Einem Kunstwerk das Attribut "Kitsch" anzuhängen, bedeutet immer eine Gratwanderung, wenn man denn Kitsch nicht auf "gut gemeint, aber schlecht gemacht" reduzieren will. Die Operette mit ihren klischeehaften Vorgaben ist natürlich ein besonders ergiebiges Feld für Aasgeier aller Couleur, dort fündig zu werden. Man verstehe mich bitte nicht falsch: ich bin persönlich kein Freund der Operette und auch viele Operntextbücher des 19.Jahrhunderts sind einfach nur voll von unfreiwilliger Komik.Die Konstrukte mancher Textbücher aus dem Barock sind ein wahres Fest, die Lachmuskeln bis an die Schmerzgrenze zu strapzieren.
Der hier im Kontext schon öfter herbeizitierte Offenbach gehört ganz ohne Zweifel NICHT zu den Kitschproduzenten seiner Zunft, denn dazu sieht er das Genre, in dem er sich bewegt, einfach zu augenzwinkernd; von seinen beachtlichen Qualtitäten als Musiker einmal ganz abgsehn.
Auch Lehár oder Robert Stolz sind Komponisten von Rang. Um dieses festzustellen, genügt ein oberflächlicher Blick in die zum Teil sehr komplexen Partituren. Wen man ein durchaus fragwürdiges Werk wie etwa Benatzkys "Im weissen Rössl" aufführt, aber das so hinreissend , quasi als "Parodie in der Parodie" hinbekommt, wie vor Jahren in Berlin die "Geschwister Pfister", dann wird daraus ein rundum beglückender Theaterabend.
Zu Alfreds Einlassung: es gibt bei Schiller BEIDES: das Geniale in Gedichten wie der "Nänie" und aber auch jenes, was (leider) Beethoven vertonte, das mich in seiner Plakativität einfach nur abstösst, doch das hat nichts mit Kitsch zu tun, sondern eher mit Geschmack überhaupt.
Manchmal aber ist eben "Kitsch" auch nichts weiter als der Wunsch, dem schnöden Alltag enthoben zu sein. Sehr schön bringt das z.b. der Film "Muriels Wedding" zum Ausdruck und so beschliesse ich denn meine morgendliche Betrachtung mit Versen der unsterblichen Friederike Kempner aus ihrer "Thule-Ballade" :
Doch so oft ich jetzt auch schiffe,
Ich doch nimmer wiederfand
Zwischen Eis- und Felsenriffe
Jenes ferne Thule-Land.