Bebop
Als die Musik vieler Big Bands immer mehr in den vorgegebenen Formen und Arrangements erstarrte begannen junge Musiker neue musikalische Formen zu erkunden. Diese meist schwarzen Musiker entwickelten schlussendlich einen neuen Stil – diese Musik war keine Tanz- oder Unterhaltungsmusik, sondern man kann sie als „Musik für Musiker“ bezeichnen.
Als Gründerväter gelten unter anderem Charlie Parker, Dizzy Gillespie oder Thelonious Monk, die eine erweiterte Harmonik hinzufügten. Es wurden dabei auch Elemente der lateinamerikanischen Musik verwendet (das nannte man dann den Afro Cuban Jazz)
Der wahrscheinlich wichtigste Musiker dieser Ära war Charlie „Bird“ Parker.
Parker stammte aus Kansas City wo er „sein“ Instrument, das Altsaxofon, erlernte. In jungen Jahren hatte er einen schweren Unfall, der ihm zu einem monatelangen Aufenthalt im Spital zwang. Um seine Schmerzen zu lindern, wurde er mit Morphium behandelt, was eine lebenslange Drogensucht zur Folge hatte. Als er schlussendlich 1955 starb war er nur 35 Jahre alt. Bei der Obduktion schrieb der zuständige Pathologe in seinem Bericht, dass es sich wohl um einen ca. 60-jährigen Mann handelt..
Parker erhielt Unterricht in Harmonielehre und revolutionierte mit seinen Improvisationen die Jazzwelt. Er versuchte „alle möglichen Töne“ im Rahmen eines Stückes zu spielen, was zu dieser Zeit wirklich „unerhört“ war. Ein Bebop-Stück begann mit einem Grundthema, gefolgt von diversen Improvisationen, bei denen dieses Thema bis zur Unerkenntlichkeit aufgesplittert wird. Parker, der auch in Harmonielehre unterrichtet wurde, bestach einerseits durch seine technische Brillanz als auch durch eine unglaubliche Geschwindigkeit.
Ein Komponist, der sich auch viel mit Jazz beschäftigt hatte, war Igor Stravinsky, eine Ikone unter Jazz-Liebhabern. 1946 komponierte er für die Big Band von Woody Herman das „Ebony Concerto“ für Solo-Klarinette. Es gibt da eine gute (und wahre) Geschichte, bei der sowohl Parker als auch Stravinsky die Hauptprotagonisten sind. Sie spielte sich im New Yorker Jazzclub „Birdland“ (benannt nach Parker) ab –
Das Haus war schon vor dem Eröffnungs-Set fast voll, bis auf einen auffallend leeren Tisch, an dem ein für das Birdland ungewöhnliches RESERVIERT-Schild hing. Nachdem der Pianist sein fünfundvierzigminütiges Programm beendet hatte, setzte sich eine Gruppe von vier Männern und einer Frau an den Tisch, und zwar ziemlich lautstark, während drei Kellner schnell herbeieilten, um ihre Bestellungen aufzunehmen, und beim Anblick eines der Männer, Igor Stravinsky, eine Welle von Geflüster und Ausrufen durch das Birdland ging.
Als Parkers Quintett die Bühne betrat, erkannte sein Trompeter Stravinsky. Er beugte sich vor und sagte es Parker, der Stravinsky überhaupt nicht ansah. Parker rief sofort die erste Nummer für seine Band auf, verzichtete auf die übliche Begrüßung des Publikums und legte los wie der Blitz.
Die Band spielte "KoKo", ein Stück, das Parker wegen seines epochalen, halsbrecherischen Tempos - über dreihundert Schläge pro Minute auf dem Metronom – normalerweise erst bei seinem zweiten Set spielte, nachdem er ausreichend aufgewärmt war. (Anm. normalerweise spielten zu dieser Zeit die Künstler während eines Abends zwei oder drei Programme – beginnend ab 22:00 bis 03:00 in der Früh) Parkers Phrasen flogen bei diesem besonders beängstigenden "Koko" so flüssig wie immer. Zu Beginn des zweiten Refrains fügte er den Anfang von Stravinskys Feuervogel-Suite ein, als wäre er schon immer da gewesen, perfekt passend, und segelte dann mit dem Rest der Nummer weiter. Stravinsky brüllte vor Vergnügen und schlug sein Glas auf den Tisch, wobei der nach oben gerichtete Bogen des Glases den Schnaps und die Eiswürfel auf die Leute hinter ihm schickte, die ihre Hände hochwarfen oder sich duckten.
