Beiträge von BigBerlinBear

    Lieber Edwin,


    die eigentliche Tragik Adornos sehe ich darin, daß er in der Nachkriegszeit keinen Widerpart auf Augenhöhe hatte. Ein Heidegger etwa, der in die Geschicke der Jahre ab 1933 zumindest involviert war, um es einmal vorsichtig auszudrücken, hätte ihm nur schwer paroli bieten können.


    Daraus, daß ich Adorno immer bewundert habe und das auch heute noch tu, habe ich nie einen Hehl gemacht aber es war damals einfach unmöglich zu sagen, daß Adorno hier und da einfach Unsinn erzählt, so fest hatte sein Denken die "freie Meinung" im Griff und bis heute hat eine brauchbare Aufarbeitung seiner Rolle in den Nachkriegsjahren de facto nicht stattfinden können, wohl nicht zuletzt ach aus Angst, sch an dem Thema mehr als nur die Finger verbrennen zu können.

    Daß Herr Theodor Ludwig Wiesengrund-Adorno auch als Komponist tätig war, hatte ich immer gewusst, daß sein Einfluss als DER Kritiker schlechthin meine Generation geprägt (und gewiss auch traumatisiert hat), bezweifelt keiner, der mit der Rezeptionsgeschichte der letzen 50 Jahre auch nur einigermassen vertraut ist.


    Adorno war damals über die Medien allzeit präsent und sein Auftreten, das sicher nicht nur Kompetenz vortäuschte, wirkte auf viele einschüchternd, entmutigend und deprimierend. Alle Komponisten, die nicht den "schönbergschen Weg" gegangen waren, gehörten seiner Ansicht nach in den Mülleimer der Musikgeschichte. Schlimm daran war vor allem, daß sich damals niemand fand, der ihm auf gleichem Niveau hörbar widersprach.


    Seine Fehlurteile über Sibelius, "die tausend Löcher in den Sinfonien aus dem Land der tausend Seen" prägten noch die Progrmamgestaltung bei den Berliner Philharmonikern zu Beginn der 80ger Jahre des letzten Jahrhunderts, wo wirklich ein beachtlicher Teil des Publikums in der Pause nicht an seine Plätze zurückkehrte, weil ein junger Dirigent namens Simon Rattle die 5. von Sibelius aufs Programm gesetzt hatte, denn laut Adorno war diese Sinfonie "Schrott".


    Wechen immensen Einfluss Adorno auf das Denken der jungen Generation von Intellektuellen in Deutschland hatte, kann sich heute niemand mehr vorstellen. Sein besonderes Talent bestand darin, hanebüchnene Absichten als "letzte, verbindliche Weisheiten" zu verkaufen und der spürbaren Macht seines Geistes, denn er WAR ein bedeutender Denker, beugten sich auch jene, dei es eigentlich hätten besserwissen müssen.

    Zitat

    Auf meiner uralt-LP singen die Windsbacher unter Hans Thamm ohne Instrumentalbegleitung.


    Hans Thamm (Gott hab ihn selig) starb 1977: ich mein die Aufnahmen unter
    Karl-Friedrich Beringer, die irgenwann aus dne 80gern sein müssten !

    Bach-Motetten a cappella


    Im Gegensatz zu den hier erwähnten Vokalwerken der Renaissance sind Bachs Motetten ohne allen Zweifel KINDER DES GENERALBASS-ZEITALTERS, und man kann es den Interpreten, die heutzutage Einspielungen vorlegen, nicht verübeln, daß da Instrumente mitspielen, wenn es natürlich ganz ohne Zweifel auch OHNE geht. Das letzte Live-konzert mit diesen Werken ohne instrumentale Zutaten hörte ich im letzten Jahr in Krakau vom "Windsbacher Knabenchor". Die Windsbacher haben die Werke auch eingespielt, ob mit oder ohne Instrumente weiss ich nicht, denn ich kenne die Aufnahmen nicht.

    Zitat

    Gehört zum eisernen Bestand, aber manchmal gefällt mir die andere Cöllner Truppe ein Quentchen besser.


