die Kennzeichnung des erhabenen Stils als eine bizarre Formlosigkeit und Formwidrigkeit trifft nun einfach nicht auf Beethovens Chorsatz zu. Er ist ein symphonisch aufgebauter und von daher schön geordneter Chorsatz, der die ästhetischen Kriterien des Formwidrig-Erhabenen nicht erfüllt. Daran ändert auch nichts, dass die Sopranstimme in einer extrem hohen Tonlage singt. Die Bedeutung des Erhebenden und Erhabenen ist hier letztlich nur symbolisch und nicht satztechnisch begründet, eben weil dieser Chorsatz als Symphoniesatz komponiert ist und nicht einfach ein Chorsatz ist. Der Sopran wird hier behandelt, als wäre er eine Trompetenstimme - und das ist symphonisch keine Formwidrigkeit und also auch kein erhabener Stil. Der schöne Stil kann das Erhabene sehr wohl ausdrücken durch das Symbolische (die erreichte "Höhe" des Göttlichen durch die hohe Stimmlage), ohne deswegen ein erhabener Stil sein zu müssen.


    Zum anderen passt die Semantik des "Überwältigenden", die zur Ästhetik des Erhabenen gehört, nicht zu Beethovens Chorfinale. Das Erhabene hat heroischen Charakter: Der Mensch erleidet (!) eine ihm unendlich überlegene Macht und Naturgewalt, die ihn klein erscheinen lässt vor der unendlichen Größe der vergöttlichten Natur (im Sinne des deus sive natura von Spinoza). Nach Kant unterliegt der menschliche Leib dieser Naturgewalt vollständig, aber die Vernunft triumphiert heroisch darüber. Die erhabenen Naturdarstellungen - schön zu sehen war das in der Turner-Ausstellung in Münster - stellen den Menschen in der Proportion winzig dar vor der Größe der Naturerscheinungen. "Ich bin nichts, Gott ist alles" sagte die romantische Naturphilosophie. Bei Beethoven dagegen geht es aber gerade nicht darum, den Menschen klein erscheinen lassen in der Überwältigung von der Übergröße des Göttlich-Erhabenen, sondern ihn gerade idealistisch-humanistisch groß zu machen und in seiner Größe zu feiern. Der Ausdruck ist deshalb Enthusiasmus und Überschwang angesichts dessen, was der menschliche Wille und ein souveränes Ich aus eigener Kraft aktiv zu leisten vermag (die Überwältigung ist dagegen passiv und nicht aktiv!): den Frieden durch die Realisierung der Menschheitsidee - natürlich im Einklang mit der Natur, weil die real existierende Gesellschaft weit davon entfernt ist, ein solches Ideal zu erreichen. Beethovens Musik ist wie Schillers Ode damit sehr anthropomorph. Das als Ausdruck eines Überwältigend-Erhabenen zu druten, halte ich deshalb für eine falsche romantisierende Deutung von Beethoven.


    - Dann das gewaltige Chor-Tutti nach dem Tenor-Solo, das auch eher einer Überwältigungsästhetik zu entspringen scheint.


    - Das in hoher Stimmlage gesetzte fortissimo bei "Über Sternen muss er wohnen".


    All diese Passagen scheinen mir weitaus eher am Ausdruck als an Schönheit orientiert zu sein. Zwar wird Beethoven dadurch noch nicht zum Expressionisten, aber von klassischer Ebenmäßigkeit hat er sich auch bereits ziemlich deutlich entfernt.

