Carl Loewe - *30. November 1796 Löbejün - † 20. April 1869 Kiel
Mit dem Grab von Carl Loewe ist die Sachlage nicht so ganz einfach, denn der große Komponist wurde praktisch an zwei unterschiedlichen Orten bestattet und an beiden Ruheplätzen wurde es dann im Zweiten Weltkrieg sehr unruhig, so dass diese sowohl in Stettin als auch in Kiel durch Bombeneinwirkungen zerstört wurden.
Carl Loewe verbrachte seine Ruhestandstage bei seiner ältesten Tochter in Kiel, wo er sich 1865 zunächst von einem Schlaganfall, den er an seiner langjährigen Wirkungsstätte Stettin erlitten hatte, erholte und dann ab 1866 bis an sein Lebensende in Kiel lebte.
Er soll verfügt haben, dass sein Herz bei seiner geliebten Orgel, die er »Cecilie« nannte, bestattet werden sollte. Diese Orgel befand sich in der Jacobikirche zu Stettin, wo er über den langen Zeitraum von 46 Jahren musikalisch wirkte.
Dr. Maximilian Runze, ein ausgezeichneter Loewe-Kenner, der den Komponisten noch in der Form persönlich kannte, dass er sein Schüler war, aber auch evangelischer Pfarrer und Abgeordneter, gab 1905 zu Protokoll, dass er bei der Zeremonie anwesend gewesen sei und schildert die Szene so:
»…im Juni des Jahres 1869…..Einem Maurer, der mit Schurz und Kelle zur Seite stand, war darauf ein Wink zu Theil und so ward denn unter andachtsvoll gehobener Stimmung der kleinen Gemeinde das von silberner Kapsel umschlossene Herz des großen Künstlers in der stillen kleinen Gruft beigesetzt. Ein inniger Choral beschloß die würdige Feier. In mehr denn Manneshöhe ruht nun dort hoch oben das Herz, mit dem der Lebende so oft zur unendlichen Gottheit sich erhoben hatte. Eine schwarze Marmorplatte verschließt die geweihte Stätte. Die auf der selben befindliche Inschrift hat Calo verfasst…«
Im August 1944 zerstörten Bomben große Teile der Kirche, darunter auch die Orgel, welche noch aus der katholischen Zeit der Kirche stammte.
Bei Renovierungsarbeiten hatte man nun viele Jahrzehnte später in einer Säule einen Sandsteinblock entdeckt, der eine Urne mit einem Metallobjekt aus Silber und Blei enthielt. Vor acht Jahren brachte die »Mitteldeutsche Zeitung« die Schlagzeile: »Verschollenes Herz von Carl Loewe entdeckt?«
Der »Kurier Szczecinski« berichtete am 5. März 2012 ebenfalls, dass bei Bauarbeiten in der Kirche vermutlich die Urne mit dem Herzen Johann Carl Gottfried Loewes gefunden worden sei und beschrieb den Fund im Detail:
Das Gefäß aus hellem Sandstein, 18 Kilogramm schwer, 42 Zentimeter hoch und mit einem Durchmesser von 25 Zentimetern, wurde in einem Teil des südlichen Pfeilers fast am Gewölbe entdeckt. Es enthält eine ovale Bleikapsel mit einem Durchmesser von zehn Zentimetern. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat das darin befindliche Herz dem Komponisten, Sänger und Organisten gehört.
Und was geschah mit den Gebeinen des Komponisten? Man hatte Carl Loewe auf dem St.-Jürgen-Friedhof, einem der ältesten Kirchhöfe Kiels, bestattet. Die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs verwandelten diesen Friedhof in ein Trümmerfeld und 1954 wurden Reste der St. Jürgen Kirche weggeräumt. Das Friedhofsgelände benötigte man zur Straßenverbreiterung und für einen Großparkplatz.