    Aufnahmetchnisch ist die "andere" Box ganz eindeutig besser, was insbesondere bei "Es erhub sich ein Streit", das mit einer Akustik aufwartet, die der Georgskirche zu Eisenach, für die das Werk entstand, einfach gerechter wird als Goebels hier von mir als "zu trocken" empfundener Klangraum. Beiden einzelnen Werken muss man einfach das Für- und Wider gegeneinander abwägen; MISSEN möchte ich jedoch KEINE der Einspielungen.

    Hallo Pius, die "Requiems" von Ockeghem und Palestrina lassen sich kaum miteinander vergleichen, weil das Werk des älteren Komponisten ein unüberhörberes Produkt der Gotik, Palestrinas Komposition dagegen von allen Insignien der Renaissance geprägt wurde.


    Ockeghems Werk hat demzufolge eine absolute Ausnahmestellung, zumal die Sequenz von Komponisten aus seiner Epoche, (das "Requeim Du Fays, das es gab, ist nicht überliefert) leider nicht mehr vorhanden sind.


    Hier macht es sicher mehr Sinn, sich an zeitgleichen Werken des 16. Jh. zu orientieren, weil es da mit der Überlieferung entschieden besser aussieht.

    Zitat

    Die Alben von Amy Winehouse sind sehr sorgfältig produziert, sie ist ein stimmliches Ausnahmetalent und es tut gut, wenn im U-Sektor so erfolgreich auf Qualität gesetzt wird und ein scheinbar untergegangener Stil (stimmlich schwarze Soul-Röhre mit Big Band-Begleitung) so gelungen wiederbelebt wudre.


    Kann ich gerne in JEDER Hinsicht dieser Aussage bestätigen; wirklich ein Jammer, daß sie sich ganz offensichtlich auf Raten umzubringen scheint.


    Eine direkten Parallele zur besagten Frau Leander vermag ich jedoch nicht zu sehen; ZL "Blauäugikeit" dem System gegenüber halte ich für gespielt und peinlich obendrein, während AW mit ihren excessiven Lebensäuserungen absolut authentisch und glaubhaft herüber kommt.

    Zitat

    Er hat sicher gesehen, was im Osten los, jedoch meine ich, dass er die Tatsache, dass dort seine ethnische Herkunft nicht hinderlich war, als befreiend erlebt hat


    Liebe Ulrica,


    richtiger wäre es wohl, zu sagen, daß in SEINEM Falle die ethnische Herkunft nicht hinderlich war, in vielen anderen war sie es durchaus und es sollte jetzt nicht der Eindruck entstehen, daß das Arbeiter- und Bauern-Paradies Walter Ulbrichts ein Bollwerk der Toleranz und der allseits geachteten Menschenwürde war...


    Robeson, der bei seinen Konzerten im Osten weitgehend "zu seinem Schutz"
    isoliert wurde, lernte nur die Schokoladenseite des Systems kennen und möglicherweise auch schätzen, was man ihm im Angsicht der McCarthy-Ära auch garnicht verübeln kann, aber ich kann auch Dmitri Schostakowitschs bitteren Kommentar über die "Humanisten", zu denen er Robeson (neben G.B. Shaw und Feuchtwanger) zählte, schon verstehen, denen er Blindheit und Selbstbetrug und Schlimmeres vorwarf.

    Zitat

    "Die Moorsoldaten" - "The Peat-Bog Soldiers"(das KZ-Lied in der Vertonung von Hans Eisler).


    Hanns Eisler hat das Lied lediglich für den Sänger Ernst Busch bearbeitet und eingerichtet; Original-Melodie (und Komposition) sind von Rudi Goguel (1908-1976), der ebenso wie der Textdichter Johann Esser Gefangener im Konzentrationslager Bürgermoor (Emsland) war.

    Der wegen "kommunistischer Umtriebe" in Verdacht geratene Sänger hatte jahrelang in seiner Heimat Auftrittsverbot. Es wundert mich deshalb nicht, daß er in Westdeutschland nie diesen Bekantheitsgrad erreichte wie eta in den Staaten des Ostblocks.Die Angebote aus der Sowjetunion und anderen kommunistischen Staaten, so auch der DDR, dort aufzutreten, nahm er dankbar an, OHNE zu merken, daß er instrumentalisiert wurde.


