Beiträge von ChKöhn

    Die anderen Sätze finde ich tendenziell etwas hausbackener, beim zweiten Satz des zweiten Konzerts fehlt mir etwas der letzte dramatische Wumms.

    Ich finde dadurch vor allem das Verhältnis der beiden ersten Sätze zueinander falsch: Der erste Satz ist überschrieben "Allegro non troppo", der zweite "Allegro appassionato". Bei Levit klingt aber der erste wesentlich mehr "appassionato" als der zweite, der dadurch im dramaturgischen Gesamtzusammenhang (auf mich) etwas deplatziert wirkt und außerdem zu wenig Kontrast zum dritten hat. Wenn das ein bewusstes Konzept ist, habe ich es nicht verstanden.


    Insgesamt eine durchaus ansprechende Aufnahme der beiden Konzerte, die es aber sicherlich nicht in den Zimerman-Bernstein-et-al.-Olymp schafft.

    Ja, so kann man es sagen. Meine Enttäuschung kommt eher daher, dass ich Levit mehr als "Ansprechendes" zutrauen würde, wenn er sich wie z.B. der besagte Arcadi Volodos vor einer Aufnahme erst einmal ein paar Jahre Zeit mit der Musik ließe ;). Bei den späten Stücken gibt es jedenfalls zahllose Details, die er nicht (oder zumindest nicht hörbar) reflektiert hat. Brahms schreibt z.B. im Intermezzo op. 116 Nr. 2 bei den beiden ersten (eintaktigen) Phrasen jeweils einen "Schweller" zur Taktmitte, bei der folgenden längeren (zweitaktigen) Phrase aber nicht. Wenn dann ab dem 9. Takt das ganze Thema variiert wiederholt wird, ist es umgekehrt: Der "Schweller" steht nur bei der dritten Phrase. Wenn man das (zusammen mit der von p zu pp veränderten Grunddymanik) genau realisiert, verändert sich dadurch beim zweiten Mal die musikalische Aussage. Bei Levit ist das kaum bis gar nicht zu hören, es wird nur insgesamt etwas leiser. Oder beim Beginn von op. 118 Nr. 2: Das Stück beginnt piano, dann folgt piano dolce, dann pianissimo und schließlich pianissimo dolce. Wenn man weiß, wie extrem wichtig Brahms solche Vorschriften waren, wie oft er sie bis zur Drucklegung noch gestrichen, geändert oder ergänzt hat, dann sollte man das als Interpret schon sehr ernst und genau nehmen und wirklich vier dynamische bzw. klangliche Abstufungen hörbar machen, statt sich einfach auf seine "landläufige" Musikalität zu verlassen und so schön wie möglich zu spielen. Oder in der Romanze op. 118 Nr. 5 (die Levit ansonsten wie gesagt sehr schön spielt): Dort gibt es in T. 12 eine Stelle, bei der die Achtelbegleitung links jeweils kurz das Melodieintervall von rechts imitiert, wovon man wiederum bei Levit (wie allerdings auch bei den meisten anderen) nichts hören kann (im Notenbeispiel jeweils farbig markiert):



    Ich finde es ausdrucksvoll, schön und auch einfach strukturell sinnvoll, das dezent aber dennoch deutlich zu zeigen, so dass sich eine Art heimlicher Dialog zwischen führender rechter und "zustimmender" linker Hand ergibt.
    Und so weiter: Solche Dinge gingen mir beim Hören wirklich ständig durch den Kopf. Hier etwas überspielt, dort nicht konsequent, hier zu schnell drüber weg und so weiter. Dass Levit ein hervorragender Pianist ist, der trotz allem keinen "Mist" abliefert, ist klar, aber gemessen an seinen Möglichkeiten und auch an wirklich herausragenden Brahms-Pianisten wie Julius Katchen oder eben Volodos ist mir persönlich das zu wenig.

    Ja, man kann nur versuchen, das nachzuempfinden, muss man aber natürlich nicht.

    Das kann man versuchen, aber ich teile eher die Skepsis von Goethes Faust, der seinem Diener Wagner erklärt:


    "Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit

    Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.

    Was ihr den Geist der Zeiten heißt,

    Das ist im Grund der Herren eigner Geist,

    In dem die Zeiten sich bespiegeln."


    Glenn Gould hat mal bei einer allseits bekannten Beethoven-Sonate versucht (und das so erklärt), die Wirkung eines ursprünglich überraschenden und schockierenden subito piano dadurch wiederherzustellen, dass er statt des (nunmehr von allen erwarteten) piano forte spielte. Da war zwar, wie immer bei ihm, eine gute Portion Provokation dabei, aber der Grundgedanke ist schon richtig.

