Beiträge von Dreamhunter

    Wenn am Abendzettel steht, dass es eine eigene Textfassung für die Volksoper Wien erstellt wurde ist man schon einmal vorsichtig geängstigt, da ja viele Regisseure dazu übergegangen sind, mit diesem Mittel den Inhalt ganzer Stücke zu verändern. In dieser Hinsicht sind besonders Operetten davon betroffen, allerdings auch deutsche Spielopern können so zu Opfern werden.


    An diesem Abend waren allerdings die Befürchtungen (fast) grundlos – die Regisseurin Nina Spijkers und Peter te Nuyt sind relativ homöopathisch mit den gesprochenen Texten umgegangen und das „Stück“ war zum Wiedererkennen.


    Wie unterschied sich diese Fassung nun vom Original? Spijkers wollte ihren feministischen Standpunkt auf das Werk übertragen – und auch im Original gibt es dazu doch einige Ansätze. Man kann also durchaus sagen, dass sie da Schwerpunkte nachgeschärft hat – und auch die Verlegung der Handlung in das Jahr 1918/1919 und in österreichische Lande geht meistens gut auf (die Belehrung des Wirten, dass Adelstitel abgeschafft wurden schließt England oder Deuschland aus – man kann jetzt darüber spekulieren, ob das „Ritter John“ oder „Sir John“, mit dem Falstaff immer wieder angesprochen wird, mit zur Verhöhnung gehören.


    Anna wurde insofern „aufgewertet“, indem sie feministische Parolen von sich zu geben hatte -im Gegensatz zu ihrer Arie, wo man sich an den Ursprungstext hielt), hätte man verzichten können – warum glauben viele Regisseure da immer mit der Holzhammermethode kommen zu müssen? Traut man dem Publikum nicht zu sich selbst Gedanken zu machen und Schlüsse zu ziehen?


    ABER – trotz diesen Einwänden war der Abend einer der besten, den ich in der letzten Zeit in einem der drei Wiener Häuser miterleben durfte, vielleicht sogar der beste! Die Inszenierung ist flott, die Änderungen kann man nachvollziehen (wenn man damit leben kann, dass Frauen sowieso die besseren Menschen sind) und die handwerkliche Umsetzung ist wirklich famos! Ein ganz großes Lob an die Bühnenbildnerin Rae Smith, an die Kostümbildnerin Jorine van Beek und auch Tim van’t Hof, der für die wunderschönen Lichteffekte zuständig zeichnet.


    Ich war von der Qualität der Sänger wirklich beeindruckt – es war – mit ganz kleinen Einschränkungen – da keine Schwachstelle zu entdecken.


    Die beste Leistung an diesem Abend war die von Andrei Bondarenko als Herr Fluth – sein Bariton hat eine schöne Mittellage und hatte mit Höhen auch keine Probleme. Martin Winkler als Falstaff überzeugte vor allem schauspielerisch, ich hätte mir vielleicht einen noch schwärzeren Bass gewünscht (Gottlob Frick „schau oba…“) – aber alles in allem konnte er dem Ritter auch psychologisch viel Tiefe geben.


    Herr Reich wurde von Aaron Pendleton, Dr. Cajus von Pablo Santa Cruz (mit herrlich französischem Akzent) und Kim Seijoung waren in ihren Rollen überzeugend und trugen das ihre für diese gelungene Vorstellung bei.


    Interessant ist Aaron Casey-Gould, der den Fenton mit großer Inbrunst verkörperte. Er hat ein wirklich interessantes Timbre, allerdings – und da kann ich nicht sagen ob Zufall oder Absicht – seine Schluchzer erinnern mich an die Art und Weise, wie Tenöre oft in den 1950er Jahren den Bajazzo gesungen haben… Er ist aber auf jeden Fall einer, den man im Auge behalten sollte!


    Die Damen der Schöpfung – die Damen Reich und Fluth waren ideal besetzt. Sowohl Katia Ledoux als auch Hedwig Ritter zeigten imponierende Leistungen (wie sich beide in einem größeren Haus anhören würden kann man natürlich nicht sagen, aber für die Volksoper sind beide Stimmen ideal besetzt). Gewisse Abstriche muss ich bei Lauren Urquhart machen, die bei ihrer Arie – im Vergleich mit den anderen Sängern – nicht ganz auf deren Niveau agierte.


    Ein Pauschallob für die anderen Solisten, dem Chor der Wiener Volksoper und dem Staatsballet.


    Jonathan Stark dirigierte das Orchester der Volksoper mit viel Umsicht, ein paar Unsicherheiten bei den Hörnern zu Beginn seine verziehen.


    Die Volksoper war gut besucht und das Publikum war sicht- und hörbar sehr angetan. Wieder einmal ist bewiesen, dass dieses Haus ideal für deutsche Spielopern ist - und auch das passende Publikum dazu hat. Wenn diese Opern auch auf einem solche hohen Niveau wie an diesem Abend interpretiert werden könnten würde dies sowohl der Volksoper per se als auch der Opernstadt Wien wirklich gut tun!

    Nachdem der letzte Akkord verklungen war gab es erstmals eine – im wahrsten Sinne des Wortes – Totenstille im Auditorium und erst langsam setzte zögerlicher Applaus ein. Dieses Szenario war aber weder der Qualität des Werkes noch den Leistungen aller Beteiligten geschuldet, sondern dem Inhalt dieses „Kammermusicals“, der mir eine sehr unruhige Nacht bescherte – zu sehr nahm mich das Schicksal der Ruth Maier, das in kurzen, aufeinanderfolgenden Szenen, auf die Bühne gebracht wurde, mit. Meine Reaktion erinnerte mich an die, als ich vor vielen Jahren „Sophie’s Choice“ in der Volksoper gesehen hatte.


    Ich gehe davon aus, dass den meisten Leserinnen und Leser die Hintergründe dieses Werkes und der Inhalt unbekannt sind – es wurde erst 2023 uraufgeführt – und daher zuerst ein paar Worte zur Geschichte.


    Ruth Maier wurde 1920 in Wien in eine säkulare, bürgerliche, jüdische Familie geboren. Der Vater starb und sie wurde – gemeinsam mit ihrer Schwester – von der dann alleinstehenden Mutter aufgezogen. In ihrem vierzehnten Lebensjahr begann sie dann ein Tagebuch zu verfassen – eine Tätigkeit, die sie bis zu ihrem Tod ausübte. Sie interessierte sich für Malerei und Literatur und wollte eine Künstlerin werden. Rund um die Reichskristallnacht wurde ihre Schwester nach England geschickt, sie selbst emigrierte im Frühjahr 1939 nach Norwegen, zur Familie eines ehemaligen Geschäftspartners ihres Vaters.


    Nach der Okkupation Norwegens durch die deutsche Wehrmacht im April 1940 wurde die latente Judenfeindlichkeit zu einer großen psychischen Belastung für die junge Frau, die nahm dann an Arbeitsdienstlagern teil, wo sie die gleichaltrige Gunvor Hofmo kennen- und lieben lernte. Im Februar 1941 erlitte Maier dann einen Nervenzusammenbruch und begab sich in psychiatrische Behandlung.


    1942 lernte sie den Bildhauer Gustav Vigeland kennen und stand für seine Statue „Überrascht“ Modell – diese ist übrigens heute in Oslo im „Vigeland-Park“ ausgestellt. Im November 1942 wurde Maier dann von den Nazis festgenommen und über Stettin nach Auschwitz deportiert und am 1.Dezember 1942 ermordet und verbrannt.


    Soweit die Lebensgeschichte – wie ging es aber danach weiter? Gunvor Hofmo war im Besitz der Tagebücher von Maier und etablierte sich als eine der bedeutendsten Lyrikerinnen Norwegens. Nach ihrem Tod im Jahre 1997 entdeckte ihr Nachlassverwalter die Tagebücher und publizierte diese dann im Jahr 2007 diese – gemeinsam mit Briefen, die Maier an ihre Familie geschrieben hatte.


    Auf dieser Basis entstand dann eine norwegische Theaterproduktion, auf die Gisle Kverndokk und Aksel-Otto Bull, die später das Libretto schrieben, aufmerksam wurden. Kverndokk, der diese Stück (irgendwie weigere ich mich, das als „Musical“ zu benennen) auch komponierte, begann ab 2008 sich mit dem Thema zu befassen und – um eine längere Geschichte kurz zu fassen – wurden die „Briefe von Ruth“ 2023 in Gmunden aufgeführt und dann in vier Kategorien mit dem „Deutschen Musical Theaterpreis“ ausgezeichnet.


    Wie sind die „Briefe“ musikalisch einzuordnen? Kvendokk verwendet – je nach Thema der Szene – verschiedene Ausdrücke. Ein wenig atonal in den Szenen, wo Ruths psychische Probleme zu Ausdruck kommen, dann viele Rezitative, aber auch recht eingängige Melodien, wenn es um die Beziehungen und Träume der Hauptprotagonistin geht. Allerdings – und das ist wichtig – findet sich beim Ende der „romantischen“ Teile, immer der eine oder andere Akkord, der darauf hinweist, dass das alles nicht so gut enden wird. Ansonsten nahm der Komponist auch Anleihen an Rhythmen, die in den 1930er Jahren modern waren (die „Überlandfahrt“ wurde im Parkett getanzt und gefeiert – für mich eine der stärksten Momente des Abends, weil man ja von Beginn an wusste, dass das nur ein kurzer Moment der Freude war….)


    Immer wieder durchbrachen die Künstler die Barriere zum Publikum, als sie Originaltexte aus den Tagebüchern und Briefen vorlasen.


    Für die Inszenierung war Philipp Moschitz verantwortlich, unterstützt von Matthias Engelmann (Bühne), Claudio Pohls (Kostüme) und Franz Tscheck (Licht). Die Choreographien entwarf Sven Niemeyer.


    Als Einheitsbühnenbild verwendete man einen überdimensionalen, auf den Kopf gestellten Viehwaggon – einen, in denen die Jüdinnen und Juden seinerzeit in die Vernichtungslager gebracht wurden. Auf der einen Seite offen, waren auf der anderen Seite Fenster angebracht, durch die die Akteure die Bühne betreten bzw. verlassen konnten – ein sehr gelungener Kunstgriff. Wenn ich schreibe die „obligaten Koffer“, die rechts und links aufgehäuft waren, ist dies nicht abwertend gemeint – in diesem Zusammenhang passten sie natürlich (nur wurde diese Bild in den 2000er-Jahren von diversen Regisseuren bis zum Abwinken missbraucht).


    Die beiden Hauptdarstellerinnen waren in Kleidern, die der damaligen Zeit nachempfunden waren, gekleidet. Stark geschminkt die weiteren sieben Akteure, die allesamt verschieden Rollen spielten.


    Die Aufführung wurde von Emily Mrosek als Ruth beherrscht, die eine wirklich tolle Leistung zeigte. Im intimen Rahmen der Kammeroper ist es ja möglich, die Gesichtszüge der Künstler aus nächster Nähe zu beobachten – und Mroseks schauspielerische Fähigkeiten wurden in jedem Blick, jeder Geste zum Ausdruck gebracht. Sie hat – wie alle Sängerinnen und Sängern dieser Produktion – eine Musical-Ausbildung (theoretisch hätte man auch Künstler, die vom Operngesang her kommen, nehmen können) – was in diesem Fall meiner Meinung nach besser war. Sie hat eine fundierte Mittellage, kann Emotionen rüberbringen und war nur zu Beginn des Abends in der Höhe ein wenig eng, setzte dann später aber einen lupenreinen Spitzenton.


    Die zweite Hauptfigur, Gunvor, wurde von Dorothea Maria Müller gesprochen und gesungen. Warum gesprochen? Im ersten Akt war die Gunvor hauptsächlich als Erzählerin eingesetzt und wurde erst später, als sich die beiden Frauen kennenlernten, in das Spiel einbezogen. Müller erbrachte eine – positiv gemeint – solide Leistung.


    Wie oben beschrieben wurden die weiteren Künstlerinnen und Künstler in verschiedenen Rollen eingesetzt. Ein Pauschallob für Alen Hodzovic, Rinwald Kranner, Julia Bergen, Maaike Schuurmans, Anna Fleischhacker, Christoph Ruda und Jan-Eike Majert.


    Herbert Pichler leitete umsichtig das zwölfköpfige Orchester der Vereinigten Bühnen Wien.


    Wie am Anfang beschrieben – der Applaus setzte erst ganz langsam ein – aber dann wurden die Künstler gefeiert, allen voran, und das mit Recht, Emily Mrosek.


    Das Werk steht noch bis zum 16.März auf dem Spielplan – und ja, man sollte sich das anschauen.

    Christina Pluhar & L’Arpeggiata – Balkanroute


    Musiktheater an der Wien, 27.1.2025


    WHAT.


    A.


    NIGHT!


    Ich wollte die Besprechung des Konzerts ursprünglich gleich danach schreiben, dachte aber dann, dass diese wohl zu enthusiastisch ausfallen wird und es vielleicht besser wäre, diese erste am folgenden Morgen zu schreiben. Nun, es hat sich überhaupt nichts geändert – dieses Konzert war für mich genreübergreifend eines der großartigsten, die ich in meinem Leben besuchen durfte.


    Vielleicht zu Beginn ein paar Worte über diese Combo. Die gebürtige Grazerin Christina Pluhar gründete das Ensemble von 25 Jahren, im Vergleich zu anderen Gruppen gibt es aber keine feste Besetzung, sondern die Musiker werden nach Bedarf und Thema der Aufnahmen oder Tourneen immer neu zusammengestellt, allerdings gibt es schon zwei oder drei Künstler, die schon länger dabei sind. Im Prinzip liegt der Schwerpunkt von Pluhar & Co auf der italienischen Musik des 16.Jahrhunderts, jedoch werden die Grenzen der Musik von L’Arpeggiata immer wieder ausgetestet.


    Wenn man die Aufnahmen der letzten 25 Jahre betrachtet, so findet man auf „Music for a While“ Improvisationen über Henry Purcell (mit dem wunderbaren Jazz-Gitarristen Wolfgang Muthspiel), Leonard Cohens „Halleluja“, auf „Via Crucis“ mittelalterliche Gesänge über die Passion Christi, eine Aufnahme, die nur den Werken Monteverdis gewidmet ist (daraus wurde auch ein Stück an diesem Abend live dargeboten), viele Aufnahmen von Altmeistern wie Giovanni Girolamo Kapsberger, Stefano Landi oder Emilio de‘ Cavalieri). Unfassbar gut auch das südamerikanische Projekt „Los Parajos Perdidos“…


    Ist nun L’Arpeggiata ein Crossover-Projekt? Ich tendiere dazu dies zu verneinen – es sind schlicht und ergreifend außergewöhnliche Künstlerinnen und Künstler, allesamt große Virtuosinnen und Virtuosen – die sicht- und hörbaren Spaß am Musikmachen haben und eines mitbringen, was für diese Art von Musik unabdingbar ist – sie können „Zuhören“ und auf die Improvisationen der anderen sofort reagieren – eine Kunst, die man manchmal im Klassikbereich zu verlieren scheint.


    Aktuell touren L‘Arpeggiata mit mehreren Programmen durch Europa – neben dem zu Besprechenden auch noch mit „L’Orfeo“ von Monteverdi, „Alla Napoletana“ und „Händel Goes Wild“.


    Die „Balkanroute“ war an diesem Abend eine musikalische und bezog sich auf die Länder, durch die die Flüchtlingsströme nach Mitteleuropa gelangen. Die Gruppe erzählte auf ihre Weise die Geschichte der Musikkultur – von der Türkei über Griechenland, Bulgarien, Mazedonien, Serbien, Bosnien bis Dalmatien (das ja dereinst venezianisch war).


    Der Abend (ohne Pause) gliederte sich in 4 Teile –


    DIE WESTBALKANROUTE von Griechenland über Mazedonien und Serbien nach Kroatien


    Christina Pluhar an der Laute war für alle Arrangements und die Auswahl aller Stücke und Musiker zuständig – in einem Interview sagte sie einmal, dass sie de fact vier Jobs gleichzeitig erledigt.


    Die ersten sechs Stücke beinhalteten Stück aus Griechenland, griechischen Inseln, Mazedonien, Kroatien und Serbien. Vincenzo Capezzuto, ein Alto und ehemaliger Balletttänzer, der seit vielen Jahren zur Stammbesatzung von L’Arpeggiata gehört, die Griechin Katerina Papadopoulou, ebenfalls ein Gast wie auch Natasa Mirkovic aus Bosnien waren für die melancholischen Volksweisen zuständig, wobei Pluhar so arrangierte, dass ein Stück in das nächste ohne Pause überging.


    Die Belgierin Céline Scheen, auch Teil der Stammbesatzung, war dann irgendwie eine Art Bruch, als ihr schöner und voller Sopran das „Panis Angelicum“ des kroatischen Barockkomponisten Ivan Lukacic, der im 17.Jahrhundert tätig war, vortrug.


    Danach ging es musikalisch zur OSTBALKANROUTE über Bulgarien die Donau aufwärts


    Petar Raichev am Akkordeon trug seine „Ballad Horo“ zusammen mit seinem Landsmann Peyo Peev (Gadulka) vor und zeigte, was für ein Großmeister er ist. Es war extrem spannend zuzusehen wie sich die beiden nur durch Blicke verständigten und sich so die entsprechenden Einsätze gaben – auch im Zusammenspiel mit David Mayoral und Tobias Steinberger, die gemeinsam mit Leonardi Teruggi am Kontrabass die, um einen Jazz-Terminus zu gebrauchen, die Rhythmusgruppe waren.


    DIE ÖSTLICHE MITTELMEERROUTE führt von der Türkei auf die griechischen Inseln


    Hier war wieder die Kunst von Katerina Papadopoulou gefragt, die ein Liebeslied aus dem alten Konstantinopel und ein Wiegenlied aus Izmir vortrug, unterbrochen von einem Instrumentalstück namens „Hasapiko“, bei dem die griechischen Gäste Kyriakos Tapakis (Oud), Stefano Dorakakis (Kanun) und Giorgo Kantoyiannis an der Lyra das musikalische Heft in der Hand hielten. Ich saß nahe genug zur Bühne um die Gesichter aller Musiker ganz genau zu sehen – sie lächelten während des gesamten Konzerts und hatten enormen Spaß und Hochachtung für alle Mitwirkenden.


    Zwei der Stammbesatzung durften nicht fehlen – einerseits Josep Maria Marti Duran, der Theorbe und Barockgitarre spielte sowie Doron Sherwin, der nicht nur ein Großmeister der „Zink“ ist, sondern im Rahmen der ersten Zugabe auch als Rapper auftrat. Für die werten Leser, denen die „Zink“ als Instrument bis dato nichts sagt – es ist ein historisches, chromatisches Blechblasinstrument aus dem 15.Jahrhundert, das besonders zu Beginn des 17.Jahrhunderts sehr populär war. Zu dieser Zeit wurden Virtuosen an der Zink sogar besser bezahlt als Sänger..


    Es ging dann wieder retour zur OSTBALKANROUTE mit weiteren Instrumentalstücken, ehe Céline Scheen aus dem „Ottavo Libro de Madrigli guerrieri et amorosi“ von Monteverdi den Klagegesang einer enttäuschten Nymphe vortrug und die Musiker ihre Improvisationskünste ausleben konnten. Es war schön, diesem Stück mit anderer Instrumentation im Vergleich zur Studioaufnahme wieder zu begegnen.


    Und dann war es endlich soweit – die von mir sehnlichst erwartete Luciana Mancini hatte endlich mit einem traditionellen Roma-Lied aus Rumänien ihren Auftritt. Ich begegnete dieser Künstlerin erstmals im Rahmen des Südamerikaprojektes von L’Arpeggiata und bin seither ihrer Ausstrahlund , ihrem Temperament und ihrer Stimmer verfallen. Die Schwedin mit chilenischen Wurzeln hob das – meiner Meinung nach sowieso schon extrem hohe Niveau des Konzertes – auf einen noch höheren Level. Ich habe selten Künstler mit einer derartigen Ausstrahlung erlebt!


    Das offizielle Programm wurde dann mit zwei Traditionals aus Bosnien und aus dem Kosovo viel zu früh nach 90 Minuten beendet.


    Nachdem das Ensemble noch vor dem ersten Ton vom Publikum heftigst akklamiert wurde steigerte sich der Jubel nach dem Ende und es gab – wie auch nach jeder Zugabe – Standing Ovations! Die erste Zugabe war diejenige, die L’Arpeggiata bei jedem Konzert gibt – leider war ich noch immer nicht in der Lage den Titel in Erfahrung zu bringen. Ich weiß nur, dass es ein Lied aus Apulien ist, im salentinischen Dialekt gesungen und dass es sich um eine „Pizzica“ handelt. Wie jedes Mal begeisterte Vincenzo Capezzuto mit einer Tanzeinlage, Doron Sherwin rappte und die vier Damen taten das ihre bei, dass das Stück so richtig „swingte“. Zwei weitere Gesangsdarbietungen folgten, ehe die Instrumentalisten die Bühne verließen und die Sängerinnen und Capezzuto den Abend mit einem leisen, besinnlichen A-Capella Stück den Abend ausklingen ließen.


    Als Kritiker muss man natürlich ein Haar in der Suppe finden – nun, in diesem Fall bleibt nur zu sagen, dass man diesen Künstlern noch gerne stundenlang weiter zuhören (und zusehen!!) hätte können.. Ebenfalls denke ich, dass (der Abend war ausverkauft) es nett wäre, wenn Konzerte wie diese vielleicht nicht nur einmalige Erlebnisse bleiben, sondern dass diese vielleicht auch zwei- oder dreimal hintereinander angeboten werden.


    Es war eine Sternstunde der Improvisation, man sah Weltklasse-Musiker an ungewöhnlichen Instrumenten – und war Teil einer Gemeinschaft, die schlicht und ergreifend Freude am Musikmachen hat!

    Liebe Mit-Taminos,


    ich wusste nicht wo ich mein Gespräch/Interview, das ich heute mit Christian Thausing führte, reinstellen hätte sollen. Wenn ein Moderator da einen besseren Ort dafür findet - bitte dorthin verfrachten.


    Zur Info - einer meiner Nachbarn ist Michael Laurenz, der zur Zeit sehr erfolgreich Mime etc. singt (Dallas unter Luisi, Wien unter Thielemann etc.) und wir sitzen manchmal zusammen und plaudern über Gott und die Welt. Im Jänner ist jetzt im TadW die Premiere o.a. Operette, wo er auch dabei ist. Er hat mich auf den Regisseur aufmerksam gemacht und das Gespräch vermittelt - er meint, dass dieser ganz toll ist und wirklich "das Stück" inszeniert...


    Also hier ist das von C.Thausing bereits abgenommene Manuskript ->


    REGIE IST EIN HANDWERK


    Interview mit Christian Thausing



    KV – Herr Thausing, Sie wurden 1979 in Bruck a.d. Mur geboren, zogen aber schon mit 3 Jahren nach Graz. Daher zuerst eine ganz wichtige Frage, die alle Fußballfans interessiert – die Rotjacken oder die Schwoazzn?


    CT – Natürlich die Schwoazzn!!!


    (Anm. des Interviewers – er meint damit Sturm Graz)


    KV – Wie ist ihr schulischer Werdegang und welchen Bezug haben Sie zur Bühne?


    CT – Ich besuchte das Gymnasium HIB-Liebenau, absolvierte dann an der Uni Graz ein Jurastudium, das ich aber dann für das Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaften in Wien aufgab. Im Rahmen dessen absolvierte ich auch ein Erasmusjahr in Lyon.


    Zur Bühne und Musik kam ich durch meine Mutter, Barbara Gritzner-Thausing, die als 1.Geigerin an der Oper Graz engagiert war. Überhaupt ist die Familie mütterlicherseits sehr musikalisch – mein Onkel spielt Kontrabass an der Oper Graz und dessen Frau spielte Violine im Grazer Salonorchester.


    Ich selbst lernte Blockflöte und dann Cello. Allerdings stand ich mit so 14 Jahren vor der Entscheidung mich 100%ig diesem Instrument zu widmen – oder „zu leben“. Ich entschied mich gegen die Laufbahn eines Berufsmusikers. Später brachte ich mir selbst noch das Klavier- und Gitarrenspiel bei. Aus diesem Grund kann ich Partituren lesen – und diese sind meiner Meinung nach das Allerwichtigste für mich als Regisseur, weil in den Noten „alles“ geschrieben steht.


    KV – Man kann also davon ausgehen, dass sie schon mit recht jungen Jahren den Opernbetrieb ein klein wenig kennenlernten?


    CT – Auf jeden Fall! Die Dirigentenloge der Oper Graz war de facto meine Kinderkrippe! Ich wurde dort oft „zwischengeparkt“. Im Ernst, ich hatte da die Gelegenheit schon mit 11 oder 12 Jahren Regisseure wie Peter Konwitschny bei der Arbeit zuzusehen und aus erster Hand zu erfahren, wie Produktionen entstehen. Das weckte schon damals mein Interesse, in diesem Fach zukünftig tätig zu werden.


    Ich habe auch diversen Skandale mitbekommen, zum Beispiel wie bei der Aida-Premiere, ich glaube es war 1994, sogar Tomaten aus dem Publikum auf die Bühne geworfen wurden.


    KV – Neben den Einflüssen von Brecht und dem Theater der Unterdrückten von Augusto Boal fällt immer der Name Schlingensief. Was faszinierte sie so an ihm?


    CT - Er war jemand, der auf die Straße ging und so Leute zum Nachdenken anregen wollte, wie zum Beispiel bei Aktionen in Graz oder als er vor der Staatsoper in Wien einen Container aufstellen ließ. Er plante immer alles als Gesamtkunstwerk und Performance, es ging ihm auch darum, aus vorgegebenen Rahmen des Kulturbetriebs auszubrechen.


    Ein weiterer Regisseur, von dem ich viel lernte und mit dem ich gerne als Assistent zusammenarbeitete, ist Stefan Herheim. Ähnlich wie Schlingensief kämpft er gegen jedwede Art von Einengung!


    KV – Sie sind auch ein Cineast. Was sind ihre Lieblingsregisseure?


    CT – Auf jeden Fall Stanley Kubrick. Ich liebe all seine Filme, aber besonders „Barry Lyndon“. Kubrick verstand es außerdem, perfekte Filmmusiken zu verwenden – denken Sie dabei nur an „Space Odyssey“, wo er von Richard Strauss „Also sprach Zarahtustra“ verwendete, oder bei „Clockwork Orange“ die verstörende Szene mit „I’m Singing in the Rain“. Dann auch die großen Geschichtenerzähler – was übrigens meiner Meinung nach die Hauptaufgabe eines Regisseurs ist – wie Francis Ford Coppola (The Godfather), Martin Scorsese oder Michael Haneke.


    KV – Wie ging es nach dem Studium weiter?


    CT – Zuerst hat mich das Medium Film mehr interessiert. Allerdings ist es sehr schwer gute Jobs zu finden oder mit guten Produzenten zusammenzukommen. Daher gründeten einige Freunde und ich eine kleine Filmfirma und drehten mehrere Kurz- und Werbefilme. Die Kurzfilme waren mehr experimentell.


    2008 absolvierte ich dann ein Praktikum bei Josef Köpplinger und durfte dabei sein, als er „West Side Story“ an der Oper Graz inszenierte. Das war für mich quasi ein Weckruf und ich wusste – DAS möchte ich auch machen!


    Mein erstes Engagement führte mich dann ans Städtebundtheater Biel-Solothurn. Ich arbeitete dort als Regieassistent und Inspizient.


    KV – Was war dort die Rolle des Inspizienten?


    CT – Ich war der „Stage Manager“ und kontrollierte alle technischen Abläufe, auch das Licht. Dies ist vielleicht ein Überbleibsel aus meiner Zeit, als ich Filme machte. Ich bin nach wie vor bei allen Beleuchtungsprobend dabei, da das Licht meiner Meinung nach sehr wichtig ist (auch die großen Filmregisseure setzen Lichteffekte sehr bewusst ein).


    KV – 2011 inszenierten Sie das „Klassenzimmerstück“ Softgun. Was ist ein „Klassenzimmerstück“?


