Mein 1. Posting ! - Womit stellt man sich da am besten vor? - Vielleicht mit etwas Großem, von ganz weit oben, wo - um mit Dante zu sprechen - jedes Wollen zugleich ein Können ist: Mit Beethovens 5. Sinfonie und den Berliner Philharmonikern unter der Stabführung Herbert von Karajans.
Wiederholt ist in diesem Forum von Mitgliedern, die erklärtermaßen selbst keine CD mit diesem Dirigenten besitzen und vielleicht durch die fast ausschließlich von außermusikalischen Reflexen bestimmten Ausführungen anderer Mitglieder nachhaltig irritiert sind, der Wunsch geäußert worden, einmal am Beispiel einer konkreten Werkeinspielung zu erfahren, was es denn mit dem legendären Dirigenten Herbert von Karajan auf sich habe.
Welches Werk eignet sich dazu besser als die 5. Sinfonie Beethovens? Mit zwischenzeitlich nahezu 200 Aufnahmen dürfte sie das am häufigsten eingespielte Orchesterwerk sein. Kaum ein großer Dirigent, der sich nicht mit ihr zu verewigen versucht hat. Auch Herbert von Karajan hat mehrere Einspielungen vorgelegt. Die nachfolgenden Ausführungen sollen am Detail nachvollziehbar machen, warum seiner Aufnahme von 1982 mit den Berliner Philharmonikern (DG 413 933-2) - noch vor derjenigen aus dem Jahr 1962, der viel gerühmten Aufnahme Carlos Kleibers mit den Wiener Philharmonikern oder der Einspielung durch Fritz Reiner und dem Chicago Symphony Orchestra - ein Ehrenplatz unter den bedeutenden Interpretationen dieser Sinfonie im Stereo-Zeitalter gebührt. Die Konkurrenz ist groß, Unterschiede oft nur bei genauem Hören anhand der Partitur (hier: Dover Score) auszumachen (sieht man einmal von Extremen, wie den – mit Verlaub – „Cover-Versionen“ des phantastischen Leopold Stokowski oder des unvergleichlichen Leonard Bernstein oder den „Knäckebrot-Fassungen“ Norringtons oder Koopmans ab).
Die hier besprochene Einspielung Karajans gibt inmitten einer illustren Konkurrenz auch Zeugnis von der überragenden Könnerschaft dieses Dirigenten, zumal die musikalisch/technischen Anforderungen, die diese Sinfonie an Dirigent und Orchester stellt, enorm sind: Der Orchesterklang ist bei Karajan erwartungsgemäß kraftvoll-voluminös, deutsch-romantisch abgetönt und dabei aber nicht bombastisch-breit oder von knalligem Effektgehasche oder Oberflächenglanz geprägt (anders als etwa bei Solti wird hier nicht militärisch-hart durch die Partitur exerziert). Zugleich sind polyphon orchestrierte oder harmonisch spannungsreiche Passagen durchhörbar gestaltet. Die Tempi sind sowohl absolut als auch in Relation zueinander „richtig“. Dies allein ist bereits eine Rarität, die sich bei den übrigen Dirigenten der Extraklasse nur noch bei Toscanini feststellen lässt! Insgesamt musiziert Karajan mit seinen Tempi sehr dicht an den Metronomvorgaben Beethovens (nur Gardiner lässt noch eine Idee zügiger spielen und erfüllt die Metronomvorgaben). Die vor allem für den 1., 3. und 4. Satz essentielle, großrhythmische Periodisierung ist bei Karajan in jedem Takt erfahrbar – bei diesen Tempi eine außerordentliche Konzentrationsleistung (Gardiner bietet sie nicht). Zu alledem setzt Karajan die detailreichen Partiturangaben Beethovens präzise um. Die Einspielung ist damit gleichermaßen von Textsachlichkeit und Innenspannung, Klangmagie und struktureller Transparenz geprägt – Synthesen, deren Realisierung den exzeptionellen Rang dieses großen Dirigenten und seines Orchesters ausmachen. Im Detail:
1. SATZ
Karajan spielt das Allegro con brio von Beginn an zügig und mit anhaltender Spannung (vergleichbar zügig etwa Gardiner (noch schneller), Carlos Kleiber, Giulini, Mravinsky, Solti, Harnoncourt). Andere wie etwa Bernstein, Böhm oder Klemperer spielen den Satz behäbig mit pathetischer Schwere weit unterhalb des Metronoms. Die Achteln des Schicksalsmotivs (T. 1 und 3) spielt er wie Carlos Kleiber, Gardiner, Harnoncourt zutreffend nicht als Triolen (so aber z.B. Mravinsky). Von den beiden Fermaten (T. 2 und 4-5) lässt er die Zweite taktgemäß länger aushalten (gleiche Länge und damit falsch z.B. Gardiner, Giulini, Harnoncourt, Klemperer, Wand, Mravinsky). Anders als etwa Bernstein, Böhm, Furtwängler, Reiner, Solti oder Wand lässt Karajan weder zwischen dem 2. und 3. noch dem 5. und 6. Takt einen von Beethoven nicht notierten zusätzlichen Pausentakt zu. Erstaunt können wir also festhalten, dass schon nach 5 Takten – und vor Beginn der eigentlichen Schwierigkeiten des Satzes – bis auf Karajan und Carlos Kleiber keiner der anderen genannten Dirigenten fehlerlos geblieben ist!