Parker kannte nicht nur zufällig ein paar Brocken von Stravinsky, die er als Novum aus dem Ärmel schüttelte; er hatte zu diesem Zeitpunkt das Werk des Mannes, der mit Le Sacre Du Printemps das bis heute rhythmisch komplexeste Stück Orchestermusik komponiert hatte, bereits tief verinnerlicht.
Thelonious Monk – Der „Zerstörer“
Charlie Parker und Konsorten versuchten so viele Noten wie nur möglich in einem Musikstück unterzubringen. Monk reduzierte die Melodien auf das unbedingt Nötigste und scheute auch nicht davor zurück während eines Stückes spontan den Rhythmus zu wechseln, Dissonanzen zu spielen. Er wuchs in einem Armenviertel südlich von Harlem aus, der Vater verließ die Familie und so mussten die Mutter und die Kinder selbst für den Lebensunterhalt sorgen. Schon in frühen Jahren begann er Klavier zu spielen und nahm an einem lokalen Wettbewerb im Harlem Theater teil. Mit dreizehn Jahren wurde er von diesem ausgeschlossen, da er diesen zu oft gewonnen hatte. Er gab sogenannte „House Rent Parties“, wie in seinem Stadtteil nicht unüblich – um die Finanzen aufzubessern wurden Nachbarn eingeladen und nach der musikalischen Darbietung wurden Spenden eingesammelt um die Miete („Rent“) zu bezahlen. Er arbeitete auch als Organist in der Kirche, in der seine Mutter sang. Den Jungen beeindruckten die schwarzen Klaviervirtuosen, die in den Clubs in Harlem spielten – viele davon hatten auch eine klassische Ausbildung – es wurde ihnen aber irgendwann während des Studiums von den Professoren nahegelegt sich von der klassischen Musik abzuwenden, da es für Afroamerikaner unmöglich ist im klassischen Konzertbetrieb Fuß zu fassen (wir reden da von den 1930ern und 1940ern – aber ehrlich gesagt schein es, dass ich da bis zur heutigen Zeit wenig geändert hat – mir fällt spontan kein schwarzer Solo-Künstler in der Instrumental-Klassik ein).
Monk entwickelte einen ganz speziellen, unverwechselbaren Stil und komponierte dann einige der wichtigsten Jazz-Standards wie „Blue Monk“ oder „Straight No Chaser“. Sein Stil war nie unumstritten, nichtsdestotrotz gehört er zu den wichtigsten Erneuerern der modernen Musik (auch außerhalb des Jazz). Monk war ein absoluter „Hochglanzverweigerer“.
Ein Kritiker schrieb damals – „Was macht er da? Krude Glissandi, die ins Nichts führen, Akzente an ungewöhnlichen Stellen, Akkordhaufen, die sich nicht genau identifizieren lassen, ständige Dissonanzen, als würde er immer zwei nebeneinander liegende Tasten treffen. Und Pausen! Immer wenn man meint, jetzt käme ein Lauf, macht der Pianist eine Pause. Unerhört, diese Art zu spielen!“
Thelonious Monk beeinflusst auch außerhalb der „Jazz-Blase“ Künstler noch immer – niemand geringerer als Igor Levit spricht von ihm als ein großes Vorbild.
Das Zerstören von althergebrachten Strukturen, das Einbringen von Dissonanzen bringt ihn – um wieder den Bogen zur „Ernsten Musik“ zu spannen, meiner Meinung nach in die Nähe der Wiener Schule der Moderne (Arnold Schönberg, Alban Berg, Anton Webern), die sich ja auch von der Romantik abzusetzen suchte und sicherlich nicht (wie Monk ein paar Jahre später) einen „Schönklang“ suchte. Es war ein Musikstil, mit dem man zwar Opern, aber sicherlich keine Operetten schreiben konnte. Ein Bonmot aus dem von mir bereits erwähnten Buch „Glück in Scheiben“ – Alban Berg hätte sicherlich nicht das „Land des Lächelns“, sondern maximal das „Land des Röchelns“ schreiben können.
