Beiträge von Antracis

    Im Bereich der Emotionen erscheinen mir, auch bei allem berufsspezifischem Interesse diesbezüglich, die Beiträge der Neurowissenschaften bisher noch wenig erhellend, da wesentliche Punkte aufgrund des aktuellen Wissensstandes wirklich eher in den philosophischen Bereich verweisen. JRs Kommentar macht das überspitzt sehr gut deutlich: Sieht man den Menschen neurologisch wirklich als vollständig determiniert an und negiert einen freien Willen, muß sich die Gesellschaft dennoch zwangsläufig eine Existenzgrundlage im Sinne von Übereinkünften schaffen, zu deren Leistung sie aber neurologisch eigentlich gar nicht in der Lage ist. :D


    Interessanter und der praktischen Diskussion dienlicher finde ich da beispielsweise die schlichteren Erkenntnisse, die uns durch Neurophysiologie und Neuroanatomie hinsichtlich der musikalischen Wahrnehmung verschafft wurden. So schlicht die Tatsache, dass uns eine objektive Wahrnehmung, Voraussetzung ja eigentlich für die Wertung von Werk und Interpretation, unmöglich ist, da der gesamte physikalische Informationsinput schon relativ früh in den sekundären Sinneszentren mit höheren Funktionen verschaltet ist, und so schon eine Selektion erfolgt.
    Bildlich gesprochen hat der Chef also einen Assistenten im Vorzimmer sitzen, der ihm bereits das Material für die Entscheidungsgrundlagen auswählt. Er ist - mitmaßlich - gut angelernt und tut dies natürlich nach den Wünschen des Chefs. Oder hat er gar seinen eigenen Kopf ? :pfeif:


    In gewisser Weise lassen sich so doch extrem verwunderlich divergierende Kritiken erklären. Und - tröstlicherweise - auch sicher ein Großteil des schier grenzenlosen Unsinns, der im HiFi-Bereich auch von intelligenten und gebildeten Menschen verzapft wird. Wobei auch hier die interessanteren Erklärungsmodelle sicher in den höheren Hirnfunktionen zu suchen sind, die wir noch nicht ganz verstanden haben. :D


    Gruß
    Sascha

    Die befriedigenste Erinnerung an eine Interpretation habe ich live, und zwar an ein Konzert mit Krystian Zimerman Anfang der 90er Jahre, in dem er eine überwältigende Interpretation bot, die stilistisch seiner großartigen späteren Einspielung der Klavierkonzerte nahestand.


    Mich wundert schon, bei allem Wissen um die Unberechenbarkeit des Künstlers, dass Zimerman gerade dieses Werk nie eingespielt hat. Weiß jemand zufällig mehr ? Gab es ggf. schon ein (gecanceltes) Projekt o.ä. ? Angeblich liegen ja einige Zimermanaufnahmen im DGG-Panzerschrank, die nicht freigegeben wurden.


    Gruß
    Sascha


    Hallo Yago,


    die Frage ist, welchen Sinn das machen würde. Es ist nach den Lieblingssängern gefragt, warum sollte man da eine zeitliche Beschränkung auferlegen ?


    :hello:
    Sascha

    Das Forum überrascht mich immer wieder: Während naturgemäß immer noch Threads zu zentralen Sängern des Jahrhunderts fehlen, stelle ich nun fest, dass bereits ein - meiner Aufmerksamkeit seinerzeit entgangener - Thread über Kozlovsky nicht nur existiert, sondern sogar 17 Beiträge hervorgebracht hat.
    Damit erübrigt sich erfreulicherweise mein Vorhaben, einen Thread zu diesem bemerkenswerten Tenor zu eröffnen.



    Wie schon bemerkt wurde, ist der Name ja auch unter Gesangsinteressierten keineswegs geläufig. Bezeichnend, dass beispielsweise Alain Paris den Sänger in seinem "Lexikon der Interpreten klassischer Musik im 20. Jahrhundert." gar nicht erwähnt. Wesentlich für den niedrigen Bekanntheitsgrad ist sicher, dass alle vorhandenen Aufnahmen ausnahmslos in russischer Sprache vorliegen. Stalin, der den Sänger sehr bewunderte, soll geäußert haben, es würde dem Sänger jeden Wunsch erfüllen - außer der Ausreise.


