Beiträge von Loge

    Lieber georgius1988,


    einverstanden, denn alle Zukunftsprognosen sind gewagt. Ich hatte hier nur Boulez im Sinn und hätte den Harnoncourt auch unerwähnt lassen können. Harnoncourt ist ein vollkommen anders gelagerter Fall. Also auch insoweit bin ich einverstanden.


    Loge

    Ich liebe diesen Soziologen-Jargon. Ein bißchen hier quetschen, ein bißchen da, und schon passt's. Ach ja, den nicht fassbaren Teil der Kunst, ach, den sparen wir lieber mal aus. Reduktion von Komplexität! Genau, so geht's, so bleibt's auch gedanklich schön ANSCHLUSSFÄHIG! :hahahaha:


    Loge

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    Original von Edwin Baumgartner


    Da ich also davon ausgehe, daß gerade Du sehr wohl begriffen hast, was der KSM meint (ich finde seine Argumentation ziemlich schlüssig), solltest Du überlegen, ob es nicht an Dir liegen könnte. Insoferne nämlich, als Deine undifferenzierte Haltung - bei Karajan ist alles, aber auch wirklich alles gut, und wenn er für jeden nachhörbar Mist baut, werden halt Prozessionsteilnehmer mit am Boden schleifende Kutten bemüht (hätten halt zu Karajans Schneider gehen sollen, die Kuttenträger) - ein Nachdenken über Gegenargumente gar nicht zuläßt.


    Das schöne an der Funktionsweise dieses Forums ist ja, dass alles Geschriebene einsehbar und nachprüfbar bleibt. Ich lade also alle herzlich ein, ein wenig nach oben zu scrollen und mal nachzusehen, ob ich die "schleifenden Kutten" bewertet hätte oder ob es nicht vielleicht doch etwas anderes war, was ich an dieser Einspielung als gelungen hervorhob. Des weiteren kann ja jeder in den Thread zur 5. Sinfonie Beethoven wechseln und nachsehen, ob ich da mehrere Gründe für das Periodisierungskonzept des Kopfsatzes aus der Partitur heraus und nicht nur unter Bezugnahme auf Autoritäten angeführt habe oder nicht.


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    Und genau das ist die Haltung, die ich von vielen Karajan-Anhängern kenne: Der Meister ist makellos. Ich kenne keinen einzigen Bernstein-Anhänger, der nicht, ohne es als Blasphemie zu empfinden, diverse Entgleisungen Bernsteins zugibt. Und genau das ist für mich das Phänomen Karajan.


    Ich kenne weder Karajan-Anhänger noch Bernstein-Anhänger, die an dem jeweils geschätzten Dirigenten (in aller Regel werden ja beide geschätzt) nicht auch etwas zu kritisieren oder Schwächen ausgemacht hätten. Das erscheint mir im übrigen auch realistischer.


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    Nicht seine überragende dirigentische Begabung - die hatte er nämlich gar nicht im nachgerühmten Ausmaß.


    Zur überragenden dirigentischen Begabung haben sich Kollegen und Mitglieder der Berliner und Wiener Philharmoniker hinreichend geäußert. Auch das kann hier und im Parallelthread nachgelesen werden und ist nicht Privataufzeichnungen, sondern den öffentlich zugänglichen Medien entnommen und damit überprüfbar.


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    Sondern die geistige Auslieferung seiner Anhänger in Musikfragen unter das Diktat eines Namens und eines Klanges. Was dazu führt, daß automatisch alles nur noch in Bezug auf Karajan gehört und gemessen wird, als gäbe es ein mit Karajan besetztes "Richtig" als Meßlatte


    Ich müsste mich jetzt wiederholen...


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    (siehe etwa Loges Ausführungen zur länge des letzten Wertes im Takt, von der Loge in bekannter Überheblichkeit wiederum nur seine eigene, natürlich von Karajan beeinflußte Meinung gelten läßt und alle anderen als "falsch" verleumdet.


    Wenn die letzte Note im Takt eine Achtel ist, dann ist sie eben eine Achtel lang zu halten. Das hat mit Karajan nichts zu tun.


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    Bei Loge vertritt Karajan die Stelle von Gott (fehlerlos, einzigartig etc.). Jeder, der sich nicht demütig verhält, wird einer permanenten persönlichen Provokation ausgesetzt, verächtlich gemacht, verspottet, persönlich beleidigt.


