Beiträge von Vox

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    Original von Alfred_Schmidt
    Auch mich stört das ein wenig, daß hier immer wieder danach gewogen wird, wer "Antisemit" war und wer nicht.
    Das mag in einem Politforum angebracht sein -
    (Friedrich der Große und Kaiserin Maria Thresia von Österreich sind sakrosankt)
    auch in einem über Soziologie.,
    hat aber mit "Klassischer Musik" nach meinem Dafürhalten nichts zu tun.


    Aber könnte es nicht auf der anderen Seite fast schon als eine politische Aussage betrachtet werden, wenn hier die politische Vergangenheit der Dame einfach unbeachtet bliebe? Elly Neys Haltung und ihre aktive Teilhabe am Nationalsozialismus sind ein markanter Punkt ihrer Biographie, dazu sicher derjenige mit dem größten Diskussionsbedarf. Welcher Eindruck würde bei den Lesern entstehen, wenn in diesem größten Klassikforum an Ellys brauner Seite einfach vorbei diskutiert würde? Verschweigen könnte manch einer schnell auch als "tot schweigen" auslegen.


    Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Ich habe mich bei neutralen Quellen kundig gemacht
    (Wikipedia ist bitte KEINE, die frönen dort dem selben Sport, die politische Vergangernheit von einstigen Größen aufzuwärmen.


    Der Wikipedia-Art. mag tendentiös sein oder auch nicht. Aber die dort wiedergegebenen Zitate, die zudem gut belegt wurden, sind nun einmal Quellen.
    Sie stammen nicht aus der Feder irgendeines Wiki-Autors, sondern aus dem Munde Elly Neys. Das kann man also nicht Wikipedia vorwerfen.


    Hallo Thomas und Frank,
    das Fokussieren der faschistischen und antisemitischen Haltung Elly Neys hat in meinen Augen nichts mit "zurecht legen" oder "missbrauchen" zu tun. Sicher hatte diese Frau neben der politischen Haltung auch andere, vermutlich wunderbare Eigenschaften. Und es ist bestimmt ehrenwert, dass Ney sich auch in sozialer Hinsicht hat. Aber dies hier anzufügen, könnte wie ein Kompensationsversuch ihrer offenkundig mehr als fragwürdigen politischen Überzeugungen wirken.


    Elly Ney war Repräsentantin des NS-Staates - nicht, weil sie dazu gezwungen wurde. Auch nicht (oder nicht nur), weil sie - wie vielleicht Furtwängler - dadurch eigene Vorteile erlangen konnte. Sondern - soweit erkennbar - aus eigenem Antrieb, aus offenkundig innerer Überzeugung. Sie hat sich also nicht instrumentalisieren lassen, sie ist freiwillig und wohl ohne Not selbst aktiv geworden. Damit hat sie sich iin ihrem Bereich - dem Musikleben jener Tage - mit an die Spitze der Braunen gestellt und dabei geholfen, den Nazis eine Legitimation auch in kultureller Hinsicht zu geben.


    Und deswegen finde ich diesen Satz...

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    Original von Thomas Pape
    Zumal sie sich ohnehin nicht vor mir oder irgendeinem anderen Menschen zu verantworten hat.


    ...auch nicht richtig. Weil sie als angesehene Pianistin, die ihre Gesinnung nach außen trug, eben kulturpolitische Wirkung hatte. Und diese Wirkung hat sie sehr wohl zu verantworten.
    Das hat - zumindest in meinen Augen - eine andere Qualität als die (Nicht-) Handlungen all jener opportunistischer Profiteure, die es natürlich auch in der Musikwelt der damaligen Zeit gab.


    Wie auch immer man dies im Einzelnen bewerten mag - durch ein wenig pianieren vor ein paar Strafgefangenen ist dies sicher nicht zu relativieren (so ehrenhaft das eigentlich auch sein mag).



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    Original von Frank Georg Bechyna
    "Aufgeladen" hat nicht nur sie gspielt , aber der 2. Satz aus Opus 111 ist doch wie eine durchgehender verinnerlichter , kontemplativer
    Auseinanderungsprozess mit Beethoven . Eine der nachhaltigsten und auch "tiefsten" Deutungen , die ich kenne .


