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    Thomas Tipton - *18. November 1926 in Wyandotte (USA) - † 22. September 2007 in München


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    Der Geburtsort von Thomas Tipton liegt im Südosten des Bundesstaates Michigan, das weit bekanntere Detroit ist knappe 20 Kilometer entfernt.
    Thomas Tipton entstammt einer polnischen Einwandererfamilie, die vor dem Ersten Weltkrieg in die USA ausgewandert war, und so entstand aus dem ursprünglichen Thomas Max Pointkowsky, das anagrammatische Thomas Tipton; Thomas war das jüngste von fünf Kindern.


    Schon recht frühzeitig - nämlich beim Vorsingen für den Schulchor in Wyandotte - entdeckte der Lehrer Lyle L. Lyons das Talent des 15-Jährigen.


    In Deutschland war es durchaus üblich, dass Eltern ihren interessierten Nachwuchs mal mit in die Oper nahmen, weil hier Opernhäuser relativ gut erreichbar sind; das war und ist in Amerika eine andere Situation.
    Aber da gab und gibt es in Amerika die Möglichkeit Opernübertragungen der Metropolitan Opera New York zu hören, wovon schon der Vierzehnjährige ausgiebig und begeistert Gebrauch machte und sich an dem Geschehen auch zuhause aktiv beteiligte, indem er Amonasro, Radames, Wotan, aber auch Don Ottavio und Manrico sang.


    Seinen ersten öffentlichen Beifall konnte Thomas Tipton anlässlich eines Schülerkonzerts einheimsen, als er »Old Man River« vortrug. Dass Thomas einmal den überwiegenden Teil seines Lebens im Land mit der größten Dichte an Opernhäusern verbringen würde, stand noch in den Sternen.
    Seine erste Oper erlebte der Besatzungssoldat Tipton dann in Ost-Berlin; es war eine Aufführung von »Hoffmanns Erzählungen«, was seiner Absicht Opernsänger zu werden, mächtig Auftrieb gab.
    Die vier sogenannten ›Bösewichter‹ in dieser Oper gehörten später zu den Glanzrollen von Thomas Tipton. Allerdings war vor dem ersten Opernauftritt noch ein Musikstudium zu absolvieren, wobei zutage kam, dass seine Jahre als GI ihm den Vorteil bringt, dass er insgesamt rund vier Jahre an der Universität East Lansing studieren konnte und sein Studium 1951 mit dem ›Bachelor of Music‹ abschloss.


    Nun gewann er zwar einen Wettbewerb in Detroit, der mit einem Zweijahresvertrag an der New York City Opera verbunden war, aber da wurde nach Auftritten bezahlt und Anfänger hatten eher wenige Auftritte; in der Regie des Komponisten Gian-Carlo Menotti und dem Dirigat des jungen Thomas Schippers debütierte Thomas Tipton als Bob in »The Old Maid and the Thief«.
    Aber das Einkommen als Opernsänger reichte keineswegs aus, also war er auch als Teller- und Autowäscher tätig und fuhr Taxi, um in dem teuren New York einigermaßen überleben zu können.
    Mit der Hilfe eines unbekannten Mäzens konnte Tipton nach seinen New Yorker Jahren noch an der Michigan State University in Ann Arbor studieren und schloss dort 1955 mit dem ›Master of Music in Voice‹ ab.
    Ein Fulbright-Stipendium machte es möglich, dass sich Thomas Tipton 1956/57 an der Münchner Hochschule für Musik einschreiben konnte, wo mit 400.- DM pro Monat auszukommen war. In der großartigen Altistin Hedwig Fichtmüller hatte er aber eine gesangserfahrene Professorin gefunden, die ihm einiges mitgeben konnte. An der Münchner Hochschule wurde Thomas Tipton dann vom Mannheimer Dirigenten Karl Fischer entdeckt und ans Nationaltheater gebracht.


