King Oliver ist für mich einer der frühen Jazzpioniere, die ich heute noch sehr gerne höre. Wie ich empfinde, ist dies Musik, die direkt von innen nach außen geht; eine auch bei den großen Klassikern nicht immer selbstverständliche Sache.
Der 1885 auf einer Plantage in Louisiana geborene Joseph Oliver kam schon als Kind nach New Orleans und jobbte dort anfangs als Aushilfsarbeiter, bevor er in den bekanntesten Bands dieser Stadt, so bis 1918 bei Kid Ory, wie Alfred bereits anführte, musizierte. Daraufhin siedelte Oliver nach Chicago. Wie damals nicht unüblich, übte er zwei Jobs in Tanzclubs gleichzeitig aus: den einen vom frühen Abend bis nach Mitternacht, dann sofort in dem anderen Club bis zum frühen Morgen. Dies war übrigens die Zeit der großen und anerkannten Gangster wie Al Capone, die durch das Alkoholverbot ihre große Stunde sahen, um die Chefs der (nicht nur Unter-)welt zu werden.
Dann endlich brachte es Oliver zu einer eigenen Band: Der legendären „Creole Jazz Band“. Schnell wurde diese zur größten, d.h. besten Jazzband Chicagos. Der Erfolg war riesig; Oliver wurde der „King“ genannt. Die größte Zeit kam, als der damals noch unbekannte 22-jährige Louis Armstrong als zweiter Trompeter oder besser: Kornettist zu ihm stieß. Es war die Zeit der Kollektivimprovisationen und kurzen Orchesterbreaks. Die beste Zeit dieser Band war 1922 und 1923, leider verblasste der Erfolg wieder sehr schnell, als sich die besten Solisten entfernten und in anderen Bands ihr Glück suchten und auch fanden.
Der Kern der Band zu besten Zeiten bestand aus: King Oliver, Louis Armstrong (beide Kornett), Honore Dutrey (Posaune), Johnny Dodds (Klarinette), Lil Hardin (Klavier; die zukünftige Frau Armstrongs) sowie Baby Dodds (Schlagzeug). Dazu kamen Banjospieler wie Bud Scott oder Johnny St. Cyr und wenige andere. Sie spielten einige schöne Stück in Richmond und Chicago auf Schallplatte ein (Gennett, Okeh und Paramount). Ich habe sämtliche Aufnahmen von 1923 auf zwei CDs und finde diese sehr interessant und fetzig.
Die gute Laune, aber auch Disziplin, sind gut herauszuhören. Natürlich sind die Improvisationen weder sehr lang noch sehr frei, alles spielt sich im Zweivierteltakt ab; aber wir haben es hier mit einer interessanten Epoche zu tun: Der Glanzzeit Olivers und dem Beginn Armstrongs. Armstrong soll Olivers Lieblingsschüler gewesen sein. Er hat ihn gefördert und neben sich gehabt, bis sich dieser von ihm distanzierte und seine eigene, noch spektakulärere Karriere startete. Diese interessante Beziehung zweier Stars ist für mich schön und tragisch zugleich.
Denn nachdem Armstrong, wie die anderen Stars auch, King Oliver verließ, ging es mit diesem stetig bergab. Oliver gründete mit wenigerklassigen Musikern zwar noch die „Dixie Syncopators“, um in Savoy zu spielen, schlägt dann aber ein Engagement im Cotton Club aus. Dieses bekam dann ersatzweise der noch unbekannte Duke Ellington, um dort eine unvergleichliche Weltkarriere zu starten.
King Olivers Erfolge blieben in der Folge aus, was auch am sich wandelnden Publikumsgeschmack hin zu „seichteren und glatteren“ Tönen lag. Es folgten sowohl finanzielle als auch gesundheitliche Probleme; innerhalb kurzer Zeit fielen sämtliche Zähne aus, so dass weiteres Musizieren unmöglich wurde. So jobbte der verarmte „King“ in einem Gemüseladen und als Servierer in Cafes, bis er 1938 völlig verarmt an einer Gehirnblutung starb. Kurz vorher schrieb er, der Brief ist noch erhalten, an seine Schwester: „Wenn sich eine Tür schließt, macht der liebe Gott eine andere auf“. Leider wurde ihm diese Tür nicht geöffnet, wohl aber seinem ehemaligen Lieblingsschüler sehr weit.
Oliver schrieb mehrere Kompositionen, die noch Jahrzehnte später als Klassiker galten, wie das „Sugar Foot Stomp“. Ist es nicht traurig zu hören, was Louis Armstrong Jahrzehnte später berichtete; dass nämlich Oliver im Jahre 1928 zu einem Konzert des inzwischen großen Stars Armstrong ins Savoy kam und leise für sich hinweinen musste…
That´s Jazz.