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Original von miguel54
Wenn nur einer, dann
Das würde ich auch so sehen. In seinen Bands entstehen schon in den 20ern teilweise derart moderne Arrangments und Spielweisen, dass sich heute noch von ihnen viel abgeschaut wird. Bei keinem anderen spielten über so lange Zeit derart viele erstklassige Virtuosen ihrer Instrumente, wirkten derart viele, der besten Arrangeure ihrer Zeit derart innovativ mit. Natürlich steht "Duke Ellington" damit, wie etwa auch "Bert Brecht", genau genommen, für ein hochproduktives Kollektiv, in dem er aber das orgnisierende Kraftzentrum, die Spinne im Netz, blieb. Kein anderer dürfte derart den Jazz bis heute beeinflußt haben. Und natürlich war er auch ein sehr guter, origineller Pianist, der das Spiel der Stride-Piano-Meister mit neueren Jazzformen originell meisterhaft verband, wenn sein eigenes Spiel auch immer dem auch in den kleinen Gruppemaufnahmen, sogar Duetten und Trios, dem Gruppenspiel untergeordent blieb und es relativ wenig Solo-Aufnahmen gibt, auf denen er zumeist, Athritis bedingt, nicht mehr auf der vollen Höhe seines Könnens der 20er/30er spielen konnte. In der Trioaufnahme mit Charles Mingus und Max Roach geht ihr Spiel sogar teilweise bis an den Rand zum Free-Jazz.
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Zitat Miles Davis von Cassiodor:"Ich habe nur vier oder fünf mal die Musik revolutioniert.
Das halte ich für einen Mythos. Natürlich hatte Miles Davis den richtigen Riecher dafür, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Musiker, immer einige der besten, einfallsreichsten ihrer Zeit, zusammenzubringen und immer wieder ausgezeichnete Platten zu machen. Aber die Innovationen, auch die spezifischen Kombinationen musikalischer Elemente und Stile, waren immer von anderen aufgeschnappt, die da schon vorher hingekommen waren, oder jedenfalls waren andere da vor ihm auch schon hingelangt und hatten schon nicht unbedingt schlechtere Aufnahmen ähnlicher Art gemacht. Das macht natürlich keine seiner großartigen Aufnahmen und Konzerte in irgendeiner Weise schlechter. Aber deswegen würde ich ihn nicht unter den ersten 10, aber sicher bald darauf, nennen.
Der innovativste Neuerer war vielleicht ein Chicagoer Multi-instrumentalist namens Herbert Luettenbacher, nicht besonders bekannt geworden unter dem Namen Hal Russell. Aber wohl kein anderer war seiner Zeit immer wieder so weit vorraus. Dabei versammelte auch Hal Russell immer wieder einige der besten, einfallsreichten Musiker seiner Zeit um sich und prägte sie nachhaltig.
Hal Russell begann in den für Neues offeneren Big Bands der Swing-Ära, ist beim Bebop sofort dabei, geht aber gleichzeitig in ähnliche Richtung wie Lennie Tristano und dessen Kreis und ist zur klassischen Avantgarde offen, aber immer wilder, rauher, als der Cool Jazz New Yorks oder der West Coast, spielt schon relativ früh in den 50ern völlig freie Kollektivimprovistionen in Formationen um ihn und Joe Daley, ist in den 60ern, auf der Höhe des Free Jazz, schon längst beim Post-Free Jazz angekommen, der energiereiche (Kollektiv-)Improvisationen wieder mit komplexeren, vorgegebenen Strukturen verbindet, elektifiziert schon bald auch einige seiner Bandprojekte und nimmt Psychedelic-Rock-, Avantgarde-Rock und Funk-Elemente auf und formt Ende der 70er schließlich seine Band NRG, das hochenergiereichste, was es vielleicht bis dahin im Jazz gab. Mit NRG nahm er auch PostPunk und Hardcore-Elemente auf und ich hörte den Hochbetagten noch, schräg elektronisch modifiziert in ein Megaphon rappen. Aus NRG sind einige der heute interessantesten, innovativsten Gegenwartsjazzer hervorgegangen, die heute selbst Spinne im Netz eines globalisierten Avantgarde-Jazz sind, wie vor allem Ken Vandermark, weiters Mars Williams, Brian Sandstrom, Kent Kesssler, Steve Hunt.... So ist Hal Russell spät doch noch zur erheblicher Wirkung gekommen und sogar eine der interessantesten Post-Hardcore/Funk/Free-Jam-Rock-Formationen benannten sich nach ihm als "The Flying Lyttenbachers", eine der ersten Bands, in einer wachsenden, längst internationalen Crossover-Szene zwischen Hardcore, Funk und Freejazz, die in den Medien und auch in der total überalterten Jazzpresse nicht vorkommt: Auch hier gilt: "The Revolution will not be televised," wie es in einem Song von Gil Scott-Heron heißt.
