Beiträge von Dreamhunter

    1. Es ist falsch, dass "Il trittico" in seiner Gesamtheit zum ersten Mal an der Wiener Staatsoper aufgeführt wurde. Anfang der 20er sowie Ende der 70er gab es bereits Produktionen, die das Werk vollständig präsentierten.

    2. "Il tabarro" und "Suor Angelica" sind keine Raritäten. Wenn man sich ernsthaft mit dem Genre Oper und maßgeblichen Interpreten beschäftigt, kommt man an diesem Stücken eigentlich nicht vorbei. Das "Trittico" wurde und wird an großen Opernhäusern immer wieder in Neuproduktionen und Repertoirevorstellungen gezeigt. Kürzlich brachten die Deutsche Oper Berlin sowie die Staatsoper Hamburg Neuproduktionen von "Il trittico" heraus.

    3. Das dritte Werk heißt "Gianni Schicchi".

    Mea culpa!!!

    Knappe 115 Jahre nach der Uraufführung in New York schaffte es das puccinische Tryptichon in seiner Gesamtheit endlich an die Wiener Staatsoper – und wenn man die drei Kurzopern gesondert betrachtet kann man durchaus nachvollziehen, dass zuvor nur „Gianni Schicci“ am Haus am Ring aufgeführt wurde.


    Puccini wollte an einem Abend ein tragisches, ein lyrisches und ein heiteres Stück kombinieren – ohne diese auch nur von der Handlung her im Geringsten miteinander in Verbindung zu bringen. Dass er mit „Schicci“ das Stück, das zumindest eine Arie beinhaltet, zum Schluss ansetzte, zeigte die „Theaterpranke“ des Komponisten, da dieses das Publikum dann mit einem heiteren Grundton (sofern das bei Puccini überhaupt möglich ist) in den Abend (nun, eigentlich in Wien in die Nacht…) entlässt.


    Henrik Ahr war für die Bühne verantwortlich und ließ sie fast vollkommen leer – was im Gegensatz zu überfrachteten Produktionen (z.B. La Traviata) sehr angenehm war. Oft war ein Sessel das einzige Requisit – und so konnte man sich auf die Musik und die (teilweise vorhandene) Personenführung der Regisseurin Tatjana Gürbaca konzentrieren. Die Kostüme waren von Silke Willrett entworfen und entsprachen dem Stil zu Mitte des 20. Jahrhunderts – was nicht wirklich störend war.


    Il Tabarro


    Der „tragische“ Teil behandelt ein Eifersuchtsdrama – junge Frau heiratet älteren Mann, das gemeinsame Kind stirbt kurz nach der Geburt, sie verliebt sich in einen jüngeren Mann und betrügt ihren Gatten, der erfährt davon, tötet den Nebenbuhler – Ende der Oper


    Was manchmal in drei Stunden abgehandelt wird, wurde da (angenehmerweise, da ehrlich gesagt die Charaktere nicht sehr ausdifferenziert geschrieben wurden) auf eine Stunde verkürzt.


    Michael Volle mutierte innerhalb zweier Tage vom rücksichtsvollen Färber aus „Frau ohne Schatten“ zum mit Recht eifersüchtigen Schiffer Michele. Er beherrschte das Geschehen und war sehr glaubwürdig. In diesem Teil war von Personenführung nicht wirklich viel zu sehen (kann auch Absicht gewesen sein) – die Regisseurin spielte teilweise mit Verdoppelung der Figuren (die von der Galerie Seite aus nur schwer zu erkennen waren). Anja Kampe konnte ihre dramatischen Fähigkeiten zur Geltung bringen, während Joshua Guerrero als Luigi eine etwas ungleichmäßige Leistung darbot – sehr guten Acuti folgten dann wieder so manche Passagen, an denen er mit der Lautstärke des von Philippe Jordan geleiteten Orchesters seine Probleme hatten.


    Hervorragend die Besetzung der kleineren Rollen – Monika Bohinec bewies wieder einmal, wie wichtig sie für das Haus ist (und dass sie sehr wohl auch andere Rollen als die diverser Hexen zu spielen und singen vermag), Dan Paul Dumitrescu spielte ihren Gatten (der allerdings die Liebe seiner Frau mit deren Kater zu teilen hat), Andrea Giovannini einen weiteren Arbeiter, der, um Michele zu zitieren „Trinkt, damit er seien untreue Frau nicht umbringen muss….“


    Der Liederverkäufer verkauft in dieser Produktion (auch?) Ballons, gesungen und gespielt vom Mitglied des Opernstudios Katleho Mokhoabane. Für die Bekleidung des im Hintergrund agierenden „Liebespaares“ war anscheinend doch kein Budget übrig, sodass Ted Black (ebenfalls aus dem Opernstudio) und Florina Ilie in Unterwäsche agieren mussten.


    Während das Libretto den Ausgang offen ließ (hier entdeckt Giorgetta die Leiche des Luigi unter dem des , der Oper namensgebenden, Mantels, schreit auf – Ende der Oper) verändert die Regisseurin hier das Ende. Im Original wird Luigi erwürgt, hier erstochen. Und dann schneidet sich Michele selbst die Kehle durch. Kann man machen, muss man aber nicht.


    Suor Angelica


    Diese Oper findet man wirklich relativ selten auf den internationalen Spielplänen – und das meiner Meinung nach mit Recht. Sie ist sicherlich sowohl vom Libretto als auch musikalisch der schwächste Teil des Abends.


    Kurz zum Inhalt – Vor 7 Jahren bekam eine Fürstentochter ein Kind, dieses wurde ihr weggenommen und Angelica wurde darob in ein Kloster gesteckt, weil sie Schande über die Familie gebracht hat. Fast forward zur „Gegenwart“ – Tante besucht sie und bringt Angelica dazu ihr Erbteil an ihre jüngere Schwester abzutreten, erzählt außerdem dass der Knabe seit zwei Jahren tot ist. Angelica vergiftet sich. Ende der Oper.


    Insgesamt ist der Aufbau der Oper nicht unähnlich dem dritten Akt der „Bohéme“ – es ist anfänglich ein Konversationsstück, das dann ins Tragische hineinkippt.


    Die Kostüme stören nicht, allerdings hat auch da die Regisseurin Änderungen im Ablauf inszeniert, die dem Text (und Originallibretto) nicht entsprechen. Andere Kollegen haben diese bereits beschrieben, daher spare ich mir dies.


    Eleonora Buratto, in Wien bekannt durch ihre Mozart- und Verdi-Rollen ist eine hervorragende Besetzung und lässt keine Wünsche übrig, Michaela Schuster überzeugt als gefühlskalte und berechnende Tante.


    Die weiteren, kleineren Rollen, wurden mit Mitgliedern des Ensembles, des Opernstudios und des Chors besetzt – zur Vollständigkeit seien die Künstlerinnen erwähnt – Monika Bohinec, Patricia Nolz, Daria Sushkova, Florina Ilie, Pittock Davidona, Charlotte Jefferies, Isabel Signoret, Anna Bondarenko, Mari Nakayama, Chalkia Antigoni, Svenja Kallweit und Arina Holcecek.


    Gianni Schicci


    Das Beste zum Schluss. Hier wurde eine Episode der „Divina Commedia“ des Dante Alighieri zum Vorbild genommen (und Librettist Giovacchino Forzano lässt ganz zum Schluss die Titelfigur de fact in den dritten Raum treten und sich bei Dante bedanken – ein sehr ungewöhnlicher, aber durchaus reizvoller Kunstgriff).


    Handlung – Reicher Mann (Buoso Donati) stirbt. Er enterbte die Familie, diese sucht nach einem Ausweg um doch noch ans Erbe zu kommen. Sie wenden sich an den „Zugereisten“ Gianni Schicci, der mit der Familie insofern was zu tun hat, indem sich ein Mitglied in dessen Tochter verschaut hat und Schicci den Ruf hat, in vielen Dingen sehr einfallsreicht zu sein. Schicci lässt, nachdem außer dem engsten Familienkreis noch niemand weiß, dass Donati tot ist, einen Notar rufen, gibt sich als Donati aus und diktiert ein neues Testament. Die „Filetstücke“ vererbt er sich selbst, wirft bis auf den zukünftigen Bräutigam seiner Tochter alle aus - nun „seinem“ - Haus, das Liebespaar darf bleiben, Lauretta begeht doch nicht Suizid (vorher droht sie ja damit – das ist der Inhalt der berühmten Arie „O mio babbino caro“), Ende der Oper.


    Die Titelfigur ist bei Ambrogio Maestri bestens aufgehoben – schon seit vielen Jahren erfreut er das Publikum mit seiner Interpretation diverser Buffo-Rollen. Die Spanierein Serena Sáenz bestach nicht nur durch ihr wirklich hervorragendes Aussehen (Soft Fact – sie hat auch eine Trainerlizenz als Fitness Coach), sondern auch mit ihrer lyrischen Stimme. Ich hörte zum ersten Mal ihre Arie in Zusammenhang mit der Oper – was einen komplett anderen Eindruck auf mich machte als wenn diese im Rahmen einer Operngala dargebracht wird. Im Musikfluss ging sie fast ein wenig unter – und erst die von Jordan eingelegte Pause nach der Arie animierte das Publikum zum Applaus


    Michaela Schuster war auch im dritten Teil zu sehen und zu hören und verkörperte auch da einen zweifelhaften Charakter – dieses Mal die gierige Cousine des Toten. Hervorragend gespielt und gesungen!


    Nun, in diesem Teil der Oper fand man (endlich) eine Personenregie! Mit Anklängen und entsprechenden Kostümen aus der Commedia dell’arte war es eine bunte und schwungvolle Stunde, die da geboten wurde. Um da jeden Regieeinfall wirklich genießen zu können, müsste man diesen Teil mindestens noch einmal sehen (allerdings sind halt davor die beiden anderen Teile durchzustehen..). Neben diversen Ensemble- und Chormitgliedern, angeführt von Clemens Unterreiner, Dan Paul Dumitrescu und dem Neuzugang Anna Bondarenko war wieder einmal Bogdan Volkov zu sehen, den ich noch in sehr guter Erinnerung als Lenski hatte – und der auch dieses Mal nicht enttäuschte.


    Meiner Meinung nach vollkommen unnötig waren die Anspielungen auf den Faschismus (die zumindest kurz gehalten wurden), da sie so überhaupt nichts mit der Handlung zu tun haben. Allerdings wurde bei diesem Teil des Tritticos die Handlung tatsächlich nicht verändert.


    Ein paar abschließende Bemerkungen – die Galerie war beim „Tabarro“ auf der Seite fast leer. In der ersten Pause strömten dann Heerscharen von Touristen herein, zum Großteil ältere Chinesinnen (die als erstes ihre Schuhe auszogen und dann im Schneidersitz auf den Stühlen saßen – meine Nachbarinnen…), bei denen ein Opernbesuch anscheinend am Programm stand und sie wahrscheinlich vom Abendessen nicht rechtzeitig wegkamen. Nach dem Ende des Abends verschwanden dann diese innerhalb von 20 Sekunden…


    Ich finde es gut, dass zwei Raritäten auf dem Spielplan zu finden sind – man sollte sich diese zumindest einmal anhören. In weiterer Folge kann man „Il Tabarro“ und „Suor Angelica“ wieder entsorgen und für den „Gianni Schicci“ – wie schon in der Vergangenheit – ein Stück finden, mit dem man diese Oper kombinieren kann.

    Lange Zeit habe ich in diesem Forum nichts geschrieben - einerseits fand ich wenig was mich an der STOP wirklich interessiert hat, andererseits habe ich mich mehr dem Jazz zugewendet und meine Sammlung auf jetzt ca. 1300 Platten aufgestockt - da gibt es wahrlich viel zu entdecken und zu lernen.


    Aber jetzt ->


    Madama Butterfly


    Wiener Staatsoper, 29.6.2023


    Es gibt Werke, die einem erst nach und nach ans Herz wachsen. Für mich gehört die „Butterfly“ dazu – was allerdings auch sehr viel mit der wunderbaren Produktion zu tun hat, die seinerzeit eingekauft wurde. Ursprünglich war es eine Koproduktion der Met, der English National Opera und des litauischen Nationaltheaters. Das Leading Team besteht aus Anthony Minghella (Inszenierung), Carolyn Choa (Regie und Choreographie), Michael Levine (Bühne) und Han Feng (Kostüme). Ganz wichtig in dieser Produktion sind auch die Puppenspieler (an diesem Abend – Eugenijus Slavinskas, Valentin Alfery, Emil Kohlmayr), die dem Kind von Cio Cio San wirklich Leben einhauchten und mit einer eigenen Peraönlichkeit erfüllten. Ursprünglich war das Blind Summit Theatre/Mark Down & Nick Barnes für die Regie der Puppenspieler verantwortlich.


    Minghella war unter anderem auch ein sehr erfolgreicher Filmregisseur (Der Englische Patient, Der talentierte Mr.Ripley), der mit seiner aus Hongkong stammenden Gattin Carolyn sowohl hinter der Kamera als auch für die Opernbühne beeindruckende Bilder gestalten konnte. Die farbenprächtigen Kostüme wurden – wie schon oben beschrieben – von Han Feng entworfen. Diese Designerin wuchs in Nanjing (China) auf, zog dann 1985 nach New York (wo sie eines ihrer 3 Modestudios unterhält) und wurde 1993 mit ihrer ersten Kollektion bekannt. In der Produktion der „Butterfly“ wagte sie sich zum ersten Mal an das Genre Oper – die Kostüme sind meistens bunt (vom Muster her nicht wirklich japanisch, aber okay…) und ein wahrer Augenschmaus.


    Was ist zum Bühnenbild und zur Regie zu sagen? Nun – es zeigt sich, dass man mit ganz wenigen Requisiten (davon am wichtigsten die immer verschiebbaren Shojis) auch eine intime Athmosphäre schaffen kann (man muss dazu halt nur die handwerklichen Fähigkeiten besitzen). Es wurde die Handlung aus dem Libretto erzählt (schlimm genug das extra betonen zu müssen…), einzig zu Beginn des zweiten Teils des zweiten Akts wurde eine Traumsequenz choreographiert, in der Cio Cio San ihr Schicksal vorausahnt.



    Nun aber zum musikalischen Teil des Abends – Antonello Manacorda am Pult des Staatsopernorchesters ließ – besonders im 1.Akt – die puccinischen Klangwellen etwas zu laut durch das Haus schallen – darunter litt besonders Andrea Giovannini, der als Goro manchmal schwer zu verstehen war. Allerdings konnte Manacorda aus dem Orchester den für Puccini so typischen Pathos herausholen – nicht zu viel, sondern genau die richtige Portion.



    Der Star des Abends war – was man am Schlussapplaus feststellen konnte – Boris Pinkhasovich als Sharpless. Er wird von Saison zu Saison besser und gehört meiner Meinung nach schon jetzt zu den absoluten Topstars seines Genres. Ein wunderbar nobler Bariton – man kann sich glücklich schätzen ihn immer wieder in Wien zu hören. 2018 hatte der Russe in Wien debütiert – und schon damals war ich von ihm begeistert…



    Benjamin Franklin Pinkerton – es gibt meiner Meinung nach wenige Figuren, die unsympathischer als dieser empathielose Feigling sind. Da fällt es sehr schwer, wenn wie an diesem Abend auch noch gut gespielt, die Figur von Sänger zu unterscheiden. Charles Castronovo hatte ich schon länger nicht mehr gehört und es überraschte doch, wie sehr seine Stimme größer geworden ist. Tolle Acuti, eine schöne Technik – leider wurde er zu Beginn der Oper vom Orchester ziemlich zugedeckt.



    Hiroshi Amako sang den Yamadori ohne besonders viel Eindruck zu hinterlassen, auch den Bonzen (Evgeny Solodovnikov) hatte ich schon beeindruckender in Erinnerung. Die weiteren kleineren Rollen wurden entweder von Mitgliedern des Staatsopernchors (es ist müßig zu erwähnen dass dieser naturgemäß perfekt von Martin Schebesta vorbereitet war).


    Die undankbare Partie der Kate Pinkerton wurde von Alma Neuhaus, einem Mitglied des Opernstudios, rollendeckend gesungen. Wie sich die junge Amerikanerin weiterentwickelt wird man dann nächsten Februar feststellen können, wenn sie im zweiten Durchlauf von „Il Trittico“ auf der Bühne steht.


    Für Szilvia Vörös ist die Rolle der Suzuki kein Neuland, da sie diese schon an der Oper in Budapest einstudiert und gesungen hatte, bevor sie 2018 in Wien engagiert wurde und seitdem zu den absoluten Stützen des Ensembles zählt (erinnern wir uns an ihre großartigen Auftritte in „Les Troyens“). Vörös gelang eine glaubwürdige Darstellung der Dienerin auf sehr gutem Niveau.


    Schlussendlich noch ein paar Bemerkungen zu Sonya Yoncheva – die zweifache Mutter ist zur Zeit in einer tollen Form und ihr gelang mit „Un bel di vendremo“ ein beeindruckender Höhepunkt des Abends. Man soll ja nicht vergleichen, aber für mich war sie glaubhafter als die Sängerin der Premierenserie (obwohl diese auch sehr gut war!). Und weiter mit den Vergleichen – stimmlich war sie für mich eine Mischung aus Freni und Callas, quasi „The best of two worlds“. Es ist schade, dass sie in der nächsten Saison in Wien nicht auftritt.


    Das Haus war voll, auch die Stehplätze – und es ging niemand zur Pause. Und ich möchte auch von einem persönlichen Erlebnis berichten. Ich nahm eine junge Frau mit, die noch nie in ihrem Leben in der Oper war und die „von Placido Domingo schon einmal gehört hat, aber nichts genaues weiß“. Lange Rede kurzer Sinn – sie berichtete mir, dass sie Gänsehaut hatte und (wie alle in meiner Umgebung) zum Schluss sehr wässrige Augen hatte. Sie war von der Produktion hingerissen, sagte mir dass sie mit so was nicht gerechnet hatte (z.B. dass Opernbesucher beim Schlussapplaus so aus sich herausgehen würden), die Musik toll war und wir das unbedingt wiederholen müssen (Karten fürs Elisir sind schon gekauft). Es geht doch – man kann eine 26jährige für Oper begeistern – wenn, ja wenn die Inszenierung stimmt. Wohin gehen junge Leute ins Theater? Richtig – ins Musical. Wie sind dort die Inszenierungen? Im besten Sinne „klassisch“. DAS wollen sie sehen, und keine Cerebralonanien von Regisseuren, die sich mit ihren Inszenierungen gut bezahlt selbst therapieren..

    Es wurde schon viel über die Inszenierung von Calixto Bieto geschrieben, immerhin ist diese ja auch schon um die 20 Jahre alt. Meine ersten Eindrücke davon kann man in meiner Besprechung der Aufführung vom 9.6.2021 nachlesen, jetzt noch ein paar Ergänzungen dazu.


    Im Gegensatz zu vielen Kolleginnen und Kollegen bin ich wahrscheinlich dem „Regietheater“ gegenüber aufgeschlossener, habe aber auch da meine Grenzen. Nun, Bietos Interpretation des Carmen-Stoffes ist keine romantische, im Gegensatz, er zeigt die Abgründe der Menschen auf. (Anmerkung – das zieht sich in seinem Schaffen durch die meisten seiner Inszenierungen; da kommt bei mir der Gedanke hoch, dass – ähnlich wie bei Woody Allen – Bieto den Vorteil hat sich selbst therapieren zu können und dafür auch noch bezahlt zu bekommen…). Also – kein buntes Treiben am Marktplatz von Sevilla, keine anheimelnde Lillas Pastia-Spelunke, keine zerklüftete Berglandschaft – sondern eine fast leere Bühne mit wenigen Versatzstücken, eine spanische Enklave in Nordafrika (gemäß der Aussage des Regisseurs).


    Ja, kann man so machen und (wenn man das Wort „Sevilla“ ändert) die Szenerie wirkt plötzlich „modern“. Die Besucher der Vorstellung müssen sich einen Ort in der Wüste vorstellen (in der es auch eine Stierkampfarena gibt … ja, nicht alles ergibt Sinn…) und schon sind gewisse Regieeinfälle nachvollziehbar.


    Das Leben eines Soldaten ist kein Honiglecken, besonders wenn es sich um Berufssoldaten handelt (Beispiel – die französische Fremdenlegion). Der junge Mann, der zu Beginn des 1.Aktes seine Runden drehen muss (bis er erschöpft niederbricht) zeigt dies. Glücklicherweise hat er sich dann bis nach der Pause im 2.Akt so weit erholt dass er sich dann gleich nackt auszog, eine Balletteinlage absolvierte (er dürfte einen Stierkämpfer dargestellt haben) und mit seinen Kronjuwelen herumwedelte… DEN Sinn dahinter habe ich nicht verstanden (was ich im Übrigen auch bei der Nemirova-Inszenierung von Macbeth nicht verstand, als sie König Duncan nackt über die Bühne tänzeln ließ, den „kleinen Duncan“ entblößend.


    Das Zusammentreffen der Autos in der Wüste – ja, das machte absolut Sinn für mich (siehe „Breaking Bad“) und die Massenszene zu Beginn des 4.Aktes war großartig – vom Publikum auch mit frenetischem Beifall bedacht.


    Elina Garanca – eine wunderbare Sängerin mit stupender Technik, einer dunkler gewordenen Stimme, einem betörenden Timbre -> und als Carmen in dieser Produktion absolut fehlbesetzt. Sie ist vom Typ her prinzipiell die kühle Blonde a la Hitchcock und kein rassige Südeuropäerin, da helfen auch rote und schwarze Perücken nicht. Und in dieser Inszenierung, die – wie oben beschrieben – die Abgründe der Menschen herausarbeitet und die Sänger zwingt, aus sich herauszugehen, war es ihr nicht möglich, dies auch irgendwie glaubhaft darzustellen.


    Piotr Beczala erhielt nach der Vorstellung mehr Applaus als „seine“ Carmen – das ist schon bemerkenswert. Ich finde, dass Beczala wahrscheinlich am Höhepunkt seiner Schaffenskraft ist. Neben berührenden Piani gelangen ihm auch fast heldenhafte Ausbrüche, er stellte auch das „Muttersöhnchen“ glaubhaft dar. Dies war ein Don Jose, der von Beginn des Stückes an schon verroht ist und seine Carmen schon im 2.Akt schlägt. Das Ende mit Schrecken konnte man da schon vorausahnen..