The Birth of the Cool
Ende der 1940er-Jahre schlug das Pendel wieder in die andere Richtung aus – weg von den zum Großteil rasend schnell gespielten Nummern und Instrumentalsoli hin zu einem Klang, der aus verschiedenen Instrumenten quasi „gewoben“ wurde. Es gab dann sehr komplexe und vielstimmige Arrangements – und auch die im Bebop zumeist 5-köpfige Gruppe (Saxofon, Trompete, Klavier, Schlagzeug, Bass) wurde manchmal bis zu einem Nonett erweitert. Das Tempo der meisten Stücke war auch reduziert und wurde als „cool“ empfunden („Cool“ in der Bedeutung eines James Dean oder eines jungen Marlon Brando).
Diese Musikform war besonders an der Westküste der Vereinigten Staaten populär – und wurde wieder hauptsächlich von weißen Musikern gespielt. Als Komponisten und Arrangeure sind da besonders Gil Evans und Gerry Mulligan (der auch ein begnadeter Bariton-Saxofonist war) und als Aushängeschild dieser Musikrichtung wurde der „Prince of Cool“; Chet Baker, berühmt (seine Version von „My Funny Valentine“ gehört in jede Musiksammlung!!!!). Leider war auch Chet Baker von frühester Jugend an drogenabhängig und verbrachte einige Zeit im Gefängnis. In den 1960er wurden ihm, einem Trompeter, bei einer Racheaktion eines seiner Dealer sämtliche Vorderzähne ausgeschlagen, was normalerweise das Ende seiner Karriere hätte sein müssen. Mit einem neuen Gebiss lernte er drei Jahre lang sein Trompetenspiel von Grund auf neu und konnte dann ein erfolgreiches Comeback starten. Mit nur 58 Jahren fiel er eines Nachts aus dem Fenster eines Hotels in Amsterdam. Die genauen Umstände seines Todes wurden nie aufgeklärt.
Der „West Coast Cool“ bestand mehr oder weniger bis zu Beginn der 1960er-Jahre und brachte großartige Musiker – und großartige Musik – hervor.
Hard Bop – die Musik der zornigen Jungen
Während in Kalifornien der Cool Jazz florierte, entwickelte sich in Detroit, Chicago und besonders in New York eine neue Stilrichtung – der Hard Bop. Was zeichnete diesen Musikstil aus? Nun, einerseits verwendete man die freie Improvisation des Bebop, andererseits ergänzte man diese mit einer etwas reduzierten Rhythmik und Melodik, so kehrte man zum Ende eines Stückes wieder zum Grundthema zurück.
Die herausragendsten Aufnahmen wurden auf dem Plattenlabel „Blue Note“ produziert, das 1939 von zwei deutschen Emigranten, Alfred Lion (Löw) und Francis Wolff (Jakob Franz Wolff) gegründet wurde. Was Blue Note so „anders“ machte war die Tatsache, dass ab 1956 ausschließlich schwarze Musiker als Bandleader aufgenommen wurden und dass – im Gegensatz zu anderen Plattenlabels – die Musiker vor der Aufnahme proben konnten und auch dafür bezahlt wurden. Andere Plattenfirmen beorderten Musiker einfach zu einem bestimmten Termin ins Studio und es wurde ohne Proben aufgenommen. Dadurch waren die Blue Note-Sessions viel intensiver und auch „zorniger“. Es gab eine neue Musik von Musikern – viele davon hatten im 2. Weltkrieg in der Armee gedient und Europa befreit. Wieder zurück in den USA wurden sie aber wieder mit Rassendiskriminierung konfrontiert. Aber im Gegensatz zu der „Vätergeneration“ wollten sie diese Umstände nicht mehr kommentarlos hinnehmen und drückten ihre Frustration, ihre Verzweiflung und ihren Zorn in der Musik aus.
Diese Tatsache ist auch ein Grund dafür, dass zu dieser Zeit die Musik, die an der Ostküste produziert wurde, viel intensiver als die der Westküste war. Die „weißen Jungs“ in Kalifornien hatten sicherlich die besseren Instrumente, oft auch die bessere Ausbildung und waren technisch besser – aber die Musik drückt doch auch immer die Lebensumstände aus. Ja, es gab auch Frustrationen an der Westküste (meine Freundin hat mich verlassen, wie komme ich zu meinen nächsten Drogen), aber die waren nicht zu vergleichen mit der Angst von einem Polizisten ohne Grund angehalten, geschlagen oder sogar erschossen zu werden. Noch heutzutage weiß oft eine afroamerikanische Mutter nicht, ob die Kinder am Abend wieder wohlbehalten nach Hause kommen…
Ein Vorfall aus 1959 zeigt auf, was zu dieser Zeit Gang und Gäbe war –
Miles Davis war zu dieser Zeit schon ein sehr bekannter Musiker stand in New York kurz nach Mitternacht vor einem Jazz-Club in dem er auftrat. Er rauchte und begleitete eine weiße, blonde Frau zu einem Taxi und schrieb ein paar Autogramme, als ein weißer Streifenpolizist ihn aufforderte weiter zu gehen. Davis zeigte auf das Veranstaltungsposter, wo sein Name stand und erklärte, dass er in diesem Club arbeitet. Der Polizist meinte, dass ihm das nicht interessiert und dass Davis seinen Anweisungen folgen soll. Natürlich weigerte sich Davis, der sich ja nichts zu Schulden hat kommen lassen.