Aber zurück zur Listenbildung: Ohne Rangfolge muß m.E. auf jeden Fall genannt werden:
Charlie Parker
John Coltrane
Ornette Coleman
Eric Dolphy
Thelonious Monk
Lennie Tristano
Charles Mingus
Bill Evans
Hal Russell
Vieleicht auch: Muhal Richard Abrams als Kopf des AACM (Association for the Advancement of Creative Musicians)
Unter den älteren:
Natürlich Louis Armstrong, aber eigentlich müßte erst recht die Pianistin und Arrangeurin Lil Hardin, zeitweilig Hardin-Armstrong, genannt werden, von der nämlich die Konzeption der Hot-Jazz-Gruppen stammt, später auch die Integration von Swing Big Band und Hot Jazz. Sie war meines Wissens auch, neben Bix Beiderbecke, die erste, die Jazz nicht mehr nur als irgendeine Unterhaltungsmusikform, sondern als eigene Kunstform ansah.
Außerdem:
Coleman Hawkins und Lester Young
Beim Piano muß natürlich Art Tatum genannt werden mit einem Einfallsreichtum und einer Virtuosität, die für viele Jahrzehnte völlig unerreicht blieb und die auch, wie audiamus hier schon anmerkte, Horowitz begeisterte.
Eventuell sollte vielleicht auch Erroll Garner genannt sein. Ich muß zugeben, dass ich ihn lange als zur sehr dahinplätschernden Barpianisten völlig verkannt habe, obwohl mir natürlich seine enorme Virtuosität klar war. Inzwischen ist mir aber klar geworden, wie raffiniert das häufig war, was er spielte.
Bei der Big Band müßten dann genannt werden:
Count Basie, dann Stan Kanton, bzw. deren beste Arrangeure, wie z.B. Melba Liston bei Count Basie, John Carisi bei Stan Kanton und in anderen West-Coast-Formationen
Dann als später wichtigste Innovatoren und erstklassige Band-Leader auch größerer Formationen:
Charles Mingus
Gil Evans
George Russell
Sun Ra
Sam Rivers
Malachi Thompson
Giorgio Gaslini
Mike Westbroke
Chris McGreggor
Pino Minafra
- nicht alle gleichermaßen bekannt, aber alle von außerordentlichem Können und internationalem Einfluß.
Heute würde ich noch in der gleichen Liga Satoko Fuji ansiedeln, auch eine erstklassige Pianistin, - aber die gehört schön in die Liste für das 21. Jahrhundert.
John Carisi und George Russell waren übrigens interessanterweise beide Kompositionsschüler von Stefan Wolpe. George Russell dann vor allem für die skandinavische Jazzentwicklung entscheidend prägend.
Beim Gesang muß natürlich Billie Holiday und Ella Fitzgerald genannt werden, dann aber unbedingt auch Shirley Jordan, die die erste war, die, wie keine andere, die Innovationen des Bebop im Gesang nutzte, und Jeanne Lee, die unvergleichleich für den Beginn eines adäquaten Gesangs im Free Jazz und anderen radikal modernen Gesangsformen steht, z. B. für letztere im Duo mit dem Pianisten Ran Balke.
Natürlich könnte man jetzt weitere Listen für jedes Instrument bilden, fürs Piano, für Leute, die an Virtuosität und Einfallsreichtum wieder, auf ganz andere, eigene, Weise an Art Tatum, Thelonious Monk und Bill Evans heranreichen, aber auch darüber hinaus außerordentlich bedeutend sind (wieder ohne Rangfolge):
Oscar Peterson
McCoy Tyner
Andrew Hill
Ran Balke
Joanne Brackeen
Herbie Hancock
Paul Bley
Cecil Taylor
Geri Allen
Martial Solal
Irene Schweitzer
Alexander von Schlippenbach
Masahiko Satoh
Yosuke Yamashita
Aki Takase
Giorgio Gaslini
Franco D´Andrea
Enrico Pieranunzi
Sylvie Courvasier
Marylin Crispell
Matthew Shipp
oder für den europäischen oder japanischen Jazz, Persöhnlichkeiten, die unbedingt in die erste Reihe gehören, wie z.B. Albert Mangelsdorff, Peter Brötzmann, Krisztof Komeda - und einige weitere habe ich hier ja schon bei den Pianisten und Big Band Leadern genannt - , vielleicht länderspezifisch, z.B. Frankreich:
Django Reinhardt
Martial Solal
Henri Texier
Michel Portal
Louis Sclavis
Sylvie Courvasier
M.E. zeigen diese weiteren Listen die Grenze der ganzen Listerei, den es ließen sich zweifellos bei den weiteren von mir gelisteten für jeden auch gute Argumente finden, jeden von ihnen unter den ersten 10 zu nennen.
Nur Glenn Miller ist wirklich kurios
:wacky:
Matthias