Die Musikwissenschaft beschäftigt sich aber (meiner Erfahrung nach) nicht oder zumindest nicht mehr damit, Komponisten in "primäre Großmeister", "sekundäre Großmeister" sowie "Kleinmeister" einzuteilen. Hat ja auch nichts mit Wissenschaft zu tun.
Beiträge von Draugur
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Original von Johannes Roehl
Etwa überspitzt gesagt, könnte ein Marsianer eine Musikgeschichte des 19. Jhds. schreiben und auch dort würden Brahms und Wagner einen anderen Stellenwert haben als Kalkbrenner oder Anton Rubinstein.
Der Stellenwert von Brahms und Wagner hat allerdings auch damit zu tun, dass sie, primitiv gesagt, die richtigen Leute kannten (die Schumanns und Hanslick bzw. Ludwig II.), die ihnen die nötigen Kontakte und Publizität bzw. die nötigen materiellen Grundlagen verschafft haben, um ihr Schaffen überhaupt erst vorlegen zu können. Die Wirkung, wegen derer diese Komponisten als "Großmeister" gelten, haben sie aufgrund dieser Kontakte und Möglichkeiten entfaltet, nicht weil sie die zu ihrer Zeit besten Komponisten waren (obgleich sie sicherlich zu den besten gehörten). Die Musikgeschichte ist nun mal nicht die Geschichte einer von einer überirdischen, objektiv wertenden Instanz vorgenommenen Selektion, sondern wurde in nicht zu unterschätzendem Maße von Fortuna geschrieben. Wenn irgendein Komponist ein paar überragende Werke verfasst hat, aber damit mangels irgendwelcher Einkünfte notgedrungen aufhören musste oder schlicht und einfach früh verstorben ist und letztlich nie größere Bekanntheit erlangt hat? Die Frage nach verkannten und vergessenen "Meistern" (die es ja angeblich nicht geben soll) ist eben daher so schwierig zu beantworten, weil diese verkannt und vergessen sind, woher sollte man sie auch kennen? Warum sollte die Rezeptionsgeschichte einen gerechteren Verlauf genommen haben als die Menschheitsgeschichte in ihrer Gesamtheit, bei der es auch stets alles andere als gerecht zuging?
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Ich sehe diese "Kleinmeister"-Einteilerei mit großen Bedenken. Vor allem, weil ich es für viel wichtiger halte, sich mit vergessenen oder wenig beachteten Komponisten auseinanderzusetzen, als immer wieder dieselben sog. Meisterwerke wiederzukäuen.
ZitatOriginal von Loge
Wichtig ist er zum einen deshalb, weil natürlich auch in der Musik, wie in den anderen Künsten auch, die „kleinen“ und „mittleren“ Meister, also die aus unterschiedlichen Gründen weniger bedeutenden Komponisten, die „großen“ an Zahl bei weitem überwiegen.
Das setzt doch schon die nicht bestehende Möglichkeit voraus, verbindlich anwendbare Kriterien für "groß" und "klein" zu finden - am Ende kommt immer wieder nur derselbe Kanon heraus, und der wird sich so schnell nicht ändern.
ZitatZum anderen ist er wichtig, weil jede enzyklopädische Betrachtung (und Tamino ist zwischenzeitlich in vielen Bereichen wahrlich enzyklopädischen - Ausmaßes) sich dem Versuch einer künstlerischen Rangordnung als Korrektiv gegenwärtig halten sollte.
D. h. ich stelle fest, dass mir Griegs Lyrische Stücke für Klavier gefallen, schaue dann in der "Rangordnung" nach und stelle fest, dass Dvorak weiter oben steht , und was ist dann die praktische Konsequenz daraus?
ZitatUnd natürlich sind alle Künste und die dazugehörigen Wissenschaften immer bestrebt, ihre Künstler und deren Werke in ein Rangverhältnis zueinander zu stellen.
"Natürlich" ist aber keine Begründung.
ZitatDas schafft, jenseits der subjektiven Liebhabereien, die davon unberührt sind, objektive (durch die Arbeit von Autoritäten abgesicherte allgemeinverbindliche) Ordnung und Überblick, fördert das gemeinsame Verständnis von Kunst
Das sind m. E. lediglich Synonyme für das Bedürfnis, alles aufgrund eines illusorischen Begriffs von Objektivität (Kunst wird ästhetisch wahrgenommen, eine objektive ästhetische Wahrnehmung gibt es nicht) in Schubladen einzuteilen. Was bringt das? Dass man am Ende weiß, dass man sich mit den "Kleinmeistern" nicht auseinandersetzen muss? Also ist es, je "größer" der Komponist ist, je sinnvoller, sich mit ihm zu beschäftigen? Die Konsequenz wäre, dass irgendwann nur noch 3-5 Komponisten rezipiert werden.
ZitatWer solche vergleichenden Wertungen etwa aus Angst vor der Relativierung eines geliebten Künstlers insgesamt nicht zulassen will, entzieht mit einer solchen Haltung der Rezeptionsforschung in den Kunstwissenschaften den Boden.
Rezeptionsforschung sollte eigentlich gerade solche Hierarchisierungen kritisch hinterfragen und nicht auf ihrem "Boden" stehen.
