Hallo Alfred,
dieser Thread soll nicht sterben, auf so einen habe ich lange gewartet! Ich hoffe, dass es doch noch ein paar "Moderne" unter uns gibt, die sich mit dem, was so um uns herum vor sich geht, auseinandersetzen.
Also: ich werfe gleich ein - nein, DAS - Streichquartett von John Cage in den Ring, ein viersätziges frühes Werk von 1949-1950, das den vier Jahreszeiten wunderbaren Ausdruck verleiht:
1. Quietly flowing along (= Sommer in Frankreich)
2. Slowly rocking (Herbst in Amerika)
3. Nearly stationary (Winter)
4. Quodlibet (Frühling)
Diese für Cage ungewöhnlich romantischen Satzbezeichnungen haben entgegen den Erwartungen nichts mit Vivaldi, vielleicht aber eher mit Haydn zu tun: es geht um elementare Zustände wie Erhaltung, Zerstörung, Ruhe und Schöpfung, die Cage offenbar aus der orientalischen Philosophie abgeleitet hatte (letzteres natürlich nicht wie Haydn, ich meine nur die spirituelle Dimension).
Das Spannende an der Musik - gleichzeitig bzw. etwas vorher gab es z.B. die Stücke für präpariertes Klavier - ist die von Cage so vorgeschriebene vibratolose Spielweise der Musiker, die etwas ungeheuer Meditatives ausstrahlt.
Die klassische Aufnahme stammt vom unnachahmlichen LaSalle Quartett, 1976. Ich besitze es als LP und CD, letzteres in der Reihe ""20th Century Classics":
Wer das Erlebnis dann noch toppen will, der lege sich das 2. Streichquartett von Morton Feldman von 1983 zu:
exzessive Kargheit (man möge mir dieses etwas gesucht klingende Paradox verzeihen, aber es umschreibt es vielleicht ganz gut) in knapp 5 Stunden (!) Spielzeit. Ich habe das in einer sehr passenden Situation gehört: während eines total verregneten Urlaubs in den österreichischen Bergen, die Regenwolken zogen in Dachfirsthöhe über das Haus, es plätscherte Tag und Nacht durch, mehrere Tage lang, und die Almen und Berge, auf die ich mich so gefreut hatten, waren nicht mal ansatzweise zu sehen. Da lag ich nun auf dem Balkon unseres Gasthauses, in dicke Decken eingewickelt, Stöpsel in den Ohren und statt des Nebels und Regens war ich eingehüllt in Feldmans Klangmutationen. Ich brauche nur diese CD aufzulegen - ich glaube allerdings nicht, dass ich so schnell noch mal einen kompletten Durchgang schaffen werde - und sofort kommt dieses merkwürdige, etwas triste, aber einfach entspannte Gefühl wieder. Im Gegensatz zum Cage gibt es, glaube ich, nur eine einzige Aufnahme im Handel: mit Mitgliedern des Ives Ensembles, 4 CDs bei der Firma Hat Art.
Ich freue mich auf weitere Lieblinge - wie wär's mit Ligeti, Dutilleux, Lutoslawski, Penderecki, Rihm, Berio, Kurtág etc.? Wenn ich so darüber nachdenke, müsste ich gleich weitermachen, aber mit zwei Nennungen habe ich ja schon die Forderung nach dem einen Lieblingsquartett übererfüllt!
Herzliche Grüße,
Gustav Theodor