Beiträge von Luis.Keuco

    Wenn man sich die Plattencover so anschaut, dann versteht man, weshalb das mit der Sonnenseite nichts geworden ist. Wer hat denn das Hemd für das Ysaye-Cover ausgesucht?


    Ich schätze Zimmermann. Seine Mozart-Sonaten gefallen mir sehr gut. Die Bach-Sonaten und das Sibelius-Konzert habe ich mal im Fernsehen gesehen, das war sehr schön.
    Er wird halt nicht so vermarktet, weil er - Verzeihung - trotz Bildbearbeitung nie so gut aussehen wird wie AS Mutter im zitronengelben Seidenkleid oder wie die ganzen niedlichen Sternchen der lezten Jahre oder eben auch nicht so nett anzuschauen ist wie Hahn oder Fischer.
    Kennedy hat eben sein Punk-Image und das ist gut zu vermarkten. Aber heute reicht es für den CD-Verkauf nicht mehr, nur gut Geige zu spielen.
    Zimmermanns Konzerte sind indes gut besucht, was zeigt, dass das Publikum ihn durchaus schätzt.

    Was ist denn eigentlich ein "Technokrat" im Zusammenhang mit Musikinterpretation?
    Ich meine, ein Dirigent muss doch den Noten folgen, wenn er dirigiert. Und er kann auch nicht jeden Orchestermusiker machen lassen, was dieser will.
    Was wäre denn das Gegenteil? Wenn einer im Stile der antiautoritären Erziehung sich vorn hinstellt und wild mit dem Taktstock wedelt, aber keine Einsätze gibt und sich auch sonst nicht darum schert, wie die Musik klingt? Ein wenig so wie der Sketch von Loriot, wo er als Reinigungskraft/Pförtner o. ä. plötzlich vor den Berliner Philh. steht und dann vor denen rumhampelt? Dazu hat er ja mal erzählt, dass das für ihn ziemlich anstrengend war, weil das Orchester auch mal aus Spaß anfing, ihn zu hetzen und schneller und schneller spielte und er kaum noch mit dem Taktstock nachkam.


    Reden wir hier nicht eher über die Ausstrahlung eines Dirigenten? Jemand wie Boulez wirkt eher kühl und trocken und der dicke Levine, der mit Handtuch über dem T-shirt probt und gern sitzt, wirkt eher gemütlich.


    Maradona trainiert die argentinische Nationalmannschaft mit Zigarre im Mund. Haben sie deshalb oder trotzdem gegen Deutschland gewonnen?

    Liebe Mitschreiber und -leser,


    um im Kontext zu bleiben: mea culpa.


    Ich war von mir selbst am meisten entsetzt und hätte ich gestern nicht noch etwas zu tun gehabt, ich hätte meinen Beitrag am liebsten gelöscht oder wenigstens wesentlich editiert. Ich weiß wirklich nicht, welcher Teufel mich geritten hat.
    Ich habe gestern noch in meinen Memling-Büchern geblättert und mir das Altarbild auch nochmal angesehen und den Begleittext gelesen. Und da bin ich beinahe im Boden versunken, weil ich so einen Scheiß geschrieben habe.
    Memling lebte natürlich vor der Reformation und malte natürlich noch Heilige. Da gibt es zB seine wunderschöne Darstellung der Geschichte der Hl. Ursula, die er auf einen Schmuckkasten malte. Oder auch andere Altarbilder. Ich war so fixiert auf die flämische Portätkunst und die Entwicklungen in der Renaissance, dass ich den geschichtlichen Zusammenhang völlig durcheinander gebracht habe.
    In den Uffizien gibt es einen Saal mit Darstellungen von Maria mit Kind von Duccio, Cimabue und Giotto, wo man die Entwicklung der Darstellung der individuellen Gesichter (der Engel) sehen kann. Bei Duccio (?; jetzt zweifle ich langsam aber wirklich an mir) sehen die Engel alle aus wie Maria, bei Giotto (?) hat jeder schon ein "eigenes" Gesicht. Da habe ich mich dann irgendwie zu Memling bewegt, 100 Jahre ausgelassen, Luther ein wenig früher auf den Plan gerufen und ansonsten will ich nur die Weltherrschaft an mich reissen :motz: :angry: :untertauch:.


    Ich danke für die Richtigstellungen, bitte alle Eltern schulpflichtiger Kinder und alle die, die meinen vorangegangenen Beitrag gelesen haben, um Verzeihung für die ZEitverschwendung und wünsche allen einen schönen Tag :pfeif:.


    @ Joseph II: Echt schöner Thread! :wacky: :faint:

    Seit ich 1998 in Brügge eine wunderbare memling-Ausstellung gesehen habe, bin ich großer Memling-Fan. Das Portrait-Buch habe ich mir tatsächlich erst vor ca. 2 Wochen gekauft.
    Die Darstellung des Jüngsten Gerichts ist in der Tat beeindruckend. Sie ist schon in die Richtung von H Bosch zu sehen, der allerdings die Apokalypse viel entweltlichter darstellt, mer im Sinne eines Delirs.


    In der italienischen Renaissance-Amlerei gibt es noch ein paar beeindruckende Darstellungen des Jüngsten Gerichts. Besonders Luca Signorelli sei hier erwähnt. Er schmückte die Capella Nuova im Dom von Orvieto mit einem Freskenzyklus zur Geschichte des Antichristen aus. Dies ist eine wirklich umwerfende Vision der Herrschaft des Antichristen und der Befreiung durch die Wiederkehr Christi. Wenn man unter den Bildern steht und sie auf sich wirken lässt (Orvieto ist eine nette Stadt, die auf einem Tufffelsen liegt. Man kann die unterirdischen Schutzräume besichtigen, die in Zeiten von Belagerungen genutzt worden waren. Man hielt dort Tauben als fliegende Nahrung, weil die ja immer zu ihrem Häuschen zurückkehren), versteht man die Macht der Bilder besser. Über Luca Signorelli gibt es nicht so viele Bücher, ich kann aber dem Bildband aus dem Hirmer-Verlag empfehlen (hat mir meine Frau geschenkt).


    Aber wir waren ja bei Memling:
    Es war die hohe Kunst der flämischen Renaissancemaler, die Darstellung der Individuen zu entwickeln. Die katholisch geprägten italienischen Maler waren noch viel stärker von den liturgischen bzw überlieferten Vorgaben geprägt. Da wurde jeder Heilige mit Attribut dargestellt und das Jüngste Gericht mehr als ferner Schrecken gesehen. Die protestantischen Flamen mussten sich von den Heiligen in der Kunst verabschieden, da hier lediglich Christus (und Maria) als verehrbare Heilige verblieben. Es bedurfte also des Menschen als "Füllwerk" für die Bilder. Und die Buße als individueller Dank dafür, dass Christus für die Sünden der Menschen gestorben ist, machte es möglich, den Bürger als unmittelbar bei Christus Stehenden darzustellen. Wie wunderbar sind die Gesichtszüge verklärt bei denen, die ins Himmelreich dürfen und wie individuell sind die Schrecken auf den Gesichtern derer, die in die Hölle müssen.


    Zum Abschluß noch eine Buchempfehlung, die auch den herrlichen Memling-Altar angemessen reproduziert: Das Buch Flügelaltäre, Hiermer-Verlag, gibt es jetzt für ca. 50€. Das ist ein fetter Wälzer und die großen Altäre sind tatsächlich wie in echt aufklappbar, so dass man bald 1 qm Abbildung hat! Das ist für den Preis ein Witz. Meine Frau musste fast weinen, weil Schwiegermutter Schweigervater das Buch vor 1 oder 2 Jahren geschenkt hat, da hat es noch ca. 130€ gekostet. Es gibt übrigens noch ein Brüderchen dazu, da sind dann Schnitzaltäre drin.