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Und es wäre wohl auch einigermaßen kindisch, behaupten zu wollen, dass- zwischen Shakespeare und Goethe einerseits sowie A. Pope und L. Uhland andererseits,
- zwischen Bach und Beethoven einerseits sowie E. Grieg und E. Elgar andererseits,
- zwischen Michelangelo und Raffael einerseits sowie C. Spitzweg und A. Macke andererseitskein wesentlicher Unterschied in der weltweiten (halbwegs sachverständigen) Bewertung liege.
Man würde ja auch in jedem Fall Äpfel mit Birnen vergleichen. Goethe und Uhland haben unterschiedliche Themen, bewegen sich zum Teil in unterschiedlichen Formen und Gattungen, lebten zu unterschiedlichen Zeiten. Das sind die Themen, die interessant sind, nicht, wer größer oder kleiner war. Das sind Kriterien, die man vielleicht im Schulunterricht noch erfolgreich anwenden kann, auch da hat es mich während eines Schulpraktikums schon genervt (Ergebnis einer Schulstunde: Kafka ist besser/größer als Hemingway, und der ist wiederum besser/größer als Karl May... was hat das jetzt gebracht? Das verstellt doch jegliche kritische Reflexion.)
Gerade bei Künstlern wie Spitzweg oder auch Ludwig Richter ist es überdeutlich, dass sie als "klein" wegen ihrer "biedermeierlichen" Motive wahrgenommen wurden, ungeachtet der hohen Qualität, mit der das passierte.
ZitatOb man das nun bei den erstgenannten jeweils als „groß“ oder „bedeutend“ bezeichnet ist nebensächlich. Und auch die jeweils letztgenannten sind als „mittlere“ oder „kleine“ Meister immerhin „Meister“ ihres Fachs. Das „klein“ und „mittel“ bringt nur eine Einordnung im Spektrum der insgesamt relevanten Meister zum Ausdruck, dessen oberes Ende eben die „großen“ und „bedeutendsten“ Meister besetzen.
Angesichts der unglaublichen Menge von musikalischer Überlieferung, die nicht ediert ist, angesichts der Unmengen von Noten, die nicht zur Kenntnis genommen werden, weil immer nur Repertoires abgespult werden usw. gibt es doch wichtigeres, als sich ein "Spektrum der insgesamt relevanten Meister" auszudenken.
ZitatGrieg ist in etwa der C. Spitzweg der Musik.
Das sind wieder Äpfel und Birnen.
ZitatDies sind aber (oft nicht rein musikalisch motivierte) Mindermeinungen, die ebenfalls die bisherige Grieg-Rezeption nicht aus den Angeln heben dürften.
Was ist eine Mindermeinung? Eine Meinung, die von einer Minderheit vertreten wird und schon allein deshalb weniger plausibel ist als die der Mehrheit?
ZitatGrieg selbst wusste sehr genau, dass er kompositorisch bis auf Annäherungen an impressionistische Klänge in seinen späten Klavierstücken einer romantischen Harmonik verpflichtet blieb, die er als Romantiker mit dem volksmusikalischen Kolorit seiner Heimat verband. Er hatte sich auch dabei ertappen müssen, in geistiger Abhängigkeit von Größeren zu schaffen (z. B. Schumann).
Grieg hat sich konsequent von seiner Ausbildung am Leipziger Konservatorium emanzipiert und die daraus hervorgegangenen Werke beseitigt - er wollte gerade nicht Mendelssohn, Schumann oder sonstwen kopieren - oder sich von ihnen distanziert, um zu einem eigenen, national geprägten Stil zu finden, von dem z. B. noch Franz Liszt schwer begeistert. D. h. gerade wenn man "Kleinmeister" wie im Eingangsbegriff als "Nachahmer großer Herren" auffassen will, ist Grieg ein denkbar schlechtes Beispiel. Es ist irgendwie in Mode gekommen, dieses Phänomen bei slawischen Komponisten wie z. B. Smetana zu bejubeln und es gleichzeitig skandinavischen und britischen Komponisten als Zeichen minderen Ranges anzukreiden.
ZitatAnders als Dvorak, der seine slawischen Melodien selbst erfand, litt Grieg unter einer permanenten Themennot (so gut wie alle „seine“ zündenden Melodien sind nicht seine
Abgesehen davon, dass es bei den national orientierten Komponisten des späten 19. Jh. relativ üblich war, die eine oder andere volkstümliche Melodie aufzugreifen, halte ich das für unwahr. Kommt natürlich darauf an, welche Melodien man als "zündend" ansehen will.
Ich hoffe, dass meine Kommentare nicht allzu aggressiv wirken, nur habe ich das Gefühl, dass diese ganzen Ausführungen, die den Kleinmeisterbegriff begründen sollen, letztlich in erster Linie eine Abwertung Griegs ergeben haben.
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Original von severinaKonwitschny denkt keineswegs für mich, er "denkt mir etwas vor", und es liegt nun an mir, ihm auf seinem gedanklichen Weg zu folgen oder aber einen ganz anderen einzuschlagen.
[...]