    In den anderen Besprechungen dieser Carmen-Serie kam der Darsteller des Escamillo, Roberto Tagliavini, nicht so gut davon. Dem möchte ich widersprechen, an diesem Abend empfand ich ihn vom sängerischen her als einen der besseren Sänger in dieser Rolle, die ich in den letzten 20 Jahren in Wien erlebt habe. Und ich wiederhole mich – Samuel Ramey ist er keiner – aber Tagliavini hat eine sehr gute Mittellage und ansprechende Tiefe. Ob man ihm den Torero/Schmuggler abnimmt? Na ja…


    Slavka Zamecnikova debütierte in der Rolle der Micaela zu Beginn dieser Serie und sie machte ihren Job gut, aber auch nicht mehr. Aber das ist vielleicht auch der Produktion geschuldet, wo Micaela nicht als das romantische und leidende Mädchen dargestellt wird. Dementsprechend ließ der Dirigent Yves Abel (der mit dem Staatsopernorchester großartig aufspielen ließ) bei ihrer Arie im 3.Akt fast das komplette romantische Beiwerk außen vor, was allerdings die Wirkung des Auftrittes da ziemlich schwächte.


    Maria Nazarova und Isabel Signoret waren rollendeckende Freundinnen der Carmen (wobei Signoret einen Tick glaubwürdiger wirkte), Carlos Osuna und Michael Arivony wurden an Stelle von Schmugglern in die Rollen von „Peitscherlbuam (= wienerisch für Zuhälter) gedrängt und zeigten ihr Talent ebenso wie die sehr glaubwürdig agierenden Ilja Kazakov (Zuniga) und Stefan Astakhov (Morales).


    Zuletzt möchte ich noch Yta Moreno erwähnen, der als Lillas Pastia eine Art Confrencier spielt und Lena Dobija. Sie stellt ein Mädchen dar (gibt es im Original nicht), das in dieser Gesellschaft keine Zukunft hat und schon ausgenutzt wird. Man kann sich denken, als was und wie sie dereinst enden wird.


    Insgesamt eine musikalisch zufriedenstellende Vorstellung, der aber das gewisse „Etwas“ in der Form einer glaubwürdigen Hauptdarstellerin fehlte. Und wenn man nicht in die Oper geht, um sonnendurchflutete Marktplätze und romantisierende Kostüme erwartet, sondern auch gewillt ist, ein wenig unter die Oberfläche der menschlichen Natur zu sehen, kann man mit der Produktion gut leben.

    Da der Juni für mich extrem anstrengend war kam ich erst heute dazu eine Rezension des neuen Wiener Giovannis zu schreiben -


    Don Giovanni


    Wiener Staatsoper, 6.6.2022


    So sehr ich den Kosky-Lohengrin seinerzeit ablehnte, so sehr gefällt mir die Produktion des neuen Don Giovanni. Barrie Kosky hat das Bühnenbild auf das Wesentlichste reduziert (ja, die „Mondlandschaft“ ist sicherlich nicht nach dem Geschmack des doch sehr konservativen Wiener Publikums) und die jungen Sänger bewegen sich – nun, wie sich junge Leute des 21. Jahrhunderts bewegen. Die Kostüme sind äußerst geschmackvoll.


    Dass das Libretto nicht 1:1 umgesetzt wird – ja, das könnte man bemängeln, allerdings wird die Geschichte wunderbar umgesetzt – und wie so oft kommt es auf die Details an. Mir gefiel schon die Fernseh-Übertragung sehr gut, das Live-Erlebnis hat meine Eindrücke bestätigt.


    Für mich am besten gezeichnet war die Figur der Donna Elvira. Ihre spontane Reaktion beim Wiedersehen mit Giovanni – sie „bespringt“ ihn quasi, ist zu 100% nachvollziehbar. Sie ist eine Romantikerin und liebt ihn, trotzdem er sie schmählich verließ, noch immer. Wäre so eine Reaktion zur Zeit des Entstehens der Oper möglich gewesen? Natürlich nicht, da die damaligen Sitten es verboten innere Gefühle nach außen zu tragen. Heutzutage ist das aber erlaubt und möglich. Die für mich stärkste Geste war allerdings im 2.Akt zu sehen, nachdem Elvira gewahr wird, dass sie Leporello für Don Giovanni gehalten hatte und mit ihm eine (oder mehrere) Stunde(n) im Dunkeln verbracht hatte. Wem ist aufgefallen, dass sie sich schockiert mit beiden Händen ihren Schambereich bedeckt? Wem ist aufgefallen, dass ihr Kleid gerade über dem Schambereich einen roten Fleck hat? Alleine diese (für den aufmerksamen Besucher beiläufige) Geste erzählt doch eine ganze Geschichte…


    Nein, ich widerspreche all den negativen Kritiken – diese Inszenierung ist großartig und ich freue mich schon auf die Neuinterpretation der beiden anderen Da Ponte-Stücke!


    Musikalisch war wenig auszusetzen. Phillipe Jordan versuchte einen Mittelweg zwischen der Leseart eines Harnoncourt und Muti – was zum Großteil auch gelang. Ich bevorzuge die eckigere Art der Interpretation, aber das ist Geschmackssache.


    Kyle Ketelsen überzeugte in seinem Schauspiel als die Titelfigur – er hat nur einen einzigen „Feind“ – nämlich sich selbst. Er hat keinerlei Gewissensbisse seine Umgebung zu manipulieren (und sein de facto Alter Ego Leporello zu drangsalieren). Rein optisch kann man nachvollziehen, dass alleine in Spanien mille tre Frauen auf ihn reinfielen. Ketelsen ist austrainiert, zeigte seinen Waschbrettbauch (viele andere Interpreten des Giovanni bestechen mit einem Waschbärbauch…). Gab es schon prägnantere Stimmen? Ja, allerdings sollte man das Gesamtpaket betrachten – und das war sehr gut.


    Zu dem selben Ergebnis muss man kommen wenn man über den Leporello des Abends, Phillipe Sly, urteilt. Wie es im 21.Jahrhundert üblich ist, verlangt die Regie von Sängern mehr als nur Rampensingen – und Sly erfüllte diese Anforderungen sehr, sehr gut. Ich las,dass sich einige Rezensenten darüber mokierten, dass er bei der Registerarie kein Buch in der Hand hatte. Geschenkt – Leporello hat alles memoriert – und sein präziser Umgang mit den Steinen war exzellent! Ist jemanden aufgefallen, dass er – je nach der Beschreibung der Frauen – mit verschieden großen Steinen hantierte? Und dass er, als er über die ganz jungen Mädchen sprach einen sehr großen Stein aufhob? Und dass darauf Donna Elvira den selben Stein aufzuheben versuchte? Es sind wieder diese Kleinigkeiten, die meine Begeisterung für diese Produktion rechtfertigen.


    Eine positive Überraschung war für mich Stanislas de Barbeyrac. Er hat eine Stimme, die man normalerweise bei den Sängern des Don Ottavio nicht gewohnt ist. Man findet schon ein paar heldische Anklänge – die perfekt zur Zeichnung der Figur passten. Viel aggressiver als gewohnt kann man sich den Ottavio doch einigermaßen als Gegenspieler von Giovanni vorstellen. Zu oft bekommt man Ottavios vorgesetzt, deren Stimme allzu lyrisch ist – und dann die Figur (auch abhängig von der Inszenierung) wie ein „Schwammerl“ aussehen lassen. Was dann die Frage aufwirft warum Donna Anna auf so einen Mann steht…


    Etwas enttäuscht war ich von Ain Anger, den ich stimmgewaltiger in Erinnerung habe bzw. ich mir von ihm eine bessere Entwicklung erwartete. Ich sehe ihn (noch) nicht als ideale Besetzung des Komturs.


    Die Donna Elvira ist für mich in vielerlei Hinsicht die wichtigste Frauenrolle des Stückes – und sie wird manchmal als Stalkerin inszeniert, manchmal als (relativ) minderbemittelte Adelige. Ich sah an diesem Abend eine junge Frau, sitzen gelassen, immer wieder getäuscht. Eine, die mit all ihrer Kraft zu verhindern versucht, dass andere Frauen ein ähnliches Schicksal wie sie erleiden. Sie liebe Giovanni trotz allem aufrichtig. Kosky hat sich meiner Meinung mit dieser Figur wirklich sehr auseinandergesetzt. Ich bin kein Stimmenexperte, aber ich denke, dass diese Rolle extrem schwer zu singen ist. So war auch Kate Lindsey stimmlich nicht 100%ig überzeugend (was sie in eine Reihe mit anderen Sängerinnen bringt – in den letzten 25 Jahren war ich nur von Soile Isokoski vollkommen überzeugt).


    Einen zwiespältigen Eindruck hinterließ bei mir auch Hanna-Elisabeth Müller. Schauspielerisch exzellent kamen einige ihrer Töne doch etwas scharf hinüber..


    Das Bauern-Paar wurde von jungen Ensemblemitgliedern verkörpert und wieder einmal bewies Patricia Nolz (aus dem Opernstudio) welch großes Talent sich in ihr verbirgt. Sie war gesanglich die beeindruckendste der Damenrunde. Wiederum ein „Hoch“ auf Kosky – was er in die Zerlina „steckte“ war phänomenal. Jede einzelne Geste und Bewegung erzählt eine kleine Geschichte. Man konnte genau erkennen, was sich da in ihr abspielte…


    Dass es Martin Häßler als Masetto neben ihr schwer hatte war dementsprechend nachvollziehbar. Doch er zog sich wirklich gut aus der Affäre.


    Zusammengefasst ist diese Produktion eine der besten, die ich den vergangenen Jahren gesehen habe. Ich möge zwar mit meiner Meinung alleine auf weiter Flur stehen – aber über Geschmack kann man ja bekanntlich nicht streiten!

    PRÄMISSE –

    • Ich zitiere den Dr. Schuster aus Thomas Bernhards „Heldenplatz“ (2.Aufzug) – „Manchmal gestatte ich mir eine Erregung“
    • Ich verbrachte meine ersten 30 Lebensjahre in Floridsdorf und Stadlau (für diejenigen, die Wien nicht so gut kennen – das sind Arbeiterbezirke/-viertel). Und man kann zwar den K.V. aus Floridsdorf rausbringen, aber nicht Floridsdorf aus dem K.V.
    • Dies ist bereits die dritte von mir geschriebene und entschärfte Betrachtung des Abends
    • Meine bisherigen Eindrücke zu den von mir besuchten Neuproduktion der Ära Roscic –
      • Hervorragend – Eugen Onegin, Madama Butterfly
      • Sehr gewöhnungsbedürftig (1 x genügt) – Die Entführung aus dem Serail, Macbeth
      • Interessant, ein neuer Blickwinkel – Carmen
      • Durchwachsen – Parsifal, Wozzeck

    Die Premierenkritiken waren doch eher durchwachsen, aber ich sah dem Abend im Prinzip positiv entgegen, obwohl es mir leid tat, dass die letzte Inszenierung, die mir persönlich sehr gut gefallen hat, abgesetzt und durch eine Neuproduktion unter der Federführung von Calixto Bieto ersetzt wurde. Richard Wagner hat den „Tristan“ ja nicht als Oper bezeichnet, sondern als „Handlung in drei Aufzügen“. Dementsprechend schwierig ist es, etwas Brauchbares auf die Bühne zu bringen – meines Erachtens nach wäre es für alle Beteiligten besser, das Werk konzertant aufzuführen (oder die Kosky-Inszenierung von „Macbeth“ zu verwenden – schwarze Bühne, schwarze Kostüme und zwei Sessel im Scheinwerferlicht…).


    Ich muss mich bei allen Abonnenten entschuldigen, dass ich nicht den ganzen Abend rezensiere, aber aus gesundheitlichen Gründen (Blutdruck) verließ ich die Vorstellung nach einigen Minuten des 2. Aufzugs – etwas, dass ich in meiner „Karriere“ als Opern- und Konzertbesucher erst ein Mal (bei der „Entführung aus dem Serail“ im Burgtheater) gemacht hatte – rein um meine Nerven zu schonen…


    Mein Eindruck der Produktion kurz zusammengefasst –


    (Ich kann den Cartoon leider nicht hochladen - es zeigt zwei Wiener an der Bar. Einer fragt "Und?", der andere antwortet "Oasch"


    … wobei ich zugeben muss, dass mir die ersten Minuten sehr gut gefallen haben – das von Philippe Jordan dirigierte Orchester der Wiener Staatsoper (für meinen Geschmack teilweise zu laut) führte das Vorspiel zum 1.Aufzug bei geschlossenem, schwarzen Vorhang auf (kurz vor dem Einsetzen des ersten Taktes wurde der Saal komplett verdunkelt!). Das waren eindeutig die besten Minuten des Abends (okay, zumindest so lange ich anwesend war).


    Dann fing es schwach an und ließ stark nach.


    Der erste Aufzug spielt – zumindest steht es so im Libretto – auf einem Schiff, das Isolde von Irland nach Cornwall bringen soll. Bieto und die Bühnenbildnerin Rebecca Ringst haben die Handlung anscheinend, den Kostümen von Ingo Krügler nach zu schließen, in die zweite Hälfte des 20.Jahrhunderts verlegt. Kann man machen, muss aber nicht. Bis jetzt weiß ich nicht, ob die Handlung auf dem Deck eines Kreuzfahrtschiffs oder auf einem Kinderspielplatz angesiedelt ist – man sieht viele, von Kindern besetzte Schaukeln (gut, zumindest saßen sie nicht auf Koffern, die vor einigen Jahren sehr en vogue waren), und der ganze Bühnenboden war mehr oder minder mit Wasser geflutet. Aus diesem Grund mussten alle Protagonisten Plastikstiefel tragen. Positiv fiel mir auf (und ja, das ist wirklich so gemeint!), dass die beiden Frauen rothaarig waren (eine in Irland durchaus nicht seltene Haarfarbe) und ihre Kleider die der „grünen Insel“ entsprechende Farbe hatten.


    Kurwenal (Iain Paterson) dürfte sich aus dem seinerzeitigen Archiv der Creditanstalt bedient haben – ich erinnere mich deutlich, dass die Kollegen dort ebenfalls graue Mäntel in dieser Facón trugen. Spielte er einen Archivar?!??


    Ich kann mir vorstellen, wie unangenehm es für Sänger sein muss, 90 Minuten lang im Wasser liegen zu müssen – dieses Schicksal musste Andreas Schager, der im 1.Aufzug eine überragende Leistung bot, ertragen. Dann musste er von Martina Serafin, deren Stimme etwas flackerte, eine „g’sunde Watschn“ einfangen, riss sie darauf an den Haaren, und wurde wieder ins Wasser gestoßen. Dieses dürfte allerdings doch eine angenehme Temperatur haben, weil sich auch die Isolde darin wälzte. Das fand übrigens schon statt, bevor im Libretto der Liebestrank zu sich genommen wurde. Den virtuellen Liebestrank – aus heiterem Himmel (Brangäne verbrachte die Zeit damit im Hintergrund zu schaukeln) – schlürfte die Isolde aus den Handflächen des Tristan (und beide waren darob so entzückt, dass sie sich wieder diversen Wasserspielen hingaben).


    Soweit zum 1.Aufzug


    Ekaterina Gubanova wechselte im 2.Aufzug ihre Rolle. Vorher noch als Brangäne auf der Bühne, spielte sie nun die Jellosubmarine (dem geneigten Asterix-Leser als Frau des Fischhändlers Verleihnix bekannt) und begann unmotiviert Fische zu tranchieren.


    Beim Liebesduett wurden Tristan und Isolde in zwei große Schachteln gesteckt, sie konnten einander nicht sehen. Wahrscheinlich aus Frustration ob dieser Tatsache begannen sie, die Einrichtungen zu zerstören und Tapten herunter zu reißen.


    .. und dass war dann der Augenblick, in dem ich die Vorstellung verließ.


    Der Floridsdorfer in mir sagt „Verarschen kann ich mich selber, da brauche ich mir nicht stundenlang diesen Sch… anzuschauen“


    Kurt Vlach

    Betrifft – Wozzeck am 3.4.2022 / Staatsoper Wien


    Sehr geehrter Herr Simon Stone !


    Ich wende mich an Sie mit einigen Fragen zu der oben angeführten Produktion – ich hoffe, dass Sie die Zeit haben werden diese bei Gelegenheit zu beantworten.


    Da wir uns persönlich nicht kennen möchte ich mich kurz vorstellen – ich bin ein regelmäßiger Besucher der Wiener Staatsoper, zahle meine Eintrittskarten selbst und stimme daher mit meinem eigenen Geld ab – ich nehme mir das Recht heraus nur Produktionen (wieder) zu besuchen, die mir auch gefallen (aus diesem Grund genügte mir die TV-Übertragung der Traviata – ich möchte nicht unbedingt Geld ausgeben um die Violetta in Gummistiefeln vor einem Traktor zu sehen). Da ich das Stück auch gut kenne (ich bin nach wie vor ein großer Freund der vorherigen Inszenierung) schaute ich mir auch nicht diverse Einführungsvideos an – warum auch? Wie schon angesprochen, ich kenne das Stück und mir sind auch einige Anekdoten von der Wiener Erstaufführung bekannt, wo ein Philharmoniker seinerzeit meinte „Bei der Oper müssen’s nach dem ersten Akt neue Freikarten ausgeben“. Sie wissen wahrscheinlich (ich bin mir nicht sicher, ob Sie als Regisseur die musikalische Struktur der Oper interessiert), dass sich der erste Akt aus fünf Charakterstücken zusammensetzt, zu denen Suite, Passacaglia und Rhapsodie zählen, der zweite Akt de facto eine fünfsätzige Symphonie ist und der dritte Akte aus sechs Inventionen besteht. Dass Alban Berg nur 15 von insgesamt 27 Szenen aus Georg Büchners Theatermanuskript verwendete und diese mit insgesamt 12 Verwandlungsmusiken miteinander verknüpfte. Aber ich schweife ab..


    Nun zu meinen Fragen bzw. Anmerkungen.


    Muss man das Stück von Büchner, das in den 1820er-Jahren spielt, unbedingt in die Jetztzeit transportieren? Klar, man kann das machen, allerdings – und vielleicht bin ich da ein bisserl beckmesserisch – sollte man da (wenn es nun wirklich sein soll) den Text nicht komplett außer Acht lassen. Ich muss Ihnen zugestehen, dass dies großteils gelungen ist, aber leider nicht immer. Und so wurde von Ihnen eine der erschüttersten Schlussszenen der Operngeschichte meiner Meinung nach vollkommen in den Sand gesetzt.


    Ist es nicht so, dass die Kinder dem Sohn der Marie zurufen – „Du! Deine Mutter ist totl!“. Und dieser reitet auf einem Steckenpferd und antwortet darauf „Hopp, hopp. Hopp, hopp. Hopp, hopp.“ Also, in der Vorgängerinszenierung wurde man vom Grauen erfasst. Nun sind Steckenpferde im 21. Jahrhundert – zumindest in unseren Breiten – schon längst „out“, wie man auf Neudeutsch sagt. Der Spielzeug-Feuerwehrwagen als Ersatz? Perque??? Das geht doch nicht zusammen – konsequenterweise hätten Sie dann das Kind gleich „Tatü Tata“ sagen lassen können (was es sogar im korrekten Rhythmus sprechen hätte können). Ich meine – wenn schon, denn schon. Man kann nicht nur ein bisserl schwanger sein…


    Anderes ist Ihnen sehr gut gelungen – das muss ich sehr wohl zugestehen. Die erste Szene im Rasiersalon passt (obwohl, wenn Sie konsequent gewesen wären, es in Wien hauptsächlich sogenannte „Barber-Shops“ gibt – die entsprechende Einrichtung wäre von Ihrem Bühnenbildner Bob Cousins eigentlich leicht herzustellen gewesen), ich mochte wirklich den Einsatz der Drehbühne (ja, mit Einschränkungen – weniger wäre da mehr gewesen) und fand die Szenen, in denen sich Wozzeck den Verrat, den Marie mit dem „Tambourmajor“ begeht, eindringlich dargestellt. Überhaupt konnte ich mit der Wohnung recht viel anfangen – das ist Ihnen gut gelungen!


    Die Szene am Arbeitsamt – nun, im Prinzip gut gelungen (aber zu viel Rotation!!), aber (und Sie wissen, alles was vor einem „aber“ kommt, zählt im Prinzip nicht) – da stimmte einfach die Umgebung mit dem Test nicht überein. Klar, Stecken Schneiden gehört heutzutage nicht unbedingt zu den Tätigkeiten, die man so macht… Und überhaupt – wollten Sie andeuten, dass Wozzeck illegal arbeitet? Oder ist sein Job im Rasiersalon einer, wo er geringfügig beschäftigt ist? Das ergibt dann doch einen Sinn…


    Die Szene beim Doktor – glauben Sie mir, ich hatte im Vorjahr eine Darmspiegelung (ja, zu viel Information) und ein Patient wird dabei sediert, weil das doch sehr unangenehm ist. Wollten Sie damit andeuten, dass der Arzt ein Sadist ist und Wozzeck eine masochistische Ader hat? Ich bitte Sie um Erleuchtung dazu! Und glauben Sie mir, unter Tags pinkelt man in Wien nicht mitten auf die Straße (kann nach Mitternacht bei entsprechendem Alkoholkonsum durchaus passieren – aber ich denke nicht, dass diese Untersuchung nach Mitternacht stattgefunden hat).


    Kollegen von mir, die Ihre Produktion rezensierten, mokierten sich auch darüber, dass sie die Szene mit dem Hauptmann, dem Arzt und Wozzeck in einem Fitnessstudio spielen ließen. Also ich fand diese recht witzig. Klar, Wozzeck kann sich eine Mitgliedschaft dort nicht leisten, aber vielleicht ist er ja dort „schwarz“ als Putze angestellt. Wollten Sie das damit andeuten? Da bitte ich auch um Antwort!


    Herr Stone, kennen Sie das Wiener U-Bahn-Netz? Ich nehme an „nein“, weil sonst hätten sie niemals die Station in Simmering (da komme ich manchmal vorbei) als Sandlertreff inszeniert. Und was ritt sie als sie ein Gschnasfest mit Plüschhäschen dem Publikum zumuteten? Ich bitte Sie da auch um Erklärungen.


