Beiträge von thdeck

    Die Richter beschäftigen sich aber sehr wohl mit dem Kunstbegriff. Eines von vielen Kriterien ist übrigens der Wille, Kunst zu machen. Wenn ich z.B. jemanden beleidigen will, kann ich das nicht hinterher als Kunst bezeichnen. Wenn aber mein primärer Wille ist, ein Kunstwerk zu schaffen, dann ist es meistens auch Kunst, auch wenn es jemanden beleidigt.


    Genau solche Dinge wägen die Richter ab.


    Und ja, auch gerichtlich anerkannte Kunst kann verboten werden. Es gibt ja noch weitere Rechtsgüter als nur die Freiheit der Kunst.

    Glaube ich nicht, dass das so gesehen wird. Auch vor Gericht nicht. Wenn Du irgendwas machst und sagst, dass es Aktionskunst sei und Du beanspruchst die Freiheit der Kunst, wirst Du als Nicht-Künstler keinen Richter überzeugen können.

    Du wirst jeden Richter überzeugen können, wenn du ein ehrliches künstlerisches Interesse hast. Der Richter bewertet nicht die Qualität deiner Kunst. Er kann es nur nicht leiden, wenn es in Wirklichkeit gar nicht um Kunst, sondern um Provokation oder Aktivismus geht.

    Eines eurer Probleme ist folgendes:

    Ihr bringt ständig solche Sätze wie "das ist keine Kunst" oder "das ist keine Musik". Und das ist objektiv und wissenschaftlich fundiert: Unsinn.


    Erstens: Das ist immer Kunst bzw. Musik.

    Zweitens: Selbst wenn es das nicht wäre, wäre es immer noch kein geeignetes Kriterium. Die Sache muss "gut" sein. Gute "Nicht-Musik" (wie immer man diese definiert) ist immer noch besser als schlechte "Musik".


    Euer Denkfehler, speziell bei der Kunst: Ihr meint, "Kunst" hat irgendwas mit "Können" zu tun, ist irgendwie "hochwertig". Nein. Kunst ist einfach das Ergebnis eines schöpferisches Prozesses, mit ein paar Nebenbedingungen. Das kann beliebig schlecht, langweilig, oder gar "Schund" sein. Jeder Mensch kann sich als Künstler bzw. als Musiker betätigen. Seine Produkte werden immer Kunst bzw. Musik sein.


    Die Frage ist: Wie definiert man "gut" im Zusammenhang mit Kunst oder Musik?


    Meine Definition lautet nach wie vorher:

    Gut = Hat einen intensiven, lang anhaltenden Effekt auf den Rezipienten. Der Effekt kann jahrhundertelang anhalten.


    Und ja, auch Rieu macht Musik bzw. Kunst. Aber erstens ist seine Schöpfungshöhe recht gering, und zweitens hält sein Effekt nicht lange an. Über andere Musiker spricht man noch Jahrzehnte nach ihrem Tod. Über Rieu eher wohl nicht.


    Übrigens höre ich selbst kaum "moderne" Musik. "Musik" ist es dennoch. Davon abgesehen ist es mir komplett egal, ob andere diese Musik "gut" oder "schlecht" finden. Ich verstehe echt nicht, warum man sich darüber so ereifern kann.

    Nächsten Sonntag (10.11.) werde ich den Tristan in Berlin in der Deutschen Oper sehen. Daher habe ich in den letzten Tagen mal wieder das Libretto gelesen und die Musik gehört. Es ergaben sich die folgenden Erkenntnisse:


    (1) Es handelt sich um Musiktheater. Daher muss auch dieses Werk so angelegt sein wie alle anderen Opern: Es muss bühnentauglich sein. Das bedeutet, dass der Theaterbesucher es verstehen muss, ohne irgendwelche Sekundärliteratur heranzuziehen. Also nix Schopenhauer und dergleichen. Auch keine Diskussion über die Verbform "stürben" bzw. "starben". Der Tristan ist bühnentauglich. Sonst hätte er nicht diesen Erfolg.


    (2) Hauptthema beim Tristan ist wie in fast allen Opern die Liebe. Bei den wenigen anderen (z.B. Elektra) sind es zumindest "starke Gefühle" (Hass, Rache, etc.). Beim Tristan gibt es aber eine Besonderheit, die ich von keiner anderen Oper so kenne: Die Liebe wird durchgehend als "real unmöglich" dargestellt. In allen anderen Opern, die ich kenne, gibt es eine Hoffnung, dass es irgendwie klappen könnte. Es scheitert dann an Intrigen, sozialen Umständen, Krankheit, oder was auch immer. Aber zumindest theoretisch könnte es ein "gutes Ende" nehmen. Der Zuschauer fiebert mit, auch wenn er weiß, wie es ausgehen wird. Beim Tristan ist es anders: Diese Liebe kann in der realen Welt nicht existieren. Sie ist einfach zu immens. Sie würde sozusagen unter ihrer eigenen Last zusammenbrechen. Tristan und Isolde als Ehepaar: Unvorstellbar. Daher gibt es auch keine Pläne, zu fliehen, oder mit Marke zu reden, oder seinen Tod abzuwarten. Das würde nichts bringen.


    (3) Der "Liebestod" ist dann einfach die logische Konsequenz. Dabei handelt es sich zunächst um den biologischen Tod, das ist den beiden völlig klar. Gleichzeitig sind sie aber davon überzeugt, dass mit diesem „Tod“ nicht Schluss ist. Was damit wirklich gemeint ist, bleibt der Fantasie des Zuschauers überlassen. Vergleichbar mit dem christlichen „Himmelreich“.