    Schreibt's, fügt noch den Vorwurf angeblicher Provokationen, Verächtlichmachung, Verspottung etc. durch Loge an und meint vielleicht, die Mitleser wären nicht in der Lage, das Spielchen zu durchschauen.


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    Kurz: Man wird behandelt, als habe man eine Blasphemie begangen.


    Wo denn?


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    Was mich betrifft, bete ich allerdingsimmer noch lieber zum Gott der christlichen und der jüdischen Kirche als zu dem einer Musik-Sekte.


    Amen.


    Loge

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    Original von Edwin Baumgartner
    Und weil die "Schulen Furtwängler, Knappertsbusch, Böhm, Karajan, Solti" authentischer musizieren, sind sie ausgestorben.


    Wer sich in der Kulturgeschichte auskennt, der weiß, dass schon viele bedeutende Schulen ausgestorben sind und permanent aussterben.


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    Abgesehen ist Loge ja ein Vorkämpfer für authentisches Musizieren, wir wissen ja, wie vehement er für die originale Aufführungspraxis eintritt.


    Ich habe grundsätzlich nichts gegen die HIP und empfinde sie als Bereicherung.


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    Was nach Loges Meinung falsch ist, nach Meinung anderer aber richtig, weil andernfalls der Puls durch den praktisch in den Folgetakt übergebundenen Schlußwert verlorengeht.


    Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Die Kunst besteht dann darin gebunden UND unter Berücksichtigung der Taktwerte zu spielen.


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    Eine Viertel ist eine Viertel ist eine Viertel.


    Damit dürften wir alle einverstanden sein.

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    Reinhold Messner und andere glauben auch, daß es den Yeti gibt.


    Der Hinweis überzeugt nicht.


    Loge

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    Original von Kurzstueckmeister
    (Damit Du verstehst, wie ich in dem Zusammenhang auf die Idee komme, Du benähmest Dich schlecht: Mir aus taktischen Gründen zu unterstellen, ich wäre der lächerlichen Ansicht, der erste Satz von Beethovens 5. bestünde aus lauter 2-Taktern, ist eine gewaltige Unverschämtheit.)


    Lieber Kurzstückmeister,


    ich verstehe ehrlich gesagt nicht mehr, was Du nun eigentlich im Hinblick auf den Kopfsatz der 5. Sinfonie meinst. Es ist mir aber nun auch egal. Ich habe auch keine Vorstellung, wie Du auf die Idee kommst, ich könnte bei der Frage nach der Periodisierung im Kopfsatz der 5. taktieren wollen. Wenn Du eine andere Lesart schlüssig darlegen kannst, als die von mir erläuterte (und von Furtwängler, Karajan und C. Kleiber u. a. praktizierte), oder wenn Du schlüssig darlegen kannst, dass das von mir Erläuterte notwendig "Grütze" ist, dann, lieber Kurzstückmeister, wäre es Zeit für eine Veröffentlichung Deinerseits. Im übrigen schlage ich vor, um nicht weiter dem Vorwurf (vermeintlich) "gewaltig unverschämten" Verhaltens ausgesetzt zu sein, dass wir die Sache hier einfach auf sich beruhen lassen.


    Loge

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    Original von Kurzstueckmeister
    Natürlich nicht. Du machst es aber.[quote]
    Gratuliere zu diesem schneidigen Return. Gefällt mir formal. In der Sache ist es aber auch nicht zutreffend.


    [quote]Na, auf die Gründe warte ich nun schon lange vergebens. Warum? Ganz einfach: Der Grund ist: K macht es so. Aber das gestehst Du Dir selbst nicht ein.


    Furtwängler und andere machen es auch so. Ein paar Gründe stehen wie gesagt im Thread zur 5. Das alles im einzelnen darzustellen, war schon sehr mühsam und m. E. ausreichend. Und löse Dich mal von T. 15 - 18. Oder erkläre mir im Thread zur 5., warum ausgerechnet diese vier Takte der Dreh- und Angelpunkt für eine durchgehend 2-taktige Gesamtanlage des Satzes sind. Da hast vielleicht Du noch etwas nachzuarbeiten. ;)


    Loge

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    Original von rappy
    manchmal habe ich das Gefühl, Strauss weiß, wie er etwas darstellen will, aber nicht was.