    Gustav Mahler sagte, dass er die Instrumente in extremer Tonlage spielen lässt, so dass sie die Töne nur mit größter Mühe - also großer Anstrengung unter Aufbringung des Willens - hervorbringen können. Wenn Sänger in diesem Chorfinale solche Mühe haben in so einer hohen Tonlage, dann widerspricht das von der Ausdrucksqualität her erst einmal dem Überwältigend-Erhabenen. Überwältigung ist Passivität, Willensanstrengung dagegen höchste Aktivität. So eine hörbare Anstrengung ist also auch nicht "erhaben". Und man kann Beethoven nun nicht unterstellen, dass er wie Mahler intendiert hätte, dass man diese Anstrengung hört und hören soll. Solche Willensangespanntheit widerspricht nämlich der Grundbefindlichkeit des Chorfinales, die befreiender Jubel und Ausgelassenheit ist, die sich mit verkrampfter Willensanstrengung nicht verträgt. Deshalb bleibe ich bei meiner Deutung, dass Beethoven hier als idealistischer Willensmensch handelte: "Du kannst, denn Du sollst" - es ihm also darum ging, das Schöne quasi durch Aufhebung aller Grenzen und Beschränkungen menschlichen Vermögens von Singbarkeit utopisch möglich zu machen. Beethovens Musik ist musikalisch realisierte Utopie - und eine solche klingende ästhetische Utopie ist nicht "erhaben", sondern "schön" (wie das Erreichen der Menschengemeinschaft als unversellem Friedenszustand ein idealisch schöner Zustand ist).


    Schöne Grüße

    Holger

    Also haben sie überhaupt nicht beide in Wien studiert? Wenn dieser Punkt unerheblich ist - warum verwendest Du ihn dann als Argument?


    (Jetzt kommt bestimmt wieder etwas über Beckmessereien, aber ich bin halt ein hoffnungslos altmodischer Mensch, dem Fakten wichtig sind. ;))


    LG :hello:

    Ich habe natürlich auch eine Bruckner-Biographie gelesen vor längerer Zeit, aber solche Details natürlich nicht alle im Kopf. Geist und Buchstaben... Es kommt doch auf das Gemeinte und Wesentliche an und man sollte doch zwischen dem Wesentlichen und Unwesentlichen unterscheiden können. ;)

    Ich möchte wahrlich nicht behaupten, dass ich ein Experte in der Biographie Anton Bruckners wäre, aber stimmt das im Falle von Bruckner tatsächlich? Er hat in den 1850er Jahren zwei Reisen nach Wien unternommen (vorher war er wohl nie dort) und wurde ab 1855 Schüler von Sechter, aber der Unterricht erfolgte wohl im Wesentlichen über Briefe (und nicht in Präsenz). Bruckner ging dann 1868 nach Wien, um Sechters Nachfolger zu werden - damit war er Professor am Konservatorium, kein Student. Wann hat Bruckner vor Ort in Wien studiert (und in welchem Umfang)?

    Das ist ja alles schön, aber es ändert doch nichts am Grundsätzlichen, dass Bruckner und Mahler vom selben Kulturkreis und akademischen Milieu geprägt wurden. Darauf kommt es doch nur an in dieser Hinsicht. ;)

    Es bleibt für mich offen, ob so eine Anekdote ernst zu nehmen ist.

    Relevanter wäre, ob so etwas in der einschlägingen Fachliteratur der letzten Zeit diskutiert wurde.

    Es kommt eben darauf an, mit welchem Interesse man sie aufnimmt. Musiktheoretische Arbeiten, die einen Vergleich von Bruckner und Mahler vornehmen in dieser Hinsicht, werden sich wohl schwerlich - trotz der umfangreichen Mahler-Literatur und auch einigen Ausführungen zu Mahlers Fugen, die Du angeführt hast - finden lassen. Für mich war das ein signifikantes Beispiel für eine abstrakt bleibende Betrachtung in ästhetischer Hinsicht. Man kann natürlich nur in satztechnischer Hinsicht einen solchen Vergleich anstellen und er ist für mich auch nicht von vornherein unplausibel. Wenn für Mahler die Fuge semantisch "Chaos" bedeutet, dann passt dazu nicht eine nach akademischen Regeln perfekt gebaute Fuge und das würde das Ergebnis so eines Vergleichs bestätigen.

    Dann soll er es eben als Geschmacksurteil darstellen: "Mir gefällt das nicht."