    (4) Noch kurz zu der diskutierten Stelle „So stürben wir, um ungetrennt, ...“ Diese Version findet man überraschend häufig, obwohl es ihm Original „starben“ heißt. Das liegt daran, dass Wagner eigentlich „stürben“ meint. Das ergibt sich aus dem Kontext: Die beiden Protagonisten reden schon die ganze Zeit im Konjunktiv, genauer: Konjunktiv II, der sich in diesem Fall auf die Zukunft bezieht. Plötzlich dann der Umschwung zum Indikativ. Das ändert aber nichts an dem Zeitpunkt, von dem sie reden! Er liegt nach wie vor in der Zukunft. Sie reden die ganze Zeit von derselben Sache: Dem Liebestod. Zunächst als Möglichkeit („Stürb’ ich nun ihr, der so gern ich sterbe“), dann als Fakt („So starben wir, um ungetrennt“). Die beiden Protagonisten haben einfach ihr Koordinatensystem gewechselt. Am Anfang des Dialogs befinden sie sich in der Gegenwart, da liegt der Liebestod in der Zukunft, daher Konjunktiv. Dann wechseln sie in die Zeit danach, dadurch liegt der Liebestod in der Vergangenheit und ist nicht mehr Möglichkeit, sondern Fakt, daher Indikativ Präteritum. Oder dramaturgisch ausgedrückt: Die Möglichkeit wird immer mehr zur Gewissheit. Naturwissenschaftlich betrachtet, hätten sie beim Konjunktiv bleiben müssen. Dramaturgisch waren sie aber schon beim Indikativ und zeitlich gesehen nach dem Liebestod.


    Fazit: Suchen sie den Tod? Ja. Aber sie verstehen unter "Tod" etwas ganz anderes als wir!

    Ist natürlich richtig.


    Ich hab mir übrigens echt überlegt, vor dem nächsten Wien-Besuch die 4 Bilder im Detail zu analysieren und die passenden Stücke aus Haydns Jahreszeiten (im Booklet sind übrigens alle 4 Werke abgebildet) rauszusuchen und auf das Smartphone zu laden. Damit dann rein ins Museum und Musik (per Kopfhörer) mit Kunst verbinden. Man muss aber vorher checken, ob die Bilder gerade ausgestellt sind. Aktuell sind sie es größtenteils nicht...


    Orfeos Link bezieht sich auf den September, der ist gerade nicht im Booklet abegebildet, stattdessen der Oktober:

    https://www.khm.at/objektdb/detail/1995/


    Dazu passen am besten:

    Also gut. Der Prado (Madrid) sagt:


    Paisaje
    Siglo XVII. Óleo sobre lienzo, 95 x 123 cm
    No expuesto

    Discípulo de Murillo, Bartolomé Esteban

    Sevilla, 1617 - Sevilla, 1682


    Aktueller Link:

    https://www.museodelprado.es/coleccion/obra-de-arte/paisaje/6d8b71a3-d54b-4fe3-b901-d8f4759f83a6

    (nachträglich korrigiert, nach Hinweis von Orfeo)


    Für zukünftige Suchen:

    Número de catálogo: P001006

    (nachträglich korrigiert, nach Hinweis von Orfeo)

    Wo gibt's eigentlich die „Venusbrüstchen“, die Salieri Constanze im Film Amadeus anbietet?

    Übersetzt sind es "Brustwarzen". Und sie kommen aus Legnago (Provinz Verona), der Geburtsstadt von Salieri. Ich habe etwas recherchiert, man bekommt sie auf alle Fälle in Legnago. Ob auch in Verona, ist nicht sicher. Von Verona aus erreicht man Legnago in 50 Minuten mit dem Auto oder in ca. 1 Stunde mit dem Zug. Dort gibt es auch das "Teatro Salieri"...

    Ergänzungen:


    Die Namen der beiden weiblichen Hauptdarsteller sind mit Bedacht gewählt:

    Costanza = Beständigkeit

    Silvia = aus dem Wald kommend, zum Wald gehörend

    Hintergrund ist natürlich der damalige Zeitgeist der Aufklärung, als man den menschlichen "Naturzustand" den Errungenschaften modernen Zivilisation gegenüberstellte. Der Aufruf "Zurück zur Natur!" entstand in der damaligen Zeit.


    Das Libretto von Metastasio (1753) wurde laut Wikipedia fast 40 mal vertont. Das erste Mal 1753 von Giuseppe Bonno, das letzte Mal 1932 von Nino Rota. Der Schwerpunkt liegt aber ganz klar im 18. Jahrhundert. Die Behauptung...

    "The libretto significantly shortens a libretto first set by Giuseppe Bonno for the Spanish court in 1752."

    ... lässt sich nicht nachvollziehen. Ich fand eine 1819 veröfflentlichte Version des Librettos, bei denen zwei Arien einen anderen Text haben und der Schluss etwas anders ist. Die Gesamtlänge ist aber so wie bei Haydn.


    Die Rolle der Silvia hat Haydn seiner damaligen Geliebten Luigia Polzelli auf den Leib geschrieben. Sie war bei der Aufführung ca. 19 Jahre alt und eine nur mäßige Sängerin. Der Part ist entsprechend einfach gehalten, und doch ist ihre Rolle die interessanteste in dem Stück.

    Das Werk entstand 1779 und trägt im Hoboken-Verzeichnis die Nummer 9, es entstand also vor La vera costanza und nach La fedeltà premiata. Die Besonderheit liegt darin, dass es keine Secco-Rezitative (d.h. nur vom Cembalo begleitet) gibt, die Oper ist also durchkomponiert. Das Libretto stammt von Pietro Metastasio, einem der wichtigsten Librettisten der Opera seria. Diese Gattung ist eigentlich nicht so mein Fall, aber L’isola disabitata (wörtlich: „Die unbewohnte Insel“, deutscher Titel meist Die wüste Insel) kommt mir in zwei Punkten entgegen: Sie ist recht kurz (ca. 90 Minuten in der Dorati-Aufnahme) und sie hat einige sehr humorvolle Stellen.