Grundlegend für die richtige Realisierung des 1. Satzes ist nun die Beachtung der ihm zugrunde liegenden 4-taktigen Periodisierung. Dies haben Schenker und nach ihm Furtwängler überzeugend beschrieben. Demnach sind trotz des von Beethoven notierten 2/4 Taktes je vier Takte entsprechend einem 4/4 Takt zu akzentuieren (Takt 1 – schwer beginnend / leichter endend; Takt 2 – leicht beginnend / etwas schwerer endend; Takt 3 – wie 1, nur etwas leichter; Takt 4 – wie 2, nur etwas schwerer endend). Bis auf wenige Passagen ist die Struktur des 1. Satz in diesem 4-taktigen Großrhythmus periodisiert. Dabei ist T. 6 bei genauer Analyse des weiteren Satzverlaufs als „4“ zu schlagen und nicht als „1“. Erst T. 7 fällt auf die „1“ und eröffnet somit die 4-taktige Periode. Nun muss die musikalische Darstellung dieses Prinzips nicht gleich zu einem großrhythmischen Oberseminar ausarten, wie dies in einer Einspielung Furtwänglers mit dem BPO aus dem Jahre 1937 zu hören ist. Richtig und wahrnehmbar artikuliert muss die Periodisierung aber werden, weil der 1. Satz sonst leicht zu einer Art unreflektiertem Dauermotivfeuer verkommt (so zu hören bei Gardiner, bei dem viele aufeinander folgende Takte wie auf „1“ geschlagen klingen). Bei Karajan ist die Periodisierung durchgehend mustergültig und dabei ungleich äußerst sublimiert ausgeführt (z.B. T. 7-14 [0:08 – 0:12] oder T. 26-33 [0:25 – 0:29]). Anzumerken ist noch, dass die Freude über die einleitend erwähnten und insgesamt sicher herausragenden Einspielungen von Carlos Kleiber und Fritz Reiner empfindlich dadurch getrübt wird, dass bei beiden gleich zu Beginn in T. 7 [0:11] (Fritz Reiner) bzw. T. 10 [0:12] (Carlos Kleiber) das herabsteigende Eingangsmotiv verwackelt bzw. verhuscht ausgeführt wird. In T. 21 [0:17 – 0:20] hält Karajan die isolierte Fermate auf dem G der 1. Violinen wunderbar lang und nervig aus (Richard Wagner verlangte sie „lang und furchtbar“).
Bei dem Wiedererscheinen des Schicksalsmotivs in T. 22f. [0:21 – 0:23] sind sowohl bei Karajan also auch bei Carlos Kleiber die Bläser gut hörbar (nicht hörbar z.B. bei Giulini, bei Mravinsky verkommt dies zu einem verzerrten, undifferenzierten Dröhnen, wobei seine Leningrader sich bei beinahe allen über den 1. Satz verteilten Schicksalsmotiven technisch indisponiert zeigen).
Es folgt ab T. 34ff. eine crescendo-Passage über 10 Takte: Die T. 34-38 sind zweitaktig, die sforzato-Takte ab T.38 sind auf „1“ zu schlagen. Gardiner, Giulini, Böhm, Harnoncourt und Carlos Kleiber verunstalten diese Stelle, indem sie die Oboen und/oder Fagotte nicht notierte „Rufe“ ausstoßen lassen. Gardiner ist überdies bereits nach dem 2. sforzato auf dem Höhepunkt seines crescendos. Bernstein, Mravinsky und Böhm schaffen es immerhin noch bis zum 4. sforzato. Ein vollständiges crescendo ist bei Karajan [0:29 – 0:37] und Carlos Kleiber [0:31 – 0:38] zu hören. Im anschließenden Forte erstrecken sich die von den Holzbläsern zu spielenden Akkorde über 3 Oktaven (!), die dabei erzeugten harmonischen Spannungen sollten hörbar sein. Leider ist dies z.B. bei Bernstein oder Wand nicht der Fall. Sehr gut hörbar ist dies dafür bei Karajan und bei Carlos Kleiber. Der eigentliche Höhepunkt wird in T. 52 (fortissimo) [0:40 – 0:42] erreicht, wobei Karajan auf eine feine Balance durch das gesamte Orchesters hindurch achtet (bei Carlos Kleiber wird alles von der Pauke übertönt, die auch im weiteren Verlauf der Sinfonie unmäßig forciert auftritt). Warum Mravinsky die tutti-Akkorde in T. 56 und 58 staccato spielen lässt, wird auf immer sein Geheimnis bleiben.
