Liebe Taminoianer,
ich versuche den interessanten Thread hier mal wieder zu beleben.
Schostakowitsch ist mein eindeutiger Lieblingskomponist, und ich entdecke immer wieder überraschend neues.
Zu Schostakowitsch kam ich Mitte der 90er Jahre. Nach vielen Jahren Tschaikowsky, Beethoven, Brahms, Mozart, Rachmaninoff, ... hatte ich musikhörerisch eine kleine Krise, in der ich etwas Neues brauchte. Ich kam irgendwie auf Prokofieff, dessen Klavierkonzerte und -sonaten mich ansprachen. Seine Sinfonien sind seltsam, aber insbesondere seine 6. gefiel mir. Zu der Zeit kaufte ich als erste CD von Schostakowitsch seine 8. Sinfonie, Ashkenazy (Decca) (wie auch die 6. von Prokofieff). Bis heute ist die 8. Sinfonie einer meiner Favoriten, und auch diese Aufnahme finde ich bisher immer noch ungeschlagen. Die "katastrophale" Steigerung im ausgedehnten Satz hat eine unglaubliche Wirkungskraft, das anschließende Englischhornsolo als anklagende menschliche Stimme ist erschütternd. Der maschinenhafte 3. Satz ist einer der besten überhaupt, mit den unter die Haut gehenden Schreie der Es-Klarinette und Oboe.
Sehr bald lernte ich die Musik auch im Konzertsaal kennen. Ich glaube, mein erstes Schostakowitsch Konzert war das 1. Violinkonzert mit Maxim Vengerov und Swetlanow. (Später hörte ich das Konzert mal mit Vengerov und Rattle bei den Proms in der Royal Albert Hall.) Die erste Sinfonie live war die 11. Sinfonie, NDR unter Semyon Bychkov. Das sicherlich beeindruckenste Konzerterlebnis bis dahin. Auch bei meiner Freundin war der Funke schnell übergesprungen, und sie hat meine Begeisterung geteilt.
Ich stoppe hier mal meine Vorgeschichte, die auch quasi als Vorstellung hier im Forum dienen soll.
Im folgenden stichwortartig ein paar persönliche Anmerkungen/Gedanken, die mir gerade so in den Sinn kommen und daher auch keinen endgültigen Charakter haben.
Unmelodiös. Ich kann nicht nachvollziehen, wie man (die Musik von) Schostakowitsch als unmelodiös bezeichnen kann. Sicherlich ist etwa Rachmaninoff melodiöser. Aber ich empfinde Schostakowitsch, auch gerade in den Sinfonien, als ausgesprochen melodiös, gespickt mit Dissonanzen.
CDs vs. live. Man sollte die Musik unbedingt so oft wie möglich im Konzertsaal erleben. Wucht und Dynamik sind unübertroffen. Es ist oft unglaublich, wieviel Sch. mit kleinsten Mitteln aus dem Orchester herausholt. Das führt umgekehrt zu Problemen bei CD-Aufnahmen, wenn die Technick an ihre Grenzen stößt. Bei älteren Aufnahmen hört man oft, wie an den lauten Stellen runtergepegelt wurde, und man muss sich dann vorstellen, wie es im Konzertsaal wäre. Andererseits hat die Aufnahmetechnik in den letzten Jahren doch ernorm zugelegt. Andererseits, will man es sich mit den Nachbarn nicht verscherzen, muss man oft selbst runterpegeln
Zweischneidig ist dann aber auch, ältere oder historische Aufnahmen in minderer Klangqualität mit modernen in sehr guter Klangqualität zu vergleichen. Mir persönlich ist gute Klangqualität sehr wichtig.
Sinfonien. Meine Favoriten: 4, 8, 10, 13, 14, auch 5, 6, 11. Die für m.E. schwächste ist sicherlich Nr. 12. Nr. 2 und 3 würde ich nicht als Propagandamusik sehen. Abgesehen von den Schlußchören bieten sie viel interessante Musik und gehören zu den experientierfreudigsten und avantgardistischen Werken von Sch. überhaupt.
Nr. 1. Höre ich selten. Ich habe sie mal live erlebt, da war alles viel fesselnder. Finde hier die Jansons-Aufnahme mit den Berlinern auch enttäuschend. Insbesondere mag ich nicht, wenn die kleine (Militär-) Trommel wie hier windelweich klingt. Haitink finde ich hier viel besser.
Nr. 4. Für mich ist das soetwas wie Schostakowitschs "Sacre". Rattle (Emi) ist guter Standard, in ähnlicher Liga spielen Gergiev (Philips) und Jansons mit dem BSO (Emi). Mindestens so gut wie alle anderen ist wohl auch Bychkov mit den Kölnern (Avie). Kondrashin (Melodiya 2006) ist leider klangtechnisch auf ganz anderem Niveau. Neulich ist mir die Version für zwei Klaviere in die Hände gefallen. Ist schon interessant, dass man dabei die Klangfarben des Orchesters alle "hört".