    CT – Nun, das war ein Stück mit dem wir in der Schweiz von Schule zu Schule fuhren, mit minimaler Ausstattung (sie musste in einen Bus passen). Wir führten das sowohl an Gymnasien als auch an Berufsschulen auf – vor Schülern aus der „besseren Gesellschaft“ als auch vor solchen mit Migrationshintergrund. Nach jeder Aufführung, die in Klassenzimmern stattfanden, ermutigten wir die Schüler zu Diskussionen – und nach wie vor bereiten mir einige der Reaktionen noch immer Gänsehaut. Das waren ganz tolle Erlebnisse und ich weiß seitdem, dass Theater und Kunst manchmal auf Menschen großen Einfluss haben können -und seien es nur zwei oder drei.


    KV – Seit 2011 sind Sie dann der Oper Graz verbunden und haben dann mit namhaften Regisseuren als Regieassistent und Spielleiter gearbeitet. Wie schon besprochen, haben sie ein gutes Verhältnis zu Herheim und studierten dann dessen Inszenierung von „Manon Lescaut“ szenisch an der Semperoper Dresden und am Aalto-Theater Essen ein.


    CT – Das stimmt, allerdings muss ich kurz von meinem Schlüsselerlebnis berichten – es handelte sich dabei um die Arbeit mit Stephen Lawless – seinen „Otello“ werde ich nie vergessen! Einfach die wunderbare englische Schule, perfekte Personenführung, das Stück wurde erzählt. Er hat das Stück einfach auf die Bühne gebracht. Und das „auf die Bühne bringen“ ist die Aufgabe der Regie. Es ist schlicht und ergreifend ein Handwerk!


    KV – Wie kann man sich eine Einstudierung einer Produktion an einem anderen Opernhaus vorstellen?


    CT – Man hat das Regiebuch mit, dann eine DVD der Produktion. Man muss die technischen Gegebenheiten des anderen Opernhauses kennenlernen, andere Bühnenmaße berücksichtigen. Dann ist es die Aufgabe, den Sängern die Intentionen des Regisseurs nahe zu bringen, Bewegungsabläufe zu erklären. In etwa zwei Wochen vor der Premiere reist dann der Original-Regisseur an – und man hofft, dass dieser das Resultat deiner Arbeit für gut heißt. Die letzten Feinschliffe und Korrekturen werden dann von ihm gemacht.


    KV – Wie wichtig ist der Dirigent für einen Regisseur?


    CT – Der Dirigent ist der wichtigste Partner bei einer Produktion – wie schon gesagt, die Musik per se gibt ganz wichtige Hinweise, wie man zu inszenieren hat. Außerdem muss der Dirigent gewillt sein, auch im Orchestergraben Geschichten zu erzählen – in Verbindung zur Bühne. Besonders bei Operetten ist die Zusammenarbeit wichtig, da es oft zu Strichen kommt (oder diese vielleicht wieder aufgehoben werden müssen). Bei Opern hat man da wesentlich weniger Spielraum. Operetten sind ähnlich wie Musical definitiv eine Königsdisziplin, da man Tanz, Gesang und Sprechtheater zu einem Ganzen verbinden muss.


    KV – In Graz betreuten Sie dann 2014 auch Händels „Xerxes“, wo Sie wieder mit Herheim zusammenarbeiteten. Im selben Jahr waren Sie aber auch für eine andere Produktion verantwortlich, die für Ihren weiteren Weg wichtig war..


    CT – Auf den Kasematten inszenierte ich von Robert Stolz „Frühjahrsparade“. Ich wurde danach vom Stadttheater Leoben angesprochen, ob ich dort nicht Operetten inszenieren möchte? Dieses Stadttheater ist übrigens das älteste durchgängig bespielte bürgerliche Theater Österreichs! Zuerst war ich mir nicht sicher ob ich das Angebot annehmen soll, da das Genre „Operette“ oft als sehr schwierig angesehen wird. Ich entschied mich trotzdem dafür und seit 2017 inszenierte ich dort „Die Fledermaus“, „Die lustige Witwe“, „Die Csardasfürstin“ etc.


    Davor war ich noch im Regieteam von Marco Arturo Marelli für die Seeproduktion „Turandot“ in Bregenz – das waren die Jahre 2015 und 2016.


    KV – Sie machten aber auch Ihre Erfahrungen mit modernen Stücken und mit ungewöhnlichen Spielorten


    CT – Ja. 2017 brachten wir auf der Murinsel eine Oper von Menotti zur Aufführung, im Landhaushof (ich versuche manchmal – wie schon beim Klassenzimmer – untypische Aufführungsorte zu bespielen, um ähnlich wie Schlingensief das Theater zu den Leuten zu führen) „Apollo e Dafne“ von Händel.


    Eine für mich ganz wichtige Produktion war dann 2019 Stephen Olivers „Mario und der Zauberer“ nach Thomas Mann. Hier änderten wir den Schluss des Stückes und ließen das Publikum doch ziemlich verstört zurück. Wir hatten im Team besprochen, dass wir auf den Schlussapplaus verzichten und stattdessen Videoeinspielungen senden. Einige Zuseher blieben bis zu 30 Minuten nach Ende des Stückes noch immer sitzen.


    Ich muss aber dazu sagen, dass es für den Regisseur einfacher ist, ein unbekanntes Stück zu inszenieren, da man da doch etwas mehr Freiheiten hat. Und diese Inszenierung (ich glaube, wir haben das so 10 Mal gespielt) ist außerdem keine für Menschen, die das erste Mal in die Oper gehen!


    KV – 2020 debütierten Sie dann mit einer eigenen Inszenierung auf der großen Bühne der Oper Graz.


    CT – Ja, es war „Anatevka“ von Jerry Bock und es wurde ein großer Erfolg. Mit dabei war auch mein Team, mit dem ich – wenn es sich für die anderen zeitlich ausgeht – immer zusammenarbeite - Evamaria Mayer (Choreografie), Timo Dentler und Okarina Peter (Ausstattung). Wir haben gegenseitiges Vertrauen in unsere Fähigkeiten, was auf jeden Fall enorm wichtig ist, um gemeinsam Musiktheater zu machen!


    KV – Roland Geyer hatte in Graz eine Ihrer Inszenierungen gesehen und Sie dann nach Wien in die Kammeroper eingeladen, um wieder an einem zeitgenössischem Stück zu arbeiten. Welche Erfahrung machten Sie dabei?


    CT – Ja, es war „Thérèse Raquin“ von Tobias Picker, Dirigent war Jonathan Lakeland. Das war eine perfekte Zusammenarbeit – auch mit dem Komponisten. Fast täglich gab es Videokonferenzen (und es ist jammerschade, dass Picker coronabedingt nicht zur Premiere kommen konnte), wo wir uns kurzschlossen. Ein Beispiel – für eine Szene hätte ich 1 Minute an Musik gebraucht, allerdings waren nur 57 Sekunden komponiert. So ersuchten wir, ob er vielleicht noch zwei weitere Takte dazu komponieren könne. Oder ob es für Picker in Ordnung wäre, wenn man – aus dramaturgischen Gründen – an einer Stelle eine Fermate spielen dürfe, was dieser gerne zuließ, da er diese sowieso ursprünglich vorgesehen hatte, die Dirigentin der Uraufführung diese aber nicht wollte.


    Ehrlich gesagt, ich stelle mir vor, dass so eine Arbeitsweise auch früher – gemeinsam mit den Komponisten – stattfand. Wie schön wäre es doch, mit Verdi zusammen seine Opern zu inszenieren..


    KV – Sie haben auch einen Text für ein Auftragswerk geschrieben?


    CT – Ja, da handelte es sich um „Alpha Centauri“, das für die Junge Philharmonie Luxemburg komponiert wurde. Die Musik war bereits vorhanden, ich habe dafür einen Text geschrieben und auch selbst inszeniert.


    KV – Es folgte dann eine weitere österreichische Erstaufführung in Graz


    CT – Ja, „Krieg-Stell Dir vor er wäre hier“ von Felix Marius Lange. Das ist ein weiteres Stück, das voraussetzt, dass man sich mit der Thematik vorher genau auseinandersetzt und das Vorbereitung seitens des Zusehers voraussetzt. Es ist sicher kein Stück, das man jemanden zumuten sollte, der vorher noch nie in der Oper war!


    Etwas ganz anderes war wiederum in gleichen Jahr in Wuppertal das Musical „Cinderella“ von Rodgers & Hammerstein, das 2017 am Broadway neu überarbeitet worden war.


    KV – Kommen wir jetzt in die Gegenwart. Aktuell arbeiten Sie an einer Johann Strauß – Operette – „Das Spitzentuch der Königin“. Warum sagt mir das kaum etwas?


    CT – Nun, sie wurde 1880 am Theater an der Wien uraufgeführt und kehrt quasi wieder zum Ursprungsort zurück. Wie viele Operetten zu dieser Zeit war sie voll von Anspielungen auf aktuelle Ereignisse – so sagte man diesem Stück nach, dass es einige Anspielungen auf Kronprinz Rudolf vorwies, was zum damaligen großen Erfolg geführt hat. Als sich dieser dann 1889 das Leben nahm war es auch um das Stück geschehen. Die einzige Melodie, die noch übrig blieb, war diejenige, aus denen dann Strauß den Walzer „Rosen aus dem Süden“ schuf. Die Operette wurde übrigens über 200 Mal am Broadway aufgeführt!!!


    KV – Also in den letzten 130 Jahren gab es nur eine einzige Produktion – 2007 in Dresden. Wie lange bereiten Sie sich schon auf das Stück vor – und wie konstruierten Sie da eine Geschichte? Wie gesagt, viele Anspielungen würde ein heutiges Publikum nicht mehr verstehen…


    CT – Stefan Herheim hat mich vor 2 Jahren mit der Produktion betraut und seit damals arbeite ich daran. Die Crux dabei war, dass es ja keine gültige Spielfassung gegeben hat. Wir fanden – auch mit Hilfe der Johann-Strauß-Gesellschaft, vier verschiedene Textbücher.

    • Die 1.Zensurfassung
    • Die 2.Zensurfassung (wo z.B. Anspielungen auf bestimmte Minister gestrichen wurden, die bei der 1. Fassung noch in Ordnung waren
    • Das Souffleurbuch vom Broadway
    • Das Textbuch von einer am Theater an der Wien gespielten Serie

    Der ganzen Operette fehlte in all diesen Fassungen ein roter Faden, der für das heutige Publikum nachvollziehbar ist. Diesen zu finden und sich so eng wie möglich an das Originallibretto zu halten war somit meine Aufgabe, und ich denke, dass das mir gut gelungen ist. Wie schon gesagt, ich muss das Stück inszenieren, so wie es gedacht ist und was die Musik vorgibt!


    KV – Bei all Ihrer Euphorie – es gibt Musikstücke und Opern, die mit Recht in Vergessenheit geraten sind. Warum trifft das Ihrer Meinung nach in diesem Fall nicht zu?


    CT – Weil die Musik grandios ist!! Neben der Melodie von „Rosen aus dem Süden“ gibt es tolle Couplets, großartige „Zwischendurchmusik“! Die ganze Operette ist für ein großes Orchester geschrieben (ich glaube es sitzen zwischen 50 und 60 Musiker im Graben), Strauß war ein Großmeister verschiedenster Klangformen!


    Vom Handwerk gesehen her muss ich als Regisseur auch darauf achten, dass die Personen, obwohl die Kostüme das 17. Jahrhundert widerspiegeln, „heutig“ agieren. Man bewegt sich im 21.Jahrhundert einfach anders, die Sänger sind „heutige“ Menschen – auf das muss ich Rücksicht nehmen. Wenn mir das gelingt und vom Publikum angenommen wird, hoffe ich auf einen großen Erfolg – und vielleicht wird das „Spitzentuch“ wieder zu einem festen Bestandteil der Spielpläne!


    KV – Im Original spielt die Operette (aus damaliger Sicht verständlich) in Portugal. Was kann das Publikum jetzt erwarten?


    CT – Nun, es handelt sich um eine Phantasiewelt, doch die Handlung entspricht dem Original. Der Dreh- und Angelpunkt und quasi der rote Faden ist die Figur des Cervantes (was übrigens auch ein Arbeitstitel für die Operette war). Es geht um eine Verschwörung, bei der ein Minister alles versucht, den König sowohl vom Regieren als auch von seiner Gattin fernzuhalten (damit keine Nachkommen gezeugt werden und so später er das Land übernehmen kann). Der König stellt daher fremden Frauen nach (u.a. der Frau des Ministers daselbst) und isst gerne – das „Trüffelcouplet“ und „Frühstücksduett“ sind hinreißend komische Stücke. Die vom Gatten vernachlässigte Königin steht wieder auf Cervantes, der sich wiederum mehr für den Roman „Don Quichote“ interessiert, an dem er gerade arbeitet…. Klingt alles verwirrend? Ist es auch 😊


    KV – Wie laufen die Proben?


    CT – Alles ist wunderbar, die Proben schreiten voran und machen viel Spaß – was ja bei einer Operette auch wichtig ist. Die Zusammenarbeit mit den Sängern und dem Dirigenten passt! Und auch die Kollegen von der Technik sind mit viel Einsatz dabei – ich habe gehört, dass die Produktion die aufwändigste seit vielen Jahren am Haus ist.


    KV – Leider müssen Sie schon zum nächsten Probentermin, können Sie noch ganz kurz über Ihre Familie sprechen?




    CT – Ich lebe mit meiner Frau und drei Kindern in Graz und fühle mich sehr wohl




    KV - Zum Abschluss traditionellerweise noch die 10 Fragen des Bernard Pivot –

    • Was ist Ihr Lieblingswort?
      • Musiktheater
    • Welches Wort mögen Sie am wenigsten?
      • Regietheater
    • Was gibt Ihnen ein gutes Gefühl?
      • die Familie
    • Was gibt Ihnen ein schlechtes Gefühl
      • die politische Lage
    • Welches Geräusch oder welchen Lärm mögen Sie?
      • .. wenn sich der Eiserne Vorhang öffnet
    • Welches Geräusch oder welchen Lärm mögen Sie nicht?
      • Das gemischte Stimmen von Instrumenten
    • Was ist Ihr Lieblings-Schimpfwort?
      • (nach wiederholtem Nachdenken) – ich liebe sie alle!
    • Welchen Beruf außer Ihrem jetzigen hätten Sie sonst gerne ergriffen?
      • Dirigent
    • Welchen Beruf mögen Sie überhaupt nicht ausüben?
      • Politiker
    • Wenn der Himmel existieren sollte, was würden Sie gerne von Gott hören, wenn er Sie am Himmelstor empfängt?
      • „Schön, dass Du doch noch gekommen bist“


    KV – Ich danke für das Gespräch und wünsche Ihnen Toi Toi Toi für die Premiere!!!


    „Das Spitzentuch der Königin“ –

    Musiktheater an der Wien

    Premiere – 18.1.2025

    Folgeaufführungen – 22.,24.,26.,28.1.2025

    Eine LIVE-Wiedergabe auf 3Sat ist geplant

    .. ich melde mich wieder einmal nach ganz langer Zeit...


    Palestrina


    Wiener Staatsoper, 12.12.2024


    Trotz der wohlwollenden Kritiken in Bezug auf die Wiederaufnahme dieses Werkes – die Produktion stammt aus dem Jahre 1999 und wurde zuletzt in Wien vor 23 Jahren aufgeführt – waren etliche Plätze auf der Galerie und im Parkett unbesetzt. Da die Vorstellung, so wie die gesamte Serie, ausverkauft war, kann ich nur sagen – selbst schuld, wer nicht kam.


    „Palestrina“ gehört zu den großen spätromantischen Werken der Opernliteratur. Die Oper wurde 1917 uraufgeführt und zeigt Hans Pfitzner, der auch für das höchst interessante Libretto verantwortlich ist, am Höhepunkt seiner Schaffenskraft. Ähnlich wie bei Tosca ist der Zeitpunkt der Handlung ganz klar vorgegeben – wir sprechen da vom Jahr 1563 zur Zeit des Endes des Konzils von Trient. Und da fragt man sich schon, warum Herbert Wernicke diese Produktion in die Wiener Staatsoper verlegt hat, genauer gesagt in eine Mischung aus Orgelsaal und Saal für die Chorproben. Warum sind die neun Meister der Vergangenheit in Soutanen gekleidet, die den Kapellsängern gleichen? Warum tragen sowohl die italienischen als auch die spanischen Diener die selbe Uniform? Ich kann mir vorstellen, dass durch das Einheitsbühnenbild die damalige Direktion Geld sparen wollte (obwohl ich zugeben muss, dass der Effekt, wenn sich die Orgel öffnet, durchaus sehr ansprechend ist.


    Ein weiteres Plus der Produktion ist es, dass tatsächlich die Geschichte so erzählt wird, wie sie im Libretto steht – Hans Pfitzner ist ja ein durchaus nicht unumstrittener Mensch gewesen, dessen Weltanschauung nun – sagen wir es einmal so – schwierig ist. Ich gehe davon aus, dass die meisten Leserinnen und Leser sehr wohl wissen, dass im 21.Jahrhundert einige Straßen, die seinen Namen trugen, unbenannt wurden, dass die Stadt Wien im Jahre 2016 in der Pfitznergasse eine Zusatztafel montierte, wo geschrieben ist, dass er ein Antisemit und Verharmloser von NS-Verbrechen war. Es handelt sich dabei um die selbe Person, die ein Ehrenmitglied der Wiener Philharmoniker ist und der zum 125.Geburtstag von der Deutschen Post mit einer Sondermarke geehrt wurde, die 1925 den „Pour le Merite“ erhielt und 1917 zum Ehrenmitglied der Königlich Schwedischen Musikakademie wurde. Alles in allem scheint es, dass Pfitzner ein sehr komplexer Mensch war, der auch – trotz seiner Schriften – ein gutes Verhältnis zu jüdischen Künstlern hatte, vor allem zu Bruno Walter, der ja auch die Uraufführung von „Palestrina“ dirigierte und sich später im Rahmen der Entnazifizierungsprozess für den Komponisten erfolgreich einsetzte.


    Wie gesagt, Wernicke widmete sich also nicht der Biographe des Komponisten, sondern ganz und gar dem Werk. Dieses war in Wien sehr populär, an der Staatsoper gab es sieben verschiedene Produktionen mit über 130 Aufführungen.


    Insgesamt gibt es fast 40 kleinere und größere Rollen uns somit hat man die Möglichkeit, vielen Ensemblemitgliedern und einigen aktuellen Mitgliedern des Opernstudios zu begegnen,


    Es gibt drei Hosenrollen, und da stachen besonders Kathrin Zukowski als Ighino und bei ihrem Kurzauftritt als „Erscheinung der Lukrezia“ Monika Bohinec hervor. Sehr solide war auch Patricia Nolz als Silla, während Teresa Sales Rebordao, so wie auch weitere Mitglieder des Opernstudios, als Junger Doktor, ein erfolgreiches Rollendebüt gab.


    Um bei den Damen zu bleiben – Ileana Tonca bewies dass sie wahrlich eine Engelsstimme hat, unterstützt von den beiden anderen „Engelsstimmen“, Anna Bondarenko und Jenni Hietala.


    Bei den 9 Meistern stach – oh welch Überraschung – Clemens Unterreiner sowohl stimmlich als auch darstellerisch hervor. Neben einer weiteren kleinen Rolle als 1.Kapellsänger brillierte er im 2.Akt als Ercole Severolus, dem „Master of Ceremony“ des Konzils.


    In vielerlei Hinsicht erinnert mich der 2.Akt an Wagners „Meistersinger“ – man findet da (neben dem Monolog von Carlo Borromeo aus Akt 1 = Monolog Hans Sachs) thematisch den Einzug auf die Festwiese wieder, ebenso auch die Prügelfuge. Insgesamt war für mich der 2.Akt vom Libretto her das absolute Highlight – es gelang Pfitzner in brillianter Art und Weise, die damaligen politischen Strömungen herauszuarbeiten und auch immer wieder die teilweise Lächerlichkeit des Ringens um den „wahren Glauben“ vorzuführen. Es war fast eine Oper innerhalb der Oper, da die Messe, die Palestrina schreiben soll, zum Großteil nur im Rahmen eines Gesprächs zwischen Novagerio und Borromeo erwähnt wird.


    Bernardo Novagerio wurde hervorragend von Michael Laurenz verkörpert. Ich hatte ihn zuvor als Valzacchi, Goro oder Pedrillo gehört und war positive überrascht, wie sehr sich seine Stimme entwickelt hat. Auch schauspielerisch war er absolut top und er war äußerst wortdeutlich (es fällt übrigens auf, dass, wenn Thielemann am Dirigentenpult steht, sich die Sänger wirklich bemühen, noch deutlicher zu singen als normalerweise…). Es wird eine absolute Freude sein, ihn dann im Mai/Juni im Ring zu hören, nachdem er ja schon äußerst erfolgreich als Loge und Mime halbkonzertant in Dallas unter Fabio Luisi debütierte.


    Michael Nagy als Morone und Wolfgang Bankl als Madruscht beeindruckten durch ihre Bühnenpräsenz, während Wolfgang Koch, der in seiner Rolle als Carlo Borromeo im Vergleich zu früheren Rollen zwar solide, aber doch insgesamt ein wenig blass wirkte.


    Günther Groissböck erhielt bei seinem Solovorhang viel Zuspruch des Publikums – wobei die Hälfte ihn erst beim Schlussvorhang zu sehen bekam, da er aus einer Proszeniumsloge sang und es so nicht möglich war, Papst Pius IV. in aller Glanz und Herrlichkeit zu erleben.


    Als weiter Luxusbesetzung für den Graf Luna empfand ich Adrian Eröd, Hiroshi Amako stellte wunderbar witzig den Abdisu dar. Ein Pauschallob für die weiteren Protagonisten des Konzils – Michael Kraus, Jusung Gabriel Park, Matthäus Schmidlechner Michael Gniffke, Ivo Stanchev, Devin Eatmon, Andrew Turner, Ilja Kazakov und Markus Pelz,


    Seit der im Jahre 2019 den Don Ramiro in der Cenerentola sang, hat sich Michael Spyres stimmlich enorm weiterentwickelt. Mit Recht erhielt er von den Sängern den meisten Applaus. Ein schönes Timbres, sichere Acuti und auch viel Wärme in der Stimme. Sein „Deutsch“ ist akzentfrei und wirklich perfekt und vielleicht wird er die Lücke ausfüllen können, die der allzu früh verstorbene Johan Botha hinterlassen hat (die von Spyres gesungenen Partien wie Florestan, Bacchus oder Siegmund weisen darauf hin). Eine beeindruckende Leistung.


    Last but by far not least kommen wir nun zu dem Mann, ohne dem es diese Aufführungsserie überhaupt nicht gegeben hätte – wir sprechen von Christian Thielemann. Er setzt sich seit vielen Jahren für diese „Musikalische Legende“ ein (und wie auch bei Richard Wagner sollte man als Musikfreund das Werk vom Erschaffer trennen können). Jeder weiß, dass die Beziehung zwischen ihm und den Philharmonikern eine ganz Besondere ist. Und „Palestrina“ ist ja musikalisch in der Spätromantik zu verorten, die sicherlich zu den absoluten Stärken Thielemanns zählt. Obwohl gehandicapt (er konnte sich nur mit der Hilfe von Krücken fortbewegen), hielt er die 4 Stunden und 20 Minuten durch, trieb das Orchester der Wiener Staatsoper, Chor (Einstudierung Thomas Lang), Bühnenorchester und Extrachor zu Höchstleistungen an – und es gelingt ihm, wie schon oben erwähnt, immer wieder, auch bei den Sängern, ein bisschen mehr als sonst zu geben.


    Thielemann hat in Wien einen Status, dass er auch, wenn er „Alle meine Entchen“ mit einem Orchester, das nur aus Tschinelle und Maultrommel besteht, aufführen würde mit Ovationen bedacht wird – allerdings wären sie vielleicht auch in diesem Fall gerechtfertigt? Auf jeden Fall waren sie an diesem Abend angebracht und jeder kann dankbar sein, dass es ihm zu verdanken ist, dass eine neue Generation an Opernfreunden diese großartige Werk wieder in Wien genießen kann. Es bleibt nur zu hoffen, dass wir nicht wieder 23 Jahre auf die nächste Serie warten müssen.

    1. Es ist falsch, dass "Il trittico" in seiner Gesamtheit zum ersten Mal an der Wiener Staatsoper aufgeführt wurde. Anfang der 20er sowie Ende der 70er gab es bereits Produktionen, die das Werk vollständig präsentierten.

    2. "Il tabarro" und "Suor Angelica" sind keine Raritäten. Wenn man sich ernsthaft mit dem Genre Oper und maßgeblichen Interpreten beschäftigt, kommt man an diesem Stücken eigentlich nicht vorbei. Das "Trittico" wurde und wird an großen Opernhäusern immer wieder in Neuproduktionen und Repertoirevorstellungen gezeigt. Kürzlich brachten die Deutsche Oper Berlin sowie die Staatsoper Hamburg Neuproduktionen von "Il trittico" heraus.

    3. Das dritte Werk heißt "Gianni Schicchi".

    Mea culpa!!!

    Knappe 115 Jahre nach der Uraufführung in New York schaffte es das puccinische Tryptichon in seiner Gesamtheit endlich an die Wiener Staatsoper – und wenn man die drei Kurzopern gesondert betrachtet kann man durchaus nachvollziehen, dass zuvor nur „Gianni Schicci“ am Haus am Ring aufgeführt wurde.


    Puccini wollte an einem Abend ein tragisches, ein lyrisches und ein heiteres Stück kombinieren – ohne diese auch nur von der Handlung her im Geringsten miteinander in Verbindung zu bringen. Dass er mit „Schicci“ das Stück, das zumindest eine Arie beinhaltet, zum Schluss ansetzte, zeigte die „Theaterpranke“ des Komponisten, da dieses das Publikum dann mit einem heiteren Grundton (sofern das bei Puccini überhaupt möglich ist) in den Abend (nun, eigentlich in Wien in die Nacht…) entlässt.


    Henrik Ahr war für die Bühne verantwortlich und ließ sie fast vollkommen leer – was im Gegensatz zu überfrachteten Produktionen (z.B. La Traviata) sehr angenehm war. Oft war ein Sessel das einzige Requisit – und so konnte man sich auf die Musik und die (teilweise vorhandene) Personenführung der Regisseurin Tatjana Gürbaca konzentrieren. Die Kostüme waren von Silke Willrett entworfen und entsprachen dem Stil zu Mitte des 20. Jahrhunderts – was nicht wirklich störend war.


    Il Tabarro


    Der „tragische“ Teil behandelt ein Eifersuchtsdrama – junge Frau heiratet älteren Mann, das gemeinsame Kind stirbt kurz nach der Geburt, sie verliebt sich in einen jüngeren Mann und betrügt ihren Gatten, der erfährt davon, tötet den Nebenbuhler – Ende der Oper


    Was manchmal in drei Stunden abgehandelt wird, wurde da (angenehmerweise, da ehrlich gesagt die Charaktere nicht sehr ausdifferenziert geschrieben wurden) auf eine Stunde verkürzt.


    Michael Volle mutierte innerhalb zweier Tage vom rücksichtsvollen Färber aus „Frau ohne Schatten“ zum mit Recht eifersüchtigen Schiffer Michele. Er beherrschte das Geschehen und war sehr glaubwürdig. In diesem Teil war von Personenführung nicht wirklich viel zu sehen (kann auch Absicht gewesen sein) – die Regisseurin spielte teilweise mit Verdoppelung der Figuren (die von der Galerie Seite aus nur schwer zu erkennen waren). Anja Kampe konnte ihre dramatischen Fähigkeiten zur Geltung bringen, während Joshua Guerrero als Luigi eine etwas ungleichmäßige Leistung darbot – sehr guten Acuti folgten dann wieder so manche Passagen, an denen er mit der Lautstärke des von Philippe Jordan geleiteten Orchesters seine Probleme hatten.


    Hervorragend die Besetzung der kleineren Rollen – Monika Bohinec bewies wieder einmal, wie wichtig sie für das Haus ist (und dass sie sehr wohl auch andere Rollen als die diverser Hexen zu spielen und singen vermag), Dan Paul Dumitrescu spielte ihren Gatten (der allerdings die Liebe seiner Frau mit deren Kater zu teilen hat), Andrea Giovannini einen weiteren Arbeiter, der, um Michele zu zitieren „Trinkt, damit er seien untreue Frau nicht umbringen muss….“


    Der Liederverkäufer verkauft in dieser Produktion (auch?) Ballons, gesungen und gespielt vom Mitglied des Opernstudios Katleho Mokhoabane. Für die Bekleidung des im Hintergrund agierenden „Liebespaares“ war anscheinend doch kein Budget übrig, sodass Ted Black (ebenfalls aus dem Opernstudio) und Florina Ilie in Unterwäsche agieren mussten.