    Ich habe Maler-Lieder mit Boulez. Die gefallen mir gut. Man muss natürlich anmerken, dass die Solisten von Otter, Urmana und Quasthoff heissen, also sängerisch keinerlei Schwächen vorhanden sind.
    Ich finde aber, dass das Zusammenspiel mit dem VPO sehr gut ist. Man versteht jedes Wort, es ist ein angenehmes bis mitreissendes Musizieren zwischen Sänger und Orchester.
    Ich merke an dieser Stelle allerdings auch an, dass mir Boulez' Parsifal gut gefällt.
    Ich finde es eher schwierig, ihn mit Begriffen wie Technokrat chrarakterisieren zu wollen. Er hat eben ein anderes Musikverständnis. Mahler ist quasi der Beginn seiner Zeitrechnung. Seine Kompositionen sind modern, komplex, amelodiös. Das ist sein Ansatz. Schönberg, Webern, Stravinsky sind "seine" Komponisten. Da kann man keinen Schönklang à la Bernstein, Karajan, Chailly erwarten. Er deutet Wagner als Vater der Moderne.
    Ich finde die Aussagen von Thomas Knöchel sehr interessant, weil sie durchaus das Mahler-Bild Boulez' verdeutlichen.
    Die 1. Sinf. ist gesanglich, romantisch, da braucht es das weiche, natürliche Händchen, gerade im 1. Satz. Ich finde bei der 1. Kubelik oder Abbado oder Levine sehr gut. Das ist nicht so Boulez' Stil, die Natur hauchzart erwachen zu lassen. Und wenn der 1. Satz nicht gut entwickelt, ist die ganze Sinfonie verdorben, weil sie in einzelne Stücke zerfällt.
    Die 2. ist ja schon vierl komplexer und unheimlich strukturiert in ihrem Kompositionsstil. Ich habe das mal in einem Vortrag von G Kaplan gehört. Hier öffnen sich Räume, wird durch den Einsatz von Solisten und Chor die Orchestermusik erweitert. Und auch die Brüche im Stück: Der 1. Satz als Totenfeier, danach der 2. Teil des Werkes mit Translation und Resurrection. Da hat ein Dirigent mal die Möglichkeit, ein Werk analytisch anzugehen, es tatsächlich stückweise aufbauen zu lassen, die Spannung bis zum Schluß zu steigern, durch Sektion größte Gefühle zu wecken, also durch das Vermeiden, sich von Gefühlen packen zu lassen, den Zuhörer zu Tränen zu rühren. Das ist ja bei Mahlerwerken schnell gefährlich, dass man sich in den Gefühlsstrudel reissen lässt, das Aufersteh'n zu sehr als Requiem und damit zu katholisch-sakral begreift, was in einer Welt nach Nietzsche niemals von Mahler intendiert war.
    Das bringt uns auch zur 4. Sinfonie. Die wird ja gern ein wenig verklärt. Sie sei nicht so "schwer", so "weltenfremdend". Da wird dann schnell ein bisschen zu romantisch und heiter abgespult. Dabei ist es keineswegs erwiesen, dass Mahler die 4. unter wesentlich anderen Umständen als die 5. oder 6. geschrieben hätte. Und sie ist auch nicht deshalb heiter und locker zu sehen, weil sie ausnahmsweise in Dur steht. Vielmehr basieren Mahlers Werke immer wieder auf einer gewissen Doppelbödigkeit, Heiterkeit ist oft unterlegt mit Groteske oder Schaudern. Darin ist er im Übrigen Schostakowitsch nicht ganz unähnlich, wenngleich Schostakowitsch aus einer ganz anderen Bedrängung heraus diesen Tonfall entwickelt.
    Die 4. Sinfonie sollte also nicht als heiteres Durchgangsstück missinterpretiert werden, bevor dann die schweren komplexen Mittelsinfonien 5-7 entstanden. Auch hier ist deshalb ein Analytiker wie Boulez eine gute Wahl. Er macht aus Mahler keinen Strauss, sondern durchdringt das Werk in seinen Ebenen, zeigt die Brüche in der Partitur. Haitink gelingt dies in der Aufnahme mit dem CSO und C. Schäfer sehr schön. Es ist kein opulentes Musizieren, sondern Musik am Rand zur Sentimantalität. Chailly ist dagegen sehr gesanglich, das RCO spielt einfach herrlich auf und doch ist man am Ende etwas ratlos. Wer einmal die 4. seziert erleben möchte, sollte sich die Aufnahme mit der Manchester Camerata anhören, einem Kammerorchester. Plötzlich ist die Opulenz verflogen, werden die Stimmen dünn und ausgezehrt, ist man erschrocken über die Wirkung der eigentlichen Themen, die im üppigen Streicherklang schnell untergehen.
    Bei der 8. muss man letztlich sagen, dass eine solche Mammutsinfonie nur von Dirigenten mit großer Erfahrung und großem Organisationstalent zu stemmen ist. Aus dem Veni creator ohne Verlust bis zum Ende und Faust II zu kommen, ist äußerst schwierig. Da bedarf es einer umfangreichen Erfahrung als Operndirigent mit Massenszenen und fetten Chören. Die 8. ist ein wenig die Fortführung der 2. Boulez hat sich mit der 8. lange Zeit gelassen. Das war vermutlich kein Fehler. Und er wählte ein Orchester, das keine besondere Mahler-Tradition hat, aber das gerade unter ihrem GMd Barenboim die 7. und 9. einspielte/eingespielt hatte und einen Mahlerzyklus mit Boulez und Barenboim aufführte. Sie waren also im "Flow". Das, denke ich, ist bei der 8. wichtig, weil sie eben so monumental ist, die schiere Zahl der Mitwirkenden die Gestaltungsmöglichkeiten des Einzelnen beeinträchtigt bzw. reduziert. Von den guten 8. sind die meisten mit Orchestern mit großer Mahler-Erfahrung entstanden, das CSO, das VPO, das RCO. Für die 8. braucht man diese Tradition, um das Werk in seiner Fülle wiedergeben zu können.
    Die 3. ist als Widerpart zur 4. zu sehen. Was in der 4. schnell romatisiert werden kann, wird in der 3. gern zerlegt. Sie ist ja ein monumentales Werk, eines der längsten symphonischen Werke überhaupt. Hier besteht die Tendenz, sich der Analyse hinzugeben. Hier scheint erstmals die Moderne bei Mahler auf. Der 6. Satz lädt mit seinem langsamen Tempo und seinen fast jazzhaften Soloeinlagen sehr dazu ein, jede Faser für sich wirken zu lassen. Wobei man natürlich schon im 1. Satz versucht ist, die Länge mit besonderer Sorgfalt auf einzelne Melodielinien zu überspielen und dann befindet man sich schnell in einer Spirale, die den Zuhörer unruhig auf dem Stuhl hin- und herrutschen lässt. Bernstein schafft es aus meiner Sicht sehr gut, die Spannung zu halten, ohne das Werk zu zergliedern und die Musikalität zu verlieren. Aber bei Boulez kann ich mir schon vorstellen, dass er die Brüche zu sehr betont.


    Ich warte offengestanden darauf, dass die DG die Boulez-GA in einem Schuber für billig Geld rausbringt. Ich wollte mir ja eigentlich keine Mahler-GA mehr kaufen, aber Boulez interessiert mich schon noch...

    Ich würde auch eher zu unterschätzt tendieren.
    Schuberts Sinfonien, besonders die späten, haben große Qualität. Aber sie schlagen eben nicht so durch. Vielleicht hat das was mit Brahms' Aussage zu tun, dass man nach Beethoven praktisch keine Sinfonie mehr schreiben könne. Vielleicht war Beethovens Schaffen ein solcher Schock für seine Zeitgenossen (zu denen man Schubert ruhig zählen kann), dass da kein rechter Zug hin zur Sinfonie entstand. Vielleicht war auch das Publikum ein wenig von der Sinfonie weggekommen oder nicht auf die Komplexität Schuberts geeicht.
    Tatsache ist, dass erst wieder Bruckner und Mahler als wirklich große Sinfoniker wahrgenommen wurden. Selbst Mendelssohn, Schumann und Brahms rangieren ja nicht auf Augenhöhe mit den beiden vorgenannten oder den Meistern der Wiener Klassik. Unter hsitorischen Gesichtspunkten würde ich auf die Restitution nach dem Wiener Kongress verweisen, die zu leiseren Tönen im Bürgertum, zum Rückzug ins Private und die Massenverbreitung des Klaviers und damit der Kammermusik verweisen. Aber das ist nur eine Vermutung. Er hatte wohl in seinem kurzen Leben den Kopf mit zu vielen Sachen voll, um sich auf die Sinfonik festzulegen und erst spät schuf er seine berühmten Sinfonien. Vielleicht ist es aber auch die Komplexität seiner Sinfonien, das Auf und Ab an Gefühlen, die - ähnlich wie bei Schumann - die Sinfonien sperrig erscheinen lässt und sie so für manche/viele "anstrengend" erscheinen lässt.

    München brauchte einen großen Namen und denn scheint es zu bekommen.
    Was dann wird, wird man sehen. Die Auswahl ist nicht so groß. Gemessen am Anspruch, den die Stadt für ihr Orchester hat und den Möglichkeiten, die der Markt an bekannten Dirigenten hergibt, kann man eigentlich jetzt schon anfangen zu spekulieren.
    Natürlich könnte man Maazels Vertrag auch noch verlängern und dann dirigiert er tatsächlich noch mit 90 in München. Mir scheint allerdings, dass da schon geplant wird, das Vertragsende des einen oder anderen abzuwarten.
    Rein musikalisch wird Maazel das Niveau festigen. Große programmatische Umstellungen erwarte ich auch nicht.
    Ich bin gespannt, wie es wird.

    Bei Brilliant gibt es eine günstige und im Vgl mit bspw Hogwood nicht schlechtere Einspielung eines HIP-Orchesters aus Amsterdam.
    Böhm ist mittlerweile - Entschuldigung - ein bisschen antiquiert und im Vgl mit Bernstein nicht ganz so zwingend.
    Mackerras GA ist mit kleinem Orchester auf modernen Instrumenten und insgesamt sehr schön. Wie überhaupt britische oder quasi-brit. Dirigenten Mozart sehr schön interpretieren, u. a. auch Gardiner (da gab es bei JPC neulich Aufn. für 4,99).
    Sehr gut ist auch C Davis mit der Staatskap DD. Ist zwar "nur" 28-41 (mit Lücken), aber sehr gut zu hören.