Leider ist es mir bisher nie gelungen, die 4. mal live zu erleben. Es muss bombastisch sein. Zweimal hab ich erlebt, da wurde sie kurz vorher durch ein anderes Stück ersetzt. Ich vermute, dass die Größe des Orchesters problematisch ist. Die Aufführungen in Köln unter Bychkov dieses Frühjahr habe ich irgendwie "verschlafen".
Nr. 5. Bernstein mit dem schnellen Finale gefällt mir nicht. M.E. geht die Musik dabei völlig verloren. Die beeindruckendste Stelle für mich in der ganzen Sinfonie ist im 4. Satz, wenn sich in den Holzbläsern im piano der Schluss aufbaut. Dies hat nur langsam gespielt eine Wirkung (etwa wie bei Barschai (Brilliant) oder Kondrashin). Bei Bernstein nehme ich diese Stelle garnicht war und wundere mich, dass sie schon vorbei ist.
Nr. 8. Wie gesagt, am besten gefällt mir immer noch die von Ashkenazy.
Nr. 10. Ich mag besonders die Aufnahme unter Levi mit dem Atlanta Sinf. Orchester (Telarc). Auch Roshdestwenskij (Melodia) ist sehr gut, aber klangtechnisch nicht auf höchstem Niveau (die Streicher klingen wie in einer Sporthalle aufgenommen). Bychkov mit den Kölnern (Avie) hat mich beim ersten Hören enttäuscht, ich weiss nicht mehr warum, aber inzwischen halte ich die Aufnahme für gut.
Nr. 13. Mein eindeutiger Favorit: Barschai mit den Kölnern. Der Bass Aleksashkin ist absolute Spitze, aber auch der Orchesterklang. Die beeindruckendste Stelle der gesamten Sinfonie ist für mich, wenn im 1. Satz nach dem orchestralen Höhepunkt und der Überleitung des Männerchors der Bass wieder einsetzt, da kriege ich nur bei dieser Aufnahme eine absolute Gänsehaut. Zudem wird diese Stelle nicht zu leise vom Orchester unterstützt und die (tiefen) Bläser eine fantastische Klangfarbe erzeugen. Im Prinzip ist auch Jansons mit dem BSO und dem selben Bass gut, aber leider doch in vielen Details deutlich schlechter als bei Barschai. Auch Kondrashin (habe seit gestern die Melodiya 2006 Gesamtaufnahme) hält da nicht mit. Bei Kondrashin gefällt mir aber sehr der 2. Satz "Humor". Früher hatten für mich sowohl Haitink (gut hörbare hohe Holzbläser beim katastrophalen Höhepunkt im ersten Satz) als auch Järvi (Götenburg, DG; sehr schnelle, mechanisch klingende Orchestereinsätze) ihre Reize.
Nr. 14. Haitink finde ich hier eine sehr gute Wahl. Zum Beispiel finde ich Rilkes "Tod des Dichters" hier unübertroffen. Das mag auch daran liegen, dass der Text hier in deutsch gesungen wird (was von Sch. autorisiert, sogar musikalisch angepasst worden ist). Leider finde ich hier die Aufnahme von Barschai nicht so überzeugend. Guter Bass, aber das Orchester agiert sehr zurückhaltend. Ich schreibe "leider", da Barschai ja die Uraufführung geleitet hat. Sowohl Bass und insbesondere Orchester gefallen mir bei Jansons mit dem BSO sehr gut, aber ich ich kann mich nicht mit der Sopranistin anfreunden. Zu Rattle mit dem BPO habe ich keine rechte Meinung, die Aufnahme reisst mich jedenfalls nicht vom Hocker.
Konzerte. Hier fällt auf, dass die beiden Klavierkonzerte auf einem ganz anderen Niveau (humoristisch/"leichte" Musik) sind als die entsprechenden Paare für Violine bzw. Cello, die viel ernster und tiefer sind. Die Klavierkonzerte höre ich sehr selten. Das 1. Violinkonzert halte ich für eines der besten Violinkonzerte überhaupt, und sicherlich eines der intimsten Orchesterwerke von Sch. Ich war immer mit Vengerov/Rostropowitsch zufrieden. Allerdings war ich angenehm überrascht von Sarah Chang/Rattle BPO (EMI), und höre sie momentan lieber. Bei youtube habe ich mal Hillary Hahn mit dem 1. Violinkonzert gesehen (habe Dirigent und Orchester vergessen), ich empfand das aber als ziemlich emotionslos dargeboten. Bei den Cellokonzerten bin ich sowohl mit Maisky als auch mit Mork zufrieden.