    Die stimmlichen Ressourcen und die technischen Möglichkeiten des Sänger sind, wie schon allseits bestätigt wurde, außergewöhnlich. Ich tue mich immer schwer, so nahe der Begriff "Stimmfarbe" das auch legt, nun eine weiße oder eine rote Stimme zu beschreiben. Ich identifiziere da jedenfalls eine ausdrucksvolle, elegische Einfärbung, und ja: Vor allem, wenn der Sänger mezza voce singt, ist betörend, wie Misha vorschlägt, ein Begriff, der auch meine Empfindungen wiedergibt.
    Was Kozlovsky technisch kann, ist atemberaubend. Spitzentöne, die aus der Vollstimme heraus dann mezza voce attackiert werden, messa di voce, akurat ausgeführte Verzierungen und auch hohe und höchste Töne in der Vollstimme. Der Ukrainer bildet die Vollhöhe interessanter Weise nicht mit Verschlankung des Tones, sondern - was ich im Gesamtbild nicht ganz unproblematisch finde - mit breitem, ausladenden Klangstrom. So druckvoll diese Töne gebildet sind, so mühelos erscheinen sie andererseits dennoch.


    Beeindruckend finde ich seinen (mir in Ausschnitten zugänglichen) Alfredo aus La Traviata, wo er viel Effekt mit der Halben Stimme macht. In der Cabaletta kommen die Gruppetti akurat, wie mit der Nähmaschine gerattert, die Übersetzung scheint mir allerdings das Legato zu beschränken. Er schließt mit einem Spitzenton ab, der die meisten Manricos stolz machen würde (und darum etwas deplatziert wirkt).
    Hat jemand die Gesamtaufnahme der Traviata mit Schumskaya und Lisitsian, unter Orlov ? Würde mich sehr interessieren, zumal ich Lisitsian in Ausschnitten als Germont habe, und ebenfalls vorzüglich finde.


    Kozlovsky singt als Duca im Rigoletto in Annäherung an die Sänger des 19. Jahrhunderts, einen elegant werbenden Kavalier mit vielfältigen dynamischen Schattierungen und rhythmischer Finesse. Das mag für Hörer, die den Herzog durch Sänger vom Typus eines Domingo kennengelernt haben, befremdlich wirken, ist aber wohl aus historischer Sicht korrekter. Großartig hier beispielsweise das "E´il so dell´anima".
    Aber meine Begeisterung kennt Grenzen. In " Questa o quella" leistet sich der Sänger Spitzentöne, die bar musikalischen Sinns ausgehalten werden und Dank ihres fast gewalttätigen Klangcharakters Bilder einer startenden Sojus-Trägerrakete imaginieren. Man kann nun sagen: Wer kann, der kann, so einfach ist die Sache aber nicht. Aus meiner Sicht wird dadurch ein Interpretatorisches Ungleichgewicht geschaffen. Der zauberhaften Eleganz, der zarten Lyrik des Anfangs stehen vergleichsweise rohe Elemente gegenüber, das Ganze wirkt unausgewogen und stilistisch uneinheitlich. Für mich liegt hier eine Schwäche des Sängers, die sich öfters störend bemerkbar macht. Nicht umsonst ist eine Aufnahme des "ecco ridente" nicht nur eine technische Lehrstunde, sondern auch eine in Geschmacklosigkeit. Kozlovsky verfügt zwar über die technischen Fähigkeiten der großen Sänger der Jahrhundertwende, nicht aber über deren Stilsicherheit. Somit werden seine Interpretationen gelegentlich – vor allem bei stark verzierter Musik – zu atemberaubenden Gesangsdemonstrationen, aber nicht zu geschlossenen wirkenden Modellinterpretationen. Der Hand zur tenoralen Selbstgefälligkeit verstärkt das Bild.
    Diesbezüglich scheint hier die Politik wieder mal einen kulturellen Schaden angerichtet zu haben, der nicht genug bedauert werden kann. Wenn der Sänger die Möglichkeit gehabt hätte, in der internationalen Opernszene zu arbeiten, hätte dies womöglich diese Defizite beseitigt. Man stelle ihn sich in italienischer Sprache mit seinen technischen Möglichkeiten in Werken vor, die den Canto fiorito ausleben, beispielsweise in den frühen Callas-Aufnahmen. Oder als deutsch singender Lohengrin in den einschlägig bekannten Gesamtaufnahmen. Die Brautgemachszene in russischer Sprache steht, vor allem was lyrische Tonschönheit und eloquente Phrasierung betrifft, in einer Reihe mit den allergrößten Aufnahmen dieser Stelle (ich zähle dazu Völker und Melchior). Hier gibt er sich auch stilsicher, und bringt nicht zuletzt durch die Eleganz der Ausführung in Erinnerung, dass auch Wagner Verzierungen komponiert hat.