    Das, so finde ich, ist eine andere Sache. Niemand kann nach meiner Meinung die politische Haltung eines Interpreten aus dessen Spielweise heraus hören. Auch ich kann meinen beiden Deutsche-Grammophon-Platten, die ich mit Beethoven-Sonaten von ihr habe, etwas abgewinnen. Manchmal ist es mir zu überheilig tiefschürfend, quasi unlocker - die Angabe "Presto agitato" im letzten Satz der Mondscheinsonate ist ja nicht nur 'ne Tempobezeichnung - aber das ist ja nur mein Empfinden. Und die Appassionata hat echt was, wenn sie von der seltsamen alten Dame gespeilt wird.


    Besten Gruß,
    Vox

    Hallo Michael,


    vielen Dank für deine interessanten Hinweise. Der wikipedia-Eintrag enthält ja noch ein paar interessante Details zum Label. Und der Link mit den Steinweiss-Cover ist toll. Wenn ich mir da die faden Gestaltungen vieler 70er und 80er Jahre Cover anschaue, dann hat es in der Geschichte der Schallplatte offenkundig eine Art Kultuverlust gegeben. Schade, dass die Steinweiss-Gestaltungen auf deutschen Covern nicht zu finden waren, so dass es hierzulande schwer sein dürfte, eine entsprechende Sammlung aufzubauen.


    Dein sehr positiver Kommentar zum Goossens-Sacre ist verführerisch, da ich noch auf der Suche nach einer interessanten Sacre-Einspielung auf Vinyl-Format bin. Offensichtlich gibt es diesen Sacre jetzt als hochwertige Wiederveröffentlichung auf LP, allerdings leider auch zum "hochwertigen" Preis. Aber ich glaube, da muss ich dann durch.


    In der gleichen Serie des amerikanischen Herstellers "Classic Records" existiert auch eine Stokowski-Version von Bartóks Konzert für Orchester. Kennst du diese Einspielung, kannst du darüber berichten?


    Gruß,
    Vox

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    Original von Barbirolli
    Außerdem hoffe ich, dass die bisherigen Ausgaben erst der Anfang sind und noch einiges an Produktionen nachgelegt wird. Oder gibt es möglicherweise gar nicht mehr?


    Doch, doch es gibt mehr Platten von Everest. Aus diesen ersten Jahren bis '62 existieren noch einige Titel, die ich interessant fände (und die sich auf meiner persönlichen LP-Wunschliste befinden). Etwa John Antills "Corroboree" mit Goossens und dem London Symphony Orchestra - eine Platte, die als Vinyl-LP unauffindbar sein dürfte. Da wäre eine Wiederveröffentlichung erfreulich.


    Reizvoll wären vielleicht auch Schostakowitsch' Fünfte mit Stokowski, ein paar R.-Strauss-Sachen mit demselben Dirigenten, ein "Sacre" mit Goossens oder ganz besonders auch Aufnahmen mit dem zunehmend vergessenen Geiger Tossy Spivakovsky. Mal schauen, ob da noch was kommt...


    Mir ist allerdings unklar, was nach dem Verkauf von Everest durch Belock im Jahr 1962 passierte. Ein - mir nicht bekannter - Rechteverwerter hat dann scheinbar angefangen, auch alte Aufnahmen anderer Label zu neu aufzulegen. Thomas hat ja schon auf die Rolle von Everest als Zweitverwerter hingewiesen, ich habe selbst eine Aufnahme von Grieg-Sonaten mit Mischa Elman, die definitiv nicht von Everest aufgenommen wurde, aber unter der Everest-Flagge schippert. Ob es nach 1962 neben solchen Wiederveröffentlichungen aus fremder Hand auch noch eigene Aufnahmen gab, ist mir leider nicht bekannt.

    Master John,


    auch ich bin mal über das Label EVEREST gestolpert und habe geschaut, was ich darüber heraus finden konnte. Mein Eindruck: Everest ist ganz sicher ein interessantes Label, das weit mehr als nur Zweitverwertungen betrieb.


    Gegründet wurde es 1958 von Harry David Belock, einem musikbegeisterten Ingenieur aus New York. Belock, der in jungen Jahren schon mal als Tontechniker gearbeitet hatte, verdiente viel Geld mit irgendwelchem Elektronik-Kram. Das ermöglichte es ihm später, ein Plattenlabel zu gründen und nach seinem Gusto zu gestalten.