Kammermusik. Ein völlig andere Welt gegenüber den Sinfonien und Orchesterwerken. Das 2. Klaviertrio ist fantastisch. Für mich eines der intimsten und erschütterndsten Stücke von Dsch. Mir gefällt sehr gut die Aufnahme mit dem Beaux Arts Trio, auf der mir auch die Romanzen von Alexander Blok sehr gefallen, auch wenn ich darüber schon mehrmals negative Kritiken gelesen habe. Streichquartette mag ich besonders das 8., 9., 10. und das 13. Allerdings kenne ich nicht alle. Ich bin mit den Aufnahmen mit dem Eder Quartett (Naxos) zufrieden.
Bei der Klaviermusik ist bei mir der Funke noch nicht so recht übergesprungen. Mir gefallen einige Stücke der 24 Präludien und Fugen sehr. Die 2. Klaviersonate hat sich mir noch nicht ganz erschlossen. Woran liegt das?
Opern. Seit ich die DVD der Amsterdamer Inszenierung habe, bin ich von der Lady Macbeth begeistert. Beeindruckend ist auch "Die Nase", das vermutlich avantgardistischte Werk von Sch. Die Roshdestvenskij-Aufnahme (CD) ist absolut zu empfehlen. Mir gefällt auch dessen Aufnahme von dem Operfragment "Die Spieler". Es gibt zudem eine sehr schöne CD (Petrenko/Liverpool; Avie) mit "Die Spieler" und der Oper "Rothschilds Geige"von Schostakowitsch' Schüler Benjamin Fleischmann. Beeindruckend ist, wie unterschiedlich die drei Opern "Die Nase", "Lady Macbeth" und "Die Spieler" sind.
Filmmusiken. Ballette. ... vielleicht ein anderes mal ...
Dirigenten. Für sehr gute Schostakowitsch-Dirigenten (nach Mavrinski und Kondrashin) halte ich Roshdestwenskij, Barschai, Bychkov, und vermutlich auch Gergiev. Bei Roshdestwenskij sind die Einspielungen der Sinfonien leider tontechnisch nicht auf höchstem Niveau. Aber auch einige Aufnahmen von Ashkenazy, der ja von Haus aus Pianist ist, gefallen mir sehr. Die Gesamteinspieleungen von Haitink, Roshdestwenskij, Barschai und Ashkenazy sind mit Sicherheit zu empfehlen. Aufnahmen von Kurt Sanderling habe ich leider nicht. Eine Liveaufführung der 6. Sinfonie von Prokofieff lassen mich aber glauben, dass es sich lohnen würde. Von Rostropovich, der ja von Haus aus Cellist ist, kenne ich dirigiert nur die 11. (die fand ich früher gut), und seine Lady Macbeth, bei der ich viel gutes und schlechtes sehe. Und Gergiev? Gelungen finde ich bei ihm die 4. Auch die 7., je nach Laune. Seine 5. und 9. auf einer CD habe ich jetzt nicht so präsent. Sicherlich nicht herausragend. (Hier habe ich jetzt bestimmt den einen oder anderen Dirigenten vergessen aufzuzählen.)
Jansons. Sehr gemischt. Es gibt für mich bei den Sinfonien einige Enttäuschungen. Etwa Nr. 1, 8, 10. Die 7. gehört wohl schon zu den besseren. Zu seinen besseren zählen m.E. aber die 15. mit dem LSO und insbesondere die mit den Bayern gemachten Aufnahmen, die 2., 13. und 14. (Übrigens finde ich seinen Le Sacre du Printemps von Strawinski unschlagbar gut.) Seine absolute Glanzleistung ist für mich aber die DVD-Aufnahme der Lady Macbeth mit dem Concertgebouw-Orch. Klar ist, dass er ein glühender Verehrer Schostakowitschs ist. Daher ist die hohe Anzahl der eher mittelmäßigen Aufnahmen für mich recht unverständlich. (Übrigens finde ich auch seine Aufnahmen der Rachmaninoff-Sinfonien nicht gerade mitreißend.) Schade.
Bychkov. Es gibt ja schon einige Aufnahmen (ich habe Nr. 4, 10 und 11, allesamt zu empfehlen), man darf auf weitere Neuaufnahmen gespannt sein. Im WDR-Fernsehen habe ich vielversprechende Aufzeichnungen mit ihm der Sinfonien Nr. 5 (schon viele Jahre her) und Nr. 6 gesehen. Ich glaube, ich habe mal gelesen, die Avie-CDs soll es später mal als DVD geben? Kann das jemand bestätigen?
Es ist jetzt doch länger geworden, als ich das geplant hatte. Und doch völlig lückenhaft, und außerdem spiegelt einiges nur meine momentane Stimmung wider...
maticus
P.S. Habe ja seit gestern die Kondrashin GA. Schön sind die "Zugaben", die man ansonsten nur selten bekommt. Ich hatte zwar schon die Stücke "Oktober" (Ashkenazy) und "Hinrichtung des S. Razin" (Jurowski) in meiner Sammlung. Aber diese beiden Stücke gefallen mir hier von Kondrashin sehr gut. Schade nur, dass bei "Oktober" zwischendurch völlig runtergepegelt wird. Es wäre sonst eine fantastische Aufnahme...