Das Forum überrascht mich immer wieder: Während naturgemäß immer noch Threads zu zentralen Sängern des Jahrhunderts fehlen, stelle ich nun fest, dass bereits ein - meiner Aufmerksamkeit seinerzeit entgangener - Thread über Kozlovsky nicht nur existiert, sondern sogar 17 Beiträge hervorgebracht hat.
Damit erübrigt sich erfreulicherweise mein Vorhaben, einen Thread zu diesem bemerkenswerten Tenor zu eröffnen.

Wie schon bemerkt wurde, ist der Name ja auch unter Gesangsinteressierten keineswegs geläufig. Bezeichnend, dass beispielsweise Alain Paris den Sänger in seinem "Lexikon der Interpreten klassischer Musik im 20. Jahrhundert." gar nicht erwähnt. Wesentlich für den niedrigen Bekanntheitsgrad ist sicher, dass alle vorhandenen Aufnahmen ausnahmslos in russischer Sprache vorliegen. Stalin, der den Sänger sehr bewunderte, soll geäußert haben, es würde dem Sänger jeden Wunsch erfüllen - außer der Ausreise.
Die stimmlichen Ressourcen und die technischen Möglichkeiten des Sänger sind, wie schon allseits bestätigt wurde, außergewöhnlich. Ich tue mich immer schwer, so nahe der Begriff "Stimmfarbe" das auch legt, nun eine weiße oder eine rote Stimme zu beschreiben. Ich identifiziere da jedenfalls eine ausdrucksvolle, elegische Einfärbung, und ja: Vor allem, wenn der Sänger mezza voce singt, ist betörend, wie Misha vorschlägt, ein Begriff, der auch meine Empfindungen wiedergibt.
Was Kozlovsky technisch kann, ist atemberaubend. Spitzentöne, die aus der Vollstimme heraus dann mezza voce attackiert werden, messa di voce, akurat ausgeführte Verzierungen und auch hohe und höchste Töne in der Vollstimme. Der Ukrainer bildet die Vollhöhe interessanter Weise nicht mit Verschlankung des Tones, sondern - was ich im Gesamtbild nicht ganz unproblematisch finde - mit breitem, ausladenden Klangstrom. So druckvoll diese Töne gebildet sind, so mühelos erscheinen sie andererseits dennoch.
Beeindruckend finde ich seinen (mir in Ausschnitten zugänglichen) Alfredo aus La Traviata, wo er viel Effekt mit der Halben Stimme macht. In der Cabaletta kommen die Gruppetti akurat, wie mit der Nähmaschine gerattert, die Übersetzung scheint mir allerdings das Legato zu beschränken. Er schließt mit einem Spitzenton ab, der die meisten Manricos stolz machen würde (und darum etwas deplatziert wirkt).
Hat jemand die Gesamtaufnahme der Traviata mit Schumskaya und Lisitsian, unter Orlov ? Würde mich sehr interessieren, zumal ich Lisitsian in Ausschnitten als Germont habe, und ebenfalls vorzüglich finde.
Kozlovsky singt als Duca im Rigoletto in Annäherung an die Sänger des 19. Jahrhunderts, einen elegant werbenden Kavalier mit vielfältigen dynamischen Schattierungen und rhythmischer Finesse. Das mag für Hörer, die den Herzog durch Sänger vom Typus eines Domingo kennengelernt haben, befremdlich wirken, ist aber wohl aus historischer Sicht korrekter. Großartig hier beispielsweise das "E´il so dell´anima".
Aber meine Begeisterung kennt Grenzen. In " Questa o quella" leistet sich der Sänger Spitzentöne, die bar musikalischen Sinns ausgehalten werden und Dank ihres fast gewalttätigen Klangcharakters Bilder einer startenden Sojus-Trägerrakete imaginieren. Man kann nun sagen: Wer kann, der kann, so einfach ist die Sache aber nicht. Aus meiner Sicht wird dadurch ein Interpretatorisches Ungleichgewicht geschaffen. Der zauberhaften Eleganz, der zarten Lyrik des Anfangs stehen vergleichsweise rohe Elemente gegenüber, das Ganze wirkt unausgewogen und stilistisch uneinheitlich. Für mich liegt hier eine Schwäche des Sängers, die sich öfters störend bemerkbar macht. Nicht umsonst ist eine Aufnahme des "ecco ridente" nicht nur eine technische Lehrstunde, sondern auch eine in Geschmacklosigkeit. Kozlovsky verfügt zwar über die technischen Fähigkeiten der großen Sänger der Jahrhundertwende, nicht aber über deren Stilsicherheit. Somit werden seine Interpretationen gelegentlich – vor allem bei stark verzierter Musik – zu atemberaubenden Gesangsdemonstrationen, aber nicht zu geschlossenen wirkenden Modellinterpretationen. Der Hand zur tenoralen Selbstgefälligkeit verstärkt das Bild.
Diesbezüglich scheint hier die Politik wieder mal einen kulturellen Schaden angerichtet zu haben, der nicht genug bedauert werden kann. Wenn der Sänger die Möglichkeit gehabt hätte, in der internationalen Opernszene zu arbeiten, hätte dies womöglich diese Defizite beseitigt. Man stelle ihn sich in italienischer Sprache mit seinen technischen Möglichkeiten in Werken vor, die den Canto fiorito ausleben, beispielsweise in den frühen Callas-Aufnahmen. Oder als deutsch singender Lohengrin in den einschlägig bekannten Gesamtaufnahmen. Die Brautgemachszene in russischer Sprache steht, vor allem was lyrische Tonschönheit und eloquente Phrasierung betrifft, in einer Reihe mit den allergrößten Aufnahmen dieser Stelle (ich zähle dazu Völker und Melchior). Hier gibt er sich auch stilsicher, und bringt nicht zuletzt durch die Eleganz der Ausführung in Erinnerung, dass auch Wagner Verzierungen komponiert hat.
Letztlich hatte dieser Sänger aus meiner Sicht alle Möglichkeiten, einer der größten Tenöre des 20. Jahrhunderts zu werden, hätte man Ihn nicht hinter den eisernen Vorhang gesperrt. Wohl Infolgedessen hinterlässt er nur einige eindrucksvolle Aufnahmen, die stellenweise stilistisch provinziell wirken. Dennoch ein großer Sänger- und einer, den man unbedingt gehört haben muss.
Wie in den Beiträgen oben erwähnt, sind viele Aufnahmen für wenige Euro zu haben. Einen guten Überblick bietet auch die folgende Recitalplatte:

Gruß
Sascha