    Bei 2001 gibt es die 1. von Brahms mit der Leonoren(?)-Ouvertüre von LvB für 8,99.
    Ich weiss ehrlich gesagt nicht, ob es daran liegt, dass Thielemann schlecht ist. Ich vermute eher, dass die CD-bezogene Zusammenarbeit mit den MPHIL gescheitert ist und man nun Platz machen möchte für Aufnahmen mit der Staatskapelle. Die hat nun wahrlich ein umfangreiches Aufnahmenarchiv und da wird Thielemann nicht mehr umhin können, CDs aufzunehmen. Das ist Teil der Dresdner Kultur seit vielen Jahren.
    Vielmehr ist zu hinterfragen, was in München in puncto CDs falsch lief. Es fing ja alles genz gut an. Die 5. von Bruckner war ein großer Erfolg, doch zB die 1. von Brahms stammt auch schon von 2005 (Aufnahmedatum). Dann war da das Papstkonzert, das Requiem, ein bisschen Beethoven und Brahms und die 4 letzten Lieder mit R Fleming. Und die Rosenkavalier-DVD. Dazwischen hat er in mit anderen Orchestern noch Parsifal und Tristan aufgenommen. Man kann diskutieren, ob das tatsächlich so wenig ist. Bringen andere tatsächlich so viel mehr heraus? Was allerdings auffällt, ist die Breitenwirkung der CDs. Und da sehe ich das Problem. Die MPHIL sind keine Marke und haben auch kein rechtes Konzept. Die DGG ist aber nur noch eine kleine Unterabteilung von Universal und nicht mehr DAS Klassik-Label. Ich meine, dass da zu den Spannungen zwischen Orchester und Dirigent sowie zwischen Dirigent und Verwaltung noch die Unfähigkeit dazu kam, die MPHIL als Marke zu etablieren. Oder die Stadt wollte eine Marke schaffen bzw ihre vorhandene MPHIL-Reihe bei Hänssler (oder einem anderen Label) ausbauen und Thielemann wollte nicht auf seine Einnahmen und Rechte bei der DGG verzichten.
    Die Stadt München ist ja sehr bemüht um das Orchester. Man betrieb einen großen Werbefeldzug und auch Veranstaltungen wie Klassik am Odeonsplatz sollen die MPHIL ja bekannter machen und noch mehr Menschen in die Konzerte locken. Mit Ausnahme des Ärgers um den Konzertsaal und dessen Akustik hat man sich ja nicht lumpen lassen, was die Qualität der Protagonisten angeht. Nach Celi kam Levine, dann Thielemann, Ehrendirigent ist Mehta. Brendel spielte eines seiner letzten Konzerte in München. Für ein mehrheitlich öffentlich finanziertes Orchester ist das recht ordentlich. Nun ist die Frage, wo es bei den CDs hakte.
    Dazu muss man zunächst sagen, dass Celi ja kein Freund der Tonträger war. Somit konnte man mit ihm wenig CDs produzieren, faktisch sind alle Aufnahmen mit dem MPHIL posthum erschienen (bei EMI).
    Alternativ wurde also eine MPHIL-Reihe bei Hänssler (in München ansässig) aufgelegt, in der insbesondere Wands Dirigate veröffentlicht wurden (insbesondere sehr gute Schubert und Bruckner).
    Levines Produktionen, auch er sonst immer bei DGG, erschienen bei Oehms.
    Dann kam Thielemann und mit ihm die DGG.
    "Fremdaufnahmen" gab es mit verschiedenen Solisten und Dirigenten, u. a. Sol Gabetta, häufig bei Sony/RCA. Und dann natürlich für DGG die Bohème mit Netrebko.
    Da mittlerweile die Konkurrenz vom BR ein eigenes Label aufgebaut hat, BR Klassik, und Jansons ein fleißiger CD-Macher ist, besonders auch für das Label seines zweiten Orchesters, des RCO (RCO live), ist hier durchaus die Frage, inwieweit man sich in Anbetracht der Thielemann-DGG-Verbindung Problemen gegenüber sah. Die DGG kauft ja einen Künstler und somit ist fraglich, wie groß die Mitsprachemöglichkeiten des Orchesters bzw der Stadt in diesem Fall sind.
    Im Hinblick auf Thielemanns Auftreten wird er sich wohl kaum von der Stadt hereinreden lassen wollen. Und ging dann auch nach Wien für den Beethoven.
    Man wird abwarten müssen, was mit seinem Nachfolger in München sein wird und ob es bald ein MPHIL-Label geben wird.
    Was mich stutzig gemacht hat, war die Tatsache, dass er in Dresden ja nicht GMD wird, sondern "nur" Chefdirigent. Da frage ich mich, inwieweit er damit aber für sein Programm und seine Aufnahmen weiterhin unbeeinflusst arbeiten kann. Und ob er mit der Staatskapelle nun weiterhin für DGG produziert.
    Ich vermute mal, dass die bisher bekannt gewordenen Gründe für sein Scheiden von München nur einen Teil der Wahrheit darstellen. Programmhoheit ist ja nur ein Teil der Geschichte. Zum Schluss geht es ja doch meistens ums Geld und um das Zwischenmenschliche und nur am Rande um die Kunst.
    Und vielleicht muss man auch in diesem Zusammenhang die Verramschung seiner Aufnahmen sehen. Das Label ist ja nicht gezwungen, sie billiger zu machen. Es gibt ja durchaus 20 Jahre alte Aufnahmen, die immer noch nur für 20 oder mehr Euro zu haben sind und bei denen ich nicht sicher bin, ob sie in nennenswertem Umfang verkauft werden. Und im Hinblick auf die Margen verdient man ja auch an einer CD für 5 Euro noch Geld.

    Das Internet-Klassikforum ist sicher nicht Spiegel der Klassikinteressierten. So, wie nicht jeder Feuilletonleser gleich Kant liest.
    Es bedarf eines Mindestmaßes an aktivem Musikinteresse, also nicht nur des auf das Hören beschränkten interesses an Musik, um sich ja auch im Internet austauschen zu können. Damit entwickelt sich fast zwangsläufig jedoch das problem, dass Menschen im Internet aufeinander treffen, deren Zugang zur Musik sich deutlich vom Bevölkerungsdurchschnitt und sogar vom Durchschnitt der Klassikkonsumenten unterscheidet. U. a. auch deshalb, weil das Medium Internet für viele Klassikinteressierte aufgrund eigener Unkenntnis dieses Mediums nicht oder nur wenig genutzt wird. Anders ausgedrückt: Viele ältere Menschen, die viel über Klassik wissen und sich sehr dafür interessieren, nutzen das Internet nicht, um sich darüber auszutauschen. Das führt allerdings dazu, dass sich in Foren eher "Bekloppte" treffen, Menschen - vornehmlich männlichen Geschlechts - denen die Musik oft mehr ist als reine Freude oder Genuss, sondern intensiv gelebtes Hobby. Damit geht auch ein sehr spezielles Interesse einher, also eine Sammelleidenschaft oder ein Musikinteresse, das sich auf sehr schmale Bereiche der Musik beschränkt. Es treffen also Dilletanten aufeinander, im Sinne des sehr interessierten Amateurs. Deren Musikauffassung hat mit dem Durchschnitt selbst der Klassikinteressierten nur eine Schnittmenge, aber ist niemals deckungsgleich.
    Ich wage auch zu behaupten, dass es sich häufig bei den Teilnehmern an Internetforen mehr um Hörer, denn um Praktizierende oder regelmäßig Konzerte Besuchende handelt. Das hat auch damit was zu tun, dass das Musikinteresse sich oft mit Sammelleidenschaft verbindet und somit das Interesse für Live-Musik nicht ganz so groß ist, weil die sich nicht sammeln lässt.


    Die Ausführungen von FG Bechyna verstehe ich nicht. Wenn ich ins Konzert gehe, dann doch aus Freude an der Musik und nicht unbedingt, um auf technische Feinheiten zu achten. Und natürlich kauft man sich eine Karte mit bestimmten Überlegungen zu Programm und Interpret. Aber man geht ja auch nicht in den Supermarkt und kauft Essen, sondern Produkte, um den persönlichen Geschmack zu befriedigen. Sich in ein Konzert zu setzen, nur um die Musik gehört zu haben, macht doch eigentlich nur Sinn, wenn man sich mehr oder weniger professionell mit Musik beschäftigt. Ansonsten ist es doch verschenkte Freizeit.
    Die Ausführungen über Juden verstehe ich in diesem Zusammenhang einmal mehr nicht, weder im Zusammenhang mit dem Threadthema noch unter allgemeinen Aspekten im Hinblick auf die Diskussion über Musik. Ich erkenne hier leider erneut nur Herrn Bechynas antisemitische Haltung. Diese wiederum ist losgelöst von Internetforen ein gesellschaftliches Grundproblem und für mich ein Hinweis darauf, dass letztlich auch in Internetforen Menschen vertreten sind, die (leider) die Bandbreite der Gesellschaft widerspiegeln.