    Dmitri Schostakowitsch schildert ein Beispiel, wo sich Robeson mit einem im Gulag inhaftierten Freund zum Essen trifft, den man nur für diesen Zweck eigens aus dem Kerker geholt hatte. Robeson merkte nichts, obwohl der "Schuss" unmittelbar neben seinem Ohr abgefeuert wurde...


    Das ist allerdings bestimmt nicht seiner etwaigen ideologischen Verblendung
    geschuldet, sondern der Sänger war von einer kindlichen Naivität und durchschaute Stalins bösartiges Spiel nicht.


    Seine volle und warme Stimme hat mich immer sehr beeindruckt und ich bin froh darüber, daß in der Zeit einer grossen "Umbenennungs-Wut" nach der Wene 1989 im heutigen Berliner "Szene"-Bezirk Prenzlauer Berg die "Paul-Robeson-Strasse" erhalten blieb.

    Auch ich musste mir während des Studiums ganz ähnliches wie das, was Edwin schilderte, anhören, wenn auch mit der ein wenig herablassend gemeinten
    Zusatzbemekung, daß Lully als "Schöpfer der Französischen National-Oper" eben doch einige Bedeutung zuzubilligen sei.


    Seine wirkliche, große Leistung, nämlich das Schaffen eines Stiles, der für die folgenden 150 Jahre verbindlich wurde, und der eben genau jenes ist, was der wenig erfahrene Hörer bis heute als den tönenden Inbegriff von Barockmusik empfindet, DIESEN Stil klopfte Lully in einsamer, solitärer Arbeit wie ein Bildhauer aus ungefügem Stein heraus und führte ihn zur ersten triumpfalen Vollendung !


    Ohne die Arbeit etwa eines Corelli oder Stradella an der Erschaffung des spätbarocken Idioms schmälern zu wollen: DIESE gewaltige Wirkung über Geschmacks- und Ländergrenzen hinweg erreichten sie allesamt nicht.


    Daß ich nicht mit allen seiner Opern so ganz glücklich werde, hat gewiss nichts mit seinem Können als Komponist und schon garnichts mit den in den meisten Fällen ausgezeichteten Texten, die er vertonte, zu tun.


    Statt seinem untrüglichen Gefühl (er war der geborene Theaterkomponist!)für Klang, Farben, Dramaturgie und Proportionen zu vertrauen. gab es ab einem gewissem Punkt nur noch eines für Ihn: Was muss ich tun, daß das Werk Seiner Majestät uneingeschränkt gefällt, denn Majestät waren dafür berüchtigt,bei längeren Stücken schnell zu ermüden, um nichts zu sagen, ungeniert zu Gähnen und sich zu langweilen. Und um dieses zu verhindern war Lully bereit, auch wider besseres Wissen ALLES zu opfern, wofür er sonst mit seinem Leben eingestanden hätte !


    In einem ansonsten großartig organisiertem Werk wie dem "Thesee" wird das überdeutlich. Alles ist schon wieder vorbei, bevor es überhaupt Gelegenheit hatte, sich in aller möglichen Fülle zu entfalten. Zumindest bei mir erzeugt das einen faden Nachgeschmack.


    In der derzeit letzten Oper des Meisters, die ich in Gänze hörte, der "Psyche", sind die Proportionen stimmiger. Der "italienische Akt" etwa, dürfte die auf dem "Stiefel" komponierenden Zeitgenossen das Fürchten gelehrt haben, aus der Angst heraus,daß Lully nun in ihren "angestammten Revieren" zu wildern gedenke...


    Der Aufstieg des Küchenjungen aus Florenz zum "Musikmacher der Welt" bleibt eine wahrhaft unglaubliche Geschichte, nicht frei von Elementen billigen Intriguenspiels und seifenopernhaften Charakters und man müsste sie glatt für von Moliere erfunden halten, würden nicht reichlich vorhandene Dokomente ihre Wahrheit bezeugen.