    Jetzt habe ich auch die sechs Klavierstücke op. 118 gehört und bin zunehmend ernüchtert: Schon das kadenzartige Eingangsstück rauscht spannungs- und ideenlos einfach durch, nicht viel besser die g-moll-Ballade (Nr. 3) und das Intermezzo f-moll (Nr. 4). Etwas besser sind die langsamen Stücke, die vor allem von Levits sehr schönen leisen Tönen profitieren, aber abgesehen davon verlässt er auch da kaum den Bereich der sicheren musikalischen Routine. Am besten gefiel mir noch die Romanze (Nr. 5), die Levit sehr schön ausgehört und gestaltet hat. Insgesamt aber klingt das für mich nach einem Schnellschuss, mit Können abgeliefert, aber oft zu eilig, zu glatt und kaum mal jenseits von routiniert gutem Klavierpiel. Wer diese Stücke in ihrem erschütternden Ausdrucksreichum und in feinsten Nuancen wirklich erleben will, soll sich mal zum Vergleich die großartige Einspielung von Arcadi Volodos anhören, die dieser allerdings auch erst anging, nachdem er sich jahrelang intensiv mit dieser Musik auseinandergesetzt hatte. Davon ist bei Levit für mich nichts zu hören. Wie schon bei einem Teil seiner Beethoven-Einspielungen denke ich: Er macht zu viel und zu schnell.

    Inzwischen gibt es Signale aus der Politik, die in Richtung der Petition gehen.


    Tim Klüssendorf (SPD) hat in der Bundestagssitzung am 25.9. gesagt:


    „Wir werden die Neuregelung der Umsatzsteuerbefreiung von Bildungsleistungen, wie sie im Entwurf angelegt ist, so nicht beschließen. Wir nehmen die Unsicherheit über die vollumfängliche Fortführung der bisherigen Umsatzsteuerbefreiung, die momentan da ist, wahr und werden dementsprechend einen neuen Paragrafen dazu vorschlagen. Das bedeutet, dass wir nur minimalinvasiv das umsetzen, was europarechtlich geboten ist. Alle zusätzlichen Erläuterungen und Klarstellungen, die gemacht werden sollten, wird der Gesetzentwurf nicht mehr enthalten, der am Ende den Deutschen Bundestag in zweiter und dritter Lesung erreichen wird. Ganz klar und deutlich: Mit uns wird es keine Verteuerung und keine Verschlechterung geben, gerade was den Bereich der Musik- und Tanzschulen, aber auch was den gesamten Bereich der Bildungsleistungen angeht. Das ist das Signal, das heute schon in der ersten Lesung gesendet wird.“

    Siehe hier: https://dserver.bundestag.de/btp/20/20187.pdf

    Wäre das was Levit macht nicht so unfassbar aufregend, wäre das Fazit zu meinen Hörerlebnis: „Kenn ich schon, hab ich so schon x-fach gehört“

    Ich habe mir die Aufnahmen gestern (also am Erscheinungstag) ebenfalls angehört und bin auch von Levits Spiel nicht restlos überzeugt, wobei das meiste eher eine Frage des Geschmacks als der Qualität ist. Zum Beispiel geht mir das "Allegro non troppo" im Kopfsatz des B-Dur-Konzertes bei Levits Sturm- und Drangversion zu sehr unter, manche Steigerung setzt er für mich zu früh an und geht zu oft nach vorn statt sich gewissermaßen im Raum auszubreiten, womit er vielleicht an Dramatik gewinnt aber an Spannung und Größe verliert. Die Staccato-Akorde im punktierten Rhythmus (1. Satz op. 83, T. 155) spielt er senza Pedal und deutlich überpunktiert, wodurch sie für mich zu wenig gewichtig und eher skuril klingen. Brahms schreibt ausdrücklich Achtelnote, Sechzehntelpause und Sechzehntelnote, und ich finde, dass bei ihm (im Unterschied z.B. zu Schumann) bei punktierten Rhythmen so gut wie immer gerade die kurzen Noten besonderes Gewicht benötigen. An anderen Stellen spielt er wiederum mit ungewohnt viel Pedal, z.B. im Finale des d-moll-Konzerts beim Seitenthema, wo die begleitenden Sechzehntel links staccato notiert sind, wovon man bei ihm nichts hören kann. Erstaunlich fand ich, dass er einige (wenige) pianistisch berüchtigt schwere Stellen eher akzeptabel als makellos spielt, z.B. den Fis-Dur-Aufgang in Doppelgriffen (op. 83, 1. Satz, T. 114), bei dem er einige Töne hörbar weglässt und sich (z.B. verglichen mit Krystian Zimerman oder Claudio Arrau) eher so durchmogelt. Gut gefallen haben mit die langsamen Sätze und das Finale des B-Dur-Konzerts, trotz einiger Irritationen im Detail. Insgesamt für mich keine der ganz großen Einspielungen dieser Konzerte, wie z.B. Zimerman/Bernstein oder Gilels/Jochum.