    Es spielen nur vier Personen:


    Costanza (Sopran): Ungefähr 27 Jahre alt. Blieb vor 13 Jahren zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Silvia auf einer unbewohnten Insel zurück. Ihr Mann Gernando, mit dem sie frisch verheiratet war, wurde - von ihr unbemerkt - von Piraten geraubt, sie glaubt aber, er habe sie aus Untreue im Stich gelassen.
    Silvia (Sopran): Ungefähr 14 Jahre alt, Costanzas junge Schwester, konnte zum Zeitpunkt des Unglücks noch nicht sprechen.
    Gernando (Tenor): Gatte von Costanza, wurde vor 13 Jahren von Piraten geraubt, seine Frau blieb auf einer unbewohnten Insel zurück. Er geriet in Gefangenschaft und konnte sich erst vor kurzem befreien. Er kehrte sofort zusammen mit seinem Freund Enrico zu der Insel zurück, in der Hoffnung, etwas über den Verbleib von Costanza zu erfahren.
    Enrico (Bass): Freund von Gernando, verdankt diesem seine Freiheit.


    Die Oper beginnt mit dem Tag, an dem Gernando und Enrico auf die Insel zurückkommen.



    Erster Teil


    Die Ouvertüre (g-Moll) ist dreiteilig:
    - Langsame Einleitung, „schmerzvoll“
    - Hauptteil in Sonatenhauptsatzform, dramatisch
    - Langsamer Satz, schreitender Rhythmus, menuettartig
    - Wiederholung des Hauptteils


    Costanza hat mit ihrem Leben abgeschlossen. Sie ist dabei, mit dem zerbrochenen Degen von Gernando eine Inschrift an einem Felsen anzubringen:
    Dal traditor Gernando Costanza abbandonata, i giorni suoi in questo terminò lido straniero. Amico passeggiero, se una tigre non sei, o vendica o compiangi ... i casi miei.
    „Costanza, vom Verräter Gernando verlassen, beendete ihre Tage an diesem fremden Strand. Lieber Reisender, wenn du kein [grausamer] Tiger bist, räche mich oder beweine ... mein Schicksal.“
    Die Wiedergabe dieses Spruches wird vom Orchester mit einem Tremolo untermalt. Die letzten drei Wörter sind noch nicht eingemeißelt, es besteht also noch Hoffnung...


    Silvia betritt mit einem hüpfenden Motiv die Szene. Das Motiv gehört zu ihrem Reh, ihr Spielkamerad. Sie glaubte das Reh verloren, aber gerade ist es überraschend zurückgekehrt. Costanza kommentiert schmerzvoll die naive Freude ihrer Schwester: Che felice innocenza! („Welch glückliche Unschuld!“)


    Silvia findet das Leben auf der Insel sehr angenehm: Man hat alles, was man zum Leben braucht, man ist an keine Gesetze gebunden (hier zeigt sich die anarchistische Ader der Jugend, möglicherweise kann man es sogar feministisch deuten), und vor allem gibt es hier nicht diese grausamen Männer, von denen Costanza ihr ganz üble Dinge erzählt hat. Costanza bekräftigt die Grausamkeit der Männer einmal mehr, kann damit ihrer Schwester allerdings nicht erklären, warum sie dennoch gerne wieder in der Zivilisation wäre...


    Arie Costanza (As-Dur) Se non piange un’infelice
    Costanza beklagt ihr schlimmes Los, der innige Stil der Arie erinnert an manches von Mozart.


    Silvia sieht ein Schiff über das Meer kommen. Sie weiß natürlich nicht, was das ist, erweist sich aber als fähige Analytikerin:
    „Ein Felsen kann es nicht sein, der könnte nicht seinen Ort verändern. Und wie kann ein so großes Ungeheuer sich so leicht bewegen! Als ob es fliegen würde. Es hat Flügel auf dem Rücken und schwimmt und fliegt zugleich.“


    Kurz darauf sieht sie Menschen und geht erst mal in Deckung. Es handelt sich um Gernando und Enrico, die auf der Suche nach Costanza oder zumindest ihren Überresten sind, wie aus dem Dialog (für Silvia nicht hörbar) zu erfahren ist.


    Arie Enrico (B-Dur) Chi nel cammin d’onore stanca
    Es geht darum, dass keine Anstrengung und kein Risiko zu groß sind, wenn man seinem Freund helfen will. Die Arie beginnt mit der typischen Haydn-Eleganz und strahlt Optimismus aus.


    Silvia beweist weiterhin analytischen Scharfsinn, das muss ich im Original bringen:

    Che fu mai quel ch’io vidi? Un uom non è: gli si vedrebbe in volto la ferocia dell’alma. Empii, crudeli gli uomini sono, e di ragione avranno impresso nel sembiante il cor tiranno. Una donna né pure: avvolto in gonna non è come noi siam. Qualunque ei sia, è un amabile oggetto.
    „Was sah ich da? Ein Mann ist es nicht: Man würde ihm seine Wildheit im Gesicht ansehen. Ruchlos und grausam sind die Männer, und daher drückt sich ihr tyrannisches Herz in ihrem Gesicht aus. Eine Frau ist es auch nicht: Es hat nicht wie wir einen Rock an. Was immer es ist, es ist liebenswertes Geschöpf.“


    Arie Silvia (C-Dur) Fra un dolce deliro
    Silvia findet vorsichtig Gefallen an dem Neuankömmling. Die Arie ist im Haydn-Rokoko-Stil und wirkt zuversichtlich bzw. unbekümmert.



    Zweiter Teil


    Gernando liest die von Costanza angefertigte Inschrift auf dem Felsen und ist nun sicher, dass sie tot ist. Enrico weist den Freund darauf hin, dass die Inschrift noch nicht ganz fertig ist. Costanza sei vorher gestorben, meint Gernando, und er wolle jetzt auch hier auf der Insel sein Leben beenden.


    Arie Gernando (Es-Dur) Non turbar quand’io mi lagno
    Frei übersetzt: „Nerv nicht, wenn ich jammere.“ Am Anfang mit einer Wendung, die mir bekannt vorkommt, evtl. aus Orlando Paladino, aber nur 1-2 Takte.