    Verstehe ich nicht. Und schon gar nicht bei R. Strauss. Wenn Du geschrieben hättest, Strauss wollte wohl etwas Bestimmtes darstellen, vermochte es aber nicht, hätte ich das nachvollziehen können. Das träfe dann aber sicherlich nicht auf R. Strauss zu. Wie aber kann man denn sagen, Strauss wusste "wie" er ETWAS darstellen wollte, hatte aber dabei das "was" (also das ETWAS) nicht klar vor Augen? Außerdem hat doch gerade R. Strauss in der Oper (sowieso) und auch außerhalb der Oper sehr oft klar beschriebene Programme vertont. ?(



    Loge

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    Original von Armin Diedrich


    dann möchte ich Deinen Kommentar über Eugen Jochum mal hören... :pfeif:


    Dazu gibt es seine nette kleine Geschichte. J. Kaiser erzählte vorgestern auf SWR2, dass ihm der spitzbübische Karajan einmal unter vier Augen (und eigentlich mit der Auflage, es nicht weiter zu erzählen) gesagt habe, dass er sich vor der Aufführung einer Bruckner Sinfonie immer nochmal den Jochum anhöre, um sich zu vergewissern, wie es nicht zu machen sei.


    Loge

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    Original von Kurzstueckmeister
    Aber hallo, dass Du den Musikern unterstellst, statt Phrasen nur Takte in den Noten zu finden,


    Habe ich nicht. Dein Versuch, über den Kunstgriff der "Erweiterung" meiner Aussage eine Angriffsfläche zu finden, ist durchschaubar und - offen gesagt - ein wenig mühsam.


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    Dass Du daraus dann höchste Orchesterkultur schließt, wenn man den Klang über die Taktgrenzen möglichst "gerade" drüberzieht,


    Davon habe ich nicht gesprochen.


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    K macht es so. Also ist es gut. Jetzt leiten wir eine Regel ab.


    Auch das habe ich nirgends behauptet.


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    1) Beethoven, 5. erster Satz: K dirigiert (nach Deiner Aussage) 4-Taktgruppen als 4-4tel-Takte mit zugehörigem Betonungsverlauf - auch wenns gar keine 4-Taktgruppen sind sondern verdoppelte 2-Taktgruppen.


    Das halte ich für nicht zutreffend. Die Annahme von 4-Taktgruppen (überwiegend) liegen aus verschiedenen Gründen näher (siehe Thread zur 5. Sinfonie Beethovens).


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    Also muss man es so tun, wenn man es anders macht, hat man einen Fehler in der Analyse des Notentextes begangen.


    Man muss in der Kunst eigentlich gar nichts. Aber konkret kann es sein, dass es dann weniger sinnfällig klingt.


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    2) K möchte seinen geilen Klang möglichst ohne Unterbrechung füttern. Also sind Abphrasierungen ein Fehler der musikalischen Analyse, weil die Musiker bei jedem Taktstrich zu faul sind, Gas zu halten.


    Die Vermeidung von Unterbrechungen im musikalischen Fluss einer Phrase entspringt bei Karajan einem ästhetischen, gar philosophischen Prinzip. Daneben bleibt aber auch richtig, dass Taktstriche grundsätzlich nicht hörbar sein sollten. Von Faulheit der Musiker habe ich nicht gesprochen. Damit hat das auch nichts zu tun.


    Du neigst in die eine wie in die andere Richtung immer zur Übertreibung bzw. Absolutierungen, die eine Verständigung in diesem Medium sehr schwer machen.


    Loge

    Ein äußerst effizienter Komponist war Verdi. Das kann man sehr schön erkennen, wenn man sich seine Partituren ansieht. Obgleich die Wirkung der Musik oft nicht weniger überwältigend ist, als die Wagners, hat Wagner weitaus mehr (teilweise kolossalen) Aufwand betrieben, um seine gewünschten Wirkungen zu erzielen. Auf die Spitze getrieben hat Verdi seine kompositorische Ökonomie wohl im Schlussakt des Otello.


    Loge

    Was bleibt? - In der interessanten Dokumentation gestern abend auf Arte kamen auch Mitglieder der Wiener Philharmoniker zu Wort.