    Kant hat gesagt: Über guten Geschmack lässt sich nicht streiten, weil eben Geschmacksurteile nicht einfach subjektiv-beliebig sind, sondern einen normativen Maßstab haben, die ästhetische Idee nämlich, auf die sie sich beziehen. Geschmacksurteile können natürlich in vielerlei Hinsicht Fehlurteile sein, ästhetische Qualitäten nicht erkennen oder Dinge nicht richtig einschätzen und bewerten. Das hat aber mit subjektiver Beliebigkeit nichts zu tun. Dr. Pingels ursprüngliche Einschätzung hat eben ein Fundament in der Sache, das ist, dass Beethoven einen Chorsatz als Symphoniesatz komponiert hat und somit die rein chorischen Maßstäbe nicht erfüllt. Das nicht zu sehen und sich immer nur über die Bewertung aufzuregen und sie zu skandalisieren, finde ich nicht sonderlich produktiv und erhellend. So kann man wie gesagt jede ästhetische Diskussion abwürgen mit dem Ergebnis, dass solche Diskussionen in Zukunft einfach nicht mehr stattfinden, weil die Foristen dann verständlicher Weise keine Lust haben, irgendeine wenn auch nur ein bisschen vom Maimstream abweichende Meinung zu äußern, wenn sie dafür gleich einen Shitstorm einfangen.

    Du behauptest, Mahler habe sich "nachweislich an Gattungsnormen orientiert" (wobei Du den angeblichen Nachweis schuldig bleibst; es muss reichen, wenn Dr. Kaletha das sagt), und hältst dann das Urteil "schlecht komponiert" für berechtigt, weil er gegen diese Normen verstoßen, sich also nicht an ihnen orientiert habe. Um diesen Widerspruch zu bemänteln, verschweigst Du, um welche angeblichen Normen es eigentlich geht. Immerhin hast Du mich zum Lachen gebracht.

    Jaja, wenn man den Sinn meiner Aussage einfach verdreht. Der war nämlich ein anderer:


    Es ist einfach abenteuerlich, es als unsinnig hinzustellen, dass sich Bruckner und Mahler in einem Zeitalter, dass sich nachweislich an Gattungsnormen orientiert hat, bei der Komposition einer Fuge an dieselben Maßstäbe gehalten haben und abzustreiten, dass es solche die individuellen Werke übergreifenden Gattungsnormen gibt,

    In diesem Zeitalter haben Komponisten Gattungsnormen für verbindlich erachtet und es ist von daher abwegig, es a priori abzustreiten, dass sich auch Bruckner und Mahler als Kinder ihrer Zeit daran orientiert haben könnten. Das habe ich gesagt, nicht mehr und nicht weniger. Das ist wieder mal typisch für Deine unseriöse und freche Art, mit Gesprächspartnern umzugehen, die eine andere Meinung haben. In polemischer Absicht wird der Sinn ihrer Aussage verdreht mit dem polemischen Ziel, sie als Idioten bloßzustellen.

    Übrigens zur musikalischen "Gattungstheorie": Die wurde von Johann Mattheson in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts begründet und ist eng sowohl mit der Stillehre als auch der Affektenlehre verbunden. Ich kenne niemanden außer Dir, der das mit Mahler in Verbindung bringt. Und die Geschichte der Fuge reicht vom frühen 14. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Die Idee, da eine einheitliche "Gattungsnorm" zu postulieren und die als Maßstab der kompositorischen Qualität anzuwenden, dürftest Du ebenfalls exklusiv haben.