    Während das Libretto den Ausgang offen ließ (hier entdeckt Giorgetta die Leiche des Luigi unter dem des , der Oper namensgebenden, Mantels, schreit auf – Ende der Oper) verändert die Regisseurin hier das Ende. Im Original wird Luigi erwürgt, hier erstochen. Und dann schneidet sich Michele selbst die Kehle durch. Kann man machen, muss man aber nicht.


    Suor Angelica


    Diese Oper findet man wirklich relativ selten auf den internationalen Spielplänen – und das meiner Meinung nach mit Recht. Sie ist sicherlich sowohl vom Libretto als auch musikalisch der schwächste Teil des Abends.


    Kurz zum Inhalt – Vor 7 Jahren bekam eine Fürstentochter ein Kind, dieses wurde ihr weggenommen und Angelica wurde darob in ein Kloster gesteckt, weil sie Schande über die Familie gebracht hat. Fast forward zur „Gegenwart“ – Tante besucht sie und bringt Angelica dazu ihr Erbteil an ihre jüngere Schwester abzutreten, erzählt außerdem dass der Knabe seit zwei Jahren tot ist. Angelica vergiftet sich. Ende der Oper.


    Insgesamt ist der Aufbau der Oper nicht unähnlich dem dritten Akt der „Bohéme“ – es ist anfänglich ein Konversationsstück, das dann ins Tragische hineinkippt.


    Die Kostüme stören nicht, allerdings hat auch da die Regisseurin Änderungen im Ablauf inszeniert, die dem Text (und Originallibretto) nicht entsprechen. Andere Kollegen haben diese bereits beschrieben, daher spare ich mir dies.


    Eleonora Buratto, in Wien bekannt durch ihre Mozart- und Verdi-Rollen ist eine hervorragende Besetzung und lässt keine Wünsche übrig, Michaela Schuster überzeugt als gefühlskalte und berechnende Tante.


    Die weiteren, kleineren Rollen, wurden mit Mitgliedern des Ensembles, des Opernstudios und des Chors besetzt – zur Vollständigkeit seien die Künstlerinnen erwähnt – Monika Bohinec, Patricia Nolz, Daria Sushkova, Florina Ilie, Pittock Davidona, Charlotte Jefferies, Isabel Signoret, Anna Bondarenko, Mari Nakayama, Chalkia Antigoni, Svenja Kallweit und Arina Holcecek.


    Gianni Schicci


    Das Beste zum Schluss. Hier wurde eine Episode der „Divina Commedia“ des Dante Alighieri zum Vorbild genommen (und Librettist Giovacchino Forzano lässt ganz zum Schluss die Titelfigur de fact in den dritten Raum treten und sich bei Dante bedanken – ein sehr ungewöhnlicher, aber durchaus reizvoller Kunstgriff).


    Handlung – Reicher Mann (Buoso Donati) stirbt. Er enterbte die Familie, diese sucht nach einem Ausweg um doch noch ans Erbe zu kommen. Sie wenden sich an den „Zugereisten“ Gianni Schicci, der mit der Familie insofern was zu tun hat, indem sich ein Mitglied in dessen Tochter verschaut hat und Schicci den Ruf hat, in vielen Dingen sehr einfallsreicht zu sein. Schicci lässt, nachdem außer dem engsten Familienkreis noch niemand weiß, dass Donati tot ist, einen Notar rufen, gibt sich als Donati aus und diktiert ein neues Testament. Die „Filetstücke“ vererbt er sich selbst, wirft bis auf den zukünftigen Bräutigam seiner Tochter alle aus - nun „seinem“ - Haus, das Liebespaar darf bleiben, Lauretta begeht doch nicht Suizid (vorher droht sie ja damit – das ist der Inhalt der berühmten Arie „O mio babbino caro“), Ende der Oper.


    Die Titelfigur ist bei Ambrogio Maestri bestens aufgehoben – schon seit vielen Jahren erfreut er das Publikum mit seiner Interpretation diverser Buffo-Rollen. Die Spanierein Serena Sáenz bestach nicht nur durch ihr wirklich hervorragendes Aussehen (Soft Fact – sie hat auch eine Trainerlizenz als Fitness Coach), sondern auch mit ihrer lyrischen Stimme. Ich hörte zum ersten Mal ihre Arie in Zusammenhang mit der Oper – was einen komplett anderen Eindruck auf mich machte als wenn diese im Rahmen einer Operngala dargebracht wird. Im Musikfluss ging sie fast ein wenig unter – und erst die von Jordan eingelegte Pause nach der Arie animierte das Publikum zum Applaus


    Michaela Schuster war auch im dritten Teil zu sehen und zu hören und verkörperte auch da einen zweifelhaften Charakter – dieses Mal die gierige Cousine des Toten. Hervorragend gespielt und gesungen!


    Nun, in diesem Teil der Oper fand man (endlich) eine Personenregie! Mit Anklängen und entsprechenden Kostümen aus der Commedia dell’arte war es eine bunte und schwungvolle Stunde, die da geboten wurde. Um da jeden Regieeinfall wirklich genießen zu können, müsste man diesen Teil mindestens noch einmal sehen (allerdings sind halt davor die beiden anderen Teile durchzustehen..). Neben diversen Ensemble- und Chormitgliedern, angeführt von Clemens Unterreiner, Dan Paul Dumitrescu und dem Neuzugang Anna Bondarenko war wieder einmal Bogdan Volkov zu sehen, den ich noch in sehr guter Erinnerung als Lenski hatte – und der auch dieses Mal nicht enttäuschte.


    Meiner Meinung nach vollkommen unnötig waren die Anspielungen auf den Faschismus (die zumindest kurz gehalten wurden), da sie so überhaupt nichts mit der Handlung zu tun haben. Allerdings wurde bei diesem Teil des Tritticos die Handlung tatsächlich nicht verändert.


    Ein paar abschließende Bemerkungen – die Galerie war beim „Tabarro“ auf der Seite fast leer. In der ersten Pause strömten dann Heerscharen von Touristen herein, zum Großteil ältere Chinesinnen (die als erstes ihre Schuhe auszogen und dann im Schneidersitz auf den Stühlen saßen – meine Nachbarinnen…), bei denen ein Opernbesuch anscheinend am Programm stand und sie wahrscheinlich vom Abendessen nicht rechtzeitig wegkamen. Nach dem Ende des Abends verschwanden dann diese innerhalb von 20 Sekunden…


    Ich finde es gut, dass zwei Raritäten auf dem Spielplan zu finden sind – man sollte sich diese zumindest einmal anhören. In weiterer Folge kann man „Il Tabarro“ und „Suor Angelica“ wieder entsorgen und für den „Gianni Schicci“ – wie schon in der Vergangenheit – ein Stück finden, mit dem man diese Oper kombinieren kann.

    Lange Zeit habe ich in diesem Forum nichts geschrieben - einerseits fand ich wenig was mich an der STOP wirklich interessiert hat, andererseits habe ich mich mehr dem Jazz zugewendet und meine Sammlung auf jetzt ca. 1300 Platten aufgestockt - da gibt es wahrlich viel zu entdecken und zu lernen.


    Aber jetzt ->


    Madama Butterfly


    Wiener Staatsoper, 29.6.2023


    Es gibt Werke, die einem erst nach und nach ans Herz wachsen. Für mich gehört die „Butterfly“ dazu – was allerdings auch sehr viel mit der wunderbaren Produktion zu tun hat, die seinerzeit eingekauft wurde. Ursprünglich war es eine Koproduktion der Met, der English National Opera und des litauischen Nationaltheaters. Das Leading Team besteht aus Anthony Minghella (Inszenierung), Carolyn Choa (Regie und Choreographie), Michael Levine (Bühne) und Han Feng (Kostüme). Ganz wichtig in dieser Produktion sind auch die Puppenspieler (an diesem Abend – Eugenijus Slavinskas, Valentin Alfery, Emil Kohlmayr), die dem Kind von Cio Cio San wirklich Leben einhauchten und mit einer eigenen Peraönlichkeit erfüllten. Ursprünglich war das Blind Summit Theatre/Mark Down & Nick Barnes für die Regie der Puppenspieler verantwortlich.


    Minghella war unter anderem auch ein sehr erfolgreicher Filmregisseur (Der Englische Patient, Der talentierte Mr.Ripley), der mit seiner aus Hongkong stammenden Gattin Carolyn sowohl hinter der Kamera als auch für die Opernbühne beeindruckende Bilder gestalten konnte. Die farbenprächtigen Kostüme wurden – wie schon oben beschrieben – von Han Feng entworfen. Diese Designerin wuchs in Nanjing (China) auf, zog dann 1985 nach New York (wo sie eines ihrer 3 Modestudios unterhält) und wurde 1993 mit ihrer ersten Kollektion bekannt. In der Produktion der „Butterfly“ wagte sie sich zum ersten Mal an das Genre Oper – die Kostüme sind meistens bunt (vom Muster her nicht wirklich japanisch, aber okay…) und ein wahrer Augenschmaus.


    Was ist zum Bühnenbild und zur Regie zu sagen? Nun – es zeigt sich, dass man mit ganz wenigen Requisiten (davon am wichtigsten die immer verschiebbaren Shojis) auch eine intime Athmosphäre schaffen kann (man muss dazu halt nur die handwerklichen Fähigkeiten besitzen). Es wurde die Handlung aus dem Libretto erzählt (schlimm genug das extra betonen zu müssen…), einzig zu Beginn des zweiten Teils des zweiten Akts wurde eine Traumsequenz choreographiert, in der Cio Cio San ihr Schicksal vorausahnt.



    Nun aber zum musikalischen Teil des Abends – Antonello Manacorda am Pult des Staatsopernorchesters ließ – besonders im 1.Akt – die puccinischen Klangwellen etwas zu laut durch das Haus schallen – darunter litt besonders Andrea Giovannini, der als Goro manchmal schwer zu verstehen war. Allerdings konnte Manacorda aus dem Orchester den für Puccini so typischen Pathos herausholen – nicht zu viel, sondern genau die richtige Portion.



    Der Star des Abends war – was man am Schlussapplaus feststellen konnte – Boris Pinkhasovich als Sharpless. Er wird von Saison zu Saison besser und gehört meiner Meinung nach schon jetzt zu den absoluten Topstars seines Genres. Ein wunderbar nobler Bariton – man kann sich glücklich schätzen ihn immer wieder in Wien zu hören. 2018 hatte der Russe in Wien debütiert – und schon damals war ich von ihm begeistert…



    Benjamin Franklin Pinkerton – es gibt meiner Meinung nach wenige Figuren, die unsympathischer als dieser empathielose Feigling sind. Da fällt es sehr schwer, wenn wie an diesem Abend auch noch gut gespielt, die Figur von Sänger zu unterscheiden. Charles Castronovo hatte ich schon länger nicht mehr gehört und es überraschte doch, wie sehr seine Stimme größer geworden ist. Tolle Acuti, eine schöne Technik – leider wurde er zu Beginn der Oper vom Orchester ziemlich zugedeckt.



    Hiroshi Amako sang den Yamadori ohne besonders viel Eindruck zu hinterlassen, auch den Bonzen (Evgeny Solodovnikov) hatte ich schon beeindruckender in Erinnerung. Die weiteren kleineren Rollen wurden entweder von Mitgliedern des Staatsopernchors (es ist müßig zu erwähnen dass dieser naturgemäß perfekt von Martin Schebesta vorbereitet war).


    Die undankbare Partie der Kate Pinkerton wurde von Alma Neuhaus, einem Mitglied des Opernstudios, rollendeckend gesungen. Wie sich die junge Amerikanerin weiterentwickelt wird man dann nächsten Februar feststellen können, wenn sie im zweiten Durchlauf von „Il Trittico“ auf der Bühne steht.


    Für Szilvia Vörös ist die Rolle der Suzuki kein Neuland, da sie diese schon an der Oper in Budapest einstudiert und gesungen hatte, bevor sie 2018 in Wien engagiert wurde und seitdem zu den absoluten Stützen des Ensembles zählt (erinnern wir uns an ihre großartigen Auftritte in „Les Troyens“). Vörös gelang eine glaubwürdige Darstellung der Dienerin auf sehr gutem Niveau.


    Schlussendlich noch ein paar Bemerkungen zu Sonya Yoncheva – die zweifache Mutter ist zur Zeit in einer tollen Form und ihr gelang mit „Un bel di vendremo“ ein beeindruckender Höhepunkt des Abends. Man soll ja nicht vergleichen, aber für mich war sie glaubhafter als die Sängerin der Premierenserie (obwohl diese auch sehr gut war!). Und weiter mit den Vergleichen – stimmlich war sie für mich eine Mischung aus Freni und Callas, quasi „The best of two worlds“. Es ist schade, dass sie in der nächsten Saison in Wien nicht auftritt.


    Das Haus war voll, auch die Stehplätze – und es ging niemand zur Pause. Und ich möchte auch von einem persönlichen Erlebnis berichten. Ich nahm eine junge Frau mit, die noch nie in ihrem Leben in der Oper war und die „von Placido Domingo schon einmal gehört hat, aber nichts genaues weiß“. Lange Rede kurzer Sinn – sie berichtete mir, dass sie Gänsehaut hatte und (wie alle in meiner Umgebung) zum Schluss sehr wässrige Augen hatte. Sie war von der Produktion hingerissen, sagte mir dass sie mit so was nicht gerechnet hatte (z.B. dass Opernbesucher beim Schlussapplaus so aus sich herausgehen würden), die Musik toll war und wir das unbedingt wiederholen müssen (Karten fürs Elisir sind schon gekauft). Es geht doch – man kann eine 26jährige für Oper begeistern – wenn, ja wenn die Inszenierung stimmt. Wohin gehen junge Leute ins Theater? Richtig – ins Musical. Wie sind dort die Inszenierungen? Im besten Sinne „klassisch“. DAS wollen sie sehen, und keine Cerebralonanien von Regisseuren, die sich mit ihren Inszenierungen gut bezahlt selbst therapieren..

    Es wurde schon viel über die Inszenierung von Calixto Bieto geschrieben, immerhin ist diese ja auch schon um die 20 Jahre alt. Meine ersten Eindrücke davon kann man in meiner Besprechung der Aufführung vom 9.6.2021 nachlesen, jetzt noch ein paar Ergänzungen dazu.


    Im Gegensatz zu vielen Kolleginnen und Kollegen bin ich wahrscheinlich dem „Regietheater“ gegenüber aufgeschlossener, habe aber auch da meine Grenzen. Nun, Bietos Interpretation des Carmen-Stoffes ist keine romantische, im Gegensatz, er zeigt die Abgründe der Menschen auf. (Anmerkung – das zieht sich in seinem Schaffen durch die meisten seiner Inszenierungen; da kommt bei mir der Gedanke hoch, dass – ähnlich wie bei Woody Allen – Bieto den Vorteil hat sich selbst therapieren zu können und dafür auch noch bezahlt zu bekommen…). Also – kein buntes Treiben am Marktplatz von Sevilla, keine anheimelnde Lillas Pastia-Spelunke, keine zerklüftete Berglandschaft – sondern eine fast leere Bühne mit wenigen Versatzstücken, eine spanische Enklave in Nordafrika (gemäß der Aussage des Regisseurs).


    Ja, kann man so machen und (wenn man das Wort „Sevilla“ ändert) die Szenerie wirkt plötzlich „modern“. Die Besucher der Vorstellung müssen sich einen Ort in der Wüste vorstellen (in der es auch eine Stierkampfarena gibt … ja, nicht alles ergibt Sinn…) und schon sind gewisse Regieeinfälle nachvollziehbar.


    Das Leben eines Soldaten ist kein Honiglecken, besonders wenn es sich um Berufssoldaten handelt (Beispiel – die französische Fremdenlegion). Der junge Mann, der zu Beginn des 1.Aktes seine Runden drehen muss (bis er erschöpft niederbricht) zeigt dies. Glücklicherweise hat er sich dann bis nach der Pause im 2.Akt so weit erholt dass er sich dann gleich nackt auszog, eine Balletteinlage absolvierte (er dürfte einen Stierkämpfer dargestellt haben) und mit seinen Kronjuwelen herumwedelte… DEN Sinn dahinter habe ich nicht verstanden (was ich im Übrigen auch bei der Nemirova-Inszenierung von Macbeth nicht verstand, als sie König Duncan nackt über die Bühne tänzeln ließ, den „kleinen Duncan“ entblößend.


    Das Zusammentreffen der Autos in der Wüste – ja, das machte absolut Sinn für mich (siehe „Breaking Bad“) und die Massenszene zu Beginn des 4.Aktes war großartig – vom Publikum auch mit frenetischem Beifall bedacht.


    Elina Garanca – eine wunderbare Sängerin mit stupender Technik, einer dunkler gewordenen Stimme, einem betörenden Timbre -> und als Carmen in dieser Produktion absolut fehlbesetzt. Sie ist vom Typ her prinzipiell die kühle Blonde a la Hitchcock und kein rassige Südeuropäerin, da helfen auch rote und schwarze Perücken nicht. Und in dieser Inszenierung, die – wie oben beschrieben – die Abgründe der Menschen herausarbeitet und die Sänger zwingt, aus sich herauszugehen, war es ihr nicht möglich, dies auch irgendwie glaubhaft darzustellen.


    Piotr Beczala erhielt nach der Vorstellung mehr Applaus als „seine“ Carmen – das ist schon bemerkenswert. Ich finde, dass Beczala wahrscheinlich am Höhepunkt seiner Schaffenskraft ist. Neben berührenden Piani gelangen ihm auch fast heldenhafte Ausbrüche, er stellte auch das „Muttersöhnchen“ glaubhaft dar. Dies war ein Don Jose, der von Beginn des Stückes an schon verroht ist und seine Carmen schon im 2.Akt schlägt. Das Ende mit Schrecken konnte man da schon vorausahnen..


    In den anderen Besprechungen dieser Carmen-Serie kam der Darsteller des Escamillo, Roberto Tagliavini, nicht so gut davon. Dem möchte ich widersprechen, an diesem Abend empfand ich ihn vom sängerischen her als einen der besseren Sänger in dieser Rolle, die ich in den letzten 20 Jahren in Wien erlebt habe. Und ich wiederhole mich – Samuel Ramey ist er keiner – aber Tagliavini hat eine sehr gute Mittellage und ansprechende Tiefe. Ob man ihm den Torero/Schmuggler abnimmt? Na ja…


    Slavka Zamecnikova debütierte in der Rolle der Micaela zu Beginn dieser Serie und sie machte ihren Job gut, aber auch nicht mehr. Aber das ist vielleicht auch der Produktion geschuldet, wo Micaela nicht als das romantische und leidende Mädchen dargestellt wird. Dementsprechend ließ der Dirigent Yves Abel (der mit dem Staatsopernorchester großartig aufspielen ließ) bei ihrer Arie im 3.Akt fast das komplette romantische Beiwerk außen vor, was allerdings die Wirkung des Auftrittes da ziemlich schwächte.


    Maria Nazarova und Isabel Signoret waren rollendeckende Freundinnen der Carmen (wobei Signoret einen Tick glaubwürdiger wirkte), Carlos Osuna und Michael Arivony wurden an Stelle von Schmugglern in die Rollen von „Peitscherlbuam (= wienerisch für Zuhälter) gedrängt und zeigten ihr Talent ebenso wie die sehr glaubwürdig agierenden Ilja Kazakov (Zuniga) und Stefan Astakhov (Morales).


    Zuletzt möchte ich noch Yta Moreno erwähnen, der als Lillas Pastia eine Art Confrencier spielt und Lena Dobija. Sie stellt ein Mädchen dar (gibt es im Original nicht), das in dieser Gesellschaft keine Zukunft hat und schon ausgenutzt wird. Man kann sich denken, als was und wie sie dereinst enden wird.


    Insgesamt eine musikalisch zufriedenstellende Vorstellung, der aber das gewisse „Etwas“ in der Form einer glaubwürdigen Hauptdarstellerin fehlte. Und wenn man nicht in die Oper geht, um sonnendurchflutete Marktplätze und romantisierende Kostüme erwartet, sondern auch gewillt ist, ein wenig unter die Oberfläche der menschlichen Natur zu sehen, kann man mit der Produktion gut leben.

    Da der Juni für mich extrem anstrengend war kam ich erst heute dazu eine Rezension des neuen Wiener Giovannis zu schreiben -


    Don Giovanni


    Wiener Staatsoper, 6.6.2022


    So sehr ich den Kosky-Lohengrin seinerzeit ablehnte, so sehr gefällt mir die Produktion des neuen Don Giovanni. Barrie Kosky hat das Bühnenbild auf das Wesentlichste reduziert (ja, die „Mondlandschaft“ ist sicherlich nicht nach dem Geschmack des doch sehr konservativen Wiener Publikums) und die jungen Sänger bewegen sich – nun, wie sich junge Leute des 21. Jahrhunderts bewegen. Die Kostüme sind äußerst geschmackvoll.


    Dass das Libretto nicht 1:1 umgesetzt wird – ja, das könnte man bemängeln, allerdings wird die Geschichte wunderbar umgesetzt – und wie so oft kommt es auf die Details an. Mir gefiel schon die Fernseh-Übertragung sehr gut, das Live-Erlebnis hat meine Eindrücke bestätigt.


    Für mich am besten gezeichnet war die Figur der Donna Elvira. Ihre spontane Reaktion beim Wiedersehen mit Giovanni – sie „bespringt“ ihn quasi, ist zu 100% nachvollziehbar. Sie ist eine Romantikerin und liebt ihn, trotzdem er sie schmählich verließ, noch immer. Wäre so eine Reaktion zur Zeit des Entstehens der Oper möglich gewesen? Natürlich nicht, da die damaligen Sitten es verboten innere Gefühle nach außen zu tragen. Heutzutage ist das aber erlaubt und möglich. Die für mich stärkste Geste war allerdings im 2.Akt zu sehen, nachdem Elvira gewahr wird, dass sie Leporello für Don Giovanni gehalten hatte und mit ihm eine (oder mehrere) Stunde(n) im Dunkeln verbracht hatte. Wem ist aufgefallen, dass sie sich schockiert mit beiden Händen ihren Schambereich bedeckt? Wem ist aufgefallen, dass ihr Kleid gerade über dem Schambereich einen roten Fleck hat? Alleine diese (für den aufmerksamen Besucher beiläufige) Geste erzählt doch eine ganze Geschichte…


    Nein, ich widerspreche all den negativen Kritiken – diese Inszenierung ist großartig und ich freue mich schon auf die Neuinterpretation der beiden anderen Da Ponte-Stücke!


    Musikalisch war wenig auszusetzen. Phillipe Jordan versuchte einen Mittelweg zwischen der Leseart eines Harnoncourt und Muti – was zum Großteil auch gelang. Ich bevorzuge die eckigere Art der Interpretation, aber das ist Geschmackssache.


    Kyle Ketelsen überzeugte in seinem Schauspiel als die Titelfigur – er hat nur einen einzigen „Feind“ – nämlich sich selbst. Er hat keinerlei Gewissensbisse seine Umgebung zu manipulieren (und sein de facto Alter Ego Leporello zu drangsalieren). Rein optisch kann man nachvollziehen, dass alleine in Spanien mille tre Frauen auf ihn reinfielen. Ketelsen ist austrainiert, zeigte seinen Waschbrettbauch (viele andere Interpreten des Giovanni bestechen mit einem Waschbärbauch…). Gab es schon prägnantere Stimmen? Ja, allerdings sollte man das Gesamtpaket betrachten – und das war sehr gut.


    Zu dem selben Ergebnis muss man kommen wenn man über den Leporello des Abends, Phillipe Sly, urteilt. Wie es im 21.Jahrhundert üblich ist, verlangt die Regie von Sängern mehr als nur Rampensingen – und Sly erfüllte diese Anforderungen sehr, sehr gut. Ich las,dass sich einige Rezensenten darüber mokierten, dass er bei der Registerarie kein Buch in der Hand hatte. Geschenkt – Leporello hat alles memoriert – und sein präziser Umgang mit den Steinen war exzellent! Ist jemanden aufgefallen, dass er – je nach der Beschreibung der Frauen – mit verschieden großen Steinen hantierte? Und dass er, als er über die ganz jungen Mädchen sprach einen sehr großen Stein aufhob? Und dass darauf Donna Elvira den selben Stein aufzuheben versuchte? Es sind wieder diese Kleinigkeiten, die meine Begeisterung für diese Produktion rechtfertigen.


    Eine positive Überraschung war für mich Stanislas de Barbeyrac. Er hat eine Stimme, die man normalerweise bei den Sängern des Don Ottavio nicht gewohnt ist. Man findet schon ein paar heldische Anklänge – die perfekt zur Zeichnung der Figur passten. Viel aggressiver als gewohnt kann man sich den Ottavio doch einigermaßen als Gegenspieler von Giovanni vorstellen. Zu oft bekommt man Ottavios vorgesetzt, deren Stimme allzu lyrisch ist – und dann die Figur (auch abhängig von der Inszenierung) wie ein „Schwammerl“ aussehen lassen. Was dann die Frage aufwirft warum Donna Anna auf so einen Mann steht…


    Etwas enttäuscht war ich von Ain Anger, den ich stimmgewaltiger in Erinnerung habe bzw. ich mir von ihm eine bessere Entwicklung erwartete. Ich sehe ihn (noch) nicht als ideale Besetzung des Komturs.


    Die Donna Elvira ist für mich in vielerlei Hinsicht die wichtigste Frauenrolle des Stückes – und sie wird manchmal als Stalkerin inszeniert, manchmal als (relativ) minderbemittelte Adelige. Ich sah an diesem Abend eine junge Frau, sitzen gelassen, immer wieder getäuscht. Eine, die mit all ihrer Kraft zu verhindern versucht, dass andere Frauen ein ähnliches Schicksal wie sie erleiden. Sie liebe Giovanni trotz allem aufrichtig. Kosky hat sich meiner Meinung mit dieser Figur wirklich sehr auseinandergesetzt. Ich bin kein Stimmenexperte, aber ich denke, dass diese Rolle extrem schwer zu singen ist. So war auch Kate Lindsey stimmlich nicht 100%ig überzeugend (was sie in eine Reihe mit anderen Sängerinnen bringt – in den letzten 25 Jahren war ich nur von Soile Isokoski vollkommen überzeugt).


    Einen zwiespältigen Eindruck hinterließ bei mir auch Hanna-Elisabeth Müller. Schauspielerisch exzellent kamen einige ihrer Töne doch etwas scharf hinüber..


    Das Bauern-Paar wurde von jungen Ensemblemitgliedern verkörpert und wieder einmal bewies Patricia Nolz (aus dem Opernstudio) welch großes Talent sich in ihr verbirgt. Sie war gesanglich die beeindruckendste der Damenrunde. Wiederum ein „Hoch“ auf Kosky – was er in die Zerlina „steckte“ war phänomenal. Jede einzelne Geste und Bewegung erzählt eine kleine Geschichte. Man konnte genau erkennen, was sich da in ihr abspielte…


    Dass es Martin Häßler als Masetto neben ihr schwer hatte war dementsprechend nachvollziehbar. Doch er zog sich wirklich gut aus der Affäre.


    Zusammengefasst ist diese Produktion eine der besten, die ich den vergangenen Jahren gesehen habe. Ich möge zwar mit meiner Meinung alleine auf weiter Flur stehen – aber über Geschmack kann man ja bekanntlich nicht streiten!