Daraufhin sagte der Polizist „Sie sind verhaftet“ und schlug Davis mit dem Schlagstock blutig, steckte ihn in den Streifenwagen und brachte ihn zum nächsten Polizeirevier, wo er wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und eines angeblichen Angriffs auf einen Polizeibeamten festgenommen wurde. Danach wurde er ins Spital gebracht, die geplatzte Kopfhaut genäht und dann wieder in eine Zelle gesperrt.
Trotz vieler Zeugenaussagen wurde gegen den Polizisten kein Verfahren eingeleitet…
(Anm. Und 60 Jahre später hat sich noch immer nicht wirklich viel geändert)
Und diese Frustration, dieser Zorn spiegelt sich in der Musik wider. Und da findet man eine Verbindung zur klassischen Musik – hätte Beethoven derartig intensive Werke ohne seiner fortschreitenden Taubheit schreiben können? Wäre Schubert ohne seine Syphilis-Erkrankung in der Lage gewesen seine „Winterreise“ zu komponieren? Mozart sein „Requiem“? Tschaikowsky und Britten ihre Werke? Ehrlich gesagt, ich bezweifle das. Die Lebensumstände, unter denen man aufwächst, der Grundcharakter eines Menschen und die Erfahrungen, die man im Leben macht spiegeln sich immer in den Werken und in der Ausführung wider. Es ist ja kein Zufall, dass die Interpretation einer Marschallin (wenn man einmal von der Entwicklung der Stimme absieht) einer 25-jährigen und einer 45-jährigen meilenweit auseinander liegt. Und vom Liedgesang einmal ganz zu schweigen.
Der Modale Jazz
Der Ursprung dieser Art von Musik liegt wieder in New York, als man sich (auch musiktheoretisch) damit beschäftigte, die Improvisationsmöglichkeiten für Solisten zu erweitern. George Russel schrieb das Buch „The Lydian Chromatic Concept of Tonal Organization” – nicht unähnlich zum Zwölftonkonzept eines Arnold Schönbergs und der Auflösung der Tonalität, die man in der Zweiten Wiener Schule betrieb. Man arbeitete da unter anderem mit dorischen (entspricht den weißen Tasten eines Klaviers) und äolischen (Ursprung davon der hypodorische Modus, aus dem die Moll-Tonarten herstammen)Tonleitern, es gab eher minimalistische Tonfolgen und die Tempi waren gemäßigt. Wie oben kurz angedeutet gab es oft ungewöhnliche Harmonien (die man allerdings schon in der mittelalterlichen Kirchenmusik vorfand), die Musikstücke haben einen oft meditativen Charakter, schrecken aber auch nicht vor Dissonanzen zurück.
Was die Improvisationen betrifft möchte ich aus Wikipedia zitieren –
Im Modalen Jazz verläuft die Improvisation des Solisten auf wenigen über weite Strecken ausgehaltenen Modi (Skalen) statt Vorgabe konventioneller, harmonischer Akkordfolgen. Neben den konventionellen Tonleitern westlicher Musik werden, auf mittelalterliche Kirchentonarten zurückgehende, modale Tonleitern und außereuropäische Tonskalen verwendet, und auch chromatische Passagen finden vermehrt Verwendung. Moderne Musiker, die im modalen Stil spielen, setzen auch Techniken wie Vorhalts- und Durchgangstöne, das Einkreisen von Tönen und weitere Techniken ein, um ihre Improvisation zu bereichern. Das Primat hat der, ohne an ein Korsett konventioneller, begleitender Harmonien des Ensembles gebundene, darüber frei improvisierende Solist. Die Begleitung besteht oft nur aus wenigen, ständig wiederholten Akkorden.
