Bei dem Streit, warum man das Morden so lebendig darstellt, aber die Körperausscheidungen tabuisiert, werfen wir einen Blick ins Alte Testament. Dort wird das Morden von Einzelnen wie von ganzen Völkerstämmen, von Kriegern, Männern, Frauen, Kindern ausführlich dargestellt. Das Buch Exodus berichtet vom Auszug der Israeliten aus Ägypten und der 40jährigen Wüstenwanderung: das waren 1,5 Millionen Menschen, die da zogen. Von den hygienischen Verhältnissen kein Wort. Man kann sich denken, dass man die Wüste, durch die sie gezogen waren, hinterher nicht wiedererkennen konnte. Gibt es also keine Szene, die uns in der hier zur Rede stehenden Weise erfreut? Doch, es gibt sie. Israel hatte nach langem Quengeln endlich auch einen König bekommen; es war Saul. Sein größter Konkurrent war David. David hatte drei gefährliche Waffen: seine Schleuder (Goliath!), seine Harfe (damit heilte er als Musiktherapeut Saul von dessen Depression) und sein Schwert. David war nämlich Anführer einer talibanmäßigen Gruppe von Terroristen, die von Saul mit einem großen Aufgebot gejagt wurden. Eines Tages hatte sich David in der gebirgigen Wüste in der Höhle En-Gedi versteckt, als Saul diese Höhle aufsuchte, "lehasech raglaw", wie es im Hebräischen heißt, was wörtlich bedeutet: "seine Füße (mit dem Gewand) zu bedecken", was immer übersetzt wird mit "seine Notdurft zu verrichten" und natürlich ein starker Euphemismus ist. Statt ihn zu töten, schneidet David ein Stück von Sauls Gewand ab und zeigt es ihm draußen, worauf beide in Tränen ausbrechen ob so viel Großmut.
Mit dem Beginn der Reformation gab es die ersten protestantischen Komponisten, und die fingen wie wild an, die Bibel und ihre Geschichten auf deutsch zu vertonen, besonders in der Barockzeit. Die obige Geschichte kam aber nie vor. Dachte man bisher, bis sich jetzt in einem dunklen Ort der Thomaskirche ein Konvolut mit Kompositionen dieser Episode fand. Es stellte sich heraus, dass jeder werdende Thomaskantor diese Geschichte einreichen musste, gerade, weil sie so anstößig ist. Überliefert sind Kantaten von Schelle, Kuhnau, Knüpfer und Bach. Eine Ausgabe mit CD erscheint 2016. Der Text wurde 1550 von Johann Heinrich August Christian Pingel geschrieben; er liegt mir vor und ich werde ihn hier demnächst veröffentlichen. Das Stück ist für Soli (David: Tenor, Saul: Bass), Chor (die Krieger auf beiden Seiten) und Orchester. Johann Kuhnau wäre beinahe nicht genommen worden, weil er die entscheidende Szene der Darmentleerung durch Saul zu drastisch dargestellt hatte.