Beiträge von Draugur

    Hallo Walter.T,


    vielen Dank für diesen interessanten Thread.


    Ich halte noch das in den frühen 70er Jahren äußerst beliebte Mellotron (das die Klangfarben von Magnetbändern abruft) hier für wichtig, das für das Klangbild verschiedener Progressive-Rock-Bands (Genesis, King Crimson u.a.) charakteristisch ist. Progressive Rock wäre hier sowieso ein wichtiges Stichwort. Da geht es durchaus um kompositorische und nicht nur um instrumententechnische Erneuerungen.


    Bitte noch "Trash Metal" in die korrekte Bezeichnung "Thrash Metal" korrigieren.

    Ich kenne kaum was von Adorno (hatte nur mal einen Einblick in seine Aufsätze zur Musikpädagogik), kann aber nur sagen, dass das wenige, was ich kenne, eindeutig die Züge hat, die du gerade genannt hast :D

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    Original von Kurzstueckmeister
    Naja, wenn es keine Großmeister und Kleinmeister gibt, dann sind ja offenbar alle gleich gut.


    Es gibt m.E. in der Kunst eben kein objektives "Gut-sein" wie etwa im Sport, wo eindeutig der schnellere Läufer der "bessere" ist (was bekanntlich heute wegen Doping auch nicht mehr der Weisheit letzter Schluss ist...). Das "Gut-sein" kommt erst durch eine ertragreiche Rezeption zustande. Und da ist man schon auf der subjektiven Ebene: Was den einen über Stunden in Atem hält und in ihm unzählige Gedanken und Bilder vor seinem inneren Auge wachruft, lässt den anderen nur gähnen und auf die Uhr schauen.


    Was die E-/U-Sache angeht, bin ich da etwas empfindlich, weil ich nicht nur die beiden angeblichen "Richtungen"/"Gattungen"/?? rezipiere, sondern auch Künstler/Gruppen, die man, wollte man in diesem System bleiben, irgendwo im Grenzgebiet ansiedeln müsste. Z.B. die Band Gentle Giant, die in ihrem zweiten Album per Covertext ankündigt, die Konventionen der Rockmusik um den Preis der Unpopularität zu verlassen und einer eigenen künstlerischen Vision inkl. Multiinstrumentalität und individuellen Wegen in Melodik, Rhythmik und Harmonik zu folgen - was dann auch in beiden Hinsichten eingelöst wird, sowohl was die komplexen, teils unmöglich irgendwelchen Stilrichtungen zuzuordnenden Werke als auch was die weitgehende Unpopularität angeht. "Unterhaltungsmusik" im eigentlichen Wortsinn ist doch das ziemliche Gegenteil davon. Bei dem Begriff denke ich immer an ein Salonorchester, das eine sich unterhaltende Gesellschaft mit leicht dahinperlenden Klängen umspült. Auch Solokünstler oder Bands, die über eine verhältnismäßig einfach gestrickte Musik ihr Lebensgefühl oder aktuelle gesellschaftliche Bezüge transportieren, sind für mich keine "Unterhaltungsmusiker". Das Etikett würde ich höchstens jemandem aufklebt, dem es völlig egal ist, welche Musik er macht, solange der Rubel rollt.

    Die Definitionsproblematik "E-" und "U"-Musik ist meiner Ansicht nach leicht dadurch zu lösen, dass man diese lächerlichen Begriffe auf den Müll wirft, wo sie hingehören. Sie dienen ausschließlich den "E"-Hörern dazu, ihren Musikkonsum gegenüber der "U"-nterschicht aufzuwerten und vorzugaukeln, man könnte ästhetisches Empfinden objektivieren und Kunst in Güteklassen einteilen. Das ist genauso ein Käse wie die ganzen Diskussionen, welche Komponisten zur ersten und welche zur zweiten Garnitur gehören, was "Großmeister" und "Kleinmeister" sind...

    Kleine Ergänzung zu meinem obigen Beitrag: Wenn es um revolutionäre Konzertshows geht, sollte man auch mal in die 70er zu Genesis schauen, bei denen Peter Gabriel und seine Mannen sich sowohl licht- als auch kostümtechnisch sehr weit vorgewagt (und zudem auch noch selbst die Musik gemacht...) haben.