    Seine deutsche Opernkarriere begann Tipton am nagelneuen Nationaltheater in Mannheim, wo er sich am 10. Januar 1957 als Fürst Ottokar im »Freischütz« erstmals in einer Aufführung für die am Bau Beschäftigten präsentierte. Zwei Tage später gab es eine Aufführung für Ehrengäste und am 13. Januar wurde dann das Theater mit einer festlichen Vorstellung des »Freischütz« eröffnet. Der Schreiber dieser Zeilen war damals bei den Probearbeiten ganz nahe dran und verfolgte Thomas Tiptons weiteren Weg über viele Jahre hinweg.
    Überraschendeweise blieb Tipton nur ein Jahr in Mannheim, wo er ausschließlich im lyrischen Fach tätig war, dann ging er ins Engagement nach Hagen, ein geschäftstüchtiger Agent hatte dazu geraten. Tipton, in Amerika professionell für Musikbühnen aller Art geschult und universall einsetzbar, tat in Hagen immerhin erste Schritte ins andere Fach, also sang er zum Beispiel Verdis Posa und Giordanos Gérard in »Andrea Chénier«.
    Diese erfolgreichen Auftritte wurden auch in Mannheim wahrgenommen und man holte diese gute Kraft schleunigst wieder zurück, und Thomas Tipton war dann 1959 bis 1964 wieder in Mannheim - und zwar in tragenden Rollen - zu hören.
    Verdi-Partien: Rigoletto, Germont / ›La Traviata‹, Luna / ›Troubadour‹, Amonasro / ›Aida‹, Jago / ›Otello‹ und Ford / ›Falstaff‹.
    Aber auch in Donizettis ›Lucia di Lammermoor‹ als Lord Enrico Ashton.
    Im Wagner-Fach waren es Biterolf und Wolfram in ›Tannhäuser‹, Melot in ›Tristan und Isolde‹, Kothner in ›Die Meistersinger von Nürnberg‹ und der Heerrufer in ›Lohengrin‹ sowie Gunther in ›Götterdämmerung‹.
    Da wäre noch einiges zu nennen, was in diesen fünf Mannheimer Jahren gesungen wurde, natürlich waren da auch tragende Rollen von Beethoven, Mozart, Puccini, Bizet ... dabei, herausgehoben sei - weil da Musikgeschichte gesungen wurde - die Kurzoper ›Das lange Weihnachtsmahl‹ von Paul Hindemith, die am 17. Dezember 1961 im Kleinen Haus des Nationaltheaters zur Uraufführung kam, Tipton sang den Roderick.


    In diesen Jahren war Tipton auch in USA zu hören, 1962 gab er ein Gastspiel an der San Francisco Opera, aber später gastierte er auch in Chicago, Pittsburgh und San Diego; Tipton hatte sich national und international einen Namen gemacht; in Offenbachs »Contes d´ Hoffmann« gab er ein Gastspiel am Teatro Colón in Buenos Aires. Aber er war auch an großen Häusern in Europa zu hören und mitunter waren es Gastspiele, die ihn an ein renommiertes Haus brachten, wie zum Beispiel nach Stuttgart, München und Hamburg.
    Ab 1966 bis 1972 sind einige Gastspiele an der Wiener Staatsoper verzeichnet.


    Dass er am 1. Januar 1967 am Stadttheater Saarbrücken ein Gastspiel in »Nabucco« absolvierte, findet man bestimmt in keinem Musiklexikon, aber da fuhr man als Musikfreund dann schon mal 140 Kilometer über die teilweise verschneite Autobahn und nach der Vorstellung auch wieder nach Hause, um Tipton in einer seiner Glanzrollen erleben zu können.

    In den Jahren 1964 bis 1966 war er festes Mitglied der Staatsoper Stuttgart und 1965 sang er bei den Salzburger Festspielen als Nardo in Mozarts »La finta Giardinieria«, eine Vorstellung, die in der Fürsterzbischöflichen Residenz stattfand.


    1966 bis 1978, also für die Dauer von einem Dutzend Jahren, war Tipton Mitglied der Bayerischen Staatsoper München, wo er in die Fußstapfen von Josef Metternich und Marcel Cordes zu treten hatte. In München wurde ja nicht nur in der Oper gesungen, es gab auch noch die Münchner Sonntagskonzerte, wo Thomas Tipton zum Beispiel neben Anneliese Rothenberger und Robert Ilosfalvy zu hören war.