Kind of Blue
DIE wohl bekannteste (und auch meistverkaufte) Platte der Jazzgeschichte ist das Album „Kind of Blue“ mit Miles Davis als Bandleader, das wegweisend für die Entwicklung des Modal Jazz war. Sie entstand 1959 (im übrigen ein Jahr, in dem einige der bedeutendsten Aufnahmen der Jazzgeschichte eingespielt wurden). Ich kann KoB nur jedem empfehlen – anbei ein paar Hintergründe, wie die Platte entstanden ist, basierend auf den Aussagen von Bill Evans, der bei den Sessions am Klavier saß und großen Einfluss auf die Kompositionen hatte –
„Miles bat mich damals vor der Produktion in sein Apartment. Er wollte eigentlich meine Komposition „Peace Piece“ aufnehmen, doch ich regte an, gemeinsam nach einer zusammenhängenden Folge von Tonalitäten zu suchen und diese zu einem logischen Kreis zusammenzufügen. Das Ganze ergab dann „Flamenco Sketches“. Zusätzlich entwarf ich die Melodie und die Akkord-Changes für „Blue in Green“ und schrieb die Grundstrukturen für die anderen auf. Miles dachte, auf diese Weise könnten wir bei der Aufnahme Zeit sparen und die Band würde alles schneller verstehen. Im Studio war Miles dann in der Lage, die gesamte Gruppe mit den wenigen Fragmenten, den spärlichen Tipps und seinen minimalen Hinweisen zusammenzubringen. Wir schafften es, alle Stücke im ersten Anlauf aufzunehmen – so wie sie auf der Platte zu hören sind.
Grundprinzip der Platte war aber, dass alle Stücke in gemäßigtem Tempo interpretiert wurden und die Band die Kompositionen erst im Studio zu sehen bekam, so dass kein Musiker auf Routinen zurückgreifen konnte.
Mein persönliches Lieblingsstück ist „So What“. Die Harmonien basieren ausschließlich auf dem oben erwähnten dorischen Modus (Terz-Quart-Quint-Sept). Eine weitere Besonderheit dieses Stückes ist, dass der Bass die Melodie spielt – sehr ungewöhnlich zu dieser Zeit. Um noch einmal auf diesen Modus zurückzukommen und die Brücke zur (vor)klassischen Musik zu schlagen – man findet diesen in der Chormusik eines Heinrich Schütz (Matthäus-Passion).
Das letzte aufgenommene Stück für diese Platte war „All Blues“, das ein prägendes Ostinato aufwies und vom Bassisten elfeinhalb Minuten durchgespielt werden musste. Ein Ostinato-Schema weist auch der Boléro von Ravel aus und ist, besonders in der Barockmusik, als „Basso Ostinato“ zu finden). Einfach erklärt ist ein Ostinato eine sich dauern wiederholende Melodie oder ein bestimmter Rhythmus.
Bill Evans
Der vorher erwähnte Bill Evans gehört zu meinen absoluten Lieblingsmusikern. Er war ein Pianist und einer der wenigen weißen Musiker, die immer von schwarzen Bandleadern (wie eben Miles Davis) zum Mitspielen eingeladen wurden. Ich hatte ja schon erwähnt, dass es einen Unterschied in der Verzweiflung von Weißen und Farbigen gibt – die Tatsache, dass Evans als Kind von seinem Onkel missbraucht wurde, hatte vielleicht die Dimension, dass sein „Pendel“ in Richtung schwarzer Verzweiflung ausschlug und er dadurch aus musikalisch mit Davis & Co. besser harmonisierte als andere. Bill Evans ist der große Lyriker unter den Jazzmusikern, sein Spiel war sehr introvertiert und auch von den Kompositionen von Claude Debussy und Maurice Ravel beeinflusst. Bereits mit zwölf Jahren trat er öffentlich auf und beherrschte neben dem Klavierspiel auch Flöte und Violine.
Er absolvierte in Louisiana ein klassisches Musikstudium und graduierte mit dem akademischen Titel „Bachelor“ in Klavier- und Musikpädagogik. Seine Soloalben sind großartig – und zumindest eines sollte man besitzen.