    Wo spielte eigentlich die Szene des Mordes? Viele tippen auf die Donauinsel, könnte es auch der Laaerberg gewesen sein? Egal, aber warum entsorgte Wozzeck die Marie nicht im Wasser? Warum ließen sie ihn in einen Kanal (?? – zumindest sah ich da einen Deckel) fallen und dort ertrinken? Warum wurde er dann mittels ?? (was weiß ich) emporgehoben und sah dann wie ein Gekreuzigter aus? Fragen über Fragen – und wieder einmal bitte ich sie um eine logische Erklärung.


    Aber ich möchte mit etwas Positivem in Bezug auf die Inszenierung enden – dem Würstelstand, wo es Marie und der Tambourmajor (okay, ein Polizist – genauso wie der Hauptmann – soll sein..) öffentlich ziemlich trieben. Diese Szene ist sogar realistisch. Vor vielen Jahren beobachtete ich dies am Franz-Jonas-Platz in Floridsdorf – na, da hab‘ ich aber geschaut! Ich möchte Ihnen da eine kleine Geschichte erzählen. Auf ebendiesem Hotspot gab es zwei Würstelstände. Einer, der „Pohlenz“ bei der BAWAG, dann über die Straße am Pius-Parsch-Platz den anderen, „Otto“ genannt. Den gemeinen Floridsdorfer konnte man zu dieser Zeit in zwei unterschiedliche Spezies einteilen. Es geht da um das Kulturgut des „Kleinen Mannes“ – die Burenwurst. Man ging entweder zum Pohlenz auf „a Haaße“ oder eben zum Otto – es war absolut unmöglich einmal beim einen und dann wieder zum anderen zu gehen. Ich war ein „Pohlenz-Floridsdorfer“ – und wenn ich manchmal mit einem Freund, ein „Ottoianer“ spätabends Gusto auf eine Wurst hatte, dann trennten sich für 15 Minuten unsere Wege, weil man seinem Würstelstand einfach nicht untreu wurde!


    Nach diesem Exkurs wieder zum Gesehenen und Gehörten. Ich unterstelle Ihnen, dass sie der letzten Aufführung dieser Premierenserie nicht mehr persönlich beiwohnten. Deshalb, und ich hoffe, dass sie das interessiert, noch einige Worte zur (gar nicht so unwichtigen 😉 ) musikalischen Seite des Abends.


    Wie schon oben erwähnt stand das Orchester der Wiener Staatsoper dem Stück anfangs sehr kritisch gegenüber, aber anscheinend wächst ihm offenbar gerade das besonders ans Herz, was es zuerst am vehementesten ablehnt. Es gibt ja von ihnen zwei Gesamtaufnahmen, die gute unter Christoph von Dohnanyi und die außergewöhnlich unter Claudio Abbado, von der es ja auch eine DVD gibt. Auch an diesem Abend zeigten sich die Philharmoniker von ihrer besten Seite, angeführt vom Dirigenten Philippe Jordan, der sehr sängerfreundlich dirigierte. Dies war teilweise auch darauf zurückzuführen, dass der Wozzeck dieser Premierenserie, Christian Gerhaher, ein hervorragender und extrem wortdeutlicher Liedersänger ist, aber nicht unbedingt das „Organ“ für ein Haus wie die Staatsoper hat. Ich empfand auch die Personenführung etwas – nun, ich möchte sagen, „beiläufig“. Die gequälte Kreatur der „armen Leut“ habe ich schon besser dargestellt gesehen.


    Anja Kampe blieb etwas blass – und ja, auch da fehlte es mir an der Eindringlichkeit, zur der Sie die Sängerin durch entsprechendes Verhalten auf der Bühne eigentlich hätten führen müssen.


    Jörg Schneider war ein guter Hauptmann (der mir allerdings in der Salome besser gefallen hat), eine tolle Leistung erbrachte als Narr Thomas Ebenstein. Positiv empfand ich die Leistungen von Peter Kellner und Stefan Astakhov als 1. und 2. Handwerksbursch. Auch Josh Lovell als Andres wusste zu gefallen.


    Dmitry Belosselskiy war ein solider Doktor (mehr nicht), ebenso hinterließ Margaret Plummer keinen bleibenden Eindruck. Schlussendlich wäre da noch der Tambourmajor Sean Pannikar zu erwähnen – der gut gewachsen ist und man nachvollziehen konnte, dass die Marie auf ihn „abfährt“, um es im Dialekt der Wiener Vorstand (bzw. der Arbeiterbezirke) zu sagen. Gesanglich blieb er „rollendeckend“.


    So – das wäre es im Großen und Ganzen, was ich Ihnen schreiben wollte. Ob ich mir diese Oper in Ihrer Produktion noch einmal anschauen werde mögen Sie sich fragen? Trotz aller Einwände ja – aber nicht unbedingt wegen Ihrer Inszenierung.


    Nichts für ungut, ich hoffe, dass Sie mir die eine oder andere Frage beantworten können und verbleibe


    mit freundlichen Grüßen


    Kurt Vlach

    „Gott soll einen hüten vor allem, was noch ein Glück ist“ (Tante Jolesch)


    PETER GRIMES

    Wiener Staatsoper, 2.2.2022


    Als vor der Vorstellung Bogdan Roscic die Bühne betrat wurde es im Publikum ganz still – normalerweise hat das ja nichts Gutes zu bedeuten. Zuallererst beruhigte der Direktor alle indem er sagte, dass alle Solisten wohl auf sind. Allerdings hätte Omikron seinen Tribut beim Staatsopernchor gefordert, allerdings gelang es ihm – in Rücksprache mit Erwin Ortner – 19 Mitglieder des Arnold Schönberg Chors kurzfristig zu engagieren, damit diese die Vorstellung retten. Es war quasi „noch ein Glück“, dass dieser ja im Herbst vergangenen Jahres ebendieses Stück für die Aufführungen im „Theater an der Wien“ einstudiert hatte. In Zeiten wie diesen – auch eingedenk der Tatsache, dass die STOP am Vortag die Vorstellung wegen eines Corona-Falls absagen musste – war es ein glücklicher Zufall, dass hier in Wien an zwei Häusern das eher selten gespielte Stück von Benjamin Britten in der gleichen Spielzeit zur Aufführung gebracht wurde. Der Chor spielt in „Peter Grimes“ eine wichtige Rolle, und dass Christine Mielitz eine Meisterin darin ist, Chormassen zu bewegen erschwerte sicherlich die „Einarbeitung“ von Außenstehenden in diese Produktion. Allerdings bemerkte man überhaupt nichts, es war ein einheitlicher Bewegungsablauf. Der Chor der Wiener Staatsoper, einstudiert von Thomas Lang, bewies auch an diesem Abend sein außergewöhnliches Niveau. Um es mit dem bekannten Floridsdorfer Philosophen Marko A. zu sagen – „Shampoo“. 😊


    Die Produktion hat auch schon etliche Jahre auf dem Buckel, was man ihr aber nicht ansieht. Dass unzählige Koffer (ich meine da das Behältnis für den Transport von Sachen) hin- und herbewegt wurden, was in den 1990er Mode war, und dass man am Bühnenboden kopulierte ist eine Eigenheit von Mielitz (siehe auch ihre Inszenierung des „Fliegenden Holländers“) – na ja, wer’s braucht… Von diesen Einwänden abgesehen eine großartige Produktion, die viel mit Lichteffekten spielt und unglaublich spannend ist (Bühne und Kostüme – Gottfried Pilz, Choreographie Roland Giertz).


    Simone Young, die seit 1993 im Haus tätig ist (debütierte seinerzeit in der Holender-Ära in „La Boheme“), entfachte aus dem Orchestergraben enorm viel Spannung, war eine rücksichtsvolle Begleiterin der Sänger und trieb das Orchester der Wiener Staatsoper zu einer überaus spannenden und stringenten Wiedergabe der diversen „Sea Interludes“ an – für meinen Geschmack waren diese Zwischenspiele der absolute Höhepunkt dieses grandiosen Abends.


    Was die gesanglichen Darbietungen betrifft konnte man nur zufrieden sein (mit vielleicht ganz kleinen Einwänden – aber wer/was ist schon vollkommen). Überragend (und vielleicht kündigt sich da eine Brünnhilde an) war die Norwegerin Lise Davidsen als Ellen Orford. Hochexpressiv und lyrisch zugleich – sie überragte alle (und ich nahm es mit Wohlwollen zur Kenntnis, dass sie in den nächsten Jahren in Wien öfters zu hören sein wird). Neben ihr hatten es alle anderen Sängerinnen und Sänger schwer. Die von mir sehr geschätzte Stephanie Houtzeel beeindruckte schauspielerisch als Mrs. Sedley, allerdings denke ich, dass sie in anderen Rollen etwas besser ihre Qualitäten zur Geltung bringen kann. Noa Beinart war eine sehr präsente „Auntie“, während Ileana Tonca einen besseren Eindruck hinterließ als ihre „Mit-Nichte“ Aurora Marthens.




    Bei den Herren der Schöpfung muss der Lorbeerkranz Bryn Terfel überreicht werden, der als Balstrode vielleicht nicht die größte Rolle hatte, doch mit seiner Ausstrahlung, seinem Timbre und seiner Technik bei jeden seiner Auftritte das Geschehen auf der Bühne beherrschte.


    Wie meistens bin ich, was Jonas Kaufmann betrifft, zwiegespalten. Es steht außer Frage, dass er sicherlich zu den besten Singschauspielern seiner Generation gehört, allerdings ist mir seine Stimme zu baritonal und (obwohl technisch perfekt) ich kann seinem Falsett-Gesang nicht wirklich was abgewinnen. Vielleicht bin ich da auch zu sehr von der Aufnahme mit Jon Vickers geprägt…


    Schon in der 2013er Serie tätig waren Carlos Osuna (Horace Adams) und Wolfgang Bankl als Swallow. Bankl war auch ein Akteur des Abends, dessen Leistung überdurchschnittlich gut war. Thomas Ebenstein als Bob Boles wäre auch hervorzuheben. Die anderen Mitglieder des Ensembles, des Staatsopernchors und Opernstudios, die zum Erfolg des Abends beitrugen, waren, Martin Häßler, Erik Van Heyningen, Pavel Strasil, Ferdinand Pfeiffer, Katarina Porubanova und Thomas Köber.


    Das Publikum bejubelte besonders Davidsen und Young, gefolgt von Terfel und Kaufmann.


    Anschließend wurden auf offener Bühne die Ehrungen durchgeführt. Eloquent wie immer pries Direktor Roscic die Verdienste von Young, Terfel und Kaufmann (seine Rede ist bei mir auf Facebook zu sehen und zu hören), ehe die Staatssekretärin für Kunst und Kultur, Andrea Mayer die Bühne betrat und bewies, dass sie von einem Zettel ablesen kann. Sie produzierte für meinen Geschmack zuviel „Politsprech“ und kam immer wieder auf die tagespolitische Relevanz des Inhalts von „Peter Grimes“ zu sprechen. Sie liegt damit ja sicherlich nicht falsch, trotzdem ging es an diesem Abend nicht um das Stück, sondern um die zu Ehrenden.


    Simone Young wurde Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper und bedankte sich bei allen drei Direktoren (Holender, Meyer und Roscic) für die Chancen, die man ihr gab. Ioan Holender war persönlich anwesend, Meyer nicht. In seiner Dankesrede hob Jonas Kaufmann noch einmal den Mut von Holender hervor, in dem er mit Young zum ersten Mal eine Dirigentin engagierte, und mit ein bisschen „Tongue in Cheek“ meinte er auch, dass sie wahrscheinlich unter einem enormen Druck gestanden war – denn, wenn sie quasi versagt hätte, das Dirigentenpult für Frauen für die nächsten 150 Jahre in Wien wahrscheinlich unerreichbar gewesen wäre.


    Kaufmann erklärte, dass er sich immer als Österreicher gefühlt hat – aber er erst jetzt zu einem „echten Österreicher“ wurde – weil, „in Österreich muss man einen Titel haben“. Jawohl, Herr Kammersänger!


    Bryn Terfel bedankte sich im perfekten Cymraeg über die Auszeichnung (was einen Jubelschrei einer Besucherin zur Folge hatte), ehe er – der Verständlichkeit halber – in Deutsch und Englisch fortsetzte. Terfel ist ein unheimlich sympathischer und charismatischer Künstler – und auch er wird in den nächsten Jahren viel öfter in Wien zu sehen sein als bevor, wie Bogdan Roscic versicherte.


    Es war ein musikalisch großartiger und vom Umfeld her denkwürdiger Abend. Wenn man die Umstände betrachtet kann man die Gage der Staatsoperndirektion und des Besetzungsbüros aktuell nur als „Schmerzensgeld“ betrachten.



    Bühnenphotos © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

    Lieber Kalli - ja, diese Platte habe ich auch in meiner Sammlung :-) !!! Sie zeigt eine komplett andere Seite von Coltrane - interessant ist, dass er diese Aufnahme (und auch die mit Duke Ellington) zu Beginn seines Plattenvertrags mit Impulse Records aufgenommen hatte und auch recht gut verkauft wurde.


    Danach ist er wirklich "esoterisch" geworden - ich mag die "Crescent" und natürlich "A Love Supreme", "Live at the Village Vanguard" geht auch noch, aber danach kann ich ihm noch immer nicht wirklich folgen. Ich besitze die "Live at the Village Vanguard Again" - und dafür brauche ich


    a) eine gewisse Stimmung und

    b) eine Biere / ein oder zwei Flaschen Wein etc.


    dass ich die irgendwie überstehe....

    Lieber Alfred,


    für mich DER Jazz-Laden in Wien ist das "Audiocenter" am Judenplatz. Herr Weber ist extrem freundlich und kompetent !!!


    Und danke für alle Feedbacks! Ich habe auch noch für mein Essay einen Absatz hinzugefügt ->


    John Coltrane – Spiritual Jazz

    „Trane“, ein begnadeter Saxofonist, entwickelte den Modalen Jazz weiter, nachdem er sich nach den Aufnahmen zu „Kind of Blue“ von der Gruppe von Miles Davis trennte. Seine Aufnahmen zu Beginn der 1960er-Jahre waren noch vom modalen Jazz geprägt,

    John Coltrane - Blue train - YouTube

    aber in seinen letzten Jahren (er starb mit knapp 41 Jahren an Leberkrebs) fügte er noch Elemente des Free-Jazz und afrikanische Klänge hinzu. Seine Werke („A Love Supreme“ wird als eine der wichtigsten Aufnahmen der Jazz-Geschichte betrachtet, ist allerdings nicht so sehr für Leute geeignet, die sich dieser Musikrichtung erst annähern, ist meiner Meinung nach sicherlich der Höhepunkt seiner Entwicklung). Die Musik hat etwas Meditatives, Esoterisches unter Einbeziehung von Blues und Bebop, auch die Harfe, ein unübliches Instrument, wurde eingesetzt. Während in den 1940er-Jahren viele afroamerikanische Musiker zum Islam konvertierten, erkannte Joachim-Ernst Behrendt, ein deutscher Musikjournalist, jedoch das Erbe des Christentums deutlich im „Hauptwerk der ganzen Bewegung“, in „A Love Supreme“, das „zwar von der kosmischen Alles-Ist-Eins-Religiosität des Buddhismus und Hinduismus inspieriert“ war, „aber der persönliche Gott des Christentums scheint an zahlreichen Stellen des Textes unmissverständlich durch.“

    John Coltrane - A Love Supreme [Full Album] (1965) - YouTube

    Harry Lachner schreibt über sein Spiel – Was an John Coltranes Soli auch heute noch fasziniert, ist seine große melodische Gestaltungskraft, die Art und Weise, wie er sich souverän abwechselnd innerhalb und außerhalb der üblichen Akkord-Folge bewegt. Anders als andere Musiker seiner Zeit war ihm nicht daran gelegen, sich als jemand zu inszenieren, der etwas des reinen Spiels wegen dekonstruiert. Er hatte so viel an Kreativität und Einfallsreichtum zu verschwenden, dass er damit alles – jeden Ton, jede Akkordfolge, jede Fremdkomposition – mit neuer Bedeutung aufladen konnte.“

    1971, vier Jahre nach seinem Tod, wurde die Saint John Coltrane African Orthodox Church in San Francisco gegründet, wo er als Heiliger verehrt wird.

    Schlusswort und eine kleine Playlist

    Ich habe versucht einen möglichst breiten Überblick über die Geschichte des Jazz und Verbindungen zur klassischen Musik zu geben. Eine tiefgehende Analyse würde wahrscheinlich Bücher füllen, aber es bleibt die Hoffnung, ein klein wenig neugierig auf diese Musik gemacht zu haben. Ich konnte nicht auf die großen VokalistInnen des Jazz eingehen (Ella Fitzgerald, Billie Holiday, Frank Sinatra), nicht über Jazz in Japan sprechen (gesehen auf die Einwohneranzahl leben in Japan die meisten Jazz-Fans weltweit!) etc etc etc.


    Abschließend noch eine Liste von Schallplatten, die vielleicht zu einem Einstieg in diese ungeahnte und breit gefächerte Welt geeignet sind. Ich selbst bevorzuge Vinyl, aber es ist fast alles auch auf CDs (und zwar zu einem wirklich sehr günstigen Preis) zu bekommen. Keine Angst – ich glaube, es lohnt sich!!!!


    Benny Goodman – The complete Legendary Carnegie Hall Concert

    Duke Ellington – eh alles 😊

    Django Reinhardt – eh alles 😊

    Charlie Parker – Jazz at Massey Hall

    Charlie Parker – Charlie Parker with Strings

    Thelonious Monk – Genius of Modern Music Vol. 1 & Vol 2

    Chet Baker – Chet Baker Sings

    Shelly Manne and His Men – Live at the Black Hawk Vol.1 – Vol.4

    Dave Brubeck – Time Out

    Oscar Peterson – Night Train

    Coleman Hawkins encounters Ben Webster

    Gerry Mulligan – Night Lights

    Art Blakey & Jazz Messengers – Moanin’

    Bill Evans – The Solo Sessions Vol. 1

    Miles Davis – Kind of Blue

    Miles Davis – Sketches of Spain

    John Coltrane – Blue Train

    John Coltrane – My Favorite Things

    John Coltrane & Duke Ellington

    Grant Green – Idle Moments

    Duke Pearson – Tender Feelin’s

    Hank Mobley – Soul Station

    Lee Morgan - The Sidewinder

    Herbie Hancock – Empyrean Isles

    Keith Jarrett – The Köln Concert


    Bebop

    Als die Musik vieler Big Bands immer mehr in den vorgegebenen Formen und Arrangements erstarrte begannen junge Musiker neue musikalische Formen zu erkunden. Diese meist schwarzen Musiker entwickelten schlussendlich einen neuen Stil – diese Musik war keine Tanz- oder Unterhaltungsmusik, sondern man kann sie als „Musik für Musiker“ bezeichnen.

    Als Gründerväter gelten unter anderem Charlie Parker, Dizzy Gillespie oder Thelonious Monk, die eine erweiterte Harmonik hinzufügten. Es wurden dabei auch Elemente der lateinamerikanischen Musik verwendet (das nannte man dann den Afro Cuban Jazz)

    Der wahrscheinlich wichtigste Musiker dieser Ära war Charlie „Bird“ Parker.

    Parker stammte aus Kansas City wo er „sein“ Instrument, das Altsaxofon, erlernte. In jungen Jahren hatte er einen schweren Unfall, der ihm zu einem monatelangen Aufenthalt im Spital zwang. Um seine Schmerzen zu lindern, wurde er mit Morphium behandelt, was eine lebenslange Drogensucht zur Folge hatte. Als er schlussendlich 1955 starb war er nur 35 Jahre alt. Bei der Obduktion schrieb der zuständige Pathologe in seinem Bericht, dass es sich wohl um einen ca. 60-jährigen Mann handelt..

    Parker erhielt Unterricht in Harmonielehre und revolutionierte mit seinen Improvisationen die Jazzwelt. Er versuchte „alle möglichen Töne“ im Rahmen eines Stückes zu spielen, was zu dieser Zeit wirklich „unerhört“ war. Ein Bebop-Stück begann mit einem Grundthema, gefolgt von diversen Improvisationen, bei denen dieses Thema bis zur Unerkenntlichkeit aufgesplittert wird. Parker, der auch in Harmonielehre unterrichtet wurde, bestach einerseits durch seine technische Brillanz als auch durch eine unglaubliche Geschwindigkeit.


    Ein Komponist, der sich auch viel mit Jazz beschäftigt hatte, war Igor Stravinsky, eine Ikone unter Jazz-Liebhabern. 1946 komponierte er für die Big Band von Woody Herman das „Ebony Concerto“ für Solo-Klarinette. Es gibt da eine gute (und wahre) Geschichte, bei der sowohl Parker als auch Stravinsky die Hauptprotagonisten sind. Sie spielte sich im New Yorker Jazzclub „Birdland“ (benannt nach Parker) ab –


    Das Haus war schon vor dem Eröffnungs-Set fast voll, bis auf einen auffallend leeren Tisch, an dem ein für das Birdland ungewöhnliches RESERVIERT-Schild hing. Nachdem der Pianist sein fünfundvierzigminütiges Programm beendet hatte, setzte sich eine Gruppe von vier Männern und einer Frau an den Tisch, und zwar ziemlich lautstark, während drei Kellner schnell herbeieilten, um ihre Bestellungen aufzunehmen, und beim Anblick eines der Männer, Igor Stravinsky, eine Welle von Geflüster und Ausrufen durch das Birdland ging.

    Als Parkers Quintett die Bühne betrat, erkannte sein Trompeter Stravinsky. Er beugte sich vor und sagte es Parker, der Stravinsky überhaupt nicht ansah. Parker rief sofort die erste Nummer für seine Band auf, verzichtete auf die übliche Begrüßung des Publikums und legte los wie der Blitz.


    Die Band spielte "KoKo", ein Stück, das Parker wegen seines epochalen, halsbrecherischen Tempos - über dreihundert Schläge pro Minute auf dem Metronom – normalerweise erst bei seinem zweiten Set spielte, nachdem er ausreichend aufgewärmt war. (Anm. normalerweise spielten zu dieser Zeit die Künstler während eines Abends zwei oder drei Programme – beginnend ab 22:00 bis 03:00 in der Früh) Parkers Phrasen flogen bei diesem besonders beängstigenden "Koko" so flüssig wie immer. Zu Beginn des zweiten Refrains fügte er den Anfang von Stravinskys Feuervogel-Suite ein, als wäre er schon immer da gewesen, perfekt passend, und segelte dann mit dem Rest der Nummer weiter. Stravinsky brüllte vor Vergnügen und schlug sein Glas auf den Tisch, wobei der nach oben gerichtete Bogen des Glases den Schnaps und die Eiswürfel auf die Leute hinter ihm schickte, die ihre Hände hochwarfen oder sich duckten.

