CD 1: The First Recital
Nachdem Callas im Januar 1949 in Venedig für eine erkrankte Kollegin als
Elvira in Bellinis "I Puritani" eingesprungen war, während sie selbst in
den Aufführungen vorher und nachher die Brünnhilde in Wagners "Die
Walküre" sang, hatte sie zumindest in Italien einige Aufmerksamkeit
erregt als Sängerin, die ein extrem weit gefächertes Repertoire singen
konnte.
Man sollte allerdings nicht übersehen, daß Callas, die zunächst vor
allem in hochdramatischen Rollen besetzt wurde, sich sehr bald ein
anderes Repertoire eroberte und diese Rollen (Isolde, Brünnhilde, Kundry
sowie Turandot) nicht lange danach endgültig aus ihrem Rollenbestand
entfernte. Ihre letzte Aufführung in solch einer Rolle war die römische
Kundry vom November 1950.
Auf ihren ersten Schallplatten (bei Fonit-Cetra noch als 78er
erschienen) stellte sie sich folgerichtig mit dieser Spannweite vor. Sie
enthalten die jeweils bekannteste Szene aus "Tristan und Isolde",
"Norma" und "I Puritani". Es spielte das Orchestra Sinfonico di Torino
della RAI unter Arturo Basile.
Mild und leise (Richard Wagner, Tristan und Isolde)
Ich habe, um vergleichen zu können, eine kleine "Liebestod"-Session mit
den Damen Lehmann (Lilli), Fremstad, Lehmann (Lotte), Leider, Flagstad
(1935), Callas und nochmal Flagstad (1954) eingelegt (hm, ich könnte mir
ja auch mal was neueres zulegen...).
An Callas' Aufnahme ist zunächst einmal die Sprache verwirrend; auf
italienisch ist man das nicht gewohnt. Callas beachtet den Notentext
minutiös (abgesehen von kleineren Abweichungen, die der Übersetzung
geschuldet sind), vermeidet (erstaunlicherweise) jegliche Portamenti
(na, fast), ganz im Gegensatz zu allen anderen genannten Sängerinnen. Nur die Schlußfermate hält sie weit über den angegebenen Takt hinaus; darin ist sie allerdings keine sonderliche Ausnahme. Mit den kleinen Koloraturen auf "Wonne klagend" und "mild versöhnend" hat sie
erwartungsgemäß nicht die Probleme einiger ihrer Kolleginnen (bei denen
das z.T. nur mit heftiger Aspiration, z.T. gar nicht so recht klappt),
wohl aber (unerwarteterweise) mit den Dreiklangtriolen auf den Endsilben
von "schallend" und "wallend". Sie gehört aber zu den Sängerinnen, die
diese technisch ziemlich schwierige Angelegenheit wenigstens versuchen
(live geht das in aller Regel in Orchestermassen unter). Ich habe über
Callas' Wagner-Aufnahmen gelesen, sie seien unidiomatisch - abgesehen
von der Sprache kann ich das in keiner Weise hören; neben den anderen
Sängerinnen muß sie sich keineswegs verstecken. Und von dem Gestemme (nein, Nina Stemme ist ausdrücklich nicht gemeint),
was man heutzutage meist in dieser Rolle geboten bekommt, ist sie
ebensoweit weg wie irgendeine andere der genannten. Allerdings ist sie
eine eher emphatische Isolde und damit in ziemlichem Gegensatz vor allem
zu der sehr verinnerlichten Kirsten Flagstad in der Furtwängler-Aufnahme
von 1954, wenn auch nicht so aus sich herausgehend wie Frida Leider (die
ist ja schon fast ekstatisch).
Casta diva - Bello a me ritorna (Vincenzo Bellini, Norma)
Es ist nicht so, daß Callas mit dem verzierten Repertoire erst bei jenen
denkwürdigen venezianischen "Puritani" begonnen hatte - ihre erste Norma
hatte sie bereits einige Wochen zuvor - ebenfalls unter Tullio Serafin -
am 30.11.1948 in Florenz gesungen. Aus dieser Oper wählt sie für die
Aufnahmen die beiden Hauptstücke von Normas Auftrittsszene im 1. Akt.