    Übrigens nennt man das "musikalische Rhetorik". Der letzte große Entwurf einer solchen stammt von Johann Nikolaus Forkel, einem Zeitgenossen von Immanuel Kant. Du nimmst den Mund mal wieder sehr voll, obwohl Dir in diesem Fall die theoretischen Kenntnisse fehlen. Gattungstheorie ist nämlich zum erheblichen Teil Betrachtung der Gattungsgeschichte und wie sich die Gattungsnormen in dieser verändern. Auch für die geschichtlichen Veränderungen gibt es wiederum normative Maßstäbe. So war die Novelle etwa ursprünglich Unterhaltungsdichtung, veränderte aber im Laufe des 19. Jhd. ihre Bedeutung zu der eines existenziellen Dramas. Vorbild dafür wurde Goethes Novelle. Bei Bruckner und Mahler, die quasi Zeitgenossen waren und die beide in Wien, also am selben Ort, studierten, ist es daher abwegig zu unterstellen, dass es hier so erhebliche gattungsgeschichtliche Unterschiede gibt in Sachen Fuge, die einen Vergleich von vornherein als sinnlos erscheinen ließen wie von Dir unterstellt.

    Wenn mit "rein kompositionstechnisch" gemeint ist, "nach allgemein gültigen und unveränderlichen Regeln", ist das Humbug. Die Regeln unterliegen ständiger Veränderung (dazu gibt es in den Meistersingern einiges), weshalb Kriterien nur sinnvoll sind, wenn sie aus dem einzelnen Werk abgeleitet werden. Das gilt mindestens seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und erst recht im 19. und 20.. Im selben Maße wie das Einzelwerk an Gewicht gewinnt, sinkt die "Gattung" herab bis zu einer vagen Idee, deren vermeintliche Vorgaben der Komponist sogar hinter sich lassen muss, wenn er Originalität erreichen will. Wer ihm das als kompositorische Schwäche vorwirft, hat Unrecht, weil er den falschen Maßstab angewandt hat.

    "Kompositionstechnisch" meint hier einfach: "satztechnisch". Die Orientierung am Einzelwerk anstatt einer allgemeinen Gattungsnorm ist ein historischer Prozess. Selbst ein so innovativer Komponist wie Franz Liszt mokierte sich über die Polonaise-Fantasie von Chopin und frage ihn: Was hat das noch mit einer Polonaise zu tun? Von Igor Strawinsky stammt die Äußerung, dass für den Hörer des 20. Jhd. im Unterschied zum 19. nicht mehr die Gattung wichtig ist, sondern eigentlich nur noch das individuelle Musikstück zählt. Bei Mahler gibt es selbstverständlich auch diese Tendenzen und in der musikwissenschaftlichen Literatur gibt es entsprechend eine metakritische Diskussion über Analysemethoden, ob es z.B. sinnvoll ist, Kategorien wie die "Sonatenhauptsatzform" für die Analyse überhaupt noch zu verwenden. Die Fuge ist aber eigentlich keine Form, sondern vielmehr eine Technik. Und da hat sich Mahler offenbar doch an traditioneller Kompositionstechnik orientiert, wie Kurzstückmeisters Literaturbelege nahelegen.

    Mich würde die entsprechende Analyse dieses Komponisten durchaus interessieren. Eine Annahme von Richtigkeit allein auf Basis von Autorität (weil es halt ein Komponist gesagt hat), ist mir hier zu wenig. Stockhausen merkte über den "Tristan" mal an, dass das Vorspiel ganz brauchbar, aber der Rest überflüssig sei. Die Aussage ist Käse, auch wenn sie von einem genialen Komponisten getätigt worden ist.


    LG :hello:

    Das bleibt rein spekulativ und ist einfach ästhetisch irrelevant. Ist es denn so schwer zu verstehen: Die Frage, wie Mahlers Fugen mit Blick auf Bruckner kompositionstechnisch beurteilt werden können ist wie auch immer das Urteil ausfällt ästhetisch nicht entscheidend. Das kann man an dem Beispiel lernen - nämlich den Wert solcher Analysen zu relativieren und nicht absolut zu setzen.

    Ich fürchte, dass Du an der Sache vorbeiredest.


    Dr. Pingel hatte ursprünglich geschrieben: "es war wohl der 4. Satz der Neunten, deren Chorkomposition ich in Frage gestellt habe".


