Auch wenn man heute kaum versteht, warum einem Programm aus der 5. und 6. Sinfonie, dem 4. Klavierkonzert und 3? Stücken aus der C-Dur-Messe noch ein Abschlussstück von knapp 20 min hinzugefügt werden sollte, war das die Intention des Stück, ein krönender Abschluss mit allen beteiligten Kräften jener "Akademie" im Dezember 1808, vielleicht dem berühmtesten Konzert der Musikgeschichte... Natürlich ist es ein Kuriosum, aber ich weiß nicht, ob es damals, zur Zeit bunt gemischter Konzerte, die fast immer Sinfonien, Konzerte, Arien oder andere Vokalstücke, Improvisation oder wie hier sogar Chorwerke, enthielten, als solches aufgefallen ist.
Das Stück ist natürlich überhaupt nicht chaotisch, sondern planvoll abwechslungreich (in vergleichsweise leicht erfassbare Weise).
Nach der einleitenden Klavier-Fantasie, die Beethoven damals improvisiert hat (übrigens durchaus ähnlich wie entsprechende Abschnitte barocker Fantasien/Toccaten), gibt es zuerst noch einen weiteren einleitenden Abschnitt, schneller und marschartig, immer noch c-moll, wonach Bläser signalartig den Beginn des späteren Themas ankündigen.
Dann wird das eigentliche Thema des Stücks, also die Melodie, worauf später der Chor singt, vom Klavier vorgestellt und sofort zunächst eher einfachen Variationen unterworfen, die unterschiedliche Instrumente hervortreten lassen: Soloflöte, dann 2 Oboen, dann Klar+Fag. dann ein Solostreichquartett, dann das volle Orchester.
Alles nahe Umspielungen der volkstümlichen Melodie, sehr gut nachvollziehbar. Die danach mehrfache wiederholte Schlussphrase (Triller & punktiertes Motiv im Klavier mit "Antwort" vom Orchester) spielt später beim Chorteil nochmal eine Rolle.
Diesem Abschnitt folgt die erste stark kontrastierende Variation, nun wieder im c-moll des Anfang, schnelleres Tempo & fast ein bißchen ungarischer? Tonfall, auch freierer & ausführlichere Verarbeitung als bei den einfachen ersten paar Variationen.
Dann wieder Takt/Tempo/Tonartwechsel nach A-Dur, Adagio, 6/8, also deutlich langsamer, beinahe feierlich in Klar.+Fag, dazu Klavierfigurationen im hohen Register (wie sie im 4. Klavierkonzert. s.o. auch häufig auftreten). Schließlich wieder eine schnelle marschartige Variation, in der das Thema wieder leichter zu erkennen ist. (F-Dur, Variationen in wechselnden Tonarten sind eher selten, aber Beethoven hatte das in op.34 (F-ru über eine eigenes Thema) schonmal auf die Spitze getrieben) Der martialisch-triumphalen Ausbruch verklingt im ppp, als ob sich die Truppe entfernen würde, ein beinahe nachdenklicher Abschnitt des Klavier führt zum c-moll des Anfangs und auch zu dem einleitenden Marschmotiv zurück, wie eine Reprise, um nun den letzten Abschnitt (C-Dur) mit Gesang vorzubereiten, zuerst mit Solostimmen und Klavier, dann die 2. Strophe mit Chor und Orchester und dann folgt wieder die o.g. Schlussphrase, wobei nun der Chor dem Klavier antwortet. Codacharakter, Tempobeschleunigung (erinnert mich hier etwas an die Beschleunigung im Rondo der Waldsteinsonate) führt zu der von Ulli erwähnten Stelle mit der harmonischen Besonderheit auf "und Kraft" ähnlich zu "vor Gott" in der 9.) Diese Coda ähnelt entsprechenden Stellen der 9., dem Fidelio-Schlusschor, oder auch dem Schluss der Zauberflöte, 1. Akt.
Vgl. auch den Text "Wenn sich Lieb und Kraft vermählen, lohnt dem Menschen Göttergunst" mit Zauberflöte, Schlusschor 1. Akt:
"Wenn Tugend und Gerechtigkeit
der Großen Pfad mit Rum bestreut,
dann ist die Erd ein Himmelreich
und Sterbliche den Göttern gleich"
Die 9. Sinfonie war ja noch in weiter Ferne. Aber Parallelen sehe ich zum Eroica-Finale. Auch dort gibt es zuerst einige einfache umspielende Variationen (allerdings mit dem Bassthema), dann immer freiere, stark kontrastierende Abschnitte. Ebenso wie dort ist auch hier außerordentlich, was Beethoven aus einem schlicht-volkstümlichen Thema an Poesie (zB der Adagio A-Dur-Abschnitt) und Kontrasten herausholen kann und mit welcher Kunst die Übergänge gestaltet sind. Beethoven ist einfach ein sehr guter Komponist , auch in scheinbaren Gelegenheitswerken.
Es ist ein kurioses, aber auch ein brillantes und faszinierendes Stück, das ich lange nicht und selten mit der gebührenden Aufmerksamkeit gehört habe.