    Bei den Bayreuther Festspielen 1967 gab Tipton unter der Regie von Wieland Wagner in »Tannhäuser« den Wolfram von Eschenbach und in der Inszenierung von Wolfgang Wagner stellte er dem Heerrufer in »Lohengrin« seine Stimme zur Verfügung.
    Während seines Wirkens an der Bayerischen Staatsoper hatte Thomas Tipton seinen künstlerischen Gipfel erreicht, als äußeres Zeichen der Anerkennung verlieh man ihm 1977 dann auch den Ehrentitel ›Bayerischer Kammersänger‹, ein fast echter Bayer, der sich in seiner Wahlheimat pudelwohl fühlte, war er ja längst geworden.


    Der Weggang von der Bayerischen Staatsoper bedeutete aber nicht, dass er seinem geliebten München nun den Rücken kehrte, Intendant Kurt Pscherer vom Staatstheater am Gärtnerplatz freute sich schon auf den prominenten Ankömmling zu ›Münchens Komischer Oper‹. Dort verkörperte Tipton:
    Kaspar in »Der Freischütz«, Leporello in »Don Giovanni«, Sonora in »Das Mädchen aus dem goldenen Westen«, Lord Tristan Mickleford in »Martha« ... - ab 1980 war er dann noch als Gast am Gärtnerplatz zu hören und ließ seine Opernsänger-Karriere langsam ausklingen.
    Schließlich ist das Allroundtalend Tipton auch 1986 in der Fernsehserie »Kir Royal« auf dem Bildschirm präsent.


    Die ganz große Präsenz auf Schallplatten war ihm nicht vergönnt, dennoch gibt es Beispiele seiner Gesangskunst auf Tonträgern, die hörbar machen, dass Thomas Tipton über eine großdimensionierte Baritonstimme verfügte; seine ausgeprägte komödiantische Begabung kam bei Opernaufführungen zum Tragen.


    Praktischer Hinweis:
    Nordfriedhof 80805 München, Ungererstraße 130 im Stadtteil Schwabing.
    Wenn man vor dem großen Gebäude am Haupteingang steht, wendet man sich nach rechts und orientiert sich an den Feldern: 48 / 46 / 45 / 44.
    Man kommt dann zur Arkadenhalle ›S‹.


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    Man wendet sich bei diesen rätselhaften Wächterfiguren zum rechten Friedhofseingang - ihre Münchner Geschichte ist tatsächlich rätselhaft ...


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    Die Situation hinter dem mächtigen Komplex des Friedhofsgebäudes - man geht direkt auf die Arkadenhalle zu.


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    Feld 44 / Halle ›S‹


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    Eisenstadt und Joseph Haydn


    Die Bergkirche mit dem Haydn-Mausoleum ist natürlich in Eisenstadt eine ganz besondere touristische Attraktion, wobei der ganze Haydn hier erst seit dem 5. Juni 1954 zur Verfügung steht, denn im Dezember 1820 war er ohne seinen Schädel in seine Wahlheimat zurückgekehrt, um all diese Besonderheiten rankt sich eine makabre Kriminalgeschichte.


    Joseph Haydn wurde am 31. März 1732 im niederösterreichischen Rohrau geboren, etwa 40 Kilometer südöstlich von Wien. Nachdem er auf Dauer von sieben Jahren - in manchen Publikationen sind es neun Jahre - Chorknabe in St. Stephan zu Wien war, wo sich aber um 1749 seine Knabenstimme verabschiedete.
    Für das folgende Jahrzehnt hatte Haydn keine feste Anstellung; er schrieb für Baron Fürnberg sein erstes Streichquartett und seine erste Oper. Er war zunächst zum freischaffenden Künstler geworden, der seinen Lebensunterhalt an vielen Stellen verdiente wo eben gerade ein Musiker gebraucht wurde.


    So wurde Joseph Haydn bei Nicola Porpora - einem seinerzeit berühmten Tonsetzer und Gesangslehrer par excellence - Faktotum für alles Mögliche, aber gleichzeitig auch dessen Schüler.
    Bei freier Kost und Logis hatte Haydn unter anderem auch Porporas Gesangsschüler am Klavier zu begleiten. Etwa 1759 trat Haydn als Dirigent in den Dienst des Grafen Morzin auf Schloss Dolni Lukavice bei Pilsen. Als sich Graf Morzin diesen musikalischen Luxus nicht mehr leisten konnte, musste sich Haydn nach einer neuen Stelle umsehen.