    Der professionellen Herkunft des Gründers entsprechend, betrachtete man bei Everest das Thema ‚Aufnahme von Musik’ nicht zuletzt von der technischen Seite her. Belock verfügte über Studio-Equipment von bester Qualität, das er wohl auch noch selbst modifizierte. Offenkundig ging es dem Firmeninhaber um einen höchst möglichen Aufnahme-Standard. Dabei wurden wohl auch keine Kosten gescheut. So nahm Everest – neben Mercury als einziges Label – auf sehr teurem 35-mm-Bandmaterial auf. Der Autor Frank Wonneberg (Das Vinyl-Lexikon) nennt Everest das „erste audiophile Label“.


    Dabei war Belock offensichtlich bemüht, Everest neben einer akustischen auch eine optische Identität zu geben. Die Plattencover gestaltete Alex Steinweiss, der früher schon für Columbia tätig gewesen war und dort als Designer wohl als erster überhaupt und schon zu Schellack-Zeiten farbig gestaltete Plattenhüllen entwickelt hatte (über Steinweiss`Platten-Cover gibt es ein Buch: Alex, Steinweiss, Jennifer McKnight, For the Record. The Life and Work of Alex Steinweiss, Princeton 2000). Die Gestaltungen der Everest-Cover waren oft farbenfroh und zeugen durchaus von einer "Label-Identität" – das zeigen ja auch schon die Beispiele in Barbirollis Startbeitrag. Ich persönlich finde z.B. das Cover zur Aufnahme von Coplands „Billy the Kid“ witzig und gelungen.


    http://www.jpc.de/jpcng/classi…mphonie-Nr-3/hnum/5304747



    Everest hatte scheinbar zwei Probleme: erstens konnte die Pressqualität wohl nicht den Standard der Aufnahmen halten, so dass das Endprodukt nicht das einhielt, was der vorher getriebene Aufwand versprach. Wie es zu diesem Missverhältnis kam, weiß ich nicht.


    Zweitens gelang es Everest wohl nie so recht, auf dem amerikanischen Klassikmarkt Fuß zu fassen, was möglicherweise daran lag, dass die bekanntesten Künstler bei anderen Firmen unter Vertrag standen. Everest konnte also kein echtes Zugpferd gewinnen, das exklusiv für die Firma aufnahm. Bereits 1962 gab Belock daher sein Label auf und verkaufte den Katalog.


    Programmatisch war Everest zwar breit angelegt. Besonders interessant sind aber sicher die Aufnahmen neuerer amerikanischer Musik von Copland bis Cage. Aber auch die Ersteinspielung von Vaughan Williams Symphonie Nr. 9 erfolgte bei Everest.


    Unter Plattensammlern führte Everest lange ein Schatten-Dasein, obwohl es schon seit Längerem einzelne Wiederveröffentlichungen in Vinyl-Format gibt. Es dürfte interessant sein, die Everest-Aufnahmen jetzt ohne die presstechnischen Einschränkungen zu hören.


    So, ich hoffe, das war jetzt nicht zu lang und schlaumeierisch...


    Das Buch hat eine reale Figur zum Vorbild, die Glasharmonika-Spielerin Marianne Davies (geb. ca. 1743). Die Vorstellung vom Krankmacher Glasharmonika, verbunden mit der Idee einer "typisch weiblichen" nervlichen Überreizbarkeit findet da ihren Niederschlag.


    Übrigens findet sich selbst noch 1980, im New Grove, ein Anklang daran. Dort ist auch bei Kirchgessner die Rede davon, dass sie an einer Nervenkrankheit verstarb.

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    Original von Ulli
    Wenn ich das Buch nur zur Hand hätte, dürfte sich bestimmt auch etwas über Marianne Kirchgäßner, um die es ja hier in der Hauptsache geht, darin finden lassen. Aber leider habe ich noch nicht alle Umzugskisten verräumen können...


    Einiges lässt sich auch in diesem biographischen Artikel eines online-Lexikons erfahren:
    http://www.sophie-drinker-institut.de/Kirchgessner.htm


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    Original von UlliDas Buch enthält die sehr umfangreichen Reiseberichte der Paradis, die quer durch ganz Europa führten. Ihr Ruhm als Pianistin war ein großer und außergewöhlicher, während Kirchgäßner doch eher als bizarre Zirkusfigur [vornehmlich wegen des vielfach auch verschrieenen Instrumentes] gegolten hat.
    Ulli


    Um und vor 1800 hatten Reisevirtuosen wohl immer ein wenig Spektakelhaftes. Frauen - die als reisende Virtuosinnen deutlich seltener waren als ihre männliche Kollegen - wurden dabei sicher noch mehr als Kuriosum betrachtet.