    Ohne Frage war Karajan ein großer Dirigent. Aber er war vermutlich ein noch besserer Studioarbeiter.
    Das von Wolfram beschriebene Beispiel zeigt, wie besessen Karajan am Idealklang feilte. Ob man nun das Ergebnis mag, ist weniger wichitg, die Tontechnik ist unstreitig wegweisend. Karajan wollte das bestmögliche Klangbild, quasi ein klares Statement seiner Musikauffassung für die Zukunft. Er hat ja auch gar nicht so viele Werke mehrfach aufgenommen.
    Andere, zB Bernstein, vertraten die Auffassung, dass Musik ein lebendiger Prozess ist und aus das Situation heraus entsteht. Das entspricht dem ursprünglichen Gedankengang der Komponisten, dass Musik nur live möglich ist. Konnte ja keiner wissen, dass es eines Tages LP oder CD geben würde.
    Musik sollte eine Betätigung sein, die klingt.
    Karajan stellt das Klingen in den Vordergrund. Selbst bei seinen Video-/Filmaufnahmen ist das Musizieren eher Beiwerk für den Klang. Und auch hier führte er mehr oder weniger Regie.
    Was nun an Live-Aufnahmen auftaucht, ist löblich, weil es zeigt, dass Karajan nicht nur nach 20 Wiederholungen im Studio Atmosphäre für den Hörer schaffen konnte, sondern durchaus auch für das Publikum im Saal. Ob er mit den Aufnahmen zufrieden gewesen, ob sie seinen akustischen Ansprüchen genügt hätten, sei dahin gestellt.

    Wer hat gestern die Missa solemnis aus Dresden gesehen?
    Unter Gestern im Konzert gibt es eine Rezension des gestrigen Abends in der Semperoper.
    Thielemann hat aus meiner Sicht erneut gezeigt, dass er live seine größten Stärken hat. Vielleicht ist das auch das Problem mit den CD-Veröffentlichungen. Vielleicht sollte man einfach die live-Mitschnitte veröffentlichen, wie jetzt aus Bayreuth. Die Missa gestern war jedenfalls beeindruckend, wie aus einem Guss. An der Kombi Thielemann-Staatskapelle werden wir noch viel Freude haben. Hochdifferenziertes, intellektuelles Musizieren mit großer Ernsthaftigkeit.
    Fies finde ich es nur Luisi gegenüber, der zusehen muss, wie am Stadttrauertag sein Nachfolger das Orchester in so einer wunderbaren Art und Weise lenkt. Aber das ist eine Sache der Programmmacher.

    Bruckner war ein Spätberufener. Erst spät begann er, Sinfonien zu schreiben und noch später hatte er Erfolg damit. Vielleicht liegt es daran, dass viele der Gesamtaufnahmen seines Werkes von Dirigenten eingespielt werden, die eher im Herbst ihres Lebens stehen. Vielleicht haben sie ein besseres Gefühl für die langen Bögen, mehr Ruhe, um die Pausen wirken zu lassen.
    Bernard Haitink ist 80, also im besten Bruckner-Alter. Und das bewies er gestern in der Münchner Philharmonie im Gasteig, wo er mit dem BRSO Bruckners 5. aufführte.
    Vorweg: Ein großer Abend.
    Haitink ist einer der größten Dirigenten der Gegenwart, einer der letzten des "goldenen Zeitalters". Er hat alle großen Orchester dirigiert und eine Reihe Referenzeinspielungen vorgelegt. Er ist höchst erfolgreicher Chef des CSO und unter seiner Leitung hat das Orchester ein eigens Label eingerichtet, dessen Veröffentlichungen von der Fachwelt regelmäßig gefeiert werden.
    Die Musik des späten 19. und frühen 20. Jhts. ist ein Schwerpunkt seines Schaffens. Sein Brucknerzyklus mit dem RCO gehört zu den besten.
    Er traf auf ein Orchester, das ebenso einen Schwerpunkt in der Spätromatik hat und dessen Chefdirigent, Mariss Jansons, ebenfalls zu den besten Bruckner-Interpreten zählt und der Nach-Nachfolger Haitinks beim RCO ist.
    Was sollte also schief gehen? Nichts.
    Es war - mit Ausnahme der erneut enttäuschenden Akustik - eine beeindruckende Leistung aller Beteiligten. Es war auch deshalb interessant, weil München auch einen weiteren Bruckner-Protagonisten vorhält, Christian Thielemann. Der pflegt einen Rampensau-Stil bei Bruckner. Thielemann lässt Bruckner krachen wie das jüngste Gericht. Da sind die Bläser im Forte unterwegs, wird aus laut und leise eine Achterbahnfahrt. Die Einspielung seiner 5., damals sein Antrittskonzert bei den MPHIL, ist eine Fahrt mit dem Floß in Stromschnellen eines reissenden Flusses. Es ist gleichzeitig eine Reminiszenz an Celibidaches (ein weiterer Bruckner-Verehrer in München) Bruckner-Liebe wie ein Leuchtsignal, das Bruckner nicht nur breit, sondern auch opernhaft sein kann, dass Bruckner nicht nur aus Liebe zu Gott, sondern auch aus Verehrung für Wagner komponierte.
    Diese Vorrede ist wichtig, um nun Haitinks komplett anderen Ansatz zu verstehen. Bei ihm ist Bruckners Musik kein dem Himmel zustrebender Strom, sondern ein zerklüftetes Gebirge, über das sich im Finale der strahlende Sonnenschein ergießt. Haitink zelebriert Bruckner nicht als Wagner-Gesinnten, sondern als vorweg genommenen Richard Strauss. Bei ihm wird die physische Anstrengung, die das Werk für die Musik bereithält, deutlich. Der Bruch durch das einstimmende Horn, das Zerreissen der Streicher durch die Fanfaren von Posaunen und Trompeten wird bei ihm aus dem Monolith der großen Symphonik herausgemeißelt, er ziseliert mit feinem Taktschwung einen neutönerischen Bruckner aus der Partitur. Der Aufstieg auf den Gipfel im himmlischen Finale des 4. Satzes ist beschwerlich, droht im Adagio des 2. Satzes zu scheitern, so schwermütig, traurig, sorgenvoll erklingt die Musik. Dann jedoch die Hoffnung des Gelingens im Scherzo. Die Stimmung ist tänzerisch, frohgemut. Im 4. Satz die wunderbare Auftürmung der Themen, anekdotenhaft wird nochmals über das vergangene Mühsal, aber auch die positiven Seiten des Gipfelsturms reflechiert, bevor dann der majestätische Gipfel erklommen wird. Zum Schluss der Dank am Gipfelkreuz für Gottes Beistand.
    Haitinks Gelassenheit, gepaart mit einem untrüglichen Gespür für die Gegensätze in der Musik, bringen das Orchester ans Ziel.
    Viel Jubel, Bravo-Rufe, langer Beifall des Orchesters für seinen Dirigenten. Nur hier versagt es ihm die Gefolgschaft, bleibt klatschend und bogenschwingend sitzen, um dem Maestro die Bewunderung und den Applaus zukommen zu lassen, den er verdient.


    Wer sich selbst ein Bild machen möchte: BR Klassik übeträgt das heutige Konzert live ab 20 Uhr.

    Geht es jetzt nur um Tannhäuser oder um Wagners Gesamtschaffen?


    Verdis Otello kommt an sein literarisches Vorbild auch nicht heran. Das ist aber nicht so schlimm, weil die Musik für die Weglassungen im Text entschädigt.


    Was nun den Tannhäuser angeht: Darf man das Thema des Christlichen tatsächlich so in den Vordergrund stellen? Ich denke - mit Verweis auf meine vorangegangene Darstellung - eher nicht.
    Die Venusszene ist eine tragende Säule der Handlung. Warum möchte denn Tannhäuser die Liebesgöttin verlassen? Was stört ihn denn daran, in der Liebeshöhle (man muss sich das ja auch unter anatomischen Geschichtspunkten vorstellen) zu verweilen? Mal salopp formuliert: Da, wo Tannhäuser ist, wollen die islamistischen Selbstmordattentäter ja alle hin! Wie kann es also sein, dass da einer das Paradies des Mannes verlassen möchte? Was vermisst er? Es ist die Reinheit, die Ratio, es ist ein Neubeginn im Geiste der Kantschen Aufklärung, die er sucht. Er sucht die Vernunft und mit ihr - im Geiste der bürgerlichen Revolution - eine Liebe auf Augenhöhe. Nur die Venus will das nicht. Sie möchte keinen WIderstand, will ihren Helden nicht an die Aufklärung verlieren, sie sieht das göttliche System (im Sinne eines Systems) bedroht. Dieser Konflikt ist nicht mit ein paar Arien darzulegen. Da bedarf es schon einer umfangreichen Darstellung.
    Und dann geht Freund Tannhäuser und trifft seine alte Liebe wieder, die er, weil er eben nicht schön reden, sondern sich die Hörner abstoßen wollte, verlassen hat. Und sie ist immer noch von ihren Werten überzeugt. Das Christentum steht hier wieder als Metapher für eine Gesellschaft ohne ständische oder politische Gräben. Selig sind die Armen und Schwachen, und das bedeutet im 19. Jht., dass sie auch ein Recht auf gesellschaftliche Teilhabe habe. Nun will Tannhäuser ja aber sein Leben ändern und es kommt zum Balztanz. Und was passiert? Er erkennt, dass da andere sind, die den Glauben an eine neue Weltordnung ebenso verinnerlicht haben wie Elisabeth. Die eine ferne Zukunft erträumen, in der der Mensch als Mensch zählt und nicht nur dann, wenn er adlig ist. Da ist der Held eingeschnappt und fällt zurück in sein altes Gerede, beschwört die Liebe und damit die Triebe und schwupps ist es vorbei mit Elisabeth. Aber er will natürlich nicht aufgeben und sich und Venus beweisen, dass er sehr wohl anders kann. Dackelt er also nach Rom, macht einen auf Büßer, kehrt zurück, um jetzt Elisabeth zu kassieren. Aber dann stellt er fest, dass das eigentlich doch nicht das Wahre ist, zweifelt, Elisabeth stirbt und er letztlich auch, weil er nicht an das Neue geglaubt hat. Der Gnade Heil ist dem Büßer beschieden, er geht nun ein in der Seligen Frieden. Wesentliche Fehler kann ich da nicht erkennen. Un dauch im 19. Jht. hatten Frauen noch keine emanzipierten Charakterrollen, ausser sie waren böse, verrucht oder Göttinnen. Wagners Frauen sind rein, sie stehen wie Statuen auf Sockeln. Sie zu erreichen, bedarf es zumeist des Todes. Das ist mittelalterliche Minne, aber keine christliche Bigotterie.