    Gehört habe ich vorhin noch einen Teil der "Zugaben", nämlich die Fantasien op. 116: Das fand ich insgesamt sehr schön, herausragend die langsamen Mittelstücke Nr. 4 bis 6. Ein paar (vor allem dynamische) Details des Notentextes sind ihm anscheinend entgangen, aber das fand ich nicht allzu wichtig.

    Brahms, Klavierstücke op. 119 aus der bis heute unübertroffenen (und unbegreifleicherweise aus dem Katalog gestrichenen) Gesamteinspielung mit Julius Katchen:



    Den Verzweiflungs- und Wutausbruch am Ende der Rhapsodie hat wahrscheinlich niemand mehr so zwingend gespielt wie Katchen in dieser mehr als 60 Jahre alten Aufnahme.


    Ich höre in diesem Zusammenhang die Hervorhebung der Quint (in den Außenstimmen 1. Oboe und Hörner) zusammen mit dem Decrescendo als melodische Vorbereitung des Themas, das ja (in den Bratschen) auf eben dieser Quint beginnt und sie als Zentralton beibehält, aber nicht oder kaum als harmonisches Spannungselement. Am Ende finde ich es noch klarer, weil da der Akkord zunächst vollständig, mit dem forte gespielten Grundton in den tiefen Streichern erklingt und dann lediglich die Bläser im Decrescendo übrig bleiben. Das ist für meine Ohren ein Akkord in Grundstellung mit Reminiszenz an den offeneren Anfang und das quintbasierte Thema. Insofern bin ich bei Werner, der geschrieben hat:

    mir schien immer, dass da zu viel Lärm und fast nichts gemacht wird. Vor allem schien mir der Begriff »Dissonanz« im Verhältnis zu dem, was man hört, um einige Grade zu heftig.

    Sehe ich nicht so, die dissonante Wirkung entsteht doch nicht im Nachhinein durch die Auflösung sondern hier durch das unvorbereitete Auftreten des Akkords.

    Es ist doch gerade das Wesen der Funktionstheorie, dass Akkorde ihre Funktion nicht für sich haben sondern erst im Zusammenhang bekommen. Ausnahmen sind nur die sogenannten "charakteristischen Dissonanzen" kleine Septim (zum Dur-Dreiklang) und große Sext (zum Dur- oder Moll-Dreiklang), also z.B. der Anfang von Beethovens erster Symphonie mit dem D7. Das Beispiel, das Du aus dem Riemann-Buch zitierst, stammt aus dem Kapitel "Vorhaltsdissonanzen" und beschreibt ausdrücklich den Vorhaltsquartsextakkord, der natürlich immer dissonant ist, der aber hier bei Beethoven gerade nicht vorliegt. Dass dieser Akkord in der Siebten trotzdem eine gewisse Spannung hat, weil das Fundament des Grundtons zunächst fehlt (bzw. am Ende wegbricht), hatte ich ja bestätigt. "Konsonanz" und "Dissonanz" sind ursprünglich Klassen von Intervallen bzw. Intervallcharakteren, nicht von Akkorden. Das bedeutet aber, dass bei der Auflösung "dissonanter" Akkorde in "konsonante" Intervallschritte stattfinden, was hier bei Beethoven nicht der Fall ist. Genau mit solchen Schritten beschäftigt sich Hugo Riemann in dem o.g. Kapitel seines Buches.

    Ist denn die oben erwähnte Stelle in der vierten Variation des dritten Satzes von Beethovens op. 109 für Dich eine Dissonanz?

    Ich meine die vier Takte nach sempre pp sich steigernd bis ff.

    Wenn wir dieselbe Stelle meinen: Ja, die ist dissonant, weil (in T. 108) die Akkorde von der (Zwischen-)Tonika gis-moll zur (Zwischen-)Dominante Dis-Dur und wieder zurück wechseln, dabei aber der Bass beim Tonika-Grundton Gis stehen bleibt, was dann natürlich zu einer dissonanten Reibung zur Dominant-Terz gisis führt. Allerdings wird diese Reibung dadurch abgemildert, dass die Töne nicht wirklich gleichzeitig sondern mehrfach im Sechzehntelabstand nacheinander klingen. Normalerweise spielt man das aber mit Pedal, so dass es dann doch wieder zusammenklingt (dass die Pedal-Vorschrift gerade in diesem Takt aufhört, ist kein hinreichender Grund, ihn ohne Pedal zu spielen, weil Beethoven die Pedalisierung im ganzen Stück nur andeutet und nicht konsequent vorschreibt). Und selbst wann man das vermeidet, geht es so schnell zwischen den beiden Tonarten hin und her, dass die Reibung unüberhörbar ist.


