Verwüstung und Tumult
Janaceks "Aus einemTotenhaus"
im Nationaltheater Prag (Narodni divalo)
2015
1. In den letzten Jahren wurde dieses Werk viel gespielt, meist in RT-Inszenierungen, was sich tatsächlich auch anbietet. Ich war immer schon der Meinung, dass dies die kühnste Oper der Vorkriegszeit war (1928).Ich mag sie auch lieber als Wozzeck, allerdings habe ich damals in Düsseldorf keine Vorstellung des Wozzeck verpasst, in der Hildegard Behrens die Marie sang.
Diese Prager Inszenierung muss 2015 ein Ereignis gewesen sein, denn der designierte Schauspieldirektor in Prag hat inszeniert. Daniel Spinar (Häkchen auf dem S) war homosexuell, hat dann aber eine Geschlechtsumwandlung gemacht und nannte sich jetzt Daniela Spinar.
Es wird tschechisch gesungen, leider gibt es keine Untertitel. Da ich das Stück gut kennen, war ich aber immer im Bilde.
2. Normalerweise wird das Totenhaus relativ statisch inszeniert, vor allem, damit die Gefangenen ihre Geschichte in Ruhe erzählen können. Hier ging es anders zu. Der erste Akt spielte nicht im Hof, sondern in einem leeren, leicht ramponierten Saal mit einem verwüsteten Klavier (am Schluss versteht man, dass dies den im Janacekschen Libretto vorkommenden verletzten Adler darstellen soll!). Die Häftlinge sind nicht zerlumpt, haben aber die gleiche Kleidung mit Nummern auf dem Rücken. Gleich in den ersten Szenen ist Tumult und Eintracht, alles rennt durcheinander. Wenn man genau hinsieht, ist alles perfekt inszeniert und nicht nach dem Motto "Rennt mal alle durcheinander, das reicht schon!"
Eine Besonderheit war ausgezeichnet gelöst: Luka Kusmitsch, der Erzfeind von Schischkow im 3. Akt, wird in 1 und 2 schon dauernd gezeigt.
Eine perfekte Operninszenierungi st ja die Quadratur des Kreises. Bühne, Kostüme, Regie, Chor, Sänger, die auch spielen müssen, das Orchester. Dies war in Akt 1 und 2 sehr sehenswert und für mich völlig neu, wobei ich das "Totenhaus" ja schon sehr oft gesehen habe. Wenn man diese Aufnahme hier mit CD-Aufnahmen vergleicht, stellt man fest, dass sowohl das Orchester wie die Sänger keinen geschliffenen Klang haben (mir fehlt der richtige Ausdruck, ich meine so etwas wie die Mackerras-Aufnahme), aber sehr gut zur Inszenierung passen.
3. Eine der Hauptfiguren ist der junge Aljeja; bei Janacek ist das eine Hosenrolle. Diesem Aljeja hat der Regisseur eine besondere Rolle zugedacht. Ein sehr gut aussehender blonder junger Mann ist Aljeja, offensichtlich homosexuell, so eine Art Lagerhure. Als der politische Gefangene Gorjantschikow eingeliefert wird, werden die beiden ein Paar, was von den anderen ohne weiteres akzeptiert wird. In dieser Sichtweise finde ich die Umwandlung von Mezzo zu Tenor gelungen.
Bemerkenswert im 2. Akt ist noch, dass die von Janacek im Libretto beschrieben Arbeit der Sträflinge, nämlich das Abwracken von Schiffen, hier durch Müllarbeit ersetzt wird, vor allem, weil der 2. Akt ja in einem Raum spielt. Das Theater, das die Häftlinge spielen, hat zum Thema: "Don Juan" und die "Müllerin". Hier gab es eine Choreographie eines grotesken Männerballetts in seltsamen "weiblichen" Kleidungsstücken. Alles in rascher Bewegung, aber gut durchchoreographiert.
4. Der dritte Akt.
Dieser Akt beginnt mit einer fulminanten Überraschung. Der Innenraum ist der gleiche wie vorher, keine Möbel, aber gepflegt. Das vollständige Klavier hängt umgekehrt an der Decke.
Alle Häftlinge treten in den allerfeinsten Fräcken auf und benehmen sich wie Bürgerliche oder sogar der Adel.
Da habe ich erstmal weggeschaltet und ein Interview mit Konwitschny gesehen, der das Stück in Zürich inszeniert hat, und zwar im RT-Modus. Da findet im xten Stock eines Hochhauses eine Mafia-Party statt, der niemand lebend entkommt. Das tertium comparationis zum Straflager ist das Motiv der abgeschlossenen Gesellschaft. Ein Clou bei Konwitschny: für das bei Janacek vorkommende Theater hat die Mafia eine billige Tanztruppe gemietet; die Mafiosi spielen die Zuhörer - und sind zum Gaudi als Sträflinge in Streifenjacken verkleidet.
5. Inzwischen wissen wir ja alle, dass die ergreifendste Szene und Musik in dieser Oper die Erzählung von Schischkow ist, der berichtet, wie er mit Akulina verheiratet wurde, die aber nach wie vor Luka Kusmitsch liebt, worauf Schischkow sie auf dem Feld erstickt. In diesem Moment schreit einer der Gefangenen auf und stirbt. Es ist - Luka Kusmitsch.
Am Schluss treten noch einmal alle auf und blicken nach oben dem gesunden Adler nach (wohlgemerkt, der wird durch ein Klavier dargestellt, das entschwindet). Gorjantschikow kommt frei, wobei der Lagerkommandant als Clown auftritt.
Bemerkenswert an der Schischkow-Szene, dass Akulina tatsächlich auftritt - und zwar als halbnackte Tänzerin, die in allen möglichen Posen durch den Raum wirbelt.
6. Zusammenfassend möchte ich sagen, dass es trotz Zügen von RT ein interessante Inszenierung ist. Allerdings gibt es zwei Wermutstropen. Die Idee der Tänzerin ist eigentlich nicht schlecht, allerdings ist viel zu auffällig, und damit eine zu große Ablenkung. Der andere Tropfen: der Sänger des Schischkow. Dies ist die wichtigste Rolle und wurde hier unzureichend besetzt. Vom Timbre abgesehen, sang er seinen Part im einheitlichen mf herunter. Ich habe ja das Totenhaus oft gesehen und gehört, live und auf CD/DVD; dieser Sänger ist da leider nicht konkurrenzfähig.
Dennoch war es eine gute Erfahrung, mal eine solche Inszenierung zu sehen. Als nächstes kommt dann eine waschechte RT-Aufführung an die Reihe; davon gibt es einige im Netz.