    Zur Traviata, die ich sehr schätze, folgende Anmerkung: Ist das Erscheinen des Vaters incl. des letztlich zum Drama führenden Konfliktes bzgl der Heirat der Tochter nicht auch eher arg konstruiert, kommt quasi aus dem Nichts? Und ist der Todeskampf Violettas nicht auch grenzwertig lang? Überhaupt der Tod: Wird in der Oper nicht sehr häufig ausgesprochen lang gestorben?


    Man kann sicherlich über Wagners Stil diskutieren. Es ist sicherlich auch nicht falsch, wenn man sagt, seine Msuik überrage die erzählte Geschichte. Von daher muss man die Eingangsfrage vermutlich eher mit dem zweiten Begriff beantowrten. Aber das ist eben nicht ganz zutreffend, weil er die Libretti ja nicht im Sinne einer erstklassigen Literatur, sondern in Ergänzung zu seiner Musik schrieb und damit nicht zwangsläufig versuchte, gleichzeitig Weltliteratur zu erschaffen. Es ist wenig hilfreich, Wagner vorzuwerfen, er sei ein schlechterer Librettist als Hoffmannsthal oder Wilde. Das geht am Grundgedanken vorbei, wonach Wagner ja nur mythologischen Stoff für seine komplexe Musik suchte und Material benötigte, um seine musikalische Revolution erschaffen zu können.

    @ Alfred:
    Es mag sein, dass Rattle mit einem moderneren Klang seine eigene Position geschärft hätte. Problematisch ist dabei aber eben, dass die Berliner Philharmoniker eben DAS deutsche Vorzeigeorchester sind und EMI mit Rattle international CDs verkaufen möchte. Das gelingt eben eher mit dem "Kernrepertoire" von Haydn bis Schostakowitsch.
    Mir gefallen seine Einspielungen einfach nicht so gut, unabhängig von Karajan oder Furtwängler. Und was mich eben auch ein bisschen stört, ist eine unklare Ausrichtung des Orchesters. Mal ein bisschen hier, dann ein bisschen da. Dann wieder in Wien Beethoven. Dann Mussorgsky, dann Mahler, dann Haydn. Gerade vor dem Hintergrund, sich ein Repertoire zu erarbeiten, fände ich es eben schön, wenn er sich mal dem und dann dem widmen würde. Jetzt gibt es eine Einspielung mit Brahms. Okay. Kein großer Wurf. Warum hat er sie gemacht? Business? Thielemanns Output ist zu wenig. Aber immerhin ist ein Konzept erkennbar. Bei Rattle habe ich immer ein wenig das Gefühl, er werde zu Aufnahmen gezwungen. Es war früher nicht alles besser, aber als er in Birmingham war, schien man ihm mehr Freiraum zu lassen. Das Ergebnis waren wirklich erstklassige Zyklen mit Mahler und Sibelius. Und auch sonstige Aufnahmen, zB Bartok, Elgar, sind sehr gut. Ist er lustlos, weil er sich eingezwängt fühlt in ein starres Regime eines Weltunternehmens BPO? Ich zweifle nicht daran, dass er es nicht könnte. Ich bin eher enttäuscht, weil er viel mehr könnte.

    Es gibt eine hervorragende Einspielung der Streichquartette bei BIS:


    .


    Ich habe mir alle drei CDs gekauft, muss allerdings sagen, dass das die beste ist, weil auf den anderen auch frühe, eher kurze Werke drauf sind, die eher was für den Sibelius-Enthusiasten was bringen.
    Ich hatte die CD eigentlich wegen des Andante festivo gekauft, das ich mit dem MPHIL unter Neeme Järvi als Zugabe gehört hatte und das ich wirklich wunderschön fand.
    Die Finninnen des Tempera-Qu. spielen sehr harmonisch und modern, sehen zudem noch gut aus. :D


    Wer sich für Sibelius abseits seiner Sinfonien interessiert, ist mit der CD gut bedient.

    Bei allen Einwänden gegen Wagners Libretti sollte man ein paar Dinge nicht vergessen:
    1. Wagner lebte im 19. Jht. Da war die Sprache eben anders als heute. Wenn man Gedichte von Lenau, Rückert, Eichendorff liest, dann sind die teilweise mit unserer heutigen Sprache nicht mehr zu vergleichen und wirken für uns auch zu schwülstig und süßlich. Stichwort Comic: Das gab es zu Wagners Zeiten ja noch nicht, weshalb er kaum in einem solchen Stil bewusst schrieb.


    2. Wagner war kein Schriftsteller, sondern erstmal Musiker. Wer weiß, ob umgekehrt Mozarts Opern ebenso erfolgreich gewesen wären, hätte nicht Da Ponte für ihn geschrieben. Oder was wäre, wenn Schubert sich einen vernünftigen Librettisten hätte leisten können? Wenn man die Libretti bei Verdi oder Puccini übersetzt/liest, hat man auch keine nobelpreisverdächtige Literatur in Händen.


    3. Wagners Persönlichkeit findet sich in den Reimen durchaus wieder. All das Weitschweifige, Weltumstürzlerische, Chauvinistische legt sehr viel von ihm offen. Die Texte sind also zumindest ehrlich.


    4. Große Literatur wie Goethes Faust folgt auch oft dem Prinzip des Reim dich oder ich fress dich. Goethes Faust müsste eigentlich von Hessen in Mundart gesprochen werden, damit alles so vorgetragen wird, wie Goethe dichtete.


    5. Oper ist nicht Literatur. Wagner reizt mit der Länge seiner Werke ohnehin schon die Grenzen des physich-psychisch Erträglichen aus. 5 Stunden Oper sind schon ein Pfund. Man kommt in der Oper nicht umhin, plakativ anmutende Kürzungen einzubauen, um die Geschichte erzählen zu können. Schwarz-weiß-Denken ist für die Oper und insbesondere Wagner typisch. Das hat auch wieder mit 3. zu tun. Wenn man bspw. begönne, Kundrys Charakter und Vorgeschichte zu differenzieren, am besten noch die Beziehung zu Herzeleid darzulegen, dann würde man den Parsifal an 2 Tagen aufführen müssen. Kundry ist eine femme fatale und in der Filmgeschichte gibt es Dutzende ähnlich strukturierter Charaktere, die nur über ihre Verkürzung wirken bzw ohne Verkürzung die Geschichte unglaublich verkomplizieren. Und dann verweise ich wieder auf 1.. Im 19. Jht. wurde über die Rolle der Frau ein wenig anders gedacht als in aufgeklärten Internetforen des 21. Jht.


    6. Die Sprache ist bei Wagner Mittel zum Zweck. Er verlässt die Struktur der Oper und die Sprache dient ihm einerseits, eine Geschichte zu erzählen und andererseits einen Dialog mit der inneren Stimme der Figuren, repräsentiert durch die Musik zu führen.Es ist also eine Art multimedialer Theateraufführung. Und die Geschichten, die er erzählt, sind, bei aller Absurdität, in sich stimmig. Er bedient sich ja überwiegend mittelalterlicher Sagen und Legenden als Grundgerüst, die zudem dem damaligen Publikum mehr oder weniger geläufig waren. Unter diesem Überbau war es demnach weniger wichtig, was gesagt wurde auf der Bühne, sondern wie man Musik und Sprache ineinander verweben konnte. Dadurch wird der Spielraum für die Sprache jedoch auch begrenzt und in Anbetracht der allseits bekannten Geschichte auch marginalisiert. Es ging Wagner ja um die Neuerschaffung eines musikbasierten Theaters und nicht um ein Schauspiel mit Musikbegleitung.


