Zitat
Original von sagitt
Sagitt meint:
Vielleicht kann uns Sune von Live-Erlebnissen berichten ?
Das kann er.
Mein erstes Live-Erlebnis mit Tom Krause war am 6. Dezember 1961 in der Hamburger Musikhalle. Im ersten Teil des Konzerts gab es Rolf Liebermanns Streitlied zwischen Leben und Tod; Solisten sollten u.a. Christa Ludwig und Walter Berry sein, doch beide sagten ab, und für Berry sprang der damals 27jährige Tom Krause ein, von dem ich bis dato nur wußte, daß er in einem deutsch gesungenen "Carmen"-Querschnitt (mit Sonja Draksler und Waldemar Kmentt) der Escamillo war und in Soltis "Tristan" als Kurwenal mitwirkte.
Der Eindruck, den Tom Krause hinterließ, war umwerfend : ein groß gewachsener junger Mann mit einem ungewöhnlich dunkel timbrierten dramatischen Baßbariton, fast ein Heldenbariton (Kritiker verglichen ihm damals mit George London; ein Vergleich, den ich heute nicht mehr nachvollziehen kann).
Wer sich einen Eindruck von Tom Krause in dieser Phase verschaffen will, sollte zum o.g. "Tristan" greifen, zum "Fidelio" unter Maazel (Pizarro), zu seinem ersten Lieder-Recital : Sibelius- und Strauss-Lieder mit Pentti Koskimies am Klavier oder zu seinem Heerufer in Sawallischs Bayreuther "Lohengrin" von 1962.
Dieses Einspringen sollte für Krause entscheidende Bedeutung haben, denn Rolf Liebermann verpflichtete ihn von der damaligen Städtischen Oper Berlin an die Hamburgische Staatsoper, wo er bis Liebermanns Weggang nach Paris (Krause folgte ihm) von Händels "Jephta", über Rossinis "Liebesprobe" und "Türke in Italien", über Mozart (Guglielmo, Giovanni, Figaro-Graf, Sprecher), über Strauss (Orest), Wagner (Wolfram, Heerrufer, Donner, Nachtwächter) bis hin zur Moderne (Kreneks "Der goldene Bock", Searle's "Hamlet u.a.) alles sang, was ein Ensemblemitglied zu tun bekam.
Etwa 1964 begann mit der Wiederaufnahme von Rennerts "Don Giovanni" die zweite Phase in Krauses Karriere. Bis dahin war er nach seinem Studium in Helsinki und Wien von einer Gesangslehrerin in Berlin betreut worden, die (nach seinen Worten) "Heldensöhne" produzieren wollte, seine Stimme also in eine dramatische Tonproduktion presste, mit der Krause (wiederum nach seinen Worten) nicht lange hätte singen können. Er ging dann in Hamburg zu Sergio Nazor, dem Lehrer Arturo Sergis, und stellte seine Technik total um : heller, aufgelichteter, leichter, ohne das (für mich so interessante) dramatische Fundament. Für Krause, der schon bei Festspielen in Bayreuth (1962 Heerrufer) und Glyndebourne (1963 "Capriccio"-Graf) mitgewirkt hatte, begann spätestens 1968 der internationale Durchbruch (ein Jahr zuvor hatte er mit dem "Figaro"-Grafen bereits an der Met debütiert) : er sprang für Nicolai Ghiaurov als Don Giovanni bei den Salzburger Festspielen ein (unter Karajan) und wurde in den Folgejahren oftmals dorthin verpflichtet.
Der Übergang zur dritten "Technik"-Phase war ein gleitender; spätestens als seine Frau nach einem "Rheingold" meinte, sein Donner sei nicht von der Stimme des Froh-Sängers zu unterscheiden gewesen, fühllte er sich mit der "Nazor-Technik" nicht mehr wohl und ging zu Rudolf Bautz, der eine Synthese aus beiden Techniken entwickelte, die letztendlich mit dafür verantworrtlich war, daß Krause eine so erfolgreiche und lange Karriere hatte.
Zuletzt hörte ich ihn (als Sänger) 2000 bei einem Liederabend in einem der wunderschönen finnischen Gutshöfe, den er wegen einer Indisposition nur mit Ach und Krach beenden konnte; danach noch einmal (als Sprecher) als Bassa Selim in der Finnischen Nationaloper.
Tom Krause ist heute ein viel gesuchter Pädagoge (u.a. Professor in Madrid), Juror und Jury-Vorsitzender. Hier in Mikkeli gab er 2000 eine Meisterklasse im Rahmen der Mariinsky-Sommer-Akademie.
Meine Einschätzung : Tom Krause hatte meiner Meinung nach eine Stimme, die vom Timbre her Bariton, aber vom Tonumfang her eher Baß oder Baßbariton war, d.h. für einen Bariton eine eher "kurze" Stimme. Dies verhinderte, daß er in den Baritonpartien Verdis (er sang u.a. Amonasro, Jago, Germont, Carlos) mehr reüssierte, und führte dazu, daß er zeitweilig (z.B. in Savonlinna) Filippo und den Aida-König sang. Was er jedoch innerhalb dieses Rahmens machte, war für mich von hohem künstlerischen Wert, vor allem im Bereich des Liedgesangs oder Oratoriums.
Dabei möchte ich es für heute bewenden lassen. Es gäbe (und gibt) noch so viel über Tom Krause zu berichten, den ich live viele Male erlebt habe. Bei Bedarf und Interesse werde ich gerne darauf zurückkommen.
Herzliche Grüße
Sune