Hallo,
ich würde gerne ein Werk vorstellen, das ich neulich im Radio gehört habe, und das mich auf Anhieb fasziniert hat: »In luce ambulemus«. Es wurde 2007 komponiert von der aus Südkorea stammenden, aber in Deutschland lebenden, komponierenden und lehrenden Komponistin Younghi Pagh-Paan. Pagh-Paan verbindet in ihrer Musik Elemente traditioneller koreanischer Musik mit Techniken westlicher neuer Musik.
Pagh-Paan erklärt dies so: "Wie bei vielen anderen, die - wie wir sagen "draußen" leben, brachte die zunehmende Erfahrung der Ferne eine Gegenbewegung in mir hervor. Diese zwang mich, in die Geschichte meines eigenen Landes einzudringen, welche mir wie ein Spiegel einer allgemeinen Welt-Situation erscheint. Das bedeutet: nicht zu vergessen, was ich wusste, und - so gut es geht - aufzuklären, was ich nicht gewusst habe. Das wenigste, was ich auch im Ausland tun kann, ist, meine Erinnerung wachzuhalten."
Quelle: Younghi Pagh-Paan, Was ist Welt-Musik? Was ist zeitgenössische Musik?, in: Reader zur Tagung „Das Eigene und das Fremde“, Bremen: projektgruppe neue musik bremen, 1992, S. 45.
Eine Aufnahme dieses Werkes existiert meines Wissens nicht. Allerdings ist das Werk immer wieder im Radio zu hören.
Biographie:
Younghi Pagh-Paan wurde am 1945 in Cheongju, Südkorea, geboren. Sie studierte von 1965 bis 1971 an der Seoul National University und von 1974 bis 1979 an der Musikhochschule Freiburg i. Br. bei Klaus Huber (Komposition), Brian Ferneyhough (Analyse), Peter Förtig (Musiktheorie) und Edith Picht-Axenfeld (Klavier). Seit 1994 ist sie Professorin für Komposition an die Hochschule für Künste Bremen.
Werkeverzeichnis:
2008: Mich dürstet; Fanfare
2007: Bleibt in mir und ich in euch; Qui-Han-Nim / Edler Mann; Gi-da-ryo-ra / Warte nur; Das Universum atmet, es wächst und schwindet; Vide Domine, vide afflictionem nostram; In luce ambulemus / Im Lichte wollen wir wandeln
2006: Mondschatten (Moon Shadow)
2005: HANG-SANG III; Hin-Nun II / White Snow
2004/05: Wundgeträumt
2003: Moira
2002: Louise Labé; Silbersaiten
2000/01: Dorthin, wo der Himmel endet; Roaring Hooves
1999/2000: IO
1999: BI-YU
1998: sowon...borira
1997: GO-UN NIM; In dunkeln Träumen...; Die Insel schwimmt
1996: NOCH...; NE MA-UM
1995: SOWON / The Wish; TA-RYONG V
1994: HANG-SANG II
1993: TSI-SHIN-KUT / The Ritual of the Earth Spirit; HANG-SANG I
1992: Rast in einem alten Kloster; BIDAN-SIL / Silk Thread; U-MUL / The Well
1991: TSI-SHIN / TA-RYONG III; TA-RYONG IV; Mein Herz
1990: MA-UM; ma-am (Mein Herz)
1989: HWANG-TO II
1988: TA-RYONG VI; HWANG-TO / Yellow Earth
1987: TA-RYONG II
1986: NIM
1985: HIN-NUN I
1984: NO-UL; AA-GA I
1983: Flammenzeichen (Sign of the Flames)
1982: PYON-KYONG
1981: Madi
1979: NUN; Sori
1977: MAN-NAM II; Man-Nam III; Man-Nam I
1975: Dreisam-Nore
1971: PA-MUN
Zum Werk:
Das Werk wurde am 19.10.2007 bei den Donaueschinger Musiktagen uraufgeführt. Es dauert ca. 12 Minuten. „In luce ambulemus“ ist ein Werk für Tenor und Orchester. „In luce ambulemus“ bedeutet „im Lichte wollen wir wandeln. Pagh-Paan hat hier die die in lateinischer Sprache verfassten Briefe des koreanischen Priesters Yang-Eop Choe (1821-1861) vertont. Das Werk handelt von der lebenslangen Wanderschaft als Suche nach dem Lebensziel, das hier im Erreichen der Demut vor Gott gefunden wird.
Pagh-Paan äußert sich zur Inspiration für dieses Werk folgendermaßen: "Mich hat die Haltung dieses Priesters tief beeindruckt, zumal er ein Koreaner war. Er hat sich völlig hingegeben, und darauf verweist er in seinen lateinischen Briefen: „Me totum committo.“ Für mich war dieser Gedanke wie ein Leuchtturm. Er durchzieht das ganze Neue Testament. Jesus hat so gelebt. Und vor hundertfünfzig Jahren versuchte auch Yang-Eop Choe so zu leben. Diesem christlichen Gedanken des Sich-selbst-Entleerens entspricht im Tao das Nicht-Tun. Mit dem Unterschied, dass im Christentum, das eine Offenbarungsreligion ist, die Vollendung der Offenbarung eine wichtige Rolle spielt. Es wird erfüllt, was die Schrift verheißt, und Christus sagt: „Es ist vollbracht“. Das Sich-selbst-Entlehren (...) verlangt vom Menschen Demut."
Quelle: Max Nyffeler,”Grundlage jeder Kultur ist der Mensch”. Interview mit Yonghi Pagh-Paan, in: MusikTexte 119, 2008, S. 52 (53).
Max Nyffeler schreibt zur Musik dieses Werkes: "Die Partitur lässt eine Musik erkennen, die durch ein gespanntes Gleichgewicht zwischen Festigkeit der Form und stetigem Wandel des Klangs geprägt ist. Die Harmonik basiert wie auch in andern Werken der Komponistin auf statischen, über den Tonraum weit ausgebreiteten "Mutterakkorden", innerhalb deren sich das dicht gearbeitete heterophone Liniengeflecht als bewegter Energiestrom ergießt. Die zeitlichen Proportionen der Großform ergeben sich aus der Textdeklamation in der Singstimme, deren Intensität durch insistierende Wiederholung einzelner Textelemente verstärkt wird. In ihrem intervallischen Duktus und den mikrotonalen Tonschwankungen verweist sie auf die koreanische Vokalpraxis, wie überhaupt der ganze Ausdruckcharakter mehr in der fernöstlichen als in der europäischen Musiktradition zu wurzeln scheint. Der Konzentration nach innen, wie sie im Text zum Ausdruck kommt, entspricht ein reduzierter Orchesterapparat. Die Holzbläser sind nur zweifach, die Oboe sogar einfach besetzt, das Blech besteht einzig aus einer Posaune. Das Schlagzeug ist auf einen Spieler beschränkt, verfügt allerdings mit Glockenspiel und Zimbeln auch über auffallend helle Klangfarben. Sie treten mehrfach prominent hervor und unterstreichen subtil den rituellen Charakter der an innerer Dramatik reichen Musik."
Quelle: Max Nyffeler, Programmheft der Donaueschinger Musiktage 2007.
Viele Grüße
Sinfonie