    Letztlich hatte dieser Sänger aus meiner Sicht alle Möglichkeiten, einer der größten Tenöre des 20. Jahrhunderts zu werden, hätte man Ihn nicht hinter den eisernen Vorhang gesperrt. Wohl Infolgedessen hinterlässt er nur einige eindrucksvolle Aufnahmen, die stellenweise stilistisch provinziell wirken. Dennoch ein großer Sänger- und einer, den man unbedingt gehört haben muss.


    Wie in den Beiträgen oben erwähnt, sind viele Aufnahmen für wenige Euro zu haben. Einen guten Überblick bietet auch die folgende Recitalplatte:



    Gruß
    Sascha

    Zitat

    Original von Zauberton


    Auch deshalb würde ich dazu raten, sich diesem Sänger über seine Live-Aufnahmen zu nähern. Auf der Bühne konnte er die ihm eigene Theatralik offenbar besser kanalisieren als im Tonstudio, wo er in der Tat manchmal zum "Overdoing" neigte.


    Kann ich mir sehr gut vorstellen, das es im Zusammenhang mit den optischen Eindrücken weniger veräußerlicht wirkt. Von den Tenören, die ich selbst live erleben konnte, ist mir das noch recht lebhaft von Neil Shicoff in Erinnerung. Live habe ich meist sehr intensiv und effektvoll, auf Platten gelegentlich nur affektiert erlebt.


    lg
    Sascha

    Richtig langweilig fand ich, trotz Bestbesetzung in einer Liveaufführung, das Oboenkonzert von Richard Strauss, da umwehte mich schnell sanfter Schlummer. :pfeif:


    Besonders deutlich wurde das dann, als nach der Pause Mahlers 6. Sinfonie aufgeführt wurde. Schwer zu beschreiben...man kaut 30 Minuten auf einer eingetrockneten Scheibe Brot und muß dann plötzlich eine Canard au sang in Kombination mit einem Mouton verkraften. :D


    lg
    Sascha

    Zitat

    Original von Michael M.


    Nachdem ich gerade auf die Anmerkung von Antracis hin mir noch einmal aus drei Tucker-Forzas den Beginn des 3. Aktes ("La vita è inferno all'infelice / Oh, tu che in seno agli angeli" - in MET-Produktionen ist das traditionell der Beginn des 2. Aktes) angehört habe, muss ich ein Vorurteil revidieren: zu meiner Überraschung bewahrt Tucker in der späteren Aufnahme, nämlich jener von Norbert erwähnten 1964er Studioproduktion, weitaus mehr die Contenance als in den beiden anderen - jedenfalls insofern man von einer Szene auf die gesamte Aufnahme schließen darf.


    Hallo Micha,


    Die späte Aufnahme kenne ich nicht, mir verleidet Tucker allerdings, ihn neben der großartigen Callas zu hören. Wobei er sich auch da streckenweise zusammennimmt. Ich muß aber auch zugeben, dass ich hinsichtlich Schluchzens und Drückens größtmöglich empfindlich bin, Hörer mit höherer Toleranzschwelle zu finden, ist nicht schwer. Ich werde mir aber mal die betreffende Aufnahmen anhören, die Norbert und Du beschreiben.


    lg
    Sascha

    Zitat

    Das ist falsch. Mario Lanza hatte sein Debut auf der Opernbühne 1942 als Fenton in "Die Lustigen Weiber von Windsor", in Tanglewood (dem Sommersitz des Boston Symphony) in einer Produktion, die von Boris Goldovsky und Leonard Bernstein erarbeitet wurde.. Lanza erntete begeisterte Kritiken, nicht von irgendwem, sondern auch von Noel Straus von der NY Times.
    Kriegsereignisse unterbrachen die beginnende Karriere. Es kam dann 1948 zu den im Thread schon genannten beiden Auftritten als Pinkerton in "Madame Butterfly" in New Orleans, ebenfalls mit besten Kritiken.