    Enrico bringt ihn nicht umgestimmt und weist daher die Bootsmannschaft an, Gernando mit Gewalt auf das Schiff zu bringen. Anschließend trifft er auf Silvia, die von der Flöte mit einem lieblichen Motiv gekennzeichnet wird, und es entwickelt sich folgender Dialog:
    E: „Warum hast du Angst vor mir? Schließlich bin ich keine Schlange, keine wilde Bestie. Ein Mann dürfte dich nicht so verwirren.“
    S: „Du bist also ein Mann?“
    E: „Ein Mann.“
    S: „Zu Hilfe!“ (rennt schreiend davon)

    Nur mit Mühe gelingt es Enrico, Silvia klarzumachen, dass er kein Ungeheuer ist. Dabei erweist es sich als hilfreich, dass sich Silvia schon heimlich in ihn verliebt hat. Sie erzählt ihm, dass Costanza lebt. Jetzt sind nur noch wenige Hindernisse zu überwinden. Zunächst erklärt Enrico, dass sein Freund Gernando kein mitleidloses Monster ist, sondern seinerzeit von Piraten geraubt wurde und erst jetzt freikam. Enrico und Silvia verabreden, dass ersterer Gernando und letztere Costanza suchen und an einen vereinbarten Treffpunkt bringen werden.


    Arie Silvia (G-Dur) Come il vapor s’ascende
    Silvia bemerkt das beginnende Liebesgefühl („wie der Rauch emporsteigt“).


    Arie Costanza (B-Dur) Ah, che in van per me pietoso
    Costanza beklagt sich, dass Baumstämme und Felsen altern, ihr Leid aber mit der Zeit nicht abnimmt und auch der Tod keine Anstalten macht, sie von ihrem Leid zu befreien.


    Sie führt ihre Arbeit fort (Meißeln der Inschrift), da kommt Gernando, zunächst ohne Costanza zu bemerken:

    Arie Gernando (C-Dur) Giacché il pietoso amico
    Der Text ist kurz:
    Giacché il pietoso amico lungi ha rivolto il passo, quell’adorato sasso si torni a ribaciar.
    „Da mein lieber Freund weggegangen ist, kehre ich zu dem angebeteten Felsen zurück, um ihn erneut zu küssen.“

    Gemeint ist der Felsen mit der Inschrift, und da trifft er auch schon Costanza. Diese fällt vor Überraschung in Ohnmacht, nicht ohne ihn vorher noch als Verräter zu beschimpfen. Gernando eilt weg, um Wasser zu holen. Unterdessen kommt Enrico zurück, findet Costanza (er kennt sie nicht, aber sie muss es sein) und klärt sie über die letzten 13 Jahre auf. Costanza sieht ein, dass sie Gernando zu Unrecht als Verräter beschimpft hat.


    Damit wäre alles geritzt, aber jetzt kommt Silvia zurück und berichtet aufgeregt, dass Gernando soeben von Fremden entführt wurde. Enrico erklärt, das seien seine Freunde, die auf sein Geheiß hin Gernando mit Gewalt aufs Schiff bringen sollten. Kurz danach sind endlich alle vereint. Es entsteht folgender Dialog:


    Silvia (zu Enrico): „Gernando ist netter als du. Sieh mal, wie er mit Costanza redet, und du sagst nichts zu mir.“
    Enrico: „Ich bin bereit, wenn du mich lieb hast, dir alles zu sagen, was du willst.“
    Silvia: „Ob ich dich lieb habe? Mehr noch als mein Reh!“
    Enrico betrachtet das als Heiratsantrag: „Also gut, gib mir die Hand: Du wirst meine Frau.“

    Silvia lehnt erst mal ab: „Da wär ich ja bescheuert, ich würde auf irgendeiner Insel enden, um dort einsam den Rest meiner Tage zu verbringen.“ Costanza klärt sie auf, dass die Männer doch nicht so schlimm sind, wie sie dachte. Also gut, dann wird halt geheiratet.


    Schlussquartett C-Dur Sono contenta appieno
    Nach einem längeren Vorspiel schildert jeder seinen Gemütszustand. Costanza beginnt, von der Violine begleitet. Es folgt Gernando, mit Cello-Solo. Silvia wird natürlich von der Flöte unterstützt, und den Schluss macht Enrico mit dem Fagott.


    Fazit:
    Oh giorno fortunato, oh giorno di contento! Andiamo le vele al vento, andiamo a giubilar.
    „Oh glücklicher Tag, oh Tag der Zufriedenheit! Setzen wir die Segel, lasst uns jubeln.“



    Thomas Deck

    Und Du bist natürlich so eine relvante Person und willst außewrdem sagen, dass das einzig gültige Argument der Autoritätsbeweis ist. Na, schön.

    Ich habe geschrieben:

    "Relevant ist das, was relevante Personen als relevant betrachten. Oder genauer: Die Mehrzahl der relevanten Personen.

    Wir beide sind entweder nicht relevant, oder wir sind nicht in der Mehrzahl. Relevant sind hier Intendanten, Regisseure, einzelne Kritiker. Und niemand thematisiert die Sache mit dem Renegaten. Daher nicht relevant."


    Davon hast du zitiert:

    "Relevant ist das, was relevante Personen als relevant betrachten. Oder genauer: Die Mehrzahl der relevanten Personen."


    Werner, du hast ein Problem. Deswegen bin ich dir auch nicht böse.

    Mich würde auch interessieren, wie sich begründen lässt, dass für ein Stück, das von der Konfrontation von Okzident und Orient, Christentum und Islam handelt, der Punkt, welcher Seite des Konflikts die Hauptfiguren angehören, nicht wesentlich sein soll. Ich bezweifle stark, dass sich das logisch begründen lässt. Ich würde sagen, dass dieser Punkt, wenn er nicht wichtig wäre, nicht da wäre.