Das sich ab T.63ff. anschließende 2. Thema ist als „Klangfarbenmelodie“ ausgestaltet und sollte atmosphärisch (trotz des gleich bleibenden Tempos!) einen deutlichen Kontrast zum Hauptthema herstellen (Furtwängler sprach in Bezug auf diese Überleitung davon, dass der Hörer das Gefühl haben müsse, als ob das ganze Stück sich wie in einer Angel, wie in einem riesigen Gelenk plötzlich herumdrehe). Bei Karajan klingt das „dolce“ wunderbar warm und gebunden. Ein wenig spitzer gerät es Carlos Kleiber [0:49 -] oder Mravinsky [0:48 -]. Auch Böhm lässt die Wiener Philharmonikern sehr warm und entspannt spielen, dies aber auf Kosten des Tempos und das ist dann nur noch die halbe Kunst. Weiterhin entscheidend für diese Passage ist, dass jede Instrumentengruppe das Thema bruchlos an die nächste weiterreicht, ohne jeweils zum Ende einer Phrase hin leiser zu werden oder bei der Übernahme der Phrase eine Pause zu produzieren. Die Passage ist also nicht wie 3x4, sondern wie 1x12 Takte notiert und zu spielen. Besser als bei Karajan kann man das nirgends hören [0:47 – 0:58], wobei auch Carlos Kleiber bruchlos spielen lässt. Das Gegenteil ist leider in unterschiedlicher Ausprägung bei Bernstein, Gardiner, Harnoncourt, Wand, Mravinsky zu hören. In T. 94 ist der 2. Höhepunkt (fortissimo) erreicht. Wer hier bei der Attacke auf den tutti-Akkord eine Pause einfügt, zerstört (wie Carlos Kleiber) die machtvoll anschwellende harmonische Entwicklung seit T. 64, die hier ihren Abschluss findet (sehr schön bruchlos bei Karajan, Gardiner oder Reiner). Nach einem Epilog endet nach weiteren 30 Takten die Exposition, die zu wiederholen ist.
Zwischenfazit: 125 Takte technisch schwieriger Beethoven sind in nur rund 1:30 machtvoll und unwiderstehlich über uns hinweggerollt. Dabei bietet Karajan, neben ganz wenigen (Furtwängler, Toscanini) fehlerfreie und zugleich überzeugende Interpretationen. Schon so berühmte Einspielungen wie die unter Carlos Kleiber oder Fritz Reiner lassen hier Defizite erkennen, die eben nicht reine Geschmacksfragen betreffen. - Was die Einspielung Karajans dabei über alle musikalische und technische Finesse hinaus auszeichnet, ist der atemberaubend kraftvoll-homogene und zugleich transparente Orchesterklang, der hier produziert wird, und bei dem etwas dunkel-schicksalhaftes mitschwingt.
In der Durchführung sorgt Karajan für ein konstantes Tempo (anders Bernstein, der sich durch den Satz schleppt und ab T. 363 unvermittelt bescheunigt (ob er meinte, damit doch noch für ein schmissiges Finish sorgen zu können?)). Ansonsten setzt Karajan (wie auch Carlos Kleiber, Gardiner, Mravinsky) das rapide crescendo im T. 166 zutreffend erst bei T. 166 an (zu früh z. B. Bernstein, Wand, Harnoncourt). Der berühmte einsame adagio-Gesang der Oboe inmitten des Tumults ist gerade in der 82er Einspielung Karajans einmalig schön und anrührend gelungen [4:30 – 4:44). In der erweiterten Durchführung ab T. 375ff. sind die Bläser gut zu hören [5:57 – 6:00] (ebenfalls gut ausbalanciert Gardiner; bei Carlos Kleiber hingegen ist die Pauke erneut erheblich zu laut und zu grell). Ab T. 399ff bis zur Coda ist die Periodisierung erneut von essentieller Bedeutung für eine sinnvolle, lebendige Phrasierung. Wie das andernfalls klingen kann, ist bei Mravinsky zu hören, der seine Leningrader hier einfältig wie Holzfäller durch den akkordischen Wald hacken lässt. Man achte auf die feine Phrasierung bei Karajan ab T. 440ff. [6:26 – 6:44] – das geht nicht besser!