    An wievielen Opernaufführungen hat Lanza denn insgesamt mitgewirkt ? Waren es mehr als 3 ? Denn mir stellt sich schon die Frage, ob er sich wirklich bewährt hat in dem Sinne, dass seine Stimme den Ansprüchen standgehalten konnte, regelmäßig ohne elektronische Verstärkung in große Räume projiziert zu werden. Das macht aus meiner Sicht einen Kunstsänger aus.
    Bezüglich der Kritiken erinnere ich mich, diverse Zitate von Straus aber auch Rosenfeld gelesen zu haben, die sich lobend bezeichnender Weise vor allem auf die stimmlichen Qualitäten von Lanza bezogen haben. Hinsichtlich des Singens bemängelte Straus schon damals fehlendes finish, das er dann ja leider nie erhalten hat, was man auf seinen Aufnahmen gut hören kann.
    Als Sänger und Musiker hat er sich nur ungenügend entwickelt und das ist dann bei mir meist ein Grund, sich für den bloßen Stimmbesitzer nicht sonderlich zu interessieren.
    Ich stelle mir halt auch keinen sägewerkfrischen Block Mahagoni ins Wohnzimmer, sondern lieber einen kunstvoll gearbeiteten Schrank - und letzterer kann sogar interessant sein, wenn er aus Fichte ist. ;)


    Gruß
    Sascha

    Das gerade Kesting, trotz vorhandener und üblicherweise schwerer gewichteter Unarten, dem Tenor Richard Tucker den Posten des größten Verditenors nach dem Krieg anbietet, weißt hin auf dessen außergewöhnliche Fähigkeiten. Die lange Karriere spricht für sich und die Aufnahmen ebenfalls: Man hört immer eine tadellose Tonemission, sicher zentrierte und intonierte Töne in der gesamten Skala. Die Stimme zeigte auch am Ende der Karriere nur minimale Verschleißerscheinungen.
    Hinsichtlich des Timbre geht es mir wie Herbert, ich finde es sehr apart und denke, das es auch ein Resultat einer ökonomischen Technik ist, die resonante, tragfähige Spitzentöne ohne schädlichen Druck bilden konnte.


    Die Schattenseiten von Tucker sind aus meiner Sicht jene Larmoyanz und Schluchzerei, auf die schon Micha hinwies. Das verleidet mir beispielsweise seinen Alvaro. Andererseits singt Tucker manche Rollen, wie den Duca, vollkommen ohne solche stilistische Entgleisungen, wo mir seine Leistung sehr zusagt.
    Weiterhin muß man ihm zu Gute halten, dass er auch seine gesanglichen Tugenden herausstellt, selbst wenn er die Gesangslinie mit veristischen Effekten traktiert. Und letztlich gefällt vielen Leuten das ja auch und sie empfinden es als gefühlvolles Singen. Vermutlich tat Tucker das auch - oder er war schlicht ein Kind seiner Zeit.


    Der beste Verditenor nach dem Krieg ? Die Kombination aus stimmlichen Vorzügen, technischer Sicherheit und einer guten Musikalität sichern Ihm aus meiner Sicht zumindest die Spinto-Position. Bergonzi war allerdings, bei wesentlichen beschränkteren stimmlichen Mitteln, der stilsichere Sänger.


    Gruß
    Sascha

    Ich liebäugele schon seit geraumer Zeit mit der oben verlinkten Gesamtaufnahme der Lautenwerke von Paul O'Dette, gefiel mir beim Vergleichshören im Geschäft sehr gut. (Meist schiebt sich aber ein anderes Werk dazwischen... :pfeif: ) Wichtig zu wissen ist, dass diese Aufnahme bei 2001 meist im Dauersonderangebot zu haben ist für um die 25€.


    Mein Einstieg in die Lieder war diese NAXOS-Cd



    Gute Qualität zum fast unschlagbaren Preis.


    lg
    Sascha

    Solche Bücher richten sich eigentlich meist an Einsteiger oder Leute, die noch nicht allzuviel Erfahrung haben. Das meist ältere Aufnahmen berücksichtigt werden, ist ebenfalls gängig und scheint u.a. auch daran zu liegen, dass sich in der entsprechenden Sekundärliteratur und der Kritikerszene allgemein meist für ältere Aufnahmen eher ein Konsens darüber gebildet hat, was wirklich hörenswert ist. Hier im Forum ist es ja nicht anders. Zudem ist es schlicht eine Tatsache, das beispielsweise im Opernbereich Aufnahmen früher mit einem Aufwand produziert wurden, der heutzutage nicht mehr seitens der Konzerne angestrebt wird.
    Ich habe im übrigen heute dieses Buch gekauft, als Geschenk für einen Verwandten, der zwar eine extrem gute Anlage, aber nicht wirklich Präferenzen oder Ahnung im Bereich Musik hat, egal ob nun Klassik oder Country-Musik:



    Ich muß sagen, ich war angenehm überrascht. Das Buch enthält eine breite Palette, von Mozarts Zauberflöte über das "White Album" der Beatles und "Machine Head" von Deep Purple bis auch zu sehr unbekannten Raritäten. Es sind jeweils auch Querverweise angegeben, was einen noch interessieren könnte, wenn einem die entsprechende Aufnahme gefällt. Das ist sicher meistens diskussionswürdig, aber unzweifelhaft kaufanregend.