Das einleitende Rezitativ ("Sediziosi voci"), mit dem Bellini seine
Heldin so unvergleichlich vorstellt, ist weggelassen, sowie -
einleuchtenderweise - die Szene zwischen Arie und Cabaletta. Außerdem
fehlt der Chor vollständig. Übrig bleiben zwei Schaustücke für die
Sängerin, eines für ihr Legato und eines für ihre Virtuosität - und viel
mehr macht Callas auch nicht daraus; hier noch nicht! Auffällig das für
sie oft so typische deutliche Vibrato (bei der Wagner-Aufnahme ist es
auch zu hören, aber es verschwindet im Orchesterklang), das sie im
piano kaum beherrscht kriegt und das gelegentlich zu einem leichten
Flackern des Tons führt. Die klimaktische Phrase auf "a noi volgi il bel
sembiante" wird fast zu einer reinen Vokalise (für Callas ganz und gar
unüblich, daß man kaum noch überhaupt Silben unterscheiden kann). Mit
dem Zielton dieser Phrase (b'') hat sie auch etwas Probleme. Die Arie ist
übrigens von G nach F transponiert (wie seit der Uraufführung mit
Giuditta Pasta üblich). Besser dann die Cabaletta: die leichte
Unbeherrschtheit der Stimme paßt hier zum Text, und das macht sie sich
regelrecht zunutze. Das (interpolierte? ich habe keine Noten da)
Schluß-C dehnt sie ein bißchen arg. Die Melismen gelingen mit Bravour,
aber noch nicht mit Leichtigkeit und Perfektion. Im Vergleich zu anderen
Sängerinnen ist sie allerdings bereits in hier eine Klasse für sich,
allein deshalb, weil die meisten die Cabaletta nur noch irgendwie hinter
sich bringen, aber in keiner Weise mehr gestalten können. Man
vergleiche, wie etwa die wunderbare Montserrat Caballé nach einem
berauschend schönen "Casta diva" an "Bello a me ritorna" komplett
scheitert. Cecilia Bartoli läßt die Cabaletta auf ihrem Malibran-Recital
lieber gleich weg (obwohl sie das rein technisch eigentlich können
müßte), und Edita Gruberová scheiterte neulich in München sowohl an Arie
(sie hätte besser auch transponiert) und an Cabaletta (zulange mit der
Rolle gewartet?).
O, rendetemi la speme - Qui la voce sua soave - Vien, diletto (Vincenzo Bellini, I Puritani)
Bei dem pianissimo auf "speme" (bei der ersten Wiederholung des Wortes)
ist es bei mir eigentlich schon 'rum: da läuft mir eine solche Gänsehaut
über den Rücken, daß ich fürchte, zu dieser Aufnahme überhaupt nichts
sachliches mehr schreiben zu können. Von Unkontrolliertheit der Stimme
keine Spur, das stimmtypische vibrato verschwindet vollkommen hinter der
Art, wie sie es für ihre Gestaltung einsetzt, kein Ton, der nicht
absolut perfekt sitzt, bis hin zu einem der unglaublichsten Acuti der
Schallplattengeschichte (ein interpoliertes es''' am Ende). Endlose
Bögen, bei denen statt der Sängerin der Hörer atemlos wird, in der Arie,
Koloraturen von intrumentaler Exaktheit in der Cabaletta. Wunderbar
auch, wie sie die tempi bestimmt, wo sie es für nötig hält (in der
Norma-Aufnahme folgt sie noch sklavisch dem Dirigat) und ein "timing"
erreicht, daß der Herzschlag des Hörers ebenfalls ihr folgen möchte.
Bin ich zu emphatisch? Ich halte das für eine der besten Sängerleistungen, die überhaupt jemals aufgenommen wurden! Diese drei tracks wären alleine den Erwerb der kompletten Box wert!
Ich hörte erst vor kurzem im Radio innerhalb weniger Tage Anna Netrebko
und Angela Gheorghiu mit dieser Szene. Netrebko singt das mit absoluter
Belanglosigkeit, als wisse sie überhaupt nicht, worum es in der Szene
geht; Gheorghius Anstrengung bleibt im Wollen stecken: Die langen Bögen
der Arie machen ihr hörbar Mühe, und für die Cabaletta fehlt es ihr
völlig an der notwendigen Technik. Cecilia Bartoli gestaltet die Szene
wesentlich nur mit ihrem Stimmklang und den technischen Feinheiten ihrer
(hier übertriebenen) piani und ihrer Agilität (wobei die Läufe nicht
einmal richtig sitzen) - im Vergleich zu Callas läßt einen das letztlich
kalt.
Bernd, sich jetzt langsam auch wieder abkühlend
(03.04.09)