Free Jazz und weitere Entwicklungen
Gegen Ender der 1950er Jahre begannen einige Musiker sich komplett von der Jazzharmonik zu lösen uns komplett freie Formen wurden gefunden. Ich besitze zwar einige Platten dieser Stilrichtung in meiner Sammlung, aber ich muss schon in einer wirklich sehr bestimmten Stimmung sein, um diese auch zu hören. Als Protagonisten möchte ich Ornette Coleman erwähnen – auf einen seiner Alben hat er zwei Gruppen á 5 Musiker verwendet, in gleicher Besetzung, die unabhängig voneinander gerade spielten, was ihnen gerade einfiel. Die eine Gruppe wurde am linken Stereokanal aufgenommen, die andere am rechten. Das Ergebnis ist – sagen wir es einmal so – interessant….
Gegen Ende der 1960er Jahre kam dann der „Fusion Jazz“ (Jazz kombiniert mit Rock, Folk), Electronic Jazz – aber diese Spielarten interessieren mich nicht besonders und daher möchte ich auch nicht weiter darauf eingehen.
Was geht im Kopf eines Jazz-Musikers und eines Klassischen Musikers vor?
Diese Frage stellte sich vor ein paar Jahren das Max Planck-Institut in Deutschland und kam zu sehr interessanten Ergebnissen, da sich die Hirnprozesse bei einem klassisch ausgebildeten Musiker von einem ausgebildeten Jazzmusiker unterscheiden, selbst wenn beide das gleiche Musikstück spielten. Die Untersuchungen wurden bei Pianisten gemacht.
Ich zitiere aus der Untersuchung –
„Als wir Jazzer während einer logischen Abfolge von Akkorden plötzlich einen harmonisch unerwarteten Akkord spielen ließen, begann ihr Gehirn schon nach 0,4 Sekunden und damit viel früher die Handlung umzuplanen als das klassischer Pianisten. Entsprechend schneller konnten sie auch auf die unerwartete Situation reagieren und ihr Spiel fortsetzen“
Klassische Pianisten waren wieder besser darin ungewöhnliche Fingersätze zu nutzen – da zeigte das Gehirn eine stärkere Aufmerksamkeit für den Fingersatz und es passierten auch weniger Fehler bei der Nachahmung.
Wieder ein Zitat - „Der Grund dafür könnte in den unterschiedlichen Fähigkeiten liegen, die die beiden Musikstile von den Musikern fordern“, erklärt Biancos Kollegin Daniela Sammler. Demnach konzentrieren sich klassische Pianisten bei ihrem Spiel besonders darauf, ein Stück technisch einwandfrei und persönlich ausdrucksstark wiederzugeben. Hierfür ist etwa die Wahl des Fingersatzes entscheidend.
Im Jazz geht es dagegen auch viel um Improvisation: Ein guter Jazzmusiker zeichnet sich dadurch aus, variieren zu können und sich beispielsweise flexibel an überraschende Harmonien anzupassen. „Dadurch scheinen sich unterschiedliche Abläufe im Gehirn etabliert zu haben, die während des Klavierspielens ablaufen und den Wechsel in einen anderen Musikstil erschweren“, sagt Sammler.
Improvisation
Während es in der klassischen Musik ab dem 19.Jahrhundert für die Ausführenden kaum die Möglichkeit zur Improvisation gibt, war diese im Barock normal – viele Komponisten ließen ihren Solisten mehr oder weniger offen, was sie spielten (oder sangen, wenn es um die Koloraturen in Opern ging). Diese Flexibilität verschwand fast zur Gänze (man findet sie manchmal noch im Belcanto – aber könnte man sich eine Verdi-Arie mit spontanen Kadenzen vorstellen ?!??). Die Möglichkeit vor Publikum ein vorgegebenes Thema zu improvisieren brachte erst wieder das Genre des Jazz zum Vorschein (Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel!). Eine weitere „Inselplatte“ für Jazzliebhaber ist ein Livemitschnitt von Keith Jarrett, das berühmte ->
The Köln Concert
Dieses wurde – unter relativ widrigen Umständen – im Jahre 1975 live in der Kölner Oper aufgenommen und ist heutzutage die meistverkaufte Solo-Jazz-Platte aller Zeiten. Keith Jarrett erhielt schon mit drei Jahren Musikunterricht, trat als „Wunderkind“ schon mit 7 Jahren auf und erhielt einige Zeit eine klassische Ausbildung, bevor er die Musikschule verließ und sein Klavierspiel selbständig weiterentwickelte. Seine Hauptintention als Künstler war es (und ist es noch immer) Musik aus dem Augenblick heraus zu kreieren, Musik „aus dem Nichts heraus zu erschaffen“. Deshalb sind seine Konzerte fast ausschließlich frei improvisiert. Er selbst sagt dazu: „Es ist immer wieder, als würde ich nackt auf die Bühne treten. Das Wichtigste bei einem Solokonzert ist die erste Note, die ich spiele, oder die ersten vier Noten. Wenn sie genug Spannung haben, folgt der Rest des Konzerts daraus fast selbstverständlich. Solokonzerte sind so ziemlich die enthüllendste psychologische Selbstanalyse, die ich mir vorstellen kann.“
Bei diesem Auftritt verwendete er die Melodie des Pausengongs der Kölner Oper – und 66:05 Minuten später war ein Meisterwerk geboren.