    PRÄMISSE –

    • Ich zitiere den Dr. Schuster aus Thomas Bernhards „Heldenplatz“ (2.Aufzug) – „Manchmal gestatte ich mir eine Erregung“
    • Ich verbrachte meine ersten 30 Lebensjahre in Floridsdorf und Stadlau (für diejenigen, die Wien nicht so gut kennen – das sind Arbeiterbezirke/-viertel). Und man kann zwar den K.V. aus Floridsdorf rausbringen, aber nicht Floridsdorf aus dem K.V.
    • Dies ist bereits die dritte von mir geschriebene und entschärfte Betrachtung des Abends
    • Meine bisherigen Eindrücke zu den von mir besuchten Neuproduktion der Ära Roscic –
      • Hervorragend – Eugen Onegin, Madama Butterfly
      • Sehr gewöhnungsbedürftig (1 x genügt) – Die Entführung aus dem Serail, Macbeth
      • Interessant, ein neuer Blickwinkel – Carmen
      • Durchwachsen – Parsifal, Wozzeck

    Die Premierenkritiken waren doch eher durchwachsen, aber ich sah dem Abend im Prinzip positiv entgegen, obwohl es mir leid tat, dass die letzte Inszenierung, die mir persönlich sehr gut gefallen hat, abgesetzt und durch eine Neuproduktion unter der Federführung von Calixto Bieto ersetzt wurde. Richard Wagner hat den „Tristan“ ja nicht als Oper bezeichnet, sondern als „Handlung in drei Aufzügen“. Dementsprechend schwierig ist es, etwas Brauchbares auf die Bühne zu bringen – meines Erachtens nach wäre es für alle Beteiligten besser, das Werk konzertant aufzuführen (oder die Kosky-Inszenierung von „Macbeth“ zu verwenden – schwarze Bühne, schwarze Kostüme und zwei Sessel im Scheinwerferlicht…).


    Ich muss mich bei allen Abonnenten entschuldigen, dass ich nicht den ganzen Abend rezensiere, aber aus gesundheitlichen Gründen (Blutdruck) verließ ich die Vorstellung nach einigen Minuten des 2. Aufzugs – etwas, dass ich in meiner „Karriere“ als Opern- und Konzertbesucher erst ein Mal (bei der „Entführung aus dem Serail“ im Burgtheater) gemacht hatte – rein um meine Nerven zu schonen…


    Mein Eindruck der Produktion kurz zusammengefasst –


    (Ich kann den Cartoon leider nicht hochladen - es zeigt zwei Wiener an der Bar. Einer fragt "Und?", der andere antwortet "Oasch"


    … wobei ich zugeben muss, dass mir die ersten Minuten sehr gut gefallen haben – das von Philippe Jordan dirigierte Orchester der Wiener Staatsoper (für meinen Geschmack teilweise zu laut) führte das Vorspiel zum 1.Aufzug bei geschlossenem, schwarzen Vorhang auf (kurz vor dem Einsetzen des ersten Taktes wurde der Saal komplett verdunkelt!). Das waren eindeutig die besten Minuten des Abends (okay, zumindest so lange ich anwesend war).


    Dann fing es schwach an und ließ stark nach.


    Der erste Aufzug spielt – zumindest steht es so im Libretto – auf einem Schiff, das Isolde von Irland nach Cornwall bringen soll. Bieto und die Bühnenbildnerin Rebecca Ringst haben die Handlung anscheinend, den Kostümen von Ingo Krügler nach zu schließen, in die zweite Hälfte des 20.Jahrhunderts verlegt. Kann man machen, muss aber nicht. Bis jetzt weiß ich nicht, ob die Handlung auf dem Deck eines Kreuzfahrtschiffs oder auf einem Kinderspielplatz angesiedelt ist – man sieht viele, von Kindern besetzte Schaukeln (gut, zumindest saßen sie nicht auf Koffern, die vor einigen Jahren sehr en vogue waren), und der ganze Bühnenboden war mehr oder minder mit Wasser geflutet. Aus diesem Grund mussten alle Protagonisten Plastikstiefel tragen. Positiv fiel mir auf (und ja, das ist wirklich so gemeint!), dass die beiden Frauen rothaarig waren (eine in Irland durchaus nicht seltene Haarfarbe) und ihre Kleider die der „grünen Insel“ entsprechende Farbe hatten.


    Kurwenal (Iain Paterson) dürfte sich aus dem seinerzeitigen Archiv der Creditanstalt bedient haben – ich erinnere mich deutlich, dass die Kollegen dort ebenfalls graue Mäntel in dieser Facón trugen. Spielte er einen Archivar?!??


    Ich kann mir vorstellen, wie unangenehm es für Sänger sein muss, 90 Minuten lang im Wasser liegen zu müssen – dieses Schicksal musste Andreas Schager, der im 1.Aufzug eine überragende Leistung bot, ertragen. Dann musste er von Martina Serafin, deren Stimme etwas flackerte, eine „g’sunde Watschn“ einfangen, riss sie darauf an den Haaren, und wurde wieder ins Wasser gestoßen. Dieses dürfte allerdings doch eine angenehme Temperatur haben, weil sich auch die Isolde darin wälzte. Das fand übrigens schon statt, bevor im Libretto der Liebestrank zu sich genommen wurde. Den virtuellen Liebestrank – aus heiterem Himmel (Brangäne verbrachte die Zeit damit im Hintergrund zu schaukeln) – schlürfte die Isolde aus den Handflächen des Tristan (und beide waren darob so entzückt, dass sie sich wieder diversen Wasserspielen hingaben).


    Soweit zum 1.Aufzug


    Ekaterina Gubanova wechselte im 2.Aufzug ihre Rolle. Vorher noch als Brangäne auf der Bühne, spielte sie nun die Jellosubmarine (dem geneigten Asterix-Leser als Frau des Fischhändlers Verleihnix bekannt) und begann unmotiviert Fische zu tranchieren.


    Beim Liebesduett wurden Tristan und Isolde in zwei große Schachteln gesteckt, sie konnten einander nicht sehen. Wahrscheinlich aus Frustration ob dieser Tatsache begannen sie, die Einrichtungen zu zerstören und Tapten herunter zu reißen.


    .. und dass war dann der Augenblick, in dem ich die Vorstellung verließ.


    Der Floridsdorfer in mir sagt „Verarschen kann ich mich selber, da brauche ich mir nicht stundenlang diesen Sch… anzuschauen“


    Kurt Vlach

    Betrifft – Wozzeck am 3.4.2022 / Staatsoper Wien


    Sehr geehrter Herr Simon Stone !


    Ich wende mich an Sie mit einigen Fragen zu der oben angeführten Produktion – ich hoffe, dass Sie die Zeit haben werden diese bei Gelegenheit zu beantworten.


    Da wir uns persönlich nicht kennen möchte ich mich kurz vorstellen – ich bin ein regelmäßiger Besucher der Wiener Staatsoper, zahle meine Eintrittskarten selbst und stimme daher mit meinem eigenen Geld ab – ich nehme mir das Recht heraus nur Produktionen (wieder) zu besuchen, die mir auch gefallen (aus diesem Grund genügte mir die TV-Übertragung der Traviata – ich möchte nicht unbedingt Geld ausgeben um die Violetta in Gummistiefeln vor einem Traktor zu sehen). Da ich das Stück auch gut kenne (ich bin nach wie vor ein großer Freund der vorherigen Inszenierung) schaute ich mir auch nicht diverse Einführungsvideos an – warum auch? Wie schon angesprochen, ich kenne das Stück und mir sind auch einige Anekdoten von der Wiener Erstaufführung bekannt, wo ein Philharmoniker seinerzeit meinte „Bei der Oper müssen’s nach dem ersten Akt neue Freikarten ausgeben“. Sie wissen wahrscheinlich (ich bin mir nicht sicher, ob Sie als Regisseur die musikalische Struktur der Oper interessiert), dass sich der erste Akt aus fünf Charakterstücken zusammensetzt, zu denen Suite, Passacaglia und Rhapsodie zählen, der zweite Akt de facto eine fünfsätzige Symphonie ist und der dritte Akte aus sechs Inventionen besteht. Dass Alban Berg nur 15 von insgesamt 27 Szenen aus Georg Büchners Theatermanuskript verwendete und diese mit insgesamt 12 Verwandlungsmusiken miteinander verknüpfte. Aber ich schweife ab..


    Nun zu meinen Fragen bzw. Anmerkungen.


    Muss man das Stück von Büchner, das in den 1820er-Jahren spielt, unbedingt in die Jetztzeit transportieren? Klar, man kann das machen, allerdings – und vielleicht bin ich da ein bisserl beckmesserisch – sollte man da (wenn es nun wirklich sein soll) den Text nicht komplett außer Acht lassen. Ich muss Ihnen zugestehen, dass dies großteils gelungen ist, aber leider nicht immer. Und so wurde von Ihnen eine der erschüttersten Schlussszenen der Operngeschichte meiner Meinung nach vollkommen in den Sand gesetzt.


    Ist es nicht so, dass die Kinder dem Sohn der Marie zurufen – „Du! Deine Mutter ist totl!“. Und dieser reitet auf einem Steckenpferd und antwortet darauf „Hopp, hopp. Hopp, hopp. Hopp, hopp.“ Also, in der Vorgängerinszenierung wurde man vom Grauen erfasst. Nun sind Steckenpferde im 21. Jahrhundert – zumindest in unseren Breiten – schon längst „out“, wie man auf Neudeutsch sagt. Der Spielzeug-Feuerwehrwagen als Ersatz? Perque??? Das geht doch nicht zusammen – konsequenterweise hätten Sie dann das Kind gleich „Tatü Tata“ sagen lassen können (was es sogar im korrekten Rhythmus sprechen hätte können). Ich meine – wenn schon, denn schon. Man kann nicht nur ein bisserl schwanger sein…


    Anderes ist Ihnen sehr gut gelungen – das muss ich sehr wohl zugestehen. Die erste Szene im Rasiersalon passt (obwohl, wenn Sie konsequent gewesen wären, es in Wien hauptsächlich sogenannte „Barber-Shops“ gibt – die entsprechende Einrichtung wäre von Ihrem Bühnenbildner Bob Cousins eigentlich leicht herzustellen gewesen), ich mochte wirklich den Einsatz der Drehbühne (ja, mit Einschränkungen – weniger wäre da mehr gewesen) und fand die Szenen, in denen sich Wozzeck den Verrat, den Marie mit dem „Tambourmajor“ begeht, eindringlich dargestellt. Überhaupt konnte ich mit der Wohnung recht viel anfangen – das ist Ihnen gut gelungen!


    Die Szene am Arbeitsamt – nun, im Prinzip gut gelungen (aber zu viel Rotation!!), aber (und Sie wissen, alles was vor einem „aber“ kommt, zählt im Prinzip nicht) – da stimmte einfach die Umgebung mit dem Test nicht überein. Klar, Stecken Schneiden gehört heutzutage nicht unbedingt zu den Tätigkeiten, die man so macht… Und überhaupt – wollten Sie andeuten, dass Wozzeck illegal arbeitet? Oder ist sein Job im Rasiersalon einer, wo er geringfügig beschäftigt ist? Das ergibt dann doch einen Sinn…


    Die Szene beim Doktor – glauben Sie mir, ich hatte im Vorjahr eine Darmspiegelung (ja, zu viel Information) und ein Patient wird dabei sediert, weil das doch sehr unangenehm ist. Wollten Sie damit andeuten, dass der Arzt ein Sadist ist und Wozzeck eine masochistische Ader hat? Ich bitte Sie um Erleuchtung dazu! Und glauben Sie mir, unter Tags pinkelt man in Wien nicht mitten auf die Straße (kann nach Mitternacht bei entsprechendem Alkoholkonsum durchaus passieren – aber ich denke nicht, dass diese Untersuchung nach Mitternacht stattgefunden hat).


    Kollegen von mir, die Ihre Produktion rezensierten, mokierten sich auch darüber, dass sie die Szene mit dem Hauptmann, dem Arzt und Wozzeck in einem Fitnessstudio spielen ließen. Also ich fand diese recht witzig. Klar, Wozzeck kann sich eine Mitgliedschaft dort nicht leisten, aber vielleicht ist er ja dort „schwarz“ als Putze angestellt. Wollten Sie das damit andeuten? Da bitte ich auch um Antwort!


    Herr Stone, kennen Sie das Wiener U-Bahn-Netz? Ich nehme an „nein“, weil sonst hätten sie niemals die Station in Simmering (da komme ich manchmal vorbei) als Sandlertreff inszeniert. Und was ritt sie als sie ein Gschnasfest mit Plüschhäschen dem Publikum zumuteten? Ich bitte Sie da auch um Erklärungen.


    Wo spielte eigentlich die Szene des Mordes? Viele tippen auf die Donauinsel, könnte es auch der Laaerberg gewesen sein? Egal, aber warum entsorgte Wozzeck die Marie nicht im Wasser? Warum ließen sie ihn in einen Kanal (?? – zumindest sah ich da einen Deckel) fallen und dort ertrinken? Warum wurde er dann mittels ?? (was weiß ich) emporgehoben und sah dann wie ein Gekreuzigter aus? Fragen über Fragen – und wieder einmal bitte ich sie um eine logische Erklärung.


    Aber ich möchte mit etwas Positivem in Bezug auf die Inszenierung enden – dem Würstelstand, wo es Marie und der Tambourmajor (okay, ein Polizist – genauso wie der Hauptmann – soll sein..) öffentlich ziemlich trieben. Diese Szene ist sogar realistisch. Vor vielen Jahren beobachtete ich dies am Franz-Jonas-Platz in Floridsdorf – na, da hab‘ ich aber geschaut! Ich möchte Ihnen da eine kleine Geschichte erzählen. Auf ebendiesem Hotspot gab es zwei Würstelstände. Einer, der „Pohlenz“ bei der BAWAG, dann über die Straße am Pius-Parsch-Platz den anderen, „Otto“ genannt. Den gemeinen Floridsdorfer konnte man zu dieser Zeit in zwei unterschiedliche Spezies einteilen. Es geht da um das Kulturgut des „Kleinen Mannes“ – die Burenwurst. Man ging entweder zum Pohlenz auf „a Haaße“ oder eben zum Otto – es war absolut unmöglich einmal beim einen und dann wieder zum anderen zu gehen. Ich war ein „Pohlenz-Floridsdorfer“ – und wenn ich manchmal mit einem Freund, ein „Ottoianer“ spätabends Gusto auf eine Wurst hatte, dann trennten sich für 15 Minuten unsere Wege, weil man seinem Würstelstand einfach nicht untreu wurde!


    Nach diesem Exkurs wieder zum Gesehenen und Gehörten. Ich unterstelle Ihnen, dass sie der letzten Aufführung dieser Premierenserie nicht mehr persönlich beiwohnten. Deshalb, und ich hoffe, dass sie das interessiert, noch einige Worte zur (gar nicht so unwichtigen 😉 ) musikalischen Seite des Abends.


    Wie schon oben erwähnt stand das Orchester der Wiener Staatsoper dem Stück anfangs sehr kritisch gegenüber, aber anscheinend wächst ihm offenbar gerade das besonders ans Herz, was es zuerst am vehementesten ablehnt. Es gibt ja von ihnen zwei Gesamtaufnahmen, die gute unter Christoph von Dohnanyi und die außergewöhnlich unter Claudio Abbado, von der es ja auch eine DVD gibt. Auch an diesem Abend zeigten sich die Philharmoniker von ihrer besten Seite, angeführt vom Dirigenten Philippe Jordan, der sehr sängerfreundlich dirigierte. Dies war teilweise auch darauf zurückzuführen, dass der Wozzeck dieser Premierenserie, Christian Gerhaher, ein hervorragender und extrem wortdeutlicher Liedersänger ist, aber nicht unbedingt das „Organ“ für ein Haus wie die Staatsoper hat. Ich empfand auch die Personenführung etwas – nun, ich möchte sagen, „beiläufig“. Die gequälte Kreatur der „armen Leut“ habe ich schon besser dargestellt gesehen.


    Anja Kampe blieb etwas blass – und ja, auch da fehlte es mir an der Eindringlichkeit, zur der Sie die Sängerin durch entsprechendes Verhalten auf der Bühne eigentlich hätten führen müssen.


    Jörg Schneider war ein guter Hauptmann (der mir allerdings in der Salome besser gefallen hat), eine tolle Leistung erbrachte als Narr Thomas Ebenstein. Positiv empfand ich die Leistungen von Peter Kellner und Stefan Astakhov als 1. und 2. Handwerksbursch. Auch Josh Lovell als Andres wusste zu gefallen.


    Dmitry Belosselskiy war ein solider Doktor (mehr nicht), ebenso hinterließ Margaret Plummer keinen bleibenden Eindruck. Schlussendlich wäre da noch der Tambourmajor Sean Pannikar zu erwähnen – der gut gewachsen ist und man nachvollziehen konnte, dass die Marie auf ihn „abfährt“, um es im Dialekt der Wiener Vorstand (bzw. der Arbeiterbezirke) zu sagen. Gesanglich blieb er „rollendeckend“.


    So – das wäre es im Großen und Ganzen, was ich Ihnen schreiben wollte. Ob ich mir diese Oper in Ihrer Produktion noch einmal anschauen werde mögen Sie sich fragen? Trotz aller Einwände ja – aber nicht unbedingt wegen Ihrer Inszenierung.


    Nichts für ungut, ich hoffe, dass Sie mir die eine oder andere Frage beantworten können und verbleibe


    mit freundlichen Grüßen


    Kurt Vlach

    Hila Fahima - (Sopran) #2419


    In einem anderen Thread wurde Hila Fahima erwähnt - ich habe vor einigen Jahren mit ihr ein Interview geführt, das ich Euch nicht vorenthalten will ->

    Hila FAHIMA – „Ich wurde als Sängerin geboren“

    11.11.2014 | Allgemein, INTERVIEWS, Sänger

    „Ich wurde als Sängerin geboren!“ – Interview mit Hila Fahima / November 2014


    Im Februar 2015 wird Hila Fahima an de Wiener Staatsoper bei der neuen Produktion des Rigoletto die „Gilda“ singen, nachdem sie in der Dezember-Premierenserie als Cover für Frau Morley vorgesehen ist. Merker-Redakteur Kurt Vlach hat die junge israelische Sängerin zum Interview gebeten.


    KV – Ihre Homepage ziehrt ein Zitat von Leonard Bernstein – „Music is something terribly special ,it doesn’t have to pass through the censor of the brain before it can reach the heart.”

    Hat Ihre Agentur das ausgesucht oder sind Sie für diese Auswahl verantwortlich gewesen?


    HF – Diesen Spruch habe ich ausgesucht. Schon von ganz klein an wollte ich Sängerin werden. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich als Sängerin geboren wurde, es ist ein Weg, das Leben zu leben.

    Hila Fahima wurde im Mai 1987 in Israel geboren. Ihr Vater stammt aus Frankreich, seine Eltern kamen aus Portugal und Marokko, ihre Mutter hat jemenitische Vorfahren und ist eine „Sabre“, was bedeutet, dass sie bereits in Israel geboren wurde. Aufgewachsen ist sie in Karmi’el, einer recht jungen Stadt (sie wurde erst 1964 gegründet) in Nordisrael, ungefähr 20 Kilometer von Akko entfernt. Bekannt wurde Karmi’el durch das jährlich stattfindende, internationale Tanzfestival, bei dem drei Tage und drei Nächte Aufführungen diverser Tanzstile (klassisches Ballett, Folklore, Modern Dance) zu sehen sind.


    KV – Sie sprechen wahrscheinlich verschiedenste Sprachen?


    HF – Nun, ich beherrsche natürlich hebräisch, englisch und jetzt auch deutsch. An meinen italienischen Sprachkenntnissen arbeite ich noch, Obwohl mein Vater gebürtiger Franzose ist, habe ich diese Sprache leider nicht zu Hause gelernt.


    KV – Sind Ihre Eltern sehr musikalisch und wie hat Ihre Ausbildung ausgesehen?


    HF – Meine ältere Schwester ist ein Mezzosopran und wir begannen in einem Chor zu singen. Schon bald erkannte eine Lehrerin mein Talent und hat meine Eltern überredet, mir eine Gesangsausbildung zukommen zu lassen. Meine erste Lehrerin in Karmi’el war Marie Claire, ich begann bei ihr, als ich zehn Jahre alt war. Schon bald übernahm ich auch Soli und hatte viele Auftritte – nicht nur in Israel, sondern auch unter anderem in London und in Mailand. Schon mit 12 Jahren erhielt ich dann Stipendien der America-Israel Cultural Foundation, die mich die nächsten sechs Jahre unterstützte.

    Nach meinem Schulabschluss mit 18 Jahren musste ich – wie es bei uns üblich ist – für zwei Jahre zur Armee. Allerdings brauchte ich da nicht an die Front, sondern war als Sängerin aktiv und hatte dann Auftritte bei diversen offiziellen Anlässen. Parallel zu meinem Wehrdienst begann ich meine Ausbildung an der Jerusalem Rubin Academy für Music and Dance. Dort waren meine wichtigste LehrerinAgnes Massini. Ich schloss dann mein Studium mit 22 Jahren ab und wurde Mitglied des Opernstudios der Israeli Opera in Tel Aviv, wo ich ein Jahr tätig war.


    An der New Israeli Opera trat ich dann unter anderem als Amore in Orfeo ed Euridice auf und in „Alice in Wonderland“. Dieses Stück wurde von David Sebba geschrieben – und die Rolle der „Alice“ hat er für mich geschrieben, was toll war, da er die Tessitura auf meine stimmlichen Fähigkeiten abgestimmt hat!


    KV – Sie gewannen kurz darauf den 1.Preis der DEBUT Opera Competition in Weikersheim– wie kam es dazu?


    HF – Ich fand eines Tages in meiner Benachrichtigungsschachtel im Opernstudio einen Flyer für diesen Wettbewerb. Jeder von uns hatte diesen Flyer erhalten. Ich bewarb mich, wurde eingeladen und – gewann !!


    Auch auf Grund dieses Erfolges folgte dann mein nächster Schritt. Ich hatte ein Vorsingen bei der Deutschen Oper Berlin und erhielt dann einen Dreijahresvertrag und das Stipendium des Förderkreises der DOB.


    KV – Ich schätze Sie als sehr Heimat verbunden und familienorientiert ein. Wie war für Sie der Schritt nach Europa?


    HF – Ich kam in eine für mich komplett neue Welt. Zu dieser Zeit sprach ich noch kein Wort deutsch, ich kannte niemanden in Berlin, niemand dort kannte mich. Allerdings begleiteten mich meine Eltern und halfen mir, eine Wohnung zu beziehen, diese einzurichten. Das minderte meinen „Kulturschock“ auf jeden Fall!


    Während meiner Zeit an der DOB war ich 40-45 Abende pro Saison angesetzt, in der Zwischenzeit lernte ich neue Rollen. Ich trat in Berlin unter anderem als Königin der Nacht, Barbarina, Najade, Semele (Liebe der Danae) – da gibt es übrigens eine Aufnahme, die auf NAXOS erschienen ist -, Roggiero (Tancredi) und Nanetta auf. Donald Runnicles war derjenige Dirigent, bei dem ich am meisten gelernt habe. Er ist ein phantastischer Musiker und bringt Sänger dazu, sich wirklich mit dem psychologischen Hintergrund der Figuren zu beschäftigen.


    Ich hatte heuer die Ehre, mit Runnicles bei den Proms aufzutreten. Meine Rolle war die des Hirten in Tannhäuser. Zuerst dachte ich, dass das recht einfach zu singen ist, doch Maestro Runnicles zwang mich dazu, die Rolle wirklich zu hinterfragen – und das hatte schlussendlich auch Auswirkungen auf meine Interpretation. Ich habe bei ihm auch eine Masterclass belegt. Eine weitere schöne Zusammenarbeit mit ihm war die Aufführung der Zauberflöte im August 2014, die in Berlin auf der Waldbühne stattgefunden hat.

    Hila Fahima Photo: Marco Borggreve

    KV – Ein großer Erfolg für Sie war auch der Gewinn des Publikumspreises 2013 im Rahmen der „Stella Maris Competition“. Können Sie uns da nähere Informationen dazu geben?


    HF – Das war ein sehr interessantes und schönes Erlebnis. Der Bewerb fand auf einem Kreuzfahrtschiff statt, das im Norden Europas unterwegs war und uns bis nach Spitzbergen führte. Es waren insgesamt sieben TeilnehmerInnen anwesend, die von Opernhäusern nominiert worden sind. Ich habe damals die Deutsche Oper Berlin vertreten. Jeder Teilnehmer musste in allen Kategorien – Operngesang, Oratorium und Liedgesang – antreten. In der Jury saß unter anderem auch Michael Schade. Was wirklich nett war ist, dass man die Kreuzfahrtteilnehmer schon beim Frühstück getroffen hat und diese mir immer viel Glück für den Tag gewünscht haben!


    KV – Zu diesem Zeitpunkt hatten Sie aber schon das Vorsingen an der Wiener Staatsoper hinter sich, oder?


    HF – Ja, in Wien hatte ich bereits im November 2012 vorgesungen und einen Vertrag für die Saisonen 2013/14 bzw. 2014/15 erhalten. In der Zwischenzeit wurde mein Vertrag schon bis 2017 verlängert, was mich sehr freut, da ich diese Stadt schon liebte, seitdem ich sie als Kind mit meinen Eltern zum ersten Mal besucht habe!! Wien war für mich damals wie ein Traum…


    KV – Sie fühlten sich im Ensemble in Berlin sehr wohl, warum wollten Sie trotzdem wechseln?


    Ich war in Berlin „nur“ eine Opernstudio-Stipendiatin und ich denke, dass es für junge Menschen sehr wichtig ist, möglichst viel von der Welt zu sehen und sich immer neuen Aufgaben zu stellen. Daher war ein „Tapetenwechsel“ für mich wichtig. Erst dann, wenn man vielleicht schon eine Familie hat ist es an der Zeit sesshaft zu werden. Ich selbst möchte irgendwann einmal zwei bis drei Kinder haben – zu Hause in Israel haben wir eine ganz große Familie – und da ist immer war los! Allerdings kann ich mir auch gut vorstellen, in Wien meine Wurzeln zu schlagen, da die Stadt einfach unglaublich toll ist!!


    KV – Was ist für Sie der Unterschied als Ensemblemitglied zwischen der DOB und der Staatsoper?


    HF – Ich finde die Unterschiede gar nicht so groß. In beiden Häusern versucht jeder Sänger sein Bestes zu geben. Der für mich größte Unterschied ist das Faktum, dass ich in Wien immer gleichzeitig drei Partien einstudieren muss (aktuelle Aufführung, zukünftige Rolle und auch als Cover für Kolleginnen). Das war in Berlin nicht der Fall.


    KV – Sie verkörperten die Barbarina an der DOB und auch beim Gastspiel der Staatsoper in Deutschland.


    HF – Das ist ein Charakter, der mir sehr zusagt. Es ist aber gar keine so leichte Aufgabe, da man da lange Wartezeiten hat und bei den Auftritten dann meistens im Mittelpunkt zu stehen hat.


    KV – Trotz Ihrer Jugend wurden Sie schon zu einigen Festivals eingeladen und sind auch bei Konzerten aktiv.


    HF – Ich sang schon mit 22 Jahren in Glyndebourne vor und diesen Sommer sang ich dort La Pastourelle/L’Efant et Les Sortiléges. Das war eine wirklich schöne Erfahrung, da dort das Publikum ganz anders ist als wie zum Beispiel in Wien oder Berlin. Dort ist die Opernaufführung in einen schönen Urlaubstag mit Picknick auf der Wiese eingebunden, die Atmosphäre ist viel entspannter.


    Ich gastierte bei Galakonzerten mit verschiedenen Philharmonie-Orchestern und gab auch Liederabende in Tokyo, London, Zürich und auch in Jerusalem. Es ist für mich immer ein ganz tolles Erlebnis, wenn ich „zu Hause“ singen kann. Ich trat heuer als „Oscar“ in Tel Aviv auf. Die Zuschauer dort sind wirklich sehr stolz, wenn israelische Sänger auch internationale Karriere machen.


    KV – Einen großen persönlichen Erfolg konnten Sie auch als Einspringerin in Graz Erlangen.


    HF – Einen Tag vor der Premiere wurde die Sängerin der „Königin der Nacht“ krank. Direktor Meyer war wirklich sehr zuvorkommend und gab mir diese Chance und natürlich half er der Oper in Graz. Ich hatte nur eine einzige Probe, wo ich das Regiekonzept kennen lernte. Ich musste da über den Unterboden als Schlange verkleidet auf die Bühne kriechen und bei dieser Probe verhedderte sich mein Kostüm und ich blieb stecke – und kam daher zu spät auf die Bühne. Ich war dann wirklich nervös, ob bei der Premiere alles gut gehen wird. Aber da gab es dann keine Probleme!


