(Auch als Ergänzung zu Überlegungen von Alfred Schmidt zur waltenden Musikkritik - in anderem Tamino-Spazio):
In meinen Bemerkungen zu TV-Featurereien aus Anlass der Bayreuth-Eröffnung 2011 hatte ich beiläufig den Namen Dr. Brembeck eingeflochten. Daraufhin fragen zwei Forum-Nutzer bei mir an, was es mit diesem auf sich habe. - Nun, jener ist eine der Verkörperungen meines Leidens an der großen, hierorts (im deutschen Süden und überregonal) unverzichtbaren, ruhmbedeckten und ansehensbekränzten Süddeutschen Zeitung, mit der ich als ehem. Leitender im Hause und jetziger Redakteurin-Ehegatte seit über 40 Jahren schmerzvoll verbunden bin. Näheres mögen die Anfrager aus meiner Spontanreaktion auf eine Analyse-Suada des Besagten zum Thema Pavarotti-Nachfolgesuche im Januar dieses Jahres entnehmen. Scusi für den Platzbedarf. Also dann:
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Doktor Brembeck beim Italiener
"Immer wenn Du meinst,
dümmer und dreister geht's nicht mehr -
kommt im SZ-Feuilleton der Brembeck her!"
Heute hat er wieder ein Stück über Gesang bzw. Sänger veröffentlicht. Nämlich über den Tenor als solchen und den italienischen Tenor im Allgemeinen, doch namentlich einen "Pavarotti-Nachfolger" im Besonderen. Die Liebste warnte: "Lies es nicht, Du wirst wieder nur wüten!" - Ich konnte es aber nicht lassen – ed io tremo.
Das Lesewerk steht am 13. Januar 2011, auf Feuilleton-Seite 3 = S. 11 des SZ-Hauptteils, vierspaltig unter der feinen Titel-Head
Immer wieder zum Italiener
Im Untertitel wird behauptet: "Tenöre sind Italiensehnsucht pur". Und: "Seit dem Tod Luciano Pavarottis sucht die Welt nach einem Nachfolger".
Wusstet Ihr das? Ich nicht. Weiß allerdings auch nicht, wer oder was mit "die Welt" gemeint ist. Brembeck schon. Er ist ja - unlängst in der SZ doppelseitig in ca. 30 Punkt Head-Größe ausgelobt:
“ Experte für Kunstgesang „
Und darum weiß er:
"Und es ist mehr als befremdlich, sich Ian Bostridge als Verdi-Tenor vorzustellen. Dem steht nicht nur die Stimme, sondern auch die Intelligenz entgegegen."
Nun können wir raten:
Ist Bostridge zu intelligent - oder umgekehrt nicht intelligent genug für Verdi? Wer hingegen auf die Idee käme, den Epheben Liricissimo Bostridge, im Stimmtypus ein Orpheus Britannicus, allenfalls als stimmlicher & sängerischer Verwandter von Sir Peter Pears o.ä. besetzbar, mit Verdi zu verbinden, der - ja?: Der müsste eben ein "Experte für Kunstgesang" sein, für Intelligenz sowieso.
Aber das ist noch gar nichts. Über eine Spalte lang befasst sich der Gesangsexperte damit, welche Beziehungen der Mann und Phänotypus Silvio Berlusconi zum Phänomen "Tenore Italiano" verkörpert, und dass der Mafioso-Ministerpäsident „sich wahrscheinlich Abend für Abend grämt, dass es bei ihm nicht zum Tenor gereicht hat". Wahrscheinlich.
Verbindungen von Berlusconi zu Pavarotti zu halluzinieren – das erfordert die Kompetenz eines "Experten für Kunstgesang", ganz unbestreitbar. Und bis hierher könnte das ja auch alles als Jokus durchgehen.
Doch Experte Brembeck meint es ernst. Er erklärt es uns in atemberaubenden Analysen – wörtlich so:
1.
"Neben Paraotti konnte kein anderer italienischer Tenor bestehen" –
(in was? nach welchem Maßstab? in welchem Fach? mit welchem Repertoire?)
