Lieber Alfred,
du hast doch selbst absolut richtiggestellt, was das Rossini-Fach betrifft. Nachdem Colbran-ähnliche Stimmen wieder "normal" wurden und Galli-Curci-Tradition eher vorbei war, sollte man davon ausgehen, daß es klar ist, was Bartoli von allen Mezzos zwischen Simionato und Valentini-Terrani unterscheidet. Es ist die Frage der Tradition, der Balance zwischen dem Individuellen und dem Allgemeingültigen.
In etwa vegleichbar mit der Rolle des Fischer-Diskau für die deutsche Gesangstradition, steht Bartoli für den Manierismus in der italienischen. Die Überbetonung (bei Diskau des Textes, bei Bartoli der Koloraturen) führt dazu, daß sich Stile vermischen, die eigentliche primäre Rolle des Ausdrucks zugunsten des Effektes zurücktritt. Dazu kommen noch mehrere Verletzungen der bel-canto-Tradition, wie die gesamte Überlieferung des 20.Jhs sie pflegte. Die Phrasierung, mesa di voce, die Leichtigkeit, das Verständnis vom legato, von dem Einbeziehen der Koloraturen in das Melodische - das alles ist bei Bartoli anders, abweichend von der Tradition.
Mich wundert viel eher, daß die Kritik an ihrem Stil so wenig präsent ist. Sie wirkt sehr wohl mit ihren schamanischen Koloraturen, es ist ohne Zweifel sehr effektvoll. Bei Händel kann ich es mir sehr gut vorstellen. Ab Mozart ist sie eine Fehlbesetzung.
Wem diese - zugegeben kurze - Darstellung zu unklar bleibt, nehme zum Vergleich dieselben Arien im Vergleich - sagen wir, Bartoli gegen Simionato, de los Angeles, Sutherland, Caballé etc. also gegen die Damen, die die Tradition gepflegt haben. Dieser Vergleich wird Ohren schulen und bringt mehr Genuss als Verdruss. 
Gruß