Wie es in der Kieler Stadtchronik heißt, wurden die Überreste der Toten auf den Friedhof Eichhof umgebettet und 64 Grabdenkmäler und Grabplatten, die unter Denkmalschutz stehen, fanden auch einen Platz auf dem neuen Friedhof. Von Carl Loewes Grab ist auf diesem Friedhof heute nichts mehr zu sehen. Da gibt es zwar einen gedruckten Friedhofsführer, der auf Seite 104 ein Foto - einen quadratischen Klotz mit einem Kreuz ohne Inschrift - zeigt, dem der Text »Grabzeichen Carl Loewe« beigegeben ist, aber Informationen vor Ort sind Fehlanzeige. Gänzlich anders sieht dagegen das Schwarz-Weiß-Foto aus dem Kieler Stadtarchiv aus. Dieses Foto ist identisch mit einer Zeichnung von Loewes Grab, die Heinrich Bulthaupt in seinem Buch über Carl Loewe veröffentlicht hat; Bulthaupt weist darauf hin, dass auch Loewes Tochter hier begraben wurde:
»Auf dem alten Kirchhof zu Kiel liegt er begraben, nach wenigen Jahren schon mit seiner Tochter Helene vereint, die das Gedächtnis des Vaters so kindlich treu und verständnissvoll festzuhalten sich bemüht hat, und die jetzt dasselbe Grab mit ihm umschliesst«.
Also begibt man sich zur Nikolaikirche, der bekanntesten Kirche in Kiel, am Alten Markt., vor der seit 1954 Barlachs »Geisteskämpfer« steht, von dem man auch eine spannende Geschichte erzählen könnte ...
Aber in diesem Zusammenhang lassen wir ihn buchstäblich links liegen, betreten den Haupteingang und wenden uns gleich rechts einer Seitenkapelle, der Pommern-Kapelle, zu. In dieser Seitenkapelle kann man auf einem mächtigen Stein die Inschrift lesen, dass hier der Komponist Carl Loewe ruht

Ein historisches Foto aus dem Stadtarchiv Kiel

Auf einen quadratischen Klotz mit einem Kreuz ohne Inschrift, wird in einem Friedhofsführer hingewiesen.

Rechts vom Barlachs »Geisteskämpfer« ist der Eingang zur Kirche mit dem Loewe-Grabdenkmal


Leider sind weder im Stadtarchiv Kiel noch in der Administration der Nikolai-Kirche irgendwelche Aufzeichnungen vorhanden, die darüber Auskunft geben, wann und unter welchen Umständen diese Umbettung stattfand. Es hat den Anschein als sei dieser Stein klammheimlich in die Kapelle gestellt worden ...
Heute ist lediglich noch bekannt, dass Loewes sterblichen Überreste 1955 auf den Eichhoffriedhof überführt und die Gebeine 1957 auf Initiative der Stiftung Pommern in die Nikolaikirche am Alten Markt umgebettet wurden; die Stiftung Pommern wurde zum 31. Dezember 2000 aufgelöst.
In den »Kieler Nachrichten« erschien 1996 ein Artikel mit der 12-Millimeter-Headline: »Bleiben die Gebeine in Kiel?« In der Einleitung des Beitrages ist zu lesen:
»Etwas unruhig wurde es in den vergangenen Wochen um eine letzte Ruhestätte in Kiel, und zwar um diese von Carl Loewe. Der vor allem für seine Balladenvertonungen bekannte Komponist starb 1869 hier und ist seit1957 in der Pommernkapelle der Nikolai-Kirche beigesetzt. Deren Kirchenvorstand berät heute abend über ein Anliegen, das vom Internationalen Carl-Loewe-Institut in Wien zunächst an die Stadt Kiel herangetragen wurde, die aber in diesem Falle nicht zuständig ist. Es geht um die Bitte des Instituts-Leiters Johannes Sterkel, die Gebeine des Komponisten in dessen Geburtsstadt Löbejün bei Halle in Sachsen-Anhalt zu überführen.«
In Kiel vertrat man die Meinung, dass man Carl Loewe in Löbejün auch ohne Gebeine ehren könne und er in Kiel eine würdige Ruhestätte habe. Ich hatte bei einer Kunsthistorikerin der Kirchengemeinde wegen den Modalitäten der Umbettung nachgefragt, schriftlich ist hier nichts festgehalten; aber die Dame kennt einen sehr betagten, aber geistig noch regen ehemaligen Kirchenvorstand, der damals den Wiederaufbau der Kirche begleitete und bestätigt, dass tatsächlich Gebeine von Carl Loewe an dieser Stelle beigesetzt wurden. An diesem christlichen Ort kommt einem dann Psalm 103 in den Sinn ...