    Parker kannte nicht nur zufällig ein paar Brocken von Stravinsky, die er als Novum aus dem Ärmel schüttelte; er hatte zu diesem Zeitpunkt das Werk des Mannes, der mit Le Sacre Du Printemps das bis heute rhythmisch komplexeste Stück Orchestermusik komponiert hatte, bereits tief verinnerlicht.


    Thelonious Monk – Der „Zerstörer“


    Charlie Parker und Konsorten versuchten so viele Noten wie nur möglich in einem Musikstück unterzubringen. Monk reduzierte die Melodien auf das unbedingt Nötigste und scheute auch nicht davor zurück während eines Stückes spontan den Rhythmus zu wechseln, Dissonanzen zu spielen. Er wuchs in einem Armenviertel südlich von Harlem aus, der Vater verließ die Familie und so mussten die Mutter und die Kinder selbst für den Lebensunterhalt sorgen. Schon in frühen Jahren begann er Klavier zu spielen und nahm an einem lokalen Wettbewerb im Harlem Theater teil. Mit dreizehn Jahren wurde er von diesem ausgeschlossen, da er diesen zu oft gewonnen hatte. Er gab sogenannte „House Rent Parties“, wie in seinem Stadtteil nicht unüblich – um die Finanzen aufzubessern wurden Nachbarn eingeladen und nach der musikalischen Darbietung wurden Spenden eingesammelt um die Miete („Rent“) zu bezahlen. Er arbeitete auch als Organist in der Kirche, in der seine Mutter sang. Den Jungen beeindruckten die schwarzen Klaviervirtuosen, die in den Clubs in Harlem spielten – viele davon hatten auch eine klassische Ausbildung – es wurde ihnen aber irgendwann während des Studiums von den Professoren nahegelegt sich von der klassischen Musik abzuwenden, da es für Afroamerikaner unmöglich ist im klassischen Konzertbetrieb Fuß zu fassen (wir reden da von den 1930ern und 1940ern – aber ehrlich gesagt schein es, dass ich da bis zur heutigen Zeit wenig geändert hat – mir fällt spontan kein schwarzer Solo-Künstler in der Instrumental-Klassik ein).


    Monk entwickelte einen ganz speziellen, unverwechselbaren Stil und komponierte dann einige der wichtigsten Jazz-Standards wie „Blue Monk“ oder „Straight No Chaser“. Sein Stil war nie unumstritten, nichtsdestotrotz gehört er zu den wichtigsten Erneuerern der modernen Musik (auch außerhalb des Jazz). Monk war ein absoluter „Hochglanzverweigerer“.


    Ein Kritiker schrieb damals – „Was macht er da? Krude Glissandi, die ins Nichts führen, Akzente an ungewöhnlichen Stellen, Akkordhaufen, die sich nicht genau identifizieren lassen, ständige Dissonanzen, als würde er immer zwei nebeneinander liegende Tasten treffen. Und Pausen! Immer wenn man meint, jetzt käme ein Lauf, macht der Pianist eine Pause. Unerhört, diese Art zu spielen!“

    Thelonious Monk beeinflusst auch außerhalb der „Jazz-Blase“ Künstler noch immer – niemand geringerer als Igor Levit spricht von ihm als ein großes Vorbild.


    Das Zerstören von althergebrachten Strukturen, das Einbringen von Dissonanzen bringt ihn – um wieder den Bogen zur „Ernsten Musik“ zu spannen, meiner Meinung nach in die Nähe der Wiener Schule der Moderne (Arnold Schönberg, Alban Berg, Anton Webern), die sich ja auch von der Romantik abzusetzen suchte und sicherlich nicht (wie Monk ein paar Jahre später) einen „Schönklang“ suchte. Es war ein Musikstil, mit dem man zwar Opern, aber sicherlich keine Operetten schreiben konnte. Ein Bonmot aus dem von mir bereits erwähnten Buch „Glück in Scheiben“ – Alban Berg hätte sicherlich nicht das „Land des Lächelns“, sondern maximal das „Land des Röchelns“ schreiben können.


    The Birth of the Cool

    Ende der 1940er-Jahre schlug das Pendel wieder in die andere Richtung aus – weg von den zum Großteil rasend schnell gespielten Nummern und Instrumentalsoli hin zu einem Klang, der aus verschiedenen Instrumenten quasi „gewoben“ wurde. Es gab dann sehr komplexe und vielstimmige Arrangements – und auch die im Bebop zumeist 5-köpfige Gruppe (Saxofon, Trompete, Klavier, Schlagzeug, Bass) wurde manchmal bis zu einem Nonett erweitert. Das Tempo der meisten Stücke war auch reduziert und wurde als „cool“ empfunden („Cool“ in der Bedeutung eines James Dean oder eines jungen Marlon Brando).


    Diese Musikform war besonders an der Westküste der Vereinigten Staaten populär – und wurde wieder hauptsächlich von weißen Musikern gespielt. Als Komponisten und Arrangeure sind da besonders Gil Evans und Gerry Mulligan (der auch ein begnadeter Bariton-Saxofonist war) und als Aushängeschild dieser Musikrichtung wurde der „Prince of Cool“; Chet Baker, berühmt (seine Version von „My Funny Valentine“ gehört in jede Musiksammlung!!!!). Leider war auch Chet Baker von frühester Jugend an drogenabhängig und verbrachte einige Zeit im Gefängnis. In den 1960er wurden ihm, einem Trompeter, bei einer Racheaktion eines seiner Dealer sämtliche Vorderzähne ausgeschlagen, was normalerweise das Ende seiner Karriere hätte sein müssen. Mit einem neuen Gebiss lernte er drei Jahre lang sein Trompetenspiel von Grund auf neu und konnte dann ein erfolgreiches Comeback starten. Mit nur 58 Jahren fiel er eines Nachts aus dem Fenster eines Hotels in Amsterdam. Die genauen Umstände seines Todes wurden nie aufgeklärt.

    Der „West Coast Cool“ bestand mehr oder weniger bis zu Beginn der 1960er-Jahre und brachte großartige Musiker – und großartige Musik – hervor.


    Hard Bop – die Musik der zornigen Jungen

    Während in Kalifornien der Cool Jazz florierte, entwickelte sich in Detroit, Chicago und besonders in New York eine neue Stilrichtung – der Hard Bop. Was zeichnete diesen Musikstil aus? Nun, einerseits verwendete man die freie Improvisation des Bebop, andererseits ergänzte man diese mit einer etwas reduzierten Rhythmik und Melodik, so kehrte man zum Ende eines Stückes wieder zum Grundthema zurück.


    Die herausragendsten Aufnahmen wurden auf dem Plattenlabel „Blue Note“ produziert, das 1939 von zwei deutschen Emigranten, Alfred Lion (Löw) und Francis Wolff (Jakob Franz Wolff) gegründet wurde. Was Blue Note so „anders“ machte war die Tatsache, dass ab 1956 ausschließlich schwarze Musiker als Bandleader aufgenommen wurden und dass – im Gegensatz zu anderen Plattenlabels – die Musiker vor der Aufnahme proben konnten und auch dafür bezahlt wurden. Andere Plattenfirmen beorderten Musiker einfach zu einem bestimmten Termin ins Studio und es wurde ohne Proben aufgenommen. Dadurch waren die Blue Note-Sessions viel intensiver und auch „zorniger“. Es gab eine neue Musik von Musikern – viele davon hatten im 2. Weltkrieg in der Armee gedient und Europa befreit. Wieder zurück in den USA wurden sie aber wieder mit Rassendiskriminierung konfrontiert. Aber im Gegensatz zu der „Vätergeneration“ wollten sie diese Umstände nicht mehr kommentarlos hinnehmen und drückten ihre Frustration, ihre Verzweiflung und ihren Zorn in der Musik aus.


    Diese Tatsache ist auch ein Grund dafür, dass zu dieser Zeit die Musik, die an der Ostküste produziert wurde, viel intensiver als die der Westküste war. Die „weißen Jungs“ in Kalifornien hatten sicherlich die besseren Instrumente, oft auch die bessere Ausbildung und waren technisch besser – aber die Musik drückt doch auch immer die Lebensumstände aus. Ja, es gab auch Frustrationen an der Westküste (meine Freundin hat mich verlassen, wie komme ich zu meinen nächsten Drogen), aber die waren nicht zu vergleichen mit der Angst von einem Polizisten ohne Grund angehalten, geschlagen oder sogar erschossen zu werden. Noch heutzutage weiß oft eine afroamerikanische Mutter nicht, ob die Kinder am Abend wieder wohlbehalten nach Hause kommen…


    Ein Vorfall aus 1959 zeigt auf, was zu dieser Zeit Gang und Gäbe war –

    Miles Davis war zu dieser Zeit schon ein sehr bekannter Musiker stand in New York kurz nach Mitternacht vor einem Jazz-Club in dem er auftrat. Er rauchte und begleitete eine weiße, blonde Frau zu einem Taxi und schrieb ein paar Autogramme, als ein weißer Streifenpolizist ihn aufforderte weiter zu gehen. Davis zeigte auf das Veranstaltungsposter, wo sein Name stand und erklärte, dass er in diesem Club arbeitet. Der Polizist meinte, dass ihm das nicht interessiert und dass Davis seinen Anweisungen folgen soll. Natürlich weigerte sich Davis, der sich ja nichts zu Schulden hat kommen lassen.

    Daraufhin sagte der Polizist „Sie sind verhaftet“ und schlug Davis mit dem Schlagstock blutig, steckte ihn in den Streifenwagen und brachte ihn zum nächsten Polizeirevier, wo er wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und eines angeblichen Angriffs auf einen Polizeibeamten festgenommen wurde. Danach wurde er ins Spital gebracht, die geplatzte Kopfhaut genäht und dann wieder in eine Zelle gesperrt.

    Trotz vieler Zeugenaussagen wurde gegen den Polizisten kein Verfahren eingeleitet…

    (Anm. Und 60 Jahre später hat sich noch immer nicht wirklich viel geändert)


    Und diese Frustration, dieser Zorn spiegelt sich in der Musik wider. Und da findet man eine Verbindung zur klassischen Musik – hätte Beethoven derartig intensive Werke ohne seiner fortschreitenden Taubheit schreiben können? Wäre Schubert ohne seine Syphilis-Erkrankung in der Lage gewesen seine „Winterreise“ zu komponieren? Mozart sein „Requiem“? Tschaikowsky und Britten ihre Werke? Ehrlich gesagt, ich bezweifle das. Die Lebensumstände, unter denen man aufwächst, der Grundcharakter eines Menschen und die Erfahrungen, die man im Leben macht spiegeln sich immer in den Werken und in der Ausführung wider. Es ist ja kein Zufall, dass die Interpretation einer Marschallin (wenn man einmal von der Entwicklung der Stimme absieht) einer 25-jährigen und einer 45-jährigen meilenweit auseinander liegt. Und vom Liedgesang einmal ganz zu schweigen.


    Der Modale Jazz

    Der Ursprung dieser Art von Musik liegt wieder in New York, als man sich (auch musiktheoretisch) damit beschäftigte, die Improvisationsmöglichkeiten für Solisten zu erweitern. George Russel schrieb das Buch „The Lydian Chromatic Concept of Tonal Organization” – nicht unähnlich zum Zwölftonkonzept eines Arnold Schönbergs und der Auflösung der Tonalität, die man in der Zweiten Wiener Schule betrieb. Man arbeitete da unter anderem mit dorischen (entspricht den weißen Tasten eines Klaviers) und äolischen (Ursprung davon der hypodorische Modus, aus dem die Moll-Tonarten herstammen)Tonleitern, es gab eher minimalistische Tonfolgen und die Tempi waren gemäßigt. Wie oben kurz angedeutet gab es oft ungewöhnliche Harmonien (die man allerdings schon in der mittelalterlichen Kirchenmusik vorfand), die Musikstücke haben einen oft meditativen Charakter, schrecken aber auch nicht vor Dissonanzen zurück.

    Was die Improvisationen betrifft möchte ich aus Wikipedia zitieren –

    Im Modalen Jazz verläuft die Improvisation des Solisten auf wenigen über weite Strecken ausgehaltenen Modi (Skalen) statt Vorgabe konventioneller, harmonischer Akkordfolgen. Neben den konventionellen Tonleitern westlicher Musik werden, auf mittelalterliche Kirchentonarten zurückgehende, modale Tonleitern und außereuropäische Tonskalen verwendet, und auch chromatische Passagen finden vermehrt Verwendung. Moderne Musiker, die im modalen Stil spielen, setzen auch Techniken wie Vorhalts- und Durchgangstöne, das Einkreisen von Tönen und weitere Techniken ein, um ihre Improvisation zu bereichern. Das Primat hat der, ohne an ein Korsett konventioneller, begleitender Harmonien des Ensembles gebundene, darüber frei improvisierende Solist. Die Begleitung besteht oft nur aus wenigen, ständig wiederholten Akkorden.


    Kind of Blue

    DIE wohl bekannteste (und auch meistverkaufte) Platte der Jazzgeschichte ist das Album „Kind of Blue“ mit Miles Davis als Bandleader, das wegweisend für die Entwicklung des Modal Jazz war. Sie entstand 1959 (im übrigen ein Jahr, in dem einige der bedeutendsten Aufnahmen der Jazzgeschichte eingespielt wurden). Ich kann KoB nur jedem empfehlen – anbei ein paar Hintergründe, wie die Platte entstanden ist, basierend auf den Aussagen von Bill Evans, der bei den Sessions am Klavier saß und großen Einfluss auf die Kompositionen hatte –

    „Miles bat mich damals vor der Produktion in sein Apartment. Er wollte eigentlich meine Komposition „Peace Piece“ aufnehmen, doch ich regte an, gemeinsam nach einer zusammenhängenden Folge von Tonalitäten zu suchen und diese zu einem logischen Kreis zusammenzufügen. Das Ganze ergab dann „Flamenco Sketches“. Zusätzlich entwarf ich die Melodie und die Akkord-Changes für „Blue in Green“ und schrieb die Grundstrukturen für die anderen auf. Miles dachte, auf diese Weise könnten wir bei der Aufnahme Zeit sparen und die Band würde alles schneller verstehen. Im Studio war Miles dann in der Lage, die gesamte Gruppe mit den wenigen Fragmenten, den spärlichen Tipps und seinen minimalen Hinweisen zusammenzubringen. Wir schafften es, alle Stücke im ersten Anlauf aufzunehmen – so wie sie auf der Platte zu hören sind.

    Grundprinzip der Platte war aber, dass alle Stücke in gemäßigtem Tempo interpretiert wurden und die Band die Kompositionen erst im Studio zu sehen bekam, so dass kein Musiker auf Routinen zurückgreifen konnte.


    Mein persönliches Lieblingsstück ist „So What“. Die Harmonien basieren ausschließlich auf dem oben erwähnten dorischen Modus (Terz-Quart-Quint-Sept). Eine weitere Besonderheit dieses Stückes ist, dass der Bass die Melodie spielt – sehr ungewöhnlich zu dieser Zeit. Um noch einmal auf diesen Modus zurückzukommen und die Brücke zur (vor)klassischen Musik zu schlagen – man findet diesen in der Chormusik eines Heinrich Schütz (Matthäus-Passion).

    Das letzte aufgenommene Stück für diese Platte war „All Blues“, das ein prägendes Ostinato aufwies und vom Bassisten elfeinhalb Minuten durchgespielt werden musste. Ein Ostinato-Schema weist auch der Boléro von Ravel aus und ist, besonders in der Barockmusik, als „Basso Ostinato“ zu finden). Einfach erklärt ist ein Ostinato eine sich dauern wiederholende Melodie oder ein bestimmter Rhythmus.


    Bill Evans

    Der vorher erwähnte Bill Evans gehört zu meinen absoluten Lieblingsmusikern. Er war ein Pianist und einer der wenigen weißen Musiker, die immer von schwarzen Bandleadern (wie eben Miles Davis) zum Mitspielen eingeladen wurden. Ich hatte ja schon erwähnt, dass es einen Unterschied in der Verzweiflung von Weißen und Farbigen gibt – die Tatsache, dass Evans als Kind von seinem Onkel missbraucht wurde, hatte vielleicht die Dimension, dass sein „Pendel“ in Richtung schwarzer Verzweiflung ausschlug und er dadurch aus musikalisch mit Davis & Co. besser harmonisierte als andere. Bill Evans ist der große Lyriker unter den Jazzmusikern, sein Spiel war sehr introvertiert und auch von den Kompositionen von Claude Debussy und Maurice Ravel beeinflusst. Bereits mit zwölf Jahren trat er öffentlich auf und beherrschte neben dem Klavierspiel auch Flöte und Violine.


    Er absolvierte in Louisiana ein klassisches Musikstudium und graduierte mit dem akademischen Titel „Bachelor“ in Klavier- und Musikpädagogik. Seine Soloalben sind großartig – und zumindest eines sollte man besitzen.


    Free Jazz und weitere Entwicklungen

    Gegen Ender der 1950er Jahre begannen einige Musiker sich komplett von der Jazzharmonik zu lösen uns komplett freie Formen wurden gefunden. Ich besitze zwar einige Platten dieser Stilrichtung in meiner Sammlung, aber ich muss schon in einer wirklich sehr bestimmten Stimmung sein, um diese auch zu hören. Als Protagonisten möchte ich Ornette Coleman erwähnen – auf einen seiner Alben hat er zwei Gruppen á 5 Musiker verwendet, in gleicher Besetzung, die unabhängig voneinander gerade spielten, was ihnen gerade einfiel. Die eine Gruppe wurde am linken Stereokanal aufgenommen, die andere am rechten. Das Ergebnis ist – sagen wir es einmal so – interessant….

    Gegen Ende der 1960er Jahre kam dann der „Fusion Jazz“ (Jazz kombiniert mit Rock, Folk), Electronic Jazz – aber diese Spielarten interessieren mich nicht besonders und daher möchte ich auch nicht weiter darauf eingehen.


    Was geht im Kopf eines Jazz-Musikers und eines Klassischen Musikers vor?

    Diese Frage stellte sich vor ein paar Jahren das Max Planck-Institut in Deutschland und kam zu sehr interessanten Ergebnissen, da sich die Hirnprozesse bei einem klassisch ausgebildeten Musiker von einem ausgebildeten Jazzmusiker unterscheiden, selbst wenn beide das gleiche Musikstück spielten. Die Untersuchungen wurden bei Pianisten gemacht.

    Ich zitiere aus der Untersuchung –

    „Als wir Jazzer während einer logischen Abfolge von Akkorden plötzlich einen harmonisch unerwarteten Akkord spielen ließen, begann ihr Gehirn schon nach 0,4 Sekunden und damit viel früher die Handlung umzuplanen als das klassischer Pianisten. Entsprechend schneller konnten sie auch auf die unerwartete Situation reagieren und ihr Spiel fortsetzen“


    Klassische Pianisten waren wieder besser darin ungewöhnliche Fingersätze zu nutzen – da zeigte das Gehirn eine stärkere Aufmerksamkeit für den Fingersatz und es passierten auch weniger Fehler bei der Nachahmung.

    Wieder ein Zitat - „Der Grund dafür könnte in den unterschiedlichen Fähigkeiten liegen, die die beiden Musikstile von den Musikern fordern“, erklärt Biancos Kollegin Daniela Sammler. Demnach konzentrieren sich klassische Pianisten bei ihrem Spiel besonders darauf, ein Stück technisch einwandfrei und persönlich ausdrucksstark wiederzugeben. Hierfür ist etwa die Wahl des Fingersatzes entscheidend.


    Im Jazz geht es dagegen auch viel um Improvisation: Ein guter Jazzmusiker zeichnet sich dadurch aus, variieren zu können und sich beispielsweise flexibel an überraschende Harmonien anzupassen. „Dadurch scheinen sich unterschiedliche Abläufe im Gehirn etabliert zu haben, die während des Klavierspielens ablaufen und den Wechsel in einen anderen Musikstil erschweren“, sagt Sammler.


    Improvisation

    Während es in der klassischen Musik ab dem 19.Jahrhundert für die Ausführenden kaum die Möglichkeit zur Improvisation gibt, war diese im Barock normal – viele Komponisten ließen ihren Solisten mehr oder weniger offen, was sie spielten (oder sangen, wenn es um die Koloraturen in Opern ging). Diese Flexibilität verschwand fast zur Gänze (man findet sie manchmal noch im Belcanto – aber könnte man sich eine Verdi-Arie mit spontanen Kadenzen vorstellen ?!??). Die Möglichkeit vor Publikum ein vorgegebenes Thema zu improvisieren brachte erst wieder das Genre des Jazz zum Vorschein (Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel!). Eine weitere „Inselplatte“ für Jazzliebhaber ist ein Livemitschnitt von Keith Jarrett, das berühmte ->


    The Köln Concert

    Dieses wurde – unter relativ widrigen Umständen – im Jahre 1975 live in der Kölner Oper aufgenommen und ist heutzutage die meistverkaufte Solo-Jazz-Platte aller Zeiten. Keith Jarrett erhielt schon mit drei Jahren Musikunterricht, trat als „Wunderkind“ schon mit 7 Jahren auf und erhielt einige Zeit eine klassische Ausbildung, bevor er die Musikschule verließ und sein Klavierspiel selbständig weiterentwickelte. Seine Hauptintention als Künstler war es (und ist es noch immer) Musik aus dem Augenblick heraus zu kreieren, Musik „aus dem Nichts heraus zu erschaffen“. Deshalb sind seine Konzerte fast ausschließlich frei improvisiert. Er selbst sagt dazu: Es ist immer wieder, als würde ich nackt auf die Bühne treten. Das Wichtigste bei einem Solokonzert ist die erste Note, die ich spiele, oder die ersten vier Noten. Wenn sie genug Spannung haben, folgt der Rest des Konzerts daraus fast selbstverständlich. Solokonzerte sind so ziemlich die enthüllendste psychologische Selbstanalyse, die ich mir vorstellen kann.“


    Bei diesem Auftritt verwendete er die Melodie des Pausengongs der Kölner Oper – und 66:05 Minuten später war ein Meisterwerk geboren.