    Zum Stichwort Videoclips kann ich nur raten, mal "Libertine" sowie "Pourvu qu'elles soient douces" von Mylène Farmer anzutesten - falls man "Thriller" für das Größte hält, was in dem Bereich gemacht worden ist. Natürlich ist "Thriller" älter, wirkt aber im Vergleich zu den von Laurent Boutonnat um Farmer herumgestrickten Musik-Kurzfilmen doch recht naiv und trashig.


    Kurioserweise hat Jackson als Figur in Farmers "Que mon coeur lache" einen lustigen Kurzauftritt :D


    Auch im vorangehenden Beitrag von Thomas Pape wird ziemlich durchgehend Jackson als der alleinige "Macher" angesprochen. Das ist m.E. doch eine recht verklärende Sichtweise.

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    Original von wiesengrund
    Au weia, wenn sich Klassikhörer wie Draugur und John Doe über Black-Music äußern, dann kann wohl nur so etwas heraus kommen.


    Mit grausigem Kopfschütteln wendet sich der Wiesengrund ab.


    P.S.: Jackson in der SZ


    Hallo wiesengrund,


    keine voreiligen Schlüsse über mein musikalisches Vorliebenprofil... ich bin nun wirklich alles andere als ein Nur-Klassik-Hörer mit Scheuklappen. zudem frage ich mich, ob man zumindest den späteren Jackson noch zu "Black Music" zählen kann. Da hätte ich mir schon eine etwas differenziertere Antwort gewünscht.

    Wer auf dem Standpunkt "de mortuis nil nisi bene" steht, möge folgendes bitte überlesen.


    Die Stärke Michael Jacksons lag in seinem bzw. seiner Hintermänner Begabung zur Selbstinszenierung, sei es in aufwendigen Konzertshows oder Videoclips. Sein Erfolg gehört zu den traurigen Zeitzeichen der 80er Jahre, in denen die optischen Begleiterscheinungen der populären Musik wichtiger wurden als die Musik selbst. Man vergleiche die naiven, aber charmanten Auftritte von Abba und deren Minimal-Choreographien. Da war die Musik noch das Erstrangige. Während es in den 70er Jahren zudem haufenweise Bands gab, die höchst komplexe und fantasievolle Kompositionen zustandebrachten - King Crimson, Yes, Gentle Giant, Genesis, Emerson Lake & Palmer u.a. - und damit auch ein (wenn auch nicht unbedingt Massen-)Publikum fanden, hat in den 80ern (als die eben genannten Bands sich entweder aufgelöst hatten oder sich an die veränderte Lage anzupassen versuchten) eine für meine Begriffe katastrophale Verflachung stattgefunden, aufgrund deren anhand von synthetischen Chamäleon-Figuren wie MJ, Madonna, Prince u.a. riesiger Bombast um ein paar kleine dünne musikalische Motive herum inszeniert wurde, die eigentlich nur ein Vorwand für gigantische Shows und Videoclips waren.


    Wenn ich seine 80er-Hits höre, klingen da für mich ein paar nette rhythmische oder melodische Ideen durch (mehr nicht), die jedoch durch zwanghafte Keuch- und Kiekslaute ruiniert werden.


    Zudem fällt mir im für mich ohnehin durchweg äußerst ... hm... kühn in seinen Einschätzungen gehaltenen Einleitungsbeitrag auf, dass die gesamten Innovationen, die um die Kunstfigur MJ herumgestrickt wurden, ihm allein zugeschrieben werden... was mir doch mehr als fraglich erscheint. Quincy Jones z.B. wurde zu Recht erwähnt, wobei ich die These, dass Ravel gegen diesen und seine "verschobenen Beats" ein Nichts sei, mal als Kuriosum unkommentiert stehen lassen will.

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    Original von Basti
    "In diesen heil'gen Hallen": Sarastro verkehrt diese Arie ins Gegenteil, indem er sie- vor einer komplett schockierten und aufgelösten Pamina- aus einem Toilettenraum heraus singt.