    Bezüglich der Empfehlungsqualität hatte ich in den Bereichen, wo ich mich auskenne (Klassik und Jazz) nichts auszusetzen und denke, dass auch andere Bereiche qualifiziert abgedeckt sind.


    Ist doch klar, dass solche Werke für einen Profisammler weniger von Interesse sind, dafür gibts schließlich Tamino. :D
    Es gibt auch beispielsweise Listen, welche die 1000 Werke entsprechend bestimmten Themen wie "Musik zum Entspannen" oder "Party" und "Audiophil" zuordnen.
    Aber insgesamt doch ganz informativ und anregend für Leute, die noch nicht so tief in die Materie eingedrungen sind.


    Und die Titel nehmen sich ja auch etwas selbst auf den Arm, finde ich. ;)


    lg
    Sascha


    PS: Kostete übrigens nur 17,00€, was ich angemessen fand.

    Zitat

    Original von petra


    Ach ja, als Liebhaberin von Aufnahmen,die zwar im 20. Jh. gemacht wurden, stilistisch aber noch aus dem 19. Jh. herüberwehen, werde ich mir wohl den tanzenden Euro hier oben häufiger als Warnung vor Augen führen müssen ;) – allein von de Lucia gibt es dort 12 CDs :faint:, und aus dem Katalog ist er wahrlich nicht der einzige, den ich gern höre :faint: :faint: - da gibt es wirklich noch einige Schätze zu heben ...


    :hello: Petra


    Liebe Petra,


    kennst Du die Aufnahmen des russischen Tenors Ivan Kozlovsky ? Ich finde sie im Zusammenhang mit dem Stil des 19. Jahrhunderts und vor allem im Speziellen mit dem Gesang von de Lucia sehr interessant. Kozlovsky hat noch in der 40er Jahren Aufnahmen gemacht, die stilistisch vollkommen im Geiste des 19. Jahrhunderts stehen und in ihren Extremen manchmal sogar de Lucia zu übertreffen scheinen. Exzessiver Einsatz von messa di voce und mezza voce, sowohl dynamische Extreme wie auch solche des Tempos. Interessant vor allem auch Aufnahmen von Rigoletto und La Traviata. Das wirkt stilistisch oft befremdlich, es stellt sich aber die Frage, ob dieses Singen nicht näher an den Uraufführungen der Stücke dran ist, als unsere heutigen Hörgewohnheiten. Auch im aktuellen Diskurs des Gedda-Threads stellte ich mir die Frage, ob er vom Sängertypus als Duca wirklich fehlbesetzt ist, oder doch eigentlich viel mehr historisch korrekter, als beispielsweise ein Domingo, der für viele heuzutage das Bild eines Herzogs prägt. Man Vergleiche dazu auch Stimmen, die Florez als zu leichtgewichtig für den Herzog ansehen.
    Wie auch immer, ich plane im neuen Jahr, zu Kozlovsky einen eigenen Thread zu eröffnen, nachdem ich weitere Aufnahmen gehört habe. Vielleicht können wir angesichts dessen auch nochmal die grundsätzliche stilistische Thematik diskutieren, die hier im Thread schon angerissen wurde.
    Interessierten empfehle ich diese CD



    die für wenig Penunse einen guten Eindruck vom Sänger vermittelt. Aufgrund der aus dem Rahmen fallenden technischen Möglichkeiten sicher für jeden Gesangsliebhaber keine Fehlinvestition, allerdings cave: Alle Aufnahmen sind, den zeitlichen Umständen entsprechend, in russischer Sprache gesungen.


    Liebe Grüße
    Sascha

    Ich lese, mal wieder, begeistert den Idioten von Dostojewski in der Neuübersetzung von Swetlana Geier.



    Aus dem Gedächtnis mit meiner alten Ausgabe in der Luther-Übertragung verglichen, sind die Unterschiede vor allem in den Dialogen fassbar. In der Tat werden die Gestalten durch ihre Art der Rede plastischer gezeichnet.
    Inwieweit das nun näher am russischen Original dran ist, vermag ich mangels Sprachkenntnissen leider nicht zu bewerten. Aber der erneute Genuß auf diese Weise bereitet Freude.


    lg
    Sascha

    Zitat

    Original von severina
    ufpatin nannt man "Godl" oder "Godltant", das männliche Pendant war der "Göd".