    Trotzdem gehört die Kirchgessner nicht einfach aufgrund ihrer Instrumentenwahl in die Manege. Aus heutiger Sicht ist die Glasharmonika eine eher seltsame Erscheinung, um 1800 war sie aber durchaus hip. Ihr Klang wurde als körperlos, ätherisch und zerbrechlich empfunden, einige Zeitgenossen (so z.B. Friedrich Rochlitz) waren gar der Meinung, der Klang des Instruments würde zu Nervenkrankheit führen. Das Entkörperlichte, nicht Fassbare des Klangs dürfte gut zu den Vorstellungen des Bürgertums von einem für Frauen besonders geeigneten Instrument gepasst haben (ähnlich wie die Harfe).


    Es ist daher wohl kein Zufall, dass eine der allerersten Instrumentalistinnen, die von ihrer Kunst auch leben konnten, diese Glasharmonika-Spielerin war.

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    Original von Gurnemanz
    Beim Durchstöbern alter Diskussionen bin ich hierauf gestoßen. Lieber Michael, meintest Du vielleicht diese Aufnahme:


    ?


    Ist zwar nicht mit Prêtre, sondern mit Cluytens. Wie auch immer, mich würde interessieren: Kennt diese CD jemand? Empfehlung?


    Ich erlaube mir die Antwort, weil ich zufällig eine alte Schallplatte mit der Aufnahme habe: Unbedingte Empfehlung! :yes:
    Der alte François spielt das, finde ich, sehr poetisch, erzeugt mit seinem Anschlag eine beeindruckende Palette an Farben. Gerade der gläserne zweite Satz wirkt himmlisch auf diese Weise. Und die Qualität der alten Aufnahme bringt das mit einem sehr warmen Klangbild auch schön rüber.

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    Original von Alfred_SchmidtIch frage mich, warum man mit aller Gewalt mittelmäßige Kompositionen zu Meisterwerken hochstilisieren will - bloß weil sie von Frauen sind ?


    Die Wahrheit ist doch - es wurde elegant angedeuetet, aber nicht explizit ausgesprochen - daß eigentlich kein einziges Wark einer Frau je im Bewusstsein der "allgemeinen Klassikwelt" verankert war, bzw ist.


    Da wäre ja erst einmal zu fragen, wer denn eigentlich für das "Bewusstsein der 'allgemeinen Klassikwelt'" sorgt bzw. gesorgt hat. Die Komponisten und ihre Werke? Sicher, auch die. Aber genau so auch die Musik-Rezeption durch Fachpublikum und -publikationen. Wenn einer wie Robert Schumann seinen Artikel über Chopin mit "Hut ab, ihr Herren, ein Genie!" überschreibt, dann bleibt das in seiner Zeit nicht ohne Wirkung und rückt Chopin unweigerlich in den Fokus der interessierten Öffentlichkeit. Und genau so wenig bleibt es für das "Bewusstsein der 'allgemeinen Klassikwelt'" ohne Wirkung, wenn eine Größe wie Hans von Bülow den Signalen für die musikalische Welt äußert:


    "Ich glaube nicht an das Femininum des Begriffes: Schöpfer. In den Tod verhaßt ist mir ferner Alles, was nach Frauenemancipation schmeckt. Damen, die componiren, halte ich für noch bedenklicher, als solche, die zu Deputirten gewählt werden möchten. [...] Dahingegen verspreche ich Ihnen [gemeint ist Alfred Jaell] feierlichst am lendemain desjenigen Tages, an welchem Sie mir Ihre (eigne) glückliche Entbindung von einem gesunden Baby angezeigt haben werden - da will ich den ersten ernsthaften Versuch anstellen, mich zum Glauben an den Beruf des weiblichen Geschlechtes zur musikalischen Production zu bekehren. Bis dahin auf Wiedersehen!' " (Signale 1880, S. 244).