    Es war sehr bewegend zu sehen - und wenn ich dieser Tage ob der überwältigenden Anerkennung die Karajan zuteil wird noch Tränen der Rührung übrig gehabt hätte, hätte ich die auch noch vergossen,


    - wie Werner Resel erzählte, wie froh die Wiener waren, dass sie Karajan im Verlaufe seines sich zuspitzenden Zerwürfnisses mit den Berlinern wieder fester an sich binden konnten,


    - wie Herbert Schmid erzählte, dass das Orchester über seinen Tod weinte,


    - wie Werner Resel dann noch erzählte, dass viele große Dirigenten kamen und gingen, aber Karajans musikalischer Geist noch heute (das Interview dürfte in den zurückliegenden zwei Jahren entstanden sein) über dem Orchester liegt.


    Das finde ich sehr beeindruckend, nach dieser langen Zeit und zeugt von der prägenden, musikalischen Kraft dieses großen Dirigenten.


    Diese Tage sind so schön! ;(


    Loge

    So wie Karajans Interpretationsästhetik stark durch die spätromantische Musik (Klangopulenz, Mischklänge, Schönklang etc.) geprägt ist, was zu streitbaren Ergebnissen führte, je älter die Musik war, die er interpretierte (also alles vor Mozart, Beethoven, manche meinen neuerdings sogar schon Beethoven), ist Boulez' Interpretationsästhetik von der Seriellen Musik (größtmögliche Klarheit, Transparenz, im Extrem Gleichberechtigung oder mathematische Quantifizierung der Parameter etc.) beeinflusst, was ebenfalls zu streitbaren Ergebnissen im romantischen Fach führt (also alles vor Schönberg/Stravinsky). Wenn Boulez aktuell auch bei Mahler oder gar Bruckner zu reüssieren scheint, ist das aus meiner Sicht hauptsächlich seiner bedeutenden Persönlichkeit geschuldet. Er ist neben Harnoncourt der heute "große Alte", von dem man das eben einmal hören will. Ich bezweifle, dass es sich langfristig durchsetzen kann. Sein Ring verdankt seine Bedeutung im wesentlichen der epochalen Inszenierung Chéreaus, vor allem deshalb sollte man das auf DVD kennen. Applaus erfährt Boulez für seinen Wagner insbesondere von Musikern, die eben auch der seriellen Schule (Boulez, Nono, Messiaen u.a.) nahestehen, zumal es ja in diesem Idiom hervorragend musiziert ist. Es ist aber nicht der spätromantische und von Wagner in seinen Partituren angestrebte, berückende Orchestermischklang. Ein Blick in die Partituren zeigt, wer hier authentischer musiziert. Ich würde bei Wagner heute eher auf die Schulen Furtwängler, Knappertsbusch, Böhm, Karajan, Solti setzen. Leider sind die beinahe ausgestorben. Vielleicht kann Thielemann für eine vorübergehendes Weiterleben sorgen.


    Übrigens: Ein Geheinmis des legendären Orchesterklangs Karajans besteht darin, dass er Töne jeweils bis zum Taktende aushalten lässt, so dass sich der Folgetakt nahtlos anschließt. Die Musik bekommt dadurch etwas ausgeprägt Fließendes. Dass das enorm schwer umzusetzen ist und höchte Orchesterkultur erfordert, liegt auf der Hand. Denn Musiker orientieren sich natürlich gerne an Taktstrichen, versuchen den Ablauf so für sich zu ordnen. Dagegen gibt es auch Dirigenten, die dazu neigen, den Taktstrich als solchen zu "spielen", also hörbar zu machen, was falsch ist.


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    Original von Kurzstueckmeister
    Dabei bleiben aber die zugrundeliegenden kompositorischen Detailentscheidungen allzusehr auf der Strecke, vor allem die Mehrstimmigkeit, welche die europäische "ernste Musik" recht fundamental von derjenigen anderer Kulturen unerscheidet, droht im Off zu verdämmern (mangelnde Klarheit von Nebenstimmen bei K), selbst der Rhythmus verkommt bisweilen zu weihevollem Gewaber (Beethoven, 7. Symphonie, langsamer Satz, Beginn).


