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Original von der Lullist
nein eben nicht.
Welcher denn dann?
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Natürlich ist Kunst erst einmal auf ihre Epoche bezogen, aber nur in ihrer Ästhetik - und vielleicht noch nicht mal das, und erst recht die Themen, sie bleiben immer aktuell - unabhängig von der Form.
Wäre das nämlich so, das sie allein ihre Zeit wiedergeben, dann wären Opern nicht zeitlos sondern reine Museumsstücke wie ein Zeckeisen, das Heute kein Mensch mehr braucht.
Das finde ich eben nicht, ich interessiere mich auch dafür, wie in anderen Epochen gedacht wurde.
Dass es darüber hinaus zeitlos Gültiges gibt, würde ich nie bestreiten, aber der logische Weg, das zu verdeutlichen, wäre meinem Dafürhalten nach eher eine Inszenierung, die es von jeglichem epochengebundenen Kontext abstrahiert, anstelle eines Versuchs, es in die Gegenwart zu transponieren. Denn dieser ignoriert zwangsweise die Unterschiede zwischen den Weltbildern der dargestellten Zeit, der Entstehungszeit und der Gegenwart und führt so zu Analogien, die mit Ach und Krach herbeigezwungen sind und zur Illusion einer totalen Austauschbarkeit geschichtlicher Vorgänge führen, die für das Verständnis des Werks völlig kontraproduktiv ist.
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geben Shakespear oder Moliere nur ihre Zeit wieder ?
Natürlich nicht, denn sie sprechen Dinge an, die Heute noch genauso aktuell sind, wie damals.
Es gibt immer die eine und die andere Seite, manches ist auch heute noch verständlich, vieles erklärt sich aber nur aus den damaligen Zeitumständen.
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Und das ist das was ich meinte, reine Ästhetik (ohne philosophischen Hintergrund z.B.) ist sicher keine Kunst und von Natur aus langweilig und leer.
Aus diesem Grund fliegt der "röhrende Hirsch" auch auf den Flohmarkt:
vielleicht "gut gemalt", aber null Inhalt. Er kann erst zur Kunst werden, wenn man den Kontext verändert - das Teil als solches ist das Material nicht wert.
D.h. Mozarts Zauberflöte oder Wagners Ring ist abzüglich einer inszenatorischen Vergegenwartisierung so viel wert wie der röhrende Hirsch? Dann müsste eine CD-Einspielung oder eine konzertante Aufführung einer Oper für dich doch auch eine "Vergewaltigung" derselben bzw. "reine Berieselung" sein. Da gibt es auch keinen Neuenfels, der dir Gegenwarts-Analogien zurechtzimmert.
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Eine heile Welt gibt es nicht, das ist eine Erfindung der Nachkriegsgeneration die aufgrund des Erlebten solche Medien wie Heimatfilme etc. zur Bewältigung brauchte.
Eine "heile Welt" hat auch niemand gefordert. Welche Oper bietet die per se schon?
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So etwas hat auf den Bühnen unserer Zeit nichts mehr zu suchen, den Freischütz als Heimatfilm einzufordern ist meines Erachtens eine absolute Vergewaltigung und erst recht eine Verfälschung.
Naja, welcher Heimatfilm hat schon eine Dämonenbeschwörung mit anschließenden Todesopfern zu bieten? Ich würde den FS eher als Horrorfilm inszenieren. Gegenwartsanspielungen (man könnte dem bösen Kaspar ja ein Hitlerbärtchen ankleben oder den abgeschossenen Adler in ein Modell des World-Trade-Centers stürzen lassen) braucht man da trotzdem nicht.
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Was man machen kann ist z.B. in Bayreuth eine richtig schöne altbackene Inszenierung des Parsifal machen, mit Flügelhelmen und gemalten Kulissen.
Dann aber in die zentrale Loge, Schauspieler setzen, die als Hitler, Göring und andere NS Bonzen kostümiert sind.
Weil sich eben genau das in diesem Moment entspricht.
Klar, warum auch mal über die ewigen Klischeebilder hinausdenken, die die Grenze zur Lächerlichkeit längst überschritten haben.
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das ist eine etwas dünne Pauschalisierung.
Und genau darin liegt das ganze Problem. Ihr akzeptiert es nicht, wenn man in einer Oper, eine für uns bedeutende Botschaft auf eine völlig neue Art und Weise sichtbar machen möchte.
Das stimmt so prinzipiell nicht, aber wenn es derart plakativ und in sich unlogisch daherkommt wie bei dem zuvor besprochenen Neuenfels-Köpfebild, kann ich auf so eine Visualisierung verzichten. Wie gesagt, erstens passen die besagten Köpfe inhaltlich nicht zusammen (nennenswerte "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" seitens des Buddhismus sind mir nicht bekannt) und zweitens können für mich abgehackte Köpfe keine "Menschlichkeit" symbolisieren.
Ich will mir als einigermaßen intelligenter und gebildeter Opernbesucher meine eigenen Gedanken und nicht die des Regisseurs machen. Das hat nichts mit "Berieselung" zu tun und schon gar nichts mit "Vergewaltigung".
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Wie ich schon beim ersten Posting feststellte, geht es hier darum ausschließlich eine Inszenierungskultur der 50er / 60er Jahre wiederaufleben lassen.
Das hat aber nichts mit Werktreue zu tun, sondern ist reine Nostalgie - die Welt dreht sich aber nunmal weiter und Stillstand ist etwas absolut unnatürliches.
Die Standardprovokationen des Regie-darf-alles-Theater sind doch auch alles andere als neu. Gerade da herrscht m.E. ein Stillstand.
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Und vor allem zieht es etwas (nicht nur unterschwellig) mit sich was ich niemals akzeptieren kann: das Unterbinden von künstlerischen Ansätzen, bzw. die Daseinsberechtigung. [...]
Und ich finde es ziemlich bedauerlich, dass ihr diese ganze künstlerische Arbeit nicht wertschätzt, dass ihr ihnen sogar die Berechtigung absprecht.
Du sprichst doch, wenn du Inszenierungen, die du dem Stil der Inszenierungskultur der 50/60er ablehnst und sie als "Vergewaltigung" hinstellst, diesen ebenso die Daseinsberechtigung ab.
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Wahrscheinlich betrifft diese Ablehnung nicht nur moderne Inszenierungen sondern zeitgenössische Musik und bildende Kunst im Allgemeinen.
(Um auch entsprechend dünn zu pauschalisieren)
Niemals gab es so eine Vielfalt an Inszenierungsformen, von Drottningholm bis Schlingensief ist doch alles verfügbar - und das ist anscheinend auch nicht recht. Man sollte diese Vielfalt lieber genießen und sich daran erfreuen anstatt darüber zu schimpfen.
Etwas mehr Toleranz und Unvoreingenommenheit und Interesse an der zeitgenössischen Kunst und der Auseinandersetzung mit der Kunst würde ich mir wirklich wünschen.
Das Interesse ist da, aber wenn ich das Ergebnis für Mist halte, sage ich das auch.