    Crossover von Jazz und Klassik

    Auf „Jonny spielt auf“ und „Porgy and Bess“ brauche ich wohl nicht näher eingehen, da die Überschneidungen da offensichtlich sind, deshalb möchte ich mich auf vielleicht weniger bekannte Werke und Aufnahmen konzentrieren.


    Miles Davis kooperierte Ende der 1950er Jahre auch mit dem Komponisten und Arrangeur Gil Evans (nicht verwandt mit Bill Evans). Bei dieser Zusammenarbeit (Solo-Trompete Miles Davis, dazu ein Orchester) entstanden die Platten „Porgy & Bess“ und besonders erwähnenswert „Sketches of Spain“, das an spanische Volksmusik angelehnt ist. Hier findet man an wunderbare Aufnahme des 2.Satzes des „Concierto de Aranjuez“ von Joaquin Rodrigo und Auszüge aus dem Ballett „El amor brufo“ von Manuel de Falla. Bei dieser Platte verwischen sich die Genres, was von Jazz-Puristen auch kritisiert wurde. Aber was soll’s – es ist wunderbare Musik!


    Auch Alban Berg benutzt in „Lulu“ einige Swing-Elemente, im dritten Satz von „La Revue de Cusine“ von Bohislav Martinu verwendet dieser den Rhythmus des Charleston. Gershwin und Kurt Weill (Dreigroschenoper, Mahagonny, Happy End) ließen sich auch von den Klängen des Jazz inspirieren.


    Wie schon erwähnt hat Stravinsky das „Ebony Concerto“ für Benny Goodman geschrieben, Jazz-Anklänge findet man auch in den Klavierkonzerten von Maurice Ravel, Stravinsky benutzt den Ragtime in „L’histoire du Soldat“. Darius Milhaud kann den Einfluss bei seinen Kompositionen „Saudades do Brasil“, „Le Creation Du Monde“ und der „Scaramouche Suite“ nicht abstreiten.


    Dmitri Schostakowitsch wiederum schuf als Mitglied der Jazz-Kommission 1934 seine „Suite für Jazzorchester Nr.1“ mit dem Ziel „den sowjetischen Jazz auf ein professionelles Niveau zu heben“. Allerdings hat diese mit herkömmlichen Jazz relativ wenig zu tun, die Wurzeln liegen eher in Film- und Bühnenmusik.1938 schuf er noch die „Suite für Jazzorchester Nr.2“, die allerdings – so glaubte man – verloren ging und erst im Jahr 2000 in rekonstruierter Form aufgeführt wurde.


    Andreas Priwin, besser bekannt als André Previn, schrieb nicht nur Opern,symphonische Werke und Filmmusiken, sondern er war auch ein begnadeter Jazz-Pianist, der bereits mit 15 Jahren in New York seine ersten Auftritte in letztgenanntem Genre hatte. 1956 erhielt er für die Aufnahme von „My Fair Lady“ mit Shelly Manne (Schlagzeug) und Leroy Vinnegar (Bass) die allererste Goldene Schallplatte für ein Jazz-Album überhaupt.


    Und dann gibt es natürlich auch Jazzer, die wunderbare Interpreten klassischer Musik waren und sind, da besonders der Pianist Chick Corea. Dieser verstarb im Vorjahr, ich besitze von ihm die Aufnahme eines seiner letzten Konzerte – da findet man in der Stückauswahl neben Kompositionen von Thelonious Monk auch die Klaviersonate KV 332 von Mozart, Improvisationen über Themen von Scarlatti, Chopins Prelude op.28 und ein Werk von Skriabin. Ehrlich gesagt – ich habe mir diese Doppel-CD wegen seiner Mozart-Interpretation gekauft.


    Ein Kleinod meiner Sammlung ist auch die Zusammenarbeit von Wynton Marsalis, einem Trompeter, der 1960 geboren, und einer gewissen Edita Gruberova. Mit dem English Chamber Orchestra wurden 1984 hier Werke von Purcell, Händel, Torelli, Fasch und Molter eingespielt.


    Einen Österreich-Bezug hat die „Combo“ L’Arpeggiata, die von der Grazerin Christina Pluhar gegründet wurde. Wenn ich mich recht erinnern kann schrieb ein Kollege eine begeisterte Rezension über ihren Auftritt bei den letzten Salzburger Festspielen. Pluhar versteht es perfekt – je nach Programm – die Grenzen zwischen Barockmusik und Jazz zu verwischen. Ihre Monteverdi-CD (Teatro d’Amore) und besonders „Music for a While – Improvisations on Purcell” sind ganz gewaltig. Mitwirkende an der letztgenannten Aufnahme sind unter anderem der Countenor Philippe Jaroussky und Wolfgang Muthspiel, einer der aktuell führenden österreichischen Jazzgitarristen.


    Jazz in Österreich

    Zum Abschluss meiner Ausführungen möchte ich noch einige Worte über Repräsentanten des Jazz in Österreich verlieren. Ohne näher auf sie einzugehen möchte ich Hans Koller, einen Saxofonisten, der mit allen amerikanischen Jazzgrößen zusammengespielt hat und Fatty George, den älteren Lesern vielleicht noch aus dem Fernsehen bekannt, erwähnen.

    International am Bekanntesten ist in der Jazzszene sicherlich Josef „Joe“ Zawinul, der Ende der 1950er Jahre erstmals in den USA als „Sideman“ bei Aufnahmen tätig war, später bahnbrechende Alben mit Miles Davis und dann mit seiner eigenen Jazz-Rock-Formation „Weather Report“ einspielte.

    Ich nehme mal an, dass der Name Friedrich Gulda hier jedem geläufig ist, allerdings vor allem wegen seiner Tätigkeit im Rahmen der klassischen Musik. Ich selbst liebe seine Interpretationen der Mozart-Klaviersonaten, auch seine Einspielungen der Beethoven-Klavierkonzerte sind legendär. Und für mich übertrifft nur Glenn Gould „seinen“ Bach… Weniger bekannt ist wahrscheinlich dass Gulda bereits zu Mitte der 1950er-Jahre immer wieder in New York in Jazz-Clubs auftrat (er war auch mit Joe Zawinul befreundet, mit dem er dann später auch gemeinsame Konzerte gab) und in der dortigen Szene einen sehr guten Ruf hatte. Er versuchte auch immer die Unterschiede zwischen E- und U-Musik zu verwischen, hatte damit aber nicht den Erfolg, den er sich wohl gewünscht hatte. Der Kritiker Robert Fischer schrieb einmal - „Friedrich Guldas Ausflüge in den Jazz wurden einst von den Hohepriestern der Klassik nur mit spitzen Fingern angefasst wie etwas, das man allenfalls zu erdulden habe, weil er doch so schön Mozart spiele.“ Nichtsdestotrotz war er einer der wenigen Musiker, der vom Klavierspiel her sowohl von klassischen Pianisten als auch von Jazzgrößen bewundert wurde.

    Der Solo-Trompeter der Orchesters die Wiener Volksoper, Lorenz Raab, studierte in Wien und Salzburg klassische Trompete, aber ebenso zwei Jahre Jazz-Trompete in Bremen. Er war Solo-Trompeter des Vienna Art Orchesters, bevor er in der Volksoper „aufschlug“. Er hat einige CDs veröffentlicht (mir gefällt „Four Roses“ aus 2002) und wandelt nach wie vor zwischen den beiden Welten hin und her.

    Sein Lehrer am Mozarteum war Hans Gansch, von 1982-1996 erster Trompeter bei den Wiener Philharmonikern. Dessen Bruder wiederum, Thomas Gansch (ebenfalls Trompete) ist einer der profiliertesten Vertreter des Jazz in Österreich, er war Mitbegründer des Ensembles „Mnozil Brass“ und tritt immer wieder in gemeinsamen Programmen mit Georg Breinschmid auf, der wiederum Mitglied der Wiener Philharmoniker war, sich dann aber dem Jazz zuwendete, da für einen Bassisten die Möglichkeiten sich selbst auszudrücken im Rahmen eines klassischen Orchesters doch sehr, sehr begrenzt sind.

    Liebe Mit-Taminos,

    ich wurde von der Chefredakteurin des "Neuen Merkers" ersucht für die nächste Ausgabe einen Artikel über Jazz zu schreiben, Zielpublikum sollen Leser sein, die eher nur Oper und Klassik hören.

    Nach vielen Recherchen (und Kürzungen) habe ich den Artikel produziert, den ich mit Euch teilen möchte (es waren dann doch 11 A4-Seiten) - ich hoffe, dass er gut aufgenommen wird. Wie gesagt, es geht darum Menschen, die 175x den Tristan und 100x den Ring gesehen haben, diese Kunstform näher zu bringen, entsprechend auch die Plattenliste, die ich gemacht habe (.. normalerweise gehört "A Love Supreme" in jede Sammlung...)


    Liebe Grüße aus Wien,

    Kurt

    --------------------

    JAZZ UND KLASSISCHE MUSIK – GIBT ES GEMEINSAMKEITEN?


    Es mag vielleicht viele Leser verwundern was ein Artikel über eine relativ moderne Musikrichtung im „Merker“ zu suchen hat, allerdings findet man – bei näherer Analyse – doch den einen oder anderen Anknüpfungspunkt. Seien es nun Künstler, die in beiden Genres erfolgreich waren, über die Einflüsse der klassischen Musik auf Jazzmusiker – und vice versa.


    Ich befasse mich erst seit ca. 3 Jahren mit dem Jazz in all seinen Ausprägungen und besitze nur ca. 650 Tonträger, trotzdem denke ich dass ich genug gelernt habe, einen kleinen Überblick zu geben. Dazu ist es aber wichtig, die Geschichte des Jazz zu betrachten. Und da haben wir schon die erste Parallele zur „klassischen“ Musik. Nur – was bei letztgenannter Jahrhunderte brauchte (vom Madrigalgesang über Barock über die Wiener Klassik, Romantik bis hin zur Zwölftonmusik), ereignete sich beim Jazz in nur 50 Jahren. Und im Gegensatz zur Klassik, wo wir nie erfahren werden wie Mozart seine eigenen Kompositionen interpretiert hat, ist beim Jazz (mit ganz wenigen Aufnahmen) alles auf Tonträgern dokumentiert.

    Geschichte des Jazz - Ursprünge

    Ähnlich wie der Blues wurde der Jazz im Süden der USA geboren. Seine Wurzeln hat er ebenfalls in der Musik (und im Rhythmus) der Sklaven. Vereinfacht gesagt ist Jazz die Musik des über Jahrhunderte unterdrückten Schwarzen Mannes (der Einfachheit halber verzichte ich auf das Gendern..), dem es, besonders in dieser Stilrichtung, bis zum Ende der 1960er Jahre nicht möglich war, die Frustration über die Lebensumstände in Worte zu fassen und dies nur über die Instrumente tun konnten.



    Man könnte den Beginn dieser Musikbewegung in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts verorten, als es im Süden der USA (Hochburg war New Orleans) Marschkapellen gab, die bei verschiedenen Anlässen spielten. Diese Musik wurde vom Blues und kreolischer Musik beeinflusst, aber auch von der europäischen Tradition. Dazu muss man wissen, dass die Kreolen nicht versklavt waren, es gab viele Mischehen und sie arbeiteten nicht am Feld, sondern als Verwalter auf den Plantagen. Daher auch die Kenntnis von der europäischen Klassik. Allerdings wurden die Kreolen später auch vom Leben des „weißen Mannes“ ausgeschlossen und daher näherten sie sich zwangsläufig den Schwarzen an, was zu einer „Befruchtung“ durch europäische Musik führte. Improvisation – was später zu einer der wichtigsten Merkmale des Jazz wurde – spielte zur dieser Zeit keine Rolle. Da es sich um „Marching Bands“ handelte war die Besetzung fast ausschließlich auf Holz- und Blechbläser fokussiert, gemeinsam mit Banjo und dem Schlagwerk. Die Melodien wurden zu dieser Zeit kaum niedergeschrieben.


    Woher kommt eigentlich der Name „Jazz“? Da ist sich die Musikwissenschaft nicht ganz einig. Es könnte aus dem Slang der (Ex-)Sklaven kommen und bedeutet so viel wie Beischlaf, es könnte auch lautmalerisch die Geräusche von Raddampfern beschreiben.

    Gegen Ende des 19.Jahrhunderts entstand der „Ragtime“ (auf deutsch – zerrissene Zeit), ein Klavierstil, bei dem die linke Hand die Rhythmusgruppe einer Band ersetzt. Die Stücke waren komplett notiert, auch da gab es noch keine Improvisation. Die Musik lebte von der Spannung aus durchgehendem Rhythmus der linken Hand und der „zerrissenen“ Melodik der rechten Hand. Das sicherlich bekannteste Stück dieser Ära ist „The Entertainer“ von Scott Joplin (sehr bekannt durch den Film „Der Clou“).

    In den 1910er-Jahren verließen die ersten Bands aus dem Süden New Orleans und machten in weiterer Folge diesen neuen Musikstil im ganzen Land populär. Sie nannten sich „Jazz Bands“ oder auch „Jass Bands“. So erreichte man Kansas City, Kalifornien, New York, Detroit oder Chicago, allerdings wurden auch die ersten Bands in Havanna gegründet.

    Zu dieser Zeit entwickelte sich eine Abart des „New Orleans Jazz“, nämlich der Dixieland. Dieser Stil wurde zum Großteil von weißen Musikern gespielt, er war schneller und hatte mehr Noten und stärkere Akzentuierungen in den Melodien. Die „Original Dixieland Jass Band“ spielte 1917 Aufnahmen ein, die als erste Jazzplatte gelten.

    Die ersten Jazz-Bands tourten durch Europa und im Jahr 1919 war es niemand geringerer als Robert Stolz, der die erste österreichische Jazz-Komposition verfasste – „Bobby Jazz“ (op. 338)


    Einige der bahnbrechendsten Aufnahmen in der Geschichte erfolgten zwischen 1925 und 1929, als der aus New Orleans stammende Louis Armstrong mit seiner Studioband (Louis Armstrong and His Hot Five, später auch „Hot Seven“) die Kollektivimprovisationen um seine Trompetensoli ergänzte. In der weiteren Geschichte lösten die Instrumentalsoli die der jeweiligen Orchester fast komplett ab.

    Das Stück, das wahrscheinlich am besten die Fähigkeiten eines Louis Armstrong zeigt, ist der „West End Blues“. Ich möchte gerne aus dem Buch „Glück in Scheiben“ von Jon Evers zitieren – „Er beginnt mit einer c-Moll Kadenz, die wie ein Katarakt herunterstürzt und dann in einer perlenden Kaskade bis zum hohen C aufsteigt. Ich weiß nicht, was man bei der Kadenz mehr bewundern soll: die perfekte Phrasierung oder den strahlenden Ton; die stupende Technik oder die – damals – unerhörte harmonische Kühnheit. … Das perfekte Timing ergibt eine innere Spannung, die sich erst im Thema auflöst, das von Louis in wahrhaft majestätischem Pathos vorgetragen wird“. (Anm. des Verfassers – ich besitze diese Aufnahme und – ja, ja und wieder ja…)

    Wieder ein Schwenk zurück nach Europa – die „Roaring Twenties“ machten die Stilrichtung derart populär, dass 1928 in Frankfurt am „Hoch’schen Konservatorium“ die weltweit erste Jazz-Klasse gegründet wurde.


    Die Swing-Ära

    1920– 1940 war die wohl kommerziell erfolgreichste Ära des Jazz. Der „Swing“ wurde zu Anfang der 1930er Jahre erfunden, unterstützt vom Radio. Großteils weiße Ensembles brachten ein den ganzen USA die Musik nahe, die schon Jahre vorher von afroamerikanischen Musikern gespielt wurde. Der „Swing“ war eine Tanzmusik, die in den Dance-Halls überall gespielt wurde und er war die vorherrschende Unterhaltungsmusik dieser Dekade. Der berühmte Cotton-Club in Harlem, der ein gemischtes Publikum hatte, was zu dieser Zeit außerordentlich war, beherbergte die bekanntesten Big Bands dieser Zeit, angefangen von Duke Ellington über Benny Goodman bis hin zu Count Basie.

    Kansas City wurde auch zu einem der Hotspots der Jazz-Szene und aus dem dort vorherrschenden „Kansas City Jazz“ wurde schlussendlich der „Rhythm & Blues“.

    In Europa gründete Django Reinhardt sein „Quintette du Hot Club de France“ und entwickelte gemeinsam mit den Geigenvirtuosen Stephane Grapelli eine Musikform, die als „Gypsy-Jazz“ bekannt wurde.


    Benny Goodman – Ein Kämpfer gegen Diskriminierung und ein „Cross-Over“-Musiker


    Benjamin Goodman stammt aus Chicago und war Sohn einer jüdischen Immigranten-Familie. In jungen Jahren schon bekam er eine Klarinette und erhielt in einer lokalen Synagoge seinen ersten Unterricht. Anschließen lernte er zwei Jahre lang bei einem Mitglied des Chicago Symphony Orchestras und er konnte schlussendlich in seinen Teenagerjahren schon seine Familie finanziell unterstützen (mit 15 Jahren verdiente er schon mehr als sein Vater, der in einer der unzähligen Schlachthöfe Chicagos Arbeit gefunden hatte).

    Goodman übersiedelte dann nach New York, wo er als Studiomusiker für Radioübertragungen und als Musiker am Broadway arbeitete. Schon bald gründete er eine Big Band und wurde in den 1930ern der wohl bekannteste Jazz-Musiker in den USA. Er war auch der erste, der die Rassentrennung bei Orchestern durchbrach – so engagierte er Lionel Hampton und Charlie Christian für sein Orchester. Er setzte auch durch, dass seine schwarzen Musiker in den Hotels und Restaurants gleich behandelt wurden wie deren weiße Kollegen. Zu dieser Zeit waren– besonders im Süden – Schwarze extrem diskriminiert (so musste zum Beispiel Billie Holiday, eine der großartigsten Sängerinnen in diesem Genre, im Gegensatz zu den weißen Bandmitgliedern den Lastenaufzug benutzen und durfte, wenn sie nicht sang, nicht auf der Bühne bleiben). Goodman bestand auf Gleichberechtigung für alle und sagte sogar ausverkaufte Konzerte ab, wenn dies nicht gestattet wurde. Durch seine jüdische Herkunft wusste er sicher, was Diskriminierung bedeutet und hatte dadurch wahrscheinlich mehr Verständnis für die Afroamerikaner. Überhaupt ist es ein interessantes Faktum, dass man in Jazzkreisen bei den Musikern überdurchschnittlich viele Musiker und Produzenten mosaischen Glaubens findet.

    Goodman ist nicht nur für einige der bedeutendsten Aufnahmen der Swing-Ära verantwortlich – hier möchte ich besonders die Aufnahme seines Carnegie-Hall-Konzerts aus 1938 hinweisen, das übrigens das erste Nicht-Klassische Konzert in diesen hehren Hallen war, er trat auch immer wieder als klassische Musiker auf. Seine Aufnahme der Klarinettenkonzerte von Wolfgang Amadeus Mozart sollte in keiner Sammlung fehlen. Dass Goodman auch außerhalb der Jazz-Community geschätzt wurde zeigten auch Paul Hindemith, Aaron Copland und Bèla Bartok, die ihm Kompositionen widmeten.


    Duke Ellington – der bedeutendste Komponist des 20.Jahrhunderts?


    Der Beginn der 1940er Jahre war sicherlich die kreativste Zeit von Edward „Duke“ Ellington, dessen Vater auch als Butler im Weißen Haus gearbeitet hatte. Seinen ersten Klavierunterricht erhielt er von seiner Mutter mit sieben Jahren, begann aber erst mit 14 Jahren sich mit dem Instrument näher auseinander zu setzen. Geboren 1899 gründete er schon bald sein erstes Orchester, die „Washingtonians“, dessen Namen schlussendlich zum „Duke Ellington Orchestra“ wurde. Durch Auftritte im Cotton Club, die auch vom Radio übertragen wurden (unter dem Namen „Duke Ellington and his Jungle Band“), erreichte sein Orchester schon bald nationale Berühmtheit.


    Ellington, der während seiner fast 60-jährigen Karriere über 2.000 Lieder und Orchesterwerke komponierte, unterschied sich von anderen „Jazzern“ dadurch, dass seine Werke durchkomponiert und durcharrangiert waren und er dadurch den Mitgliedern seines Orchesters nicht die Möglichkeit zur freien Improvisation gab. Allerdings wusste er um die Stärken und Schwächen seiner Solisten (von denen einige sogar 50 Jahre in seinem Orchester tätig waren) und schrieb ganz gezielt Soli für diese, die den individuellen Eigenheiten eines jeden Musikers entsprachen (unterstützt von Billy Strayhorn, mit dem ihm eine lebenslange Freundschaft verband).

    Das bekannteste Konzert (ich würde es eher als ein Concerto Grosso bezeichnen), das er für einen seiner Musiker schrieb, war das „Concerto for Cootie“ aus dem Jahr 1940. „Cootie“ Williams war einer seiner Trompeter. Es ist vielleicht ganz interessant, die musikalische Analyse zu lesen – die Quelle dazu fand ich auf der Website www.swingandbeyond.com“ Ich habe diese in Auszügen übersetzt –


    Concerto for Cootie" beginnt mit einer achttaktigen Einleitung, in der Williams unbegleitet auf seiner gedämpften Trompete das achttönige Melodiefragment spielt, das während des gesamten Stücks als wiederkehrendes Motiv dient. Die Band nimmt dies dann bei der ersten Wiederholung dieses Motivs auf, wobei die singenden Saxophone hoch und dann absteigend einsetzen, während Juan Tizols Ventilposaune allein tief und aufsteigend einsetzt. Es folgen die beiden anderen Posaunen, und schließlich fügen Wallace Jones' Trompete und Rex Stewarts Kornett der Klangmischung hinzu.

    Während sich diese Instrumente allmählich zusammendrängen, wird ihre Harmonie immer dichter und dissonanter. Am Ende der Einleitung steht ein kompletter Stopp, der das Ende der Einleitung markiert. Obwohl sie nur siebzehn Sekunden dauert, enthält diese Einleitung ein Füllhorn an musikalischen Ideen, Instrumentalklängen und Dynamik. Das war das Genie von Ellington.