    Ich würde das eigentlich als Dreiklang in Quintlage deuten, der um die tiefe Quinte ergänzt ist (vermutlich aus klanglichen Gründen), die dann natürlich eine Quarte zum Grundton bildet.

    Genau, und weil zusätzlich die tiefe Quinte eine Sext zur Dreiklangsterz bildet, heißt das Ding "Quartsextakkord" ;). (Die Bezeichnung hat ihren Ursprung natürlich im Generalbass, wo die Akkorde nicht auf einen Grundton bezogen sowie nach ihrer Kadenzfunktion beschrieben werden, sondern als Intervallschichtung über dem jeweiligen Basston.) Dieser Beginn mit der Quinte im Bass, zu dem sich dann der Grundton gesellt, ist eine "abgeschwächte" Version des normalen Kadenz-Quintfalls von der Dominante zur Tonika (lat. cadere = fallen): Man hat denselben Quintfall und auch das Verhältnis von Spannung und Auflösung, das aber weniger stark ist als in einer 5-1-Kadenzformel, eben weil es keine dissonanten Intervalle innerhalb des Akkords gibt, die dann aufgelöst werden. (Das wäre anders, wenn auf diesen Akkord zunächst die Dominante E-Dur folgen würde, was die "übliche" Fortsetzung wäre.) Das vergleichbare Beispiel von Schumanns Davidsbündler-Tänzen hatte ich schon genannt, etwas verwandt (wenn auch anders) wäre auch der Beginn des langsamen Satzes der Hammerklaviersonate, bei dem die beiden (nachträglich hinzugefügten) Oktaven a und cis ja ebenfalls konsonant im Dreiklang sind, aber den Eintritt des Grundtons fis verzögern und ihn deshalb mit einer gewissen Spannung vorbereiten. Besonders raffiniert ist das Spiel mit den Tonarten und Erwartungen am Beginn von Beethovens c-moll-Violinsonate: Die beginnt mit einer "leeren" G-Oktav, die sich dann als Quint des c-moll-Dreiklangs entpuppt. Nach einer Generalpause geht es mit der Oktav C weiter, die nach dem Gehörten wie ein Grundton klingt, sich dann aber als Quint der Subdominante f-moll erweist. Mit deren F geht es nach einer weiteren Generalpause weiter, und wieder zeigt sich erst in der Fortsetzung, dass das F jetzt die Septim im Dominantseptakkord in G-Dur ist. Wir haben also letzten Endes eine einfache Hauptkadenz, 1-4-5-1, deren Funktionen aber jeweils verspätet hörbar werden.

    Dennoch ist es anscheinend nicht ganz falsch. ;)

    Ok, darauf können wir uns einigen ;).


    ChKöhn Ist denn die oben erwähnte Stelle in der vierten Variation des dritten Satzes von Beethovens op. 109 für Dich eine Dissonanz?

    Ich meine die vier Takte nach sempre pp sich steigernd bis ff.

    Ich schaue mir die Stelle nachher an; jetzt warten die Studenten...


    Tittel Harmonielehre S. 27f (kann dissonant sein, wirkt als Vorhalt dissonant)

    Der Quartsextakkord ist hier allerdings kein Vorhalt, denn es folgt ja einfach der Grundton und keine Auflösung in Terz und Quint. Es ist also einfach ein umgekehrter Dreiklang mit der Quint im Bass, so ähnlich wie am Schluss des vorletzten von Schumanns Davidsbündler-Tänzen.

    Ganz falsch ist das aber nicht. Soweit ich mich erinnere, galt zu jener Zeit der Quartsextakkord noch als Dissonanz, also als ein Akkord, der nur als Durchgangsstation zulässig war. Insofern ist seine Verwendung als Schluss eines Satzes bemerkenswert, wie es auch die Verwendung eines Terz-Quart-Akkords als Schlussakkord wäre. (

    Das kenne ich etwas anders: Natürlich ist der Quartsextakkord z.B. bei Hugo Riemann nur als Durchgangsakkord zulässig (meist in Form eines Doppel-Vorhalts) und insofern hier sehr bemerkenswert, aber ich habe dafür als Beschreibung noch nie den Dissonanzbegriff gehört. Riemann geht von der "primären Klangeinheit" von Dur- und Molldreiklängen aus. Jeder Ton ist dann entweder Grundon, Terz oder Quint eines Dreiklangs, und ein Zusammenklang ist dann konsonant, wenn seine Töne sämtlich auf denselben "Klang", und dissonant, wenn sie auf verschiedene "Klänge" bezogen werden (so habe ich es erinnert und gerade noch einmal nachgeschlagen). Es kann aber sein, dass der Dissonanzbegriff in anderen theoretischen Zusammenhängen auch anders verwendet wird.

    Das Beispiel passt halt nicht, weil es kein wesentlicher Punkt ist.