    Übrigens wird in der Rezeption des Stücks seit mehreren Jahrzehnten immer wieder großes Gewicht darauf gelegt, dass es zeige, wie der Muslim zur Verzeihung befähigt sei. Man nimmt den Punkt anscheinend doch sehr wichtig, und dann kann es nicht unwesentlich sein, dass der angebliche Muslim gar keiner ist, während der einzige Muslim, der tatsächlich im Stück auftritt und von einiger Bedeutung ist, diese Fähigkeit keineswegs hat.


    Oder ich irre mich, und der Punkt ist wirklich unwesentlich. Das kann ja sein. Aber bevor ich das annehme, hätte ich doch gern eine Begründung gelesen. Ich muss gestehen, dass mir dafür »weil ich es so sage« ebenso wenig ausreichend scheint wie »das ist doch vollkommen klar« oder was dergleichen mehr ist.

    Relevant ist das, was relevante Personen als relevant betrachten. Oder genauer: Die Mehrzahl der relevanten Personen.


    Wir beide sind entweder nicht relevant, oder wir sind nicht in der Mehrzahl. Relevant sind hier Intendanten, Regisseure, einzelne Kritiker. Und niemand thematisiert die Sache mit dem Renegaten. Daher nicht relevant.


    Ich urteile nicht, ich stelle nur fest.


    Eine mögliche Begründung, warum das damals so in das Stück geschrieben wurde, habe ich bereits gebracht.


    Weißt du, was dein Fehler ist? Du bist sehr genau. Deine Analyse ist vollkommen korrekt. Aber bei der realen Umsetzung wird man niemals in der Lage sein, alle im Stück enthaltenen Aspekte wiederzugeben. Man greift sich das heraus, was einem wichtig erscheint. Das war schon immer so, und es wird auch immer so bleiben. Theoretisch könnte man auch die Sache mit dem Renegaten thematisieren. Aktuell tut man es halt nicht.


    Übrigens, auch wenn das keiner hier hören will: Mozart war nicht so frei, wie er es gerne gewesen wäre, unabhängig von der Zensur. Er musste ein möglichst großes Publikum ansprechen. Wien war damals immer noch von der letzten Türkenbelagerung traumatisiert. Es hätte nach der Premiere vielleicht Stimmen gegeben, dass die bösen Türken viel zu gut weggekommen wären. Nicht von der Zensur, sondern vom Publikum und/oder von der Presse. Man hätte das Stück vielleicht vorzeitig abgesetzt. Dieses Risiko wurde mit dem Kniff des Renegaten etwas entschärft.


    Wobei man sich da auch die Quellen ansehen müsste, die Handlung war ja nicht neu. Vielleicht gab es in der Quelle auch schon den Renegaten, und man hat es einfach so gelassen. Wie gesagt: Damals entsprach das dem Zeitgeist.

    Mal eine ganz naive Frage hierzu. Zu Mozarts Zeit gab es m. W. noch eine Zensur (mit der er bei der "Hochzeit des Figaro" ja wohl Probleme hatte). Hätte diese Zensur ein Stück einfach durchgewunken, in welchem sich ein "lupenreiner" Moslem (entgegen den Erwartungen) als der Gute, Gütige und Weise entpuppt? Könnte es sein, dass der christliche Hintergrund des Bassa Selim hier eine Art Hintertürchen offengehalten hat, dass es also schlicht nützlich war, dass man ihn bei Bedarf als verkappten Christen deuten konnte?


    LG :hello:

    Genau das hatte ich weiter oben bereits als mögliche Erklärung gebracht. Haydn hatte es da im fernen Esterháza leichter.

    Du hast das Zitat verkürzt und aus dem Zusammenhang gerissen. Es ging ausdrücklich nicht um eine Bewertung der Inszenierung (der von Dir ausgelassene Satz lautet: "Das kann man so oder so bewerten"), sondern um die Feststellung, dass man nicht gleichzeitig verlangen kann, es müsse auf der Bühne grundsätzlich genau das gezeigt werden, was die Autoren sich gewünscht haben, um dann eine Inszenierung gutzuheißen, die das Stück in einem wesentlichen Punkt verändert (was Alfred getan hat). Ich habe diesen Gedanken sofort verstanden. Denk am besten noch mal drüber nach.

    Ich habe seinen Gedanken auch sofort verstanden. Und erkannt, dass er sich einen Schnellschuss geleistet hat. Das Beispiel passt halt nicht, weil es kein wesentlicher Punkt ist. Das sehen praktisch alle Regisseure genauso. Selbst die "Guten". Werner macht hier den Kaletha. Und du auch. Ihr könnt einfach nicht zugeben, dass ihr euch verrannt habt. Und damit schadet ihr der Sache.


    Übrigens bin ich am 10. November in Berlin im Tristan (Deutsche Oper). Und ich werde die Leute fragen, ob sie auch fleißig ihren Schopenhauer gelesen haben. Falls nicht, werde ich ihnen mein aufrichtiges Beileid bekunden. 5 Stunden Oper und - mangels Schopenhauer - nix verstehen, das ist schon brutal. Fast schon schlimm wie eine Inszenierung der Entführung, die "in einem wesentlichen Punkt verändert wurde".

    Ach ja. Interessant. Kannst Du noch mitteilen, woher Du weißt, warum dieser Punkt nicht wesentlich ist?

    Ich vermute es. Habe nämlich noch nie gehört, dass das mal thematisiert worden wäre. Aber du bist ja der Profi. Du kennst bestimmt 10, eher wohl 20 oder 30 Inszenierungen. Wie oft wurde das thematisiert? Lass mich raten: Kaum oder gar nicht.


    Das ist übrigens logisch. Aktuell darf man über Juden, Frauen und Ausländer nicht hetzen. Jetzt sind erst mal Moslems, Katholiken und alte weiße Männer dran. In 100 Jahren kann das wieder anders aussehen. Dann werden Bücher über Mozarts Islamophobie erscheinen. Und man wird in jedem seiner Bühnenwerke islamophobe Tendenzen erkennen, nicht nur in der Entführung.