    Im 80er Zyklus der Beethoven-Sinfonien hat Karajan im 2. Satz der 7. Sinfonie sein Legato ins Extrem getrieben. Das ist wohl richtig. Der bewegte Rhythmus ist hier in ein starkes sfumato getaucht. Es klingt, als würden die Menschen in der Prozession (die man sich ja vorstellen darf) in langen, auf dem Boden schleifenden Kutten schreiten. Dass ändert aber nichts daran, dass die Mehrstimmigkeit in dem Satz, das Fugato und die ostinate Basslinie trotz des vollen, geschmeidigen Orchesterklangs klar und transparent zu hören sind. Darin liegt ja, wie Christoph von Dohnanyi erst kürzlich wieder bestätigt hat, eine der großen Orchesterleistungen Karajans. Außerdem kenne ich keine Einspielung dieses Allegrettos, in der das crescendo zu Beginn so großartig gestaltet ist, wie hier. Darin vor allem liegt ein großer Teil der suggestiven Wirkung dieser Einspielung auf den Hörer. Und das kaum einer crescendi so beeindruckend zu gestalten vermochte wie Karajan, das brauchen wir hier wie seine Eitelkeit auch nicht mehr diskutieren.


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    Original von sagitt
    Filme, die ihn nicht herausstellten, lehnte er auch dann ab, wenn sie künstlerisch wertvoll waren. Es ging ihm nicht um Kunst, sondern um Selbstdarstellung.
    Das wurde eindrucksvoll belegt, indem zwei Schnittfassungen gegeneinandergestellt wurden, die eine vo Regisseur, der ein ästhetisches Konzept hatte und die andere von Karajan, die vor allem ihn ins Bild brachte.
    ...Diese Dokumentation erweckt den Eindruck, es ging Karajan vor allem um sich selbst.
    ...Er hat sich in den Mittelpunkt gestellt und dafür die Kunst geopfert ?


    Dass Karajan eitel und in musikalischen, ästhetischen Fragen unnachgiebig war, muss hier wohl nicht weiter diskutiert werden. Er wusste, dass er über seltene Gaben verfügte. Und er wusste um seine Wirkung als charismatisches Medium, das Musik darzustellen und zu übertragen hatte. Das ist eine Aufgabe des Dirigenten. Ich würde sogar sagen, es ist beinahe eine Grundvoraussetzung für jeden großen Dirigenten, der vor Spitzenorchestern und Publikum langfristig bestehen will.


    Bei der gestrigen Dokumentation wurde auch deutlich, dass z. B. der legendäre Film zur 6. Sinfonie Beethoven aus musikalischer Sicht kritisch zu beurteilen ist, weil die filmische Umsetzung (zum Entsetzen der Beteiligten) die Musik erschlug. Bei den anschließend zu einer anderen Beethoven Sinfonie parallel gezeigten Schnittfassungen wurde deutlich, dass das Bild ruhiger war und viel auf Karajan lag. Wenn man nun berücksichtigt, dass es ihm erklärtermaßen einerseits auch um visuelle Schönheit ging (er sich selbst und seinen Dirigierstil als schön empfinden durfte) und andererseits um sinnfälliges Darstellen der Musik als Medium zwischen Komponist und Hörer, ergibt es schon auch einen Sinn, dass er sich mehr im Bild sehen wollte. Diese Egomanie, die manche abstößt, ist nicht größer als die anderer legendärer Dirigenten (z. B. Furtwänglers).


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    Original von Dr. Holger Kaletha
    Ich habe mal einen Probenmitschnitt gesehen aus der Schweiz, wo er den Bläsern verbot, individuell zu phrasieren: sie durften nur noch abstrakt den Ton spielen! (Bläser sind ja alle Individualisten, Solisten!) Individualität kann er nicht dulden, ihm geht es um totale Kontrolle!