    KV – Sprechen wir einmal von der nahen Zukunft. Morgen beginnen die Proben für die Neuproduktion des Rigoletto. Sie haben zwar die Gilda schon im Rahmen von einigen Konzerten gesungen, allerdings wird das ihr Rollendebüt in einer großen Verdi-Rolle. Sie haben auch recht kurzfristig erfahren, dass sie den Part übernehmen werden. Wie haben sie auf die Nachricht reagiert und wie bereiten Sie sich da vor? Gibt es Vorbilder, an die Sie Ihre Interpretation anlehnen werden?


    HF – Als mir Direktor Meyer eröffnete, dass er mir diese wunderbare Chance gibt, war ich total aus dem Häuschen und auch sehr dankbar dafür! Die „Gilda“ war immer schon eine meiner Traumrollen, seitdem ich mit 16 Jahren die Oper zum ersten Mal gesehen habe. Was Vorbilder betrifft, höre ich mir sehr wohl Aufnahmen ausgewählter Sängerinnen an, weil ich an Hand der Interpretationen auch viel über den Charakter der Figur lernen kann. Ich finde die Interpretation von Edita Gruberova hinreissend, mir gefallen auch Anna Moffo und Maria Callas. Aber selbstverständlich versuche ich aus dem Gehörten die Sachen mitzunehmen, die mir dann helfen, eine eigene Rollengestaltung zu erarbeiten. Ich freue mich schon sehr auf die Zusammenarbeit mit Maestro Chung und den anderen Kollegen. Es sind schon alle in Wien und wir werden sehr intensiv arbeiten.


    KV – Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?


    HF – Wo ich in fünf Jahren leben werde, das weiß ich nicht. Aber wie gesagt, ich liebe Wien und kann mir gut vorstellen, hier zu bleiben. Auf jeden Fall möchte ich viel in Israel singen, glücklich bleiben, meine Familie öfter sehen. Was Rollen betrifft, so hoffe ich auf die Sophie im Rosenkavalier, die Lucia di Lammermoor, Lakmé und Olympia – das typische Repertoire für einen Koloratursopran. Das ist meine Stimmlage und ich möchte nicht den Fehler begehen, Rollen zu singen, die meiner Stimme nicht gut tun.


    KV – Zum Abschluss noch die 10 Fragen des Bernard Pivot –


    1) Was ist Ihr Lieblingswort?


    Harmonie


    2) Welches Wort mögen Sie am wenigsten?


    Furcht


    3) Was gibt Ihnen ein gutes Gefühl?


    Der gute Geschmack und der Geruch von einem Gericht, das meine Mutter gekocht hat


    4) Was gibt Ihnen ein schlechtes Gefühl?


    Zigaretten


    5) Welches Geräusch oder welchen Lärm mögen Sie?


    Das Lachen von Kindern


    6) Welches Geräusch oder welchen Lärm mögen Sie nicht?


    Wenn man in der Früh noch schläft und jemand in der Nachbarwohnung zum Bohren anfängt


    7) Was ist Ihr Lieblings-Schimpfwort?


    .. dazu sage ich lieber nichts…


    8) Welchen Beruf außer Ihrem jetzigen hätten Sie sonst gerne ergriffen?


    Einen Beruf, der mit Menschen zu tun hat, zum Beispiel Psychologin


    9) Welchen Beruf mögen Sie überhaupt nicht ausüben?


    Zahnarzt


    10) Wenn der Himmel existieren sollte, was würden Sie gerne von Gott hören, wenn er Sie am Himmelstor empfängt?


    „Wir haben sehr lange auf Dich gewartet, jetzt bist Du endlich da!“


    KV – Vielen Dank für das Interview und wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei der kommenden Premiere und dass Ihre Wünsche in Erfüllung gehen werden!

    „Gott soll einen hüten vor allem, was noch ein Glück ist“ (Tante Jolesch)


    PETER GRIMES

    Wiener Staatsoper, 2.2.2022


    Als vor der Vorstellung Bogdan Roscic die Bühne betrat wurde es im Publikum ganz still – normalerweise hat das ja nichts Gutes zu bedeuten. Zuallererst beruhigte der Direktor alle indem er sagte, dass alle Solisten wohl auf sind. Allerdings hätte Omikron seinen Tribut beim Staatsopernchor gefordert, allerdings gelang es ihm – in Rücksprache mit Erwin Ortner – 19 Mitglieder des Arnold Schönberg Chors kurzfristig zu engagieren, damit diese die Vorstellung retten. Es war quasi „noch ein Glück“, dass dieser ja im Herbst vergangenen Jahres ebendieses Stück für die Aufführungen im „Theater an der Wien“ einstudiert hatte. In Zeiten wie diesen – auch eingedenk der Tatsache, dass die STOP am Vortag die Vorstellung wegen eines Corona-Falls absagen musste – war es ein glücklicher Zufall, dass hier in Wien an zwei Häusern das eher selten gespielte Stück von Benjamin Britten in der gleichen Spielzeit zur Aufführung gebracht wurde. Der Chor spielt in „Peter Grimes“ eine wichtige Rolle, und dass Christine Mielitz eine Meisterin darin ist, Chormassen zu bewegen erschwerte sicherlich die „Einarbeitung“ von Außenstehenden in diese Produktion. Allerdings bemerkte man überhaupt nichts, es war ein einheitlicher Bewegungsablauf. Der Chor der Wiener Staatsoper, einstudiert von Thomas Lang, bewies auch an diesem Abend sein außergewöhnliches Niveau. Um es mit dem bekannten Floridsdorfer Philosophen Marko A. zu sagen – „Shampoo“. 😊


    Die Produktion hat auch schon etliche Jahre auf dem Buckel, was man ihr aber nicht ansieht. Dass unzählige Koffer (ich meine da das Behältnis für den Transport von Sachen) hin- und herbewegt wurden, was in den 1990er Mode war, und dass man am Bühnenboden kopulierte ist eine Eigenheit von Mielitz (siehe auch ihre Inszenierung des „Fliegenden Holländers“) – na ja, wer’s braucht… Von diesen Einwänden abgesehen eine großartige Produktion, die viel mit Lichteffekten spielt und unglaublich spannend ist (Bühne und Kostüme – Gottfried Pilz, Choreographie Roland Giertz).


    Simone Young, die seit 1993 im Haus tätig ist (debütierte seinerzeit in der Holender-Ära in „La Boheme“), entfachte aus dem Orchestergraben enorm viel Spannung, war eine rücksichtsvolle Begleiterin der Sänger und trieb das Orchester der Wiener Staatsoper zu einer überaus spannenden und stringenten Wiedergabe der diversen „Sea Interludes“ an – für meinen Geschmack waren diese Zwischenspiele der absolute Höhepunkt dieses grandiosen Abends.


    Was die gesanglichen Darbietungen betrifft konnte man nur zufrieden sein (mit vielleicht ganz kleinen Einwänden – aber wer/was ist schon vollkommen). Überragend (und vielleicht kündigt sich da eine Brünnhilde an) war die Norwegerin Lise Davidsen als Ellen Orford. Hochexpressiv und lyrisch zugleich – sie überragte alle (und ich nahm es mit Wohlwollen zur Kenntnis, dass sie in den nächsten Jahren in Wien öfters zu hören sein wird). Neben ihr hatten es alle anderen Sängerinnen und Sänger schwer. Die von mir sehr geschätzte Stephanie Houtzeel beeindruckte schauspielerisch als Mrs. Sedley, allerdings denke ich, dass sie in anderen Rollen etwas besser ihre Qualitäten zur Geltung bringen kann. Noa Beinart war eine sehr präsente „Auntie“, während Ileana Tonca einen besseren Eindruck hinterließ als ihre „Mit-Nichte“ Aurora Marthens.




    Bei den Herren der Schöpfung muss der Lorbeerkranz Bryn Terfel überreicht werden, der als Balstrode vielleicht nicht die größte Rolle hatte, doch mit seiner Ausstrahlung, seinem Timbre und seiner Technik bei jeden seiner Auftritte das Geschehen auf der Bühne beherrschte.


    Wie meistens bin ich, was Jonas Kaufmann betrifft, zwiegespalten. Es steht außer Frage, dass er sicherlich zu den besten Singschauspielern seiner Generation gehört, allerdings ist mir seine Stimme zu baritonal und (obwohl technisch perfekt) ich kann seinem Falsett-Gesang nicht wirklich was abgewinnen. Vielleicht bin ich da auch zu sehr von der Aufnahme mit Jon Vickers geprägt…


    Schon in der 2013er Serie tätig waren Carlos Osuna (Horace Adams) und Wolfgang Bankl als Swallow. Bankl war auch ein Akteur des Abends, dessen Leistung überdurchschnittlich gut war. Thomas Ebenstein als Bob Boles wäre auch hervorzuheben. Die anderen Mitglieder des Ensembles, des Staatsopernchors und Opernstudios, die zum Erfolg des Abends beitrugen, waren, Martin Häßler, Erik Van Heyningen, Pavel Strasil, Ferdinand Pfeiffer, Katarina Porubanova und Thomas Köber.


    Das Publikum bejubelte besonders Davidsen und Young, gefolgt von Terfel und Kaufmann.


    Anschließend wurden auf offener Bühne die Ehrungen durchgeführt. Eloquent wie immer pries Direktor Roscic die Verdienste von Young, Terfel und Kaufmann (seine Rede ist bei mir auf Facebook zu sehen und zu hören), ehe die Staatssekretärin für Kunst und Kultur, Andrea Mayer die Bühne betrat und bewies, dass sie von einem Zettel ablesen kann. Sie produzierte für meinen Geschmack zuviel „Politsprech“ und kam immer wieder auf die tagespolitische Relevanz des Inhalts von „Peter Grimes“ zu sprechen. Sie liegt damit ja sicherlich nicht falsch, trotzdem ging es an diesem Abend nicht um das Stück, sondern um die zu Ehrenden.


    Simone Young wurde Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper und bedankte sich bei allen drei Direktoren (Holender, Meyer und Roscic) für die Chancen, die man ihr gab. Ioan Holender war persönlich anwesend, Meyer nicht. In seiner Dankesrede hob Jonas Kaufmann noch einmal den Mut von Holender hervor, in dem er mit Young zum ersten Mal eine Dirigentin engagierte, und mit ein bisschen „Tongue in Cheek“ meinte er auch, dass sie wahrscheinlich unter einem enormen Druck gestanden war – denn, wenn sie quasi versagt hätte, das Dirigentenpult für Frauen für die nächsten 150 Jahre in Wien wahrscheinlich unerreichbar gewesen wäre.


    Kaufmann erklärte, dass er sich immer als Österreicher gefühlt hat – aber er erst jetzt zu einem „echten Österreicher“ wurde – weil, „in Österreich muss man einen Titel haben“. Jawohl, Herr Kammersänger!


    Bryn Terfel bedankte sich im perfekten Cymraeg über die Auszeichnung (was einen Jubelschrei einer Besucherin zur Folge hatte), ehe er – der Verständlichkeit halber – in Deutsch und Englisch fortsetzte. Terfel ist ein unheimlich sympathischer und charismatischer Künstler – und auch er wird in den nächsten Jahren viel öfter in Wien zu sehen sein als bevor, wie Bogdan Roscic versicherte.


    Es war ein musikalisch großartiger und vom Umfeld her denkwürdiger Abend. Wenn man die Umstände betrachtet kann man die Gage der Staatsoperndirektion und des Besetzungsbüros aktuell nur als „Schmerzensgeld“ betrachten.



    Bühnenphotos © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

    Lieber Kalli - ja, diese Platte habe ich auch in meiner Sammlung :-) !!! Sie zeigt eine komplett andere Seite von Coltrane - interessant ist, dass er diese Aufnahme (und auch die mit Duke Ellington) zu Beginn seines Plattenvertrags mit Impulse Records aufgenommen hatte und auch recht gut verkauft wurde.


    Danach ist er wirklich "esoterisch" geworden - ich mag die "Crescent" und natürlich "A Love Supreme", "Live at the Village Vanguard" geht auch noch, aber danach kann ich ihm noch immer nicht wirklich folgen. Ich besitze die "Live at the Village Vanguard Again" - und dafür brauche ich


    a) eine gewisse Stimmung und

    b) eine Biere / ein oder zwei Flaschen Wein etc.


    dass ich die irgendwie überstehe....

    Lieber Alfred,


    für mich DER Jazz-Laden in Wien ist das "Audiocenter" am Judenplatz. Herr Weber ist extrem freundlich und kompetent !!!


    Und danke für alle Feedbacks! Ich habe auch noch für mein Essay einen Absatz hinzugefügt ->


    John Coltrane – Spiritual Jazz

    „Trane“, ein begnadeter Saxofonist, entwickelte den Modalen Jazz weiter, nachdem er sich nach den Aufnahmen zu „Kind of Blue“ von der Gruppe von Miles Davis trennte. Seine Aufnahmen zu Beginn der 1960er-Jahre waren noch vom modalen Jazz geprägt,

    John Coltrane - Blue train - YouTube

    aber in seinen letzten Jahren (er starb mit knapp 41 Jahren an Leberkrebs) fügte er noch Elemente des Free-Jazz und afrikanische Klänge hinzu. Seine Werke („A Love Supreme“ wird als eine der wichtigsten Aufnahmen der Jazz-Geschichte betrachtet, ist allerdings nicht so sehr für Leute geeignet, die sich dieser Musikrichtung erst annähern, ist meiner Meinung nach sicherlich der Höhepunkt seiner Entwicklung). Die Musik hat etwas Meditatives, Esoterisches unter Einbeziehung von Blues und Bebop, auch die Harfe, ein unübliches Instrument, wurde eingesetzt. Während in den 1940er-Jahren viele afroamerikanische Musiker zum Islam konvertierten, erkannte Joachim-Ernst Behrendt, ein deutscher Musikjournalist, jedoch das Erbe des Christentums deutlich im „Hauptwerk der ganzen Bewegung“, in „A Love Supreme“, das „zwar von der kosmischen Alles-Ist-Eins-Religiosität des Buddhismus und Hinduismus inspieriert“ war, „aber der persönliche Gott des Christentums scheint an zahlreichen Stellen des Textes unmissverständlich durch.“

    John Coltrane - A Love Supreme [Full Album] (1965) - YouTube

    Harry Lachner schreibt über sein Spiel – Was an John Coltranes Soli auch heute noch fasziniert, ist seine große melodische Gestaltungskraft, die Art und Weise, wie er sich souverän abwechselnd innerhalb und außerhalb der üblichen Akkord-Folge bewegt. Anders als andere Musiker seiner Zeit war ihm nicht daran gelegen, sich als jemand zu inszenieren, der etwas des reinen Spiels wegen dekonstruiert. Er hatte so viel an Kreativität und Einfallsreichtum zu verschwenden, dass er damit alles – jeden Ton, jede Akkordfolge, jede Fremdkomposition – mit neuer Bedeutung aufladen konnte.“

    1971, vier Jahre nach seinem Tod, wurde die Saint John Coltrane African Orthodox Church in San Francisco gegründet, wo er als Heiliger verehrt wird.

    Schlusswort und eine kleine Playlist

    Ich habe versucht einen möglichst breiten Überblick über die Geschichte des Jazz und Verbindungen zur klassischen Musik zu geben. Eine tiefgehende Analyse würde wahrscheinlich Bücher füllen, aber es bleibt die Hoffnung, ein klein wenig neugierig auf diese Musik gemacht zu haben. Ich konnte nicht auf die großen VokalistInnen des Jazz eingehen (Ella Fitzgerald, Billie Holiday, Frank Sinatra), nicht über Jazz in Japan sprechen (gesehen auf die Einwohneranzahl leben in Japan die meisten Jazz-Fans weltweit!) etc etc etc.


    Abschließend noch eine Liste von Schallplatten, die vielleicht zu einem Einstieg in diese ungeahnte und breit gefächerte Welt geeignet sind. Ich selbst bevorzuge Vinyl, aber es ist fast alles auch auf CDs (und zwar zu einem wirklich sehr günstigen Preis) zu bekommen. Keine Angst – ich glaube, es lohnt sich!!!!


    Benny Goodman – The complete Legendary Carnegie Hall Concert

    Duke Ellington – eh alles 😊

    Django Reinhardt – eh alles 😊

    Charlie Parker – Jazz at Massey Hall

    Charlie Parker – Charlie Parker with Strings

    Thelonious Monk – Genius of Modern Music Vol. 1 & Vol 2

    Chet Baker – Chet Baker Sings

    Shelly Manne and His Men – Live at the Black Hawk Vol.1 – Vol.4

    Dave Brubeck – Time Out

    Oscar Peterson – Night Train

    Coleman Hawkins encounters Ben Webster

    Gerry Mulligan – Night Lights

    Art Blakey & Jazz Messengers – Moanin’

    Bill Evans – The Solo Sessions Vol. 1

    Miles Davis – Kind of Blue

    Miles Davis – Sketches of Spain

    John Coltrane – Blue Train

    John Coltrane – My Favorite Things

    John Coltrane & Duke Ellington

    Grant Green – Idle Moments

    Duke Pearson – Tender Feelin’s

    Hank Mobley – Soul Station

    Lee Morgan - The Sidewinder

    Herbie Hancock – Empyrean Isles

    Keith Jarrett – The Köln Concert


    Bebop

    Als die Musik vieler Big Bands immer mehr in den vorgegebenen Formen und Arrangements erstarrte begannen junge Musiker neue musikalische Formen zu erkunden. Diese meist schwarzen Musiker entwickelten schlussendlich einen neuen Stil – diese Musik war keine Tanz- oder Unterhaltungsmusik, sondern man kann sie als „Musik für Musiker“ bezeichnen.

    Als Gründerväter gelten unter anderem Charlie Parker, Dizzy Gillespie oder Thelonious Monk, die eine erweiterte Harmonik hinzufügten. Es wurden dabei auch Elemente der lateinamerikanischen Musik verwendet (das nannte man dann den Afro Cuban Jazz)

    Der wahrscheinlich wichtigste Musiker dieser Ära war Charlie „Bird“ Parker.

    Parker stammte aus Kansas City wo er „sein“ Instrument, das Altsaxofon, erlernte. In jungen Jahren hatte er einen schweren Unfall, der ihm zu einem monatelangen Aufenthalt im Spital zwang. Um seine Schmerzen zu lindern, wurde er mit Morphium behandelt, was eine lebenslange Drogensucht zur Folge hatte. Als er schlussendlich 1955 starb war er nur 35 Jahre alt. Bei der Obduktion schrieb der zuständige Pathologe in seinem Bericht, dass es sich wohl um einen ca. 60-jährigen Mann handelt..

    Parker erhielt Unterricht in Harmonielehre und revolutionierte mit seinen Improvisationen die Jazzwelt. Er versuchte „alle möglichen Töne“ im Rahmen eines Stückes zu spielen, was zu dieser Zeit wirklich „unerhört“ war. Ein Bebop-Stück begann mit einem Grundthema, gefolgt von diversen Improvisationen, bei denen dieses Thema bis zur Unerkenntlichkeit aufgesplittert wird. Parker, der auch in Harmonielehre unterrichtet wurde, bestach einerseits durch seine technische Brillanz als auch durch eine unglaubliche Geschwindigkeit.


    Ein Komponist, der sich auch viel mit Jazz beschäftigt hatte, war Igor Stravinsky, eine Ikone unter Jazz-Liebhabern. 1946 komponierte er für die Big Band von Woody Herman das „Ebony Concerto“ für Solo-Klarinette. Es gibt da eine gute (und wahre) Geschichte, bei der sowohl Parker als auch Stravinsky die Hauptprotagonisten sind. Sie spielte sich im New Yorker Jazzclub „Birdland“ (benannt nach Parker) ab –


    Das Haus war schon vor dem Eröffnungs-Set fast voll, bis auf einen auffallend leeren Tisch, an dem ein für das Birdland ungewöhnliches RESERVIERT-Schild hing. Nachdem der Pianist sein fünfundvierzigminütiges Programm beendet hatte, setzte sich eine Gruppe von vier Männern und einer Frau an den Tisch, und zwar ziemlich lautstark, während drei Kellner schnell herbeieilten, um ihre Bestellungen aufzunehmen, und beim Anblick eines der Männer, Igor Stravinsky, eine Welle von Geflüster und Ausrufen durch das Birdland ging.

    Als Parkers Quintett die Bühne betrat, erkannte sein Trompeter Stravinsky. Er beugte sich vor und sagte es Parker, der Stravinsky überhaupt nicht ansah. Parker rief sofort die erste Nummer für seine Band auf, verzichtete auf die übliche Begrüßung des Publikums und legte los wie der Blitz.


    Die Band spielte "KoKo", ein Stück, das Parker wegen seines epochalen, halsbrecherischen Tempos - über dreihundert Schläge pro Minute auf dem Metronom – normalerweise erst bei seinem zweiten Set spielte, nachdem er ausreichend aufgewärmt war. (Anm. normalerweise spielten zu dieser Zeit die Künstler während eines Abends zwei oder drei Programme – beginnend ab 22:00 bis 03:00 in der Früh) Parkers Phrasen flogen bei diesem besonders beängstigenden "Koko" so flüssig wie immer. Zu Beginn des zweiten Refrains fügte er den Anfang von Stravinskys Feuervogel-Suite ein, als wäre er schon immer da gewesen, perfekt passend, und segelte dann mit dem Rest der Nummer weiter. Stravinsky brüllte vor Vergnügen und schlug sein Glas auf den Tisch, wobei der nach oben gerichtete Bogen des Glases den Schnaps und die Eiswürfel auf die Leute hinter ihm schickte, die ihre Hände hochwarfen oder sich duckten.

    Parker kannte nicht nur zufällig ein paar Brocken von Stravinsky, die er als Novum aus dem Ärmel schüttelte; er hatte zu diesem Zeitpunkt das Werk des Mannes, der mit Le Sacre Du Printemps das bis heute rhythmisch komplexeste Stück Orchestermusik komponiert hatte, bereits tief verinnerlicht.


    Thelonious Monk – Der „Zerstörer“


    Charlie Parker und Konsorten versuchten so viele Noten wie nur möglich in einem Musikstück unterzubringen. Monk reduzierte die Melodien auf das unbedingt Nötigste und scheute auch nicht davor zurück während eines Stückes spontan den Rhythmus zu wechseln, Dissonanzen zu spielen. Er wuchs in einem Armenviertel südlich von Harlem aus, der Vater verließ die Familie und so mussten die Mutter und die Kinder selbst für den Lebensunterhalt sorgen. Schon in frühen Jahren begann er Klavier zu spielen und nahm an einem lokalen Wettbewerb im Harlem Theater teil. Mit dreizehn Jahren wurde er von diesem ausgeschlossen, da er diesen zu oft gewonnen hatte. Er gab sogenannte „House Rent Parties“, wie in seinem Stadtteil nicht unüblich – um die Finanzen aufzubessern wurden Nachbarn eingeladen und nach der musikalischen Darbietung wurden Spenden eingesammelt um die Miete („Rent“) zu bezahlen. Er arbeitete auch als Organist in der Kirche, in der seine Mutter sang. Den Jungen beeindruckten die schwarzen Klaviervirtuosen, die in den Clubs in Harlem spielten – viele davon hatten auch eine klassische Ausbildung – es wurde ihnen aber irgendwann während des Studiums von den Professoren nahegelegt sich von der klassischen Musik abzuwenden, da es für Afroamerikaner unmöglich ist im klassischen Konzertbetrieb Fuß zu fassen (wir reden da von den 1930ern und 1940ern – aber ehrlich gesagt schein es, dass ich da bis zur heutigen Zeit wenig geändert hat – mir fällt spontan kein schwarzer Solo-Künstler in der Instrumental-Klassik ein).


    Monk entwickelte einen ganz speziellen, unverwechselbaren Stil und komponierte dann einige der wichtigsten Jazz-Standards wie „Blue Monk“ oder „Straight No Chaser“. Sein Stil war nie unumstritten, nichtsdestotrotz gehört er zu den wichtigsten Erneuerern der modernen Musik (auch außerhalb des Jazz). Monk war ein absoluter „Hochglanzverweigerer“.


    Ein Kritiker schrieb damals – „Was macht er da? Krude Glissandi, die ins Nichts führen, Akzente an ungewöhnlichen Stellen, Akkordhaufen, die sich nicht genau identifizieren lassen, ständige Dissonanzen, als würde er immer zwei nebeneinander liegende Tasten treffen. Und Pausen! Immer wenn man meint, jetzt käme ein Lauf, macht der Pianist eine Pause. Unerhört, diese Art zu spielen!“

    Thelonious Monk beeinflusst auch außerhalb der „Jazz-Blase“ Künstler noch immer – niemand geringerer als Igor Levit spricht von ihm als ein großes Vorbild.


    Das Zerstören von althergebrachten Strukturen, das Einbringen von Dissonanzen bringt ihn – um wieder den Bogen zur „Ernsten Musik“ zu spannen, meiner Meinung nach in die Nähe der Wiener Schule der Moderne (Arnold Schönberg, Alban Berg, Anton Webern), die sich ja auch von der Romantik abzusetzen suchte und sicherlich nicht (wie Monk ein paar Jahre später) einen „Schönklang“ suchte. Es war ein Musikstil, mit dem man zwar Opern, aber sicherlich keine Operetten schreiben konnte. Ein Bonmot aus dem von mir bereits erwähnten Buch „Glück in Scheiben“ – Alban Berg hätte sicherlich nicht das „Land des Lächelns“, sondern maximal das „Land des Röchelns“ schreiben können.


    The Birth of the Cool

    Ende der 1940er-Jahre schlug das Pendel wieder in die andere Richtung aus – weg von den zum Großteil rasend schnell gespielten Nummern und Instrumentalsoli hin zu einem Klang, der aus verschiedenen Instrumenten quasi „gewoben“ wurde. Es gab dann sehr komplexe und vielstimmige Arrangements – und auch die im Bebop zumeist 5-köpfige Gruppe (Saxofon, Trompete, Klavier, Schlagzeug, Bass) wurde manchmal bis zu einem Nonett erweitert. Das Tempo der meisten Stücke war auch reduziert und wurde als „cool“ empfunden („Cool“ in der Bedeutung eines James Dean oder eines jungen Marlon Brando).


    Diese Musikform war besonders an der Westküste der Vereinigten Staaten populär – und wurde wieder hauptsächlich von weißen Musikern gespielt. Als Komponisten und Arrangeure sind da besonders Gil Evans und Gerry Mulligan (der auch ein begnadeter Bariton-Saxofonist war) und als Aushängeschild dieser Musikrichtung wurde der „Prince of Cool“; Chet Baker, berühmt (seine Version von „My Funny Valentine“ gehört in jede Musiksammlung!!!!). Leider war auch Chet Baker von frühester Jugend an drogenabhängig und verbrachte einige Zeit im Gefängnis. In den 1960er wurden ihm, einem Trompeter, bei einer Racheaktion eines seiner Dealer sämtliche Vorderzähne ausgeschlagen, was normalerweise das Ende seiner Karriere hätte sein müssen. Mit einem neuen Gebiss lernte er drei Jahre lang sein Trompetenspiel von Grund auf neu und konnte dann ein erfolgreiches Comeback starten. Mit nur 58 Jahren fiel er eines Nachts aus dem Fenster eines Hotels in Amsterdam. Die genauen Umstände seines Todes wurden nie aufgeklärt.

    Der „West Coast Cool“ bestand mehr oder weniger bis zu Beginn der 1960er-Jahre und brachte großartige Musiker – und großartige Musik – hervor.


    Hard Bop – die Musik der zornigen Jungen

    Während in Kalifornien der Cool Jazz florierte, entwickelte sich in Detroit, Chicago und besonders in New York eine neue Stilrichtung – der Hard Bop. Was zeichnete diesen Musikstil aus? Nun, einerseits verwendete man die freie Improvisation des Bebop, andererseits ergänzte man diese mit einer etwas reduzierten Rhythmik und Melodik, so kehrte man zum Ende eines Stückes wieder zum Grundthema zurück.