Meist lenken mich opulente Bühnenbilder und Kostüme von einer reflektierenden Betrachtung ab, machen mich zum passiven Konsumenten, der sich von der schönen Fassade einlullen lässt ohne zu überprüfen, ob er vielleicht in einem Potemkin'schen Dorf steht.Was mich aber nicht ganz überzeugt, ist, dass man jetzt bei Konwitschny einen eigenen gedanklichen Weg einschlagen können soll und bei Schenk nicht? Ich kann den Vorbehalt gegen eine opulente, prunklastige Inszenierung aber sehr gut nachvollziehen, sehe gerade die "Semiramide" von Rossini mit Marilyn Horne und June Anderson in einer MET-Aufzeichnung auf DVD und finde diese Kostümprotzerei total uninspirierend. Bei Neuenfels, Konwitschny usw. habe ich den Eindruck, dass mir der Zugang zur "Substanz" des Stücks durch einen Wall von kunterbunten Regieeinfällen verstellt wird.
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Original von severina
Übrigens bin ich sicher, dass z.B. auch ein Verdi zu wesentlich drastischeren Mitteln gegriffen hätte, hätte ihn nicht die Zensur gezwungen, seine eigentlichen (politischen) Anliegen mit scheinbar harmlosen historischen Bilderbögen zu tarnen.
Aber wissen tut man's auch nicht.
ZitatStatt die Unterdrückung Italiens (um 1850 noch ein rein geographischer Begriff, bevor jetzt die Historiker-Taminos aufschreien
)durch die Fremdherrschaft der Habsburger(u.a.!!!) anzuprangern, ließ er halt die versklavten Hebräer am Ufer des Euphrat um die verlorene Heimat weinen - und jeder Italiener wusste, wer und was gemeint war. Will man also den "Geist der Entstehungszeit" authentisch inszenieren, wie das hier ja von einigen gefordert wird, muss ein Regisseur zwangsläufig Parallelen in der Gegenwart suchen, um eine ähnliche Wirkung beim Publikum zu erzielen. Einem Wiener Opernbesucher von heute ist der Risorgimento ebenso fern (und gleichgültig) wie die Deportation der Juden vor 2500 Jahren, also muss ein Szenario entwickelt werden, in dem er sich wiederfindet, will man Verdis Intention wirklich gerecht werden.
lg SeverinaSollte man nicht versuchen, durch den Versuch der Abstraktion, d. h. die Lösung aus einem eindeutig identifizierbaren Zeitrahmen die zeitlose Bedeutung von Begriffen wie Freiheit und Unterdrückung (auch wenn diese für jede Kultur anders gefüllt sind) zu verdeutlichen? Das Suchen von Parallelen in der Gegenwart endet häufig in schief herbeikonstruierten Plattheiten wie Philipp II=Hitler, Philipp II=George W. Bush usw.
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Original von Gurnemanz
Insofern fand ich ja gerade den Ansatz Neuenfels' in Stuttgart so erfrischend und überzeugend, weil er damals ganz neue, kreative Wege ging und, wie ich mich erinnere, einen recht menschlichen und differenzierten Hans Sachs auf die Bühne brachte.
Ich kenne von Neuenfels nur seine "Entführung aus dem Serail", die es auch auf DVD gibt, und die gefällt mir nicht besonders (vor allem die von Neuenfels dazuerfundenen Dialoge). Vielleicht hat mich das auch so skeptisch auf die oben von dir genannte Idee mit den drei Geschichtsphasen reagieren lassen. Natürlich kann der Schlussmonolog mit der Maueröffnung eine ansprechende Verbindung eingehen, auch wenn es vom Aussagegehalt dann doch nicht so recht passt (die Entstehungszeit ist doch allzu deutlich im Schlussmonolog präsent).
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Einverstanden, also dann ernsthaft: Wie könnte eine "Meistersinger"-Inszenierung denn die Reichsgründung 1871 thematisieren? Und wie wäre der Bezug zu unserer Zeit? Das wären dramaturgische Fragen, die sich mir spontan stellen würden.
Ich würde mich zunächst mal bühnen- und kostümbildlich an der Zeit um 1868 orientieren. Man könnte am Schluss Verweise z. B. auf das Bild zur Kaiserkrönung von Adolf v. Menzel einbauen. Es würde auch nicht schaden, irgendwo auf der Festwiese Pickelhauben und entsprechende Fahnen usw. zu zeigen, nur wäre es zu platt, wenn Sachs die tragen würde. Das sollte alles nicht zu affirmativ und bejahend ausfallen, aber die Frage, wie man das vermeidet, ist mir im Moment etwas zu schwierig.
Das wäre nicht mein bevorzugter Zugriff auf das Stück, ich würde auch hier eine eher abstrakte und nüchterne Optik bevorzugen, die dem Zuschauer Raum für dessen eigene Fantasie lässt - genau das ist es, was mir bei vielen Regietheater-Inszenierungen fehlt.
ZitatZu einer gelungenen Inszenierung, nicht nur der "Meistersinger", gehört für mich, daß sie die Fäden aufnimmt, die das Werk selbst enthält (nicht solche, die lediglich dem Hirn des Regisseurs entspringen, das interessiert mich weniger) - zum Werk gehört für mich auch seine Rezeptionsgeschichte - gerade bei Wagner ein wichtiges Thema.
Dabei besteht aber die Gefahr, dass man dem Werk seine Rezeption als Schuld anlastet. Natürlich hat man das Werk und vor allem den Schlussmonolog im Dritten Reich gerne gehört. Für mich nachvollziehbar, nicht besonders überraschend und vor allem nicht so spannend, dass man es immer wieder aufgreifen und problematisieren müsste.