    7. Erlösung ist eines der Kernthemen in Wagners Schaffen. Neben der Ambivalenz Liebe/Lust vs Ratio ist bis zum eindeutig christlich zentrierten, letztlich aber über das Christentum hinausreichende Neuerung eng verwoben mit Wagners Ansatz. So, wie er die Musik erneuern wollte, ist die Ausrichtung siener Werke auf Tod und Erlösung wesentlich.
    Es ist keine bigotte christliche Idee, die hinter Wagners Schaffen steckt, sondern eine beinahe ketzerisch anmutende Weiterführung des messianischen Themas. Dabei dreht sich auch die Beziehung von Mann und Frau um. Man kann so weit gehen zu behaupten, dass die Frauen durch ihren Liebestod die Schuld Evas, Adam zu versuchen und damit den Verlust des Paradieses für den Menschen verschulden, sühnen. Damit kommt der Frau jedoch im Hinblick auf die christliche Lehre eine viel stärkere Rolle zu als im Sinne des Neuen Testaments, wo sie ja quasi nur als "Gebärmutter" und als Unterstützerinnen und Dienerinnen des Heilands dienen. Die Liebe, aus der Eva Adam zum Sündenfall trieb, wird in Wagners Werken umgekehrt: Durch den Tod aus Liebe wird der Held erlöst. Ob Holländer, Lohengrin, Thannhäuser, Tristan, Parsifal, überall ist der Tod des Weibes die Rettung des Helden. Gut, auch Tristan stirbt, aber letztlich ist sein Tod nicht vergebens.
    Der Ring ist in seiner Struktur natürlich etwas komplexer, doch auch dort stirbt Brünnhilde für die Menschen, da die Götter sterben und damit Platz wird für die Christenheit, vulgo die Hoffnung des Menschen auf Erlösung.
    Dies führt uns zum nächsten Punkt:


    8. Wagner, der Revolutionär. Wagner legte sich mit allen und jedem an. Und nahm an der Revolution in Dresden teil , was ihn ins Exil trieb. Man muss deshalb die Parabel der Erlösung auch im Kontext des Widerstreits zwischen Bürgertum und Adel/Obrigkeit betrachten. Überträgt man dies auf das Modell von 7., so ergibt sich, dass die Frau als Allegorie zu sehen ist. Sie verkörpert Kampf und Blut, Unterdrückung und Unfreiheit, aber auch das Bestehende. Dies muss sterben, um eine neue Welt in Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit erschaffen zu können. Das Weibliche bedeutet auch, den Status quo beizubehalten. Parsifal muss sich dem Werben der Mädchen und Kundrys widersetzen, rein bleiben, um die Welt erlösen, eine neue Welt schaffen zu können. Thannhäuser scheitert letztlich an dieser Welt und kehrt in den Schoß der Venus zurück. Im Ring sterben die männlichen Helden alle, es bedarf also eines Erlösers, der noch auf der Welt erscheinen muss. Erst im Parsifal ist dieser Erlöser da, wird die Schwelle überschritten. Die Revolutionsbemühungen haben zu einer neuen Welt, zu einer neuen Gesellschaft geführt.


    9. Wagner war kein Frauenhasser. Ganz im Gegenteil liebte und verehrte er die Frauen. Nicht nur körperlich, sondern auch im Hinblick auf deren Andersartigkeit. Sie waren für ihn keine Konkurrenz wie all die - aus seiner Sicht - minderbemittelten Männer. Sie waren Wesen, denen er auf Augenhöhe begegnen konnte, die seine Musik verstanden, die für ihn Musik verkörperten. Ohne die Unterstützung von Frauen hätte seine Musik nicht den Siegeszug angetreten, wie sie es tat. Er benutzte die Frauen nicht in dem Sinne, dass er sie bestieg und sie dann fallen ließ, nein, das Körperliche ergab sich als Konsequenz, war aber nicht sein Hauptzweck (aufgrund seiner wohl von Geburt an bestehenden Leistenbeschwerden hatte er am Beischlaf vermutlich auch nur bedingt Freude). Hier darf man auch die Rolle der Sexualität früherer Zeiten nicht vergessen. Auch Frauen sind lustempfindende Wesen und nicht nur Opfer, die man an den Haaren in die Hölle schleifen muss. Man muss es auch nicht unter dem simplen Groupie-Effekt abtun, sondern unter der charismatischen Anziehung eines Genies sehen, und Charisma macht eben sexy.

    Reden wir über die Vergangenheit oder die Gegenwart?


    Ein wesentlicher Unterschied ist, dass sich die Wiener keinen Chefdirigenten holen und die Berliner sich sehr lange an einen Chef binden. Da kann man sich nun fragen, was für die Klangentwicklung besser ist.
    Neulich war in der SZ ja ein hymnischer Artikel über Celi und seinen Einfluss auf die MPHIL zu lesen. Celi hat, trotz seines schwierigen Charakters, den Orchesterklang neu geformt, das Musizieren gefördert und u. a. durch öffentliche Proben die Musiker an die Anforderungen des Konzertierens gewöhnt. Das ist sicher ein großer Verdienst.
    Problematisch ist es, wenn ein Dirigent - das Thema hatten wir ja erst - dem Orchester ein sehr spezielles Klangbild vorschreibt, also zB vibratofrei zu spielen. Natürlich ist ein Profimusiker in der Lage, auf Vibrato "umzuschalten", aber der Klang und damit die Reaktionen beim Zusammenspiel ändert sich.
    Was man HvK vorwirft, dieses breite, süffige streicherzentrierte Spiel des BPO, ist zugleich Fluch und Segen dieses Orchesters.
    Anders die Wiener: Da weht halt immer der Gedanke an die Strauss-Dynastie herein.
    Bei diesen zwei Orchestern - wir sprechen immerhin von den auf Platz 2 und 3 gewählten Orchestern weltweit - sind Qualitätsunterschiede quasi nicht vorhanden. Der Klang ist ein rein subjektives Merkmal.


    Zu meiner Eingangsfrage zurück: Ich bin mit Rattles Aufnahmen - wie schon oft erwähnt - nicht ganz zufrieden. Aber er ist ein Kaufmagnet in der englischspr. Welt (Stichwort EMI). Es ist schon ein Vorteil der Wiener, wenn sie eben die Wahl heben zwischen den Spitzendiriegenten und erst mit Rattle, dann mit Thielemann und vielleicht mal mit Jansons oder Järvi oder sonstwem den Beethovenzyklus aufnehmen können.


    Zum Schluss noch ein Hinweis: Ich werde immer mehr Fan der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Sie ist - auch durch ihre Geschichte - ein hervorragender Mix aus beiden Welten: Neben einem Chef hatten sie - zur Devisenbeschaffung - auch immer hervorragende Gastdirigenten, mit denen sie großartige Aufnahmen gemacht haben. Wenn jemand mal einen richtigen Kracher kaufen möchte: bei jpc gibt es die GA der Schubert-Sinfonien mit der Staatskapelle unter Blomstedt für 7,99. Zwar ist es eine lieblose Box ohne Booklet, aber die Musik entschädigt dafür. Und auch die GA der Orchesterwerke von R Strauss unter Kempe ist herausragend.


    Aber das nur am Rande...

    Das mit der EMI ist sicher dramatisch. Allerdings gehe ich mal davon aus, dass bei einer Pleite das Tafelsilber verschachert wird, um Gläubiger zu bedienen, weshalb die Archivaufnahmen grundsätzlich nicht verschwinden werden. Allerdings ist es bei der derzeitigen Marktlage fraglich, wann ein Käufer diese Archivschätze veröffentlichen wird oder Neuauflagen realisiert. Man sieht bei DGG, dass da auf Teufel komm' raus alles auf den Markt geschmissen wird, was sich noch zu Geld machen lässt.
    Es ist aber auch so, dass das Hauptproblem nicht die Klassik bei der EMI ist, sondern, dass man früher tatsächlich Märchengewinne gemacht hat und jetzt in einem veränderten Markt gegen iTunes etc konkurrieren muss und noch die ganzen teuren Popstars unter Vertrag hat. Das Gros der Käufer sind ja nicht Klassikfans, sondern Pop- und Rockfans. Und wenn man da ein paar Jahre Pech hat und zudem die alten Titel nicht mehr so gehen, wird es schwierig.
    Das mit den Schulden ist ja so eine Sache. In aller Regel funktioniert das ja so, dass ein Investor mit wenig Eigenkapital eine Firma übernimmt und die Schulden des Kaufs (vulgo die Kredite) auf die erworbene Firma überträgt. Dann ist der Investor nahezu bis ganz schuldenfrei, kann den Gewinn, der ja trotzdem entsteht, abschöpfen und die gekaufte Firma ertrinkt irgendwann an ihren Schulden und wird dann verschachert. Dass ein Investor von einer Bank über den Tisch gezogen wird, halte ich für reine PR. Als braver Kleinkreditabstotterer kann einem das mit der Bank passieren, aber doch nicht, wenn man von diesem Geschäft lebt. (Sicher, sein kann alles, aber die Wahrscheinlichkeit ist doch eher gering.)
    Es ist sicher kein Fehler, sich mit den auf den Markt geworfenen Titeln einzudecken, besonders dann, wenn es sich um Raritäten handelt. Gassenhauer wie Elgars Cellokonzert mit du Pré wird es auch weiterhin geben. Aber man muss vermutlich nicht in Panik verfallen. Wenn etwas gut ist und sich am Markt Interessenten finden, dann wird auch eines Tages ein Label kommen und diese Aufnahmen vermarkten. Man darf nicht vergessen, dass manches einfach nicht mehr dem allgemeinen Musikgeschmack entspricht und wegen ein paar hundert Sammlern keine CD mehr neu aufgelegt wird, weil sich das nicht mehr lohnt. Da ist es wie bei Klein auflagen bei Büchern. Wenn die nicht mehr verkauft werden, dann werden dia cuh nicht mehr aufgelegt.