    Das wäre zumindest insofern eine gute Idee, als sich das Regietheater in ihr selbst kommentieren würde: Oper, verdaut und durchs Klo gespült.

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    Original von Mengelberg


    Genau das ist der Irrtum: Daß nämlich vor dem Regietheater in der Oper eine ähnliche Geistlosigkeit herrschte wie danach.


    Mir ist jetzt nicht klar, ob du letztere Aussage bejahen oder verneinen willst.


    Deine "Argumentation" pro Regietheater, die hier vom Threadthema eigentlich gar nicht hergehört (aber durch die direkte thematische Verknüpfung sich wohl leider nicht vermeiden ließ), wird übrigens zunehmend zu einer reinen Beschimpfung der Gegenseite als "geistlos", "niveaulos" usw., über die zu diskutieren sich schlichtweg nicht mehr lohnt.


    im übrigen wünsche ich mir, je länger diese Diskussion anhält, entweder

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    Wieland Wagners vielbespottete "leere Bühne"

    oder gleich konzertante Aufführungen herbei.

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    Original von Melisma


    Wie ergeht es euch dabei? - Könnt ihr das? - Das ist vielleicht so eine Aufgabe, wie sie bei der Aufnahme zur MuHo gestellt wird. Oder?


    Ja, so was kann vorkommen. Beispielsweise könntest du eine Tonfolge vorgesetzt bekommen, die du anhand des Grundtons (der am Ende stehen müsste) und der Vorzeichen einer bestimmten Skala zuordnen müsstest. So was ähnliches hatte ich auch in einer Prüfung.

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    Original von Johannes Roehl
    Warum erzählende Balladen, auch wenn sie gar nicht so tragisch sind, traditionell in Moll stehen, weiß ich nicht. Allerdings geht es meistens dann doch um tragische Begebenheiten. (Andererseits steht z.B. "Long black veil" in Dur...)


    ...oder noch schöner: "The Lily of the West" (womit wir natürlich beim Folk sind, der ja wiederum seine eigenen Gesetze hat ;) )

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    Original von der Lullist


    Allerdings geht es mir da eigentlich kaum um Schwermütigkeit, ganz im Gegenteil. Auf mich wirken diese Werke meist nobler, eleganter und erhabener als Werke in Dur.


    Historisch gesehen ist so eine Wirkung wohl auch belegt, ich meine gelesen zu haben, dass in der Kirchenmusik des Mittelalters und/oder der Renaissance der ionische Modus (also Dur) als "modus lascivus"-"unanständige Tonart" verschrien war und als bäuerlich galt. Weiß aber gerade nicht, wo ich das herhabe. Evtl. aus der Harmonielehre von August Halm anno 1900, d.h. allerneuester Stand der Forschung ;)


    Ulli:

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    Bei Mozarts kleiner g-moll-Sinfonie z.B. gibt es kein fis in der g-moll-Aufwärtsleiter (Satz 1, T. 75) und kein zu e aufgelöstes es in der Abwärtsleiter (Satz 4, T. 136).


    Ersteres überrascht mich, letzteres nicht - das entspricht ja auch dem vorher Beschriebenen (abwärts: kleine Sexte).

    Ich finde es ziemlich bedenklich, wenn gegen Privatfinanzierung mit dem Argument vorgegangen wird, dann müsse man sich der "Masse" anpassen. Jedoch steht in meinen Augen niemand über der "Masse", um ihr ein bestimmtes ästhetisches Empfinden zu diktieren.


    Letztlich wird es ohnehin auf den jeweiligen Mäzen ankommen, der dann die entsprechenden künstlerischen Funktionäre einsetzt (oder zumindest ein Wort mitreden wollen wird), ähnlich wie es derzeit städtische Verwaltungen tun. Ob das nun so viel schlimmer ist, wage ich zu bezweifeln. Aufgrund der massiven neu aufgenommenen Staatsschulden, Steuerausfällen usw. ist doch die Frage, ob irgendwo anders eine Zukunft für die vielen städtischen Theater zu sehen ist, geschweige denn eine Hoffnung für evtl. Neugründungen.