    Es kann jedenfalls NICHT angehen, daß ein richtiggestellter Irrtum in dem beanstandeten Text vom Verursacher kommentarlos korrigiert; der Hinweis auf das zu Korrigierende jedoch dann "quasi frei im Raume" stehenbleibt, so daß der Leser, der wie ich erst später diesen thread zur Kenntnis genommen hat, sich zwangsläufig fragt: "Was hat den dieser ewig querulante Edwin Baumgartner nun schon wieder ? Ist der zu deppert zum Lesen ? Im Ausgangspostig steht doch alles richtig drin !"


    Ein Schelm, wer arges dabei denkt und vermutet, daß dahinter keine KEINE gezielte Strategie steht ! :boese2:


    Meine Frage zur Sache: Ich denke, ein wenig gespieltes Stück von ca. 12 Minuten Dauer ist nun wahrlich ausführlich genug analysiert worden. Ich besitze davon "lediglich" die Boulez-Einspielung aus 1995, mit der ich soweit einverstanden bin und wüste jetzt gerne noch von den in diese Materie stark involvierten Usern, ob es davon auch noch andre lohnende ( und vielleicht nicht allzu umständlich zu beziehende ) Aufnahmen gibt.

    Zitat

    Er hätte m.e. geadelt werden müssen, nun ist es zu spät.


    Lieber Michael, dergleichen macht man im Lande ihrer Majestät häufig zu runden Geburtstagen, so ab 70. Sicher ging man davon aus daß Handley noch einige produktive Jahre bevorstünden, totz schwerster Diabetes und einem Verkehrsunfall, von dem er sich nie mehr richtig erholte. Das hat sich nun leider nicht bewahrheitet.


    Diesem Dirigenten verdanke ich meine "Initial-Zündung" in Sachen Vaughan-Williams, denn nachdem ich jahrelang immer nur "Greensleeves", die "Tallis-Fantasie" und mein Lieblingsstück von VW, die Variationen über "Dives and Lazarus" hörte, traten mit der Gesamtaufnahme Handleys die Sinfonien des Komponisten in den Vordergrund meines Interesses. In Kenntnis der Einspielungen etwa von Boult und Davis muss ich sagen, daß niemand das Idiom dieser Werke so detailgenau getroffen hat wie Handley. Mein anderer Favorit in der Diskographie des Dirigenten ist seine epochale Einspielung der Sinfonien von Arnold Bax.


    Zitat

    Wie bei den genuinen Orgelwerken existieren die Kompositionen für Clavier manualiter nur in fremden Abschriften. Einiges ist verloren, etwa die sieben von Mattheson erwähnten Planetensuiten.


    Das mit den "fremden Abschriften" trifft übrigens auch auf die Vokalkompostionen zu, obwohl Peter Wolny kürzlich herausgefunden haben will, daß die Tabulaturen der Dübenschen Sammlung(en) von Buxtehude höchstselbst, also manu propria, verfasst sein sollen...


    Hildebrandt hat es ungewöhnlich höflich umschrieben: die Buxtehudeschen Cembalowerke, die eindeutig sotanen Instrumenten zugeordnet werden können, erreichen nicht die Höhe seiner Orgel, Vokal oder Kammermusik (Sonaten).



    Man muss hier schon deutlich länger und intensiver hinhören, um den speziell buxtehudeschen Zungen, resp. hier wohl eher Kiel-Schlag, heraushören zu können. Lohnenswert ist dgl. Unterfangen jedoch allemal. Die diskographische Situation, dank dem Jubeljahr 2007, ist hier garnicht so schlecht.


    Die Koopmanschen Einspielungen "kranken" an geradezu hysterisch überbordender Spielfreude; hier wäre weniger ganz eindeutig mehr gewesen.


    Ich allerdings halte es für verfehlt, selbst das harmloseste Stück Tastenmusik allein durch die Interpretation zu einem Gebilde von Ewigkeitsrang aufblasen zu wollen. Dergleichen ging mir schon bei seiner "Einspielung", die mit "Inszenierung" wohl besser umrissen wäre des "Jüngsten Gerüchtes" eines Werkes durchaus zweifelhafter Provenienz, tierisch auf den Keks !


