Die Inszenierung kenne ich nicht. Persönlich habe ich selbst immer den Eindruck gehabt, dass der Schauplatz (Amerika, Schweden oder sonst wo) gar nicht entscheidend ist, und die politischen Aspekte eher Nebensache. Riccardo ist zufällig ein Politiker in Herrscherposition. (Ebenso könnte er aber auch Firmenboss, Gesellschafter oder Generaldirektor sein, der da einige neidische Konkurrenten hat, die ihn los werden wollen.)
Was ich interessant gefunden habe, ist, dass die beiden Verschwörer selbst für Opernverhältnisse erstaunlich ineffektiv sind. Das fällt umso mehr auf, als das Opfer ihnen bei ihren dunklen Plänen noch entgegen kommt.
Im ersten Akt erfährt Riccardo durch Renato von der Verschwörung. Er will nichts Näheres darüber wissen und, was noch entscheidender ist, er zieht aus dieser Warnung nicht irgendwelche vernünftigen Konsequenzen. Sich verkleidet unter das Volk zu mischen, um eine Wahrsagerin, bei der jeder ein und aus gehen kann, aufzusuchen, nachts zum Galgenhügel zu eilen - das ist einfach leichtsinnig und mit Blick darauf, dass er im ersten Akt doch gewarnt wurde, dass er ermordet werden soll, schlichthin mehr als leichtsinnig. (Am Schluss will Riccardo eigentlich gar nicht den Maskenball besuchen, erst als er eine Warnung bekommt, dass er dort ermordet werden soll, entscheidet er sich dafür, doch dorthin zu gehen.) Riccardo ist eigentlich so gesehen ein Mordopfer, das es seinen Mördern nicht gerade schwer macht.
Warum also klappt es mit dem Mord nicht, wenn man davon absieht, dass es gilt eine mehraktige Opernhandlung nicht einen oder zwei Akte zu früh zu beenden?
Offensichtlich hat das Opfer Glück und/oder Renato, der Vertraute Riccardos, die Situation einigermassen unter Kontrolle. Daraufhin deutet zumindest hin, dass der Mordanschlag erst erfolgreich ist, als Renato mit den Verschwörern gemeinsame Sache macht.
Was das Handeln betrifft und mögliche politische Gründe für Renato - ich bin, das gebe ich offen zu, keine Musikanalytikerin, wenn es um Noten und Tonleitern und Ähnliches geht, aber ich habe bei Renatos erster Arie nie den Eindruck gehabt, dass sie nicht aufrichtig gemeint ist. (Kennt vielleicht hier jemand eine Interpretation, wo dies doch der Fall ist?)
Das ist zwar konventionell, aber mit Blick auf Musik und Libretto finde ich, dass Renatos Motivation in erster Linie in Riccardos (vermeintlichen?) Vertrauensbruch liegt. Er war bereit für Riccardo alles zu tun und hat an diesen geglaubt und ihm voll vertraut. Dann hat er allen Grund zu glauben, dass ihn Riccardo mit seiner Frau betrogen, also hintergegangen hat. Schlimm genug, dass das auch noch publik wird. Aber das Entscheidende ist doch, dass er allem Anschein nach hintergegangen wurde und das von jemandem, dem er vertraut hat und für dessen Sicherheit er alles getan hätte. Ich habe durchaus den Eindruck, dass es zum selben Ergebnis geführt hätte, wenn Riccardo statt heimlich Amelia zu treffen sich irgendeine andere angebliche Unaufrichtigkeit gegenüber Renato geleistet hätte.
Auffällig ist schon, dass Renato zwar Amelia in seine Racheaktivitäten verwickelt (sie muss selbst den Namen dessen ziehen, der Riccardo töten wird), aber sich letztlich dazu entscheidet, sie zu schonen. Eindeutig ist für ihn nicht sie, sondern Riccardo der Schuldige.
Interessanter als die Politik finde ich da die die Beziehung von Renato und Amelia. Sie sind verheiratet, offensichtlich schon seit einigen Jahren, denn da gibt es den kleinen Sohn. Ist es nicht auffallend, dass er seine Frau am Galgenhügel nicht erkennt, weil sie einen Schleier trägt? Warum singt er zum Beispiel nicht einmal, dass ihn die verschleierte Dame an seine Frau erinnert oder bekannt zu sein scheint?
Weil ihm Riccardos Sicherheit so wichtig ist, dass er nicht einmal Zeit hat, sich die Dame näher anzusehen? Und gibt es bis zur Galgenszene eine Stelle, wo er einmal an seine Frau Amelia denkt?
Wie wäre es mit Amelia und Renato als Eheleute, die sich längst auseinander gelebt haben - ist das etwa einer der Gründe, warum Amelia begonnen hat, sich in Riccardo zu verlieben.
Allerdings habe ich den Eindruck, dass es heute eben modern ist, alles mehr oder weniger in Inszenierungen "politisch" zu motivieren.
Gegen politisches Machtkalkül von Seiten Renatos spricht eigentlich auch, dass er den Mord selbst ausführen will und dass er das in der Öffentlichkeit macht. Wenn es nur darum geht, Riccardo zu töten, hätte er doch nur den Verschwörern freie Hand lassen müssen. Wenn er die Macht selbst anstreben wollte, wäre es ebenfalls sinnvoller gewesen, jemand anderen die Drecksarbeit machen zu lassen.
Abschließend, ich habe die Inszenierung nicht gesehen, kann also nicht beurteilen, wie überzeugend, dass Konzept des Regisseurs (umgesetzt) war. Persönlich finde ich, dass "Un ballo in maschera" als Beziehungsdrama mehr hergeben dürfte als politische Story.