    Der unkonventionelle erste Refrain von "Concerto for Cootie" besteht im Wesentlichen aus vier zehntaktigen Abschnitten. Der erste dieser Abschnitte kann als die "A"-Melodie identifiziert werden, die in der Einleitung zu hören war. Im nächsten zehntaktigen Abschnitt erklingt eine Wiederholung dieser Melodie. Die "B"-Melodie (eine Brücke) erscheint in den dritten zehn Takten, und in den vierten zehn Takten kehrt die Hauptmelodie zurück. Zur Vereinfachung meiner Erklärung dessen, was bei dieser Aufführung geschieht, werde ich die vier Abschnitte des ersten Refrains als A1, A2, B und A3 bezeichnen.

    A1 beginnt wie die Einleitung mit einem unbegleiteten Williams auf der gedämpften Trompete, der das achttönige melodische Fragment spielt. Man beachte, dass er am Ende seiner Phrasen einen Lippentriller verwendet. In dieser A1-Sequenz jedoch kommt Cooties instrumentale Unterstützung in Form des Posaunentrios (mit Jimmy Blantons Bass als Untermalung), das Williams mit skurrilen, weichen Harmonien antwortet. Man beachte, wie Blantons Bass seinen Gehrhythmus zusammen mit Sonny Greers flüsternder, gebürsteter kleiner Trommel einsetzt, wenn Williams sein Solo in dieser A1-Melodieexposition beendet und die fünf Zungenstimmen die A1-Sequenz beenden. Ellingtons Zungenstimmen sind hier ganz typisch dukistisch. Jedes der vier zehntaktigen Segmente in diesem ersten Refrain folgt einem ähnlichen Muster: Williams spielt zuerst ein Solo, gefolgt von verschiedenen Instrumentenmischungen.

    A2 beginnt damit, dass Williams das melodische Hauptfragment noch einmal wiederholt, diesmal aber mit minimalen Verzierungen. Die Zungenblätter bilden hier zunächst ein ruhiges Klangpolster. Dann kehrt Blantons Walking Bass zurück und wird von den absteigenden Zungenblättern, die nun dichter harmonisiert sind, und den sanft rhythmischen offenen Blechbläsern begleitet.

    B beginnt mit dem Knurren von Williams auf seiner immer noch gedämpften Trompete. Man beachte, wie Ellington hier einen klaren Call-and-Response-Hintergrund für Cootie geschaffen hat, bei dem die Rohrblätter mit den offenen Blechbläsern mitspielen. Eine kurze Aufwärtsphrase beendet das B-Segment schnell.

    A3 ist im Wesentlichen dasselbe wie A2, außer dass Williams' Solo von den Zungenbläsern gefolgt wird, dann drei absteigende fette Noten von den Posaunen, denen eine Passage der gesamten Band folgt, die eigentlich der Beginn einer viertaktigen Modulation von der Tonart F nach D ist.

    Der zweite "Refrain" ist eine weitere Abweichung Ellingtons von der Standard-Songform. Er besteht aus einer sechzehntaktigen Sequenz plus einer zweitaktigen Modulation. In diesem Refrain hören wir Williams' brillanten und doch dichten offenen Trompetenton, der mit Lippentrillern und Glissandi verziert ist. Ellington bietet Cootie ein reichhaltiges und abwechslungsreiches Instrumentarium als Hintergrund.

    Bemerkenswert ist Ellingtons Einsatz seiner dreiköpfigen Posaunengruppe als eigenständiger musikalischer Klang in dieser Sequenz und in der gesamten Aufführung. Das langsame Aufkommen von Posaunensektionen als eigenständige Chöre in Bands der Swing-Ära hatte Ende der 1930er Jahre begonnen und setzte sich bis in die 1940er Jahre fort. Schließlich entdeckten die Arrangeure das Potenzial der Posaunensektionen, üppige musikalische Klänge zu liefern, und sie wurden als eine weitere lebendige instrumentale Farbe in Big Bands eingesetzt.

    In der nächsten Sequenz, die zehn Takte lang ist, setzt Williams wieder den Plunger-Dämpfer ein. Hier spielt er eine Paraphrase des melodischen Hauptmotivs von "Concerto for Cootie", wobei sowohl das dynamische Niveau als auch das Register der Musik nun auf sotto voce reduziert sind. Sowohl die Band als auch Cootie steigern die Musik und intensivieren sie als musikalisches Tüpfelchen auf dem i, mit dem diese klassische Aufführung endet.


    Ich sollte vielleicht dazu sagen, dass das „Concerto for Cootie“ in der Originalfassung nur insgesamt 3:16 Minuten dauert und dies nur eine Zusammenfassung einer Analyse ist, die 35 Buchseiten umfasst. Wer außer mir sieht da noch eine Parallele zur klassischen Musik?


    Ellington schrieb in weiterer Folge auch Konzert-Suiten wie zum Beispiel „Black, Brown and Beige“, eine Big-Band-Fassung der „Peer-Gynt-Suite“ und die „Liberian Suite“, ein Auftragswerk der Regierung von Liberia zur Feier des 100-jährigen Jubiläums des Staates, der seinerzeit von befreiten amerikanischen Sklaven gegründet wurde.


    Einige Kritiker waren Ellington in späteren Jahren vor das Wesentliche des Jazz zu Gunsten einer „künstlichen Klassik“ aus den Augen verloren zu habe. Diesen entgegnete er „Ich bin kein Jazzmusiker, ich will die Musik des amerikanischen Negers (sic!) machen.“ Ein anderes Zitat – „Art ... Der einzige Maßstab, nach dem das Ergebnis beurteilt werden sollte, ist einfach der, wie es klingt. Wenn es gut klingt, ist es gelungen, wenn nicht, ist es gescheitert.“ Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

    Die Magie dieses Genies kann man am besten mit den Worten eines Kritikers zusammenfassen -


    Ellington spielt Klavier, aber sein eigentliches Instrument ist seine Band. Jedes Mitglied seiner Band ist für ihn eine bestimmte Klangfarbe und eine bestimmte Skala von Gefühlen, die er mit anderen, gleich charakteristischen mischt, um etwas Drittes zu erzeugen, was ich den „Ellington-Effekt“ nennen möchte. (...) Ellington geht es um den individuellen Musiker und um das, was geschieht, wenn alle Individuen ihre musikalischen Eigenarten zusammentun. Wenn ein Zuhörer ihn auf dem Podium beobachtet, kann er leicht auf den Gedanken kommen, dass er die üblichen Routine-Bewegungen macht wie jeder andere, der vor einer Band steht. Wer aber ganz genau beobachtet, wir bestimmt entdecken, wie ihm oft eine winzige Drehung des Fingers genügt, und er hat aus einem Musiker den gewünschten Klang herausgeholt.

    … solche Opern sollten öfters geschrieben werden…


    Bereits zum 446. Male öffnete sich der Vorhang zum dritten Bild der Produktion von Franco Zeffirelli – und noch immer begeistert dieses wohl stimmungsvollste Bühnenbild, das wir an der Wiener Staatsoper sehen können. Über diese stimmungsvolle und werkgetreue Inszenierung zu schreiben erachte ich als überflüssig, da sicherlich alle Opernbegeisterten in Wien und dem näheren Ausland diese bereits gesehen haben. Das opulente zweite Bild, die Kostüme – alles passt perfekt (und wenn man bei Minusgraden, die gerade in Wien vorherrschen, dann das Stück ansieht kann man die Kälte und das Elend, das diese Menschen zu erleiden haben, vielleicht noch besser vorstellen).


    Was bringt nun jemanden, der das Stück schon wirklich oft gesehen hat und der eigentlich mit geschlossenen Augen in der Oper sitzen kann und trotzdem genau weiß, was sich auf der Bühne genau abspielt, dazu diese – meines Ermessens nach von den Melodien und von der Intensität sicherlich schönste Puccini-Oper – wieder anzusehen? Nun, wie in Wien so üblich, wegen der Besetzung – in meinem Falle wegen Benjamin Bernheim und Clemens Unterreiner. Und ich wurde nicht enttäuscht.


    Benjamin Bernheim begegnete ich vor ein paar Jahren, als er den Tamino sang und verfolge seitdem seine Entwicklung mit großem Interesse. Seine Leistung als Rodolfo war schlicht und ergreifend unglaublich… Die Stimme wird schon etwas metallisch (wächst da vielleicht ein Lohengrin heran?), er ist höhensicher, hat ein Timbre, dass mich entfernt an Pavarotti erinnert (ja, entfernt, aber trotzdem..), weiß sich auf der Bühne zu bewegen und trotzte auch den Klangmassen, die die Dirigentin Kim Eun-Sun entfesselte (ich glaube, dass sie die Akustik des Hauses unterschätzt). Das Publikum dankte ihm mit lang anhaltendem Applaus – sowohl nach seiner Arie als auch zum Ende der Vorstellung.


    Man könnte jetzt sagen, dass der letzte Direktor Clemens Unterreiner langfristig oder sehr behutsam aufgebaut hat – oder dass erst die aktuelle Direktion ihm zutraut größere Rollen zu singen. Sei es wie es sei, ich finde, dass sein Marcello seine bis dato beeindruckendste Leistung ist. Er hat in den tieferen Registern an Breite gewonnen und meisterte auch die höher gelegenen Stellen der Tessitura ohne Probleme. Ich finde auch, dass er sich vom schauspielerischen Standpunkt her weiterentwickelt hat. Wer ihn schon über viele Jahre lang auf der Bühne gesehen hat merkte, dass er irgendwann zu seinen „Standardposen“ neigte. Hier waren sie kaum zu sehen – ein weiterer Schritt zu einem wirklich „kompletten“ Sänger ist gelungen. Ich hoffe, dass Unterreiner auch weiterhin das Vertrauen der Direktion genießen wird und ihm weitere, größere (und große) Rollen anvertraut werden.


    Nicholas Brownlee (nicht verwandt mit dem zur Zeit ebenfalls gastierenden Lawrence Brownlee) debütierte an diesem Abend als Colline. Im Programmheft wird er als Bass-Bariton bezeichnet. Nun, er ist eher ein Bariton. Er spielte sehr gut, fügte sich wunderbar in das Ensemble ein, sang auch technisch auf Linie – allerdings hätte ich mir eine eher dunklere Stimme gewünscht – zu ähnlich war diese im Vergleich zu den Sängern des Marcello und Schaunard. Letztere Rolle wurde an diesem Abend von Martin Häßler interpretiert und es gelang ihm eine wirklich gute Leistung. Bis dato war er mir – in anderen Produktionen – nicht wirklich sonderlich aufgefallen, aber dieses Mal zeigte er, dass er viel Potential besitzt. Man kann mit ruhigem Gewissen sagen dass die Staatsoper, was Baritone betrifft, mit Unterreiner, Schuen und Häßler sehr gut aufgestellt ist.


    Marcus Pelz war als Benoit/Alcindor zu sehen, er machte seine Sache ebenfalls gut. Trotzdem erfasste mich eine gewisse Wehmut – zu sehr liebte ich da den unvergessenen Alfred Sramek…


    Nicht ganz so glücklich war ich mit den Damen der Schöpfung. Vera-Lotte Boecker spielte sehr gut, sie ist aber nicht der Frauentyp für die Musetta, bei der ich mir eine etwas verspieltere Darstellerin vorstelle. Da fehlte mir das gewissen „Etwas“ – sie ist typmäßig viel besser im „Verratenen Meer“ besetzt (wo sie mir sehr imponierte).


    Nicole Car kämpfte besonders vor der Pause mit der Lautstärke des Orchesters – und mit ihrem überragenden Partner, der sie von der Durchschlagskraft und den Emotionen bei weitem übertraf. Allerdings war ihre Leistung ab dem dritten Bild durchaus gut und ihre Mimi hauchte berührend ihre Seele aus…


    Wie schon vorher bemerkt ließ Kim Eun-Sun das Orchester oft viel zu laut spielen und deckte die Sänger oft zu. Ich hoffe, dass das in den letzten Vorstellungen besser wird. Sie ließ auch den gewissen Schmelz, den man in dieser Oper doch auch ein wenig braucht, komplett außen vor – aber dies ist vielleicht eine Geschmacksfrage.


    Alles in allem war es – dank der Herrenriege – ein überdurchschnittlich guter Repertoireabend, der viel, viel mehr Besucher vertragen hätte. Die Anwesenden dankten allen Mitwirkendem mit starkem und (im Vergleich mit den zuletzt von mir besuchten Vorstellungen) lang anhaltendem Applaus, nicht nur nach dem Ende der Vorstellung, sondern auch beim Ende eines jeden Bildes (die Bohéme wird ja als Oper in vier Bildern beschrieben).


    .. und weil ich vorher das „Verratene Meer“ erwähnt habe -> wer verbietet zeitgenössischen Opernkomponisten eigentlich ins Ohr gehende (oder überhaupt) Melodien zu verwenden?!?? Diese findet man heutzutage vor allem in Musicals. Ja, ich finde solche schwelgerischen, melodienreiche Stücke sollten auch heutzutage öfters geschrieben werden.

    Art Blakey & The Jazz Messengers - Live in Tokyo 1961


    Ich habe in der Zwischenzeit meine Jazz-Sammlung auf ca. 650 Tonträger erweitert und höre gerade ein Doppelalbum, das vor ein paar Wochen auf den Markt gekommen ist. Es handelt sich um eine in Vergessenheit geratene Live-Aufnahme von Art Blakey's Jazz Messenger - in der Besetzung Lee Morgan (tp), Jymie Merritt (bs), Bobby Timmons (pi), Wayne Shorter (ts) und Art Blakey (dr). Tolle Tonqualität - und die Aufmachung der Platte ist genial - Gatefold mit interessanten Photos, dazu ein 8-seitiges Buch mit interessanten Interviews (besonders mit Wayne Shorter, der ja noch immer unter uns weilt) und sechs großen Postkarten.


    Hard Bop at its best!!!! Die Einführung zu dem Link spricht einer der Söhne von Art Blakey!

    Große Verwirrung erfasste mich als sich der Vorhang hob und die erste Szene geboten wurde – wo blieben die Verdoppelung der Figuren, Leinwände mit Szenen aus der Sierra Nevada, Leuchtreklamen mit Twitter-Nachrichten, Vorhänge in den Farben eines LSD-Rausches?!? War Regisseur Daniele Abbado überhaupt nichts zu dieser Oper eingefallen, sodass er sich gezwungen sah auf der Bühne das darstellen zu lassen, was im Libretto steht? Dazu noch historisierende Kostüme, keine Koffer etc. etc…


    Fragen über Fragen…


    Das im farbenfrohen anthrazitschwarz gehaltene Einheitsbühnenbild ermöglichte aber, sich auf die Personenführung zu konzentrieren – und verlangte vom Besucher nicht wirklich viel ab. Zum Großteil wurde ein Stehtheater geboten – was, angesichts des äußerst steifen spanischen Protokolls sogar gerechtfertigt ist. Ironie beiseite, nach all den „interessanten“ Produktionen der letzten Zeit war es sehr erfreulich, einer ziemlich werkgetreuen Inszenierung beiwohnen zu dürfen, mit einer wunderbar gelungenen Interpretation des Autodafé.


    Die Highlights des Abends waren sicherlich das Orchester der Wiener Staatsoper und der Chor der Wiener Staatsoper, einstudiert von Thomas Lang. Der im Dezember vielbeschäftigte Philippe Jordan entfesselte beeindruckende Klangwelten (die eine oder andere Unstimmigkeit zwischen Graben und Chor fiel aber auch auf).


    Die Titelrolle ist insofern sehr undankbar, dass der Sänger des Don Carlo im Gegensatz zu den anderen Hauptfiguren keine eigene, große Arie hat und dass Verdi einige schwierig zu singende Passagen für ihn komponiert hat. Ramón Vargas sang seinerzeit die Premiere dieser Produktion, die auch schon 9 Jahre her ist. Man merkt, dass Vargas seinen sängerischen Zenit wahrscheinlich schon überschritten hat, ein leichtes Vibrato zog sich durch den ganzen Abend, die Spitzentöne wirkten etwas gepresst und von Beginn an hatte ich das Gefühl, dass sich irgendwann einmal ein „Hoppala“ ergeben wird – leider war dem dann in der Szene des 4.Aktes mit Elisabetta so. Ursprünglich war Vargas ja nicht für diese Serie vorgesehen und sprang kurzfristig ein – deshalb gebührt ihm dafür durchaus ein Dankeschön!


    Die bei weitem beste Leistung des Abends gelang Boris Pinkhasovich als Posa. Das letzte Mal, als mich ein Sänger in dieser Rolle derart entzückte, ist auch schon eine Weile her – und mit Dmitri Hvorostovsky (Botha sang den Don Carlo) war es zufälligerweise auch ein Russe. Im Oktober 2019 hörte ich ihn zum ersten Mal als Onegin und war schon damals sehr angetan. In den letzten beiden Jahren hat sich seine Stimme weiter entwickelt, und wenn er diese auch weiterhin behutsam aufbaut (und seine Rollen entsprechend auswählt) wird er schon sehr bald zu den absolut führenden Sängern seines Fachs gehören!


    René Pape sang einen sehr soliden, phasenweise sehr verletzlich wirkenden, Filippo. Er strahlte Noblesse aus. Nach wie vor kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, dass der König wirklich jemals daran dachte, dass er von Elisabetta annehmen könnte, dass sie ihn liebt. Eine Zweckheirat, nichts mehr. Das konnte (unter normalen Umständen) mit Liebe ja nichts zu tun haben. Eingeengt vom spanischen Hofprotokoll (und unterdrückt von der zu dieser Zeit allmächtigen katholischen Geistlichkeit) ist Filippo im Prinzip ja auch ein Opfer (im Gegensatz zum Grande Inquisatore und dessen Handlangern, die hier eindeutig die Täter sind).


    Ad Grande Inquisatore – Ain Anger war ursprünglich als Filippo vorgesehen (2009 verkörperte er diesen Charakter schon in der französischen Fassung), wurde aber auf Grund der vielen Krankheitsfälle umbesetzt). Seine stimme ist dunkler als die von René Pape, was in der gemeinsamen Szene deutlich zum Ausdruck kam, nichtsdestotrotz fehlt es im noch ein bisschen an „Schwärze“, was vielleicht mit dem Alter kommt. Ich bin mir außerdem auch nicht sicher, wer die Rolle aktuell wirklich vom sängerischen her perfekt interpretieren könnte.


    Dan Paul Dumitrescu ist ein immer gern gesehener Sänger auf den Brettern der Wiener Staatsoper und als Mönch/Karl V. gehört er quasi zum „Inventar“ beider in Wien gezeigten Fassungen. Ich empfand, dass seine Stimmer an Ausdrucksfähigkeit und Tiefe in den letzten Jahren gewonnen hat (und frage – was mach ein Sänger, der zwischen seinen beiden Szenen rund 3 Stunden Pause hat ?!??).


    Nicht ganz auf dem Niveau der Männer empfand ich die weiblichen Besetzungen. Ekaterina Gubanova hat einen meiner Meinung nach etwas hellen Mezzosopran und überzeugte nicht wirklich, zu ähnlich empfand ich ihre Stimme im Vergleich mit der von Maria Josè Siri, die für die Interpretation der Elisabetta verantwortlich zeigte. Beide Sängerinnen waren rollendeckend, was in diesem Fall kein Kompliment ist. Auch Isabel Signoret konnte ihrem „Tebaldo“ nicht die Präsenz entlocken, zu der Rollenvorgängerinnen im Stande waren.


    Die kleineren Rollen waren mit Fabiola Varga, Robert Bartneck und Ileana Tonca gut besetzt.


    Trotz einiger Einwände war es ein sehr gelungener Abend, das Publikum (wieder war die Galerie nicht wirklich gut besucht) spendete viel Applaus. Noch einmal ein Danke an das Orchester, den Chor und an Boris Pinkhasovich für herausragende Leistungen.

    Totenhaus feat. Winterreise feat. Richie W.


    Wiener Staatsoper, 21.12.2021


    Ich kenne aus dem Genre des Jazz so genannte „Fusion“ – Jazz, gemischt mit Elementen des Rock und Folk, Hip-Hop etc.


    Die Wiener Staatsoper hat nun ein ähnliches – und vorweg sehr gelungenes – Experiment auf den Spielplan unter dem Arbeitstitel „Parsifal“ gesetzt. Dabei werden drei Ebenen gleichzeitig bedient – auf Videoeinspielungen eine auf höchstem Niveau gefilmte „Winterreise“, dazu ein Gefängnis- und #metoo – Drama, unterlegt mit der Musik von Richard Wagner.


    Der erste und dritte Akt wäre die ideale Spielstätte für „Aus einem Totenhaus“ während der zweite Akt in der Redaktion eines Lifestyle-Magazins spielt. Man sieht den Alltag von Gefangenen, die sich körperlich ertüchtigen, unterstützt von Videosequenzen, die die verschiedensten Tätowierungen der Männer zeigen (interessanter Weise sehr oft in Übereinstimmung mit den Themen, über die in dem Stück von Richard Wagner gerade angesprochen werden). Man sieht auch den Mord an einem sehr androgynen Mithäftling mit einem Schwanen-Tattoo. Dass in dieser Filmsequenz „full frontal nudity“ gezeigt wird macht diese Szene sehr realistisch (in den USA dürfte man das so sicherlich nicht zeigen). Das ganze wird in verschiedenen Zeitebenen dargestellt – der Mörder scheint sich seiner Vergangenheit zu besinnen und reflektiert das, was einst in der Haftanstalt geschehen ist. Warum er seine Haftstrafe zu verbüßen hat, bleibt aber leider im Dunkeln. Eine wichtige Person scheint eine Redakteurin/Fotografin des oben angesprochenen Magazins zu sein, die anscheinend mehr oder minder freien Zutritt zu den Häftlingen hat und diese sowohl in verschiedensten Posen ablichtet, als auch Geschenke für diese mitbringt. Auch die Korruption (Drogenhandel) des Wachpersonals wird immer wieder gezeigt (überhaupt – Kirill Serebrennikov liefert eine wunderbare Personenführung ab, ich verstehe allerdings nicht, dass er nur als verantwortlich für „Regie, Bühne & Kostüme“ angeführt ist und nicht für das gezeigte Schauspiel…). Es gibt hier auch einen alteingesessenen Häftling, der für die Jüngeren eine absolute Autoritätsperson ist und auch eigenhändig einem jüngeren Mann ein „Peckerl“ verabreicht. Der Autor bezieht sich hier augenscheinlich auf die in der russischen Mafia obligaten versteckten Botschaften bei Tattoos. Und dann gibt es auch einen Gefangenen, der seinerzeit ein großer Bandenboss gewesen sein dürfte, da sich seine Mithäftlinge sehr um ihn kümmern. Gesundheitlich geht es ihm nicht sehr gut und anscheinend leidet er auch unter Wahnvorstellungen. Der erste Akt des Dramas endet damit. Szenenwechsel zum zweiten Akt. Wir befinden uns in einer Redaktion, wo das Publikum einen richtigen „Ungustl“ begegnet, der anscheinend der Chefredakteur ist. Die Redakteurin, die wir im ersten Akt kennengelernt haben, weist seine Annäherungsversuche ab, allerdings scheint es, dass sie ihm irgendwie verfallen ist. Na ja.