    Wir warten nach wie vor gespannt auf die Begründung, warum dieser Punkt nicht wesentlich ist. Dass auch andere Regisseure das Stück verändert haben, sagt natürlich nichts darüber aus, was im Stück steht und von welcher Bedeutung das ist. Bis zu einer Begründung anhand des Stückes ist Deine Behauptung also hinfällig, egal wie oft Du sie in Kaletha-Manier noch wiederholst.

    Der zweite Satz von Beethovens 7. Sinfonie beginnt und endet mit einem dissonanten Akkord (ich weiß ehrlich gesagt nicht welcher, Harmonielehre war nie so mein Ding). Das ein dissonanter Akkord am Ende eines Satzes steht und NICHT aufgelöst wird, wie sonst in der Klassik üblich, ist bemerkenswert. Aber, meiner Meinung nach, funktioniert es sehr gut.


    LG aus Wien.:hello:

    Das ist kein dissonanter Akkord sondern ein Quartsextakkord, also ein Dreiklang auf der Quint.

    Also, so grausam waren die 90er Jahre nun wirklich nicht, dass man Pärt mit ihnen verknüpfen muss... ^^:untertauch:

    Stimmt, aber Gorecki ist auch nicht besser. Ich musste vor einiger Zeit eine junge Geigerin auf den Wieniawski-Wettbewerb vorbereiten und dabei das Pflichtstück von Gorecki mit ihr spielen. Die größte und einzige interpretatorische Aufgabe bestand darin, nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. Ich bin gescheitert.

    Übrigens hast du die Inszenierung kritisiert. Ich zitiere:

    "Darum fälscht er [der Regisseur] die Geschichte und verharmlost sie."

    Du hast das Zitat verkürzt und aus dem Zusammenhang gerissen. Es ging ausdrücklich nicht um eine Bewertung der Inszenierung (der von Dir ausgelassene Satz lautet: "Das kann man so oder so bewerten"), sondern um die Feststellung, dass man nicht gleichzeitig verlangen kann, es müsse auf der Bühne grundsätzlich genau das gezeigt werden, was die Autoren sich gewünscht haben, um dann eine Inszenierung gutzuheißen, die das Stück in einem wesentlichen Punkt verändert (was Alfred getan hat). Ich habe diesen Gedanken sofort verstanden. Denk am besten noch mal drüber nach.

    Wenn die Dinge so liegen, wie Tristan das soeben schildert, dann ist das ein sehr großer Fehler, nicht einfach nur ein Fehler.

    Die Dinge liegen aber nicht so. Die Experten, die sich jahrzehntelang intensiv mit dem Thema beschäftigt haben, sind vielleicht doch nicht ganz so doof, "sehr große Fehler" zu begehen, die hier jeder sofort erkennt.

    Ich brauche nicht zu argumentieren - und ich tue es auch nicht. Der hier gezeigte Trailer der Inszenierung der Wiener Volksoper ist IMO aussagekräftig genug.

    Er wird für sich sprechen. Und wem das nicht genügt, für den habe ich noch das Statements des Regisseurs dieses "Kunstwerkes" ebenfalls verlinkt.

    Also ich habe den Trailer und das Interview gesehen und fand beides so interessant, dass ich daraufhin gleich nachgesehen habe, ob ich die Inszenierung im nächsten Monat, wenn ich für ein paar Tage in Wien sein werde, noch sehen kann. Leider steht sie nicht mehr auf dem Spielplan. Trotzdem danke für den Hinweis!

    Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich in die Nesseln setze: Ein solches Urteil kannst Du auf Basis dieses recht kurzen Clips formulieren? "Die Entführung aus dem Serail" ist ca. zweieinhalb Stunden lang, der Clip keine fünf Minuten, und dann enthält er kaum zusammenhängendes Material und auch noch einige Interviews. Mehr als ein kleiner, kurzer Appetithappen kann das doch eigentlich kaum sein.

    Fünf Minuten ist sogar viel, denn üblicherweise reicht den wahren Opernkennern 1/125 Sekunde (oder welche Belichtungszeit der Fotograf gerade eingestellt hatte), um eine Inszenierung zu beurteilen. Einfach großartig, wenn man so etwas kann.

    Ich würde ohne zu zögern Option 3 nehmen, und danke dir für den Hinweis auf Alma Deutscher.

    Ich kann verstehen, wenn jemand keinen Ligeti hören will; niemand mag alles gleichermaßen. Ich hatte z.B. ziemlich lange Probleme mit Wagner, höre bis heute kaum Hindemith oder Strauss usw.. Aber dass sich jemand statt dessen freiwiliig länger als fünf Minuten dieser sterbenslangweiligen Ansammlung von beliebig aus der Musikgeschichte abgekupferten Versatzstücken aussetzen will, ist mir wirklich vollkommen unbegreiflich.