    Dieses Vorhaben (ein Infragestellen einer Komposition) geht über die bloße Mitteilung, ob man etwas als "schön" oder weniger "schön" erlebt hat (und welchen Hintergrund - in diesem Falle den des ausübenden Chorsängers - das hat) weit hinaus.

    Ich fürchte, Du bist einfach nicht bereit, dem Diskussionsverlauf zu folgen und beharrst stur bei Deiner Position. Erst einmal hat Dr. Pingel seine Aussage mehrfach korrigiert und präzisiert - nicht zuletzt wegen meiner Ausführungen. Ich habe mehrfach gesagt, dass ich nicht so weit gehen würde, das Chorfinale als solches in Frage zu stellen, weil es eben ein als Chorsatz komponierter Symphoniesatz ist und nicht nur ein Chorsatz. Trotzdem - das habe ich auch immer gesagt - kann ich Dr. Pingels Urteil, was den Chorsatz betrifft, nachvollziehen und halte es auch für legitim. Ich weiß nicht, was Du unter "schön" verstehst. Nach traditionellem Verständnis bedeutet Schönheit Harmonie, harmonische Proportionen, Stimmigkeit, Einheitlichkeit. Das alles sind Eigenschaften, die man an einem Chorsatz hörbar oder singbar nachvollziehen kann.

    Es ging nie um die Frage, ob es Dr. Pingel den Satz als "nicht schön" empfinden oder erfahren "darf" - selbstverständlich steht ihm das zu (auch wenn man sich vielleicht schon ein wenig wundern mag, wieso eine Stelle von einigen Sekunden Länge das Empfinden eines Sinfoniesatzes von über 20 min. Spieldauer bei jemandem so derartig beeinflusst, aber was soll's). Das, was nicht funktioniert, ist aus dieser subjektiven Erfahrung heraus ein Infragestellen der Komposition vorzunehmen, das auch nur ein halbwegs sachliches Fundament jenseits subjektiver Befindlichkeiten hätte. Das war der ganze Punkt der Erwiderung: dass ein solches Vorhaben auf dieser Basis zum Scheitern verurteilt ist, da die Basis dafür nicht ausreicht.

    Wenn dem so wäre, dürfte ich auch einen Schlager nicht trivial und kitschig nennen. Da bewerte ich auch die Komposition ohne theoretische Analyse im Hintergrund. Es ist zudem ein Unterschied, ob man ein solches Urteil von der Perspektive des passiven Hörers aus fällt oder aber der eines Aktiven und Ausführenden, wie es ein Sänger ist. Wenn ein Klaviersatz nicht gut in der Hand liegt, dann weiß ich das aus der Spielpraxis heraus und nicht irgendeiner Analyse, die ich dafür einfach nicht brauche. Chorsänger haben sehr viel Erfahrung, weil sie den anderen Sängern und Stimmen zuhören müssen, um sich in einen Chor einzufügen. Das setzt ein intuitives Verständnis von Harmonie voraus und es ist unsinnig, einem Chorsänger so etwas abzusprechen. Wenn Sänger dann die Erfahrung machen, dass das, was auf dem Papier steht, sich eben nicht so schön realisieren lässt, wie es sein soll, dann kann man eine solche Erfahrung nicht bestreiten. Und dann kann er sich auch ein Urteil über diese Realität erlauben: denn ästhetisch relevant für die Bewertung einer Komposition ist letztlich das, was man hört und was klingt, und nicht das, was nur schwarz auf weiß gedruckt steht.