______________________________Was FQ etwas weiter oben bekundet, kann ich im wesentlichen alles unterschreiben, nur wie das dann konkret auszusehen hat, darüber wird wieder jeder anders denken. In der "Hugenotten"-Inszenierung von John Dew tragen die Hugenotten kleine gelbe Kreuz-Aufnäherchen, die natürlich auf die Judensterne verweisen. Das finde ich dumm und öde. Immer werden die gleichen Bezüge hergestellt, immer wieder wird die Nazischublade aufgemacht, als könne man sonst nicht begreifen, dass hier eine Minderheit verfolgt wird. Naja, Meyerbeer ist sowieso nicht mein Fall.
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Bitte nicht ganz so platt
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Ich finde das weniger schockierend, sondern sehe da eher das typische deutsche Oberlehrertheater, das sich bei den Meistersingern besonders gerne austobt. Ich finde es auch ein bisschen schwach, beim Sachs-Schlussmonolog immer gleich an den Nationalsozialismus zu denken, das zeigt im Grunde nur ein eingeschränktes Geschichtsbild. Wie wäre es denn mal mit einer Inszenierung, die den tatsächlichen historischen Bezug zur bevorstehenden Reichsgründung zeigt. Vermutlich wäre das nicht politisch korrekt, damit könnte man doch mal "schockieren".
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Original von Maggie
Hier stellt sich jetzt die Frage, wo sind die Grenzen des guten bzw. schlechten Geschmacks. Oder besser: Wie weit darf eine drastische Inszenierung gehen, bevor sie schockiert, ab stößt und mit Kunst nicht mehr im Mindesten etwas zu tun hat.Das ist eine Frage, die jeder unterschiedlich beantworten wird. Jeder hat seine persönlichen Tabus. Meine liegen wie gesagt eher dort, wo ich den Eindruck habe, dass ein Werk nicht ernstgenommen oder als bloßes Vehikel für irgendwas benutzt wird, was dem Regisseur gerade unter den Nägeln brennt. Wenn Gewalt, Erotik usw. sich plausibel aus dem Text ergeben, liegt meine Toleranzschwelle - schätze ich - vergleichsweise hoch.
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Original von severina
Kein Mensch glaubt (hoffentlich), dass Aida" auch nur annähernd etwas mit dem Alten Ägypten zu tun hat, deshalb schmerzt es mich als leidenschaftliche Hobbyägyptolgin viel mehr, wenn ein Regisseur ein absurdes Pseudoägypten auf die Bühne bringt, wo nichts zusammenpasst, als wenn er die Handlung in die Gegenwart verlegt.
Jetzt könnte man wieder fragen, was Aida mit der Gegenwart zu tun hat und ob man nicht lieber ganz von einer historischen Verortung absehen sollte (dafür würde ich plädieren). Aber das führt wieder zu weit vom sehr interessanten Threadthema weg.
ZitatSieht man von etlichen Opern des 20. Jhdts. ab, hat man es doch überall nur mit "historischen Fantasien" zu tun, denn selbst wenn die Kulissen/Kostüme detailgenau stimmen würden, die Figuren sind Kinder ihrer (Entstehungs)zeit, atmen den Geist ihres Librettisten und nicht den der hehren Geschichte. Oder um es mit Altmeister Goethe zu sagen: "Was ihr den Geist der Zeiten heißt, das ist der Herren eigner Geist, in dem die Zeiten sich bespiegeln!" Wer also etwas über die authentische Elisabeth I erfahren will, ist schlecht beraten, sich bei Donizetti (oder Schiller) zu informieren, also ist die Forderung, ein Regisseur darf nichts "verfälschen" , für mich von vornherein absurd. (Wie "falsch" ist die Fälschung einer Fälschung???
Aber der eine ist der Autor, der andere lediglich der Regisseur und somit eher ein Vermittler als ein Schöpfer (so zumindest meine Auffassung dieses Berufs; dass andere es gewissen Regisseuren durchaus zugestehen wollen, in pseudokreativen Regiekonzepten die zu inszenierenden Werke zu Karikaturen verkommen zu lassen, ist mir bekannt). Auch nach diversen Regietheater-Diskussionen bin ich nicht der Ansicht, dass die Stücke des (musik-)dramatische Repertoires dazu da sind, zu Vehikeln für den Klamauk und die Fetische einiger Regisseure degradiert zu werden. Es ist durchaus richtig, dass Schillers Dramen die Konflikte der Gegenwart Schillers eher transportieren als die der Tudor-Dynastie oder der Zeit Philipps II. von Spanien. Aber Schiller hat die Dramen nun mal geschrieben und konnte sich das herausnehmen, wenn jemand das in eine neue Richtung umbiegen will, soll er doch selber ein Drama, ein Opernlibretto usw. schreiben! Wenn die Stücke dermaßen als "aktualisierungsbedürftig" empfunden werden, warum werden sie dann überhaupt aufgeführt, warum nicht neue schreiben (nicht, dass mir die Antwort nicht klar wäre...)? Die Konsequenz daraus muss m. E. sein, dass dann schockiert wird, wenn die Vorlage das hergibt, und das findet sich in der Literatur durchaus. Z. B. finde ich die Art, wie D. Hilsdorf die Gewalt des Regimes im Don Carlo vermittelt hat (einige hier dürften die Inszenierung kennen), durchaus berechtigt, da sie die zentralen Konflikte des Dramas noch stärker hervortreten lässt.