    Übrigens hast du die Inszenierung kritisiert. Ich zitiere:

    "Darum fälscht er [der Regisseur] die Geschichte und verharmlost sie."


    Wie gesagt, man kann und muss den "RT-Gegnern" vieles vorwerfen. Aber dass sie sich nicht genug mit Islamophobie in der Entführung befassen, gehört jetzt eher nicht dazu.

    Falls Du die Inszenierung kennst, weißt Du sicher, dass das für diese keine Rolle spielen konnte. Was soll also die Frage?

    Merkst du wirklich nicht, dass du hier "den Kaletha" machst? Du hängst dich an einem Punkt auf (bei Kaletha war's der Schopenhauer für den Tristan) und postulierst, dass dieser wesentlich für das Werk wäre. Ist er aber nicht. Und speziell in deinem Fall scheint Bieito nicht der einzige zu sein, der diesem Punkt keinerlei Beachtung schenkt. Das macht kaum ein Regisseur. Warum wohl.


    Überhaupt argumentierst du hier wie die "RT-Gegner". Du hängst dich an einem Detail auf (hier: ein paar Sekunden Interview) und beurteilst danach die Inszenierung.


    Anders ausgedrückt: Dein Urteil zu der Dresdner Inszenierung ist genau so wertlos wie das Urteil eines "RT-Gegners" anhand von Bildern.

    Bleibt die Frage, warum er denn eigentlich ein Renegat ist und warum das in dieser Inszenierung geändert wurde. Beides ist leicht zu erkennen und hat denselben Grund: Wäre er Muslim, würde er – dem Welt- und vor allem Islambild dieses Stückes entsprechend – Konstanze zwingen, sich ihm hinzugeben und Belmonte und Pedrillo grausam hinrichten. So tun es bekanntlich die Muslime, und damit wir das wissen, gibt es Osmin, der diese den Muslimen natürlich Grausamkeit andauernd zur Sprache bringt. Dann würde die Sache aber nicht gut ausgehen, also gibt es nur eine Lösung: Der Bassa, von dem man das Schlimmste erwartet, so lange man annimmt, dass er Muslim ist, ist gar keiner. die Christen sind selbstverständlich zu Großmut und Güte in der Lage (wie man ja überall auf der Welt sieht – die Bewohner der beiden Amerika können z. B. ein Lied davon singen). Um das noch einmal hervorzuheben, gibt es zum Glück Osmin, an dem man sieht, dass die da unten das nicht können.


    Nun kann man verstehen, dass dem Regisseur dieses aus Sarrazins Schreckenskammer nicht behagt, dass er also irgendeine Lösung dafür sucht. Darum fälscht er die Geschichte und verharmlost sie. Das kann man so oder so bewerten, nicht positiv kann man es bewerten, wenn man meint, das Wichtigste an einer Inszenierung ist es, dass sie genau das zeigt, was die Autoren gewollt haben. Denn was hier gezeigt wird, ist so ziemlich das Gegenteil davon. (Nur um nicht missverstanden zu werden, ich habe nichts dagegen, dass man so etwas umschreibt, meine allerdings, dass man sich dann ein wenig mehr Mühe geben sollte, auf die Höhe des Gegenstands zu kommen. Und ansonsten stört mich die Doppelmoral – wie man das heute nennt, das richtigere Wort ich Heuchelei – die dahinter steckt.)

    Ich habe echt Mühe, deine Forderung zu verstehen. Ich versuche es dennoch:

    Du siehst eine Brisanz im Original-Libretto und hättest diese gerne in einer Aufführung entsprechend thematisiert.


    Wie bereits geschrieben: Das war damals eine Anbiederung an den Zeitgeist. Aber selbst damals geschah dies nur an zwei Stellen im gesprochenen Text.


    Wie sieht es heute aus?

    Das ist keine rhetorische Frage, ich habe nämlich wirklich keinen Überblick. Teile des gesprochenen Textes werden oft gestrichen, aber wie sieht das bzgl. der beiden Stellen mit dem "Renegaten" aus?

    Ich denke, das ist in den allermeisten Aufführungen schlichtweg belanglos. Wenn man "werktreu" aufführt, lässt man die Stellen drin, aber den meisten Zuschauern wird das eh nicht auffallen. Die werden so oder so nicht wissen, welche Art von Moslem der Bassa ist. Und falls doch, nehmen sie es nicht besonders wichtig.


    Womit wir wieder mal beim Thema wären: Was ist eigentlich "werktreu"?


    (1) Aufführung so wie damals?

    (2) Aufführung so, dass heute der gleiche Effekt auf das Publikum erzielt wird wie damals?


    Da kommen nämlich ganz unterschiedliche Inszenierungen heraus. Im Fall der "Entführung" würde eine Aufführung gemäß (1) das heutige Publikum ziemlich kalt lassen. Gemäß (2) dagegen müsste die Grausamkeit der Moslems viel stärker herausgestellt werden. Das Publikum müsste nach Besuch der Oper islamfeindliche Gefühle haben. Das wäre dann "werktreu".

    Lies mal das Stück. In dem steht unmissverständlich, dass er ein Renegat ist. Und genau diesen Punkt betrifft dieser Äußerung des Darstellerd, die zeigt, dass dieser zentrale Punkt verändert worden ist. Übrigens sagte ich weder etwas über die Qualität der Inszenierung, noch meine ich, dass so eine Änderung unzulässig ist. Ich wunderte michb lediglich, dass es den Hütern der heiligen Werke vor der schrecklichen Willkür der Regisseure vollkommen egal ist, wenn das Stück im entscheidenden Punkt verändert wird.


    Eine andere Frage ist, ob es gut ist, so einen unangenehmen Punkt (wie gesagt: Ich verstehe das Unbehagen) einfach wegzumachen. Ich würde immer dafür plädieren, gerade das zum Gegenstand der Auseinandersetzung zu machen, denn die Behauptung, dass der Güte und Toleranz wichtig sind, Muslime aber dazu nicht in der Lage sind, weil es genuin christliche Werte sind, gehört zur Substanz des Stücks. Und dieser Gedanke ist es wert, dass man sich damit auseinandersetzt, zumal er heute ja keineswegs ausgestorben ist.