2. SATZ
Der Variationssatz ist Andante con moto überschrieben. Auch er lebt also von einer gewissen Grundspannung. Dies wiederum erfordert ein adäquates Tempo. Karajan und Carlos Kleiber spielen das Andante nahezu gleich zügig (ca. 80) (zu schnell wohl Gardiner ca. 100). Ein erster Höhepunkt wird bei T. 40 erreicht. Die ganze Magie dieser harmonischen Prozession lässt sich vor allem bei Karajan [1:23 – 1:44] und Carlos Kleiber erleben (Harnoncourt bietet hier vor allem eine unerklärliche Verlangsamung). Die geradezu himmlischen Passagen der 2., 3. und 4. Variation auf das Hauptthema ab T. 100ff. (insbesondere die 3. Variation mit den in pianissimo singenden 32tel Violinen ab T. 108ff.) sind bei Karajan [3:36 -] bzw. [3:56 -] wie auch bei Carlos Kleiber, Fritz Reiner oder Mravinsky unüberbietbar schön gelungen (dagegen z. B. Giulini, Bernstein, Gardiner, Harnoncourt, Wand). In der 6. Variation ab T. 185ff. wird regelmäßig die gebotene Balance zwischen Streichern und Bläsern missachtet (so z. B. bei Harnoncourt, Gardiner). Gut ausbalanciert ist dies bei Karajan [6:50 -], Mravinsky und Giulini zu hören.
3. SATZ
Das Scherzo basiert wie der Kopfsatz auf einer 4-taktigen Periodisierung, deren Umsetzung auch hier von größter Bedeutung ist. Hinsichtlich des Tempos liegen Karajan und Carlos Kleiber wiederum dicht beieinander und nahe der Vorgabe Beethovens (96). Allzu nervös erscheint Gardiner, der noch oberhalb dieser Vorgabe spielen lässt. Zu langsam musizieren jedenfalls Solti und Bernstein, die damit dem Scherzo-Charakter des Satzes kaum gerecht werden und überdies das Tempoverhältnis zum Finale auf den Kopf stellen, indem sie dieses schneller als das Scherzo angehen!
Karajan führt auch hier sämtliche Vortragsangaben Beethovens perfekt aus und lässt das Scherzothema zu Beginn unnachahmlich geisterhaft im pianissimo und sehr legato aus der Tiefe aufsteigen [0:01 – 0:03]. Das ritardando beginnt er erst ab T. 7 und zwar poco (!) [0:04 – 0:07] (bei Harnoncourt kommt es zu früh, bei Carlos Kleiber zu stark, bei Mravinsky unerklärlich akzentuiert). Ab T. 19 beginnt das Schicksalsmotiv zu marschieren, wobei T. 19 auf „4“ zu schlagen ist. Wer hier den dahinter liegenden Großrhythmus nicht korrekt mitspielt, hat vertan. Bei Karajan wird dies überwältigend und vorwärts treibend ausgeführt [0:16 -], man beachte vor allem die wunderbar auf „2“ und „3“ phrasierten T. 33/34 [0:25 – 0:27] und T. 37/38 [0:28 – 0:30] (bei Giulini, Solti oder Harnoncourt und auch bei Carlos Kleiber ist das alles so nicht umgesetzt). Selbst kleinste Details unterhalb des auf der Oberfläche wogenden Großrhythmus wie etwa die pizzicato G’s der Violoncelli (ab T. 100ff.) [1:16 und 1:18] werden von Karajan und seinen Berliner Philharmonikern auf vortreffliche Weise ausgeführt (man vergleiche dies direkt mit der weniger gelungenen Ausführung bei Carlos Kleiber).
