Liebe Taminos,
nachdem ich letztes Jahr spontan zum ersten Mal an der Staatsoper zu einem Tristan zu Gast war, bin ich mittlerweile Stammgast an dem Haus geworden. Soeben komme ich von der bereits zweiten besuchten Vorstellung von Franz Schrekers "Die Gezeichneten" zurück. Schon beim ersten Besuch war ich sehr begeistert, und auch heute erlebte ich einen rundum beglückenden Opernabend.
Franz Schrekers "Die Gezeichneten" nach einem eigenen Libretto ist ein wahrhaft packender Operthriller, psychologisch höchst interessant zu lesen, dramatisch packend und nicht zuletzt auch textlich mit Poesie und starker Symbolik gespickt! Stark wie das Textbuch ist auch die Musik, die ich ungemein faszinierend finde. Diese schillernden Klangteppiche, die eruptiven Ausbrüche des Orchesters, die feingewebte Motivik aber auch die unmotivierten Harmonierückungen rühren die Affekte des Zuhörers schon sehr stark an. Mir hat es wieder sehr viel Spaß gemacht diesem gewaltigen Farbenreichtum und der leidenschaftlichen Melodik zu folgen. Die enorme Sogwirkung, die schon das geniale Vorspiel mit sich bringt, setzt sich bis zum grausamen letzten Orchesterausbruch fort - Spannung von Anfang bis Ende.
Dies ist besonders dem sehr versierten Dirigenten Mark Rohde zu verdanken, der das Orchester sehr gut zügeln, genauso aus ausbrechen lassen konnte. Es ist schon erstaunlich, wie transparent teilweise kleinste Motive in der Riesenbesetzung (Holz mind. 3fach + 6 Hörner + 6 Schlagzeuger + Pauke) durchhörbar waren, wie gut die Kommunikation zwischen Bühne und Orchester verlief, wie sehr er auch die Musik im Textbezug zu gestalten wusste. Obgleich die Sänger beste Arbeit lieferten, war es Mark Rohde und das Orchester die den größten Beifall des Publikums erhielten!
Als Alviano Salvago stand der Haustenor Robert Künzli, den ich schon als Tristan begeistert erleben durfte, zur Verfügung. Seine Darstellung des sich selbsthassenden Krüppels kann nur als genial bezeichnet werden. Wie er mit den Krücken über den als Hügel angelegten Bühnenboden wackelte, wie er seine Mimik ganz der Rolle unterwarf, die Darstellung der Inneren Zerrissenheit - das Rollenportrait war ungemein intensiv und absolut glaubhaft. Gesanglich ist diese eher für Sprechgesang angelegte Rolle natürlich etwas undankbar, jedoch konnte er in den lyrischen Floskeln (z.B. Mein Eiland Elysium...) seine tenorale Glanzkraft bestens entfalten, wie er auch sonst hochexpressiv und höhensicher die Figur geradezu erschreckend authentisch wiedergab.
Sein Konkurrent Tamare wurde heute von Brian Davis dargestellt. Stark kontrastierend legte er die Figur als agilen Macho an. Auch er war ein Sängerdarsteller wie er im Buche steht. Obwohl Jordan Shanahan, der die Rolle in den ersten beiden Vorstellungen verkörperte, einen noch eindrücklichen Eindruck machte, so strotzte auch Davis von Männlichkeit, posierte wo es nur ging selbstverliebt auf der Bühne umher. Auch er stellte den gesanglichen Schönklang zugunsten der Expressivität etwas zurück, und konnte besonders durch seine exaltierte Darstellung des Schlussauftrittes überzeugen. Manchmal ging sein doch nicht vollends durchdringender Bariton jedoch im Orchester unter, was den anderen Sängern nicht passierte.
Als Objekt der Begierde, Carlotta, agierte die armenische Sopranistin Karine Babajanyan. Babajanyan verfügt über eine vollmundig-wohlklingende Tiefe, wird jedoch in der Mittellage und Höhe schnell etwas scharf im Klang. Auch ihr gelang ein überzeugendes Rollenporträit, wobei sie gesanglich besonders im zweiten Akt, in der Liebesszene zwischen ihr und Alviano mit sanft-lyrischen Ausdruck überzeugen konnte. Darstellerisch blieb sie jedoch eher statisch, was aber evtl. auch an der Konzentration auf den Konflikt zwischen Alviano und Tamare gelegen haben könnte.
Als Antonio Adorno war Stefan Adam mit vollem Bariton dabei. Obgleich Adam über eine Stimme verfügt, die einem Herrscher würdig ist, so gilt's hier wie beim Tristan - mir persönlich scheint, dass er sie zu grob und unkultiviert einsetzt. Anders Tobias Schabel als Podesta. Sein sonorer Bass wird sehr differenziert geführt - es ist bedauerlich, dass er dem neuen Ensemble der kommenden Spielzeit weichen muss.
Alle weiteren Partien waren sehr adäquat aus dem Ensemble und Chor besetzt. Besonders die adligen Herren konnten als gut aufeinander abgestimmtes Ensemble punkten. Der Opernchor für den dritten Akt war bestens disponiert und in der Anklageszene erstaunlich wortklar wie perfekt zusammen!
Die Inszenierung von Johannes von Matuschka mit Bühnenbild von Christof Hetzer erinnert in seiner Kargheit schon etwas an Neu-Bayreuther-Inszenierungen. Mittelpunkt der Bühne bildet ein Hügel, der je nach Bild mit einer Raumandeutung (Akt 1), einem riesigen Keilrahmen (Akt 2) oder einer Deckenöffnung samt ausströhmenden Nebel und Licht (Akt 3) versehen ist. Die Inszenierung in sich wirkt sehr stimmig. Matuschka konzentriert die Handlung auf das Verhältnis Alviano-Tamare, wobei Tamare als sein Gegenssatz und Idealbild (Hässlich/schön, Selbsthass/Selbstverliebt) als innerer Teil von ihm, ihn in verschiedenen Situationen, so in der Malstube Carlottas stumm begleitet. Besonders der dritte Akt gelingt Matuschka bestens. Aus dem Bühnenraum strömt das Volk Genuas auf das Eiland Elysium, d.h. unter die Öffnung. Sie atmen die betörenden Düfte der Sommernacht, wunderliche Lichter und räkeln sich leicht rhythmisiert zu einem großen Chor zusammen, die Sommernacht preisend. Das Zwischenspiel zum letzten Bild wird als Bühnenorgie und Horrorszenario Alvianos inszeniert. Mehrere stilisierte Carlottas treten auf, alle werden sie von den Adligen misshandelt - ein starkes Bild und gar nicht so aufreizend (wer weiß, was Bieito daraus gemacht hätte witzelt ein Rezensent...). Zum Schluss tanzt Alviano, verrückt den Hügel hinunter.
Liebe Taminos, ich denke man merkt, dass ich einen sehr beglückenden, intensiven Opernabend hatte. Die Ohrwürmer flimmern noch ein wenig nach, und ich freue mich, dass ich nächsten Sonntag das Werk noch einmal erleben darf! Ich kann einen Besuch nur empfehlen!
Beste Grüße und gute Nacht!
Christian