    Ich glaube, der Komponist hat einfach nur Käse verzapft …

    Das ist nun einfach eine subjektive Wertung ohne Grundlage. Wenn Du das behauptest, musst Du unterstellen, dass besagter Komponist ein schlechter Komponist ist, weil er nicht weiß, was eine "gut gemachte" Fuge ist und er Fugen nicht richtig analysieren kann. Ich maße mir so etwas nicht an, weil so etwas unseriös ist und sich für meinen bescheidenen Geschmack nicht gehört. Er hat ja eine Fuge von Bruckner mit einer von Mahler verglichen und gesagt, Mahler habe im Unterschied zu Bruckner seine Fugen nicht richtig auskomponiert, sie seien also kompositionstechnisch nicht von der Qualität Bruckners. Mich interessiert als Ästhetiker wie gesagt nicht diese kompositionstechnische Frage an sich. Ästhetisch entscheidend ist eben, was die Fuge bei Bruckner und was sie bei Mahler bedeutet. Das bezieht ein rein kompositionstechnischer Vergleich nicht ein und bleibt damit abstrakt. Ich kann es somit dahingestellt sein lassen, ob diese kompositionstechnische Aussage nun richtig oder nicht richtig ist. Das ist gar nicht die für die Ästhetik interessante Frage.

    Das klingt für mich nicht nur nicht analytisch sondern auch nicht philosophisch.

    Intuitiv kann doch jeder irgendwas als schön empfinden. Auf dieser Basis gibt es kein intersubjektives Unterscheiden eines "schönen Chorsatzes" von einem "schiarchen".

    Da kann ich nur sagen, Kants Kritik der Urteilskraft lesen. Die ist aber unter Philosophen berühmt-berüchtigt als seine schwerste Schrift...

    Die Popularität ist ja gerade ein Grund, darauf einzuschlagen. Und die Popularität der "Ode an die Freude" wäre für mich der letzte Grund, Beethoven zu verteidigen. Allerdings ging es darum ja gar nicht, sondern um andere Passagen, die vermeintlich "schlecht komponiert" seien.

    Ich hatte mal eine interessante Begegnung mit einem Komponisten und Musikwissenschaftler bei einer Konferenz, der mir erklärte, dass die Fugen bei Mahler im Vergleich mit Bruckner handwerklich schlecht komponiert seien. Bruckner war Schüler von Simon Sechter (der ist der Inbegriff des Wiener Akademismus ^^ ) und es ist klar, dass er von daher eine Fuge handwerklich perfekt komponieren kann. Und die Analyse kann dann herausbringen, dass das bei Mahler nicht so ist. Also warum soll man nicht sagen dürfen, dass ein Chorsatz bei Schütz oder Bach chorisch-handwerklich besser komponiert ist als bei Beethoven? Die Frage ist letztlich aber immer die nach der Vergleichshinsicht. Ästhetisch ist damit nämlich noch nicht viel ausgesagt. Warum sind die Fugen bei Mahler nicht perfekt durchkomponiert? Mahler selbst deutet die Fuge als Ausdruck von Chaos und die Vielstimmigkeit als Sinnbild einer babylonischen Sprachverwirrung. Zu dieser ausdrucksästhetischen Dimension des Chaos passt letztlich keine super geordnete, perfekt auskomponierte Fuge. Der Vergleich ist also abstrakt und berücksichtigt das eigentlich ästhetisch Wesentliche nicht. Bei Beethoven ist es ähnlich. Da wird ein Chorsatz als Symphoniesatz komponiert. Rein chorisch betrachtet kann das "schlechter komponiert" sein als Schütz oder Bach, aber das trifft dann nicht die ästhetische Bedeutung, die dieser Chorsatz bei Beethoven hat.


    Ich habe jetzt mal in Cooks Buch von 1993 über Beethovens 9. reingeschaut. Das Stück wurde stets als "cultural symbol" gesehen, erst wegen der Doppelfuge als deutsches, heutzutage als "symbol of world unity". Da sieht man schon in der großen zeitlichen Dimension die Abnahme der Bedeutung der Musik selbst, denn die Weltenvereinigung kommt aus dem Text, während die Doppelfuge noch etwas Musikalisches war.

