Zitat
Original von Kurzstueckmeister
Und warum schaue ich mir im Louvre gerne Rigauds Bildnis Ludwig des XIV. an? Bin ich deshalb Absolutismus-Fan?
Ganz einfach, weil der Rigaud bereits gestaltet ist. Musik und Schauspiel existieren nur als geistige Essenz, niedergelegt in Noten und Buchstaben. Das physische Leben eines Rigaud-Gemäldes haben die nicht.
Wenn ich also solcherlei Werke zur Aufführung bringe, muß ich mir die Frage stellen, welche spezifischen Wirkmöglichkeiten hat Theater heute (oder eine Orchester heute).
Bleiben wir beim Theater: Peter (Brixius) hat im persönlichen Gespräch angemerkt, daß der Feind des Theaters der Film sei (ich verknappe die Aussage jetzt entschieden, Peter wird den Gedanken noch weiter ausführen). Wenn die Aufgabenstellung lautet, eine Libretto ist mit Blick auf Kulissenvorgaben 1:1 umzusetzen, dann hat das Theater per se verloren. Daran ändern auch all die neuen technischen Tricks nichts.
Edwin hat gestern ein gutes Beispiel angeführt: Die Felsenstein-Inszenierung vom "Schlauen Füchslein". Die ist wohl tatsächlich so aufgeführt worden. Der wundervolle Zauber des Filmes ist allerdings darin begründet, daß er sich der spezifischen Möglichkeiten des Films bedient. Da wird stark gesoftet, der Film ist übrigens s/w, was zwar schwieriger zu drehen ist aber auch starke visuelle Moment erzeugen kann, Close-Ups, singt das Füchslein, sehe ich das Füchslein, der Jäger hat dann - visuell gesprochen Pause - all das ist mir als Besucher eine Opernhauses nicht möglich.
Kurz zurück zu Rigaud: als die Photgraphie aufkam, begann die Malerei ihr Monopol in der reinen Gegenstandsabbildung zu verlieren. Natürlich wurde noch gegenständlich gemalt. Auch ermöglichte die Photographie ganz neue Einsichten in Bewegungsabläude, die dann wieder in Malerei übersetzt wurden -namentlich nenne ich hier Edgar Degas, etwa Pferde in den Phasen Schritt - Trab - Galopp. Nichtsdestotrotz begann die Malerei, die Psyche des Menschen auszuloten, etwa in den "sensations colorants" eine Delacroix, die das prozessuale Bildentstehen in der menschlichen Wahrnehmung zum Gegenstand haben. Die logische Konsequenz war die ungegständliche Malerei. Das ist nun kräftig verkürzt, weist gleichwohl auf den Selbstfindungs- und Selbstbehauptungsprozeß hin, den die Malerei in Abgrenzung zu einem neuen Konkurrenzmedium zu durchlaufen hatte.
Eine solche Notwendigkeit sehe ich auch für die Theater. Solange ich als Beschauer mit der äthetischen Grenze (E.Michalski) der Guckkastenbühne zu kämpfen habe, gleichwohl aber auf prachtvolle Ausstattungsinszenierungen setze, kann der Film seine Illusionerzeugenden Möglichkeiten dem Theater gegenüber ausspielen. Das ist nun leider so.
Tatsächlich haben wir heute folgende Optionen: Oper ohne Bild daheim von Platte oder sonstigem Tonträger, Oper mit Bild als Film im TV, Oper mit Bild als Film im Kino, Oper als Abfilmung im Kino, Oper als Abfilmung im TV, Oper im Theater konzertant und Oper im Theater szenisch. Das sind alles andere Medien, die sämtlich unterschiedliche Formen von Aufmerksamkeit und Konzentration einfordern, überdies auch unterschiedliche Wahrnehmungsprozesse anstoßen. Soweit als der Befund.
Das Theater hat hierin für mein Verständnis die Aufgabe, eine zeitgemäße Ästhetik zu entwickeln, die hautsächlich das Medium Theater bieten kann. Da stellt sich die Frage modern vs. konservativ - wie ich glaube - nicht mehr.
Aus meiner bescheidenen Operngänger-Karriere fallen mir ein paar Inszenierungen ein, die starke Bilder und Eindrücke erzeugt hatten, die nur so im Theater zu erleben waren: Halevy/Jüdin (John Dew, Dortmund), Beat Furrer/Die Blinden (?/Aachen-Wien), Wagner/Walküre (Carson/Köln). Und da wären gewiss noch mehr zu benennen.
Liebe Grüße vom Thomas