Wichtiger ist, dass Carl Loewe in seinen Werken noch lebendig ist und er ein an Erlebnissen reiches Leben hatte. Wenn man hört, dass er 46 Jahre in Stettin Musikdirektor war, könnte man vielleicht meinen, dass da Langeweile gewesen sein könnte, was jedoch nicht zutreffend ist. Der aus eher ärmlichen Verhältnissen Kommende hatte recht umfangreichen Zugang zu den höheren Schichten der Gesellschaft, die er bei seinen Auftritten zu begeistern wusste. Komponist und Interpret traten in Personalunion auf; er war sicher mit Abstand der beste »Verkäufer« seiner Balladen. Noch im Jungenalter - er war etwa fünfzehn, sechzehn Jahre alt - wurde er von König Jérôme Bonaparte gefördert und hätte beinahe eine ganz andere Karriere gemacht; später begeisterte er den Kronprinzen Friedrich Wilhelm dem er einmal acht Tage lang abends als Sänger und Pianist zur Verfügung sein musste und in der Regierungszeit von Friedrich Wilhelm III wurde Loewe 1837 in die Königliche Akademie der Künste in Berlin aufgenommen. Zum Abschluss seiner Tätigkeit als reisender Balladensänger beglückte er noch Queen Victoria in England.
Loewe hatte ja in all den Jahren seine hauptsächlichen Amtspflichten in Stettin zu bewältigen und konnte nicht einfach reisen, wenn ihm der Sinn danach stand. Er lebte in einer Zeit, in der man noch mit der Kutsche unterwegs war, wobei er Nachtfahrten als recht angenehm empfand. Aber auf Teilstrecken stand auch schon die Eisenbahn zur Verfügung; die Strecke von Berlin nach Stettin wurde beispielsweise 1843 erbaut.
Nachfolgend soll versucht werden das Musikerleben des Carl Loewe in etwa nachzuzeichnen:
Der Zeit entsprechend, wurden im Taufregister die Namen Johann Carl Gottfried eingetragen; in Überlieferungen wird geschildert, dass sein Rufname Gottfried war, Musikfreunden ist der Name Carl Loewe geläufig, meist mit dem Zusatz »Balladenkönig«.
In seiner Autobiografie stellt der Komponist fest:»ich war der Jüngste von 12 Geschwistern«. Der Vater war Kantor und Lehrer im Städtchen. Die Mutter, Tochter eines Seilers, hatte 1500 Thaler mit in die Ehe gebracht, was für die Finanzierung von Haus, Scheune und sechs Morgen Ackerfeld reichte. Die Mutter war sehr ernst, nie lustig, aber stets gleichmäßig liebevoll und geschäftig.
Der Loewesche Haushalt verfügte über einen bedeutenden Notenschatz, aber das Glanzstück war ein dickleibiges Buch, das die evangelischen Choräle enthielt, die der Vater eigenhändig geschrieben hatte.
Von der weit älteren Schwester war der kleine Carl sehr beeindruckt, weil sie damals die ganz neuen Bürgerschen Balladen auswendig kannte.