    Ich habe mich ja ausführlich mit der Beethoven-Rezeption insbesondere in Deutschland beschäftigt. Das begann bereits während meines Studiums, wo ich im Rahmen einer Konzertreihe der Aufführung sämtlicher Beethoven-Sonaten einen Vortrag hielt zu genau dem Thema dabei auf Richard Wagners Beethoven-Novelle. Die Rezeption der Symphonien Beethovens war immer sehr ideologielastig. Das "Außermusikalische" mit Hanslick gesprochen dominierte: Beethovens Symphonien als "Reden an die deutsche Nation". Bezeichnend wurde die 9. heroisch im Zusammenhang mit der "Eroica", der 3., rezipiert. Von daher ist es wirklich schon eine Befreiung, wenn man heute ganz ohne diesen ideologischen Ballast der traditionellen Beethoven-Rezeption über das spzifisch-musikalische Problem diskutiert, ob dieser Chorsatz nun gelungen ist oder nicht.

    Darin drückt sich allerdings keine Wertschätzung von Ludwig van Beethoven, seinem Schaffen, der 9. Sinfonie oder ihrem Schlusssatz aus, es gilt der einprägsamen Melodie, und die Hymne existiert unabhängig von ihrem Schöpfer als politisches Konstrukt. Es verhält sich damit ähnlich wie mit der Eurovisionsfanfare, von der ja auch kaum jemand ihren Schöpfer kennt und das Werk, aus dem sie entnommen wurde.

    Politische Konstrukte gab es aber in der Rezeption insbesondere des Chorfinales schon immer.


    Ich pflichte Kurzstückmeister bei und mache das an einem einfachen Beispiel fest: Bei den allfälligen Empfängen des Verbandes, für den ich damals arbeitete, war es vor 20 Jahren üblich, sich bei Tisch auch über kulturelle Dinge zu unterhalten. Es war für die ältere Generation selbstverständlich, Opernaufführungen zu besuchen, dafür auch zu reisen oder das mit Urlauben zu verbinden, ebenso Konzerte. Es gab Grundkenntnisse in Kunst, Musik und Literatur. Bei meiner Generation wurde die Luft schon dünn, die Gespräch drehten sich dann eher um Sport, Freizeit und die schönsten Strände in Urlaubsparadiesen, oder, wie ein junger Unternehmensnachfolger, über E-Autos und ihre Möglichkeiten. Für den Fall der Fälle gibt's die Reihe "Get Abstract", mit der man auf wenigen Seiten "Kernkompetenzen" in Literatur, Ökonomie oder Philosophie erhalten kann, ohne auch nur eines der Werke in Gänze lesen zu müssen. Damit die Unkenntnis nicht auffällt, gibt's auf den letzten Seiten die Rubrik "Wichtige Zitate aus dem Buch...".

    In diese Klage stimme ich mit Dir gerne ein, nur trifft das alles nicht einen Chorsänger, der klassische Werke nicht nur passiv rezipiert, sondern aktiv mit zur Aufführung bringt und sich auch nicht weigert, Beethoven zu singen, nur weil er dessen Chorsätze nicht ganz so gerne singt wie andere. :D


    Schöne Grüße

    Holger

    das Display ist in der unteren Leiste integriert - Schönes Prinzip, welches das klassische Erscheinungsbild nicht stört.

    Mir gefällt das Teil … werde es beobachten :)

    Hallo Peter,


    besten Dank! Jetzt verstehe ich! :) Das ist auch Retro - mein erster Yamaha-Vollverstärker A1 von einst - bildschön und reif für das Museum of Modern Art - hatte auch so eine Klappe:


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    Schöne Grüße

    Holger

    Wenn die "Ode an die Freude" als Statement gebracht wird, dann wird damit eine Bedeutung transportiert, so wie wenn jemand die "Internationale" singt. Das hat mit einer Würdigung des Komponisten Ludwig van Beethoven so wenig zu tun wie mit einer Würdigung des Komponisten Pierre Degeyter.

    Das ist dann aber so ähnlich wie bei Verdi und La Donna e mobile. Die Popularität macht ästhetische Betrachtungen wenig populär oder verhindert ästhetische Kritik. Eigentlich ist dieses Chorfinale in den letzten 200 Jahren genug gewürdigt worden, so dass ihm ein paar kritische Töne wohl nicht schaden können. :D