    Die herausragendsten Aufnahmen wurden auf dem Plattenlabel „Blue Note“ produziert, das 1939 von zwei deutschen Emigranten, Alfred Lion (Löw) und Francis Wolff (Jakob Franz Wolff) gegründet wurde. Was Blue Note so „anders“ machte war die Tatsache, dass ab 1956 ausschließlich schwarze Musiker als Bandleader aufgenommen wurden und dass – im Gegensatz zu anderen Plattenlabels – die Musiker vor der Aufnahme proben konnten und auch dafür bezahlt wurden. Andere Plattenfirmen beorderten Musiker einfach zu einem bestimmten Termin ins Studio und es wurde ohne Proben aufgenommen. Dadurch waren die Blue Note-Sessions viel intensiver und auch „zorniger“. Es gab eine neue Musik von Musikern – viele davon hatten im 2. Weltkrieg in der Armee gedient und Europa befreit. Wieder zurück in den USA wurden sie aber wieder mit Rassendiskriminierung konfrontiert. Aber im Gegensatz zu der „Vätergeneration“ wollten sie diese Umstände nicht mehr kommentarlos hinnehmen und drückten ihre Frustration, ihre Verzweiflung und ihren Zorn in der Musik aus.


    Diese Tatsache ist auch ein Grund dafür, dass zu dieser Zeit die Musik, die an der Ostküste produziert wurde, viel intensiver als die der Westküste war. Die „weißen Jungs“ in Kalifornien hatten sicherlich die besseren Instrumente, oft auch die bessere Ausbildung und waren technisch besser – aber die Musik drückt doch auch immer die Lebensumstände aus. Ja, es gab auch Frustrationen an der Westküste (meine Freundin hat mich verlassen, wie komme ich zu meinen nächsten Drogen), aber die waren nicht zu vergleichen mit der Angst von einem Polizisten ohne Grund angehalten, geschlagen oder sogar erschossen zu werden. Noch heutzutage weiß oft eine afroamerikanische Mutter nicht, ob die Kinder am Abend wieder wohlbehalten nach Hause kommen…


    Ein Vorfall aus 1959 zeigt auf, was zu dieser Zeit Gang und Gäbe war –

    Miles Davis war zu dieser Zeit schon ein sehr bekannter Musiker stand in New York kurz nach Mitternacht vor einem Jazz-Club in dem er auftrat. Er rauchte und begleitete eine weiße, blonde Frau zu einem Taxi und schrieb ein paar Autogramme, als ein weißer Streifenpolizist ihn aufforderte weiter zu gehen. Davis zeigte auf das Veranstaltungsposter, wo sein Name stand und erklärte, dass er in diesem Club arbeitet. Der Polizist meinte, dass ihm das nicht interessiert und dass Davis seinen Anweisungen folgen soll. Natürlich weigerte sich Davis, der sich ja nichts zu Schulden hat kommen lassen.

    Daraufhin sagte der Polizist „Sie sind verhaftet“ und schlug Davis mit dem Schlagstock blutig, steckte ihn in den Streifenwagen und brachte ihn zum nächsten Polizeirevier, wo er wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und eines angeblichen Angriffs auf einen Polizeibeamten festgenommen wurde. Danach wurde er ins Spital gebracht, die geplatzte Kopfhaut genäht und dann wieder in eine Zelle gesperrt.

    Trotz vieler Zeugenaussagen wurde gegen den Polizisten kein Verfahren eingeleitet…

    (Anm. Und 60 Jahre später hat sich noch immer nicht wirklich viel geändert)


    Und diese Frustration, dieser Zorn spiegelt sich in der Musik wider. Und da findet man eine Verbindung zur klassischen Musik – hätte Beethoven derartig intensive Werke ohne seiner fortschreitenden Taubheit schreiben können? Wäre Schubert ohne seine Syphilis-Erkrankung in der Lage gewesen seine „Winterreise“ zu komponieren? Mozart sein „Requiem“? Tschaikowsky und Britten ihre Werke? Ehrlich gesagt, ich bezweifle das. Die Lebensumstände, unter denen man aufwächst, der Grundcharakter eines Menschen und die Erfahrungen, die man im Leben macht spiegeln sich immer in den Werken und in der Ausführung wider. Es ist ja kein Zufall, dass die Interpretation einer Marschallin (wenn man einmal von der Entwicklung der Stimme absieht) einer 25-jährigen und einer 45-jährigen meilenweit auseinander liegt. Und vom Liedgesang einmal ganz zu schweigen.


    Der Modale Jazz

    Der Ursprung dieser Art von Musik liegt wieder in New York, als man sich (auch musiktheoretisch) damit beschäftigte, die Improvisationsmöglichkeiten für Solisten zu erweitern. George Russel schrieb das Buch „The Lydian Chromatic Concept of Tonal Organization” – nicht unähnlich zum Zwölftonkonzept eines Arnold Schönbergs und der Auflösung der Tonalität, die man in der Zweiten Wiener Schule betrieb. Man arbeitete da unter anderem mit dorischen (entspricht den weißen Tasten eines Klaviers) und äolischen (Ursprung davon der hypodorische Modus, aus dem die Moll-Tonarten herstammen)Tonleitern, es gab eher minimalistische Tonfolgen und die Tempi waren gemäßigt. Wie oben kurz angedeutet gab es oft ungewöhnliche Harmonien (die man allerdings schon in der mittelalterlichen Kirchenmusik vorfand), die Musikstücke haben einen oft meditativen Charakter, schrecken aber auch nicht vor Dissonanzen zurück.

    Was die Improvisationen betrifft möchte ich aus Wikipedia zitieren –

    Im Modalen Jazz verläuft die Improvisation des Solisten auf wenigen über weite Strecken ausgehaltenen Modi (Skalen) statt Vorgabe konventioneller, harmonischer Akkordfolgen. Neben den konventionellen Tonleitern westlicher Musik werden, auf mittelalterliche Kirchentonarten zurückgehende, modale Tonleitern und außereuropäische Tonskalen verwendet, und auch chromatische Passagen finden vermehrt Verwendung. Moderne Musiker, die im modalen Stil spielen, setzen auch Techniken wie Vorhalts- und Durchgangstöne, das Einkreisen von Tönen und weitere Techniken ein, um ihre Improvisation zu bereichern. Das Primat hat der, ohne an ein Korsett konventioneller, begleitender Harmonien des Ensembles gebundene, darüber frei improvisierende Solist. Die Begleitung besteht oft nur aus wenigen, ständig wiederholten Akkorden.


    Kind of Blue

    DIE wohl bekannteste (und auch meistverkaufte) Platte der Jazzgeschichte ist das Album „Kind of Blue“ mit Miles Davis als Bandleader, das wegweisend für die Entwicklung des Modal Jazz war. Sie entstand 1959 (im übrigen ein Jahr, in dem einige der bedeutendsten Aufnahmen der Jazzgeschichte eingespielt wurden). Ich kann KoB nur jedem empfehlen – anbei ein paar Hintergründe, wie die Platte entstanden ist, basierend auf den Aussagen von Bill Evans, der bei den Sessions am Klavier saß und großen Einfluss auf die Kompositionen hatte –

    „Miles bat mich damals vor der Produktion in sein Apartment. Er wollte eigentlich meine Komposition „Peace Piece“ aufnehmen, doch ich regte an, gemeinsam nach einer zusammenhängenden Folge von Tonalitäten zu suchen und diese zu einem logischen Kreis zusammenzufügen. Das Ganze ergab dann „Flamenco Sketches“. Zusätzlich entwarf ich die Melodie und die Akkord-Changes für „Blue in Green“ und schrieb die Grundstrukturen für die anderen auf. Miles dachte, auf diese Weise könnten wir bei der Aufnahme Zeit sparen und die Band würde alles schneller verstehen. Im Studio war Miles dann in der Lage, die gesamte Gruppe mit den wenigen Fragmenten, den spärlichen Tipps und seinen minimalen Hinweisen zusammenzubringen. Wir schafften es, alle Stücke im ersten Anlauf aufzunehmen – so wie sie auf der Platte zu hören sind.

    Grundprinzip der Platte war aber, dass alle Stücke in gemäßigtem Tempo interpretiert wurden und die Band die Kompositionen erst im Studio zu sehen bekam, so dass kein Musiker auf Routinen zurückgreifen konnte.


    Mein persönliches Lieblingsstück ist „So What“. Die Harmonien basieren ausschließlich auf dem oben erwähnten dorischen Modus (Terz-Quart-Quint-Sept). Eine weitere Besonderheit dieses Stückes ist, dass der Bass die Melodie spielt – sehr ungewöhnlich zu dieser Zeit. Um noch einmal auf diesen Modus zurückzukommen und die Brücke zur (vor)klassischen Musik zu schlagen – man findet diesen in der Chormusik eines Heinrich Schütz (Matthäus-Passion).

    Das letzte aufgenommene Stück für diese Platte war „All Blues“, das ein prägendes Ostinato aufwies und vom Bassisten elfeinhalb Minuten durchgespielt werden musste. Ein Ostinato-Schema weist auch der Boléro von Ravel aus und ist, besonders in der Barockmusik, als „Basso Ostinato“ zu finden). Einfach erklärt ist ein Ostinato eine sich dauern wiederholende Melodie oder ein bestimmter Rhythmus.


    Bill Evans

    Der vorher erwähnte Bill Evans gehört zu meinen absoluten Lieblingsmusikern. Er war ein Pianist und einer der wenigen weißen Musiker, die immer von schwarzen Bandleadern (wie eben Miles Davis) zum Mitspielen eingeladen wurden. Ich hatte ja schon erwähnt, dass es einen Unterschied in der Verzweiflung von Weißen und Farbigen gibt – die Tatsache, dass Evans als Kind von seinem Onkel missbraucht wurde, hatte vielleicht die Dimension, dass sein „Pendel“ in Richtung schwarzer Verzweiflung ausschlug und er dadurch aus musikalisch mit Davis & Co. besser harmonisierte als andere. Bill Evans ist der große Lyriker unter den Jazzmusikern, sein Spiel war sehr introvertiert und auch von den Kompositionen von Claude Debussy und Maurice Ravel beeinflusst. Bereits mit zwölf Jahren trat er öffentlich auf und beherrschte neben dem Klavierspiel auch Flöte und Violine.


    Er absolvierte in Louisiana ein klassisches Musikstudium und graduierte mit dem akademischen Titel „Bachelor“ in Klavier- und Musikpädagogik. Seine Soloalben sind großartig – und zumindest eines sollte man besitzen.


    Free Jazz und weitere Entwicklungen

    Gegen Ender der 1950er Jahre begannen einige Musiker sich komplett von der Jazzharmonik zu lösen uns komplett freie Formen wurden gefunden. Ich besitze zwar einige Platten dieser Stilrichtung in meiner Sammlung, aber ich muss schon in einer wirklich sehr bestimmten Stimmung sein, um diese auch zu hören. Als Protagonisten möchte ich Ornette Coleman erwähnen – auf einen seiner Alben hat er zwei Gruppen á 5 Musiker verwendet, in gleicher Besetzung, die unabhängig voneinander gerade spielten, was ihnen gerade einfiel. Die eine Gruppe wurde am linken Stereokanal aufgenommen, die andere am rechten. Das Ergebnis ist – sagen wir es einmal so – interessant….

    Gegen Ende der 1960er Jahre kam dann der „Fusion Jazz“ (Jazz kombiniert mit Rock, Folk), Electronic Jazz – aber diese Spielarten interessieren mich nicht besonders und daher möchte ich auch nicht weiter darauf eingehen.


    Was geht im Kopf eines Jazz-Musikers und eines Klassischen Musikers vor?

    Diese Frage stellte sich vor ein paar Jahren das Max Planck-Institut in Deutschland und kam zu sehr interessanten Ergebnissen, da sich die Hirnprozesse bei einem klassisch ausgebildeten Musiker von einem ausgebildeten Jazzmusiker unterscheiden, selbst wenn beide das gleiche Musikstück spielten. Die Untersuchungen wurden bei Pianisten gemacht.

    Ich zitiere aus der Untersuchung –

    „Als wir Jazzer während einer logischen Abfolge von Akkorden plötzlich einen harmonisch unerwarteten Akkord spielen ließen, begann ihr Gehirn schon nach 0,4 Sekunden und damit viel früher die Handlung umzuplanen als das klassischer Pianisten. Entsprechend schneller konnten sie auch auf die unerwartete Situation reagieren und ihr Spiel fortsetzen“


    Klassische Pianisten waren wieder besser darin ungewöhnliche Fingersätze zu nutzen – da zeigte das Gehirn eine stärkere Aufmerksamkeit für den Fingersatz und es passierten auch weniger Fehler bei der Nachahmung.

    Wieder ein Zitat - „Der Grund dafür könnte in den unterschiedlichen Fähigkeiten liegen, die die beiden Musikstile von den Musikern fordern“, erklärt Biancos Kollegin Daniela Sammler. Demnach konzentrieren sich klassische Pianisten bei ihrem Spiel besonders darauf, ein Stück technisch einwandfrei und persönlich ausdrucksstark wiederzugeben. Hierfür ist etwa die Wahl des Fingersatzes entscheidend.


    Im Jazz geht es dagegen auch viel um Improvisation: Ein guter Jazzmusiker zeichnet sich dadurch aus, variieren zu können und sich beispielsweise flexibel an überraschende Harmonien anzupassen. „Dadurch scheinen sich unterschiedliche Abläufe im Gehirn etabliert zu haben, die während des Klavierspielens ablaufen und den Wechsel in einen anderen Musikstil erschweren“, sagt Sammler.


    Improvisation

    Während es in der klassischen Musik ab dem 19.Jahrhundert für die Ausführenden kaum die Möglichkeit zur Improvisation gibt, war diese im Barock normal – viele Komponisten ließen ihren Solisten mehr oder weniger offen, was sie spielten (oder sangen, wenn es um die Koloraturen in Opern ging). Diese Flexibilität verschwand fast zur Gänze (man findet sie manchmal noch im Belcanto – aber könnte man sich eine Verdi-Arie mit spontanen Kadenzen vorstellen ?!??). Die Möglichkeit vor Publikum ein vorgegebenes Thema zu improvisieren brachte erst wieder das Genre des Jazz zum Vorschein (Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel!). Eine weitere „Inselplatte“ für Jazzliebhaber ist ein Livemitschnitt von Keith Jarrett, das berühmte ->


    The Köln Concert

    Dieses wurde – unter relativ widrigen Umständen – im Jahre 1975 live in der Kölner Oper aufgenommen und ist heutzutage die meistverkaufte Solo-Jazz-Platte aller Zeiten. Keith Jarrett erhielt schon mit drei Jahren Musikunterricht, trat als „Wunderkind“ schon mit 7 Jahren auf und erhielt einige Zeit eine klassische Ausbildung, bevor er die Musikschule verließ und sein Klavierspiel selbständig weiterentwickelte. Seine Hauptintention als Künstler war es (und ist es noch immer) Musik aus dem Augenblick heraus zu kreieren, Musik „aus dem Nichts heraus zu erschaffen“. Deshalb sind seine Konzerte fast ausschließlich frei improvisiert. Er selbst sagt dazu: Es ist immer wieder, als würde ich nackt auf die Bühne treten. Das Wichtigste bei einem Solokonzert ist die erste Note, die ich spiele, oder die ersten vier Noten. Wenn sie genug Spannung haben, folgt der Rest des Konzerts daraus fast selbstverständlich. Solokonzerte sind so ziemlich die enthüllendste psychologische Selbstanalyse, die ich mir vorstellen kann.“


    Bei diesem Auftritt verwendete er die Melodie des Pausengongs der Kölner Oper – und 66:05 Minuten später war ein Meisterwerk geboren.


    Crossover von Jazz und Klassik

    Auf „Jonny spielt auf“ und „Porgy and Bess“ brauche ich wohl nicht näher eingehen, da die Überschneidungen da offensichtlich sind, deshalb möchte ich mich auf vielleicht weniger bekannte Werke und Aufnahmen konzentrieren.


    Miles Davis kooperierte Ende der 1950er Jahre auch mit dem Komponisten und Arrangeur Gil Evans (nicht verwandt mit Bill Evans). Bei dieser Zusammenarbeit (Solo-Trompete Miles Davis, dazu ein Orchester) entstanden die Platten „Porgy & Bess“ und besonders erwähnenswert „Sketches of Spain“, das an spanische Volksmusik angelehnt ist. Hier findet man an wunderbare Aufnahme des 2.Satzes des „Concierto de Aranjuez“ von Joaquin Rodrigo und Auszüge aus dem Ballett „El amor brufo“ von Manuel de Falla. Bei dieser Platte verwischen sich die Genres, was von Jazz-Puristen auch kritisiert wurde. Aber was soll’s – es ist wunderbare Musik!


    Auch Alban Berg benutzt in „Lulu“ einige Swing-Elemente, im dritten Satz von „La Revue de Cusine“ von Bohislav Martinu verwendet dieser den Rhythmus des Charleston. Gershwin und Kurt Weill (Dreigroschenoper, Mahagonny, Happy End) ließen sich auch von den Klängen des Jazz inspirieren.


    Wie schon erwähnt hat Stravinsky das „Ebony Concerto“ für Benny Goodman geschrieben, Jazz-Anklänge findet man auch in den Klavierkonzerten von Maurice Ravel, Stravinsky benutzt den Ragtime in „L’histoire du Soldat“. Darius Milhaud kann den Einfluss bei seinen Kompositionen „Saudades do Brasil“, „Le Creation Du Monde“ und der „Scaramouche Suite“ nicht abstreiten.


    Dmitri Schostakowitsch wiederum schuf als Mitglied der Jazz-Kommission 1934 seine „Suite für Jazzorchester Nr.1“ mit dem Ziel „den sowjetischen Jazz auf ein professionelles Niveau zu heben“. Allerdings hat diese mit herkömmlichen Jazz relativ wenig zu tun, die Wurzeln liegen eher in Film- und Bühnenmusik.1938 schuf er noch die „Suite für Jazzorchester Nr.2“, die allerdings – so glaubte man – verloren ging und erst im Jahr 2000 in rekonstruierter Form aufgeführt wurde.


    Andreas Priwin, besser bekannt als André Previn, schrieb nicht nur Opern,symphonische Werke und Filmmusiken, sondern er war auch ein begnadeter Jazz-Pianist, der bereits mit 15 Jahren in New York seine ersten Auftritte in letztgenanntem Genre hatte. 1956 erhielt er für die Aufnahme von „My Fair Lady“ mit Shelly Manne (Schlagzeug) und Leroy Vinnegar (Bass) die allererste Goldene Schallplatte für ein Jazz-Album überhaupt.


    Und dann gibt es natürlich auch Jazzer, die wunderbare Interpreten klassischer Musik waren und sind, da besonders der Pianist Chick Corea. Dieser verstarb im Vorjahr, ich besitze von ihm die Aufnahme eines seiner letzten Konzerte – da findet man in der Stückauswahl neben Kompositionen von Thelonious Monk auch die Klaviersonate KV 332 von Mozart, Improvisationen über Themen von Scarlatti, Chopins Prelude op.28 und ein Werk von Skriabin. Ehrlich gesagt – ich habe mir diese Doppel-CD wegen seiner Mozart-Interpretation gekauft.


    Ein Kleinod meiner Sammlung ist auch die Zusammenarbeit von Wynton Marsalis, einem Trompeter, der 1960 geboren, und einer gewissen Edita Gruberova. Mit dem English Chamber Orchestra wurden 1984 hier Werke von Purcell, Händel, Torelli, Fasch und Molter eingespielt.


    Einen Österreich-Bezug hat die „Combo“ L’Arpeggiata, die von der Grazerin Christina Pluhar gegründet wurde. Wenn ich mich recht erinnern kann schrieb ein Kollege eine begeisterte Rezension über ihren Auftritt bei den letzten Salzburger Festspielen. Pluhar versteht es perfekt – je nach Programm – die Grenzen zwischen Barockmusik und Jazz zu verwischen. Ihre Monteverdi-CD (Teatro d’Amore) und besonders „Music for a While – Improvisations on Purcell” sind ganz gewaltig. Mitwirkende an der letztgenannten Aufnahme sind unter anderem der Countenor Philippe Jaroussky und Wolfgang Muthspiel, einer der aktuell führenden österreichischen Jazzgitarristen.


    Jazz in Österreich

    Zum Abschluss meiner Ausführungen möchte ich noch einige Worte über Repräsentanten des Jazz in Österreich verlieren. Ohne näher auf sie einzugehen möchte ich Hans Koller, einen Saxofonisten, der mit allen amerikanischen Jazzgrößen zusammengespielt hat und Fatty George, den älteren Lesern vielleicht noch aus dem Fernsehen bekannt, erwähnen.

    International am Bekanntesten ist in der Jazzszene sicherlich Josef „Joe“ Zawinul, der Ende der 1950er Jahre erstmals in den USA als „Sideman“ bei Aufnahmen tätig war, später bahnbrechende Alben mit Miles Davis und dann mit seiner eigenen Jazz-Rock-Formation „Weather Report“ einspielte.

    Ich nehme mal an, dass der Name Friedrich Gulda hier jedem geläufig ist, allerdings vor allem wegen seiner Tätigkeit im Rahmen der klassischen Musik. Ich selbst liebe seine Interpretationen der Mozart-Klaviersonaten, auch seine Einspielungen der Beethoven-Klavierkonzerte sind legendär. Und für mich übertrifft nur Glenn Gould „seinen“ Bach… Weniger bekannt ist wahrscheinlich dass Gulda bereits zu Mitte der 1950er-Jahre immer wieder in New York in Jazz-Clubs auftrat (er war auch mit Joe Zawinul befreundet, mit dem er dann später auch gemeinsame Konzerte gab) und in der dortigen Szene einen sehr guten Ruf hatte. Er versuchte auch immer die Unterschiede zwischen E- und U-Musik zu verwischen, hatte damit aber nicht den Erfolg, den er sich wohl gewünscht hatte. Der Kritiker Robert Fischer schrieb einmal - „Friedrich Guldas Ausflüge in den Jazz wurden einst von den Hohepriestern der Klassik nur mit spitzen Fingern angefasst wie etwas, das man allenfalls zu erdulden habe, weil er doch so schön Mozart spiele.“ Nichtsdestotrotz war er einer der wenigen Musiker, der vom Klavierspiel her sowohl von klassischen Pianisten als auch von Jazzgrößen bewundert wurde.

    Der Solo-Trompeter der Orchesters die Wiener Volksoper, Lorenz Raab, studierte in Wien und Salzburg klassische Trompete, aber ebenso zwei Jahre Jazz-Trompete in Bremen. Er war Solo-Trompeter des Vienna Art Orchesters, bevor er in der Volksoper „aufschlug“. Er hat einige CDs veröffentlicht (mir gefällt „Four Roses“ aus 2002) und wandelt nach wie vor zwischen den beiden Welten hin und her.

    Sein Lehrer am Mozarteum war Hans Gansch, von 1982-1996 erster Trompeter bei den Wiener Philharmonikern. Dessen Bruder wiederum, Thomas Gansch (ebenfalls Trompete) ist einer der profiliertesten Vertreter des Jazz in Österreich, er war Mitbegründer des Ensembles „Mnozil Brass“ und tritt immer wieder in gemeinsamen Programmen mit Georg Breinschmid auf, der wiederum Mitglied der Wiener Philharmoniker war, sich dann aber dem Jazz zuwendete, da für einen Bassisten die Möglichkeiten sich selbst auszudrücken im Rahmen eines klassischen Orchesters doch sehr, sehr begrenzt sind.

    Liebe Mit-Taminos,

    ich wurde von der Chefredakteurin des "Neuen Merkers" ersucht für die nächste Ausgabe einen Artikel über Jazz zu schreiben, Zielpublikum sollen Leser sein, die eher nur Oper und Klassik hören.

    Nach vielen Recherchen (und Kürzungen) habe ich den Artikel produziert, den ich mit Euch teilen möchte (es waren dann doch 11 A4-Seiten) - ich hoffe, dass er gut aufgenommen wird. Wie gesagt, es geht darum Menschen, die 175x den Tristan und 100x den Ring gesehen haben, diese Kunstform näher zu bringen, entsprechend auch die Plattenliste, die ich gemacht habe (.. normalerweise gehört "A Love Supreme" in jede Sammlung...)


    Liebe Grüße aus Wien,

    Kurt

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    JAZZ UND KLASSISCHE MUSIK – GIBT ES GEMEINSAMKEITEN?


    Es mag vielleicht viele Leser verwundern was ein Artikel über eine relativ moderne Musikrichtung im „Merker“ zu suchen hat, allerdings findet man – bei näherer Analyse – doch den einen oder anderen Anknüpfungspunkt. Seien es nun Künstler, die in beiden Genres erfolgreich waren, über die Einflüsse der klassischen Musik auf Jazzmusiker – und vice versa.


    Ich befasse mich erst seit ca. 3 Jahren mit dem Jazz in all seinen Ausprägungen und besitze nur ca. 650 Tonträger, trotzdem denke ich dass ich genug gelernt habe, einen kleinen Überblick zu geben. Dazu ist es aber wichtig, die Geschichte des Jazz zu betrachten. Und da haben wir schon die erste Parallele zur „klassischen“ Musik. Nur – was bei letztgenannter Jahrhunderte brauchte (vom Madrigalgesang über Barock über die Wiener Klassik, Romantik bis hin zur Zwölftonmusik), ereignete sich beim Jazz in nur 50 Jahren. Und im Gegensatz zur Klassik, wo wir nie erfahren werden wie Mozart seine eigenen Kompositionen interpretiert hat, ist beim Jazz (mit ganz wenigen Aufnahmen) alles auf Tonträgern dokumentiert.

    Geschichte des Jazz - Ursprünge

    Ähnlich wie der Blues wurde der Jazz im Süden der USA geboren. Seine Wurzeln hat er ebenfalls in der Musik (und im Rhythmus) der Sklaven. Vereinfacht gesagt ist Jazz die Musik des über Jahrhunderte unterdrückten Schwarzen Mannes (der Einfachheit halber verzichte ich auf das Gendern..), dem es, besonders in dieser Stilrichtung, bis zum Ende der 1960er Jahre nicht möglich war, die Frustration über die Lebensumstände in Worte zu fassen und dies nur über die Instrumente tun konnten.



    Man könnte den Beginn dieser Musikbewegung in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts verorten, als es im Süden der USA (Hochburg war New Orleans) Marschkapellen gab, die bei verschiedenen Anlässen spielten. Diese Musik wurde vom Blues und kreolischer Musik beeinflusst, aber auch von der europäischen Tradition. Dazu muss man wissen, dass die Kreolen nicht versklavt waren, es gab viele Mischehen und sie arbeiteten nicht am Feld, sondern als Verwalter auf den Plantagen. Daher auch die Kenntnis von der europäischen Klassik. Allerdings wurden die Kreolen später auch vom Leben des „weißen Mannes“ ausgeschlossen und daher näherten sie sich zwangsläufig den Schwarzen an, was zu einer „Befruchtung“ durch europäische Musik führte. Improvisation – was später zu einer der wichtigsten Merkmale des Jazz wurde – spielte zur dieser Zeit keine Rolle. Da es sich um „Marching Bands“ handelte war die Besetzung fast ausschließlich auf Holz- und Blechbläser fokussiert, gemeinsam mit Banjo und dem Schlagwerk. Die Melodien wurden zu dieser Zeit kaum niedergeschrieben.


    Woher kommt eigentlich der Name „Jazz“? Da ist sich die Musikwissenschaft nicht ganz einig. Es könnte aus dem Slang der (Ex-)Sklaven kommen und bedeutet so viel wie Beischlaf, es könnte auch lautmalerisch die Geräusche von Raddampfern beschreiben.

    Gegen Ende des 19.Jahrhunderts entstand der „Ragtime“ (auf deutsch – zerrissene Zeit), ein Klavierstil, bei dem die linke Hand die Rhythmusgruppe einer Band ersetzt. Die Stücke waren komplett notiert, auch da gab es noch keine Improvisation. Die Musik lebte von der Spannung aus durchgehendem Rhythmus der linken Hand und der „zerrissenen“ Melodik der rechten Hand. Das sicherlich bekannteste Stück dieser Ära ist „The Entertainer“ von Scott Joplin (sehr bekannt durch den Film „Der Clou“).

    In den 1910er-Jahren verließen die ersten Bands aus dem Süden New Orleans und machten in weiterer Folge diesen neuen Musikstil im ganzen Land populär. Sie nannten sich „Jazz Bands“ oder auch „Jass Bands“. So erreichte man Kansas City, Kalifornien, New York, Detroit oder Chicago, allerdings wurden auch die ersten Bands in Havanna gegründet.