Bruder Andreas war wohl der intelligenteste der Familie, konnte aber seine erfolgreichen Studien nicht in ein erfolgreiches Leben umsetzten und war der Kummer des alternden Vaters. Fritz dagegen, der älteste seiner Brüder, studierte Theologie und hatte in Berlin Kontakt mit Vincenzo Righini, von dem er besondere Gesangsmethoden lernte und an seinen jüngsten Bruder weiterreichte, was dieser dankbar aufnahm. Dass Fritz in Berlin durch die Bekanntschaft mit Kapellmeister Righini mit dem Theaterleben in Berührung kam und daran seine Freude hatte, gefiel Vater Loewe überhaupt nicht, stets hatte er seine Söhne eindringlich vor der Scheinwelt des Theaters gewarnt.
Aber eine solche Warnung kam auch von einer ganz anderen Seite, nämlich von Carl Maria von Weber. Als der Student Loewe diesen einmal besuchte, sagte Weber zu ihm: »Gehen Sie niemals an ein Theater, das ist nichts für ein schaffendes Talent. Wenn ich mit von dem immerwährenden Lampenlicht angegriffenen Augen, und den Kopf voll Opernmelodien nach Hause komme, so bin ich körperlich und geistig so abgespannt, dass es mir unmöglich ist zu komponieren«.
Als 1806 nach der Schlacht von Jena und Auerstedt napoleonische Truppen durch Löbejün zogen, was für die Bevölkerung schmerzliche Folgen hatte, wurde auch Vater Loewe um 200 Thaler erleichtert. Es waren unruhige Zeiten im Land; und so hatte der Vater das Wohl seines Sprösslings im Auge als 1807 drei große abgesandte Chorschüler aus dem etwa fünfzehn Kilometer entfernten Köthen herüberkamen, um Carl die Botschaft zu überbringen, dass man ihn in den Chor aufnehmen wollte. In späteren Jahren notierte der erfahrene Löwe kritisch, dass die den drei Abgesandten zu erbringende Gesangsprobe kein durchschlagender Erfolg gewesen sei; seiner Stimme hätte damals der Wohllaut gefehlt und er habe schreiende Töne produziert. Dennoch bot die Köthner Abordnung an, dass er mit ihnen kommen solle; man hatte sein musikalisches Talent erkannt. Angeboten war: Freie Wohnung mit Licht, Holz, Tisch und Schule und auch freien Unterricht in der Gesangskunst. Vater und Sohn wussten, dass das eine Chance war; natürlich fiel der Abschied schwer, besonders von der Mutter mit der er sich im Wesen sehr identifizierte. Ein Trost war, dass Köthen nur drei Stunden Fußweg vom Heimatort entfernt war und es Ferien gab. In der Schule kam der Junge zunächst ganz gut zurecht, wenngleich auch von strengen Lehrern berichtet wird. In seiner Gastfamilie war es üblich mit Messer und Gabel zu essen, was für den Knaben Neuland war. Der Chor bestand aus sechszehn Personen, die neben ihren kirchlichen Diensten auch begüterte Bürger mit musikalischen Darbietungen versorgten. Die Chormitglieder waren in dem kleinen Städtchen durchaus beliebt und bekamen allerlei Zuwendungen zugesteckt.
Als Carl dreizehn Jahre alt war bemerkten Vater und Sohn, dass die Schulverhältnisse in Köthen nicht die Besten waren. So konnte sich der Dreizehnjährige freuen, dass er zu seiner weiteren Fortbildung nach Halle kam, wenngleich er bei seiner Ankunft den Eindruck hatte in eine armselige Gegend zu kommen, wenn er das mit dem lieblichen Köthen verglich.
