Es hat zwar etwas gedauert, aber die Antwort bleibe ich hier ungerne schuldig.
Sicherlich gehört Brendel zu den Pianisten, mit denen ich mich am längsten beschäftige. Einige seiner "Jugendsünden" bei Turnabout/Vox, insbesonders Beethoven, Liszt und Schubert machten mich neugierig auf mehr und Anfang der 70er Jahre erhielt er seinen Exklusivvertrag bei Philips, so daß ein Plattenbezug in Deutschland nicht mehr derart erschwert war.
Auch heute noch empfinde ich seine Schubert-Deutungen der 70er Jahre, die Mozart-Konzerte mit Marriner und die unzähligen Liszteinspielungen als unübertroffen. Bei anderen Komponisten, insbesonders Beethoven und bei den Mozart-Sonaten, bin ich jedoch anderer Meinung als Brendel. Unvergleichlich auch das Schönberg-Konzert, das er inzwischen auch schon 3 mal aufgenommen hat. Hier sind die Studienphasen in der jeweiligen Interpretation am deutlichsten zu erkennen. Sollte er es nochmals aufnehmen (was jedoch mehr oder weniger ausgeschlossen ist) - würde es genauso wie sein Schubert - als zu "schmerzhaft" schön umschrieben werden müssen, denn eine Steigerung/Verbesserung ist dabei schon fast unmöglich.
Was macht seinen Erfolg aus ?
Meiner Meinung nach in erster Linie seine nicht nachlassende Suche nach dem Kern, dem Wesen der Komposition. Man bedenke, daß er bereits seit Ende der 40er Jahre "im Geschäft" ist und sich stets weiterentwickelt hat, langsam aber konstant.
Der Geschmack der Hörer in Bezug auf Repertoire und Interpretation hat sich seit Mitte der 60er Jahre doch grundlegend geändert - und da passte Brendel genau ins Bild.
Gleichzeitig war er anscheinend genau der Typ (introvertiert, schrullig), dem das breite Publikum geneigt war zuzuhören; das hat sich bis heute eigentlich nicht geändert.
Die anfänglich unbeachtete Intelligenz von Brendel und die noch nicht derart entwickelte, enorme Ausstrahlung, trugen seit Mitte der 70er noch weiter zu seinem großen Erfolg bei.
[Wer übrigens mehr über Brendel, seinen Weg, Privates und auch sein Konzert mit Werken von Chopin, Ravel, Debussy und Rachmaninoff
, nachlesen möchte, bediene sich bitte meines Artikels aus dem Jahr 2000.
...das hat sich bis heute eigentlich nicht geändert... Ja, und genau das ist der Punkt, den ich nicht (mehr) so sehe.
Sicherlich akzeptiere ich, daß ein Künstler nur das spielt, was er vertreten kann (bei Brendel, das was ER braucht) und daß er Werke, die viele als wichtig empfinden (Chopin, Rachmaninoff, Bach, weitere Zeitgenössische) nicht bzw. nicht mehr spielt.
Aber bei dem noch verbliebenen Repertoire vermisse ich inzwischen die Weiterentwicklung.
Er spielt jetzt seit fast 6 Jahren nur noch einige Sonaten von Mozart, Schubert, Haydn, Beethoven und zur "Abwechslung" etwas Schumann.
Im Vergleich zu seinen bisherigen Einspielungen und Sichtungen empfinde ich ihn als rückläufig, ja teilweise sogar (bei Mozart) als kindisch.
Auch unter Berücksichtigung seines Gesundheitszustandes, er darf sich einige schwere Werke der Klavierliteratur nicht mehr zumuten, komme ich mehr denn je zu der Überlegung, er solle lieber nicht mehr spielen sondern seine weiteren Interessen ausbauen und noch stärker als früher sein enormes Wissen an junge Musiker weiter geben.
Natürlich kann ein Pianist, wenn er nicht gerade enorm gebrechlich ist, bis ins sehr hohe Alter spielen (man denke an Rubinstein oder Horszowski) aber - ähnlich wie bei den Sängern - sollte man, wenn man keine Stimme mehr hat, im Falle des Pianisten, wenn man nichts mehr Neues zu sagen hat und eine gewisse Zeit "Altgesagtes" immer nur wiederholt, überdenken, eventuell von der Bühne/dem Tonstudio abzutreten.
Dies wäre sicherlich anfangs bedauerlich, da er eine wirklich Größe des Musik- und Konzertlebens war - aber eben aus meiner Sicht nicht mehr ist.
Bevor jetzt einige über meine Ansichten herfallen, bitte lieber ein zweites mal lesen und nicht den ersten (Mord-) Gedanken freien Lauf lassen ![rolleyes :rolleyes:](https://www.tamino-klassikforum.at/core/images/smilies/emojione/1f644.png)
Gruß,
Jürgen