Ich sah das Werk neulich in Karlsruhe (Händel-Festspiele) und bin der gleichen Meinung wie der Komponist: Das ist kein Oratorium, sondern eine Oper. "A New Musical Drama" in Händels Worten, also Musiktheater, d.h. Oper. So sieht es auch der renommierte Opernführer Avant-Scene Opéra, der auch Semele und Belshazzar als Opern behandelt, nicht aber Messiah.
Zentrales Motiv ist das zerstörerische Wirken der Eifersucht. In Karlsruhe erzählt als Rückblende: Dejanira wird der Prozess gemacht, sie endet in der Klapsmühle. Das Ganze spielt in den frühen 50er Jahren, Hercules ist eine Art General, der siegreich vom Kriegseinsatz kommt, aber ansonsten nicht sehr sympathisch erscheint. Generell sind die beiden Frauenrollen (Dejanira, Iole) deutlich gewichtiger als die der Männer (Hercules, Hyllus, Lichas). Im Libretto - wie auch in Karlsruhe - gibt Hercules eigentlich wenig Anlass zur Eifersucht, aber man muss sich halt eine Iole (geschätztes Alter: 17-20) als deutlich attraktiver vorstellen als eine Dejanira (geschätztes Alter: 35-40 Jahre). War auch in Karlsruhe so: Ann Hallenberg (56 Jahre, 10-15 kg Übergewicht) als Dejanira gegenüber Lauren Lodge-Campbell (ca. 23 Jahre, megahübsch) als Iole. Bei letzterer wurden auch 7-minütige Arien, die aus nur 4 Zeilen bestehen ("My breast with tender pity swells") nicht langweilig. Wobei das auch das Verdienst des Regisseurs (Floris Visser) war: Während der Arien gab es durchweg Handlung, mit der die Geschichte weitererzählt wurde. Eine konzertante Aufführung dieser 3-Stunden-Oper würde ich mir dagegen nicht antun.
PS: Der o.g. Opernführer empfiehlt ganz klar die Minkowsi-Aufnahme.