WERGO Schallplatten GmbH, Mainz
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Wie angedroht hier nun die ersten Eindrücke zur Aufnahme mit dem Sinfonieorchester des Südwestfunks Baden-Baden unter dem unvergesslichen Hans Rosbaud, der die Turangalila im Februar 1951 in der deutschen Erstaufführung leitete, und hier in einer Aufnahme vom 23./24. Dezember 1951 zu hören ist.
Aufgrund des Aufnahmedatums mutet die Klangqualität eigentlich an, sich durch Störungen und „schlechterem“ Mono auszuzeichnen – aber weit gefehlt.
Es ist auf der CD nicht vermerkt, ob stereo oder mono, der Hinweis „AAD“ sagt auch nicht viel aus. Jedoch ist nicht nur der erste Höreindruck äußerst angenehm und positiv, die ganze Aufnahme hat ein hervorragendes Klangbild und es gibt spätere Einspielungen aus der Stereozeit, die wesentlich schlechter sind.
Wir müssen aber hier – zumindest aus meiner Sicht – noch einige Aspekte vorher berücksichtigen.
Die meisten Hörer kennen nur die Einspielungen des Werkes ab ca. Mitte der 1970er Jahre und es ist bekannt, dass sich die Komposition ständig in Bearbeitung durch Messiaen selbst befunden hat, ja er teils bei jeder Neuaufnahme, bei der er anwesend war, weitere Änderungen und Eingriffe vorgenommen hat.
Die somit „bekannten“ Aufnahmen zeichnen sich durch einen sehr breiten Orchesterklang aus und die teilweise Hervorhebung der Solisten Klavier und Ondes Martenot. D.h. die groß besetzten Streicher sind sehr präsent . Dies möchte ich im folgenden als „Orchesterklang“ bezeichnen.
Einzelne Gruppierungen jedoch fehlen fast gänzlich bzw. gehen durch den Orchesterklang meist unter. Diese Gruppierungen (im folgenden „Gruppen“) sind jedoch für das Verständnis der Originalkomposition aus dem Jahre 1948 (wie hier unter Rosbaud) unerlässlich.
Aus dem Beiheft ergeben sich einige Ansatzpunkte, die sich mit meinen bisherigen Online-Recherchen (und auch meinem persönlichen Verständnis) decken:
Der umfangreiche Klangapparat der Turangalila setzt sich aus unterschiedlichen Gruppen zusammen und zwar chorisch stark besetztem Streichquintett, Holz- und Blechbläsern mit Bassklarinette, hohe Trompete und Kornett, fünf Schlagzeuger, ein dem indonesischen Gamelan nachgebildetes „Spezialorchester“ aus metallisch klingenden Tasteninstrumenten (Glockenspiel, Celesta, Vibraphon), als solistische Partien einmal das Klavier, das dem Werk verstärkt konzertante Züge verleiht und natürlich die Ondes Martenot für den einerseits heulenden Klang wie auch für den Effekt der (hier genannten) prä-raffaelitischen, süßen Klangakzente.
Hier haben wir auch bereits den wichtigsten, aber enormen Unterschied zur heutigen Aufführungspraxis: Der Klang entsteht nicht durch Orchester und Solisten sondern durch das „Gegeneinander“ und scharf getrennte Miteinander der einzelnen Gruppen.
Bereits beim Hören des ersten Satzes (Introduction) fällt auf, dass der Orchesterklang gänzlich fehlt bzw. auf das Äußerste zurückgestellt ist. Auch die strenge Metronomisierung, die Rosbaud wählt, trägt zum anfangs sterilen Klang bei. Hier teilen sich die Gruppen das thematische Material (Blechbläser als Statuten-Thema, Hölzbläser das Blumen-Thema) und werden sowohl von den anderen Gruppen als auch von den beiden Soloinstrumenten „unterstützt“. Keine der Gruppen oder Solisten wird hier irgendwie „bevorzugt“ in den Vordergrund gestellt, sie sind, bis auf wenige Ausnahmen, immer gleichberechtigt nebeneinander.
Im 3. Teil (Turangalila 1) dürfte das Missverständnis liegen, die Komposition auch aufgrund des Namens irgendwelche Bedeutung des Sanskrit o.ä. zuzuordnen. Die hier entstehenden Klangimpressionen, besonders durch Ondes Martenot, muten wirklich hierzu an.
Die Entwicklung dauert variiert bis zum 5. Teil an (Joie du sang des étoiles, Freude des Sternblutes), dem ersten wirklichen Höhepunkt des Gesamtverlaufes.
Um die hier entstehenden Klangimpressionen beschreiben zu können, kann ich nur vergleichen mit Aaron Copland’s Werk „El Salon Mexico“, in dem er musikalisch die unterschiedlichen Orchester einer großen Tanzhalle als Höreindruck der Tanzpaare beschreibt. Die nämlich beginnen ihren Tanz beim ersten Orchester und tanzen sich sozusagen an allen weiteren Orchestern, die alle unterschiedliche Musik spielen, vorbei, ohne jedoch darauf verzichten zu müssen, egal an welcher Stelle sie sich auf dem Tanzparkett befinden, das jeweilige Orchester nebst Werk genau hören zu können.
Nicht also ein großer Klangbrei entsteht, wie er oft in den heutigen Aufführungen der Turangalila praktiziert wird, sondern eine echte Impression, die man wirklich gehört haben muss !
Der darauf folgende 6. Teil (Jardin du sommeil d’amour, Garten des Liebesschlummers) treibt dem Hörer die Tränen in die Augen – was für ein Klang !
Ebenfalls gleichberechtigt die Gruppen, insbesonders das Klavier wird NICHT solistisch hervorgehoben und im Zusammenspiel, natürlich unterstützt durch die Ondes Martenot, entsteht ein Klang, der fremd wie von Geisterstimmen angesungen/angehaucht wirkt, und seine Fortsetzung bzw. Durchführung – nach kurzer Unterbrechung – im 8. Teil (Développement de l’amour, Entwicklung der Liebe) – erfährt.
Einzig für das Finale hätte ich mir einen stärkeren „Durchbruch“ des Orchesterklanges gewünscht, der aber hier nur abgeschwächt durchdringt.
Nichts desto trotz findet der Hörer hier eine 70-minütige Aufführung vor, die unglaublich durch die verschiedenen Klangimpressionen beeindruckt.
Ich möchte jedoch nicht verschweigen, dass ich selbst – hätte ich nicht bereits die „Erfahrung“ mit den heutigen Interpretationen der Turangalila – diese jetzt empfundenen Klangeindrücke in der Aufnahme von 1951 nicht in der Form aufgefasst hätte geschweige denn derart hätte genießen können.
Somit kann ich bzw. muss ich eigentlich jedem Hörer dieser Messiaen-Komposition dringend nahe legen, sich diese in ihrer ursprünglichen Form anzuhören. Es dürfte zu einem unvergleichlichen wie dauerhaften und unvergesslichen Erlebnis werden.
Nicht, dass ich jetzt die heutigen Sichtweisen ablehnen würde, es ist ja wohl fast alles vom Komponisten selbst abgesegnet worden. Trotzdem empfinde ich, wie bei so vielen Kompositionen, das „Originalwerk“ wesentlich interessanter und aussagekräftiger, als die bisherigen „Umarbeitungen“.