    Ich habe grundsätzlich nichts gegen Applaus auf CD. Aber ich finde es irgendwie doof, wenn der "zurecht geschnitten" wird, wenn man also merkt, der wurde verkürzt o. ä. Ganz fies ist es beim Neujahrskonzert mit HvK von 1987, da wurde anscheinend immer der gleiche Applaus zwischen die Stücke geschnitten. Das finde ich blöd. Gilt bspw. auch für die Traviata mit Muti von 1992 (?) aus der Scala. Da laufen immer die gleichen Leute zur gleichen Zeit durchs Bild, wenn man das Publikum zwischen den Akten beim Klatschen zeigt. Das ist dann schlicht nicht mehr authentisch und das könnte man sich dann sparen, finde ich.

    Lieber Titan,


    sammelst du eigentlich für die Vollständigkeit oder auch "fürs Ohr"?


    Wenn ich von einem Werk 6 oder 7 Einspielungen habe, dann frage ich mich schon immer, wann ich die hören soll. Bei 60 Ring-Einspielungen hätte ich wohl noch nicht mal die Hälfte gehört, das sind ja schließlich jeweils ca. 14 CDs!


    Wenn es unter einem eher historischen Ansatz geschieht, finde ich das ganz schön beeindruckend, weil die eine oder andere Aufnahme sicher erst nach langer Suche in dein Regal gelangt ist, oder?


    Ich möchte Musik jetzt mal mehr hören, also weniger Einspielungen des gleichen Werkes. Wann will ich denn 5x hintereinander Parsifal hören?

    Zum Messias so viel:


    Mit einem großen Orchester und einem großen Chor gewinnt dieses Werk an Kraft und Größe. Ein 6-Mann-Chor, der Hallelujah singt, wird damit wohl nicht die göttliche Freude, den überschwenglichen Jubel darstellen können wie ein Chor von 50 oder 100 Mann.
    Ich habe den Messias mal in der Royal Albert Hall erlebt. Wenn da eine Wand aus Chor aufsteht, dann macht das Gänsehaut. Und einem solchen Chor muss man zwangsläufig auch ein entsprechendes Orchester gegenüber stellen, weil sonst der Chor die Begleitung niedersingen würde.


    Vermutlich kann man den Messias schon mit kleinerer Besetzung aufführen und aufnehmen und es gibt ja eine Reihe Aufnahmen. Aber den Drive der Musik kann man vermutlich einfacher mit einer großen Besetzung erzeugen.


    Es gibt gute Einspielungen mit kleineren Ensembles, zB Christophers, das Dunedin Consort, etc. Aber kleinere Ensembles brauchen dann eben auch Mut und Kraft, um eben das ganze Leben Jesu in aller sakralen HErrlichkeit darstellen zu können.

    Ich finde Chailly im Bereich Spätromatik/Frühmoderne mit am besten. Hindemith, Zemlinsky, Berg, Mahler, Schostakowitsch, da ist er wirklich sehr gut.


    Seine Bruckner-Aufn. hatte ich schon überlegt, wegen der Kosten bislang allerdings nicht gekauft.


    Ich verstehe eigentlich nicht ganz, warum er - ähnlich wie Abbado - nicht die Aufmerksamkeit hat, die seiner Arbeit entspräche. Immerhin muss man ja sagen, dass er durch seine lange Tätigkeit beim RCO nicht ganz unbeteiligt daran ist, dass es zum besten Orchester der Welt gewählt wurde. Und auch seine Arbeit mit dem GewandhausO scheint ja von sehr hoher Qualität zu sein.
    Möglicherweise liegt es aber eben genau daran, dass er einen Programmschwerpunkt hat, der nicht so im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, dass er sich viel mit Neuer Musik beschäftigt und weniger die beliebten "Gassenhauer" abnudelt. Insbesondere, dass er die Schumann-Bearbeitungen Mahlers aufgenommen hat, zeigt, dass er eher das Besondere zu suchen scheint.

    Das soll ja jetzt hier kein Lobes-Thread auf Pletnev werden; ich habe aber letzte Woche bei 2001 folgende CD erworben



    und die hat mich wirklich umgehauen. Wusste nicht, dass Tschaikowsky so toll für das Klavier solo komponiert hat. Die Aufnahme ist aus Zürich und klanglich trotz Publikum sehr gut. Die Musik ist wirklich fesselnd. Beifall ist mit drauf, ein wenig zusammengeschnitten. Ich weiß ja nicht, ob man den Applaus auf CD braucht. Aber rein von der Musik her eine tolle Live-Aufnahme.

    Weil sonst keiner will, schreibe ich halt was.


    Karajans Mahler- und Bruckner-Aufnahmen zeigen, dass er unzweifelhaft zu den größten Dirigenten gehört und nicht nur der dicke Aufstreicher bei den Werken des frühen 19. Jhts (insbes LvB) war, für den man ihn immer hinstellt.
    Er hatte ein kaum nochmals erreichtes Händchen für Spannung und einen sicheren Instinkt, wie man diese auch auf CD bannen konnte.


    Zu Unrecht steht er meiner Meinung nach nicht in der Reihe der großen Mahler-Interpreten, vielleicht, weil er keinen Zyklus dirigierte, vielleicht, weil er Schlüsselwerke wie die 2., 7., 8. nicht aufnahm, ich weiss es nicht.
    Karajan fand erst relativ spät zu Mahler, da war er längst in anderen Bereichen (Beethoven, Sibelius, Strauss, Brahms, Opern) der große Weltstar, weshalb man diese Aufnahmen nicht so schätzt, wie sie es eigentlich verdient hätten.


    Ich tue mich ein wenig schwer mit seinem Bruckner, ich empfinde ihn als sperrig. Aber gleichzeitig denke ich, dass Bruckner eben auch sperrig ist und sich erst gegen Ende in seligem Wohlklang auflösen soll. Karajans Zugang zu Bruckner ist deshalb vermutlich ausgesprochen richtig, man muss sich damit nur erst anfreunden.


    Bei Mahler ist dieses Verständnis für Sperrigkeit nun wirklich essentiell und Karajan setzt Mahlers Komplexität hervorragend um.
    Davon abgesehen sind Mathis, Ludwig und Kollo ausgesprochen hörenswerte Solisten und das BPO ein großartiges Mahler-Orchester, wie man spätestens bei den grandiosen Abbado-Aufnahmen hört.


    Karajans Mahler ist ein Beweis für Karajans Größe und man sollte auch diese Bereiche seines Schaffens kennen lernen, bevor man sich dem Eindreschen hingibt.


    Ein letztes Wort zu Karajan und Mahler:
    Ich glaube nicht, dass religiöse Motive bei der Interpretation Mahlers eine wesentliche Rolle spielen. Das ist so ein mystischer Erklärungsansatz, um Mahler und Bernstein nah aneinander zu rücken. Dabei spielt es eine viel größere Rolle, dass Bernstein und Mahler eben neben ihrer Dirigententätigkeit auch noch komponierten, der eine also wußte, unter welchem Druck Werke entstanden.
    Es steckt aus meiner Sicht wenig Jüdisches in Mahlers Musik, mehr ein mit dem Erstickungstod kämpfendes Weltreich, quasi ein Musik gewordener Joseph-Roth-Roman. Es sind die Gegensätze in Mahlers Vita, die in seiner Musik immer wieder hervorscheinen (übrigens auch bei Bruckner), der Sprung von den Grenzen des Reiches (ob Mähren oder Oberösterreich oder, wie bei Roth, Galizien, ist dabei unerheblich) nach Wien, der in Prunk vergehenden Weltstadt, Zentrum der Musik, der Kultur im ausgehenden 19. Jht. Und dieses Gespür für die Zeit besitzt der Österreicher Karajan und auf dieses Verständnis kommt es meiner Meinung nach bei der Musik Mahlers wesentlich an. (Vielleicht können Chailly und Sinopoli als Italiener diesen schleichenden Zerfall auch so gut nachempfinden, die Grandezza mit den Schimmelflecken in den Ecken, weil das Geld für die Restaurierung des Kunstwerks/Bauwerks fehlt?).

    Lieber Titan,


    ich finde deinen Beitrag sehr interessant und im Großen und Ganzen auch nachvollziehbar, wenn deine Einstellung konsequent durchgehalten wird.


    Ich finde, dass eine CD mit Musik bis auf wenige Ausnahmefälle grundsätzlich kein politisches Statement ist und damit die Interpreten das Recht haben, ihren Beruf so auszuüben, wie sie ihn gelernt haben.
    Ich wüsste auch nicht, wo ich unterscheiden sollte zwischen gut und böse.
    Ist nur die politische Biographie ausschlaggebend bei der Bewertung oder müsste ich auch private Fehlgriffe eines Musikers beim CD-Kauf oder Konzertbesuch mit einbeziehen? Wenn ich von einem "banalen" Verbrechen eines Musikers erführe, das ich persönlich streng ablehnte (bsph. Vergewaltigung, Ehebruch, Mord, Kindesmissbrauch), müsste ich auch dann auf die Musik verzichten?
    Man kann die Überlegung weiterspinnen: In Das Parfum von P Süskind entstehen die besten Düfte durch den Mord an jungen Frauen. Wüsste ich als Käufer, dass Frauen für den Duft sterben mussten, würde ich das Parfum kaufen? Vermutlich nicht. Wenn ich das Parfum schon benutzt habe, es mir gefällt, Mitmenschen den Duft gelobt hätten und ich dann erführe, wie es entstand, was würde ich dann mit dem Parfum machen? Was änderte sich in dem Moment, wo ich die halb verbrauchte Flasche entsorgte?
    Wer ist bereit, auf sein Handy zu verzichten, auch wenn bekannt ist, dass für die Herstellung Menschen getötet werden, weil um die Coltanfelder erbittert gekämpft wird und der Abbau unter sklavenartigen Bedingungn erfolgt? Wer verzichtet auf Fleisch und Wurst, obwohl Massentierhaltung grausam und die Arbeitsbedingungen in Großschlachthöfen teilweise menschenverachtend sind?