Vater Loewe meldete seinen Sohn für die Franke´sche Stiftung, eine lutherische Schule, an. Der Eintritt war hier nur dem möglich, der die musikalische Probe bei Daniel Gottlieb Türk bestand. Trotz der Köthner Erfahrungen konnte er bei der musikalischen Prüfung mit seiner Stimme nicht voll überzeugen, aber Türk bemerkte sehr wohl, dass der junge Mann musikalisch allerhand zu bieten hatte. Türk war in Halle so eine Art »Musikpapst«, der sowohl für die Kirchenmusik und Symphoniekonzerte als auch für Opernaufführungen zuständig war und das alles größtenteils mit seinen Chorsängern bewältigte, Loewes Lieblingsrolle war damals die Königin der Nacht in Mozarts »Zauberflöte«. Chorsänger wurden zu Solisten, professionelle Solisten wurden sporadisch eingesetzt. Türk betätigte sich auch - vor allem mit kirchlichen Werken - als Komponist. Unter Türks Anleitung verbesserte sich Loewes Stimme beträchtlich; Klavierunterricht wurde ihm nicht mehr erteilt, Klaviersachen von Clementi, Haydn, Mozart und dem jungen Beethoven schüttelte er aus dem Ärmel ...
Meister Türk hielt den nun Vierzehnjährigen nicht zur Schule an, räumte der Musik Priorität ein und meinte, dass der Junge nun genug Gelehrsamkeit erworben habe. Diesbezüglich war jedoch Vater Loewe ganz anderer Ansicht; er mochte seinen Filius eher auf der Kanzel und als geachteten Würdeträger sehen. Gegenüber seinem Sohn argumentierte er: »Du kannst genug Musik, aber in den Wissenschaften bist Du noch ein Anfänger, man muss das lernen, was man nicht kann, aber nicht was man kann«. Carl Loewe beschreibt seine damalige Situation so, dass er ein schwankendes Rohr war und nicht wusste ob er Türk oder seinem Vater folgen sollte. Als in Halle eine Theatergruppe aus Weimar auftauchte, war das Publikumsinteresse groß, denn hier waren erstrangige Solisten am Werk, wobei Türks Chor unkostümiert hinter den Kulissen sang
Als 1810 König Jérôme Bonaparte nach Halle kam fand er bei einer musikalischen Veranstaltung Gefallen am jungen Loewe, was diesem wiederum eine besondere Beachtung in höheren Kreisen einbrachte. So wurden ihm aus dem Staatssäckel eine jährliche Unterstützung von 300 Thaler gewährt, damit er seine musikalische Entwicklung voranbringen könne, eine Studienreise nach Italien war angedacht und am Endpunkt solle Loewe Kapellmeister in Kassel werden. Das war eine konkrete Karriereplanung; unter diesen Aspekten konnte er das Gymnasium verlassen, um sich ganz der Musik zu widmen. Er bekam nun ein eigenes Zimmer mit Klavier und Violine, sowie entsprechende Bücher für das theoretische Studium. In der Zeitspanne von 1811 bis Ende des Jahres 1813 erteilte ihm Türk jeden Tag mehrere Lektionen in Theorie und Komposition. Bei anderen Lehrern lernte er Italienisch und Französisch - nur für Klavier fand sich kein Lehrer ...
Als Napoleon geschlagen war und Truppenteile der Grande Armée in jämmerlichem Zustand durch Halle Richtung Heimat zogen, zerplatzten auch die Blütenträume von Italien und Kassel. Während der folgenden kriegerischen Turbulenzen, die auch die Zivilbevölkerung zu spüren bekam, sang er mit seinem Chor zum Begräbnis von Johann Friedrich Reichardt. Als 1814 Loewes Lehrer Türk starb, war das ein schwerer Schlag für den jungen Loewe, aber sein Vater hoffte nun wieder auf eine Hinwendung seines Sohnes zum wissenschaftlichen Studium.
Mit Hilfe eines befreundeten Studenten gelang es Loewe nun den in den letzten Jahren ausgefallenen Schulstoff nachzuholen, sodass er wieder in seine alte Schule einsteigen und zum Studium gelangen konnte.