Der nötige Respekt vor den Stücken verbietet es in meinen Augen, eine Operette zum Blutbad oder einen tragischen Stoff zum Klamauk umzufunktionieren. Aber wenn Gewalt, Sexualität usw. eindeutig im Libretto angelegt sind, dann sehe ich es als berechtigt an, diese drastischer hervortreten zu lassen, als dies in der Aufführungspraxis der Entstehungszeit üblich war, da es dann der Vermittlung der inhaltlichen Grundlinien dient.
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Lustiger Thread.
Ich sehe zunächst mal (in der derzeit oben stehenden Fassung) 5 freie Plätze.
Da würde ich vorschlagen:
Perotinus, Viderunt
Josquin, eine der bekannten Messen, z. B. L'homme armé
Gesualdo, Madrigalbuch 5 oder 6, falls das als Einzelwerk durchgeht.
Palestrina, Missa papae Marcelli
Eine Oper von Händel, zum Beispiel Giulio Cesare.[Edit: Ich habe überlesen, dass keine Musik vor Monteverdi bzw. nach Schostakowitsch genannt werden sollte, aber das Argument mit der gesicherten Wissensbasis verstehe ich nicht so ganz
]
Mozart ist mit 8 Werken vertreten, Schubert mit 2? Ich persönlich würde bei Mozart auf die Klaviersonate, die Serenade und die Sinfonie verzichten (selbst dann wäre Mozart noch stärker vertreten als Bach...). Dafür müsste bei Schubert noch die Große C-Dur-Sinfonie hinzu. Bei Bruckner verstehe ich die Entscheidung für die 3. nicht, da würde ich zwei statt einer Symphonien hinsetzen, und zwar die 4. oder die 5. und die 7. oder die 8. Zudem wäre ich für eine weitere Puccini-Oper, Madama Butterfly oder Turandot. Bei Schumann würde ich das Klavierkonzert zugunsten des Klavierquintetts rausschmeißen. Bei Debussy würde ich eher "La mer" sagen, bei Ravel würde ich "L'enfant et les sortileges" vorschlagen. Britten kommt leider gar nicht vor, daher würde ich Bartoks Divertimento für seine Serenade für Tenor, Horn und Orchester oder das War Requiem rauswerfen. Den "Eulenspiegel" von Strauss würde ich durch Elgars Enigma-Variationen ersetzen. Für Nielsen, Vaughan Williams, Bax und andere von mir sehr geschätzte Komponisten wäre dann immer noch kein Platz... 100 sind eben zuwenig.
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Neben der Pears-Aufnahme kenne ich noch folgende:
(enthält auch die seltener eingespielten Liederzyklen "Les Illuminations" und "Nocturne")sowie eine mit dem Tenor Robert Tear, die anderen Beteiligten weiß ich nicht mehr.
Gefallen haben mir alle, ich muss auch zugeben, dass mir keine wesentlichen Unterschiede in den Interpretationen aufgefallen sind. Adrian Thompson hat ein sehr ausgeprägtes Vibrato, das aber nicht störend zum Tragen kommt, an manchen Stellen ergibt es sogar passende illustrative Effekte.
Die Serenade gehört sicher zu Recht zu den beliebtesten Werken Brittens. Die "dirge" mit ihrer archaisierenden Melodie und der Bitonalität zwischen Gesangsstimme und Horn vermittelt auf interessante Weise zwischen 20. Jahrhundert und "Alter Musik". Auch bei anderen Stücken treten oft harmonische Spannungen an der Grenze der Tonalität auf, die im Kontrast zu der wirklich pastoralen Pastorale und dem impressionistisch anmutenden Flirren der Streicher im Nocturne eine beeindruckende Stilvielfalt ergeben, die durch die intime, liebevolle Textbehandlung, die vor allem aus dem sehr eindringlichen "O rose, thou art sick" spricht, doch ein sehr persönliches Gesamtbild ergibt.
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Dass sich die Filmmusik an der Romantik orientiert und nicht an der Moderne, kommt ja auch nicht von ungefähr. Die Beliebtheit der romantischen Tonsprache ist m. E. ursächlich für ihre Verwendung in der Filmmusik, nicht umgekehrt.
zu 1. Natürlich gab und gibt es Pop- und Rockbands bzw. -interpreten, die mehr als drei Akkorde und "wirklich einfache Melodien" zu bieten haben, aber dazu gab es ja schon mal einen Thread. Das Bild, das die einschlägigen Musiksender liefern, ist leider ein anderes und gibt die Vielfalt und die Möglichkeiten dieser Musik nicht wieder.
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Covers mit Essen drauf finde ich fast immer widerlich.
Die drei Glücksbärchis gehen jedoch in Ordnung
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Ich habe den Paulus selbst mal im Chor mitgesungen. Das ist zum größten Teil schon tolle Musik, aber der dramatische Verlauf des Oratoriums wird durch die Choräle m. E. immer wieder ausgebremst und verleihen ihm eine zu große Länge. Das ist aber wohl Geschmackssache.
Ich habe auch die oben genannte, bei eloquence neu aufgelegte Aufnahme mit Janowitz, Blochwitz und Adam und kann sie ebenfalls empfehlen. Adams Interpretation der Arie "Vertilge sie, Herr Zebaoth" ist einer der Höhepunkte, und Blochwitz ist auch ein von mir sehr geschätzter Tenor. Nur die Turba-Chöre finde ich von Masur deutlich zu zahm interpretiert, z. B. wenn bei "Steiniget ihn, steiniget ihn" kaum die Pauke zu hören ist, finde ich das schon ein wenig schwach.