    Für alle die es interessiert: ein Versuch, die verlorengegangenen "Planeten-Suiten" zu rekonstruieren, ist HIER zu hören:


    Lieber Edwin,


    die Box sollte man kennen, aber lies dir zu Mauersberger auch durch, was ich über ihn geschrieben habe. Komponisten wie Kurt Thomas, Kurt Hessenberg aber auch Johannes Weyrauch schrieben Vokalwerke für DIESEN Chorklang, der von der Orgel- und Singebewegung der 20ger Jahre, (H.H. Jahnn) herkommt. Den Wein kaufst Du Dir einfach ein andermal ! :D

    Ich denke schon an den Chorklang, den Rudolf Mauersberger aus seinem Herkommen aus der "Singebewegung" und der Erneuerung der evangelischen Kirchenmusik seit den 20ger Jahren geschaffen hatte und den er über die kriegs- und Nachkriegszeit "retten" konnte.


    Dieser ganz gewollt "antiromantische" Sound, kam einigen Werken sehr entgegen. komponisten wie Hugo Distler, Günter Raphael oder Kurt Hessenberg schrieben einige ihrer Werke speziell für DIESEN Chorklang.


    Mauersbergers Einspielung der "musikalischen Exeqien" zählt auch nach 40 Jahren noch zu den Referenzaufnahmen der Komposition.
    Details darüber würde ich gerne gelegentlich in einem Mauersberger-Thread, der auch den Komponisten RM berücksichtigen soll, ausführen.


    Flämig, eigentlich Mauerbergers Wunsch-Kandidat als Nachfolger, konnte in der späten Ulbricht-Ära nur über grössten Widerstand hin durchgesetzt werden und die Tatsache, daß Flämig schweizer Staatsbürger war, machte die Angelegenheit noch komplizierter. Flämig verfolgte letztendlich eine völlig andere Chorästhetik und etwa seit Beginn der 80ger des letzten Jahrhunderts klang der Kreuzchor "nur" noch wie einer von vielen anderen Knabenchören und die von mir immer als schön empfundene Linearität des mauersbergerschen Klanges war einer eher gesichts-und profillosen Schwammigkeit gewichen. Ich mag hier nichrt darüber spekulieren, welche die Ursachen dafür waren.


    Nach ersten "Irrungen und Wirrungen" der Nachwende-Zeit versucht nun Roderich Kreile an die Klangideale der Mauersberger-Ära anzuknüpfen.
    Der Chorklang hat insgesamt wieder deutlich an Plastiztät gewonnen, doch halte ich es für nicht unproblematisch, einem Klangideal hinterherzujagen, das aus einer gänzlich anderen Zeit stammt und dessen Voraussetzung bei der Entstehung ebenfalls völlig anders waren.

    Im Gegensatz zu anderen Zentralwerken des Sagittarius sind Einspielungen der Johannes-Passion derzeit eher rar.Dem hier sprödem und minimalistischem Charakter des Werkes ist die Flämig-Aufnahme durchaus angemessen, wogegen ich von anderen Einspielungen des Mauersberger-Nachfolgers eher abrate, weil unter seiner Egide der so charakteristische Klang des Kreuzchores (ob gewollt oder ungewollt) Schaden genommen hat.


    Vorbehaltlos kann ich derzeit nur die Aeolus-Einspielung des Mümchner Vokal-Ensembles unter Martin Zöbeley empfehlen, die eine klangschöne und gut durchhörbare Interpretion es Werkes bieten, ergänzt durch selten zu hörende Motetten aus dem Spätwerk des Komponisten:


    Zitat

    aber eingeebnet wurde bei uns in Wien kein Grab eines Sängers, Schauspielers oder Komponisten.


    Na ganz so paradiesisch ist es in Wien auch nicht, oder wo sind die Gräber Mozarts, Vivalidis oder das von Johann Joseph Fux. Wirklich pietätvoller ist man damit in Wien wohl erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts umgegangen.


    Das Auflassen des Grabes von Gertrud Bindernagel war nichts weiter wie ein bürokratischer Akt der Friedhofsverwaltung, (abgelaufene Liegezeit von 25 Jahren und keine Angehörigen, die die Frist velängern liessen !)