    Das kenne ich wieder aus einer Gegend am Rhein, wo eine Patentante von allen immer als "de Got" bezeichnet wurde...


    lg
    Sascha

    Den G´spusi packe ich grad noch...bin aber ja auch nicht mehr so taufrisch. :D


    Was auch weitestgehend aus dem modernen Sprachgebrauch verschwunden zu sein schein, ist das Einholen im Sinne von Einkaufen. Zumindest schien es mir früher deutlich weiter verbreitet, während es jetzt nur von wenigen Dialektregionen entschlüsselt werden kann.
    Außerdem scheint mir die Wonne ähnlich dem Labsal aus der Mode gekommen.


    lg
    Sascha

    Gänzlich verschwunden scheint auch die, schon in meinen Jugendtagen anachronistische, Bezeichnung "Steiler Zahn" für ein begehrenswertes weibliches Wesen. Ob die Fortschritte in der dentalen Vorsorge der letzten Jahrzehnte dafür mitverantwortlich sind, kann ich nicht sagen. Jedenfalls sind ja gebissliche Vorteile nichts besonderes mehr. Interessant aber auch, dass der "Heiße Feger" ebenfalls ausgestorben scheint. Vermutlich bevorzugt man mittlerweile direktere Bezeichnungen, andererseits wird ja auch Laub auf der Straße nicht mehr gefegt...und Tanzen war ja out, oder ? :pfeif:


    lg
    Anti

    Wollte Alfred nicht erst neulich einen geschützten Forumsbereich eröffnen, wo man ungestört nur gutes über Sänger schreiben darf, die man live erlebt hat ? :D


    brüllende Grüße
    Sascha


    Ulrica: Bin gerade auf Reisen, nehme zu deinem interessanten technischen Aspekt dann via PM Stellung, wenn ich wieder etwas mehr Luft habe.

    Zitat

    Original von teleton
    Leider muß ich darüberhinaus aber feststellen, das gerade viele Werke der ZTT mich nicht ansprechen; sie sind eher für mich ungenießbar.
    Insbesondere die Werke der sogenannten "Wiener Schule" langweilen mich vollends. Dazu gehören auch die kurzen Webern-Orchesterstücke.
    Wo soll hier eine Spannung aufkommen ???
    Wie kann man daran nur gefallen finden ??
    Mathematik in Tönen ?


    Ich kann ehrlich gesagt nicht sagen, wie man an den Webern-Stücken gefallen finden kann, aber ich habe Ihn zumindest gefunden. Das begann sozusagen eher harmlos mit einer Faszination aufgrund der rigoros verdichteten Kompositionsweise und war eine Zeitlang in der Tat nicht mehr, als die Lust am Bizarren. Diese ist dann aber doch einer durchaus emotionalen Involviertheit gewichen. Die 6 Orchesterstücke op. 6 beispielsweise finde ich geradezu erschreckend verdichtete Emotion und sie sind wohl auch in engem Zusammenhang mit dem Tod von Weberns Mutter zu bringen.


    Wie auch immer, ich kann leider nicht mit so eindrücklichen Analysen wie Edwin für diese Musik werben. Ich glaube aber, dass einfach ein zentrales Problem darin besteht, dass viele Hörer innerhalb des gesamten Stückes keine Organisation mehr wahrnehmen. Bei vielen modernen Stücken hingegen, die nicht streng zwölftönig komponiert sind, lassen sich dagegen Motive in Wiederholung und Variation verfolgen, sind meist zumindest kleine Rettungshaltegriffe eingestreut, an die man sich klammern kann. Aber ohne diese zerfällt dann das Gesamtbild in viele Einzelereignisse, die dann offenbar nicht mehr emotional konsumiert werden können. Ein weiteres Problem spiegelt sich in der aktuellen Wetterlage: Wenn ich vor die Tür gehe und mich über die Kälte und den Schnee ärgere, weil doch Sonne und Trockenheit so schön sind, werden ich mich im Winter nie recht wohl fühlen. Man muß halt erfahren, dass jede Jahreszeit seinen Reiz hat.