    Werner, in diesem Punkt verrennst du dich. Du hast vollkommen Recht: Die "Hüter der Werktreue" beklagen sich nur dann, wenn ihnen die Regie bzw. das Bühnenbild nicht gefällt, egal ob ein Widerspruch zm Libretto vorliegt oder nicht. Wenn die Inszenierung "schön" ist, geht ihnen die "Werktreue" am Allerwertesten vorbei.


    Aber: Ob der Bassa Renegat ist oder sonst was wird im Libretto nur an zwei Stellen kurz erwähnt. Der durchschnittliche Theaterbesucher wird davon kaum Notiz nehmen, und/oder der betreffende Satz wird ohnehin gestrichen. Es kann auch sein, dass der Satz in der Dresdner Inszenierung zwar vorkommt, der interviewte Darsteller das aber einfach vergessen hat. Anzunehmen ist, dass es sich bei der Dresdner Inszenierung um eine Friede-Freude-Eierkuchen-Inszenierung handelt. Ebenfalls anzunhemen ist, dass das beim (teilweise touristischen) Publikum gut ankommt.


    Aber könntest du noch mal deinen Punkt erläutern? Welche Bedeutung hat dieser Satz:

    "Der Bassa ist ein Renegat und hat noch so viel Delikatesse, keine seiner Weiber zu seiner Liebe zu zwingen."

    Ich interpretiere das so, dass seine "Delikatesse" von seiner christlichen Sozialisierung herrührt. Ein Bio-Moslem wäre viel brutaler.


    Oder hier:

    "Und ob der Bassa gleich ein Renegat ist, so ist er, wenn's aufs Kopfab ankommt, doch ein völliger Türke."

    Das Libretto ist an diesen beiden Stellen ziemlich moslem- bzw. türkenfeindlich.


    Was kritisierst du jetzt? Muss eine "werktreue" Inszenierung türkenfeindlich rüberkommen?


    Meine Sicht hierzu: Das war damals einfach der Zeitgeist. Mozart war stärker vom Publikum abhängig als Haydn. Er bzw. seine Auftraggeber wollten dem Publikum nicht zu viel zumuten. Ja, der Bassa ist human, obwohl Moslem. Aber er halt halt christliche Wurzeln. Das war damals sicher leichter verdaulich. Was heißt dann aber "Werktreue" (in diesem Punkt) auf die heutige Zeit übertragen?

    Immerhin braucht man aber doch die fünf Minuten, zumindest einen Teil davon, der doch etwas mehr als ein Foto ist, um zu sehen, dass das Stück in einem ganz entscheidenden Punkt ganz einschneidend verändert worden ist, was die Freude der Werktreue anscheinend aber nicht weiter stört: Nach dem, was der Darsteller des Bassa Selim über die Biografie seiner Figur erzählt, muss man annehmen, dass dieser geborener Muslim ist, also solche in Spanien war

    Jetzt redest du wie die Regietheater-Feinde. Aus einem Halbsatz eines Interviewten (und es ist nicht mal der Regisseur) konstruierst du die angebliche Inszenierungsidee, um sie dann wortgewaltig zu geißeln. Es gibt aber keinen Hinweis, dass von der Grundidee der Oper abgewichen wird: Bassa Selim ist ein toleranter musilimischer Herrscher, zur Überraschung der Christen.


    Davon abgesehen sagt auch das Original-Libretto: Moslems sind brutal, Christen sind deren Opfer.


    Übrigens war Haydn mit seinem "L'incontro improvviso" da wesentlich aufgeklärter: Auch bei Haydn erweist sich der Sultan als human, aber es kommen keine Christen als "Edle" bzw. "Opfer" vor. Auch die "Edlen" sind bei Haydn Moslems. Das ist Stand 1775. Mozart ist 7 Jahre später hinter diesen Stand zurückgefallen.

    Ich hab da jetzt mal reingehört, also in Ligetis Klavierkonzert.


    Ganz ehrlich: Nach der hitzigen Diskussion hätte ich es mir deutlich schlimmer vorgestellt. Das kann man doch problemlos hören. Ok, es ist ein unbedeutendes Werk ohne Wikipedia-Eintrag. Etwas aufgemotzt durch absurde Details in der Partitur, die dann einfach ignoriert werden, weil das beim Publikum eh nicht ankommen würde. Und das Werk ist ein Unikat, womit es dem Wettbewerb mit vergleichbaren Kompositionen entgeht. Es hat zwar Qualität, aber ohne den berühmten Namen wäre es heute gänzlich unbekannt.


    Aber es ist seriös und problemlos hörbar.


    Jetzt stellt sich mir aber eine interessante Frage. Es gibt ja auch prominente Kritiker dieser Art von moderner Musik. Sie sagen, wenn Mozart vor über 200 Jahren es schaffte, "schöne" Musik zu schreiben, dann muss das auch heute möglich sein. Einer dieser Kritiker ist das "Wunderkind" Alma Deutscher. Und im Gegensatz zu den üblichen Kritikern schritt sie auch zur Tat und komponierte ein Klavierkonzert:


    Frage 1: Ist das jetzt besser oder schlechter als das Werk von Ligeti?


    Wichtiger wäre mir aber folgendes Gedankenspiel. Ihr seid verpflichtet, 100 Euro auszugeben, und ihr habt 3 Möglichkeiten:


    (1) Das Geld wird einfach verbrannt, also ihr bekommt nichts dafür.

    (2) Ihr geht in ein Konzert mit dem Klavierkonzert von Ligeti und ähnlichen Werken. Genauer: Modern, abstrakt, bekannter Komponist, aber Werk ohne Wikipediaeintrag. Also nix "Violinkonzert von Berg" oder so.