"Aber auch kein Nicht-Italiener". Also kein Viñas, Lazaro-Cortis-Fleta, Esacalais-vanDyk-Clément, Slezak, Piccaver, Sobinov-Smirnov-Koslowski, Thill, Bjoerling, Tucker?
Demnach also überhaupt keiner. (D e n n - jetzt kommt Experten-Knowhow):
"Domingo war zu dunkel timbriert, zu unversell"
(Was ja bekanntlich ein schwerer Malus ist!)
"Alfredo Kraus, Carlo Bergonzi und Nicolai Gedda waren zu feinsinnige und zu strenge Musiker"
(Das wusste auch die Fachwelt noch nicht, musste drum die Welt endlich erfahren!)
"Roberto Alagna war (er singt bekanntlich aktuell auf allen Weltbühnen) ein zu großer Leidensmann". (Non capisco niente).
"José Carreras zumindest in seiner Anfangszeit zu lyrisch-belcanistisch". (lyrisch = belcantistisch. Aha!)
“Und die Vielzahl der lateinamerikanischen Sänger" (er meint: Tenöre) "von Rolando Villazón bis Ramon Vargas, von José Cura bis Francisco Araiza, Juan Diego Flórez oder Marcelo Alvarez waren" (Ihr glaubt es nicht): "teilweise zu grob, teilweise zu sehr nach Frankreich oder auf traditionellen Belcanto ausgerichtet" .....
"zu" und "zu sehr" - Fachbegriffe der Gesangskritik.
So klar, dass Erläuterungen, Verständlichmachungsbemühungen von vornherein entbehrlich scheinen.
Was der Mensch meinen könnte, erschließt sich von selbst:
Er meint n i c h t s , denn er weiß nichts. Er will bloß Experte spielen.
2.
"Also ist seit Pavarottis Tod kein Nachfolger als italienischer Spitzentenor auszumachen".
"Andererseits aber ist die Sehnsucht (!) nach solch (!!) einem singenden Erlöser (!!!) ungebrochen".
"Umso" (er meint: „Je“) "schlimmer Berlusconi sich geriert, umso dringender wird ein Pavarotti-Erbe erwartet, um das Italien-Bild (!) wieder (!) ins Lot (!!!) zu bringen".
Brillante veramente – wer hätte die italienische Politik je so gesehen!
Aber:
"Das sollte ja nicht so schwer sein. Italien hat Enrico Caruso, Alessandro Bonci und Fernando de Lucia hervorgebracht, Giovanni Martinelli, Aureliano Pertile, Beniamino Gigli, Tito Schipa, Cesare Valletti, Giuseppe di Stefano, Mario del Monaco ... Doch wo sind die Enkel?"
Doch, irgendwo und irgendwann hat er mal irgendwelche Namen gehört. Ob er auch die Stimmen, gar sängerischen Spezifica dazu kennt, bleibt offen. Oder eigentlich doch nicht: Dass er Weiteres, Konkreteres, Fachlicheres weder weiß noch in Betracht zieht – Stimmfarben, -typologien, -gewichte, Timbres, Fachzuordnungen, Stile, Techniken, Eignungen, Bewährungen, Hinterlassenschaften: Alles ohne Belang.
Natürlich stimmen auch die Zeitebenen nicht: Er hangelt sich von den jüngeren zu den früheren und wieder zurück oder auch überkreuz. Epochen- und Generationsunterschiede, Partien, Repertoires, Profile – alles geht bunt durcheinander, ohne irgendeinen Ordnungsraster oder Zusammenhang oder Kenntnishintergrund.
Die 1930er bis ca. 1945 kommen nicht vor. Er stellt neben di Stefano und del Monaco (als wären die vom gleichen Holze) den Leggiero Valletti – hat aber offenbar von Tagliavini noch nix gehört.
Er schwafelt von einem Werte+Wirkungs-Gegensatz Pavarotti versus Berlusconi – und weiß offenkundig nichts von den Verbandelungen einiger ihm maßgeblicherJahrhundert-Tenöre zum Franco- und Mussolini-Faschismus, so Lauri-Volpi, Pertile und vor allem Gigli.