    Gestern Abend hätte Krystian Zimerman eigentlich im Theater Münster spielen sollen, hat aber, wie der Veranstalter bekannt gab, "aus produktionstechnischen Gründen" abgesagt. Aus gewöhnlich gut informierten Kreisen habe ich gehört, dass Zimerman den ihm anscheinend unbekannten Saal zuvor akustisch ausmessen wollte, dass aber das Theater (das nicht Veranstalter war) ihm statt der dafür verlangten zehn Stunden nur sieben zugebilligt habe. Daraufhin sagte er ab. In diesem Interview hat er vor einem Jahr erzählt, dass er bereits 200 Säle von einer Spezialfirma hat analysieren lassen, und dass er seinen Flügel jeweils persönlich darauf "einrichtet". Auch auf Nachfrage wollte er keine Details nennen, was er genau mit dem Instrument anstellt, hat aber immerhin mitgeteilt, dass er in einer halben Stunde schaffe, wofür ein Klavierbauer normalerweise eine Woche benötige. Ich muss zugeben, dass ich das alles sehr irritierend finde: Natürlich kann man einen Flügel für die jeweilige Saalakustik intonieren; wenn man sehr schnell ist, vielleicht auch in einer halben Stunde (was pro Ton ungefähr 20 Sekunden bedeutet). Aber selbst ein sehr langsamer Klavierbauer braucht dafür natürlich bei weitem keine Woche. Und wenn man einen Flügel einmal "weich" intoniert hat, ist es nur sehr schwer und kaum ohne Qualitätseinbußen möglich, ihn anschließend wieder brillanter hinzukriegen. Also sollte man das nur mit äußerster Vorsicht tun. Zimerman selbst vergleicht die Sache im Interview mit einem Kartentrick-Spezialisten, dessen Magie nur funktioniere, solange man nicht weiß, wie er das macht. Nach Hokuspokus klingt das alles bei ihm schon...

    Ein Nachteil war die Absage allerdings letzten Endes nicht: An seiner Stelle spielte Arcadi Volodos mit unvergleichlichem Klangfarbenreichtum, mit großer innerer Freiheit, zugleich gelöst und konzentriert und mit nach wie vor überragender Spieltechnik. Die Fahrt nach Münster hat sich gelohnt, ganz ohne Messtechnik.


    P.S.:
    Es kommt übrigens noch eine Sache hinzu, die ich nicht verstehe: Säle ändern bekanntlich erheblich ihre Akustik, wenn Publikum darin sitzt. Zwar versucht man das bei den neuesten Sälen durch besondere Sitzpolster, Stoffe usw. zu vermeiden, aber erstens funktoniert das nur eingeschränkt, und zweitens spielt ja auch Zimerman nicht nur in neuesten Sälen. Da aber seine Akustikmessung natürlich ohne Publikum stattfindet, frage ich mich erst recht, was das alles eigentlich soll. Irgendwie ist das alles merkwürdig.

    Ich erkenne in der Musik der Moderne eher eine quasi ausweglose (also: zwangsweise) Zuspitzung. Wenn man sich die Historie der klassischen Musik anschaut (grob vereinfacht), wurde sie zunächst von einstimmig immer mehrstimmiger, später dann immer ausladender (mal vereinfacht auf die Sinfonien bezogen von Haydn über Mozart, Beethoven/Schubert zu Bruckner), bis dies vielleicht in Mahlers 8. Sinfonie (?) gipfelte. Mehr geht wohl kaum, was die Besetzungsgröße anbelangt (bei Wagner kenne ich mich nicht aus, das müssten andere evtl. bestätigen oder negieren).


    Der Gipfel der Monumentalität (Gigantismus) war erreicht oder bereits übererreicht: nun mußte etwas anderes her - also die Komplexität, die natürlich sich vorher schon vorbereitend eingeschlichen hat und immer latent vorhanden war, mal mehr, mal weniger ausgeprägt. Nach meinem empfinden jedenfalls wurde der Fokus der Werke schon mit Mahler auf mehr Komplexität in ihrer Struktur und Harmonik gesetzt. Und auch das steigerte sich immer weiter ...


    Sehe ich das richtig?