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Dieses "Greinen" setzt Schreier als David in den Meistersingern mit Karajan ja sehr effektvoll ein, wenn er erzählt, was für eine Plage die Ausbildung ist. Aber es bleibt im Rahmen des guten Geschmacks und deutet den Text m. E. auch richtig.
Wo er es übertreibt, das ist diese Aufnahme:
Vermutlich, um die (vermeintliche) Naivität der Volksliedtexte zum Ausdruck zu bringen, singt Schreier manchmal mit einem unangenehm weinerlichen Einschlag. Das ist schade, da ich seine Stimme auch gerade für diese Musik sehr passend finde und die Orchesterarrangements sehr gelungen sind.
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Ich habe die Einspielung, konnte aber nichts daran finden, weswegen man sie anderen vorziehen könnte. Im ganzen ein etwas lahmer Schubert mit wenig Feuer.
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Hallo,
in der "Klugen" Carl Orffs geht es um einen goldenen Mörser, den ein Bauer dem König bringt, worauf er festgenommen wird, da der König glaubt, er habe den zugehörigen Stößel unterschlagen. Im Kerker reflektiert der Bauer über ein Gespräch mit seiner Tochter: "Sie sagte: 'Gold, das ist kein Glück, wer weiß, wo dieses hergekommen!' Ich sagte: 'Gold ist Geld, und damit kann man alles kaufen!' Der Monolog des Bauern ist eines meiner liebsten Musikstücke überhaupt.
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Original von teleton
Was haltet ihr eigendlich von karajan´s Schubert ?Hallo,
zur sechsten von Karajan kann ich leider nichts sagen, aber Karajans 1. und 2. waren mir schlichtweg zu langsam. Das war m. W. allerdings auch eine Aufnahme aus den frühen bis mittleren Sechzigern.
Für mich gehört die Sechste zu den Schubert-Symphonien, die mir am wenigsten sagen, zusammen mit der Vierten. Ich meine da eine Art klassische Sterilität zu hören, die mich in negativer Weise an die Symphonien Mozarts erinnert - mehr als die früheren Symphonien Schuberts. Der Ausdruck "klassische Sterilität" charakterisiert natürlich nur mein subjektives Empfinden.
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Hallo!
ZitatIn dem Film "The strange affliction of Anton Bruckner" von Ken Russell gibt es eine (Traum-?)Sequenz, in der Bruckner zum Klang des 3/4-Takt-Themas aus dem 2. Satz der 7. Symphonie über die Rundungen einer nackten Frau streicht. Man fühlt sich da ein wenig provoziert, da gerade in der 7. und besonders diesem Thema die ins überirdische weisende Frömmigkeit manifest zu werden scheint, die Bruckner m. E. weitgehend zu Unrecht nachgesagt wird. Bruckner und Erotik scheint mir eher schwer zusammenzubringen, dagegen ist die Assoziation, die mich beim Hören seiner Symphonien meistens begleitet, eher das Dämonische als irgendeine weltfremde Frömmigkeit. Die oft ruppig und unvermittelt einsetzenden Blechbläser, die massiven und auf dem Höhepunkt unversehens abbrechenden Crescendi, auf denen dann wieder eine neue Spannung aufbaut - Stilmittel, die ich als Markenzeichen Bruckners empfinde -, malen meinem Empfinden nach eher den Teufel an die Wand als dass sie Frömmigkeit bezeigen.
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Hallo.
Alles, was aus Island kommt und mit der Edda, Sagas und ähnlichem zu tun hat, weckt sofort mein Interesse. Daher wollte ich mich mal auf die Schnelle erkundigen, ob Leifs tatsächlich die altnordischen Originaltexte vertont hat oder eine modernisierte Form?
Bin sehr an dieser Musik interessiert und werde mir das eine oder andere davon besorgen.
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Original von Carola
Wenn ich die Serenaden höre, sehe ich immer das fürstlich-lippische Schloss in Detmold vor mir, in dem Brahms sie komponiert hat. Als Jugendliche habe ich im angrenzenden Schloßpark allerdings etwas andere Musik gehört...
Hallo Carola,
kommst du denn aus Detmold (wie ich z. B.)?
Wusste nicht, dass Brahms die Serenaden in seiner Detmolder Zeit komponiert hat. Jetzt werde ich sie mit mehr Ehrfurcht hören! Die oben genannte Kertesz-Aufnahme habe ich mir heute gekauft, bis dahin kannte ich nur eine Aufnahme der 1. Serenade mit Michael Tilson-Thomas, die mir gut gefällt, die ich aber mangels Vergleichsmöglichkeiten nicht wirklich bewerten kann. Werde den Vergleich zu Kertesz aber in den nächsten Tagen vollziehen.
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Original von Edwin Baumgartner
Und was soll das jetzt wieder? Kann man sich zum seriellen Komponisten ausbilden lassen? Oder zum atonalen? Oder zum Ostinat-Komponisten in der Orff-Nachfolge?