    Was ich damit sagen will? Dass die Entwicklungschancen für Komponistinnen schon deshalb eingeschränkt waren, weil sie kaum einer ernst nahm, weil ihnen kaum einer Aufführungsmöglichkeiten einräumte, weil ihnen kaum einer Kompositionsaufträge oder andere Möglichkeiten zum musikalischen Broterwerb einräumte. Es gibt auch nicht viele Komponisten im 19. Jahrhundert, die heute anerkannte Werke verfassten, obwohl sie zeitlebens ignoriert und verspottet wurden. Dazu kommen die schwierigen Ausbildungsmöglichkeiten: Studentinnen - zumal im Fach Komposition - waren an den deutschsprachigen Konservatorien ganz lange die ganz große Ausnahme. Dass viele Komponistinnen in dieser Zeit schließlich leichte, wenig tiefgängige Werke verfasst haben, lag an ihrer Suche nach der Nische: Broterwerb war eben eher möglich, wenn sich Frauen nicht den ihnen ohehin abgesprochenen großen Formen widmeten, sondern den in dieser Zeit immensen Bedarf an leichter, salonhafter Musik und Bearbeitungen bedienten.


    Für das heutige "Bewusstsein der 'allgemeinen Klassikwelt'" kommt noch hinzu, dass die Erinnerungskultur an vergangene Musik und Musiker über lange Zeit männlich geprägt war. Ein Lully war zumindest Interessierten immer bekannt. Dass aber eine Élisabeth-Claude Jacquet de la Guerre in ihrer Zeit ähnlich anerkannt war wie Lully, war schon im 19. Jahrhundert vergessen. Welche Rolle würden ihre Werke wohl heute spielen, wenn sie ein Mann gewesen wäre?



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    Original von Alfred_SchmidtMan sollte einen Thread schaffen: "10 unverzichtbare Werke aus weiblicher Hand" (nein ich meine hier keinen Apfelstrudel, sonderen eine Sinfonie , ein Klavierkonzert, eine Oper - oder sonst ein großartiges, allgemein anerkanntes Werk.....und das 10 mal !!!)


    Ich fange gerne an: Lili Boulanger, "Morceau pour piano: Thème et variations" (1914) ist für mich eines der beeindruckendsten Klavierwerke des 20. Jahrhunderts. Wirklich großartige Musik.

    Was reitet den J. Frantz, das Quintett als "10. Symphonie" aufzuführen, ohne das im Programm zu erklären? ?( Seltsam, seltsam...


    Eine meiner Lieblingsaufnahmen des Quintetts ist zwar in des Observators langer Liste enthalten, bisher hat jedoch noch keiner ein Wort darüber verloren: Das ist die Version des Wiener Konzerthausquartetts (+ Günther Weiss, 2. Vc.). Ich kann die Aufnahme nicht genau datieren, sie stammt in jedem Fall aus der Gründerzeit der Langspielplatte (ich vermute, die Aufnahme entstand 1951). Produziert wurde sie von der amerikanischen Westminster (einem Label, das aufgrund seiner spannenden Kammermusik-Aufnahmen und der Scherchen-Produktionen eines Tages einen eigenen Thread wert wäre?). Die originale Nummer ist WL 50-33. Ende der 50er Jahre wurde die Aufnahme in einem Schwung anderer Westminster-Aufnahmen vom DG-Sublabel Heliodor auch in Europa vertrieben. Es gab die Aufnahme auch mal auf einer Preiser-CD - aber die scheint derzeit vom Markt zu sein (im Gegensatz zu den sämtlichen Streichquartetten Schubert mit dem Wiener Konzerthausquartett - ebenfalls Preiser).


    Warum ist mir diese olle Pladde so lieb? Klar, der Sound der Mono-Aufnahme ist schon arg historisch (aber sehr warm und füllig). Die Spielweise der fünf Herren unterscheidet sich jedoch von allem, was ich sonst so von diesem Werk kenne. Vollkommen eigenständig und subjektivierend nehmen sie zum Beispiel das so sangliche Thema des Kopfsatzes aus dem Tempo und kosten es bis zum letzten aus. Die Steigerungen der Durchführung werden ebenfalls agogisch sehr frei und mit massiven Crescendi zelebriert. Und diese Spielweise abseits der Norm geht immer so weiter...


    Na klar - das ist romantisierend bis zum Letzten und für den heutigen Zeitgeschmack vielleicht inkompatibel. Aber zu diesem Stück passt das wunderbar - und deswegen ragt diese Alt-Wiener Aufnahme für mich aus den eher stromlinienförmigen Versionen heutiger Tage heraus. Vielleicht aber auch nur für mich...