    Zu dieser Zeit entwickelte sich eine Abart des „New Orleans Jazz“, nämlich der Dixieland. Dieser Stil wurde zum Großteil von weißen Musikern gespielt, er war schneller und hatte mehr Noten und stärkere Akzentuierungen in den Melodien. Die „Original Dixieland Jass Band“ spielte 1917 Aufnahmen ein, die als erste Jazzplatte gelten.

    Die ersten Jazz-Bands tourten durch Europa und im Jahr 1919 war es niemand geringerer als Robert Stolz, der die erste österreichische Jazz-Komposition verfasste – „Bobby Jazz“ (op. 338)


    Einige der bahnbrechendsten Aufnahmen in der Geschichte erfolgten zwischen 1925 und 1929, als der aus New Orleans stammende Louis Armstrong mit seiner Studioband (Louis Armstrong and His Hot Five, später auch „Hot Seven“) die Kollektivimprovisationen um seine Trompetensoli ergänzte. In der weiteren Geschichte lösten die Instrumentalsoli die der jeweiligen Orchester fast komplett ab.

    Das Stück, das wahrscheinlich am besten die Fähigkeiten eines Louis Armstrong zeigt, ist der „West End Blues“. Ich möchte gerne aus dem Buch „Glück in Scheiben“ von Jon Evers zitieren – „Er beginnt mit einer c-Moll Kadenz, die wie ein Katarakt herunterstürzt und dann in einer perlenden Kaskade bis zum hohen C aufsteigt. Ich weiß nicht, was man bei der Kadenz mehr bewundern soll: die perfekte Phrasierung oder den strahlenden Ton; die stupende Technik oder die – damals – unerhörte harmonische Kühnheit. … Das perfekte Timing ergibt eine innere Spannung, die sich erst im Thema auflöst, das von Louis in wahrhaft majestätischem Pathos vorgetragen wird“. (Anm. des Verfassers – ich besitze diese Aufnahme und – ja, ja und wieder ja…)

    Wieder ein Schwenk zurück nach Europa – die „Roaring Twenties“ machten die Stilrichtung derart populär, dass 1928 in Frankfurt am „Hoch’schen Konservatorium“ die weltweit erste Jazz-Klasse gegründet wurde.


    Die Swing-Ära

    1920– 1940 war die wohl kommerziell erfolgreichste Ära des Jazz. Der „Swing“ wurde zu Anfang der 1930er Jahre erfunden, unterstützt vom Radio. Großteils weiße Ensembles brachten ein den ganzen USA die Musik nahe, die schon Jahre vorher von afroamerikanischen Musikern gespielt wurde. Der „Swing“ war eine Tanzmusik, die in den Dance-Halls überall gespielt wurde und er war die vorherrschende Unterhaltungsmusik dieser Dekade. Der berühmte Cotton-Club in Harlem, der ein gemischtes Publikum hatte, was zu dieser Zeit außerordentlich war, beherbergte die bekanntesten Big Bands dieser Zeit, angefangen von Duke Ellington über Benny Goodman bis hin zu Count Basie.

    Kansas City wurde auch zu einem der Hotspots der Jazz-Szene und aus dem dort vorherrschenden „Kansas City Jazz“ wurde schlussendlich der „Rhythm & Blues“.

    In Europa gründete Django Reinhardt sein „Quintette du Hot Club de France“ und entwickelte gemeinsam mit den Geigenvirtuosen Stephane Grapelli eine Musikform, die als „Gypsy-Jazz“ bekannt wurde.


    Benny Goodman – Ein Kämpfer gegen Diskriminierung und ein „Cross-Over“-Musiker


    Benjamin Goodman stammt aus Chicago und war Sohn einer jüdischen Immigranten-Familie. In jungen Jahren schon bekam er eine Klarinette und erhielt in einer lokalen Synagoge seinen ersten Unterricht. Anschließen lernte er zwei Jahre lang bei einem Mitglied des Chicago Symphony Orchestras und er konnte schlussendlich in seinen Teenagerjahren schon seine Familie finanziell unterstützen (mit 15 Jahren verdiente er schon mehr als sein Vater, der in einer der unzähligen Schlachthöfe Chicagos Arbeit gefunden hatte).

    Goodman übersiedelte dann nach New York, wo er als Studiomusiker für Radioübertragungen und als Musiker am Broadway arbeitete. Schon bald gründete er eine Big Band und wurde in den 1930ern der wohl bekannteste Jazz-Musiker in den USA. Er war auch der erste, der die Rassentrennung bei Orchestern durchbrach – so engagierte er Lionel Hampton und Charlie Christian für sein Orchester. Er setzte auch durch, dass seine schwarzen Musiker in den Hotels und Restaurants gleich behandelt wurden wie deren weiße Kollegen. Zu dieser Zeit waren– besonders im Süden – Schwarze extrem diskriminiert (so musste zum Beispiel Billie Holiday, eine der großartigsten Sängerinnen in diesem Genre, im Gegensatz zu den weißen Bandmitgliedern den Lastenaufzug benutzen und durfte, wenn sie nicht sang, nicht auf der Bühne bleiben). Goodman bestand auf Gleichberechtigung für alle und sagte sogar ausverkaufte Konzerte ab, wenn dies nicht gestattet wurde. Durch seine jüdische Herkunft wusste er sicher, was Diskriminierung bedeutet und hatte dadurch wahrscheinlich mehr Verständnis für die Afroamerikaner. Überhaupt ist es ein interessantes Faktum, dass man in Jazzkreisen bei den Musikern überdurchschnittlich viele Musiker und Produzenten mosaischen Glaubens findet.

    Goodman ist nicht nur für einige der bedeutendsten Aufnahmen der Swing-Ära verantwortlich – hier möchte ich besonders die Aufnahme seines Carnegie-Hall-Konzerts aus 1938 hinweisen, das übrigens das erste Nicht-Klassische Konzert in diesen hehren Hallen war, er trat auch immer wieder als klassische Musiker auf. Seine Aufnahme der Klarinettenkonzerte von Wolfgang Amadeus Mozart sollte in keiner Sammlung fehlen. Dass Goodman auch außerhalb der Jazz-Community geschätzt wurde zeigten auch Paul Hindemith, Aaron Copland und Bèla Bartok, die ihm Kompositionen widmeten.


    Duke Ellington – der bedeutendste Komponist des 20.Jahrhunderts?


    Der Beginn der 1940er Jahre war sicherlich die kreativste Zeit von Edward „Duke“ Ellington, dessen Vater auch als Butler im Weißen Haus gearbeitet hatte. Seinen ersten Klavierunterricht erhielt er von seiner Mutter mit sieben Jahren, begann aber erst mit 14 Jahren sich mit dem Instrument näher auseinander zu setzen. Geboren 1899 gründete er schon bald sein erstes Orchester, die „Washingtonians“, dessen Namen schlussendlich zum „Duke Ellington Orchestra“ wurde. Durch Auftritte im Cotton Club, die auch vom Radio übertragen wurden (unter dem Namen „Duke Ellington and his Jungle Band“), erreichte sein Orchester schon bald nationale Berühmtheit.


    Ellington, der während seiner fast 60-jährigen Karriere über 2.000 Lieder und Orchesterwerke komponierte, unterschied sich von anderen „Jazzern“ dadurch, dass seine Werke durchkomponiert und durcharrangiert waren und er dadurch den Mitgliedern seines Orchesters nicht die Möglichkeit zur freien Improvisation gab. Allerdings wusste er um die Stärken und Schwächen seiner Solisten (von denen einige sogar 50 Jahre in seinem Orchester tätig waren) und schrieb ganz gezielt Soli für diese, die den individuellen Eigenheiten eines jeden Musikers entsprachen (unterstützt von Billy Strayhorn, mit dem ihm eine lebenslange Freundschaft verband).

    Das bekannteste Konzert (ich würde es eher als ein Concerto Grosso bezeichnen), das er für einen seiner Musiker schrieb, war das „Concerto for Cootie“ aus dem Jahr 1940. „Cootie“ Williams war einer seiner Trompeter. Es ist vielleicht ganz interessant, die musikalische Analyse zu lesen – die Quelle dazu fand ich auf der Website www.swingandbeyond.com“ Ich habe diese in Auszügen übersetzt –


    Concerto for Cootie" beginnt mit einer achttaktigen Einleitung, in der Williams unbegleitet auf seiner gedämpften Trompete das achttönige Melodiefragment spielt, das während des gesamten Stücks als wiederkehrendes Motiv dient. Die Band nimmt dies dann bei der ersten Wiederholung dieses Motivs auf, wobei die singenden Saxophone hoch und dann absteigend einsetzen, während Juan Tizols Ventilposaune allein tief und aufsteigend einsetzt. Es folgen die beiden anderen Posaunen, und schließlich fügen Wallace Jones' Trompete und Rex Stewarts Kornett der Klangmischung hinzu.

    Während sich diese Instrumente allmählich zusammendrängen, wird ihre Harmonie immer dichter und dissonanter. Am Ende der Einleitung steht ein kompletter Stopp, der das Ende der Einleitung markiert. Obwohl sie nur siebzehn Sekunden dauert, enthält diese Einleitung ein Füllhorn an musikalischen Ideen, Instrumentalklängen und Dynamik. Das war das Genie von Ellington.

    Der unkonventionelle erste Refrain von "Concerto for Cootie" besteht im Wesentlichen aus vier zehntaktigen Abschnitten. Der erste dieser Abschnitte kann als die "A"-Melodie identifiziert werden, die in der Einleitung zu hören war. Im nächsten zehntaktigen Abschnitt erklingt eine Wiederholung dieser Melodie. Die "B"-Melodie (eine Brücke) erscheint in den dritten zehn Takten, und in den vierten zehn Takten kehrt die Hauptmelodie zurück. Zur Vereinfachung meiner Erklärung dessen, was bei dieser Aufführung geschieht, werde ich die vier Abschnitte des ersten Refrains als A1, A2, B und A3 bezeichnen.

    A1 beginnt wie die Einleitung mit einem unbegleiteten Williams auf der gedämpften Trompete, der das achttönige melodische Fragment spielt. Man beachte, dass er am Ende seiner Phrasen einen Lippentriller verwendet. In dieser A1-Sequenz jedoch kommt Cooties instrumentale Unterstützung in Form des Posaunentrios (mit Jimmy Blantons Bass als Untermalung), das Williams mit skurrilen, weichen Harmonien antwortet. Man beachte, wie Blantons Bass seinen Gehrhythmus zusammen mit Sonny Greers flüsternder, gebürsteter kleiner Trommel einsetzt, wenn Williams sein Solo in dieser A1-Melodieexposition beendet und die fünf Zungenstimmen die A1-Sequenz beenden. Ellingtons Zungenstimmen sind hier ganz typisch dukistisch. Jedes der vier zehntaktigen Segmente in diesem ersten Refrain folgt einem ähnlichen Muster: Williams spielt zuerst ein Solo, gefolgt von verschiedenen Instrumentenmischungen.

    A2 beginnt damit, dass Williams das melodische Hauptfragment noch einmal wiederholt, diesmal aber mit minimalen Verzierungen. Die Zungenblätter bilden hier zunächst ein ruhiges Klangpolster. Dann kehrt Blantons Walking Bass zurück und wird von den absteigenden Zungenblättern, die nun dichter harmonisiert sind, und den sanft rhythmischen offenen Blechbläsern begleitet.

    B beginnt mit dem Knurren von Williams auf seiner immer noch gedämpften Trompete. Man beachte, wie Ellington hier einen klaren Call-and-Response-Hintergrund für Cootie geschaffen hat, bei dem die Rohrblätter mit den offenen Blechbläsern mitspielen. Eine kurze Aufwärtsphrase beendet das B-Segment schnell.

    A3 ist im Wesentlichen dasselbe wie A2, außer dass Williams' Solo von den Zungenbläsern gefolgt wird, dann drei absteigende fette Noten von den Posaunen, denen eine Passage der gesamten Band folgt, die eigentlich der Beginn einer viertaktigen Modulation von der Tonart F nach D ist.

    Der zweite "Refrain" ist eine weitere Abweichung Ellingtons von der Standard-Songform. Er besteht aus einer sechzehntaktigen Sequenz plus einer zweitaktigen Modulation. In diesem Refrain hören wir Williams' brillanten und doch dichten offenen Trompetenton, der mit Lippentrillern und Glissandi verziert ist. Ellington bietet Cootie ein reichhaltiges und abwechslungsreiches Instrumentarium als Hintergrund.

    Bemerkenswert ist Ellingtons Einsatz seiner dreiköpfigen Posaunengruppe als eigenständiger musikalischer Klang in dieser Sequenz und in der gesamten Aufführung. Das langsame Aufkommen von Posaunensektionen als eigenständige Chöre in Bands der Swing-Ära hatte Ende der 1930er Jahre begonnen und setzte sich bis in die 1940er Jahre fort. Schließlich entdeckten die Arrangeure das Potenzial der Posaunensektionen, üppige musikalische Klänge zu liefern, und sie wurden als eine weitere lebendige instrumentale Farbe in Big Bands eingesetzt.

    In der nächsten Sequenz, die zehn Takte lang ist, setzt Williams wieder den Plunger-Dämpfer ein. Hier spielt er eine Paraphrase des melodischen Hauptmotivs von "Concerto for Cootie", wobei sowohl das dynamische Niveau als auch das Register der Musik nun auf sotto voce reduziert sind. Sowohl die Band als auch Cootie steigern die Musik und intensivieren sie als musikalisches Tüpfelchen auf dem i, mit dem diese klassische Aufführung endet.


    Ich sollte vielleicht dazu sagen, dass das „Concerto for Cootie“ in der Originalfassung nur insgesamt 3:16 Minuten dauert und dies nur eine Zusammenfassung einer Analyse ist, die 35 Buchseiten umfasst. Wer außer mir sieht da noch eine Parallele zur klassischen Musik?


    Ellington schrieb in weiterer Folge auch Konzert-Suiten wie zum Beispiel „Black, Brown and Beige“, eine Big-Band-Fassung der „Peer-Gynt-Suite“ und die „Liberian Suite“, ein Auftragswerk der Regierung von Liberia zur Feier des 100-jährigen Jubiläums des Staates, der seinerzeit von befreiten amerikanischen Sklaven gegründet wurde.


    Einige Kritiker waren Ellington in späteren Jahren vor das Wesentliche des Jazz zu Gunsten einer „künstlichen Klassik“ aus den Augen verloren zu habe. Diesen entgegnete er „Ich bin kein Jazzmusiker, ich will die Musik des amerikanischen Negers (sic!) machen.“ Ein anderes Zitat – „Art ... Der einzige Maßstab, nach dem das Ergebnis beurteilt werden sollte, ist einfach der, wie es klingt. Wenn es gut klingt, ist es gelungen, wenn nicht, ist es gescheitert.“ Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

    Die Magie dieses Genies kann man am besten mit den Worten eines Kritikers zusammenfassen -


    Ellington spielt Klavier, aber sein eigentliches Instrument ist seine Band. Jedes Mitglied seiner Band ist für ihn eine bestimmte Klangfarbe und eine bestimmte Skala von Gefühlen, die er mit anderen, gleich charakteristischen mischt, um etwas Drittes zu erzeugen, was ich den „Ellington-Effekt“ nennen möchte. (...) Ellington geht es um den individuellen Musiker und um das, was geschieht, wenn alle Individuen ihre musikalischen Eigenarten zusammentun. Wenn ein Zuhörer ihn auf dem Podium beobachtet, kann er leicht auf den Gedanken kommen, dass er die üblichen Routine-Bewegungen macht wie jeder andere, der vor einer Band steht. Wer aber ganz genau beobachtet, wir bestimmt entdecken, wie ihm oft eine winzige Drehung des Fingers genügt, und er hat aus einem Musiker den gewünschten Klang herausgeholt.

    … solche Opern sollten öfters geschrieben werden…


    Bereits zum 446. Male öffnete sich der Vorhang zum dritten Bild der Produktion von Franco Zeffirelli – und noch immer begeistert dieses wohl stimmungsvollste Bühnenbild, das wir an der Wiener Staatsoper sehen können. Über diese stimmungsvolle und werkgetreue Inszenierung zu schreiben erachte ich als überflüssig, da sicherlich alle Opernbegeisterten in Wien und dem näheren Ausland diese bereits gesehen haben. Das opulente zweite Bild, die Kostüme – alles passt perfekt (und wenn man bei Minusgraden, die gerade in Wien vorherrschen, dann das Stück ansieht kann man die Kälte und das Elend, das diese Menschen zu erleiden haben, vielleicht noch besser vorstellen).


    Was bringt nun jemanden, der das Stück schon wirklich oft gesehen hat und der eigentlich mit geschlossenen Augen in der Oper sitzen kann und trotzdem genau weiß, was sich auf der Bühne genau abspielt, dazu diese – meines Ermessens nach von den Melodien und von der Intensität sicherlich schönste Puccini-Oper – wieder anzusehen? Nun, wie in Wien so üblich, wegen der Besetzung – in meinem Falle wegen Benjamin Bernheim und Clemens Unterreiner. Und ich wurde nicht enttäuscht.


    Benjamin Bernheim begegnete ich vor ein paar Jahren, als er den Tamino sang und verfolge seitdem seine Entwicklung mit großem Interesse. Seine Leistung als Rodolfo war schlicht und ergreifend unglaublich… Die Stimme wird schon etwas metallisch (wächst da vielleicht ein Lohengrin heran?), er ist höhensicher, hat ein Timbre, dass mich entfernt an Pavarotti erinnert (ja, entfernt, aber trotzdem..), weiß sich auf der Bühne zu bewegen und trotzte auch den Klangmassen, die die Dirigentin Kim Eun-Sun entfesselte (ich glaube, dass sie die Akustik des Hauses unterschätzt). Das Publikum dankte ihm mit lang anhaltendem Applaus – sowohl nach seiner Arie als auch zum Ende der Vorstellung.


    Man könnte jetzt sagen, dass der letzte Direktor Clemens Unterreiner langfristig oder sehr behutsam aufgebaut hat – oder dass erst die aktuelle Direktion ihm zutraut größere Rollen zu singen. Sei es wie es sei, ich finde, dass sein Marcello seine bis dato beeindruckendste Leistung ist. Er hat in den tieferen Registern an Breite gewonnen und meisterte auch die höher gelegenen Stellen der Tessitura ohne Probleme. Ich finde auch, dass er sich vom schauspielerischen Standpunkt her weiterentwickelt hat. Wer ihn schon über viele Jahre lang auf der Bühne gesehen hat merkte, dass er irgendwann zu seinen „Standardposen“ neigte. Hier waren sie kaum zu sehen – ein weiterer Schritt zu einem wirklich „kompletten“ Sänger ist gelungen. Ich hoffe, dass Unterreiner auch weiterhin das Vertrauen der Direktion genießen wird und ihm weitere, größere (und große) Rollen anvertraut werden.


    Nicholas Brownlee (nicht verwandt mit dem zur Zeit ebenfalls gastierenden Lawrence Brownlee) debütierte an diesem Abend als Colline. Im Programmheft wird er als Bass-Bariton bezeichnet. Nun, er ist eher ein Bariton. Er spielte sehr gut, fügte sich wunderbar in das Ensemble ein, sang auch technisch auf Linie – allerdings hätte ich mir eine eher dunklere Stimme gewünscht – zu ähnlich war diese im Vergleich zu den Sängern des Marcello und Schaunard. Letztere Rolle wurde an diesem Abend von Martin Häßler interpretiert und es gelang ihm eine wirklich gute Leistung. Bis dato war er mir – in anderen Produktionen – nicht wirklich sonderlich aufgefallen, aber dieses Mal zeigte er, dass er viel Potential besitzt. Man kann mit ruhigem Gewissen sagen dass die Staatsoper, was Baritone betrifft, mit Unterreiner, Schuen und Häßler sehr gut aufgestellt ist.


    Marcus Pelz war als Benoit/Alcindor zu sehen, er machte seine Sache ebenfalls gut. Trotzdem erfasste mich eine gewisse Wehmut – zu sehr liebte ich da den unvergessenen Alfred Sramek…


    Nicht ganz so glücklich war ich mit den Damen der Schöpfung. Vera-Lotte Boecker spielte sehr gut, sie ist aber nicht der Frauentyp für die Musetta, bei der ich mir eine etwas verspieltere Darstellerin vorstelle. Da fehlte mir das gewissen „Etwas“ – sie ist typmäßig viel besser im „Verratenen Meer“ besetzt (wo sie mir sehr imponierte).


    Nicole Car kämpfte besonders vor der Pause mit der Lautstärke des Orchesters – und mit ihrem überragenden Partner, der sie von der Durchschlagskraft und den Emotionen bei weitem übertraf. Allerdings war ihre Leistung ab dem dritten Bild durchaus gut und ihre Mimi hauchte berührend ihre Seele aus…


    Wie schon vorher bemerkt ließ Kim Eun-Sun das Orchester oft viel zu laut spielen und deckte die Sänger oft zu. Ich hoffe, dass das in den letzten Vorstellungen besser wird. Sie ließ auch den gewissen Schmelz, den man in dieser Oper doch auch ein wenig braucht, komplett außen vor – aber dies ist vielleicht eine Geschmacksfrage.


    Alles in allem war es – dank der Herrenriege – ein überdurchschnittlich guter Repertoireabend, der viel, viel mehr Besucher vertragen hätte. Die Anwesenden dankten allen Mitwirkendem mit starkem und (im Vergleich mit den zuletzt von mir besuchten Vorstellungen) lang anhaltendem Applaus, nicht nur nach dem Ende der Vorstellung, sondern auch beim Ende eines jeden Bildes (die Bohéme wird ja als Oper in vier Bildern beschrieben).


    .. und weil ich vorher das „Verratene Meer“ erwähnt habe -> wer verbietet zeitgenössischen Opernkomponisten eigentlich ins Ohr gehende (oder überhaupt) Melodien zu verwenden?!?? Diese findet man heutzutage vor allem in Musicals. Ja, ich finde solche schwelgerischen, melodienreiche Stücke sollten auch heutzutage öfters geschrieben werden.

    Art Blakey & The Jazz Messengers - Live in Tokyo 1961


    Ich habe in der Zwischenzeit meine Jazz-Sammlung auf ca. 650 Tonträger erweitert und höre gerade ein Doppelalbum, das vor ein paar Wochen auf den Markt gekommen ist. Es handelt sich um eine in Vergessenheit geratene Live-Aufnahme von Art Blakey's Jazz Messenger - in der Besetzung Lee Morgan (tp), Jymie Merritt (bs), Bobby Timmons (pi), Wayne Shorter (ts) und Art Blakey (dr). Tolle Tonqualität - und die Aufmachung der Platte ist genial - Gatefold mit interessanten Photos, dazu ein 8-seitiges Buch mit interessanten Interviews (besonders mit Wayne Shorter, der ja noch immer unter uns weilt) und sechs großen Postkarten.


    Hard Bop at its best!!!! Die Einführung zu dem Link spricht einer der Söhne von Art Blakey!

    Große Verwirrung erfasste mich als sich der Vorhang hob und die erste Szene geboten wurde – wo blieben die Verdoppelung der Figuren, Leinwände mit Szenen aus der Sierra Nevada, Leuchtreklamen mit Twitter-Nachrichten, Vorhänge in den Farben eines LSD-Rausches?!? War Regisseur Daniele Abbado überhaupt nichts zu dieser Oper eingefallen, sodass er sich gezwungen sah auf der Bühne das darstellen zu lassen, was im Libretto steht? Dazu noch historisierende Kostüme, keine Koffer etc. etc…


    Fragen über Fragen…


    Das im farbenfrohen anthrazitschwarz gehaltene Einheitsbühnenbild ermöglichte aber, sich auf die Personenführung zu konzentrieren – und verlangte vom Besucher nicht wirklich viel ab. Zum Großteil wurde ein Stehtheater geboten – was, angesichts des äußerst steifen spanischen Protokolls sogar gerechtfertigt ist. Ironie beiseite, nach all den „interessanten“ Produktionen der letzten Zeit war es sehr erfreulich, einer ziemlich werkgetreuen Inszenierung beiwohnen zu dürfen, mit einer wunderbar gelungenen Interpretation des Autodafé.


    Die Highlights des Abends waren sicherlich das Orchester der Wiener Staatsoper und der Chor der Wiener Staatsoper, einstudiert von Thomas Lang. Der im Dezember vielbeschäftigte Philippe Jordan entfesselte beeindruckende Klangwelten (die eine oder andere Unstimmigkeit zwischen Graben und Chor fiel aber auch auf).


    Die Titelrolle ist insofern sehr undankbar, dass der Sänger des Don Carlo im Gegensatz zu den anderen Hauptfiguren keine eigene, große Arie hat und dass Verdi einige schwierig zu singende Passagen für ihn komponiert hat. Ramón Vargas sang seinerzeit die Premiere dieser Produktion, die auch schon 9 Jahre her ist. Man merkt, dass Vargas seinen sängerischen Zenit wahrscheinlich schon überschritten hat, ein leichtes Vibrato zog sich durch den ganzen Abend, die Spitzentöne wirkten etwas gepresst und von Beginn an hatte ich das Gefühl, dass sich irgendwann einmal ein „Hoppala“ ergeben wird – leider war dem dann in der Szene des 4.Aktes mit Elisabetta so. Ursprünglich war Vargas ja nicht für diese Serie vorgesehen und sprang kurzfristig ein – deshalb gebührt ihm dafür durchaus ein Dankeschön!


    Die bei weitem beste Leistung des Abends gelang Boris Pinkhasovich als Posa. Das letzte Mal, als mich ein Sänger in dieser Rolle derart entzückte, ist auch schon eine Weile her – und mit Dmitri Hvorostovsky (Botha sang den Don Carlo) war es zufälligerweise auch ein Russe. Im Oktober 2019 hörte ich ihn zum ersten Mal als Onegin und war schon damals sehr angetan. In den letzten beiden Jahren hat sich seine Stimme weiter entwickelt, und wenn er diese auch weiterhin behutsam aufbaut (und seine Rollen entsprechend auswählt) wird er schon sehr bald zu den absolut führenden Sängern seines Fachs gehören!


    René Pape sang einen sehr soliden, phasenweise sehr verletzlich wirkenden, Filippo. Er strahlte Noblesse aus. Nach wie vor kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, dass der König wirklich jemals daran dachte, dass er von Elisabetta annehmen könnte, dass sie ihn liebt. Eine Zweckheirat, nichts mehr. Das konnte (unter normalen Umständen) mit Liebe ja nichts zu tun haben. Eingeengt vom spanischen Hofprotokoll (und unterdrückt von der zu dieser Zeit allmächtigen katholischen Geistlichkeit) ist Filippo im Prinzip ja auch ein Opfer (im Gegensatz zum Grande Inquisatore und dessen Handlangern, die hier eindeutig die Täter sind).


    Ad Grande Inquisatore – Ain Anger war ursprünglich als Filippo vorgesehen (2009 verkörperte er diesen Charakter schon in der französischen Fassung), wurde aber auf Grund der vielen Krankheitsfälle umbesetzt). Seine stimme ist dunkler als die von René Pape, was in der gemeinsamen Szene deutlich zum Ausdruck kam, nichtsdestotrotz fehlt es im noch ein bisschen an „Schwärze“, was vielleicht mit dem Alter kommt. Ich bin mir außerdem auch nicht sicher, wer die Rolle aktuell wirklich vom sängerischen her perfekt interpretieren könnte.


    Dan Paul Dumitrescu ist ein immer gern gesehener Sänger auf den Brettern der Wiener Staatsoper und als Mönch/Karl V. gehört er quasi zum „Inventar“ beider in Wien gezeigten Fassungen. Ich empfand, dass seine Stimmer an Ausdrucksfähigkeit und Tiefe in den letzten Jahren gewonnen hat (und frage – was mach ein Sänger, der zwischen seinen beiden Szenen rund 3 Stunden Pause hat ?!??).


    Nicht ganz auf dem Niveau der Männer empfand ich die weiblichen Besetzungen. Ekaterina Gubanova hat einen meiner Meinung nach etwas hellen Mezzosopran und überzeugte nicht wirklich, zu ähnlich empfand ich ihre Stimme im Vergleich mit der von Maria Josè Siri, die für die Interpretation der Elisabetta verantwortlich zeigte. Beide Sängerinnen waren rollendeckend, was in diesem Fall kein Kompliment ist. Auch Isabel Signoret konnte ihrem „Tebaldo“ nicht die Präsenz entlocken, zu der Rollenvorgängerinnen im Stande waren.