Irgendwie werden die Modernehasser-Argumente wirklich immer absurder...Das war eine Frage (eine ehrlich gemeinte, keine rhetorische) und kein Argument bzw. der Versuch eines Arguments. Und zwar frage ich deshalb, da ich nicht Komposition studiert habe und daher nicht weiß, inwiefern da auf die Studenten, und wie sie komponieren, Einfluss genommen wird. Könnte mir aber vorstellen, dass es da zumindest Klassenvorspiele oder ähnliches gibt und es dann heißt: "Was ist das denn für ein uralter Käse, so kann man heute nicht mehr schreiben" oder so. Wenn du es besser weißt, dann bitte ich dich mich zu belehren...
Außerdem bin ich kein "Modernehasser", nicht immer so schwarzweiß denken, bitte.
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Original von Johannes Roehl
Ich habe zwar kein Wissen aus erster Hand, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass man nicht zuerst "tonales" Komponieren lernt: Choräle aussetzen usw. muß jeder Schulmusiker. Dann Kontrapunktübungen, die sind tonal oder vortonal. Ich würde mich wundern, wenn man gleich im Elektronikstudio an Knöpfen spielen darf, ohne Funktionsharmonik usw. zu beherrschen.
Ja klar, man muss im Studium sogar Stilkopien aller möglichen Epochen anfertigen, soweit ich weiß. Aber nur zu Übe- und Kennenlernzwecken. Was ich wissen wollte, ist, ob tonales Komponieren auch für die Herausbildung eines persönlichen Stils, der ja vermutlich das Ziel eines Kompositionsstudiums ist, gefördert würde.
Hallo Kontrapunkt,
vielen Dank für diese Information wegen Böhm. Das wusste ich nicht. Trotzdem: Nach 45 hätte er es ohnehin tun müssen...
ZitatJohannes:
Und es kann nicht sein, dass das alle nur machen, um nicht als ewig-gestrig usw. zu gelten. Abgesehen davon, dass das eine ziemlich absurde Unterstellung wäre: Irgendwoher müßte so ein Gruppendruck doch kommen. Woher? Denn in der westlichen Welt haben wir schon länger keinen Genossen Schdanow mehr, der die richtige Kompositionsweise durchsetzt.Den mag es nicht geben... aber man stelle sich vor, wie ein Generalmusikdirektor dastehen würde, der sagen würde: Ab nächste Saison keinen Rihm, Kagel, Berio usw. mehr. Der wäre ziemlich schnell weg vom Fenster. Ich will damit nicht sagen, dass man das als GMD machen sollte! Aber leisten könnte man es sich eben auch nicht.
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Die Qualität "der" Popmusik... Naja, dieses Thema hatten wir ja schon woanders.
Schön dick aufgetragene Ironie am Schluss, aber ich würde meine Frage gerne aufrechterhalten: wird tonales (im weiteren Sinne) Komponieren in dt. Kompositionsklassen überhaupt noch gefördert, wenn überhaupt ermöglicht?
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Original von Antracis
Der vom Publikum gefeierte Siegeszug eines tonal komponierenden Komponisten, welcher die Säle füllt, ist mir leider entgangen. Da stimmt doch dann auch etwas nicht, oder ?
Da gibt es sogar unzählige. Das nennt man dann Popmusik. Abgesehen davon, was ist mit Pärt, Glass usw.?
Abgesehen davon: Kann man sich überhaupt an einer deutschen Musikhochschule zum tonalen Komponieren ausbilden lassen?
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Hallo Chorknabe,
ich habe als Chorsänger eine ähnliche Erfahrung mit einem Hindemith-Stück gemacht (Apparebit repentina dies), das mich anfangs beim Proben nur angenervt hat, aber die Aufführung war dann doch toll. Ich denke, eine wie auch immer erweiterte Tonalität kann sich einem durchschnittlich sozialisierten Gehör auf Dauer verständlich machen, aber ich muss bei einem Ton wissen, auf welchen Grundton er sich bezieht (dieses Gefühl habe ich definitiv auch bei Josquin u. Konsorten, bevor das wieder angesprochen wird...), sonst zerfällt für mich alles in eine gewisse Beliebigkeit.
ZitatOriginal von Edwin Baumgartner
Also, die Amateur-Chorsänger, die ich kenne, sind immer ganz begeistert, wenn sie einen Orff oder einen Britten singen können. Daraus folgere ich messerscharf, daß Orff und Britten sozusagen Ehren-Romantiker sind
Keine Ehrenromantiker, aber Vertreter tonalen Komponierens... ich gehöre im übrigen auch zu den Chorsängern, die begeistert sind, wenn sie Orff oder Britten singen dürfen.
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Hallo Johannes,
hat Alfred euch eigentlich in einer Trinklaune alle zu Moderatoren gemacht?
Ich war längere Zeit abstinent, da hat sich doch so einiges getan.
Ich wollte nicht auf das gesunde Volksempfinden hinaus und auch nicht auf Leute aus der Fußgängerzone. Sondern auf Laien, die sich mit klassischer Musik entweder als regelmäßige Hörer beschäftigen oder in Chören usw. tätig sind. Ich schließe da auch nicht nur von mir auf andere, allenfalls schließe ich von meinem Bekanntenkreis auf andere. Zum großen Teil sind meine Freunde und Bekannten Sänger in Amateurchören usw. Diese Leute bevorzugen Kompositionen bis einschließlich Spätromantik, weil sie diese Musik von der Tonsprache her nachvollziehen können. Die Gesetzmäßigkeit einer tonal orientierten Melodie- und Harmonieführung teilt sich einem (solchen) Laien mit (d. h. z. B. ganz primitiv ausgedrückt, er bekommt mit, wann eine Melodie den Grundton wieder erreicht, wann in einer Harmoniefolge die Tonika wiederkommt usw., auch wenn er die Ausdrücke dafür nicht kennt), im Gegensatz zur Gesetzmäßigkeit einer seriellen Komposition.