    Hier muss man natürlich beachten, dass es gerade bei Karajan einen wesentlichen Unterschied zwischen Probe und Aufführung gab. In der Probe arbeitete er intensiv und unerbittlich, auch mit einzelnen Intrumentengruppen oder gar einzelnen Orchestermitgliedern, bis der den Klang etc. erzeugt hatte, den er sich vorstellte. Wenn das dann anschließend zusammen erklang, waren viele nicht wenig verblüft über das Resultat, dass sie in seinen Einzelteilen so nicht vorausgehört hatten. Vorteil dieser sehr intensiven Probenarbeiten war, dass Karajan am Abend in der Aufführung die Orchestermitglieder umso freier aufspielen lassen konnte. Dies entsprach auch seiner Kunstphilosophie, derzufolge nur aus dem (selbstverständlich technisch möglichst perfekt vorbereiteten) spontanen Ereignis einer frei fließenden Musik etwas Ausgewöhnliches entstehen könne. Intensive Probenarbeit und freies Aufspielen am Abend mag für den einen oder anderen paradox klingen, ist so aber vielfach von Mitgliedern der Berliner Philharmoniker überliefert. Erst gestern in der hier schon angesprochenen Dokumentation auf Arte ("Filmstar Karajan") erklärte ein ehemaliger Berliner Philharmoniker (Name habe ich mir nicht gemerkt), dass sie unter KEINEM (das betonte er) der berühmten Dirigenten, mit denen sie spielten, abends so frei spielen durften wie unter Karajan!


    Loge

    Lieber Edwin Baumgartner,


    warum willst Du das so eskalieren lassen? Ich habe versucht, Dir eine PN zu schicken, die lehnst Du aber ab. Ich finde es unpassend, derlei Dinge im Thread selbst auszuführen, aber wenn es nicht anders geht, dann tue ich es eben. Fortsetzung sogleich.


    Loge

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    Original von Edwin Baumgartner
    Da haben wir den wunderbarsten Irrtum, der so viel sagt... Bernstein habe mit wenig intellektuellen Mitteln Musik erzeugt.
    Im Gegenteil: Bernstein war ein Analytiker sonder gleichen.


    Ein Irrtum liegt hier nur insofern vor, als Du mich (absichtlich?) missverstanden hast. Natürlich hat Bernstein die Musik, die er interpretiert hat, zuvor umfassend analysiert. Das taten Karajan und Solti aber genauso. Anderes zu behaupten, wäre kindisch und schlösse eine überzeugende Interpretation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus. Es besteht indessen ein feiner, aber wichtiger Unterschied zwischen der Analyse eines Werkes und seiner klanglichen Umsetzung. Du hast meinen Satz wesentlich verkürzt wiedergegeben, vermutlich hast Du ihn nicht begriffen.


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    Original von Edwin Baumgartner
    Und genau das sagt der KSM leicht ironisch überspitzt dem Satz "K kostet das aus, was das geringste musikalische Verständnis, die geringste Bildung verlangt." Du müßtest ihm also rückhaltlos zustimmen.


    Karajan hat nicht irgend etwas ausgekostet, sondern gegebene Werke vergleichsweise werktreu interpretiert. Seine Interpretationsästhetik, die vor allem auf Klang und Rhythmus basiert, spricht dabei offenbar viele Menschen direkt an. Mit Bildung oder Unbildung hat das nichts zu tun. Der Mensch besteht nicht nur aus seinem "kalten" Intellekt, und zwar schon gar nicht beim Musikhören. Du selbst, lieber Edwin Baumgartner, hast Dich hier schon des öfteren als ein dem Dionysos huldigender Mensch beschrieben. Demgemäß müsstest auch Du ein ausgesprochener "Bauchhörer" sein. Dafür spricht auch Deine Affinität zu Bernstein, der auf seine Weise mit ähnlichen unmittelbar wirkenden, wenig intellektuellen Mitteln Musik erzeugt hat und für den übrigens die Beschreibung "auskosten" (die mir grundsätzlich nicht gefällt) noch eher passen würde als für Karajan, weil Bernstein seinem "Bauch" bei seinen Interpretationen noch viel mehr nachgegeben hat. Wenn Du verstärkt mit dem Kopf hören willst, dann hörst Du vermutlich Boulez. Möchtest Du jetzt Boulez und Bernstein oder ihre jeweiligen Hörer intellektuell gegeneinander ausspielen?


    Loge

    Ich halte das alles für sehr vereinfacht. Abgesehen davon, dass wir wissen, dass uns Rhythmus, Klang, Melodie und bestimmte harmonische Beziehungen in ganz besonderer Weise ansprechen, können wir doch nur begrenzt erklären, warum konkret die eine Musik oder ihre Darbietung uns besonders anspricht und andere nicht.