Crossover von Jazz und Klassik
Auf „Jonny spielt auf“ und „Porgy and Bess“ brauche ich wohl nicht näher eingehen, da die Überschneidungen da offensichtlich sind, deshalb möchte ich mich auf vielleicht weniger bekannte Werke und Aufnahmen konzentrieren.
Miles Davis kooperierte Ende der 1950er Jahre auch mit dem Komponisten und Arrangeur Gil Evans (nicht verwandt mit Bill Evans). Bei dieser Zusammenarbeit (Solo-Trompete Miles Davis, dazu ein Orchester) entstanden die Platten „Porgy & Bess“ und besonders erwähnenswert „Sketches of Spain“, das an spanische Volksmusik angelehnt ist. Hier findet man an wunderbare Aufnahme des 2.Satzes des „Concierto de Aranjuez“ von Joaquin Rodrigo und Auszüge aus dem Ballett „El amor brufo“ von Manuel de Falla. Bei dieser Platte verwischen sich die Genres, was von Jazz-Puristen auch kritisiert wurde. Aber was soll’s – es ist wunderbare Musik!
Auch Alban Berg benutzt in „Lulu“ einige Swing-Elemente, im dritten Satz von „La Revue de Cusine“ von Bohislav Martinu verwendet dieser den Rhythmus des Charleston. Gershwin und Kurt Weill (Dreigroschenoper, Mahagonny, Happy End) ließen sich auch von den Klängen des Jazz inspirieren.
Wie schon erwähnt hat Stravinsky das „Ebony Concerto“ für Benny Goodman geschrieben, Jazz-Anklänge findet man auch in den Klavierkonzerten von Maurice Ravel, Stravinsky benutzt den Ragtime in „L’histoire du Soldat“. Darius Milhaud kann den Einfluss bei seinen Kompositionen „Saudades do Brasil“, „Le Creation Du Monde“ und der „Scaramouche Suite“ nicht abstreiten.
Dmitri Schostakowitsch wiederum schuf als Mitglied der Jazz-Kommission 1934 seine „Suite für Jazzorchester Nr.1“ mit dem Ziel „den sowjetischen Jazz auf ein professionelles Niveau zu heben“. Allerdings hat diese mit herkömmlichen Jazz relativ wenig zu tun, die Wurzeln liegen eher in Film- und Bühnenmusik.1938 schuf er noch die „Suite für Jazzorchester Nr.2“, die allerdings – so glaubte man – verloren ging und erst im Jahr 2000 in rekonstruierter Form aufgeführt wurde.
Andreas Priwin, besser bekannt als André Previn, schrieb nicht nur Opern,symphonische Werke und Filmmusiken, sondern er war auch ein begnadeter Jazz-Pianist, der bereits mit 15 Jahren in New York seine ersten Auftritte in letztgenanntem Genre hatte. 1956 erhielt er für die Aufnahme von „My Fair Lady“ mit Shelly Manne (Schlagzeug) und Leroy Vinnegar (Bass) die allererste Goldene Schallplatte für ein Jazz-Album überhaupt.
Und dann gibt es natürlich auch Jazzer, die wunderbare Interpreten klassischer Musik waren und sind, da besonders der Pianist Chick Corea. Dieser verstarb im Vorjahr, ich besitze von ihm die Aufnahme eines seiner letzten Konzerte – da findet man in der Stückauswahl neben Kompositionen von Thelonious Monk auch die Klaviersonate KV 332 von Mozart, Improvisationen über Themen von Scarlatti, Chopins Prelude op.28 und ein Werk von Skriabin. Ehrlich gesagt – ich habe mir diese Doppel-CD wegen seiner Mozart-Interpretation gekauft.