    Auch ich bin blutiger Tamino-Anfänger :hello:, bin zwar schon ein, zwei Wochen angemeldet, habe aber bisher nicht geschrieben. Warum? Sicher nicht, weil ich das Niveau als unangenehm empfände. Im Grunde bin ich auf Tamino gestoßen, weil mich irgendwelche Internet-Recherchen zu Musikthemen per google immer wieder auf diese Seite gebracht haben. Was ich dann dort auffand, war in aller Regel sehr informativ.


    Für eigene Beiträge ist das hohe Niveau allerdings eine kleine Mahnung. Für sinnvolle eigene Beiträge brauche ich Zeit und Muße - und beides fehlt oft genug. Außerdem ist da ja auch noch eine Plattensammlung, die gehört werden will. Sicher ist das hier kein Forum, in dem ich einfach drauf los plappern wollte. Insofern verhindert das Niveau des Forums so manchen belanglosen Beitrag - und das ist doch eigentlich ganz gut.


    Das eigentliche Problem ist für mich eher ein Anderes: Ich habe in den letzten Tagen zu zahlreichen Themen hier gelesen und durfte feststellen: Tamino hat in meinen Augen einfach schon erhebliche Tiefe, zu Vielem ist schon sehr viel gesagt. Diese Tiefe gefällt mir sehr, aber warum sollte ich wiederkäuen, was bereits geschrieben ist? Dann lieber die Klappe halten, bis Zeit ist, sich an einem Thema festzubeißen.


    P.s.: Grüße an den zauberhaften Byglandsfjord. Das ist wirklich eine traumhafte Landschaft!

    So, dann will ich für meinen ersten Beitrag ( :hello:) in diesen heiligen Hallen denn auch in die – nein, nicht Niederungen, sondern vielmehr erheblichen Tiefen des hauseigenen Jazzkellers hinabsteigen. Auch, wenn ich das Niveau der Spezialistendiskussionen hier ganz sicher nicht halten kann – allein schon, weil ich eben kein Spezialist bin. Bei Dingen wie dem „beständigen Flow“ ist bei mir lang schon Schluss.


    Jazz hat für mich den großen Vorteil, dass ich dort – anders als bei der „Klassik“ – über die Musik wie auch ihre Geschichte nichts wissen muss. Dass ich mir dadurch einen viel freieren, direkteren – man könnte auch sagen: naiven – Zugang erlauben kann. Was schert’s mich also, ob irgendetwas „stilbildend“, neu, instrumental hervorragend oder sonst was ist. Hauptsache, es spricht mich ganz persönlich an.


    Womit ich dann doch noch den Dreh zum eigentlichen Thread-Thema kriege. Denn in meinem kleinen, ganz persönlichen Jazz-Universum ist die Musik Coltranes der Fixstern. Das gilt sicher nicht für alle Aufnahmen, die ich gehört habe (die wiederum nur ein Bruchteil derer sind, die es insgesamt gibt). Die frühen Prestige-Platten finde ich beispielsweise – 'tschuldigung – eher langweilig. Die ganz späten, sehr freien ab „Ascension“ stellen mich als naiven Hörer dagegen vor erhebliche Schwierigkeiten. Faszinierende Klangwelten sicherlich, aber für mich ohne akustische Ankerpunkte. „Die tiefe Menschlichkeit, den Glauben und die Liebe“, die andere in diesem Thread in Coltranes Spätwerk finden können, suche ich derzeit noch vergebens…


    Es sind wohl vor allem die Impulse!-Scheiben bis einschließlich „A Love Supreme“, die ich nimmermehr missen möchte. Und das liegt in allererster Linie an Sir Johns Saxofon-Spiel. Coltranes Ton ist für mich als Laie eine Offenbarung. Als erstes fällt mir da immer wieder diese ans Herz hinan reichende Wärme auf, dieser einfach nur schöne Ton. Und dieser Ton bekommt für mich oft noch eine zusätzliche Dimension: Zusammen mit der Melodik und den Phrasierungen erzeugt Coltrane äußerst emotionale Klänge nahe an der menschlichen Stimme, die mir dann plötzlich auch „tief menschlich“ erscheinen. Als Beispiel sei nur die Ballade „Wise One“ von der oben schon abgebildeten „Crescent“ genannt. Ich wusste nicht, dass man auf einem Blasinstrument so weinen kann! Coltrane scheint einen direkt in die Seele schauen zu lassen.