    Wenn Du mich fragst, was ich als kopflastiger Romantiker :D an Bach liebe, so sind es wieder Melodien, (erhebende) Klänge oder auch die geschlossenen Formen, die eben ein Gleichmaß, eine Ruhe bewirken. Es kann auch Freude an der Konstruktion, mehrstimmigen Sätzen etc. aufkommen, aber die geht schon nicht mehr ganz so tief. Sonstige, vermeintlich mathematische Beziehungen z. B. kann ich bestaunen. Das wäre aber sicherlich nicht der Grund dafür, dass ich auch Musik Bachs mit auf die einsame Insel nehmen würde.


    Ich bleibe dabei: Die meisten Menschen entscheiden sich für ihre Musik mit dem "Bauch". Und die somatische Wirkung der karajanschen Interpretationsästhetik ist schon mehrfach beschrieben worden. Ähnliches gilt aber auch für Bernstein, Solti etc., die ebenfalls mit Dynamik, Rhythmik, Pathos etc., also uns sehr direkt ("unterhalb des Kopfes") ansprechenden Gestaltungsmitteln arbeiten.


    Loge

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    Original von Kurzstueckmeister
    K kostet das aus, was das geringste musikalische Verständnis, die geringste Bildung verlangt.


    Das mit den "auskosten" ist mir zu unmusikalisch. Sagen wir, die entsprechenden Gestaltungsmittel stehen im Vordergrund. Das gilt dann aber auch für Bernstein und Solti etc., denn auch Dynamik, Ekstatik, Rhytmik etc. werden ohne tieferes musikalisches Verständnis unmittelbar wahrgenommen und entfalten ihre Wirkung auf somantischer Ebene. Ich glaube in der Tat, dass ein Dirigent, der in seinen Interpretationen vor allem Kontrapunkt oder Transparenz (ohne Rücksicht auf den dabei erzielten Klang) in den Vordergrund stellt, eine vergleichsweise kleine Anhängerschaft um sich scharen wird. Das dürften dann ausgesprochen kopflastige, nüchterne, musikalisch gebildete Menschen sein.


    Loge

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    Original von Wulf
    Die mediale Überpräsenz erreicht selbst in vermeintlich seriösen Tageszeitungen eine Qualität, die der Berichterstattung über Britney Spears und anderen Sternchen in Boulevard-Formaten alle Ehre macht.


    So, lieber Wulf, dann nenne uns doch bitte mal diese "vermeintlich seriösen Tageszeitungen" mit den an Britney Spears erinnernden Berichtserstattungen über Karajan. Ich nehme für Dich mal folgendes vorweg: Die Berichte in der Welt, der SZ, der FAZ, der Frankfurter Rundschau, der Berliner Zeitung, der ZEIT kannst Du nicht meinen. Die habe ich gelesen und die waren durchweg auch ausgewogen kritisch. Welche meinst Du also? Bitte auch den Artikel nennen.


    Loge

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    Original von Kurzstueckmeister
    Jedenfalls vermittelt er den EINDRUCK klangschön opulenter, tiefgründig-ernsthafter Präzision (?)


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    Wer mag sich noch den Kopf zerbrechen, wieso Ks Aufnahmen besonders geeignet sind, eine Fixierung des Hörers auf einen Dirigenten hervorzurufen? Bislang habe ich "Breitwandsound", "Glätte", "Perfektion" im Gedächtnis. Aber da fehlt noch was, Ks Aufnahmen wirken ja auch besonders irgendwie weihevoll-tiefgründelnd?


    Lieber Kurzstückmeister,


    zunächst einmal finde ich Deine Eindrücke, die u. a. noch um die Merkmale feurig, federnd, rhythmisch zu ergänzen wären, denn das war er zuweilen auch, recht passend beschrieben. Es ist wohl so, dass Karajan einen ausgeprägten Personalstil entwickelt hat und solche Dirigenten naturgemäß eher eine feste "Anhängerschaft" gewinnen, als andere Dirigenten, deren Stil "austauschbarer" erscheint. Auch kann man sagen, dass zuerst einmal Klang und dann Rhythmus seine primären Gestaltungsmittel waren.


    Und nun ist es doch auch interessant, dass z. B. Wagner einen Hörer - einmal gewonnen - für immer und beinahe militant - wie kaum ein anderer Komponist - an sich bindet. Ähnliches lässt sich wohl auch für Bruckner sagen oder vielleicht auch für Debussy. Es sind also vielleicht vor allem die Komponisten, die sich durch berückend schöne, wie Drogen wirkende Klänge auszeichnen. Erst danach kommen Rhythmus und Melodie.