    (3) Ihr geht in ein Konzert mit dem Klavierkonzert von Deutscher und ähnlichen Werken. Also alles aus dem 21. Jahrhundert und "schön" klingend. Und natürlich ebenfalls ohne Wikipedia-Eintrag. Komponisten ungefähr so bekannt wie Alma Deutscher, also wesentlich unbedeutender als Ligeti und Co.


    Frage 2 also: Für welche der 3 Optionen würdet ihr euch entscheiden?


    Ich selbst würde wohl Option (2) nehmen, auch wenn mir "schöne" Musik besser gefällt. Grund: Ich kenne bereits reichlich "schöne" Musik. Und habe immer noch nicht alle Klavierkonzerte von Mozart in meiner Sammlung. Mit Alma Deutscher und Co. warte ich, bis sie wirklich berühmt werden.


    Was wäre eure Wahl?

    Darum wäre es es auch vollkommen unmöglich, dass Verdi ein Libretto von Wagner oder dieser eins von Verdi vertont.

    Diese "Ahnung" habe ich auch.

    Aber was wäre, wenn eine unbekannte Macht Verdi dazu zwingen würde, ein Libretto von Wagner zu vertonen, und Wagner, eines von Verdi? Für welches würden sie sich jeweils entscheiden?


    Wagner: Zur Not Not würde er La Traviata oder Aida nehmen.

    Verdi: Den Holländer, aber mit Bauchschmerzen. Oder die Meistersinger, aber mit ganz anderen Schwerpunkten, und immer noch mit Bauchschmerzen.

    Und was hätte er dann davon? Ist die Mitteilung, dass eben nun mal geschieht, was geschieht, so wichtig, dass man sich mehrfach stundenlang ins Theater setzt, um immer wieder zu erfahren, was man schon weiß?

    Jaja, natürlich weiß man bei der Oper generell, wie es ausgeht, man muss also auch bei einer "Tosca" nicht abgelenkt sein von der Spannung.

    Dennoch meine ich, dass zumindest beim Otello oder beim Rigoletto das Werk auf einen unerbittlichen Ablauf hin fokussiert ist.


    Aida ist in der Tat etwas anders:

    Nebenbei: Ich sehe nicht, dass das Geschehen z. B. in Aida unausweichlich zu diesem Ausgang führen muss.

    Stimmt, man könnte hoffen, dass der Umschwung von Amneris noch etwas bewirkt. Auch bei der Traviata könnte man sich der Illusion hingeben, dass sich noch etwas ändern wird. Beim Falstaff wiederum nicht. Und beim Trovatore? Zumindest ahnt man, dass sich Luna nicht ändern wird.


    Zur Erinnerung:

    Ich möchte eigentlich nur herausfinden, ob es prinzipielle Unterschiede zwischen den Libretti von Wagner und Verdi gibt. Ich meine immer noch, die gibt es. Kann sie nur nicht klar formulieren.


    Noch ein Versuch:

    Bei Wagner gibt es immer Kräfte, die den "geplanten" Ausgang verhindern wollen. Bei Verdi sehe ich das in der Regel nicht. Oder wenn doch (wie beim Rigoletto durch den Titelhelden selbst), wird das quasi "mit der Brechstange" unterbunden.

    Die hast Recht, Eifersucht ist hier wirklich zu monokausal. Allerdings steht auch der Rassismus nicht im Vordergrund. Das kann nämlich jedem passieren, der als "nicht zugehörig" empfunden wird. Falsche Herkunft, falscher Akzent, falsche Weltanschauung. Oder der pure Neid. "Dem gelingt alles, und er muss sich nicht mal anstrengen." (was in 99,9% der Fälle Blödsinn ist)


    Was steht also im Vordergrund: Nicht die Eifersucht, sondern die unaufhaltsame Vernichtung einer Existenz. Alles andere (Rassismuns, Eifersucht, Neid, Schwäche) sind nur Mittel zum Zweck.


    Man hat bei Verdi meistens den Eindruck, die Leute hätten nie eine Chance gehabt, ihrem Schicksal zu entkommen.


    Wobei in Einzelfällen auch der Zufall eine Rolle spielt, z.B. im Trovatore oder in Aida. Der Zufall scheint da die Aufgabe zu haben, die Sache ins Rollen zu bringen. Ab da gibt es dann auch keinen Ausweg mehr.


    Der Sinn könnte sein, dass der Zuschauer nicht abgelenkt sein soll durch irgendwelche Überlegungen wie "Warum handelt er so und nicht anders?", "Wird er/sie überleben?", "Gibt es einen Ausweg?"

    Der Zuschauer soll sich auf das (erwartbare) Geschehen und dessen Schilderung durch Spiel+Musik konzentrieren.

    Oft hat es auch ganz banale Gründe, auch wenn wir "Idealisten" das nicht nachvollziehen können.

    Ich bin meistens allein im Konzert oder im Theater, daher beobachte ich die Leute und spreche sie zum Teil auch an, wie sie das Stück finden etc. Überraschend oft stellt man fest, dass sie das Stück bzw. die Musik weder kennen noch sich dafür interessieren. Sie scheinen aus den verschiedensten Gründen da zu sein:

    - Weil man keine bessere Idee für den Abend hatte.

    - Weil man sich Karten in einem Anflug von Interesse besorgt hatte, sich dann aber doch kein echtes Interesse einstellte.

    - Weil man endlich mal die Spielstätte von innen sehen wollte.

    - Und so weiter.


    Man muss es pragmatisch sehen: Ohne diese Leute wäre die Auslastung der Häuser noch wesentlich geringer, als sie es so schon ist.


    PS: Der Dienstleister ist nicht der Künstler, sondern der Veranstalter. Man bezahlt ja den Veranstalter, nicht den Künstler. Gegen den Veranstalter hat man Ansprüche, nicht gegen den Künstler. Allerdings ist es so, dass der Veranstalter ein Angebot macht: "Ich biete x und verlange y Euro dafür." Man muss das Angebot nicht annehmen.