Eine der schönsten Passagen der gesamten Sinfonie bildet sicherlich die Rekapitulation des Scherzos ab T. 235ff. Wie ein schattenhafter Geistertanz bewegt sich die Musik hier auf das Finale zu. Von größter Wichtigkeit sind richtiges Tempo und richtige Periodisierung. Herausragend sind neben der Darstellung Karajans [3:07 -] auch die durch Carlos Kleiber, der die Passage betont tänzerisch angeht oder durch Mravinsky, der mit den Holzbläsern das Groteske in dieser Musik unterstreicht. Das pianissimo possibile ab T. 223, das die Überleitung ins Finale bildet, interpretiert Karajan vor allem in seiner hier im Vordergrund stehenden Aufnahme aus dem Jahr 1982 in schier atemberaubender Weise [4:13 -]: Zunächst sind die Streicher und die Pauke perfekt ausbalanciert, wodurch bereits eine knisternde Spannung erzeugt wird. Wenn sodann die Bässe hinzutreten [4.25 -] wird die Spannung nochmals gesteigert und man ahnt, dass hier etwas Großes im Gange ist. Die Art und Weise, wie die Bässe hier im pianissimo gleichwohl satt und differenziert streichen, ist enorm beeindruckend und erst dann ganz zu ermessen, wenn man andere Einspielungen dem direkten Vergleich aussetzt (bei Carlos Kleiber etwa sind die Bässe kaum und nur diffus vernehmbar). Während alle übrigen Dirigenten nun auf den Schlag ins Finale marschieren lassen (das sie sodann gegen Beethovens klare Vorgabe fast alle schneller angehen als das Scherzo), steigert Karajan die Spannung nochmals, indem er die 1. Violinen, die sich gemeinsam mit den Bässen in die Szene geschlichen hatten und nun immer vehementer in den Vordergrund drängen [4:33 -], erst eine Idee und dann immer mehr vor dem Takt spielen lässt und dadurch eine zusätzliche Innenspannung zwischen den in der Tiefe beharrlich schlagenden Bässen und den oben unaufhaltsam vorwärts treibenden Violinen (treiben sie ans Licht?) erzeugt. Karajan erweist sie hier ein weiteres Mal als ein einsamer Meister in der Ausgestaltung solch spannungsvoller Überleitungen (Ähnliches kann man bei seinem Bruckner, Schumann oder Brahms erleben), und man muss bis zu Furtwängler zurückgehen, um Vergleichbares zu hören. Man vergleiche dies mit den entsprechenden Passagen bei Carlos Kleiber [4:31 -] oder Gardiner [6:40 -], die hiergegen geradezu belanglos (bzw. bei Gardiner auch ein wenig grotesk) wirken.
4. SATZ
Mit dem Finale hat Beethoven den Ausführenden entgegenkomponiert, indem ein jeder mit dieser Musik insgesamt eine mehr oder minder überwältigende Wirkung erzielt. Letztlich ausschlaggebend ist auch hier das „richtige“ Allegro-Grundtempo, absolut als auch in Relation zu der im Finale eingebauten Scherzo-Episode und dem Presto am Schluss. Wie bereits erwähnt gehen bis auf Karajan und Toscanini die hier erwähnten Dirigenten das Finale – entgegen Beethovens klarer Vorgaben – schneller an als das Scherzo. Einzelne, wie z.B. Fritz Reiner, rasen förmlich durch das Finale, was hier und da durchaus Effekt macht. Es kann dann aber kein vernünftiges Verhältnis zur Scherzo-Episode hergestellt werden. Außerdem ist so eine Temposteigerung im Presto nicht möglich. Indem sich Karajan an die Vorgaben Beethovens hält, ist er in der Lage, zum Ende das Tempo nachhaltig zum Presto zu erhöhen [7:41 -]. Insgesamt lässt Karajan seine Berliner Philharmoniker im Finale entfesselt aufspielen. Der Orchesterklang ist voluminös, kraftvoll, mit einem mächtigen Drang nach vorne. Alles scheint wie im Rausch. Einzelstimmen sind bis an die Grenze der Hörbarkeit in das Orchesterganze eingebettet. Gleichwohl bleiben die musikalischen Details der Partitur auch in Passagen, die eine behutsame Balancierung erfordern, noch hörbar (wenngleich in diesem Satz weniger deutlich als etwa bei Fritz Reiner oder Carlos Kleiber). Auch im letzten Satz setzt Karajan die den einzelnen Teilen zugrunde liegenden Periodisierungen konsequent und hörbar um (das Allegro ist auf „2“, die Scherzo-Episode auf „4“ und das Presto auf „1“ zu schlagen) und sorgt so für eine rhythmisch sinnfällige Interpretation. Sehr schön nachvollziehen kann man diesen Wechsel von „2“ [7:30] auf „1“ [7.38] in dem sempre piu allegro, das die Überleitung zum Presto bildet (T. 357ff.) (auch hier erhellt ein direkter Vergleich etwa mit Carlos Kleiber, welche Bedeutung die Umsetzung der richtigen Periodisierung zukommt [9:43].
Loge