Ein Kleinod meiner Sammlung ist auch die Zusammenarbeit von Wynton Marsalis, einem Trompeter, der 1960 geboren, und einer gewissen Edita Gruberova. Mit dem English Chamber Orchestra wurden 1984 hier Werke von Purcell, Händel, Torelli, Fasch und Molter eingespielt.
Einen Österreich-Bezug hat die „Combo“ L’Arpeggiata, die von der Grazerin Christina Pluhar gegründet wurde. Wenn ich mich recht erinnern kann schrieb ein Kollege eine begeisterte Rezension über ihren Auftritt bei den letzten Salzburger Festspielen. Pluhar versteht es perfekt – je nach Programm – die Grenzen zwischen Barockmusik und Jazz zu verwischen. Ihre Monteverdi-CD (Teatro d’Amore) und besonders „Music for a While – Improvisations on Purcell” sind ganz gewaltig. Mitwirkende an der letztgenannten Aufnahme sind unter anderem der Countenor Philippe Jaroussky und Wolfgang Muthspiel, einer der aktuell führenden österreichischen Jazzgitarristen.
Jazz in Österreich
Zum Abschluss meiner Ausführungen möchte ich noch einige Worte über Repräsentanten des Jazz in Österreich verlieren. Ohne näher auf sie einzugehen möchte ich Hans Koller, einen Saxofonisten, der mit allen amerikanischen Jazzgrößen zusammengespielt hat und Fatty George, den älteren Lesern vielleicht noch aus dem Fernsehen bekannt, erwähnen.
International am Bekanntesten ist in der Jazzszene sicherlich Josef „Joe“ Zawinul, der Ende der 1950er Jahre erstmals in den USA als „Sideman“ bei Aufnahmen tätig war, später bahnbrechende Alben mit Miles Davis und dann mit seiner eigenen Jazz-Rock-Formation „Weather Report“ einspielte.
Ich nehme mal an, dass der Name Friedrich Gulda hier jedem geläufig ist, allerdings vor allem wegen seiner Tätigkeit im Rahmen der klassischen Musik. Ich selbst liebe seine Interpretationen der Mozart-Klaviersonaten, auch seine Einspielungen der Beethoven-Klavierkonzerte sind legendär. Und für mich übertrifft nur Glenn Gould „seinen“ Bach… Weniger bekannt ist wahrscheinlich dass Gulda bereits zu Mitte der 1950er-Jahre immer wieder in New York in Jazz-Clubs auftrat (er war auch mit Joe Zawinul befreundet, mit dem er dann später auch gemeinsame Konzerte gab) und in der dortigen Szene einen sehr guten Ruf hatte. Er versuchte auch immer die Unterschiede zwischen E- und U-Musik zu verwischen, hatte damit aber nicht den Erfolg, den er sich wohl gewünscht hatte. Der Kritiker Robert Fischer schrieb einmal - „Friedrich Guldas Ausflüge in den Jazz wurden einst von den Hohepriestern der Klassik nur mit spitzen Fingern angefasst wie etwas, das man allenfalls zu erdulden habe, weil er doch so schön Mozart spiele.“ Nichtsdestotrotz war er einer der wenigen Musiker, der vom Klavierspiel her sowohl von klassischen Pianisten als auch von Jazzgrößen bewundert wurde.
Der Solo-Trompeter der Orchesters die Wiener Volksoper, Lorenz Raab, studierte in Wien und Salzburg klassische Trompete, aber ebenso zwei Jahre Jazz-Trompete in Bremen. Er war Solo-Trompeter des Vienna Art Orchesters, bevor er in der Volksoper „aufschlug“. Er hat einige CDs veröffentlicht (mir gefällt „Four Roses“ aus 2002) und wandelt nach wie vor zwischen den beiden Welten hin und her.
Sein Lehrer am Mozarteum war Hans Gansch, von 1982-1996 erster Trompeter bei den Wiener Philharmonikern. Dessen Bruder wiederum, Thomas Gansch (ebenfalls Trompete) ist einer der profiliertesten Vertreter des Jazz in Österreich, er war Mitbegründer des Ensembles „Mnozil Brass“ und tritt immer wieder in gemeinsamen Programmen mit Georg Breinschmid auf, der wiederum Mitglied der Wiener Philharmoniker war, sich dann aber dem Jazz zuwendete, da für einen Bassisten die Möglichkeiten sich selbst auszudrücken im Rahmen eines klassischen Orchesters doch sehr, sehr begrenzt sind.