    Ich wollte auch nicht behaupten, dass eindeutig das eine oder andere dominiert. Nur meine ich eine Tendenz wahrgenommen zu haben, perkussive, tanzbare Musik mit Moll-Skalen zu verbinden, die mit Dur-Melodien möglicherweise albern oder überdreht wirken würde, und andererseits zu sanften, z.B. streicherbasierten Arrangements Dur zu verwenden, da sie sonst ins Schwärzlich-Depressive abgleiten würden. Z.B. "Yesterday" von den Beatles verbindet ein weiches, getragenes Arrangement mit einer Moll-Melodie und wirkt dadurch geradezu tränenselig. Möglicherweise strebt man aktuell eher danach, dieses Extrem zu vermeiden.


    Ich will mich damit aber nicht so weit aus dem Fenster hängen, ist eher so ein subjektiver Eindruck.

    Es gibt jede Menge Pop in Moll. Gerade schnellere, härtere (hier greift die wörtliche Übersetzung aus dem Lateinischen überhaupt nicht) und rhythmusbetontere Stücke haben oft die kleine Terz. Zumindest anhand der Melodien von Britney Spears, Jeanette Biedermann, Take That u.a., die ich noch halbwegs im Ohr habe. In Dur sind dagegen eher die langsamen, schmachtenden Liebeslieder gehalten. Wenn man die in Moll umwandelte, käme ein ziemlich depressives Zeug heraus.


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    Die Zuordnung von moll zu "traurig" und Dur zu "lustig" ist denn doch zu simpel und approximativ, quasi eine kindgerechte Assoziation für den Anfangs-Musikunterricht.


    Es entspricht m.E. trotzdem weit eher dem überwiegenden heutigen musikästhetischen Empfinden als "hart" und "weich". Und natürlich sind diese Assoziationen "simpel", aber es hat ja auch keiner was anderes behauptet.


    Natürlich können Moll-Stücke aufgrund diverser Kriterien beschwingt, auch lebensfreudig wirken. Z.B. man vergleiche bei Schuberts Klaviersonate B-Dur D960 den Kopfsatz (sehr verhaltenes, introvertiertes Dur) mit dem sehr rhythmusorientierten, voranpreschenden Schlussatz in Moll.

    Die äolische Tonleiter a-h-c-d-e-f-g-a (wird, glaube ich, auch als "natürliches Moll" bezeichnet) ist gewissermaßen das "eigentliche Moll", da sie maßgeblich für die Vorzeichen ist. Bei a-Moll wird z. B. nichts vorgezeichnet. Jedoch hat diese Tonleiter keinen Leitton, d.h. sie hat nicht den Schritt einer kleinen Sekunde von der siebten zur achten Stufe. Der Leitton hat sich allerdings in der traditionellen Funktionsharmonik bzw. Melodik als Bestandteil von Dur und Moll etabliert. D.h. er muss ergänzt werden.


    Das harmonische Moll geht daher, am Beispiel von a-Moll:
    a-h-c-d-e-f-gis-a.


    Also die Tonleiter, die das Tonmaterial für a-Moll (Tonika), d-Moll (Subdominante) und E-Dur (Dominante) liefert - aber hintereinander abgespielt für uns eher fremdartig klänge.


    Das melodische Moll ist eine doppelte Tonleiter:


    a) rauf:
    a-h-c-d-e-fis-gis-a (= ionisch/Dur mit kleiner Terz)
    fis statt f, um die fremdartig klingende übermäßige Sekunde von f zu gis zu vermeiden.


    b) Runter geht sie so:
    a-g-f-e-d-c-h-a (=äolisch)

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    Original von musicophil


    Was einige Teilnehmer für Quatsch erzählten... :kotz: Sie fanden die Molltonleiter (wahrscheinlich wegen der kleinen Terz) eine sinkende Tonleiter statt steigende... 8o


    Wieso soll das Quatsch sein? Was wir als Moll bezeichnen, basiert ja auf der äolischen Tonleiter (a-h-c-d-e-f-g-a). Und die klingt aufwärts wegen des Ganztonschritts zur Oktave ziemlich sperrig. Deshalb entspricht doch im "melodischen Moll" die Aufwärtstonleiter bis auf die kleine Terz der ionischen bzw. der Durtonleiter. Abwärts unterscheidet sie sich deutlich stärker vom Dur.