    Ich glaube nicht, dass das eine zutreffende Beschreibung der (europäischen) Musikgeschichte ist. In ihr gibt es zwar Entwicklungslinien, z.B. von der Ein- zur Mehrstimmigkeit oder in der Symphonik von kleineren zu gößeren Besetzungen und Längen, aber die sind dann schon immer irgendwann abgebrochen und haben einem neuen Anfang Platz gemacht: Der Palestrina-Stil war ein solcher Höhe- und Schlusspunkt einer Entwicklung, auf den Spätbarock folgte der empfindsame Stil, oder anders gesagt auf Johann Sebastian folgte Johann Christian Bach, usw.. Die strukturelle Komplexität des sechsstimmigen Ricercars aus dem Musikalischen Opfer oder der Kanons aus den Goldberg-Variationen ist wohl kaum geringer als die einer Ligeti-Etüde, und es gibt natürlich auch einiges an zeitgenössischer Musik, das in Bezug auf Komplexität weit unter beidem liegt. Das "Neue", das z.B. auf Mahler und seine gigantischen Besetzungen und Ausmaße folgte, war auch keineswegs nur eine Steigerung der Komplexität, siehe z.B. Anton Webern. "Die" Musik der Moderne gibt es entweder gar nicht, oder wir sind noch zu nach dran, um ihre Konturen wirklich fundiert zu erkennen und zu beschreiben.

    Ein Zusammenfassung eines Vortrages von Volker Banfield über den Einfluss subsaharischer Rhythmik und der Musik Nancarrows auf die Musik Ligetis findet sich hier


    https://banfield.de/download/LIGETI_V.pdf

    Banfield hat ja nicht nur die ersten Etüden uraufgeführt sondern ihm sind auch drei gewidmet (Fanfares, Fém und L'escalier du diable). Allerdings hat Ligeti das anscheinend nicht davon abgehalten, bei späteren großen Anlässen vor allem Aimard als Pianisten vorzuziehen. Man kann vielleicht sagen, dass Aimard (oder das Superhin Fredrik Ullen) aus den Etüden noch mehr herausgeholt hat, aber erstens hat Banfields Einspielung (leider nur der ersten sechs Etüden) durchaus eigene Qualitäten, und zweitens muss man natürlich berücksichtigen, dass er der erste war, der sich auf dieses neue Gebiet gewagt hat. Das finde ich nach wie vor eine bewundernswerte Leistung. Er ist ein hervorragender Pianist und gilt als "Spezialist für Unspielbares". Sehr gut ist z.B. auch seine Einspielung des Pfitzner-Konzerts. Im Vergleich kriegt man mit Tzimon Barto (unter Thielemann) fast Mitleid, weil er so hörbar überfordert ist. Dass Ligeti gegenüber Pianisten wirklich gnadenlos sein konnte, belegt auch eine Anekdote, die sich seinerzeit unter Musikern sehr schnell verbreitet hat: Ein international bekannter Pianist (ich nenne keinen Namen...) spielte ihm ein paar der Etüden vor. Ligeti nahm daraufhin einen Band Schubert-Sonaten, setzte sich selbst ans Klavier und begann seinerseits zu spielen. Nach ein paar Takten fragte er den Pianisten: "Wie fanden Sie das?" Der wollte nicht unhöflich sein und antwortete so etwas wie "Man merkt natürlich, dass Sie kein professioneller Pianist sind, aber dafür hört man Ihr unvergleichliches musikalisches Verständnis" usw.. Ligeti unterbrach ihn und sagte "Nein, Sie meinen doch eigentlich, dass ich keinen Schubert spielen sollte, und Sie haben recht." Und dann kam's: "Und Sie sollten keinen Ligeti spielen."

    Ist innerhalb eines Stückes ein forte für eine Trompete gleich laut wie ein forte für die Violinen? Ist ein forte in jedem Stück gleich laut? Oder ist die höchste Dynamikvorgabe innerhalb eines Stückes das Maximum an Lautstärke, die auf einem Instrument möglich ist (und genauso bei der niedrigsten Dynamikvorgabe), ist also z.B. ein fffff in einem Stück gleich laut wie ein f in einem anderen Stück? Falls ja, wie ist es in diesem Fall, wenn diese höchste Dynamik z.B. ein mf ist? Fragen über Fragen, bei vielen davon waren wir unterschiedlicher Ansicht. Obwohl ich Musik studiert habe, habe ich auf die meisten dieser Fragen keine zufriedenstellende Antwort. Oder muss sich das jeder Komponist, Instrumentalist, Sänger, Dirigent, etc. selber überlegen oder gibt es doch einen Konsens unter Musikerinnen und Musikern? Falls ja - ich kenne ihn leider nicht. Da würde mich die Fachexpertise von ChKöhn interessieren.