Ab Michaelis 1817 war er in Halle Student der Theologie, das Studium finanzierte er aus Stipendien von insgesamt 70 Thalern und hatte keine Mühe das Fehlende durch Musikunterricht hinzuzuverdienen, wobei er auch mit Familien der besseren Gesellschaft in Verbindung kam. Wenn der junge blonde Mann seine selbst geschriebenen Balladen vortrug, »riss er alles mit sich fort«, wie Zeitgenossen berichteten. So lernte er auch im Hause des Staatsrates von Jakob dessen Tochter Julie kennen, und die beiden sollen Opernduette ganz vorzüglich vorgetragen haben; bald folgte eine Verlobung. Bei einem Weihnachtsbesuch seiner Verlobten, die in Dresden weilte, traf er zum zweiten Male mit Carl Maria von Weber zusammen, wobei auch eifrig musiziert wurde.
Carl Loewe hatte dann in Halle noch seinen Militärdienst abzuleisten, welchen er durch seine musikalischen Möglichkeiten etwas freundlicher gestalten konnte.
Als Carl Loewe sich um die Kantor-Stelle an der Jacobi-Kirche in Stettin bewarb, wurde seine Bewerbung vom Kanzler der Universität Halle, August Hermann Niemeyer, unterstützt. Bevor Loewe seinen Dienst als Musikdirektor in Stettin antreten konnte, musste er sich - auf Veranlassung der Stettiner Behörde - in Berlin von Zelter, dem Direktor der Singakademie, prüfen lassen.
Loewes Reiseroute führte 1820 über Jena, weil er bei dieser Gelegenheit dort einen Freund besuchen wollte. Wenn er nun aber schon einmal in der Stadt war, gedachte er auch dem berühmten Dichter Goethe einen Besuch abzustatten und ließ sich als Student melden, wobei er das Gefühl hatte zunächst argwöhnischen Blicken ausgesetzt zu sein, hatte doch erst im Frühjahr 1819 in Mannheim ein Student zugestochen.
Goethe, der in den Sommermonaten seinen Wohnsitz im botanischen Garten zu Jena hatte, ließ schließlich Loewe durch einen Diener bitten und es kam zu einem angenehmen Gespräch. Natürlich hatte er seine Komposition des »Erlkönig« dabei, aber Goethe bedauerte, dass er hier kein Klavier zur Verfügung habe und vertröstete auf einen späteren Besuch in Weimar. Als Loewe Jahre später wieder nach Weimar kam, war Goethe längst tot. Der junge Loewe konnte damals nicht ahnen, dass er - fast zwei Jahrzehnte später - Goethes Enkel, Walther, Unterricht in Kompositionslehre geben wird.
Da war aber nicht nur die eine Woche währende gründliche Prüfung bei Zelter in Berlin, auch bei seinen zukünftigen Arbeitgebern in Stettin musste Loewe sowohl eine mündliche als auch schriftliche wissenschaftliche Prüfung ablegen; sollte er doch am Gymnasium in unterschiedlichen Fächern lehren wie beispielsweise auch Naturgeschichte.
Nun waren die Voraussetzungen gegeben in den Stand der Ehe zu treten, am 7. September 1821 heiratete Musikdirektor Loewe Juli von Jacob. Das Eheglück währte jedoch nur etwa anderthalb Jahre. Am 26. Februar wurde Sohn Julian geboren; am 7. März 1823 starb die Ehefrau. Im
trostlosen Gefühl der Vereinsamung entstand Uhlands »Der Wirtin Töchterlein«. Julian war der einzige männliche Nachkomme des Komponisten. Man gab das Söhnchen zu Verwandten nach Halle und Vater und Sohn wurden sich immer fremder. Heinrich Bulthaupt (1849-1905) berichtet, dass der begabte, aber nervöse und reizbare Sohn gegen den Vater öffentlich auftrat und, nachdem das letzte Band zerschnitten war, nach Amerika auswanderte, wo er verschollen ist.
