um nochmal das "eigentliche" Thema "Krise der Gesangskunst" aufzugreifen:
ich gehöre sicherlich zu denjenigen, die eher dazu neigen, die "gute alte Zeit" zu loben. Aber ich denke, man muss das sehr differenziert angehen. Beim Liedgesang würde ich auch sagen, gibt es heute eine ebenso grosse Anzahl wirklich guter Sänger, die sich dieser Gattung annehmen, manche ja so gar ausschliesslich ! Früher haben die meisten Opernsänger auch das Liedprogramm gepflegt, allerdings wurden bei Liederabenden häufig nur ein Teil den "klassischen" Liedern gewidmet und der zweite Teil bestand aus Opernarien, weil das ein Teil der Zuhörer wohl sehr gern wollten. Auch empfinde ich die heutige Art und Weise, Lieder zu interpretieren, adäquater, als das was man früher zu hören bekam. Aber das ist ja beim Operngesang ähnlich. Was aber bedauerlich ist, das das grosse Publikum nicht mehr das Interesse hat, sich Lieder anzuhören. In den 60ern , 70ern und auch frühen 80ern des v.J. waren in den Abbonements-Programmen der Konzerthäuser immer mindestens ein Liederabend in der Saison zu hören. Das gibt es heute gar nicht mehr. Heute muss man kleinere , darauf spezialisierte Festivals besuchen, oder man hat das Glück, in der Nähe einer Hochschule zu leben und die dortigen Studenten bei ihren Auftritten hören zu können. Bei den grossen Festivals veranstaltet Salzburg allerdings verstärkt wieder Liederabende, dagegen München kaum noch.
Beim Operngesang muss man ebenfalls Differenzierungen vornehmen. Bei den Barockopern, bei Belcanto, bei Mozart und auch bei der Moderne ist sicherlich eine große Anzahl wirklich guter Sänger vorhanden und man kann die Rollen gut besetzen. Dagegen ist bei Verdi, Puccini, Wagner und R. Strauss die Möglichkeit sehr viel geringer. Man muss sich nur einmal nach einer Übertragung von Wagneropern z.b. aus Bayreuth, das gleiche Werk in einer alten Aufnahme (ebenfalls ein Live-Mitschnitt aus Bayreuth) anhören, um feststellen zu können, dass eine gewaltige Stimmkrise in diesem Fach gibt. Nicht nur die Protagonistenrollen, sondern auch die kleinsten Rollen waren früher mit ungleich besseren Sängern zu besetzen und ich denke, das liegt nicht nur daran, dass Bayreuth die finanziellen Ansprüche der heutigen Sängergeneration nur bedingt erfüllen kann. Ich glaube, dass in dem grossen, dramatischen Fach - ob in der italienischen oder der deutschen Oper- das heutige , hektische Sängerleben ohne die Möglichkeit stimmlich und künstlerisch zu reifen die Ursache der Misere ist. Junge Sänger, die eine Veranlagung für dieses grosse Fach mitbringen, werden nicht mehr gehegt und geflegt. Es gibt weder Agenten, noch Intendanten , Regisseure ja nicht einmal Dirigenten, die wirkliche Kenner von Sängerstimmen sind und verantwortungsvoll mit jungen Sängern umgehen. Welcher Dirigent der heutigen Generation ist denn den steinigen Weg , des Korrepititors, des Studienleiters, 1. Kappelmeisters usw. gegangen und hat dadurch seine Erfahrungen gesammelt. Wer heute einigermassen hoch und laut singen kann, wird sofort für die grossen Rollen verpflichtet. Wie sich das auswirkt kann man sehen, wenn man sich mal die Besetzungslisten der grossen Häuser oder Festspiele von vor 10 oder 15 Jahren ansieht. Wer von den damals jungen, neuen Stimmen singt heute denn noch ?
Ich weiss nicht, ob sich das Rad da nochmal drehen lässt oder ob der Hörer später einfach das akzeptieren wird, was ihm angeboten wird, weil er ja sonst die Werke der o.g.Komponisten nicht mehr zu hören bekommt.
Auch das "Nebenthema" der Originalsprache in der Oper ist für mich immer interessant. Ich gehöre ja noch der Generation an, die sowohl auf der Bühne, als auch im Rundfunk oder auf Platten, die fremdsprachigen Opern in den Deutschen Übersetzungen gehört hat. Damals fand ich das sehr schön, da ich ja viele Werke gar nicht kannte und froh war, die Texte zu verstehen. Noch heute geht es mir so, wenn ich ein Werk in Originalsprache höre, dass ich im "Hintergrund" den deutschen Text, der mir noch geläufig ist mithöre. So z.b. bei den Rezitativen der Mozartopern. Manchmal muss ich aber auch schmunzeln, wenn mir deutsche Texte zu Arien und Ensembles einfallen, die doch oft sehr gewöhnungsbedürftig sind, da bin ich dann doch froh, dass im Original gesungen wird. Dazu kommt ja auch noch, dass die heutige, internationale Sängergeneration, die Werke nicht mehr in den verschiedenen Sprachen einstudieren würde, auch bei plötzlichen "Einspringern" würde es ein babylonisches Sprachgewirr geben.
So, vielen Dank an alle, die meine lange Ausführung bis zum Ende gelesen haben !