    Ich glaube auch, dass die stärkere Beliebtheit von Moll gegenüber Dur auf das jeweilige Lebensgefühl schließen lässt. Das hat wohl weniger mit Verbitterung als mit Skepsis, Zukunftsangst, Krisensituationen zu tun. Zu reines, heiteres Dur macht schnell einen "Heile Welt"-Eindruck, den ich insbesondere mit etlichen Werken von Mozart verbinde. Ganz anders empfinde ich jedoch das Dur am Beginn von Haydns Schöpfung, das nur deshalb so strahlen kann, weil ihm das "Chaos" vorangegangen ist. Oder, wieder ein völlig anderer Fall, das Dur in Schuberts Großer C-Dur-Sinfonie, das für mich das Dur eines Leidgeprüften ist, der sich selbst Trost zuspricht, und nicht das eines dauergrinsenden naiven Strahlemanns, wie er mir hinter manchen Werken Mozarts erscheint (auch wenn das, wie hier schon im Forum diskutiert, einige anders sehen und diese Betrachtungsweise gerne als "oberflächlich" ankreiden). Es kommt also sehr auf den Kontext des Dur an.


    Ansonsten spielt in der populären Musik die Moll-Pentatonik (z.B. a-c-d-e-g-a) eine entscheidende Rolle (insbesondere in den härteren Gangarten), daran dürften sich die "Nicht-Klassikhörer" wohl u.a. erinnert fühlen.

    Zitat

    Original von der Lullist


    Die 3 Schicksalsgöttinnen erscheinen, denn sie stehen als einzige über allen Göttern und bieten sich als Jury an.
    das witzige ist ja, dass sie sich zu dritt ein Auge teilen


    Kann es sein, dass du die Moiren (die Schicksalsfrauen) mit den Graien (das sind die mit dem einen Auge und dem einen Zahn) verwechselst? Oder ist das Absicht?

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    Original von der Lullist




    nein eben nicht.


    Welcher denn dann?


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    Natürlich ist Kunst erst einmal auf ihre Epoche bezogen, aber nur in ihrer Ästhetik - und vielleicht noch nicht mal das, und erst recht die Themen, sie bleiben immer aktuell - unabhängig von der Form.
    Wäre das nämlich so, das sie allein ihre Zeit wiedergeben, dann wären Opern nicht zeitlos sondern reine Museumsstücke wie ein Zeckeisen, das Heute kein Mensch mehr braucht.


    Das finde ich eben nicht, ich interessiere mich auch dafür, wie in anderen Epochen gedacht wurde.


    Dass es darüber hinaus zeitlos Gültiges gibt, würde ich nie bestreiten, aber der logische Weg, das zu verdeutlichen, wäre meinem Dafürhalten nach eher eine Inszenierung, die es von jeglichem epochengebundenen Kontext abstrahiert, anstelle eines Versuchs, es in die Gegenwart zu transponieren. Denn dieser ignoriert zwangsweise die Unterschiede zwischen den Weltbildern der dargestellten Zeit, der Entstehungszeit und der Gegenwart und führt so zu Analogien, die mit Ach und Krach herbeigezwungen sind und zur Illusion einer totalen Austauschbarkeit geschichtlicher Vorgänge führen, die für das Verständnis des Werks völlig kontraproduktiv ist.

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    geben Shakespear oder Moliere nur ihre Zeit wieder ?
    Natürlich nicht, denn sie sprechen Dinge an, die Heute noch genauso aktuell sind, wie damals.


    Es gibt immer die eine und die andere Seite, manches ist auch heute noch verständlich, vieles erklärt sich aber nur aus den damaligen Zeitumständen.