Knapp zwei Jahre später meldeten sich drei junge Damen beim Musikdirektor und baten um Gesangsunterricht; Auguste Lange, war der Name der Dame, die für die andern sprach. Carl Loewe war nicht nur von deren Sopran angetan, sondern stellte noch andere Vorzüge fest; es kam 1825 zu einer Ehe, aus der vier Töchter hervorgingen: Julie, Adele, Helene und Anna; die dritte Tochter, Helene, kam gehandicapt zur Welt.
Zu den künstlerischen Aktivitäten des Ehepaars Loewe schreibt er selbst:»Ihr schöner Gesang war die Zierde meiner Oratorien, in denen sie die hohen Sopranpartien, ich aber den Tenor sang».
In Stettin ging Loewe stets gewissenhaft seinen Amtspflichten nach und war in der Stadt und Umgebung eine unangefochtene musikalische Autorität. Er verfügte auch über einen ansehnlichen Freundeskreis wie zum Beispiel Dr. Ferdinand Calo, der bereits oben als Textgestalter der Gedenktafel erwähnt ist, Justus Günther Graßmann und sein Sohn Hermann Graßmann, welcher die Schwingungen der Töne mathematisch erforschten., Loewe war von beachtlichem Arbeitseifer; er erarbeitete eine theoretische und praktische Gesangslehre für Gymnasien; eine methodische Anweisung zum Kirchengesang und Orgelspiel und ein vollständiges Choralbuch. Dem Kantor und Organisten Loewe oblag auch die Ausbildung am Seminar für Lehrerbildung und er gründete den Pommerschen Chorverband. Wie überliefert ist, soll er vor allem im Seminar ein begeisterter und einfühlsamer Lehrer gewesen sein. 1834 erschien im Berliner Verlag Heinrich Adolph Wilhelm Logier der »Commentar zum zweiten Theile des Goethe´schen Faust«; Autor war Dr. C. Loewe. Den Ehrendoktor hatte ihm die Universität Greifswald 1832 verliehen, 1837 wurde er Mitglied der Berliner Akademie der Künste.
Von seinen eigentlichen Kompositionen, die seinen Namen heute noch lebendig erhalten war bis hierher noch keine Rede. Den Höhepunkt seiner Popularität dürfte Loewe etwa 1837 erreicht haben, als er zu einem großen Sängerfest nach Mainz reiste und anlässlich der Enthüllung des Johann-Gutenberg-Denkmals das von Loewe als Auftragswerk komponierte Oratorium »Gutenberg« aufgeführt werde; an diesen Feierlichkeiten waren immerhin 14.000 Menschen interessiert.
Carl Loewe war zwar 46 Jahre lang mit Stettin und seiner geliebten Orgel sehr eng verbunden, dennoch war er auch ein sehr reisefreudiger Komponist, der gerne die schulfreien Zeiten nutzte, um seine Balladen in vielen Städten selbst mit meist sehr zuverlässiger und stabiler Tenorstimme vorzutragen und auch für das Klavier zuständig war. Etwas getrübt wurden seine Sängerreisen durch den Umstand, dass in der Ferienzeit viele potenzielle Konzertbesucher ebenfalls nicht zu Hause waren.
Seine Gattin stand den Konzertreisen ihres Mannes schon etwas reserviert gegenüber; Loewe versuchte jedoch nach Kräften alles was er unterwegs erlebte unverzüglich nach Hause zu berichten, sodass ein gewisser Kontakt immer vorhanden war. Viele dieser Briefe sind erhalten und veröffentlicht und man kann lesen, dass Loewe eine Menge Anerkennung genoss. Seine Wege führten in bis nach Wien, das war im Sommer 1844, von wo aus er nach Hause berichten konnte, dass man ihn hier als »norddeutschen Schubert« bezeichnet habe. Die beiden Komponisten waren ja fast gleichaltrig (Loewe *November 1796 / Schubert *Januar 1797). Als Loewe in Wien weilte war Schubert längst tot, er starb 1828.
