Ich hau`s mal gleich in die Tasten...
Wenn ich ihn kennen würde könnte ich vielleicht sagen, Krämer wird ein rechter Eigenbrötler. Den Eindruck machen jedenfalls zunehmend seine Arbeiten. Seine letzte Inszenierung in Köln, der "Celan" von Ruzicka, war einfach schrecklich. Krämer hatte so eine Art "Betroffenheitstheater" auf die Bühne gehieft, der Celan war mit einem jüngeren und einem älteren Sänger doppelt besetzt, die Bühne schwarz und abweisend, viel Spiel hinter einem Gazeschleier. Und beim Schlußapplaus stand Krämer abweisend auf der Bühne und sah strafend in die Publikum das man bei so einem ernsten Thema Tribut - also Beifall - zollt. Da fragt man sich doch, wieso hat er dann die Arbeit ausgeführt...., es ist ja anzunehmen daß er dafür auch bezahlt wurde. Bei der Einführungsmatinee zum Celan sprach er u.a. über den "Fidelio". Daß das Publikum die schöne Musik während des Gefangenenchores so liebe und das sich Kettengerassel dabei so schlecht machen würde. Nun ja, ganz so böse kam es dann gestern nicht.
Was kenne ich von ihm: im Parsifal wurde die Kundry doppelt besetzt (Sängerin und Schauspielerin), in der Turandot das Spiel hinter den Masken, Nonos` Intolleranza, Hindmiths` Trypthichon, seine Traviatas` in Köln und München, alles großartige aufführungen. Aber der Fidelio in Bonn schlägt dem Faß doch irgendwie den Boden aus... Weder kann ich sagen miserabel noch wunderbar, einfach vollkommen ratlos.
Ich hatte schlichtweg den Eindruck, Krämer hat total vergessen, Personenregie zu führen. Entweder kamen augenscheinlich spontan überzogene Reaktionen oder hilfloses Rumgestehe - bis auf eine Ausnahme im 2. Akt. Grundsätzlich anders die Führung von Fidelio und Leonore - diese Rolle ist zweifach besetzt.
Zu Beginn, noch bevor die Ouvertüre beginnt sieht man durch einen Gazeschleier eine Festgesellschaft, mittendrin tanzt ein Brautpaar. Der Mann wird verletzt, die Frau misshandelt. Vorhang, die Ouvertüre beginnt. In Bonn spielt man die 3. Leonoren-Ouvertüre, ziemlich zu Beginn (das Stück kannte ich nicht) hört man die Melodie des Florestan `in des Lebens Frühlingstagen` und durch die vorhergehenden Bilder bekommt man eine Ahnung welches Glück da gemeint war. Das ist so typisch genialer Krämer...
Leonore wird nicht wahrgenommen, erst im 2. Akt, wenn sie schreit `töt erst sein Weib´ wird erkannt, daß da eine Frau auf der Bühne steht. Bis dahin klammert sich alles an den (hervorragenden!) Schauspieler Fidelio: Marzelline, Jacquino, Rocco, Florestan und auch Leonore. Die Teilung der Figur erklärt das Programmheft so, daß Fidelio vom Opfer zum Täter wird, indem er in die Gefängniswelt eintritt, sozusagen zum Verbündeten von Pizarro wird. Leonore ist außen vor, sie ist zum singen auf der Bühne, kauert im wesentlichen aber vorne an der Rampe. (Die Sängerin hatte stimmlich zwar Probleme über den Graben zu kommen, gefiel mir vom Ausdruck jedoch sehr gut.) Sonst ist mir auch keine Frau aufgefallen, die wahrgenommen wird, außer als Bedienstete. Die Handlung der Frauen besteht im wesentlichen darin, Suppenterrinen auf die Bühne zu tragen, den Männern das Essen zu servieren und deren Schmuck darzustellen (Schlußbild). So ist es wahrscheinlich eindeutig - oder soll es sein - daß Leonore (Fidelio ist da tot - erstochen von Pizarro in der Kerkerszene) bei der Befreiung "oh gott oh welch ein Augenblick" Marzelline in den Arm nimmt. Alles klar... 
Der arme Pizarro streckt immer die Arme nach oben und macht das "V"ictory-Zeichen wenn ihm sonst gerade nichts einfällt. Die anderen stehen einfach rum und gucken schonmal ein bißchen wütend. Zum kongenialen Einfall wird die Befreiung in der Kerkerszene: es herrscht keine Kontrolle mehr - Pizarro wird zwar die Waffe aus der Hand geschlagen, der vergreift sich wiederum an Leonore, Fidelio stirbt und Pizarro will sich auf Florestan stürzen. Das alles in Sekundenbruchteilen...
Warum das Publikum dermaßen gegen die Texte von Roth protestierte bleibt mir schleierhaft. Leider war nicht allzuviel wegen der zahlreichen Störungen zu verstehen :motz:. Da fragt man sich schon ein bißchen, was sie Leute suchen - die Vorstellung war ausverkauft trotz des angeblichen Skandals vor dem vor Tagen in der Presse zu lesen war. Das Programmheft hat u.a. einen lesenswerten Beitrag von Ferruccio Bussoni "Was gab uns Beethoven?". Darin heißt es: "Früher begrüßte der Zuhörer die Veranstaltungen zu einer Musikaufführung mit dem Lächeln angenehmer Erwartung; jetzt setzt man sich mit geschlossenen Augen und hoffnungslosem Ernst zum Lauschen hin." Mag schon sein, ich werde lächelnd versuchen, eine Karte für eine weitere Vorstellung zu bekommen 
Sophia