Beethoven, Sonate Nr. 23 f-moll op. 57 "Appassionata"
Gerhard Oppitz, Klavier
AD: Oktober 2005
Spielzeiten: 10:03-6:45-7:11-0:46 -- 24:51 min.;
Gerhard Oppitz geht ganz souverän an die Sache heran, wunderbarer Klang, sehr fein abgestufte d<dynamische Anstiege und Abschwünge, ein wirkliches "poco" Ritartando, veritables Fortissimo in den drei Takten 17 20 und22, geschärfte sfp-Akkorde und behände Unisono-Achtel ab Takt 24- ein schwungvoller, aber kontrollierter Hauptsatz!
In der Dolce-Stelle herrscht wieder Bedacht vor und nach dem Ende in Takt 42 braucht er zum traurigen Durchatmen erst etwas Zeit, bevor die eisigen Achtel abwärts ziehen.
Kraftvoll setzt dann der Schlusssatz ab Takt 51 ein, Äonen von der gleichen Stelle bei Tatjana Nikolajewa entfernt. Das ist alles so folgerichtig, dass mir keinen Moment Zweifel kommen. Auch diesen ersten, zögerlichen Teil der Durchführung spielt Oppitz großartig, dynamisch ausgewogen, die Triller betonend und auch im zweiten Teil mit den Oktavwechseln des Themas kräftig einsetzend und nach der virtuosen Sforzandokette ab Takt 93 in das lyrische Zwischenspiel einstimmend, das in Oppitz' Tempo richtig atmet und sich entfaltet, einen schönen Kontrast setzend zur vorherigen dynamischen Bewegung.
Wie viel anders stürmt doch hier das dynamische Geschehen über das Dolce-Thema hinweg und pflügt es unter und setzt nach den heftigen Sechzehntelfiguren die düstere Überleitung machtvoll und verheerend ein.
Auch die Reprise gestaltet Oppitz noch einmal dynamisch etwas bewegter als die Exposition, wie es in der Appassionata gehört, auch die Überleitung zum neuerlichen Dolce-Thema spielt Oppitz ganz großartig.
Auch die vorwärtsstürmenden Sechzehntel lassen bei Oppitz keine Sekunde an Intensität nach, wobei ihm keine dynamische Feinheit entgeht. Ein letztes Mal taucht das Dolcethema glockenhell in der hohen Oktave auch, bevor es in den von Oppitz kraftvoll gespielten Sforzandi untergeht und von den Triolen und Arpeggien fortgespült wird.
Auch das abschließende Ritartando-Diminuendo ist ganz große Klasse, von der mitreißenden, explosiven und wie ich finde, beinahe perfekt gespielten Coda ganz zu schweigen- Mein Gott- welch ein toller Satz- und welch ein riesiger Gegensatz zu heute Nachmittag!!
Das Andante con moto ist grandios. Hier ist ein Pianist, der weiß, wie Beethoven tickt, auch, was Beethoven von ihm erwartet. In einem Abschnitt (1. Teil der ersten Variation, der keinerlei dynamische Vorschriften enthält, bringt er doch dynamische Bewegung hinein durch bloßes leichtes Verändern des Anschlags in der Begleitung- grandios- und keine Spur von Echobildung in der Wiederholung!
Und welch eine zweite Variation! Wie lässt er sie wunderbar atmen und wie gestaltet er hier wieder durch einen ganz anderen Kunstgriff, indem er auf den dynamischen Akzenten das Tempo leicht anzieht- ganz große pianistische Kunst!!
Und die dritte Variation lässt keinen Moment in dem turmhohen Niveau nach- im Gegenteil: Oppitz steigert es nochmals- diese dritte Variation und das anschließende nochmalige Thema: das ist reinste Himmelsmusik über das gesamte dynamische Spektrum hinweg: ich habe bis jetzt kein Andante kennengelernt, dass stimmungsmäßig einen größeren Kontrast zum Kopfsatz hergestellt hat wie das von Oppitz und das gleichzeitig so gut zum Kopfsatz passt!!
Auch das Finale erfüllt, zumindest in "la prima parte", meine Erwartungen voll und ganz. Oppitz wählt auch hier, wie ich finde das richtige Tempo: Allegro "ma non troppo" und entfaltet den Satz wunderbar fließend und nicht stürmend, denn das ist es außerhalb des Schlussprestos noch nicht. Um den nötigen dramatischen Impetus herzustellen, hat Beethoven genügend dynamische Anweisungen hinterlassen, die zur richtigen Interpretation führen, wenn man sie beachtet. und das scheint mir Oppitz zu tun, jedenfalls bis hierhin.
Auch "la seconda parte" erfüllt in Opptiz' Lesart meine Erwartungen vollauf. Wunderbar steigert er bis zur vierfachen Oktavverschiebung der Unisono-Oktaven. Auch seine anschließende "Atempause" ist in ihrer Klarheit und Ruhe kaum zu übertreffen.
Wunderbar und unbedingt noch einmal hervorzuheben ist auch sein Spiel in der hohen Oktave ab Takt 260 und die anschließende dynamische Steigerung zur Wiederholung von "la seconda parte".
Auch in der Wiederholung fällt wieder auf, wie genau er jeder dynamischen Änderung nachspürt und wie genau er die rhythmischen Gegebenheiten beachtet.
Die Presto-Coda ist ein Musterbeispiel dafür, wie große die Wirkung auch sein kann, wenn man mit etwas weniger Tempo ein Maximum an Struktur und an innerer Bewegung erzielen kann.
Gerhard Oppitz Interpretation zeigt mir, dass man sich als Interpret nicht der Musik bedingungslos ausliefern muss, um ein optimales Ergebnis zu erzielen, zumal das so gut wie nie ohne Fehler abgeht, dass nicht der gewinnt, der als erster fertig ist, sondern, der Beethovens Anweisungen am besten umgesetzt hat, und davon ist m. E. Gerhard Oppitz nicht weit entfernt. Weniger ist in der Tat manchmal mehr.
In meiner Beurteilung gehört Gerhard Oppitz hiermit zur absoluten Spitzengruppe, wobei er für mich das bisher überzeugendste Andante con moto gespielt hat. (Da hier im Finale Allegro ma non troppo und Presto getrennt gezeitet wurden, habe ich das auch so angegeben).
Liebe Grüße
Willi