Ein Höhepunkt seiner vielen Kunstreisen war 1847 sicher die Reise nach London, wo er unter anderem auch vor Königin Victoria und Prinz Albert seine Balladen vortrug und eine Menge neuer Eindrücke aufnehmen konnte. Er sang dort auch nicht nur selbst, sondern besuchte auch eine Aufführung von Bellinis »Nachtwandlerin«, in der Jenny Lind die Hauptrolle sang, in seinem Brief kann man nachlesen wie fachkundig er dieser Darbietung folgte.
Ausgerechnet in London ließ ihn dann seine Stimme im Stich, am 10. Mai zeigte sich erste Heiserkeit, aber er vermochte diese Unpässlichkeit in den Griff zu bekommen und brachte dann am 31. Mai ein ausgezeichnetes Konzert zustande. Loewes Reise-Konzerttätigkeit währte etwa von 1826 bis 1847, sodass man seine London-Reise als die letzte bezeichnen kann; natürlich ist er auch danach noch gereist, das waren aber Reisen privater Natur.
Als 1851 Loewes Tochter Adele, die eine sehr schöne Stimme gehabt haben soll, sich im Brautstand befand und überraschend starb, war das für die Familie ein schwerer Schlag, der die Eltern tief traf. Nach einiger trübsinniger Zeit wurde Loewe zu einer Reise nach Norwegen eingeladen, damit er auf andere Gedanken kommt. Auf dieser Reise entstand die Ballade »Odins Meeresritt«.
1857 besuchte Loewe seine Tochter Julie und ihren Mann in Le Havre, das dürfte seine letzte längere Reise gewesen sein.
Mitten in der Arbeit, am 23. Februar 1864, traf ihn ein Schlaganfall, der ihn - mit einer kurzen Unterbrechung - in einen sechs Wochen währenden tiefen Schlaf versetzte; als Carl Loewe davon erwachte, war er nicht mehr der Alte ... nur bruchstückhaft kehrten die alten Funktionen zurück ...
In dieser Situation riet der Arzt zu einer Luftveränderung. Da sein Schwiegersohn als Korvettenkapitän nach Kiel versetzt worden war, bot sich eine Rekonvaleszenz bei der Tochter an, die dann auch zur Stärkung beitrug, jedoch von Heimweh nach seiner Orgel begleitet war. Im September 1865 kehrte er zu seiner geliebten Orgel nach Stettin zurück. Da traf ihn am 25. Februar 1866 ein Schlag anderer Art; die städtische Behörde verlangte, dass er nach 46-jähriger Tätigkeit seinen Abschied einreicht. Carl Loewe wehrte sich mit diversen Vorschlägen vergeblich gegen seine Abschiebung aufs Altenteil, er wollte gerne mindestens bis zu seinem 70. Lebensjahr tätig sein. Man gewährte ihm zwar sein volles Gehalt als Pension, aber er durfte nicht mehr die Orgel in der Jakobikirche spielen - im Mai 1866 zog er mit seiner Familie zum zweiten Mal nach Kiel, es war ein Abschied für immer.
Zur Kieler Kulturszene hatte er keinen Kontakt und er rührte auch keine Orgel mehr an - »und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher«, meinte er, wenn ihn seine Töchter zum Spaziergang in den Buchenwald von Düsternbrook führten, wo heute sein Denkmal steht. Der große Komponist und Interpret, den die Musikgeschichte »Kleinmeister« nennt, pflegte am Flügel auf seine alten Tage die Hausmusik.
Am Morgen des 18. April 1869 traf ihn ein erneuter Schlaganfall, am 20. April, morgens gegen neun Uhr war das irdische Dasein von Carl Loewe zu Ende.
Geboren war Carl Loewe am 30 November 1796 - deshalb sei heute an ihn erinnert.
Anmerkung:
Im Thread »Der Musiker Ehrenplätze« wird im Beitrag 252 in etwas anderer Form auf das Wirken von Carl Loewe eingegangen.