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Original von pbrixius
Nun ist die Zwölftontechnik ja nicht die einzige Reaktion auf die spätromantische Krise der Tonalität (die mir ehrlich gesagt das Hören der Furtwängler-Sinfonien schwerer macht als das Hören eines Stückes von Webern).Ich muss zugeben, keine Werke von Furtwängler zu kennen... aber die anderen Antworten schätze ich zum großen Teil sehr, als da wäre der frz. Impressionismus, Hindemith, Strawinsky, Bartok, Britten und nicht zuletzt die von Edwin zitierenderweise so genannte "Zuspätromantik". Einen sehr wegweisenden, Musik auf urtümliche Elemente zurückführenden Ansatz sehe ich auch bei Orff. Meines Ermessens alles ansprechendere Ansätze als die ganzen Reihentechniken usw. aber mich fragt ja keiner
ZitatNoch ist es zu früh, um abschließend zu antworten, aber die Reihe der großen Komponisten, die die Zwölftontechnik benutzten und damit Kunstwerke unbestreitbaren Ranges geschaffen haben, ist lang genug, dass sich Schönberg seiner Prognose nicht zu schämen braucht - nur hat er damit nicht ein rein deutsches Phänomen geschaffen, seine Wirkung war und ist weltweit [...] [...] Von der "Verklärten Nacht" bis zu "A Survivor from Warsaw" gibt es eine Reihe von Werken, die unangefochten im Konzertleben geschätzt werden. [...] Dass bedeutende Dirigenten wie Böhm - und er musste sicher nicht dazu gezwungen werden - sie in exemplarischen Aufnahmen vorgelegt haben, dürfte doch erst einmal als Nachweis reichen.
Es ging mir doch gar nicht darum, ob diese Werke gespielt werden und ich wollte auch nicht ihre künstlerische Qualität anzweifeln. Es geht mir auch weniger darum, ob diese Werke in Reclams Musikführer usw. stehen, sondern ob diese Tonsprache sich im Musikempfinden von Nicht-Profis etabliert hat und diese emotional anzusprechen vermag. Außerdem wäre Böhm, wenn er diese Musik nicht dirigiert hätte, vermutlich als unverbesserlich Konservativer oder gleich als Altnazi diffamiert worden, der diese Musik für "entartet" halte. Unter dem Gesichtspunkt besteht sehr wohl ein Zwang. Es kann natürlich genausogut sein, dass er diese Musik geschätzt hat, aber dirigieren musste er sie, um einen gewissen Ruf zu wahren.
ZitatNa, dann ist wohl "2001" auch ein Horrorfilm - und Beethoven auch nach "Clockwork Orange" ein Horrorkomponist.
Der Vergleich hinkt ein bisschen. Beethovens und Rossinis Musik wird als fröhlich-triumphaler Kontrast zum teils erschreckenden Geschehen in A. C. O. verwendet, die Werke von Ligeti und Penderecki in "Shining" sollen eher die Bedrohung untermalen, eine unangenehme Atmosphäre erzeugen. Dazu ist diese Musik ja auch durchaus imstande. 2001 kenne ich leider nur ausschnittweise...
ZitatIch weiß nicht, was Du unter "gesellschaftlicher Realität" verstehst, aber zumindest "erweiterte Tonalität", "Bitonalität", "Polytonalität" sind weit umfassender "angekommen", wie hier ja schon einmal auf den Jazz hingewiesen wurde. Selbst im Rock, im Rap und in anderen Formen ist die Auflösung der Tonalität "angekommen". Man mag ja was dagegen haben, aber deshalb muss manja keine Scheuklappen anziehen. Auch die "Worldmusic", die ja nicht diatonisch ist, hat in ganz unterschiedlicher Weise auf unser Wahrnehmen von Musik eingewirkt.
Erweiterte, Bi- und Polytonalität sind ja auch eben Erweiterungen der Tonalität und nicht ihre Auflösung. Mir ist aber nicht klar, wo du im Rock eine Auflösung der Tonalität siehst, höchstens in extrem aggressiven Metalvarianten ("Grindcore" und "Noisecore") kann davon die Rede sein. Rap ist z. T. außen vor, insofern es stellenweise nur Sprechgesang mit Rhythmusunterlegung gibt, ansonsten gibt es da regelmäßig konventionelle durmolltonale Unterlegungen, Gesangseinlagen usw.
Z. B. Emerson, Lake & Palmer haben sehr nette Stücke, wo man von erweiterter Tonalität sprechen könnte. Das ist zwar im Rock-Kontext auffällig schräg, aber durchaus tonal orientiert. World Music ist ja nichts anderes als internationale Folklore, die ist durchaus zum großen Teil diatonisch und verwendet ansonsten Skalen, die man hierzulande weniger kennt. Auch da m. E. keine Nicht- bzw. keine aufgelöste Tonalität.