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    Und das ist das was ich meinte, reine Ästhetik (ohne philosophischen Hintergrund z.B.) ist sicher keine Kunst und von Natur aus langweilig und leer.
    Aus diesem Grund fliegt der "röhrende Hirsch" auch auf den Flohmarkt:
    vielleicht "gut gemalt", aber null Inhalt. Er kann erst zur Kunst werden, wenn man den Kontext verändert - das Teil als solches ist das Material nicht wert.


    D.h. Mozarts Zauberflöte oder Wagners Ring ist abzüglich einer inszenatorischen Vergegenwartisierung so viel wert wie der röhrende Hirsch? Dann müsste eine CD-Einspielung oder eine konzertante Aufführung einer Oper für dich doch auch eine "Vergewaltigung" derselben bzw. "reine Berieselung" sein. Da gibt es auch keinen Neuenfels, der dir Gegenwarts-Analogien zurechtzimmert.


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    Eine heile Welt gibt es nicht, das ist eine Erfindung der Nachkriegsgeneration die aufgrund des Erlebten solche Medien wie Heimatfilme etc. zur Bewältigung brauchte.


    Eine "heile Welt" hat auch niemand gefordert. Welche Oper bietet die per se schon?


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    So etwas hat auf den Bühnen unserer Zeit nichts mehr zu suchen, den Freischütz als Heimatfilm einzufordern ist meines Erachtens eine absolute Vergewaltigung und erst recht eine Verfälschung.


    Naja, welcher Heimatfilm hat schon eine Dämonenbeschwörung mit anschließenden Todesopfern zu bieten? Ich würde den FS eher als Horrorfilm inszenieren. Gegenwartsanspielungen (man könnte dem bösen Kaspar ja ein Hitlerbärtchen ankleben oder den abgeschossenen Adler in ein Modell des World-Trade-Centers stürzen lassen) braucht man da trotzdem nicht.


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    Was man machen kann ist z.B. in Bayreuth eine richtig schöne altbackene Inszenierung des Parsifal machen, mit Flügelhelmen und gemalten Kulissen.
    Dann aber in die zentrale Loge, Schauspieler setzen, die als Hitler, Göring und andere NS Bonzen kostümiert sind.
    Weil sich eben genau das in diesem Moment entspricht.


    Klar, warum auch mal über die ewigen Klischeebilder hinausdenken, die die Grenze zur Lächerlichkeit längst überschritten haben.


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    das ist eine etwas dünne Pauschalisierung.


    Und genau darin liegt das ganze Problem. Ihr akzeptiert es nicht, wenn man in einer Oper, eine für uns bedeutende Botschaft auf eine völlig neue Art und Weise sichtbar machen möchte.


    Das stimmt so prinzipiell nicht, aber wenn es derart plakativ und in sich unlogisch daherkommt wie bei dem zuvor besprochenen Neuenfels-Köpfebild, kann ich auf so eine Visualisierung verzichten. Wie gesagt, erstens passen die besagten Köpfe inhaltlich nicht zusammen (nennenswerte "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" seitens des Buddhismus sind mir nicht bekannt) und zweitens können für mich abgehackte Köpfe keine "Menschlichkeit" symbolisieren.


    Ich will mir als einigermaßen intelligenter und gebildeter Opernbesucher meine eigenen Gedanken und nicht die des Regisseurs machen. Das hat nichts mit "Berieselung" zu tun und schon gar nichts mit "Vergewaltigung".


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    Wie ich schon beim ersten Posting feststellte, geht es hier darum ausschließlich eine Inszenierungskultur der 50er / 60er Jahre wiederaufleben lassen.
    Das hat aber nichts mit Werktreue zu tun, sondern ist reine Nostalgie - die Welt dreht sich aber nunmal weiter und Stillstand ist etwas absolut unnatürliches.


    Die Standardprovokationen des Regie-darf-alles-Theater sind doch auch alles andere als neu. Gerade da herrscht m.E. ein Stillstand.


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    Und vor allem zieht es etwas (nicht nur unterschwellig) mit sich was ich niemals akzeptieren kann: das Unterbinden von künstlerischen Ansätzen, bzw. die Daseinsberechtigung. [...]


