Allerhand - damit hätte ich nicht gerechnet. Also muss ich wohl erstmal ein paar Dinge geraderücken.
Marc: Ja, es gibt bestimmte Konzerte der Spätromantik, die mich besonders anöden. Das heißt aber nicht, dass mein Problem auf diese Epoche beschränkt ist. Deine Erwähnung der Klavierkonzerte Mozarts ist möglicherweise ein heißer Tipp für mich. Ich hoffe, dass ich dazu komme, sie mir demnächst einmal bewusster zu Gemüt zu führen.
Nun zu den Aussagen, die meinen Beitrag in Richtung Starkult oder eitlen Solisten hin gewendet haben: Eigentlich ist mir der Aufführungsmoment ziemlich egal. Dass da tatsächlich jemand auf der Bühne steht, der per Konzert besonders gut vermarktet werden kann, interessiert mich eigentlich nicht wirklich. Interessanter finde ich die Tatsache, dass es für diesen Zweck ein kompositorisches Konzept gibt. Es trägt den Namen (wenn man den hessischen Oberstufenlehrplänen Glauben schenken darf): das konzertante Prinzip. Ich habe auch nichts gegen den hierarchischen Aufbau eines Orchesters, schon gar nicht hege ich deshalb eine Antipathie gegen Orchestermusik allgemein. Beim Konzert scheint mir diese Hierarchie aber tönenden Eingang ins Gattungskonzept gehalten zu haben. Das klangliche Ergebnis stört mich, zumindest sehr häufig.
Jetzt zu den Äußerungen á la "Immer steht ja jemand im Mittelpunkt". Hier muss man differenzieren, es geht leider nicht anders. Beethovens Chorphantasie ist angesprochen worden. Ein schönes Stück. Aber die kompositorische Grundidee ist doch auch eine ganz andere, als bei irgend einem herkömmlichen Solistenkonzert! Ein paarmal ist über Oper gesprochen worden. Die Sänger auf der Bühne sind Handlungsträger, im Gegensatz zu den Orchesterinstrumenten. Das heißt, es findet hier eine spezifische Funktionalisierung statt, eine Aufgabenteilung liegt nahe. Spannend wird Oper für mich aber besonders dann, wenn sich diese Aufgaben wieder vermischen. Im 1. Akt vom Lohengrin schweigt Elsa von Brabant lange Zeit vor Gericht, dafür erklingt im Orchester ihr Motiv... Im 3. Akt schweigt sie erneut, diesmal tritt sie aber mit dem Frageverbotsmotiv auf... Oder ein anderes Beispiel: Donna Elvira besingt von ihrem Balkon aus ihren Kummer. Sie liebt diesen Schurken und kann einfach nicht von ihm lassen. Dazu ertönen aus dem Orchester zarte Klänge, die aufgrund ihrer Erregung mit einer gewissen Emphase (feine Zweiunddreißigstelläufe, zitterige Tonrepetitionen) aufgeladen sind. Nun kommt Don Giovanni und "benutzt" genau diese Musik dazu, die wahrhaft liebende Donna Elvira loszuwerden und sie darüber hinaus noch zu verspotten: musikalische Blasphemie... und eine geniale Idee für eine entsprechende Umsetzung von Don Giovannis Charakter. Ja, hier steht der Sänger im Mittelpunkt. Aber ohne das Orchester wäre er nichts. Ich habe kein Problem damit, wenn in einer Symphonie eine Solovioline auftritt. Das ist in aller Regel ein instrumentatorischer Gedanke. Nur diese Gattung "Konzert", die ein und denselben Solisten von vorn bis hinten zum Mittelpunkt macht... die macht es mir nicht leicht.
Dann der "Neid"... liebe Diotima, von einer Solistenkarriere habe ich nie geträumt. Ich bin in dieser Hinsicht über Neid komplett erhaben, und zwar nicht, weil ich so ein Gutmensch bin, sondern weil meine instrumentalen Fähigkeiten von denen eines Solisten Lichtjahre entfernt sind.
Nun zum "weltanschaulichen" Aspekt (ein wunderbarer Begriff):
Eins mal vorneweg: Ich habe nichts gegen virtuose Musik. Ich halte Pollinis Aufnahme des Klavierwerks von Schönberg für eine Sternstunde der Musik. Ich kann mich daran erfreuen, wie souverän der Interpret hier die spieltechnischen Klippen der Werke meistert. Von mir aus sogar: Ich blicke dankbar zu ihm auf! (Frank Georg Bechyna: Ob ich Pollini deshalb als Leitbild bezeichnen würde, wage ich zu bezweifeln. Ich kann ihm ja spieltechnisch nicht folgen...) Die Virtuosität ist für diese Stücke allerdings nicht der entscheidende Impuls. Virtuosität ist in meinen Augen und Ohren hier und anderswo schlicht und einfach eine Unterkategorie der Komplexität. Oft mag ich komplexe Musik, also hin und wieder auch Virtuosität.
Dann: der Vorwurf, mein Problem sei weltanschaulichen Ursprungs ist ein Totschlagargument. Und zwar schlicht und einfach deshalb, weil zur Welt eben auch die Musik gehört. So wie ich die Welt irgendwie individuell wahrnehme, so nehme ich eben auch die Musik irgendwie individuell wahr. Und da mag es ein paar parallele Gedanken geben. Von so einem Vorwurf kann sich niemand freisprechen. Also versuche ich es gar nicht erst.
Zitat
Original von Alfred
Ich selbst habe auch Gattungen, die mir weniger liegen als andere, aber es handelt sich hiebei um musikalischen Geschmack, möglicherweise auch um eine musikalische Geschmacksverwirrung - aber niemals um Weltanschauungen.... Orgel beispielsweise - für mich klingt da (fast) alles gleich - wobei mir völlig bewusst ist, daß der Fehler bei mir liegt und nicht an der Orgelmusik....
So ein Eingeständnis hätte gut und gern Anlass zu einem Handschlag á la "Wir sind eben alle nur Menschen mit einem höchst individuellen Geschmack" sein können. In dieser Richtung war die Öffnung des Stranges hin zu anderen "ungeliebten Gattungen" auch gedacht. Alfred aber scheint zu wissen, dass es bei mir kein musikalischer Geschmack ist, dem ich da erliege, sondern meine fehlgeleitete Weltanschauung. Seine Worte lesen sich für mich so, als würde ich demnächst noch behaupten, dass die Tonika ein verwerfliches Symbol für die absolutistische Monarchie ist. Ich hingegen werfe Alfred ja auch keinen Atheismus vor, nur weil er Orgelmusik nicht so viel abgewinnen kann.
Nur um es nochmal deutlich zu sagen: Ich weiß es zwar nicht genau, aber ich hoffe, dass der Fehler "langweilige Konzerte" bei mir liegt. Daher findet sich in meinem Eingangsbeitrag die Aufforderung, mich eines besseren zu belehren. Das war ernst gemeint. Gern hätte ich Beiträge gelesen wie: "Aber nein, hör dir doch mal dieses Violinkonzert an. Und schau ´mal besonders in Takt 127: solche Effekte bekommst du ohne diese Konzertidee einfach nicht." Naja... es ist ja noch nicht aller Tage Abend.
Mein Dank geht an Heliaster, der mich wortgewandter interpretiert hat, als es mir selbst möglich ist.
Tharon.