    Gruß
    Sascha

    Man sollte halt bei dem ganzen Geschluchtze und Gejammer den Gedanken einer historischen Aufführungspraxis im Sinne einer gesanglichen Stilistik nicht ganz aus dem Auge verlieren. Bis zum Verismo hin gab es nicht wirklich eine Trennung zwischen gesanglicher Expression und Dekoration, das war beides harmonisch verschmolzen. Wenn also jemand bei Verdi meint, die Gesangslinie mit allerhand Seufzern und Wimmern "emotionalisieren" zu müssen, ist das stilitisch ungefähr so sinnvoll, wie eine Bachfuge mit allerhand Rubato und einem deftigen Crescendo aufzupeppen und beweisst nicht nur musikalische, sondern verdeckt meist auch gesangliche Defizite - bzw. versucht es (del Monaco als Lehrbeispiel). Sehr frühe Plattenaufnahmen sind da interessant. Wenn man beispielsweise Alfredo oder auch den Herzog von Sängern hört, die zeitlich an den Uraufführungen dran waren, klingt das doch alles heute etwas anders. Ich erinnere mich an einen Fernsehbeitrag, wo jemand sinngemäß erläuterte, dass beispielsweise der Rigoletto-Herzog eben heutzutage sowohl vom Stimmtypus wie auch technisch als Typ Burt Lancester besetzt werde, während historisch doch eher der Rokoko-Kavalier angeraten sei.


    Wie Ulrica richtig schreibt (ich lese es gerade, während ich noch tippe), war ja vor allem in der Nachkriegszeit die Opernszene stark inspiriert vom Verismo. In Monaco manifestiert sich das als Extrembeispiel, weil der wirklich ungewöhnlich gut bei Stimme war, aber leider auch wenig mehr gezeigt hat, als sein Material. Vermutlich mußte man das wirklich live erlebt haben, um davon beeindruckt zu sein. Unter dem Mikroskop der akustischen Aufzeichnung wirkt das auf mich nur peinlich kraftmeierisch, einseitig - und, was am schlimmsten ist, einfach nur kalt - was sicher auch an der Wiederholbarkeit mittels Tastendruck liegt.


    Gruß
    Anti

    Ich bin gespannt, aber skeptisch. Wie steht es denn um den musikalischen Hintergrund von Lepage ? Ich bin immer gewissermaßen etwas unruhig, wenn die Leute vor allem nur Theater und Film gemacht haben. Lars von Trier beispielsweise halte ich für einen der ganzen großen Regisseure der letzten Jahrzehnte, aber ich hab immer mit gemischten Gefühlen auf Bayreuth gewartet. Die Zusammenarbeit mit Gabriel bescheinigt ja immerhin Erfahrungen im Bereich der anspruchsvollen Mucke außerhalb des klassischen Bereichs.


    Auch bei Kaufmann habe ich so meine gemischten Gefühle. Der Siegmund liegt ihm sicher von der Tessitura her, aber die Rolle fordert doch einiges an Stamina. 2009 ist ja der Lohengrin dran, da wird man schon einiges absehen können, gerade bezüglich des dritten Aktes. Vor allem ist er doch doch noch sehr viel mehr in der Höhe gefrordert.


    Gruß
    Anti

    Zitat

    Original von Theophilus


    Ich würde sagen, sie sind weniger Diffusoren als Schallschlucker. Daher versucht man bei neuen Bestuhlungen diese so zu gestalten, dass sie ähnliche schallschluckende Eigenschaften besitzen wie der "durchschnittliche" Konzertbesucher. Damit reduziert man immerhin die Problematik der wechselnden Akustik bei unterschiedlichem Besuch.


    Die Berliner Philharmonie, wie wir ja jetzt dank dieses wundervollen Threads wissen, nicht nur ästhetisch verfehlt und akustisch arg defizitär sondern auch ein krisengeschütteltes Orchester beherbergend, besitzt eine solche Bestuhlung übrigens schon seit Ihrer Ersteröffnung. Das macht aber wohl auch nix mehr aus, weil wohl speziell Karajan und Barenboim durch akustische Dauerbeschallung mit Ihren verfehlten musikalischen Produkten offenbar substantielle Defekte des Gesamtkonzeptes verursacht haben, die auch ein allseits beliebter Abbado nicht mehr retten konnte. Naja, fast hätte es neulich geklappt und dieses Ärgernis wäre abgebrannt.


    Gruß
    Sascha

    Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Was isn das eigentlich: Eine "Referenzaufnahme"?