    Ich würde sagen: Es kommt immer auf den Einzelfall an. Man muss herauszufinden versuchen, wie ein Komponist dynamische Zeichen verwendet, und zwar sowohl in seinem Gesamtwerk als auch im konkreten Stück und an der konkreten Stelle. Nehmen wir mal an, ein Komponist würde in seinem Gesamtwerk vom pp bis zum ff gehen, dann aber in einem Stück nur bis zum mf: Dann würde ich daraus schließen, dass er sich hier bewusst auf die untere Dynamikhälfte beschränkt. Das mf wäre dann also als höchste Dynamikstufe in diesem Stück deutlich unter der möglichen Maximallautstärke (so etwas gibt es z.B. in "Wiegenlieder für Christinchen" von Giselher Klebe). Bei Beethoven ist der gänzliche Verzicht auf die Zwischenstufen mf und mp ein Hinweis auf die Bedeutung scharfer Kontraste in seinem Gesamtwerk, während die bei ihm sehr häufigen crescendi, die zum p führen, in den meisten Fällen Spannungszuwachs und plötzliche Entspannung bedeuten. Bei Schubert kann wiederum die Bezeichnung ppp > auch bedeuten decresc. zum dreifachen pianissimo. Die bei ihm extrem häufigen Akzente würden bei wörtlicher Ausführung jede kantable Linie zerstören, was ganz sicher nicht so gemeint ist; man muss sie also eher als metrische oder melodische Schwerpunkte verstehen, deren Gewicht man sehr oft z.B. auch agogisch statt nur dynamisch hervorheben kann. Das vier- und mehrfache ffff bedeutet auf dem Klavier in der Regel neben äußerster Kraftentfaltung auch eine musikalische Geste, manchmal, vor allem in der höchsten und deshalb von Natur aus eher schwachen Lage auch nur das. Die erkennbare Anstrengung, so laut wie möglich zu spielen, ersetzt dann beinahe die reale Lautstärke. Man kann das z.B. mit anderer Balancierung zwischen den Stimmen, mit leichter agogischer Unterstützung und im Konzert sogar mit der Körpersprache zeigen. Selbst ein ppp bedeutet in der Regel nicht automatisch, an die Hörbarkeitsgrenze zu gehen: Wenn das gewollt ist, schreiben Komponisten zusätzlich so etwas wie "quasi niente" (Brahms' Horntrio) oder "wie aus der Ferne" (Schumanns Davidsbündler-Tänze). Sonst heißt ppp nur: so leise wie musikalisch (!) möglich, also unter Berücksichtigung des Gesamtklangs, der Tragfähigkeit der Linie, der Saal-Akustik usw.. Bei Orchesterpartituren ist es mindestens bis zur Romantik üblich, Akkorde dynamisch einheitlich zu bezeichnen, was aber natürlich in der Praxis von den Musikern bzw. vom Dirigenten angepasst werden muss. Wenn die komplette Posaunen- und Trompetengruppe wirklich ff spielte, hätte der Rest des Orchesters sonst keine Chance. Bei moderner Musik wird die Notation in dieser Hinsicht meist differenzierter und präziser, bis hin zu acht- oder zehnstimmigen Klavierakkorden, deren einzelne Töne jeweils unterschiedlich bezeichnet sind (z.B. bei Stockhausen).

    Bei Ligetis Klavierkonzert müsste ich erst sehr viel genauer die Partitur studieren, um die Dynamik im Einzelnen zu verstehen. Am Anfang scheint mir klar zu sein, dass die Oktaven im Vergleich zu den Achtelketten sehr deutlich abgesetzt werden sollen, dabei aber noch spielerisch leicht bleiben sollen (deshalb pp für die Achtel und nur mf für die Oktaven). Ganz allgemein finde ich wichtig, dass man Dynamik nicht als bloßes Laut-Leise-Spielen versteht sondern als Gestaltungsmittel im Dienste des jeweiligen musikalischen Ausdrucks. So wie alle anderen Zeichen einer Partitur müssen auch Dynamikzeichen im Zusammenhang verstanden und gedeutet werden, erst dann kann man sie "richtig" ausführen.

    So wurde von einem modernen Gebäude mit Spiegelfron berichtet, wo durch die Spiegelung und Lichtbrechung in der Nähe parkende Autos regelrecht "angeschmolzen" wurden

    Es gab sogar mal einen Turm, der zwar kühn und schön geplant war, aber schon während der Bauphase ins Kippen geriet. Wenn ich mich recht erinnere war das in irgendeiner Stadt in der Toskana, irgendwas was mit "P...".


    Man will sich von der Vergangenheit um jeden Preis abheben und mit ihr brechen

    Ja, Deine Klage ist nur allzu berechtigt! Schon die Komponisten des frühen 10. Jahrhunderts wollten partout keine einstimmigen gregorianischen Gesänge mehr schreiben sondern hatten sich in den Kopf gesetzt, eine zweite Stimme dazuzusetzen. Dabei weiß doch jeder, dass man nicht zu zweit gleichzeitig reden sollte! Und dieses Übel zog sich fortan durch die ganze Musikgeschichte: Keiner wollte sich mit der Vergangenheit zufrieden geben sondern um jeden Preis Neues schaffen. Einer der schlimmsten Übeltäter war übrigens dieser Bach, der sage und schreibe bis zu sechs Stimmen gleichzeitig hören lassen will! Es lebe der Gregorianische Choral! Danach ging es nur noch bergab.