    Mit diesem Vorlauf ist also zu fragen, welche Konseuqenz es hat, den Künstler moralisch zu bewerten bzw wegen des Künstlers auf dessen Kunst zu verzichten.


    Gerade in Bezug auf das Dritte Reich ist der Vorwurf des Mitläufertums an viele zu richten. Doch muss man auch sehen, dass das politische Klima nach dem Krieg nicht für Selbstbezichtigungen oder sogar Selbstanklagen geeignet war. Der Begriff "Nestbeschmutzer" sei in diesem Zusammenhang erwähnt.
    Sich nicht zu seiner Situation zu äußern, ist moralisch zu beanstanden, menschlich (leider) nachvollziehbar. Und wichtiger erscheinen mir die Taten, mit denen man ja auch ein Statement abgibt. Also, wo man auftritt, was man spielt, ob und in welcher Art und Weise man Künstler oder Projekte fördert. Und da kann man Karajan keinen Vorwurf machen. Da finde ich einen Günther Grass schlicht widerwärtig, der nur, um seine faden Memoiren zu verscherbeln, seine SS-Mitgliedschaft zugibt, am Ende seines Lebens. Wäre dieser Grass auch so eine moralische Instanz in Deutschland geworden, hätte er das früher zugegeben? Hätte er jemals den Literatur-Nobelpreis bekommen?
    Man kann Kunst sicher nicth losgelöst aus Raum und Zeit betrachten. Nur ist die Musik ja schon vorhandene Kunst, die lediglich immer wieder gespielt und interpretiert wird. Welcher Bruckner- oder Wagner-Liebhaber denkt denn beim Hören dieser wundervollen Musik daran, dass der GröFaZ ebenfalls Fan dieser Musik war?


    Ich finde in diesem Zusammenhang auch Gielens Aussage sehr wichtig, dass Karajan, den deutschen Opern-Begriff um Verdi und Puccini erweitert hat. Er hat damit etwas geschafft, was lange Zeit undenkbar schien, nämlich die Anerkennung nicht-deutscher Musik als gleichwertig. Ich verweise hier auf die Ausführungen HR Vagets in Seelenzauber - Thomas Mann und die Musik. Die Musik stellte in Deutschland lange Zeit die "Kernkunst" in Deutschland dar, wogegen in Frankreich oder GB die Literatur diesen Platz einnahm. An dieser Situation zerbrach letztlich auch Thomas Manns Verhältnis zu Deutschland. Obwohl er weltweit als Autor anerkannt war, erlangte er in Deutschland nie den Platz als fürherneder Intellektueller, den er für sich in Anspruch nahm, immer war die Musik und mit ihr der Schatten Wagners größer und länger. Französische und italienische Musik hatten in Deutschland auch nie den Stellenwert wie die "deutschen" Künstler, allen voran natürlich Beethoven und Wagner.
    Man kann es damit durchaus auch als Verdienst Karajans sehen, dass er als Operndirigent, aber auch als Dirigent französicher, russischer, italienischer Komponisten und nicht zuletzt der Emigranten deren Musik nach Deutschland brachte und gleichzeitig zeigte, dass Deutschland die musikalischen Leistungen anderer Länder und Völker als gleichwertig betrachtete. Auch das ist Völkerverständigung.

    Es ist tatsächlich fast heikel, sich hier festzulegen.


    Wie Alfred das ja schon klar analysiert hat, sprechen wir von Interpretationen, die mittlerweile ca. 50-60 Jahre alt sind. Da waren viele der heutigen HIP-Stars noch gar nicht geboren.
    Man muss sich vielmehr darüber klar sein, dass man damals ja quasi erst richtig anfing, einem breiteren Publikum Tonträger mit Bach zu verkaufen. Und Bachs Werk in seiner Fülle aufzuführen.
    Gleichzeitig traten mit Harnoncourt und Leonhardt ja bald die ersten HIPster auf den Plan, um eine Alternative zum "Bombast"-Bach zu liefern, letztlich mit Erfolg.
    Wenn man jetzt noch die Lebensgewohnheiten der Menschen vor 50-60 Jahren berücksichtigen, die deutlich höhere Quote an Kirchgängern, dann stellte eine Aufnahme wie Klemperers h-moll-Messe, Jochums Weihnachtsoratorium und Richters Kantaten schon eine komplett andere Welt dar, als man das aus der Kirche um die Ecke gewohnt war.
    Die Frage für uns ist, ob wir noch Spaß an so einem Bach haben. Das ist in etwa so wie mit den Essgewohnheiten oder, ob wir uns noch gern die Heile-Welt-Heimatfilme von damals ansehen.
    Rein musikalisch haben sie sicher ihre Berechtigung. Hervorragende Mitwirkende, sehr gute Aufnahmequalität, auch nach modernen Standards. Man muss sich aus meiner Sicht nicht schämen, wenn man Richter hört. Bei Karajan möchte ich kleine Abstriche machen, sein Metier war Bach nicht. Bach kann man nicht als Mischung aus Beethoven und Verdi (bei den Vokalwerken) interpretieren, ohne dabei die Seele der Musik zu verkennen.
    Ansonsten gilt: Wer die Tempi von damals als angenehm empfindet, die Wucht mancher Aufnahmen akzeptiert und handwerklich gute Aufnahmen hören möchte, der soll ruhig auch die alten Aufnahmen hören.

    Mir ist gestern noch eine Aufnahme Barenboims eingefallen, über die noch nicht gesprochen wurde (jedenfalls nicht in diesem Thread), die aber durchaus Erwähnung finden sollte:




    Wie der Besetzung schon zu entnehmen ist, liegt hier eine hervorragende Einspielung dieses Werkes vor. Die Solisten sind Bayreuth- und Barenboim-erprobt, das Orchester eines DER Mahler-Orchester. Man versteht die Sänger, der Klang ist CSO-typisch üppig und der arienhafte Charakter des Werks ist für Barenboim als Operndirigent sehr zuträglich. Ich finde, dass sich Barenboim hier nicht zu verstecken braucht.

    Vielleicht sind ja gerade Foren ein Anreiz für Musikinteressierte, sich partout gegen den "Mainstream" zu stellen. Es ist ja auch in anderen Lebensbereichen nicht unüblich, nicht mit der Masse schwimmen zu wollen. Ob ich mir für viel Geld einen High-End-Plattenspieler statt eines SACD-Players kaufe, ein Hollandrad bei Manufactum oder einen alten Spritfresser statt eines Smart, alles hat ja auch mit einem gesellschaftlichen Statement zu tun. Und wenn Vater, Tante oder der unangenehme Nachbar von Karajan schwärmen, dann entsteht ja fast der Zwang, gegen diesen "Streber" zu revoltieren, auch wenn man wenig bis gar nichts von ihm kennt bzw keine echten Alternativen anbieten kann.
    Es ist ja so eine Art "Großwildjagd", eine herausragende Werkseinspielung völlig abseits des Marktes zu finden, die dann tatsächlich der allgemein anerkannte große Wurf ist. Aber sind wir ehrlich: Beim "Kernrepertoire" Bach bis Berg sind die vorhandenen und allseits bekannten Einspielungen schon alle erste Wahl, besonders die, bei denen Stereo fest etabliert war (also Ende 60er Jahre aufwärts) und dann, als der digitale CD-Klang nicht mehr artifiziell klang (also ab Ende 80er). Und da Karajan immer ein Vorreiter der Aufnahmetechnik, ein Klangfetischist war, waren seine Aufnahmen diesbezüglich auch immer vorn mit dabei. Nur ein strenger Dogmatiker, der quasi die überlieferten Besetzungen und Instrumente der jeweiligen Uraufführung als einzige "echte" Interpretation im Sinne des Komponisten gelten lässt, wird den meisten Karajan-Aufnahmen nichts abgewinnen können. Für die übrige Welt gilt, dass Karajans Aufnahmen mit dem BPO wirklich wie aus einem Guss klingen und ganz wenig an ihnen auszusetzen ist. Davon unberührt bleiben freilich hier und da vorgenommene Interpretationsansätze Karajans, über die der eine oder andere nach Prüfung der Partitur die Nase rümpft. Aber das gibt es auch bei anderen Dirigenten.
    Ich finde es wirklich witzig, wenn hier manche zähneknirschend eingestehen, dass Karajan doch gut ist. Da brechen vermutlich bei manchen spätpubertäre Welten zusammen, wenn sie Jahrzehnte später eingestehen müssen, dass Vadder oder Omma eben doch recht hatten, wenn sie den Karajan aus der LP-Hülle zogen.