Hinter dem 10. Türchen versteckt sich eine Schachtel
SZALONCUKOR
Das ist eine Art Weihnachtsbonbon, ohne das der ordentliche Weihnachtsbaum in einer ordentlichen ungarischen Familie unvorstellbar ist. Die Mode stammt bestimmt aus den bürgerlichen Salons des 19. Jahrhunderts, wo diese Zuckerl zuerst angeboten wurden.
Das Bonbon hat eine typische Adjustierung: es wird so eingepackt, dass die Packung auf beiden Seiten des Bonbons länger ist als das Bonbon selbst. Das feine Seidenpapier wird an beiden Enden ausgefranst. Das Bonbon in der Mitte wird dann noch in glänzende Zinnfolie (Staniol) eingewickelt. In meiner Familie galt das als „Bonbonengel“ mit zwei Flügeln. Die fertigen Zuckerstücke haben wir kühl und trocken aufbewahrt, bis die richtigen Weihnachtsengel kamen und die gefundenen Bonbons auf den Baum hängten.
Die moderne Industrie produziert Szaloncukor in jeder Menge, es wird auch in anderen Ländern verkauft, aber das ist nun längst nicht mehr das Richtige…
Das Richtige muss nämlich zu Hause hergestellt werden. Und das ist keine kleine Aufgabe…
Es beginnt mit der Vorbereitung des Seidenpapiers: an dunklen Nachmittagen ist das eine schöne Arbeit für kleine Hände, Papierscheren sind nicht so gefährlich (trotzdem ist Aufsicht empfohlen). Wer die schönsten Fransen gemacht hat, kann dem Christkindl einen Brief schreiben (und auch, wer die längsten, die dicksten, die ….-sten – Hauptsache: alle schreiben ihre Briefe).
Etwa zehn-vierzehn Tage vor dem Fest kommt es dann zur wichtigsten Tätigkeit: zur Herstellung der Zuckerstücke. Da sagt man an einem etwas ruhigeren Nachmittag: Jetzt wird Szaloncukor gemacht. Man (Frau) ist voller Begeisterung und Zuversicht. Das Rezept ist unglaublich einfach, allerdings ist Vorsicht angeraten, denn das ist -- wie so oft im Leben -- eine tückische Einfachheit. Szaloncukor wird aus Zucker und Wasser hergestellt und mit verschiedenen Geschmäckern gekrönt. Es gibt zwar auch komplizierte Rezepte mit Butter, Kokosraspeln, Nüssen und anderen Ergänzungen (nein, keine E-Zahlen…, die gibt es nur in den industriellen Szaloncukorprodukten, zwar… was den Zucker selbst anbelangt.., man kann nie wissen…) – aber wir wollen doch bei der urwüchsigeren Variante bleiben. Also Zucker und Wasser.
Bevor der Zucker und das Wasser zusammengetan werden, ist es ratsam, das Wichtigste an Geschirr vorzubereiten: einen Emailtopf, mehrere Löffel und vor allem eine Platte, auf der die Szaloncukormasse in Würfeln geschnitten wird. Nach dem Rezept soll das eine Marmorplatte sein – leider sind die modernen Küchen so armselig ausgerüstet, dass man nicht einmal eine Marmorplatte zur Hand hat. So muss man sich mit einer großen flachen Porzellanschüssel zufrieden geben, möglichst mit der größten im Haushalt. Da diese eben wegen ihrer Größe ziemlich selten gebraucht wird, ist sie meistens im höchsten Regal des hintersten Schrankteils gestaut. Wenn es uns ohne Unfall gelungen ist, alle anderen Gefäße runterzuholen, damit wir an die gewünschte Schüssel herankommen, ist es ratsam, eine kleine Pause einzulegen…
Nun kommt der schönste Teil der Arbeit. Man gießt das Wasser (etwa 2 Esslöffel) in den Topf, gibt den Zucker (500 Gramm) hinzu. Das wird so lange gekocht, bis es Faden zieht. Die Frage ist nur, wann man sagen kann: ja, jetzt ist es soweit. Wenn Männer dabei sind, wollen sie unbedingt auf experimentellem Weg prüfen, ob die Masse schon fertig ist und abgeschmeckt werden kann. Zum Beispiel fabrizieren sie einen kleinen Drahtring und tauchen ihn in den Topf. Wenn eine dünne Zuckerschicht im Ring bleibt, sind wir mit dem Kochen fertig. Wenn man sehr lange probiert, bleibt die Hälfte der Masse am Ring so fest hängen, dass man den ganzen Prozess neu anfangen muss (Wasser, Zucker…) Zum Schluss geben wir noch zwei Esslöffel Obstsaft, starken Kaffee oder Kakaopulver hinzu, je nachdem, welche Sorten wir herstellen wollen, und wir kochen die Masse noch ein paar Minuten. Sie kommt dann auf die Porzellanschüssel, wird wie eine Art Teig etwa 1,5-2 cm hoch eingeebnet und mit einem nassen Messer in Stücke geschnitten.
Jetzt folgt die wohl aufregendste Aufgabe: die Probe. Nein, nicht die Kostprobe, wir halten uns an die Tradition und die Zuckerstücke dürfen erst gekostet werden, wenn sie schon am Baum hängen. Es geht um eine viel schwierigere Sache. Geprobt werden nämlich unser unzerbrechlicher Optimismus und die hausfrauliche Kreativität.
Wir können Glück haben: Dann lässt sich die Masse leicht behandeln, die Bonbons gewinnen eine schöne Form und werden schnell trocken. Aber wir können auch Pech haben. Dann ist Optimismus gefragt… Die Masse kann zu trocken werden, sie zerbröckelt auf der Platte, nur mit Mühe und Not kann man ein paar normale Stücke abschneiden. Kreativ, wie man (frau…) ist, findet man doch eine Lösung: das ganze wird zermürbt und später als besondere Art von Zucker je nach Geschmack zu Tee, Kaffee, Quarkspeise usw. angeboten. Unsere Kreativität kennt keine Grenzen… Etwas schlimmer ist’s, wenn die Masse zu weich bleibt, sie ist klebrig, die Bonbons verlieren ihre Form, das Messer, die Schüssel und bald das ganze Küchenpult werden mit klebrigen Zuckerklumpen beschmiert, es ist zum Verzweifeln. Dann muss man schnell Ausschau halten, was man in die Masse geben könnte, damit sie stabilisiert wird. Mehl? Nein (obwohl das sehr verlockend klingt…) Semmelbrösel? Brrr… Hat man zu Hause trockene Kekse, dann ist man allerdings gerettet: die Kekse werden zerbröckelt zu der Masse gegeben. Wenn man Glück hat, kann die Rettungsaktion sogar erfolgreich sein.
Das Einwickeln ist kinderleicht, man muss nur auf das Einhalten der Tradition achten (s. oben…).
Und dann denkt man mit Freude und tiefer Dankbarkeit daran, wie gut es ist, dass man das auch in diesem Advent noch so schön schaffen konnte. Und wie gut ist es, wenn man Leute um sich herum hat, die sich darüber freuen werden.
Piroska
P. S.: Ich bin (jetzt noch…) fest entschlossen, übers Wochenende die diesjährige Portion zu kochen…. Wünscht mir Glück dazu!