Morgen,
erneut sinnierend geantwortet: Zeitgenössische Musik hat zuwenig Durchschlagskraft zu bieten. Wie das? Für mich gesprochen.
Musik und Resonanz. Musik ist (mir; die Spezialisierung lasse ich dann im Weiteren weg) Dreiheit von Klang, Imagination und Aktion. - Klang (Hörereignis; überkommen, neuartig; einmalig, wiederholt, sporadisch, periodisch). Imagination (Eindruck; Anregung der Einbildungskraft; vorübergehend, bleibend, plötzlich und ungewollt wiederkehrend, den laufenden Moment dazu noch bindend). Aktion (Wendung zum Nachsehen, Nachforschen, Wunsch zur Tieferlegung der Fundamente, Anreichern durch ein Vergleichen). - Klang und Imagination müssen erfüllt sein = Resonanz, dann kommt es zur Aktion. Sind Klang und Imagination nicht erfüllt, so bleibt die dem Musikereignis potenziell zuwachsende Aktion aus. Mit einem Wort: Das ist der Fall von zuwenig Durchschlagskraft. Merksatz zu den Resonanzbedingungen: Je virtuoser und deutlicher (Prägnanzgrad) die Gestaltbildungsvoraussetzungen erfüllt werden, desto größer die Chancen einer Aktion auslösenden Resonanz = tragenden Resonanz. Die Erfüllung der Bedingungen von Resonanz ist bei Kammermusik (siehe: Spring Music, Beaux Arts Trio) sicherlich eher möglich als bei großsinfonischer Neuen Musik. Fetzen der Spring Music halten sich schon einige Tage, aber nicht für Wochen, Monate, Jahre.
Zeitgenössisches, durch die Jahre mit wechselnder Intensität gehört, in Konzerten, in Kirchen, in Wohnräumen, darunter: Lutoslawski, Ligeti, Penderecki, Schnittke, Kagel, Stockhausen, Boulez, Kurtag, Salonen, Carter, Zender, Zacher, Allende-Blin, Schnebel, Szathmary, Takemitsu, Reich, Adams, Reimann, Fortner, Stephan, natürlich Strawinsky (Dirigent seines Auftragswerkes Treni), B.A. Zimmermann... - was mir so erinnernd hoch kommt. Was in den Neue Musik Szene-Sendungen alles namentlich vorkommt, oder in Auszugsschnipseln vorkommt, dass erinnere ich gar nicht.
Es wächst von zeitgenössischer Musik keine tragende Resonanz zu. Aus den Jahrzehnten des 'Lebens mit Musik' ist allein von einem Konzert etwas Resonantes geblieben: Lutoslawski, der Anfang einer Sinfonie, Dirigent Zdenek Macal, NDR-SO - drei harte Schläge auf einen Selbstklinger-Holzstab; das tönende Bild kommt immer wieder einmal in mir hoch, absichtslos, in beliebiger Situation. Die Publikumsreaktion auf die Aufführung: freundlicher Beifall und einige Buhrufe, denen sich Herr Macal entgegen beugt, dankend.
Das Publikum kann die zeitgenössische Musik nicht beurteilen, das kann das Publikum nicht - antwortete Wilhelm Furtwängler in einem Gespräch ("Gespräche mit Wilhelm Furtwängler, Artemis Verlag, ca. 1949). Womit die Frage der Kommentarbedürftigkeit erreicht ist, und wer soll zeitgenössische Musik kommentieren? Nicht das Publikum, welches es nicht kann. Aber, kommentieren sollte, was auch geschieht: der ausführende Musiker, der Dirigent, der Solist,... Der Dirigent Ingo Metzmacher hielt derartige Konzerte ab, Neue Musik erklärend.
Und ja, auch die Große Sonate für das Hammerklavier ist kommentarbedürftig. Die Tradition ist eine Reihe von Kommentaren zum Werk. Die nächste Aufführung, die nächste Interpretation ist ein Kommentar zur Tradition und zu den letzten Hammerklaviersonaten-Erscheinungen (beispielsweise, zu Tempo und Charakter). Jörg Demus und Paul Badura-Skoda kommentierten und spielten die Beethoven-Sonaten einst für Radio Bremen ein; Volker Banfield die Hammerklaviersonate. Zugleich ist eine Bekräftigung der einmal gefundenen Auffassung durch einen Musiker auch eine prakisch kommentierende Pointe gegen sämtliche (uU alle anderen) Konkurrenzmodi, einschließlich neueste Moden der zeitgenössischen Musik, etwa zur Form oder deren Formlosigkeit. Werk gegen Stück ausspielend.
Mir genügt das jetzt.
Freundlich
Albus