    Vielleicht lässt sich auf diesem Wege eine musikalische Erklärung für den Erfolg der karajanschen Ästhetik finden, dessen Ästhetik ja stark von der Spätromantik geprägt ist? Das Argument mit der PR zieht meines Erachtens ja nicht, weil PR doch immer nur unterstützend wirkt. Nur über PR lassen sich Legenden (ob in der Klassik oder im Rock/Pop) nicht begründen.


    Loge

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    Original von Edwin Baumgartner
    Ich führe über genau gehörte Aufnahmen Buch und trage mir systematisch nach gleichbleibenden Kriterien meine "Kritiken" ein.


    Genial! Damit ist auf jeden Fall gewährleistet, dass der einmal gewonnene Eindruck eines ästhetischen Erlebens zeitlebens konserviert wird. Wie praktisch und übersichtlich die Kunst da doch gleich wird! Und man muss sich auch nicht mehr von dem allgemein bekannten (und eigentlich faszinierenden) Phänomen verunsichern lassen lassen, dass sich solche Eindrücke über eine Lebensspanne hinweg erheblich ändern können und man vielleicht eine ganz andere Sicht auf die Dinge entwickelt.


    Hast Du eigentlich Deine James Last Sammlung auch nach den ehernen Kriterien Deines Büchleins katalogisiert? Und was hast Du den da unter der Spalte "Transparenz" oder "Bläserbalance" notiert? :hahahaha:


    Loge

    Paumgartner scheint neben alledem wie der Organist und Motorradrennfahrer Wolfgang von Karajan, der ältere Bruder Herbert von Karajans, ein rechter Motorrad-Freak gewesen zu sein. Beide fungierten zuweilen auch als Sprecher bei Motorradrennen.


    Den bedeutendsten Moment für die Musikkultur des 20. Jahrhunderts hatte Paumgartner wohl, als er dem jungen Pianisten Herbert von Karajan, nachdem er ihn ebenfalls zu einem Motorrad-Freak gemacht hatte, riet, Dirigent zu werden.


    Hoch lebe Bernhard Paumgartner!


    Loge

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    Original von Edwin Baumgartner
    Lieber BBB,


    Monteverdi ist mir klar. Da aber Karajan Bach aufgenommen hat, würde ich mich an Deiner Stelle schon jetzt nach einem Anwalt umsehen... :D
    :hello:


    Soll das etwas andeuten, es gäbe keine aufgenommene künstlerische Aussage Karajans zu Monteverdi? Mitnichten! - Karajan hat Monteverdis L’incoronazione di Poppea 1963 in der Wiener Staatsoper - eine Pioniertat! - zur Aufführung gebracht und davon gibt es auch einen Mitschnitt. Die Aufnahme würde BigBerlinBear sicher große Freude bereiten, da Monteverdi hier ein schönes romantisches Klangkleidchen umgelegt wird, worauf sich der Harnoncourt dachte: Mensch, Monteverdi, kannte ich gar nicht, klingt aber gar nicht so übel. Und das war dann der Beginn der Monteverdi-Renaissance. :D


    Loge

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    Original von Edwin Baumgartner
    Unser Blindtest-Kreis, der sich lange Zeit relativ regelmäßig getroffen hat, umfaßte (außer mir) 1 Musiker eines Wiener Spitzenorchesters, 1 Komponisten/Dirigenten und 1 Pianistin. Es gibt mehr Möglichkeiten in der Welt, als Deine auf Karajan-Verehrung begrenzte Fantasie sich vorstellen kann.


    Drei Dinge: 1. würde ich mal ernsthaft ein rebranding für Deine derart hochkarätig besetzte Erkenne-das-Zitat-Gruppe erwägen, 2. verstehe ich nicht, warum Du jetzt gleich wieder mit Spitzen-Komponisten-Dirigenten-Pianisten um Dich wirfst, wo Du doch mich immer so gerne der vermeintlichen Hörigkeit gegenüber Autoritäten zeihst und 3. sagen doch diese individuellen Hörergebnisse nach Deiner eigenen Philosophie ohnehin mehr über die Hörenden aus, als über das Gehörte, oder? So gesehen würde ich die Gruppe also besser gleich ganz auflösen.


    :baeh01:


    Loge