    Hätte z.b. mein Großvater gewusst, daß hier "Gefahr im Verzug" war, er hätte sofort gezahlt.


    Meiner Meinung nach wäre das ohnehin Aufgabe ihrer Bewunderer gewesen, sich darum zu kümmern, von denen im Jahr 1957 noch viele am Leben waren.

    Das verfügbare Angebot an Tonaufnahmen ist wohl eher bescheiden.
    Ich denke nicht, daß die Archive von Zoppott den Zusammenbruch 1945
    überlebt haben, aber vielleicht weiss ja einer mehr.


    Mein Großvater, der ein lebenslanger Bewunderer der Sängerin war, liess jedes Jahr an ihrem Todestag auf dem Grab Blumen niederlegen. Das ging so bis Mitte der 50ger Jahre. Dann schreib ihm die Gärtnerei, die er damit beauftragt hatte, daß das Grab eingeebnet worden sei und sie sich ausserstande fühle, dem Auftrag nachzukommen.

    Nein, hier soll kene Räuberpistole im Sinne mancher Tageszeitungen erzählt werden, sondern das hat sich, wie mir meine Lehrerein Grete von Zieritz berichtete, so im Jahre 1932 zugetragen:



    Gertrud Bindernagel (1894-1932 )


    Nach einer Vorstellung von Wagners "Siegfried " Ende Oktober 1932, verfolgte der Noch-Ehemann der in Scheidung lebenden Künstlerin diese auf ihrem Nachhauseweg und streckte sie mit mehreren Schüssen nieder. Wenige Tage danach erlag sie sie in einem Berliner Krankenhaus ihren schweren Verletzungen.


    Dieser wahrhaft "große Abgang" beschäftigte und bewegte die Zeitgenossen noch lange.


    Die aus Magdeburg stammende Künstlerin, am 11.1.1894 geboren, wurde mit 17 Jahren Volontärin am Stadttheater ihrer Geburtstadt.
    Nach Engagements in Breslau und Regensburg verpflichtete man sie 1920 an die Berliner Staatsoper. Von da aus gab sie sehr erfolgreich Gastspiele in ganz
    Europa. Im Gegensatz zu vielen ihrer singenden Zeitgenossinnen war Bindernagel ausserordentlich an den Werken lebender Komponisten interessiert und für Meister wie Franz Schreker und Egon Wellesz war sie " 1. Wahl". ihre "Paraderollen" waren die Isolde, die Elisabeth, die Leonore, für die sie große Anerkennung ernten konnte.



    Ihre schöne, flutende "Wagner-Stimme" ist uns in einigen wenigen Aufnahmen überliefert. Am bekanntesten jedoch wurde ohne Zweifel die erste Plattenaufnahme von Gustav Mahlers 2. Sinfonie aus dem Jahr 1923.


    Derzeit ist die Stimme der Künstlerin noch auf dieser CD erhältlich:


    Unter großer Abteilnahme der Berliner Bevölkerung wurde Getrurd Bindernagel
    im November 1932 auf dem Berliner Friedhof Heerstraße beigesetzt.
    Die Grabstelle wurde in den 50ger Jahren des 20. Jahrhunderts aufgelassen.


    Ehre ihrem Andenken !

    Ein anders Beispiel für die Aufwertung eines Werkes durch die Zuschreibung an einen "Großen" bringt das sogenannte "Magnificat von Uppsala" aus einer Handschrift von 1668, das seit geraumer Zeit als Spätwerk von Heinrich Schütz (SWV 468 ) gehandelt wird und bei dem es sich für die damalige Zeit um eine hoch dramatische , aufwühlende "moderne" Komposition handelt.


    Sollten im Gegenzug die nachträglich in ein von Schütz handschiftlich gezeichnetes gedrucktes Titelblatt eingelegen Stimmbücher OHNE Angabe des Komponisten tatsächlich das "Opus Ultimum" des Erzavaters der deutschen Musik sein, muss es sich beim Komponisten des Uppsalaer Werks definitiv um jemand anderen handeln, zumal bei den gedruckten Werken Schützens nach 1624 eher eine Abwendung von den gabrielischen hin zu den praetestinensischen Kompositions-Parametern feststellbar ist. Eine der beiden Kompositionen ist so mit Sicherheit NICHT von Heinrich Schütz, nur welche, kann man derzeit noch nicht beantwoten.