    Und ich finde es ziemlich bedauerlich, dass ihr diese ganze künstlerische Arbeit nicht wertschätzt, dass ihr ihnen sogar die Berechtigung absprecht.


    Du sprichst doch, wenn du Inszenierungen, die du dem Stil der Inszenierungskultur der 50/60er ablehnst und sie als "Vergewaltigung" hinstellst, diesen ebenso die Daseinsberechtigung ab.


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    Wahrscheinlich betrifft diese Ablehnung nicht nur moderne Inszenierungen sondern zeitgenössische Musik und bildende Kunst im Allgemeinen.
    (Um auch entsprechend dünn zu pauschalisieren)


    Niemals gab es so eine Vielfalt an Inszenierungsformen, von Drottningholm bis Schlingensief ist doch alles verfügbar - und das ist anscheinend auch nicht recht. Man sollte diese Vielfalt lieber genießen und sich daran erfreuen anstatt darüber zu schimpfen.
    Etwas mehr Toleranz und Unvoreingenommenheit und Interesse an der zeitgenössischen Kunst und der Auseinandersetzung mit der Kunst würde ich mir wirklich wünschen.


    Das Interesse ist da, aber wenn ich das Ergebnis für Mist halte, sage ich das auch.

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    Oper war immer ein Politikum - niemals reine Berieselung. Oper ist ein Spiegel der Gesellschaft und der Geisteshaltung, sie als einfache Unterhaltung zu beschneiden, ist nicht nur eine grobe Fehlinterpretatation vom Kunst im Allgemeinen sondern eine Vergewaltigung der Kunst schlechthin.


    Vergewaltigung, du meine Güte. Da sind dir doch wohl ein wenig die Pferde durchgegangen. Außerdem widersprichst du dir m.E. hier. Denn wenn Oper ein Spiegel der Gesellschaft und der Geisteshaltung ist, dann doch wohl derjenigen der Entstehungszeit, und eben diesen Bezug verdrehen Regisseure, die das ganze mit dem Holzhammer zum Vehikel von aufgeschraubten Jetztzeit-Bezügen und irgendwelchen Skandälchen machen. Wer soll denn da noch die damaligen Bezüge und Anspielungen verstehen, wie du es forderst? Das ist dann eben eine Sache der wissenschaftlichen Aufarbeitung durch Dramaturg & Co., die mir das schön erklären können. Wer sich das nicht durchliest bzw. anhört, versteht die zeitgebundenen Anspielungen eben nicht, aber durch die Neuenfelssche Regiepraxis versteht er sie erst recht nicht.


    Wenn ein Theater eine Oper mit Gegenwartsbezug spielen will, dann soll es sich eben in Dreiteufelsnamen eine solche schreiben/komponieren lassen oder eine zeitgenössische aufführen. Die Repertoirestücke müssen doch nur dafür herhalten, da sie mehr Publikum ziehen.


    Außerdem stören mich die Wörter Berieselung/Unterhaltung hier. Was ist das denn für ein Opernhörer, für den die Oper ohne Politkrams zur reinen Berieselung verkommt?


    I.O., Mohammed ist kein Gott und Buddha auch nicht. Aber zu den beiden anderen hätte wiederum der Begriff "Propheten" nicht gepasst. Wie dem auch sei, ich finde das Bild überhaupt nicht durchdacht. Warum Buddha, aber nicht Moses? Das war Herrn Neuenfels dann wohl doch wieder zu gewagt.

    Tja, vielleicht fahre ich da ja terminologisch eine Art Sonderweg... Ich habe aber ein schlechtes Gefühl dabei, Bands oder Solo-Interpreten, die sich bei ihrer Musik schließlich auch was denken und jemanden ansprechen wollen - was schließlich nicht von der Originalität oder Komplexität der Musik abhängig ist - mit dem Etikett der "Unterhaltung" zu bekleben. Das kommt nun wieder darauf an, was man unter "Unterhaltung" versteht. Für mich klingt dieser Begriff nach etwas sehr Zweckorientiertem, nach "Zeit totschlagen" oder "irgendwie eine nette akustische Untermalung als Gesprächshintergrund haben" o.ä.