    Die kleineren Rollen waren mit Fabiola Varga, Robert Bartneck und Ileana Tonca gut besetzt.


    Trotz einiger Einwände war es ein sehr gelungener Abend, das Publikum (wieder war die Galerie nicht wirklich gut besucht) spendete viel Applaus. Noch einmal ein Danke an das Orchester, den Chor und an Boris Pinkhasovich für herausragende Leistungen.

    Totenhaus feat. Winterreise feat. Richie W.


    Wiener Staatsoper, 21.12.2021


    Ich kenne aus dem Genre des Jazz so genannte „Fusion“ – Jazz, gemischt mit Elementen des Rock und Folk, Hip-Hop etc.


    Die Wiener Staatsoper hat nun ein ähnliches – und vorweg sehr gelungenes – Experiment auf den Spielplan unter dem Arbeitstitel „Parsifal“ gesetzt. Dabei werden drei Ebenen gleichzeitig bedient – auf Videoeinspielungen eine auf höchstem Niveau gefilmte „Winterreise“, dazu ein Gefängnis- und #metoo – Drama, unterlegt mit der Musik von Richard Wagner.


    Der erste und dritte Akt wäre die ideale Spielstätte für „Aus einem Totenhaus“ während der zweite Akt in der Redaktion eines Lifestyle-Magazins spielt. Man sieht den Alltag von Gefangenen, die sich körperlich ertüchtigen, unterstützt von Videosequenzen, die die verschiedensten Tätowierungen der Männer zeigen (interessanter Weise sehr oft in Übereinstimmung mit den Themen, über die in dem Stück von Richard Wagner gerade angesprochen werden). Man sieht auch den Mord an einem sehr androgynen Mithäftling mit einem Schwanen-Tattoo. Dass in dieser Filmsequenz „full frontal nudity“ gezeigt wird macht diese Szene sehr realistisch (in den USA dürfte man das so sicherlich nicht zeigen). Das ganze wird in verschiedenen Zeitebenen dargestellt – der Mörder scheint sich seiner Vergangenheit zu besinnen und reflektiert das, was einst in der Haftanstalt geschehen ist. Warum er seine Haftstrafe zu verbüßen hat, bleibt aber leider im Dunkeln. Eine wichtige Person scheint eine Redakteurin/Fotografin des oben angesprochenen Magazins zu sein, die anscheinend mehr oder minder freien Zutritt zu den Häftlingen hat und diese sowohl in verschiedensten Posen ablichtet, als auch Geschenke für diese mitbringt. Auch die Korruption (Drogenhandel) des Wachpersonals wird immer wieder gezeigt (überhaupt – Kirill Serebrennikov liefert eine wunderbare Personenführung ab, ich verstehe allerdings nicht, dass er nur als verantwortlich für „Regie, Bühne & Kostüme“ angeführt ist und nicht für das gezeigte Schauspiel…). Es gibt hier auch einen alteingesessenen Häftling, der für die Jüngeren eine absolute Autoritätsperson ist und auch eigenhändig einem jüngeren Mann ein „Peckerl“ verabreicht. Der Autor bezieht sich hier augenscheinlich auf die in der russischen Mafia obligaten versteckten Botschaften bei Tattoos. Und dann gibt es auch einen Gefangenen, der seinerzeit ein großer Bandenboss gewesen sein dürfte, da sich seine Mithäftlinge sehr um ihn kümmern. Gesundheitlich geht es ihm nicht sehr gut und anscheinend leidet er auch unter Wahnvorstellungen. Der erste Akt des Dramas endet damit. Szenenwechsel zum zweiten Akt. Wir befinden uns in einer Redaktion, wo das Publikum einen richtigen „Ungustl“ begegnet, der anscheinend der Chefredakteur ist. Die Redakteurin, die wir im ersten Akt kennengelernt haben, weist seine Annäherungsversuche ab, allerdings scheint es, dass sie ihm irgendwie verfallen ist. Na ja.


    Eine Überraschung – der junge Häftling, der den Mitgefangenen ermordet hat, erscheint zu einem Photo-Shooting. Hat er Hafturlaub, wurde er wegen guter Führung vorzeitig entlassen – leider bleibt auch dies unbeantwortet. Neben dem Chefredakteur gibt es nur weibliche Angestellte, die den – zugegeben sehr gut aussehenden jungen Mann – umschwärmen, sich kaum daran sattsehen können, wie er sich komplett entkleidet und „hippe Klamotten“ anzieht. Fotos werden gemacht (diese sieht man dann im Großformat auf den Leinwänden oberhalb des Bühnengeschehens). 6 jüngere Redakteurinnen buhlen sehr offensiv um die Aufmerksamkeit des Models, bis es der bereits sattsam bekannten Gruppenleiterin zu viel wird und alle anderen Anwesenden hinauswirft. Nun ist sie an der Reihe, sie hat eine sehr erotische Ausstrahlung und küsst den jungen Mann leidenschaftlich. Dieser wiederum ist darob äußerst verwirrt und es beginnt ein längeres Gespräch, in dem die Frau dem Jüngling anscheinend etwas über ihre Vergangenheit erzählt und ihm wieder an die Wäsche geht. Schlussendlich erscheint der Chefredakteur, es gibt ein Wortgefecht (Inhalt - ?!???) und die Frau erschießt ihn. Ende von Akt 2.


    Es dürften viele Jahre zwischen dem Ende des 2.Aktes und dem Geschehen des 3.Aktes liegen. Wir befinden uns wieder im Gefängnis, zuerst offensichtlich im Frauentrakt, zu dem der eine Häftling (Tattoos..), den wir bereits kennen lernen durften, augenscheinlich Zutritt hat. Wir sehen auch die Mörderin vom 2.Akt wieder – sichtbar gealtert. Dann die Überraschung – das „Model“ dürfte wieder nach vielen Jahren eine Straftat begangen haben. Der Mann ist nun um die 50 Jahre alt – und auch er darf aus mir nicht erfindlichen Gründen den Frauentrakt besuchen. Er hält ein Eisenrohr in den Händen (warum wurde das ihm nicht abgenommen ?!??), die Mädels waschen ihn, er bekommt von dem anderen, privilegierten, Häftling sogar ein blütenweißes Hemd, und schon verlässt man den Frauentrakt. Schnitt – jetzt wieder bei den „schweren Jungs“. Da sieht man wieder den kranken Anführer, der eine Urne in den Händen hält, dann auch etwas Asche verstreut, was einem Teil seiner Mitgefangenen sichtlich missfällt und es zu einer Rangelei kommt. Aber – der „Häftling in Weiß“ kommt, begleitet von dem Tätowierer und der Ex-Redakteurin, hält eine Rede, die sehr gut angenommen wird. Im Hintergrund öffnen sich die Tore (was eine sehr schöne Metapher ist), alle stürzen hinaus (der Ermordete mit dem Schwanentattoo ist auf der Leinwand auch wieder lebendig) und der „Held“ bleibt alleine, sinnierend, zurück. Tusch und Ende des Schauspiels, das ich extrem spannend, hervorragend inszeniert und bebildert empfunden habe.


    Als Experiment wurde dazu die Musik von Richard Wagners „Parsifal“ gespielt – und das auf allerhöchstem Niveau. Natürlich ist das Orchester der Wiener Staatsoper einer der führenden Klangkörper für seine Werke. Dieses Mal stand als Dirigent Philippe Jordan am Pult. Er dirigierte sehr sängerfreundlich, manchmal etwas (für meinen Geschmack) zu elegisch, konnte aber nichtsdestotrotz den Musikfluss aufrecht erhalten. Die (handgestoppte) Generalpause von 18 Sekunden nach „Ich lachte“ war etwas übertrieben – im Vergleich zu Thielemann in 2005 baute sich auch im Publikum keine so große Spannung auf.


    Für mich neu – die Rollen des Amfortas und Klingsor wurden vom gleichen Künstler gesungen, in diesem Fall von Wolfgang Koch, der beiden Anforderungen mehr als gerecht wurde. Ich kann nicht nachvollziehen, warum man den Klingsor nicht Wolfgang Bankl singen ließ, der diese Rolle schon so oft verkörpert hat (und der an diesem Abend aus dem Off den Titurel sang). Das war eine meiner Meinung nach vergebene Chance.


    Den mit Recht meisten Applaus erhielt Georg Zeppenfeld als Gurnemanz – ich habe selten eine derart wortdeutliche Interpretation gehört. Eine weltklasse-Leistung. Brandon Jovanovich hat keine Probleme als Parsifal – ähnlich wie JK hat er ein eher baritonal gefärbtes Timbre, war aber sehr höhensicher und ebenfalls wortdeutlich.


    Anja Kampe bewies eine gute Mittellage, hatte sehr ordentliche dramatische Ausbrüche, bei denen aber leider der eine oder andere Ton nicht 100%ig gelang.


    Die kleineren Rollen wurden einerseits mit Ensemblemitgliedern besetzt, allerdings fand man auch 8 Mitglieder unseres Opernstudios auf der Bühne – was ich sehr gut fand.


    Zum Publikum – die Galerie Seite war schütter besucht (Parkett, Logen und Balkon waren fast voll), nach dem zweiten Akt gingen einige Besucher nach Hause. Und dann gab es einen Zeitgenossen, der nach jedem Akt-Ende ein kräftiges „Buh“ von sich gab, was dann wieder „Bravos“ zu Folge hatte. Der Mann buhte dann auch als einziger Nikolay Sidorenko aus, der den jungen Häftling/das Model hervorragend darstellte. Dies war so überflüssig – wenn der Herr Probleme mit der Inszenierung hat, dann soll er einen Leserbrief schreiben. Da es sich um keine Premiere handelt (wo meistens das Leading Team anwesend ist) – warum buhte er? Die musikalische Leistung war außerordentlich!!!


    Zusammenfassend – das Experiment ist gelungen, es hilft wenn man den „Parsifal“ schon oft gesehen hat und entsprechend die Handlung kennt. Die Musik und den Originaltext mit einer anderen Handlung zu unterlegen ist sehr spannend, da man doch an und ab Parallelen erkennen kann. Handwerklich passt da alles – man ist als Besucher einfach mehr gefordert. Ich freue mich schon auf die nächste Serie…

    Der doppelte Retter

    Der Rosenkavalier


    Wiener Volksoper, 17.11.2021


    … und es begab sich dass der Premierensänger des Ochs, Stefan Cerny, krankheitsbedingt schon nach der zweiten Vorstellung der Serie den Rest der Vorstellungen absagen musste. Es gelang der Direktion mit Franz Hawlata einen sehr erfahrenen Sänger als Ersatz zu engagieren, der nicht nur bereits über 500x diese Rolle verkörpert hat, sondern noch dazu die Inszenierung gut kannte (es ist eine Übernahme der Produktion aus Bonn), da er in dieser auch schon aufgetreten war. Schade, dass ich nicht die Möglichkeit hatte den jungen Wiener Cerny als Ochs zu erleben – alleine durch den Altersunterschied, so könnte ich mir vorstellen, würde da ein ganz anderes Bild des Lerchenauers gezeichnet worden sein.


    Warum spreche ich vom „doppelten Retter“? Zu Beginn der gestrigen Vorstellung wurde dann auch noch bekannt gegeben, dass Hawlata krank sei, aber trotzdem an diesem Abend auftreten werde. Nun, alleine schon aus diesem Grund wäre es unfair über die Leistung des Sängers ein Urteil abzugeben. Er schonte seine Stimme im ersten Akt, begann den 2.Akt sehr souverän, musste dann aber gegen Ende schon wieder auf „Überlebensmodus“ zurückfahren. Seine schauspielerische Leistung war indes beeindruckend (inwieweit sie mit dem Regiekonzept übereinstimmte, sei dahingestellt), er brachte seine ganze Erfahrung aufs Tapet. Sein Ochs ist ein „grober Lackel“, wäre ein Fressen für die „me-too“-Gemeinde gewesen, in der Konversation mit der Marschalling zeigte er aber nichtsdestotrotz dass er – wenn es unbedingt sein muss – sich wohl zu benehmen weiß. Das Publikum dankte dem Sänger für seinen Auftritt mit sehr freundlichem Applaus.


    Die vom Publikum am meisten akklamierte Sängerin des Abends war Beate Ritter in der Rolle der Sophie. Als gelernter Wiener hat man die Schenk-Inszenierung an der Staatsoper ja schon viele Male gesehen, und meistens wird sie dort als sehr unschuldiges Wesen dargestellt. Hier ist sie ein selbstbewusstes junges Mädchen, das sich (im Gegensatz zur Marschallin – wie diese ja selbst sagt) nicht ohne weiteres ihrem Schicksal ergeben möchte. Es ist auch nicht die Liebe auf den ersten Blick zwischen Octavian und ihr, diese ergibt sich erst im Verlauf des 2.Akts. Eine interessante Interpretation, die dem Regiekonzept zuzuschreiben ist. Leider geht dadurch der Zauber bei der Überreichung der Rose ziemlich verloren (und ist es wirklich notwendig gewesen eine Slapstick-Aktion einzufügen? Wenn Sophie dem Octavian die Rose zum Riechen hinhält, dann stolpert sie ein bisschen und rammt ihn diese ins Gesicht…). Ritter beherrscht die Rolle perfekt – es wird interessant sein, wie sie sich ein einem größeren Haus bewährt.


    Emma Sventelius ist von der Figur und vom Auftreten her ein idealer Octavian. Ihr Mezzo ist zwar etwas hell und daher beim Schlussterzett nicht leicht von den beiden Sopranen zu unterscheiden, aber das ist schon der einzige Einwand, den ich vorbringen kann.


    Beeindruckend, besonders vom schauspielerischen Standpunkt aus, war die Leistung von Jaquelyn Wagner als Marschallin. Auch ihr Monolog ging wirklich unter die Haut. Eigentlich von der ersten Szene weg konnte man erahnen, dass die Liaison mit Octavian nicht lange anhalten wird. In ihrem Gesang spiegelte sich eine gewisse Wehmut in ihrem Gesang. Die Amerikanerin, die schon auf eine erfolgreiche internationale Karriere zurückblicken kann, ist – wie auch Ritter und Sventelius – ein absoluter Gewinn für diese Produktion. Ähnlich wie bei Beate Ritter wäre es interessant, wie sie sich auf einer wirklich großen Bühne schlägt.


    Morten Frank Larsen war ein verlässlicher Faninal, der eher als „Prolet“ denn als frisch geadelter Mann gezeichnet ist, Ulrike Steinsky eine manchmal etwas schrille Leitzmetzerin. Das Intrigantenpaar war bei Johannes Mertes und Margarete Joswig in guten Händen, ohne dass beide besondere Akzente setzen konnten. Daniel Ohlenschläger beeindruckte als stimmgewaltiger Polizeikommissar.


    Einer, der aus seiner Nebenrolle viel herausholte, war Carsten Süss. Der Haushofmeister bei Faninal wurde von der Regie sehr genau gezeichnet – und es bedarf wahrscheinlich ein oder zwei weitere Besuche der Produktion, um alle Kleinigkeiten, die Regisseur Josef Ernst Köpplinger der Produktion „verschrieben“ hat, zu entdecken.


    Vincent Schirrmacher überzeugte mit seinem kraftvollen Tenor und er brachte diese recht schwierige Arie gut über die Runden. Alle anderen Mitwirkenden seien pauschal gelobt.


    Hans Graf dirigierte das Orchester der Volksoper für meinen Geschmack etwas zu laut (aber vielleicht hörte es sich am Balkon und auf der Galerie anders an als im Parkett. Und – um wieder die Staatsoper als Vergleich zu bemühen – DORT spielen halt die Philharmoniker…


    (allerdings „borgte“ sich die VOP das Bühnenorchester der Wiener Staatsoper aus !)


    Thomas Böttcher studierte den Chor der Wiener Volksoper wunderbar ein.


    Zum Abschluss noch einige Bemerkungen zur Inszenierung. Nach 40 Jahren wieder eine Neuinszenierung des Rosenkavaliers in Wien – alleine das ist ja schon ein Wagnis, noch dazu, dass die Schenk-Produktion sicherlich zu den schönsten überhaupt gehört. Und das Wagnis hat sich gelohnt, denn man findet durch eine sehr gelungene Personenführung einige andere Akzente als im Haus am Ring.


    Eine der am besten gelungenen Einfälle ist der, dass Octavian im ersten Akt ein Tuch der Marschallin mitnimmt, mit ebendiesem im zweiten Akt der Sophie die Tränen abwischt und sie es dann behält – und im dritten Akt verliert sie es und „Mohammed“ nimmt es und somit geht es wieder an die Marschallin retour – „Full Circle“


    Es ist insgesamt eine im besten Sinne des Wortest konservative Inszenierung, die von Köpplinger (der auch für das Licht verantwortlich zeigt), Johannes Leiacker (Bühne) und Dagmar Morell (Kostüme) verantwortet wird. Nicht ganz glücklich war ich mit dem dritten Akt. Das „Wirtshaus“ erschien als Bar (zwar im Stil des frühen 20.Jahrhunderts – in diese Zeit war die Oper angesiedelt), doch war das alles sehr nüchtern. Und die Regie schickte auch sämtliche Mitwirkende der Oper auf die Bühne (was hatten da die „drei adeligen Waisen“ – die auch überzeichnet waren – zu suchen ?!?).


    Trotz allem lohnt es sich diese Produktion zu sehen – ich werde sie sicherlich bei einem Re-Run besuchen!

    Holst du jetzt die verlorene Zeit nach und packst schnell alles an Live-Aufführungen rein was diese Saison noch hergibt? ;)

    Ich habe inzwischen meine ersten Karten für September/Oktober geordert. Bislang Otello mit Gregory Kunde, der neue Barbier mit Florez, und Adriana Lecouvreur mit Garanca als Principessa. Die neuen Kartenpreise muss man allerdings erst mal verdauen, was? :wacko:

    Ich versuche es zumindest. Letzte Woche war ich im Konzerthaus, heute ist Musikverein dran und bis Ende der Saison noch 1 x Volksoper und 3 x Staatsoper (Macbeth, Elektra, Lohengrin). Für September/Oktober habe ich alle Karten per Internet erhalten die ich wollen habe (Barbiere-Premiere, Adriana, Das verratene Meer, Poppea). Ja, die Preisgestaltung tut weh - die Sitze, die wir für uns Merker-Mitarbeiter haben, kosten nun um EUR 10,- mehr. Also bin ich jetzt auf die Galerie Ganzseite, 1.Reihe, Platz 5, ausgewichen - da sind die Preise noch gleich und man sieht (relativ) gut.


    Wird eigentlich immer noch zu Beginn der Soldat minutenlang im Kreis über die ganze Bühne gejagt? Und muss er dann zum Intermezzo auch immer noch splitterfasernackt dazu tanzen? Was er zweifellos sehr ästhetisch gemacht hat.


    Ja - und es wird auch gekokst und auf den zusammengeschlagenen Zuniga gepisst.. Aber wie Gregor schon schrieb, das regt heutzutage niemanden mehr wirklich auf. Wer übrigens Interesse daran hat mehr über die "wirkliche" Welt des Milieus zu erfahren, der soll einmal das Buch "Der Minus-Mann" von Heinz Sobota lesen. Eine Autobiographie - dagegen ist das, was Bieto plakativ auf die Bühne stellt, eine zuckersüße Ponyfarm...

    ...... Da ich allerdings gerne immer wieder neue Lesarten der Opern-Klassiker sehe, hätte ich es auch besser gefunden, wenn die Staatsoper eine Neuinszenierung gewagt hätte

    Ja, das stimmt schon - allerdings muss man auch in Betracht ziehen, dass es die erste Saison der neuen Direktion ist - und Bogdan Roscic gleich 10 (!!) Neuproduktionen herausbrachte. Ich denke, dass das auch mit den finanziellen Möglichkeiten zu tun hatte da auf alte Produktionen, die sich allerdings bewährt haben, zurückzugreifen. Nächste Saison wird es nur noch 5 Premieren (so weit ich mich erinnern kann 4 davon wirklich neu) geben.

    Nein, Regisseur Calixto Bieto zeichnete keine romantische Version dieser Oper – aber das wusste man ja schon vorher. Bieto, der „Gottseibeiuns“ vieler Anhänger der konservativen Inszenierungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts zeigte ein Abbild einer Wirklichkeit, die vielleicht viele Opernbesucher in dieser Brutalität gar nicht kennen. Das muss man so nicht zeigen, aber man kann es auf jeden Fall!


    Diese Produktion vor Ort zu sehen hinterließ einen ganz anderen Eindruck als der Live-Stream. Die szenische Einstudierung von Bieto und Joan Anton Rechi ist sehr komplex und man muss „diese“ Carmen wahrscheinlich öfter sehen, um die verschiedenen Geschichten, die oft im Hintergrund oder an der Seite ablaufen, zu erfassen. Über das Bühnenbild (nun ja, mehr oder minder ein leerer Raum) von Alfons Flores haben schon andere Kollegen berichtet, deshalb erspare ich mir das.


    Die Handlung wurde in die zweite Hälfte des 20.Jahrhunderts verlegt, ebenso spielt sie nicht in Sevilla, sondern in einer spanischen Enklave an der Mittelmeerküste.


    Es findet sich kaum eine heldenhafte oder gänzlich positive Person in diesem Stück – mit einer Ausnahme, einem jungen Mädchen, das wahrscheinlich die Tochter der Mercédes sein sollte. Sie (dargestellt von Giulia Mandelli) muss in dem Milieu von Schmugglern, Drogendealern, Huren und gewalttätigen Soldaten aufwachsen. Sie möchte lieber mit ihrer Puppe spielen, allerdings wird sie gezwungen sich aufreizend zu kleiden, Pumps anzuziehen, damit im 3.Akt die Wachen abgelenkt werden. Ich fand dies extrem erschütternd, da mich das an etwas erinnerte, das ich vor einigen Jahren erlebt habe. Ich war als Schöffe bei einem Prozess eingeteilt, wo es um Kindesmissbrauch geht. Die Großmutter kleidete ihre 13-jährige Enkelin in Dessous, machte Photos und schickte sie weiter. Die Mutter nahm die andere Tochter zu ihren „Kunden“ mit – ich glaube, ich muss nicht mehr ins Detail gehen. Es taten sich da menschliche Abgründe auf – und genau mit diesen konfrontiert Bieto das Publikum…


    Die Inszenierung ist sehr veristisch und ich finde auch, dass die Massenszenen sehr gut realisiert sind – besonders der Beginn des 4.Akts ist besonders gelungen, es gab auch heute dafür Szenenapplaus. Diese Art von Verismo findet sich auch im Dirigat von Alexander Soddy wieder, der sehr zügige Tempo anschlug und nie den Spannungsbogen verlor.


    Dadurch, das an diesem Abend die Interpretation der Musik sich der Regie anpasste, litt ein wenig die Arie der Micaela im 3.Akt. Vera-Lotte Boecker gelang es nicht (oder fast besser gesagt „konnte es nicht gelingen“) so lyrisch zu klingen wie man es von anderen Interpretinnen gewohnt ist. Allerdings ist diese Micaela nicht als „Unschuld vom Lande“ gezeichnet, sondern auch sie hat negative Seiten, sie bedrängt Don Jose und bedroht auch die Carmen. Boecker wurde stürmisch bejubelt – was mich ein wenig verwunderte.


    Dass die Inszenierung repertoiretauglich ist, bewies alleine schon die Tatsache, dass drei der Hauptrollen mit Künstlern besetzt waren, die an der Erarbeitung der Premiere nicht beteiligt waren. Vor allem ist naturgemäß hier die Hauptdarstellerin, Elena Maximova, zu erwähnen. Sie hat schon viele Erfolge an der Staatsoper gefeiert und fügte an diesem Abend einen weiteren hinzu. Im Vergleich zur Sängerin der Premiere fehlt ihr ein wenig die Tiefe, aber das glich sie mit ihrer Spielfreude mehr als aus. Dass sie auch komplett andere körperliche Voraussetzungen mitbringt, die wahrscheinlich eher zur Personenregie passen, kommt auch noch hinzu. Man erlebte eine selbstbewusste junge Frau, die unter Machos lebt und von ihnen auch immer wieder misshandelt wird. Aber sie bleibt den Männern nichts schuldigt und schlägt sie mit den Waffen der Frau – schlussendlich wird sie aber doch das Opfer eines ihrer vielen Liebhaber.


    Don Jose wird in vielen Inszenierungen mehr als Opfer porträtiert, weniger als Täter. Bieto zeichnet ihn anders – von Beginn an erkennt man den brutalen Kern dieses Mannes, der sich nur am Anfang ein wenig zurücknehmen kann. Je länger der Abend dauert, desto mehr zeigt er sein wahres Gesicht. Dmytro Popov zeigte eine ganz ausgezeichnete Leistung – und ich ziehe seine Interpretation der von Piotr Beczala vor. Noch einmal – die Tatsache, dass er niemals romantisch klingt, passt zur Produktion. Er hat das Volumen, das für die Staatsoper benötigt wird, und hat überhaupt keine Höhenprobleme. Er war ein würdiger Gegenspieler von Carmen und Escamillo.


    Ad Escamillo – ich wiederhole mich immer wieder, dass es meiner Meinung seit Samuel Ramey keinen Sänger gegeben hat, der diese Rolle wirklich ausgefüllt hat. Aber – tempi passati – und Staatsoperndebütant Gabor Bretz machte seine Sache sehr, sehr ordentlich!


    Ileana Tonca (Frasquita) und Szilvia Vörös (Mercedes) blieben unauffällig, Clemens Unterreiner als Dancaire zeigte auch an diesem Abend, dass es keine „kleinen“ Rollen gibt, Carlos Osuna (Remendado) ergänzte das Schmugglerquartett.


    Peter Kellner gefiel mir als Zuniga sehr gut, auch Martin Häßler machte als Moralès eine gute Figur. Erwähnenswert finde ich auch die Aufwertung der Figur des Lillas Pastia (Jason Dunman), dessen Rolle ich als „Master of Ceremonies“ wahrnahm und für einige – auch überraschende – Momente sorgte.


    Allen Chören der Staatsoper und den Kindern der Opernschule sei ein Pauschallob ausgesprochen.


    Noch ein Wort zu Alexander Soddy – ich liebe seine Arbeit (seine Salome im Vorjahr war für mich eine der beeindruckendsten Vorstellungen seit langem!) und er beginnt langsam, zu einen meiner Lieblingsdirigenten zu werden.


    Das Publikum war begeistert. Und mit was? Mit recht…


    P.S. ich ergänze noch mit einer Textpassage von meinem Kollegen Manfred Schmid, dem eigentlich nichts hinzuzufügen ist ->


    Dass man es mit der political Correctness lächerlich übertreiben kann, ist dem deutschen Text auf den Monitoren zu entnehmen. Als Carmen bekennt, dass es ihr bei ihren Liebschaften nicht auf Rang und Namen ankommt, gibt es folgende Übersetzung zu lesen: „Für mich als Romni“ sei das nicht von Bedeutung. Und die Operette Der Zigeunerbaron heißt demnächst vermutlich Der Sintibaron.

    Lieber Dreamhunter, auch von mir vielen Dank für deinen Bericht. Weisst du ob irgendwelche dieser Aufführungen aus der Staatsoper im Internet im Rahmen von Staatsoper live at home übertragen werden ? Ich werde nächsten Donnerstag in Düsseldorf den Barbiere von Rossini sehen mit u.a. Paolo Rumetz als Dr. Bartolo.

    Aktuell weiß ich von keine Aufführungen - ich weiß dass es Gespräche gibt, den Macbeth mit Netrebko irgendwann zu streamen, Termin steht noch keiner fest. Und dann sagt man, dass ab 2021/22 der Stream nur noch in Österreich kostenlos sein wird.


    @ Rumetz - ja, er wurde (nach dem Tod von Alfred Sramek) quasi unser Haus-Bartolo (und ist da bei weitem besser eingesetzt als z.B. als Rigoletto). Apropos Barbiere - ich konnte mir heute eine Karte für die Premiere im September sichern (mit JD Florez). Nach 55 Jahren eine Neuproduktion - die letzte Premiere in Wien sang da noch Fritz Wunderlich...