    Eine Überraschung – der junge Häftling, der den Mitgefangenen ermordet hat, erscheint zu einem Photo-Shooting. Hat er Hafturlaub, wurde er wegen guter Führung vorzeitig entlassen – leider bleibt auch dies unbeantwortet. Neben dem Chefredakteur gibt es nur weibliche Angestellte, die den – zugegeben sehr gut aussehenden jungen Mann – umschwärmen, sich kaum daran sattsehen können, wie er sich komplett entkleidet und „hippe Klamotten“ anzieht. Fotos werden gemacht (diese sieht man dann im Großformat auf den Leinwänden oberhalb des Bühnengeschehens). 6 jüngere Redakteurinnen buhlen sehr offensiv um die Aufmerksamkeit des Models, bis es der bereits sattsam bekannten Gruppenleiterin zu viel wird und alle anderen Anwesenden hinauswirft. Nun ist sie an der Reihe, sie hat eine sehr erotische Ausstrahlung und küsst den jungen Mann leidenschaftlich. Dieser wiederum ist darob äußerst verwirrt und es beginnt ein längeres Gespräch, in dem die Frau dem Jüngling anscheinend etwas über ihre Vergangenheit erzählt und ihm wieder an die Wäsche geht. Schlussendlich erscheint der Chefredakteur, es gibt ein Wortgefecht (Inhalt - ?!???) und die Frau erschießt ihn. Ende von Akt 2.


    Es dürften viele Jahre zwischen dem Ende des 2.Aktes und dem Geschehen des 3.Aktes liegen. Wir befinden uns wieder im Gefängnis, zuerst offensichtlich im Frauentrakt, zu dem der eine Häftling (Tattoos..), den wir bereits kennen lernen durften, augenscheinlich Zutritt hat. Wir sehen auch die Mörderin vom 2.Akt wieder – sichtbar gealtert. Dann die Überraschung – das „Model“ dürfte wieder nach vielen Jahren eine Straftat begangen haben. Der Mann ist nun um die 50 Jahre alt – und auch er darf aus mir nicht erfindlichen Gründen den Frauentrakt besuchen. Er hält ein Eisenrohr in den Händen (warum wurde das ihm nicht abgenommen ?!??), die Mädels waschen ihn, er bekommt von dem anderen, privilegierten, Häftling sogar ein blütenweißes Hemd, und schon verlässt man den Frauentrakt. Schnitt – jetzt wieder bei den „schweren Jungs“. Da sieht man wieder den kranken Anführer, der eine Urne in den Händen hält, dann auch etwas Asche verstreut, was einem Teil seiner Mitgefangenen sichtlich missfällt und es zu einer Rangelei kommt. Aber – der „Häftling in Weiß“ kommt, begleitet von dem Tätowierer und der Ex-Redakteurin, hält eine Rede, die sehr gut angenommen wird. Im Hintergrund öffnen sich die Tore (was eine sehr schöne Metapher ist), alle stürzen hinaus (der Ermordete mit dem Schwanentattoo ist auf der Leinwand auch wieder lebendig) und der „Held“ bleibt alleine, sinnierend, zurück. Tusch und Ende des Schauspiels, das ich extrem spannend, hervorragend inszeniert und bebildert empfunden habe.


    Als Experiment wurde dazu die Musik von Richard Wagners „Parsifal“ gespielt – und das auf allerhöchstem Niveau. Natürlich ist das Orchester der Wiener Staatsoper einer der führenden Klangkörper für seine Werke. Dieses Mal stand als Dirigent Philippe Jordan am Pult. Er dirigierte sehr sängerfreundlich, manchmal etwas (für meinen Geschmack) zu elegisch, konnte aber nichtsdestotrotz den Musikfluss aufrecht erhalten. Die (handgestoppte) Generalpause von 18 Sekunden nach „Ich lachte“ war etwas übertrieben – im Vergleich zu Thielemann in 2005 baute sich auch im Publikum keine so große Spannung auf.


    Für mich neu – die Rollen des Amfortas und Klingsor wurden vom gleichen Künstler gesungen, in diesem Fall von Wolfgang Koch, der beiden Anforderungen mehr als gerecht wurde. Ich kann nicht nachvollziehen, warum man den Klingsor nicht Wolfgang Bankl singen ließ, der diese Rolle schon so oft verkörpert hat (und der an diesem Abend aus dem Off den Titurel sang). Das war eine meiner Meinung nach vergebene Chance.


    Den mit Recht meisten Applaus erhielt Georg Zeppenfeld als Gurnemanz – ich habe selten eine derart wortdeutliche Interpretation gehört. Eine weltklasse-Leistung. Brandon Jovanovich hat keine Probleme als Parsifal – ähnlich wie JK hat er ein eher baritonal gefärbtes Timbre, war aber sehr höhensicher und ebenfalls wortdeutlich.


    Anja Kampe bewies eine gute Mittellage, hatte sehr ordentliche dramatische Ausbrüche, bei denen aber leider der eine oder andere Ton nicht 100%ig gelang.


    Die kleineren Rollen wurden einerseits mit Ensemblemitgliedern besetzt, allerdings fand man auch 8 Mitglieder unseres Opernstudios auf der Bühne – was ich sehr gut fand.


    Zum Publikum – die Galerie Seite war schütter besucht (Parkett, Logen und Balkon waren fast voll), nach dem zweiten Akt gingen einige Besucher nach Hause. Und dann gab es einen Zeitgenossen, der nach jedem Akt-Ende ein kräftiges „Buh“ von sich gab, was dann wieder „Bravos“ zu Folge hatte. Der Mann buhte dann auch als einziger Nikolay Sidorenko aus, der den jungen Häftling/das Model hervorragend darstellte. Dies war so überflüssig – wenn der Herr Probleme mit der Inszenierung hat, dann soll er einen Leserbrief schreiben. Da es sich um keine Premiere handelt (wo meistens das Leading Team anwesend ist) – warum buhte er? Die musikalische Leistung war außerordentlich!!!


    Zusammenfassend – das Experiment ist gelungen, es hilft wenn man den „Parsifal“ schon oft gesehen hat und entsprechend die Handlung kennt. Die Musik und den Originaltext mit einer anderen Handlung zu unterlegen ist sehr spannend, da man doch an und ab Parallelen erkennen kann. Handwerklich passt da alles – man ist als Besucher einfach mehr gefordert. Ich freue mich schon auf die nächste Serie…

    Der doppelte Retter

    Der Rosenkavalier


    Wiener Volksoper, 17.11.2021


    … und es begab sich dass der Premierensänger des Ochs, Stefan Cerny, krankheitsbedingt schon nach der zweiten Vorstellung der Serie den Rest der Vorstellungen absagen musste. Es gelang der Direktion mit Franz Hawlata einen sehr erfahrenen Sänger als Ersatz zu engagieren, der nicht nur bereits über 500x diese Rolle verkörpert hat, sondern noch dazu die Inszenierung gut kannte (es ist eine Übernahme der Produktion aus Bonn), da er in dieser auch schon aufgetreten war. Schade, dass ich nicht die Möglichkeit hatte den jungen Wiener Cerny als Ochs zu erleben – alleine durch den Altersunterschied, so könnte ich mir vorstellen, würde da ein ganz anderes Bild des Lerchenauers gezeichnet worden sein.


    Warum spreche ich vom „doppelten Retter“? Zu Beginn der gestrigen Vorstellung wurde dann auch noch bekannt gegeben, dass Hawlata krank sei, aber trotzdem an diesem Abend auftreten werde. Nun, alleine schon aus diesem Grund wäre es unfair über die Leistung des Sängers ein Urteil abzugeben. Er schonte seine Stimme im ersten Akt, begann den 2.Akt sehr souverän, musste dann aber gegen Ende schon wieder auf „Überlebensmodus“ zurückfahren. Seine schauspielerische Leistung war indes beeindruckend (inwieweit sie mit dem Regiekonzept übereinstimmte, sei dahingestellt), er brachte seine ganze Erfahrung aufs Tapet. Sein Ochs ist ein „grober Lackel“, wäre ein Fressen für die „me-too“-Gemeinde gewesen, in der Konversation mit der Marschalling zeigte er aber nichtsdestotrotz dass er – wenn es unbedingt sein muss – sich wohl zu benehmen weiß. Das Publikum dankte dem Sänger für seinen Auftritt mit sehr freundlichem Applaus.


    Die vom Publikum am meisten akklamierte Sängerin des Abends war Beate Ritter in der Rolle der Sophie. Als gelernter Wiener hat man die Schenk-Inszenierung an der Staatsoper ja schon viele Male gesehen, und meistens wird sie dort als sehr unschuldiges Wesen dargestellt. Hier ist sie ein selbstbewusstes junges Mädchen, das sich (im Gegensatz zur Marschallin – wie diese ja selbst sagt) nicht ohne weiteres ihrem Schicksal ergeben möchte. Es ist auch nicht die Liebe auf den ersten Blick zwischen Octavian und ihr, diese ergibt sich erst im Verlauf des 2.Akts. Eine interessante Interpretation, die dem Regiekonzept zuzuschreiben ist. Leider geht dadurch der Zauber bei der Überreichung der Rose ziemlich verloren (und ist es wirklich notwendig gewesen eine Slapstick-Aktion einzufügen? Wenn Sophie dem Octavian die Rose zum Riechen hinhält, dann stolpert sie ein bisschen und rammt ihn diese ins Gesicht…). Ritter beherrscht die Rolle perfekt – es wird interessant sein, wie sie sich ein einem größeren Haus bewährt.


    Emma Sventelius ist von der Figur und vom Auftreten her ein idealer Octavian. Ihr Mezzo ist zwar etwas hell und daher beim Schlussterzett nicht leicht von den beiden Sopranen zu unterscheiden, aber das ist schon der einzige Einwand, den ich vorbringen kann.


    Beeindruckend, besonders vom schauspielerischen Standpunkt aus, war die Leistung von Jaquelyn Wagner als Marschallin. Auch ihr Monolog ging wirklich unter die Haut. Eigentlich von der ersten Szene weg konnte man erahnen, dass die Liaison mit Octavian nicht lange anhalten wird. In ihrem Gesang spiegelte sich eine gewisse Wehmut in ihrem Gesang. Die Amerikanerin, die schon auf eine erfolgreiche internationale Karriere zurückblicken kann, ist – wie auch Ritter und Sventelius – ein absoluter Gewinn für diese Produktion. Ähnlich wie bei Beate Ritter wäre es interessant, wie sie sich auf einer wirklich großen Bühne schlägt.


    Morten Frank Larsen war ein verlässlicher Faninal, der eher als „Prolet“ denn als frisch geadelter Mann gezeichnet ist, Ulrike Steinsky eine manchmal etwas schrille Leitzmetzerin. Das Intrigantenpaar war bei Johannes Mertes und Margarete Joswig in guten Händen, ohne dass beide besondere Akzente setzen konnten. Daniel Ohlenschläger beeindruckte als stimmgewaltiger Polizeikommissar.


    Einer, der aus seiner Nebenrolle viel herausholte, war Carsten Süss. Der Haushofmeister bei Faninal wurde von der Regie sehr genau gezeichnet – und es bedarf wahrscheinlich ein oder zwei weitere Besuche der Produktion, um alle Kleinigkeiten, die Regisseur Josef Ernst Köpplinger der Produktion „verschrieben“ hat, zu entdecken.


    Vincent Schirrmacher überzeugte mit seinem kraftvollen Tenor und er brachte diese recht schwierige Arie gut über die Runden. Alle anderen Mitwirkenden seien pauschal gelobt.


    Hans Graf dirigierte das Orchester der Volksoper für meinen Geschmack etwas zu laut (aber vielleicht hörte es sich am Balkon und auf der Galerie anders an als im Parkett. Und – um wieder die Staatsoper als Vergleich zu bemühen – DORT spielen halt die Philharmoniker…


    (allerdings „borgte“ sich die VOP das Bühnenorchester der Wiener Staatsoper aus !)


    Thomas Böttcher studierte den Chor der Wiener Volksoper wunderbar ein.


    Zum Abschluss noch einige Bemerkungen zur Inszenierung. Nach 40 Jahren wieder eine Neuinszenierung des Rosenkavaliers in Wien – alleine das ist ja schon ein Wagnis, noch dazu, dass die Schenk-Produktion sicherlich zu den schönsten überhaupt gehört. Und das Wagnis hat sich gelohnt, denn man findet durch eine sehr gelungene Personenführung einige andere Akzente als im Haus am Ring.


    Eine der am besten gelungenen Einfälle ist der, dass Octavian im ersten Akt ein Tuch der Marschallin mitnimmt, mit ebendiesem im zweiten Akt der Sophie die Tränen abwischt und sie es dann behält – und im dritten Akt verliert sie es und „Mohammed“ nimmt es und somit geht es wieder an die Marschallin retour – „Full Circle“


    Es ist insgesamt eine im besten Sinne des Wortest konservative Inszenierung, die von Köpplinger (der auch für das Licht verantwortlich zeigt), Johannes Leiacker (Bühne) und Dagmar Morell (Kostüme) verantwortet wird. Nicht ganz glücklich war ich mit dem dritten Akt. Das „Wirtshaus“ erschien als Bar (zwar im Stil des frühen 20.Jahrhunderts – in diese Zeit war die Oper angesiedelt), doch war das alles sehr nüchtern. Und die Regie schickte auch sämtliche Mitwirkende der Oper auf die Bühne (was hatten da die „drei adeligen Waisen“ – die auch überzeichnet waren – zu suchen ?!?).


    Trotz allem lohnt es sich diese Produktion zu sehen – ich werde sie sicherlich bei einem Re-Run besuchen!

    Holst du jetzt die verlorene Zeit nach und packst schnell alles an Live-Aufführungen rein was diese Saison noch hergibt? ;)

    Ich habe inzwischen meine ersten Karten für September/Oktober geordert. Bislang Otello mit Gregory Kunde, der neue Barbier mit Florez, und Adriana Lecouvreur mit Garanca als Principessa. Die neuen Kartenpreise muss man allerdings erst mal verdauen, was? :wacko:

    Ich versuche es zumindest. Letzte Woche war ich im Konzerthaus, heute ist Musikverein dran und bis Ende der Saison noch 1 x Volksoper und 3 x Staatsoper (Macbeth, Elektra, Lohengrin). Für September/Oktober habe ich alle Karten per Internet erhalten die ich wollen habe (Barbiere-Premiere, Adriana, Das verratene Meer, Poppea). Ja, die Preisgestaltung tut weh - die Sitze, die wir für uns Merker-Mitarbeiter haben, kosten nun um EUR 10,- mehr. Also bin ich jetzt auf die Galerie Ganzseite, 1.Reihe, Platz 5, ausgewichen - da sind die Preise noch gleich und man sieht (relativ) gut.


    Wird eigentlich immer noch zu Beginn der Soldat minutenlang im Kreis über die ganze Bühne gejagt? Und muss er dann zum Intermezzo auch immer noch splitterfasernackt dazu tanzen? Was er zweifellos sehr ästhetisch gemacht hat.


    Ja - und es wird auch gekokst und auf den zusammengeschlagenen Zuniga gepisst.. Aber wie Gregor schon schrieb, das regt heutzutage niemanden mehr wirklich auf. Wer übrigens Interesse daran hat mehr über die "wirkliche" Welt des Milieus zu erfahren, der soll einmal das Buch "Der Minus-Mann" von Heinz Sobota lesen. Eine Autobiographie - dagegen ist das, was Bieto plakativ auf die Bühne stellt, eine zuckersüße Ponyfarm...

    ...... Da ich allerdings gerne immer wieder neue Lesarten der Opern-Klassiker sehe, hätte ich es auch besser gefunden, wenn die Staatsoper eine Neuinszenierung gewagt hätte

    Ja, das stimmt schon - allerdings muss man auch in Betracht ziehen, dass es die erste Saison der neuen Direktion ist - und Bogdan Roscic gleich 10 (!!) Neuproduktionen herausbrachte. Ich denke, dass das auch mit den finanziellen Möglichkeiten zu tun hatte da auf alte Produktionen, die sich allerdings bewährt haben, zurückzugreifen. Nächste Saison wird es nur noch 5 Premieren (so weit ich mich erinnern kann 4 davon wirklich neu) geben.

    Nein, Regisseur Calixto Bieto zeichnete keine romantische Version dieser Oper – aber das wusste man ja schon vorher. Bieto, der „Gottseibeiuns“ vieler Anhänger der konservativen Inszenierungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts zeigte ein Abbild einer Wirklichkeit, die vielleicht viele Opernbesucher in dieser Brutalität gar nicht kennen. Das muss man so nicht zeigen, aber man kann es auf jeden Fall!


    Diese Produktion vor Ort zu sehen hinterließ einen ganz anderen Eindruck als der Live-Stream. Die szenische Einstudierung von Bieto und Joan Anton Rechi ist sehr komplex und man muss „diese“ Carmen wahrscheinlich öfter sehen, um die verschiedenen Geschichten, die oft im Hintergrund oder an der Seite ablaufen, zu erfassen. Über das Bühnenbild (nun ja, mehr oder minder ein leerer Raum) von Alfons Flores haben schon andere Kollegen berichtet, deshalb erspare ich mir das.


    Die Handlung wurde in die zweite Hälfte des 20.Jahrhunderts verlegt, ebenso spielt sie nicht in Sevilla, sondern in einer spanischen Enklave an der Mittelmeerküste.


    Es findet sich kaum eine heldenhafte oder gänzlich positive Person in diesem Stück – mit einer Ausnahme, einem jungen Mädchen, das wahrscheinlich die Tochter der Mercédes sein sollte. Sie (dargestellt von Giulia Mandelli) muss in dem Milieu von Schmugglern, Drogendealern, Huren und gewalttätigen Soldaten aufwachsen. Sie möchte lieber mit ihrer Puppe spielen, allerdings wird sie gezwungen sich aufreizend zu kleiden, Pumps anzuziehen, damit im 3.Akt die Wachen abgelenkt werden. Ich fand dies extrem erschütternd, da mich das an etwas erinnerte, das ich vor einigen Jahren erlebt habe. Ich war als Schöffe bei einem Prozess eingeteilt, wo es um Kindesmissbrauch geht. Die Großmutter kleidete ihre 13-jährige Enkelin in Dessous, machte Photos und schickte sie weiter. Die Mutter nahm die andere Tochter zu ihren „Kunden“ mit – ich glaube, ich muss nicht mehr ins Detail gehen. Es taten sich da menschliche Abgründe auf – und genau mit diesen konfrontiert Bieto das Publikum…


    Die Inszenierung ist sehr veristisch und ich finde auch, dass die Massenszenen sehr gut realisiert sind – besonders der Beginn des 4.Akts ist besonders gelungen, es gab auch heute dafür Szenenapplaus. Diese Art von Verismo findet sich auch im Dirigat von Alexander Soddy wieder, der sehr zügige Tempo anschlug und nie den Spannungsbogen verlor.


    Dadurch, das an diesem Abend die Interpretation der Musik sich der Regie anpasste, litt ein wenig die Arie der Micaela im 3.Akt. Vera-Lotte Boecker gelang es nicht (oder fast besser gesagt „konnte es nicht gelingen“) so lyrisch zu klingen wie man es von anderen Interpretinnen gewohnt ist. Allerdings ist diese Micaela nicht als „Unschuld vom Lande“ gezeichnet, sondern auch sie hat negative Seiten, sie bedrängt Don Jose und bedroht auch die Carmen. Boecker wurde stürmisch bejubelt – was mich ein wenig verwunderte.


    Dass die Inszenierung repertoiretauglich ist, bewies alleine schon die Tatsache, dass drei der Hauptrollen mit Künstlern besetzt waren, die an der Erarbeitung der Premiere nicht beteiligt waren. Vor allem ist naturgemäß hier die Hauptdarstellerin, Elena Maximova, zu erwähnen. Sie hat schon viele Erfolge an der Staatsoper gefeiert und fügte an diesem Abend einen weiteren hinzu. Im Vergleich zur Sängerin der Premiere fehlt ihr ein wenig die Tiefe, aber das glich sie mit ihrer Spielfreude mehr als aus. Dass sie auch komplett andere körperliche Voraussetzungen mitbringt, die wahrscheinlich eher zur Personenregie passen, kommt auch noch hinzu. Man erlebte eine selbstbewusste junge Frau, die unter Machos lebt und von ihnen auch immer wieder misshandelt wird. Aber sie bleibt den Männern nichts schuldigt und schlägt sie mit den Waffen der Frau – schlussendlich wird sie aber doch das Opfer eines ihrer vielen Liebhaber.


    Don Jose wird in vielen Inszenierungen mehr als Opfer porträtiert, weniger als Täter. Bieto zeichnet ihn anders – von Beginn an erkennt man den brutalen Kern dieses Mannes, der sich nur am Anfang ein wenig zurücknehmen kann. Je länger der Abend dauert, desto mehr zeigt er sein wahres Gesicht. Dmytro Popov zeigte eine ganz ausgezeichnete Leistung – und ich ziehe seine Interpretation der von Piotr Beczala vor. Noch einmal – die Tatsache, dass er niemals romantisch klingt, passt zur Produktion. Er hat das Volumen, das für die Staatsoper benötigt wird, und hat überhaupt keine Höhenprobleme. Er war ein würdiger Gegenspieler von Carmen und Escamillo.


    Ad Escamillo – ich wiederhole mich immer wieder, dass es meiner Meinung seit Samuel Ramey keinen Sänger gegeben hat, der diese Rolle wirklich ausgefüllt hat. Aber – tempi passati – und Staatsoperndebütant Gabor Bretz machte seine Sache sehr, sehr ordentlich!


