Nun haben wir den positiven Gehalt zu jenem Umriß hinzuzubringen, indem wir die Frage beantworten, welcher Natur das Schöne einer Tonkunst sei?
Es ist ein specifisch Musikalisches. Darunter verstehen wir ein Schönes, das unabhängig und unbedürftig eines von Außen her kommenden Inhaltes, einzig in den Tönen und ihrer künstlerischen Verbindung liegt. Die sinnvollen Beziehungen in sich reizvoller Klänge, ihr Zusammenstimmen und Widerstreben, ihr Fliehen und sich Erreichen, ihr Aufschwingen und Ersterben, – dies ist, was in freien Formen vor unser geistiges Anschauen tritt und als schön gefällt.
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Frägt es sich nun, was mit diesem Tonmaterial ausgedrückt werden soll, so lautet die Antwort: Musikalische Ideen. Eine vollständig zur Erscheinung gebrachte musikalische Idee aber ist bereits selbstständiges Schöne, ist Selbstzweck und keineswegs erst wieder Mittel oder Material zur Darstellung von Gefühlen und Gedanken; wenn sie gleich in hohem Grad jene symbolische, die großen Weltgesetze wiederspiegelnde Bedeutsamkeit besitzen kann, welche wir in jedem Kunstschönen vorfinden.
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Tönend bewegte Formen sind einzig und allein Inhalt und Gegenstand der Musik.
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Die gerügte (pathologische) Art des Musikhörens ist übrigens nicht etwa identisch mit der in jeder Kunst vorkommenden Freude des naiven Publicums an dem blos sinnlichen Theil derselben, während der ideale Gehalt nur von dem gebildeten Verständniß erkannt wird. Diese unkünstlerische Auffassung eines Musikstückes zieht nicht den eigentlich sinnlichen Theil, die reiche Mannigfaltigkeit der Tonreihen an sich, sondern deren abstracte, als Gefühl empfundene Totalidee. Die höchst eigenthümliche Stellung wird dadurch ersichtlich, welche in der Musik der geistige Gehalt zu den Kategorien der Form und des Inhalts einnimmt. Man pflegt nämlich das ein Tonstück durchwehende Gefühl als den Inhalt, die Idee, den geistigen Gehalt desselben anzusehen, die künstlerisch geschaffenen, bestimmten Tonfolgen hingegen als die bloße Form, das Bild, die sinnliche Einkleidung jenes Uebersinnlichen. Allein gerade der "specifisch-musikalische" Theil ist die Schöpfung des künstlerischen Geistes, nur welchem der anschauende Geist sich verständnißvoll vereinigt. In diesen concreten Tonbildungen liegt der geistige Gehalt der Composition, nicht in dem vagen Totaleindruck eines abstrahirten Gefühls. Die dem Gefühl, als vermeintlichem Inhalt, gegenübergestellte bloße Form (das Tongebilde) ist gerade der wahre Inhalt der Musik, ist die Musik selbst; während das erzeugte Gefühl weder Inhalt noch Form heißen kann, sondern factische Wirkung. Ebenso ist das vermeintliche Materielle, Darstellende, gerade das vom Geiste Gebildete, während das angeblich Dargestellte, die Gefühlswirkung, der Materie des Tons innewohnt und zur guten Hälfte physiologischen Gesetzen folgt.
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"Inhalt" im ursprünglichen und eigentlichen Sinne ist: was ein Ding enthält, in sich hält. In dieser Bedeutung sind die Töne, aus welchen ein Musikstück besteht, welche als dessen Theile es zum Ganzen bilden, der Inhalt desselben. Daß sich mit dieser Antwort Niemand zufriedenstellen mag, sie als etwas ganz Selbstverständliches abfertigend, hat seinen Grund darin, daß man gemeiniglich "Inhalt" mit "Gegenstand" verwechselt. Bei der Frage nach dem "Inhalt" der Musik hat man die Vorstellung von "Gegenstand" (Stoff, Sujet) im Sinne, welchen man als die Idee, das Ideale den Tönen als "materiellen Bestandtheilen" geradezu entgegensetzt. Einen Inhalt in dieser Bedeutung, einen Stoff im Sinne des behandelten Gegenstandes hat die Tonkunst in der That nicht.