    Referenziert nicht jede Aufnahme eines Orchesters auf das Orchester?
    :stumm:


    Dazu gab es hier im Forum doch schon so einige Threads. Ich denke, man kann deshalb die Diskussion darüber getrost ausgelagert lassen, und sich halbwegs erschließen, was wohl gemeint sein könnte. :pfeif:


    Gruß
    Sascha

    Ich muß bei der Beurteilung von Abbado-Aufnahmen immer etwas vorsichtig sein, weil ich die Aufführungen in der Regel live miterlebt habe, und der Begeisterungstaumel des Liveerlebnisses ist ja meist emotional-euphorisch eingetrübt und wirkt ja noch beim Hören der Konserve nach.


    Dennoch, Mahler 6 & 9 mit Abbado sowie die zweite Brahms sind ganz heiße Kandidaten auf der Favoritenliste der Berliner. Mit Abbados Beethoven, den ich live sehr mitreißend fand, hatte ich anfangs Probleme (vermutlich, weil ich zum Zeitpunkt des Erscheinens gerade Klemperer-fixiert war, das sind nun wirklich 180 Grad...). Ich gewöhne mich aber gerade dran.


    Unterschätzt sind meiner Meinung nach die bei Sony erschienenen Mozartaufnahmen Abbados mit den Berlinern. Liegt vermutlich auch daran, dass in einer Phase des HIP-rausches entstanden und somit nicht so im Fokus der Kritik gestanden. Aber ein reinhören beispielsweise hier lohnt durchaus:



    Von den vielen guten Aufnahmen mit Bruckner und Wand ragt für mein persönliches Befinden die vierte heraus:



    Gruß
    Sascha

    Hauptsache vor den Wienern... :stumm: :D


    Aber mal im Ernst, wir wissen doch, wie das beim Gramophone gelaufen sein wird. In stundenlanger Redaktionskonferenz wurden Strategien erörtert, wie man das London Symphony Orchestra auf Platz eins setzen könne, ohne das übliche Mißtrauen zu ernten, dass immer mal wieder aufkommt, wenn unter den 10 CDs des Monats mal wieder 7 mit englischen Interpreten und/oder Komponisten sind, die keiner kennt. :pfeif:
    Vermutlich ergab eine interne Untersuchung, dass man höchstens mit Platz 14 kalkulieren könne und man einigte sich diplomatisch auf Platz 4. Der Chefredakteur schlug dann vor, einfach die drei besten Orchester der Welt in alphabetischer Reihenfolge davor zu gruppieren. Aber das hätte ja bedeutet...nee, nachdem kurz Wörter wie Krauts und Blitzkrieg über den Redaktionstisch flogen, entschied man sich für eine modifizierte alphabetische Reihenfolge. :rolleyes:


    Gruß
    Sascha

    Zitat

    Original von Principe
    Am 30. 11. 2008 um 11.00 Uhr findet in der Deutschen Oper Berlin eine literarische Vorstellung statt, Eintritt 6,00 Euro.


    Jürgen Kesting stellt die überarbeitete, erweiterte Fassung seines Nachschlagewerkes "Die großen Sänger" vor (Lesung mit Musikbeispielen).


    Ciao :hello: Principe


    Ich werd schon allein deshalb hingehen, um auf eventuelle Skandale zu hoffen. Vermutlich wird der Saal der DOB dann zur Hälfte mit Rene Kollo-Fans gefüllt sein, die endlich darauf warten, dass Kesting Ihn zum größten Wagner-Tenor aller Zeiten erklärt, oder andernfalls die Veranstaltung sprengen. :stumm: :pfeif:


    Gruß
    Sascha


    PS: Wobei die Lesung ja nur im Foyer stattfindet...

    Zitat

    Original von Armin Diedrich


    Ich hoffe, die Tischbeine werden vorher gebührend verstärkt! Und wenn ich auf den Preis sehe...


    Naja, angesichts des Umfanges und der Tatsache, das auflagetechnisch sicher nicht mit Bushido konkurruiert werden kann, finde ich den Preis doch relativ normal. Die Frage ist, was die alternativen sind ? Die meisten angloamerikanischen Werke sind veraltet und/oder vergriffen und Fischer ist zwar sehr lesenswert, aber auch schon fast 20 Jahre auf dem Markt und in vielen Dingen nicht sehr ausführlich. Von Brug schweige ich lieber.


    Die Frage ist für mich jetzt eher, wie gründlich die Überarbeitung ist...ansonsten nutze ich weiter die Exemplare aus unserer Musikbibliothek, die sonst keiner ausleiht. :D


    Gruß
    Sascha