    Ileana Tonca (Frasquita) und Szilvia Vörös (Mercedes) blieben unauffällig, Clemens Unterreiner als Dancaire zeigte auch an diesem Abend, dass es keine „kleinen“ Rollen gibt, Carlos Osuna (Remendado) ergänzte das Schmugglerquartett.


    Peter Kellner gefiel mir als Zuniga sehr gut, auch Martin Häßler machte als Moralès eine gute Figur. Erwähnenswert finde ich auch die Aufwertung der Figur des Lillas Pastia (Jason Dunman), dessen Rolle ich als „Master of Ceremonies“ wahrnahm und für einige – auch überraschende – Momente sorgte.


    Allen Chören der Staatsoper und den Kindern der Opernschule sei ein Pauschallob ausgesprochen.


    Noch ein Wort zu Alexander Soddy – ich liebe seine Arbeit (seine Salome im Vorjahr war für mich eine der beeindruckendsten Vorstellungen seit langem!) und er beginnt langsam, zu einen meiner Lieblingsdirigenten zu werden.


    Das Publikum war begeistert. Und mit was? Mit recht…


    P.S. ich ergänze noch mit einer Textpassage von meinem Kollegen Manfred Schmid, dem eigentlich nichts hinzuzufügen ist ->


    Dass man es mit der political Correctness lächerlich übertreiben kann, ist dem deutschen Text auf den Monitoren zu entnehmen. Als Carmen bekennt, dass es ihr bei ihren Liebschaften nicht auf Rang und Namen ankommt, gibt es folgende Übersetzung zu lesen: „Für mich als Romni“ sei das nicht von Bedeutung. Und die Operette Der Zigeunerbaron heißt demnächst vermutlich Der Sintibaron.

    Lieber Dreamhunter, auch von mir vielen Dank für deinen Bericht. Weisst du ob irgendwelche dieser Aufführungen aus der Staatsoper im Internet im Rahmen von Staatsoper live at home übertragen werden ? Ich werde nächsten Donnerstag in Düsseldorf den Barbiere von Rossini sehen mit u.a. Paolo Rumetz als Dr. Bartolo.

    Aktuell weiß ich von keine Aufführungen - ich weiß dass es Gespräche gibt, den Macbeth mit Netrebko irgendwann zu streamen, Termin steht noch keiner fest. Und dann sagt man, dass ab 2021/22 der Stream nur noch in Österreich kostenlos sein wird.


    @ Rumetz - ja, er wurde (nach dem Tod von Alfred Sramek) quasi unser Haus-Bartolo (und ist da bei weitem besser eingesetzt als z.B. als Rigoletto). Apropos Barbiere - ich konnte mir heute eine Karte für die Premiere im September sichern (mit JD Florez). Nach 55 Jahren eine Neuproduktion - die letzte Premiere in Wien sang da noch Fritz Wunderlich...

    Die opernfreie Zeit (ich liebe es in Vorstellungen zu gehen, kann mich aber nach wie vor nicht wirklich mit DVDs oder Plattenaufnahmen anfreunden) habe ich dafür genutzt, mich in ein Genre einzuhören, das ich bis vor relativ kurzer Zeit ignoriert habe - Jazz...


    Zu sehr war ich in meiner Jugend (1970er-Jahre) von Free Jazz und Fusion abgeschreckt, auch die Big Bands haben mir damals nicht all zu viel gegeben.


    Und dann fand ich einen YouTube-Kanal - (8) The Jazz Shepherd - YouTube


    Nun, ca. 300 neue CDs/LPs später kann ich wohl sagen, dass ich mich in das Genre eingehört habe! Und meine Bewunderung für die Musiker ist immens gestiegen!!


    Ich kann nur jedem empfehlen sich einige Videos von Dan (dem Jazz-Schafhirten) anzusehen. Sie dauern so zwischen 10 und 50 Minuten. Er stellt nicht nur Musiker, sondern auch Labels for (immer mit Hörbeispielen) und dadurch kam ich zum ersten Mal mit Musikern in Kontakt, die mir bisher nie was gesagt haben - z.B. Kenny Dorham, Illinois Jacquet, Hank Mobley.


    Schwerpunkt liegt auf den Jazz zwischen 1945 (Beginn BeBop) und 1970 (bis später - für mich unhörbarer - John Coltrane). Im Rahmen meiner Suche nach bestimmten Platten stieß ich dann per Zufall (besser gesagt über willhaben.at) auf den Sohn des legendären Wiener Saxophonisten Hans Koller! Hans Koller spielte mit allen Größen des Jazz zusammen, u.a. mit Chet Baker. Wir treffen uns jetzt regelmäßig und ich lerne so viel von den Erzählungen!


    Für alle Jazz-Liebhaber - ich kann diesen Kanal nur empfehlen (bis dato 386 Folgen) - allerdings eine Warnung -> SUCHTPOTENTIAL !!!


    Kurt

    Lieber Dreamhunter, ich glaube, Du hast hier den ersten Opernbericht nach der langen Phase der erzwungenen Abstinenz verfaßt! Schön, wieder von Dir zu lesen! Es grüßt Hans

    Lieber Hans, vielen Dank für die netten Worte. Ja, es hat lange gedauert - aber heute bin ich in der Biexto-Carmen in der Staatsoper und dann noch bis Ende Juni die Neuproduktion von Macbeth, Elektra und vielleicht auch noch Lohengrin..

    Rigoletto_1RIGOLETTO

    Wiener Volksoper, 8.6.2021

    Wiederaufnahme der Produktion aus 2009


    Wer ein gelungenes Beispiel einer Regiearbeit, die einen Opernstoff in die nicht ganz so ferne Vergangenheit transponiert, sehen möchte, dazu solide bis hervorragende Sänger, dem sei ein Besuch des „Rigoletto“ an der Volksoper ans Herz gelegt. Die Premiere dieses Verdi-Klassikers fand vor 12 Jahren statt, für die Produktion zeichneten Regisseur Stephen Langridge, Bühnenbildner Richard Hudson und Lichtdesigner Fabrice Kebour verantwortlich.


    Die Geschichte wurde aus der Renaissancezeit/Mantua in das Rom der frühen 1960er-Jahre transponiert (genauer gesagt in die Cinecittá und Umgebung). Die Inspiration dazu fand man in Federico Fellinis „La Dolce Vita“. Der Duca ist ein Filmstar, Rigoletto sein Garderobier, die „Cortigiani“ Schauspieler und Leute, die am Filmset arbeiten. Es macht alles Sinn und – warum sollte die Hauptperson nicht den Künstlernamen „Duca“ haben (im Jazz gab es ja auch „Duke“ Ellington, „Count“ Basie oder „Lady Day“)?


    Am eindrucksvollsten agierte an diesem Abend Stefan Cerny, der den Sparafucile überzeugend darstellte und einen wirklich schwarzen Bass hat! Er hinterließ einen viel besseren Eindruck als die Sänger, die ich in den letzten Jahren an der Staatsoper in dieser Rolle gehört habe! Chapeau!


    Pavel Valuzhin sang den Duca und hinterließ einen zwiespältigen Eindruck. Er hat eine gut geführte Mittellage, allerdings kämpfte er hörbar mit den Höhen und neigte da zum Falsettieren. Bei diesen Stellen veränderte auch sein Timbre – seine Stimme wurde da wirklich „weiß“. Da ist sicherlich Luft nach oben. Darstellerisch ist ihm nichts anzukreiden.


    Der staatsopernerprobte Boaz Daniel, einer der vielen Rollendebütanten an der VOP an diesem Abend, spielte und sang überzeugend – manchmal erschien seine Stimme fast schon zu groß für das Haus. Gegen Ende der „Cortigiani“ schien es, dass er eine kleine Schwächephase hatte, allerdings war diese dann im darauffolgenden Duett mit Gilda wieder vergessen. Ich bin gespannt, ob sich bei den kommenden Vorstellungen (eine werde ich sicherlich besuchen) mein Eindruck ändern wird.


    Auch Rebecca Nelsen gelang ein mehr als erfolgreiches Rollendebüt als Gilda. Nelsen ist im Juni im Dauereinsatz (am Tag davor sang sie noch die Pamina) und konnte überzeugend die Entwicklung des naiven Mädchens hin zur Liebenden, die trotz ihrer Erkenntnis, dass der Duca ein frauenverachtender Lüstling ist, ihr Leben für ihn gibt, auf der Bühne umsetzen. „Caro nome“ gelang ihr sehr gut – damit war ja auch schon die halbe Miete eingefahren.


    Ich hätte mir von Martina Mikelic in der Rolle der Maddalena etwas mehr Tiefe gewünscht, sowohl was die Darstellung als auch den gesanglichen Ausdruck betrifft. Die Gesangstechnik ist gut, aber unter einer „Figlia dell‘amore“ stelle ich mir schon etwas anderes vor – es kann aber auch damit zusammenhängen, dass Mikelic im Vergleich zu den anderen Sängern extrem groß ist – und sich daher das Zusammenspiel mit Pavel Valuzhin etwas schwierig gestaltete. Trotzdem – unter dem Strich ergab sich eine selten unerotische Darstellung.


    Andreas Mitschke als Graf Monterone hätte bedrohlicher wirken können, Alexandre Beuchat, Kirlianit Cortés und Marco Di Sapia rollendeckende Höflinge. Auch Elvira Soukop als Giovanna machte ihre Sache gut.


    Holger Kristen war für die Einstudierung des Volksopernchors zuständig. Aus dem Orchestergraben klang es teilweise sehr rustikal (was aber unter Umständen auch meinem Sitzplatz zuzuschreiben ist – auch da bin ich auf einen zweiten Eindruck gespannt) – Dirigent Lorenz C. Aichner legte da keinen so großen Wert darauf die lyrischeren Teile der Partitur zu erkunden.


    Alles in allem war es ein Abend, der einen sehr guten Eindruck hinterließ (es sei auch noch erwähnt, dass in der Originalsprache gesungen wurde!) und Lust machte, eine der Folgeaufführungen zu besuchen – in der Hoffnung, dass sich das eine oder andere dann „eingeschliffen“ hat.

    Liebe Taminos,


    ich weiß nicht ob das der richtige Thread ist - aber lässt Euch nicht die Streamings aus der Staatsoper für die nächsten Tage entgehern - sie sind für alle kostenlos..


    Ich selbst war Ende Oktober noch in einer Vorstellung von "Eugen Onegin" - wäre letzten Dienstag noch einmal gegangen und hätte dann einen Bericht schreiben wollen, aber einerseits kam dann der Lockdown in Wien und andererseits der feige Anschlag in Wien dazwischen.


    Nur ganz kurz - er ereignete sich keine 50 Meter von meiner Wohnung und wir haben alles genau mitbekommen. Anfangs dachte ich an ein verfrühtes Sylvester-Feuerwerk, aber dann merkte ich, dass es was anderes sein muss. Ich schaute aus dem Fenster (4.Stock) und sah schon, wie Leute flüchteten. Die Polizei war auch gleich da. Lange Rede kurzer Sinn - vor dem Haus in dem ich wohne war ein enormes Polizeiaufgebot. Gegenüber schrien ein junger Mann und auch ich den Leuten, die in Richtung "Bermudadreieck" gehen wollten, zu, dass sie einen anderen Weg nehmen müssen, weg vom Schwedenplatz (natürlich wussten wir nicht, dass es nur ein Täter war). Ich konnte bis in der Früh nicht einschlafen und nahm mir einen Urlaubstag, hatte dann drei Stunden lang Weinkrämpfe. Besuchte Donnerstag die Stellen, wo die 4 Opfer zu Tode kamen. Sehr bedrückend, viele Kerzen und Blumen, Menschen, die dort auch von anderen gestützt werden mussten. Es ist jetzt ein ganz seltsames Gefühl aus der Wohnung zu gehen und bei jeder Sirene (Rettung, Polizei, Feuerwehr) schrecke ich auf. Meine buddhistische Gruppe findet sich über Zoom-Meeting seit Dienstag zu gemeinsamen Meditationen zusammen - das hilft....


    Entschuldigt bitte, dass ich meine Empfindungen mit Euch teile ..


    Nun die Info zum Staatsopern-Stream ->


    Sehr geehrtes Publikum,


    Wir freuen uns sehr, Ihnen nun weitere Termine unseres Streaming-Spielplans ankündigen zu können. Mit großer Sorgfalt haben wir ganz aktuelle Produktionen wie Eugen Onegin oder Cavalleria Rusticana/Pagliacci mit wahren Schätzen aus unserem Archiven zusammengeführt.

    So gibt es unter anderem ein Wiedersehen mit Publikumslieblingen wie Anna Netrebko oder Elina Garanca in Anna Bolena (vom 2. April 2011), Piotr Beczala und Thomas Hampson in Tosca (vom 17. Februar 2019), Juan Diego Flórez in Roméo et Juliette (vom 1. Februar 2017) sowie in Manon (vom 9. Juni 2019) oder mit unserer spektakulären Produktion von The Tempest aus dem Jahr 2015.

    Die Streams sind in Österreich wie auch international kostenlos auf play.wiener-staatsoper.at verfügbar. Beginn ist jeweils um 19.00 Uhr, die Übertragungen sind in Folge 24 Stunden lang abzurufen.

    Das Programm bis einschließlich 16. November 2020:

    Samstag, 7. November 2020, 19.00 Uhr

    Olga Neuwirth

    ORLANDO (Vorstellung vom 18. Dezember 2019)

    Musikalische Leitung: Matthias Pintscher

    Inszenierung: Polly Graham

    Mit u.a.: Kate Lindsey, Anna Clementi, Eric Jurenas, Constance Hauman, Agneta Eichenholz, Leigh Melrose, Justian Vivian Bond

    Sonntag, 8. November 2020, 19.00 Uhr

    Charles Gounod

    ROMÉO ET JULIETTE (Vorstellung vom 1. Februar 2017)

    Musikalische Leitung: Plácido Domingo

    Inszenierung: Jürgen Flimm

    Lichtarchitektur: Patrick Woodroffe

    Mit u.a.: Juan Diego Flórez, Aida Garifullina, Rachel Frenkel, Carlos Osuna, Gabriel Bermúdez, Dan Paul Dumitrescu

    Montag, 9. November 2020, 19.00 Uhr

    Giacomo Puccini

    TOSCA (Vorstellung vom 17. Februar 2019)

    Musikalische Leitung: Marco Armiliato

    Inszenierung: Margarethe Wallmann

    Mit u.a.: Sondra Radvanovsky, Piotr Beczala, Thomas Hampson, Ryan Speedo Green, Alexandru Moisiuc

    Dienstag, 10. November 2020, 19.00 Uhr

    Péter Eötvös

    TRI SESTRI (Vorstellung vom 18. März 2016)

    Musikalische Leitung: Péter Eötvös / Jonathan Stockhammer

    Inszenierung: Yuval Sharon

    Mit u.a.: Aida Garifullina, Margarita Gritskova, Ilseyar Khayrullova, Eric Jurenas, Boaz Daniel, Clemens Unterreiner

    Mittwoch, 11. November 2020, 19.00 Uhr

    Jacques Offenbach

    LES CONTES D’HOFFMANN (Vorstellung vom 15. September 2019)

    Musikalische Leitung: Frédéric Chaslin

    Inszenierung: Andrei Serban

    Mit u.a.: Olga Peretyatko, Gaëlle Arquez, Dmitry Korchak, Luca Pisaroni, Michael Laurenz

    Donnerstag, 12. November 2020, 19.00 Uhr

    Pietro Mascagni, Ruggero Leoncavallo

    CAVALLERIA RUSTICANA / PAGLIACCI (Vorstellung vom 2. November 2020)

    Musikalische Leitung: Marco Armiliato

    Inszenierung, Bühne & Kostüme: Jean-Pierre Ponnelle

    Mit u.a.: Eva-Maria Westbroek, Brian Jagde, Ambrogio Maestri, Zoryana Kushpler, Isabel Signoret

    Roberto Alagna, Aleksandra Kurzak, Ambrogio Maestri, Andrea Giovannini, Sergey Kaydalov

    Freitag, 13. November 2020, 19.00 Uhr

    Thomas Adès

    THE TEMPEST (Vorstellung vom 24. Juni 2015)

    Musikalische Leitung: Thomas Adès

    Inszenierung: Robert Lepage

    Mit u.a.: Adrian Eröd, Audrey Luna, Thomas Ebenstein, Stephanie Houtzeel

    Samstag, 14. November 2020, 19.00 Uhr

    Jules Massenet

    MANON (Vorstellung vom 09. Juni 2019)

    Musikalische Leitung: Frédéric Chaslin

    Inszenierung: Andrei Serban

    Mit u.a.: Nino Machaidze, Juan Diego Flórez, Dan Paul Dumitrescu, Adrian Eröd

    Sonntag, 15. November 2020, 19.00 Uhr

    Richard Strauss

    ARIADNE AUF NAXOS (Vorstellung vom 23. Oktober 2014)

    Musikalische Leitung: Christian Thielemann

    Inszenierung: Sven-Eric Bechtolf

    Mit u.a.: Soile Isokoski, Johan Botha, Peter Matic, Jochen Schmeckenbecher, Sophie Koch,, Daniela Fally


    Montag, 16. November 2020, 19.00 Uhr

    Gaetano Donizetti

    ANNA BOLENA (Vorstellung vom 2. April 2011)

    Musikalische Leitung: Evelino Pidò

    Inszenierung: Eric Génovèse

    Mit u.a.: Anna Netrebko, Elina Garanca, Ildebrando D’Arcangelo, Francesco Meli, Elisabeth Kulman

    Alle Informationen dazu finden Sie auch regelmäßig auf unserer Website wiener-staatsoper.at

    Kommen Sie gut und sicher durch die nächsten Tage, wir freuen uns auf ein „analoges Wiedersehen“ in unserem Haus.

    Ihr Team der Wiener Staatsoper

    Cabaret


    … wenn es passiert, dass die Intensität des Stückes so groß ist, dass man nicht dazu kommt, die Darbietungen wirklich zu genießen…


    Volksoper Wien, 22.10.2020


    Die Volksoper ist,wie ich schon des öfteren geschrieben habe, das wichtigste Haus in Wien für „klassische“ Musicals. „Cabaret“ fällt, wie auch das parallel gespielte „Sweet Charity“, gerade noch in diese Periode. Schon ein paar Jahre später, beginnend mit „Godspell“ oder „Hair“, änderte sich dann die Instrumentierung – weg vom klassischen Big-Band-Sound hin zu rockigeren Tönen.


    Trotz der Musical-Tradition der Volksoper feierte das Stück erst im Vorjahr seine Wiener Erstaufführung – und dem Leading Team ist da ein großer Wurf gelungen! Regisseur Gil Mehmert, Choreographin Melissa King erweckten das Berlin zu Ende der 20er-Jahre zum Leben, die Kostüme von Falk Bauer sind der Periode entsprechend. Die Bühnenbildnerin Heike Meixner setzte klug die Drehbühne ein, sodass die Szenenwechsel vom Kit-Kat Club zur Pension der Frau Schneider harmonisch und rasch ausgeführt werden können.


    In unseren Breiten wurde das Stück besonders durch die grandiose Verfilmung aus 1972 bekannt – Liza Minelli als Sally Bowles setzte da einen Meilenstein und Joel Grey ist als Conférencier noch immer unübertroffen. Interessant ist, dass für die Verfilmung das Autorenteam John Kander und Fred Ebb noch drei Songs hinzufügten, die in der Bühnenversion nicht vorhanden waren. Die Volksoper entschied sich für eine Produktion in deutscher und englischer Sprache und übernahm vom Film auch das bekannte Lied „Mein Herr“.


    Der viel zitierte „Tanz auf dem Vulkan“ beschreibt die letzten Jahre der Weimarer Republik, in denen, bedingt auch durch die Weltwirtschaftskrise, die Bevölkerung sich dem ganz linken und ganz rechten politischen Lager zuwendete (was man aktuell auch in den USA sehen kann, obwohl es ja dort nicht wirklich ein „linkes“ Lager gibt), gleichzeitig aber nicht daran glaubte, dass die braunen Horden tatsächlich so extrem agierten wie sie sich gebärdeten. Als Beispiel dafür sei in diesem Stück der Gemüsehändler Schulz genannt (unaufdringlich gespielt vom Volksopernboss himself, Robert Meyer), der ja bis zum Schluss die Angriffe auf sein Geschäft verharmlost – so lange, bis es für ihn zu spät ist. Das erinnert auch sehr auf eine Szene des „Ship of Fools“, in der Heinz Rühmann in der Rolle des Julius Löwenthal sinngemäß meint „Was können sie schon mit uns machen? Alle töten?“.


    Oliver Liebl als Ernst Ludwig, ein höherrangiges SA-Mitglied, überzeugte sehr in seiner Darstellung – er beherrschte das Ende des 1.Aktes – die ersten Zeichen der Nazi-Herrschaft schlugen sich auch auf die Applausfreudigkeit des Publikums nieder – die Stimmung war da wirklich gedrückt.


    Die Rolle des Conférenciers ist in diesem Musical eine ganz wichtige, und auch eingedenk des fast übergroßen Schattens von Joel Grey ist es besonders wichtig, hier eine ausdrucksstarke und überzeugende Persönlichkeit zu finden. Dies gelang in dieser Produktion – Ruth Brauer-Kvam ist ein androgyner Marionettenspieler, schauspielerisch und gesanglich herausragend und schwebte de facto als Todesengel über allen anderen Mitwirkenden.



    Die weibliche Hauptrolle der Sally Bowles war bei Bettina Mönch bestens aufgehoben. Sally ist ja nicht wirklich eine Sympathieträgerin, sondern im Prinzip recht rücksichtslos. Das konnte Frau Mönch gut rüberbringen. Gesanglich ließ sie keine Wünsche offen – sie beherrscht die Technik bestens und hat eine echte „Rockröhre“. Der Clifford Bradshow wurde von Jörn-Felix Alt fast etwas zu brav verkörpert, allerdings passte diese Darstellung für einen Schriftsteller recht gut. Dagmar Hellberg setzte als Fräulein Schneider all ihre Routine ein und sorgte auch für die „Berliner Schnauze“ – sie ist die einzige, die nicht hochdeutsch sprechen musste. Sehr gut auch Johanna Arrouas als Fräulein Kost.


    Für die kleineren Rollen sei hier ein Pauschallob ausgesprochen, ebenso für das Orchester der Volksoper Wien unter der Leitung von Lorenz C. Aichner.


    Der Abend war sehr intensiv und machte sehr betroffen. Es ist ein wichtiges Stück in einer großartigen Produktion.