    Um ein Werk "richtig" zu interpretieren, gibt es immer mehr als nur einen Weg und speziell große Musik, wozu man Bergs Konzert zweifellos zählen muss, wird in jeder Zeit neu definiert und quasi "neu erfunden". Ein sogenanntes "letztes Wort" ist hier nicht möglich. Deshalb lehne ich auch den Begriff einer "ultimativen Aufnahme" ab.


    Ich kann z.B. einen David Oistrach noch so sehr bewundern, aber wenn er mir mit seinem süffigen, klangesättigtem Spiel Bach herüberbringen will, fühle ich mich schon arg strapaziert und man muss wirklich kein HIP-Verfechter sein um zu diagnostizieren, daß es SO nicht geht.


    ASM, die sich im Zusammenspiel mit Levine ebenfalls des Werkes angenommen hat, bringt eine Lesart ins Spiel, die geradezu überbordet
    vor unverrückbarer, felsenfester geistiger Gesundheit.


    In Bergs Partitur jedoch dominieren die vielfach gebrochnenen Verschattungen,
    offenbaren sich feinste Strukturen, die in ihrer gläsernen Zerbrechlichkeit immer wieder auseinander zu driften drohen. Davon jedoch ist weder bei Stern/Bernstein und noch weniger beii Mutter/Levine etwas zu verspüren.


    Der mir im Allgemeinen eher etwas derb zupackende Georg Solti ist in seiner Aufnahme mit einer glänzend disponierten Kyung-Wa-Chung, die HIER wirklich um ihr Leben spielt, der Solistin ein wundervoller und sensibler Begleiter.

    Zitat

    Stern und Bernstein nehmen das Werk aus der Schau des 19. Jahrhunderts von seiner romantisch-schwelgerischen Seite auf, und das tut dem Konzert in meinen Ohren unendlich gut


    das Konzert wurde allerdings von Berg ganz unverkennbar aus der Schau des 20. Jahrhunderts konzipiert und dem sollte eine Interpretation auch Rechnung tragen ! Rückgriffe- und Blicke auf Vergangenes sind in diesem Werk immer retrospektiv und deshalb halte ich die Einspielung Stern/Bernstein mit ihrem emotionalen Überdruck für eine verfehlte Interpretaion, gleichsam auf hohem violintechnischen und orchestralen Niveau.

    Zitat

    Rameau ist allerdings keineswegs trockener, sondern durch weitgehenden Verzicht auf Kontrapunktik und den Einsatz einer eingängigeren Melodik mitsamt seinen (Rameaus) neu konzipierten harmonischen Gefügen wesentlich wirksamer für modernere Ohren.


    Und genau das scheint das Problem gewesen zu sein, das J.S.Bach mit Rameaus Werken für Tasteninstrumente (etwas anderes dürfte Bach wohl auch kaum gekannt haben, zumal Rameau als Opernkomponist "Spätzünder" war, hatte, denn Sohn Emanuel berichtet, ich gaube sogar an Burney: "Das mein sel. Vatter Anti-Rameau war, dürffen Sie laut sagen !"


    Schade eigentlich, war doch Rameau bei seinem claviristischen Parforce-Ritt durch alle Tonarten, der einzige Zeitgenosse, der, wenn auch auf andrer Ebene, Geichwertiges, Ebenbürtiges vorzuweisen hatte. Sowohl der Einsatz eben jener "eingängigen" Melodik und vor allem der weitgehende, als konzeptionell zu verstehende Verzicht auf kontrapuntische Konstrukte, fdürften zu Bachs Negativurteil geführt haben.


    Edwin:
    Ich unterstelle Dir, daß Dir das Klavier einfach vertrauter ist, als das Cembalo
    und auch ich gebe zu, daß ich Tzimon Bartos Rameau-Scheibe durchaus genossen habe, jedoch nun genau DARAUS schlusszufolgern, daß dieses den rameauschen Clavirkompositionen "angemessener" sei, halte ich für falsch.