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    abgesehen davon habe ich noch nicht eine sogenannte "Werktreue" Inszenierung gesehen.
    Denn dann müsste man 1786 anwesend gewesen sein.


    Es heißt aber "Werktreue" (wenn ich diesen Begriff hier auch ansonsten nicht benutzen möchte) und nicht etwa "Uraufführungstreue" o.ä.



    Letzteres ist sicher das größere Problem. Aber das ist nicht das, worum es hier geht. Wir diskutieren hier doch die künstlerische Rechtfertigbarkeit einer Inszenierung und nicht ihre technisch-pragmatische Machbarkeit. Die Argumente, die du im folgenden in sehr informativer und interessanter Weise (keine Ironie) aufführst, klingen jetzt so, als ob allein die technische Nicht-Machbarkeit einer den Uraufführungsbedingungen entsprechenden Inszenierung einen Freischein für jegliche andere Form der Inszenierung liefern würde. Ich bin jedoch der Ansicht, dass eine Inszenierung gleichwohl das bieten sollte, was im Libretto steht. D.h. keine neuen Texte, Szenen, Figuren usw. dazuerfinden sollte.


    Die Option, Bühnenbild und Kostüme im Rahmen des technisch Möglichen entweder historisch, zeitlos-abstrakt oder behutsam modernisiert zu gestalten, ist dadurch m.E. nicht verhindert.


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    Es bleibt also nur eine Interpretation oder Bearbeitung.
    Allein schon deshalb weil bestimmte, immer noch bedeutsame Botschaften in einer Oper ihrer Zeit einfach entsprechend dargestellt werden müssen.


    Bestes Beispiel war die verbotene Neuenfels Inszenierung des Idomeneo in Berlin.
    Am Ende der Oper hatte man die abgeschlagenen Köpfe von Poseidon, Jesus, Mohamed und Buddha auf der Bühne aufgereiht.


    Allein schon diese Götter, die völlig unterschiedliche Konzepte von "Religion" verkörpern, in eine Reihe zu stellen, ist eine katastrophale Dummheit. Wenn es Neuenfels darum geht, dass die "Menschlichkeit" den "religiösen Fanatismus" à la Kreuzzüge, Jihad usw. besiegt, warum dann Buddha, der das genaue Gegenteil dieses Fanatismus verkörpert??


    Außerdem: Menschlichkeit, die sich im Enthaupten ihrer Gegner zeigt? Naja...


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    Eine Welle der Empörung ging durch die Lande, was schließlich dazu führte, das die Oper abgesetzt wurde. Da von islamistischer seite auch Gewaltdrohungen ausgesprochen wurden.


    Das war doch der Grund für die Absetzung und nicht etwa eine künstlerische Zensur, wie es sich bei dir jetzt teilweise anhört. Zudem vermute ich, dass Regisseure wie Neuenfels vornehmlich wegen der zu erwartenden Schlagzeilen engagiert werden, und die hat diese Inszenierung doch zur Genüge hervorgebracht.

    Zitat

    Original von GiselherHH


    Genau das ist es ja, was viele Kulinariker selbst bei solch unbequemen Revoluzzern wie Verdi oder Wagner wollen: Rosen ohne Dornen, Stromlinie statt Widerhaken, Bestätigung liebgewonnener Ansichten statt Nachdenken, "Isses nich´schön!" statt tua res agitur.


    Das ist eine Angelegenheit sachkundiger Einführungen mittels Programmheft oder Vortrag z.B. des Dramaturgen. Dadurch, dass man das Geschehen in die Gegenwart zerrt, kommt man Verdi doch nicht näher. Seine Opern mögen auf damals aktuelle Konfliksituationen aufmerksam gemacht haben, aber heute sind diese nun mal ihrerseits nicht mehr aktuell. Soll man jetzt so tun, als gebe es heute ähnliche Konflikte, die man leichthin damit gleichsetzen kann, nur um sich bzw. dem Publikum Aktualität vorzugaukeln? Das Ergebnis ist notwendigerweise ein anachronistisches Verbiegen des Stoffes.


    Es gilt eben nicht "tua res agitur".