Der Mann hat keine blasse Ahnung. Was er über Bergonzi und Gedda absondert und Kraus gleich mit verfrühstückt, ist genauso abstrus neben jeder Realität wie die Zusammenordnung von Caruso und Bonci (von De Lucia nicht zu reden!), von Martinelli und Schipa, Pertile und Gigli bis hin zu Cura und Flórez.
Keiner der Genannten hat irgendwas mit dem jeweils anderen zu tun, nicht mal die Zeit oder die direkte Konkurrenz oder eine Stil-Identität bzw. wenigstens Fachnähe. Alles reiner Quatsch und Quirl. Italiener und Spanier sind ihm eins – aber ein Bjoerling oder Thill sind ihm keine Silbe wert.
Dennoch wird das Name-Dropping wird fortgesetzt, von Licitra bis (ja wirklich): Andrea Bocelli. - Rasenmäher! - Corelli und Bonisolli sind ihm ausgekommen.
Das Ganze geht noch zwei Spalten weiter, kommt final natürlich auf den angesagten Nachwuchs Grigolo zu sprechen. Dass dieser ein Simpatico im Marketing-Design, aber im dramatischen Repertoire ein weitgehend gefährdeter allenfalls Lirico ist, früh verschlissen werden könnte, weil er (noch?) nicht über das sängerische Können etwa eines Blake oder Flórez verfügt: Was weiß dieser Experte davon?
Zum Schluss ermutigt er uns zu warten. Worauf? Auf einen - klar doch:
" T e n o r - M e s s i a s ".
Benedetto! Erlöser! Drunter geht's nicht auf dem Billig-Boulevard.
Merke: "Das einzig Wahre an der Erlösung ist nur der Erlös daraus".
(Ihr wisst schon, von wem das stammt).
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Sollen wir lachen? Vielleicht. Doch ich denke an den hanebüchenen Multiquatsch der "Rezension" desselben Experten zum 2010er Bayreuther Laborratten-"Lohengrin", die in der Frage "Ist es Hitler?" nur gipfelte, aber auch sonst vor Dummbeutelei, dreister Inkompetenz und GaGa-Gedankenführung durchgängig strotzte. Nein, sowas hat längst Kontinuität.
Und das sollte peinlich sein für das - immer noch - angesehene Blatt, in dem einer wie dieser sich austoben darf, das aber mal einen Ruppel und einen Panofsky zu seinen Kompetenzfedern zählte, die sich niemals als "Experten für Kunstgesang" ausschreien ließen, sich hingegen angesichts eines solchen Erben abwenden müssten.
Für mich ist derlei ein Ausweis des allgemeinen, für die SZ speziell bedrückenden, im Falle des SZ-Feuilletons nahezu skandalösen Niedergangs einer einst großen, auch kulturell bedeutenden publizistischen Erscheinung - ab ins parterreste Boulevardige.
Man wird bescheidener. Aber alles muss man nicht schlucken!
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Soweit die Kostprobe. Wer mehr möchte, kann sich heute in der Süddeutschen an Neuem delektieren: Dr. Brembeck enttäuscht uns nicht. Er ist bereits in Bayreuth, hat im Festspielhaus herumgeschnuppert, sich von den Sisters einen lieben Gruß zuwinken lassen, mit Akteuren über Orchestergraben und Szenik geplaudert. Er bringt uns nahezu ganzseitig ganz neue Wissensinhalte über die Bayreuth-Architektur, -Akustik und -Dirigierproblematik zur Kenntnis (das erspart dem Noch-nicht-Informierten unter den SZ-Feuilletonkonsumenten die Lektüre ganzer Fachbücher) - und macht sich Gedanken darüber, wo im Zuschauerraum Frau Merkel Platz nehmen und welche Impressionen sie auf welche Weise meinend-fühlend wohl umsetzen werde (er schreibt "würde"). Wir dürfen uns also auf neue schöne Stücke fachkompetenter Beurteilungsschreibe freuen. Ab morgen. Videant Musici!