    Bei Haydns neuem Dienstherrn, waren finanzielle Engpässe nicht zu befürchten, Fürst Paul Anton II. Esterházy besaß neben mehreren Palais in Wien auch noch einige Schlösser in Ungarn, man liebte das prunkvolle Leben, wobei musikalische Genüsse keine unwesentliche Rolle spielten.
    Als Haydn im Mai 1761 mit seiner Frau - die Heirat war am 26. November 1760 im Wiener Stephansdom - nach Eisenstadt kam, bezog er zunächst eine Mietwohnung.
    Anton Esterházy strukturierte seine Hofkapelle neu, wobei Haydn künftig für den weltlichen Teil zuständig sein sollte und der bisherige Hofkapellmeister Gregor Joseph Werner sich zukünftig nur noch der Kirchenmusik zu widmen hatte, was auch ganz seiner musikalischen Präferenz entsprach; Joseph Haydn war Vizekapellmeister.
    Als jedoch Paul Anton II. Esterházy schon im März 1762 starb, folgte sein Bruder Nikolaus I., dem die Geschichte den Beinamen ›der Prachtliebende‹ gab.
    Als Werner 1766 starb, avancierte Joseph Haydn zum obersten Kapellmeister der Esterházyschen Hofkapelle und war somit für Kirchenmusik, Kammermusik und Theatermusik zuständig.


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    Als Haydn dann ab 1766 ein gewichtiges Amt innehatte, konnte er an den Erwerb eines eigenen Hauses denken; ja war sogar laut Dienstvertrag dazu verpflichtet allzu große Familiarität mit seinen Untergebenen zu vermeiden.
    Als Haydn das Haus von der Witwe Euphrosina Schleicher kaufte, behielt diese bis zu ihrem Tod 1767 die Wohnung im Erdgeschoss bei.
    Ganz einfach war die Finanzierung des Hauskaufs nicht, was einige Zahlen belegen:
    Das Jahresgehalt betrug 782 Gulden und der Kaufpreis des Anwesens soll um die 1500 Gulden gelegen haben. Im Herbst 1770 bat Haydn seinen Dienstherrn um ein Darlehen von 400 Gulden, und als Euphrosina Schleicher starb, musste Haydn deren Erben auszahlen, weshalb er seinen Schwiegervater um ein Darlehen von 500 Gulden bitten musste.
    Die Schallplatte war noch nicht erfunden, 200 Jahre später wäre die Finanzierung kein Problem gewesen ...


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    Im Laufe seiner zwölfeinhalb Jahre, die er hier wohnte, wurde Eisenstadt von zwei großen Bränden heimgesucht. Bei einem Brand 1768, der zwei Tage dauerte, wurde die Klostergasse besonders in Mitleidenschaft gezogen; der Gesamtschaden für Haydn wird der Nachwelt mit 1148 Gulden und 27 Kreuzern übermittelt. Fürst Nikolaus schickte Personal und Material, um den Schaden zu richten, wobei im Laufe dieser Arbeiten noch ein zusätzliches Zimmer entstand, wofür jedoch Haydn 50 Gulden an die fürstliche Kasse zahlen musste. Der entstandene Schaden durch den Verlust von Manuskripten lässt sich auch nicht annähernd beziffern.
    Als es im Sommer 1776 abermals in der Klostergasse brannte, wurde Haydns Schaden mit nur 363 Gulden beziffert, aber der Fürst ersetzte ihm den Schaden. Infolge der Wiederinstandsetzungsarbeiten war es dann zu Streitigkeiten mit den Nachbarn gekommen, die einigen Ärger mit sich brachten.


    Einerseits war Joseph Haydn - seit Witwe Schleicher gestorben war - nun zwar im Besitz eines Hauses, aber ein urgemütliches Wohnen war das nicht, denn Haydn bewohnte mit seiner Frau nur das Obergeschoss, im Untergeschoss kamen seine jeweiligen Schüler und der Kopist Johann Elßler unter, der ständig im Reichweite Haydns sein musste.
    Auch Ignatz Pleyel nahm von 1772 bis 1777 an dieser Hausgemeinschaft teil, Graf Ladislaus Erdödy zahlte hierfür ein Jahresgeld von 100 Louisdors.
    Ein ›Hauß Kauff Contract‹ vom 27. Oktober 1778 dokumentiert, dass Joseph Haydn sein Haus und alle dazugehörende Liegenschaften verkauft hat.


    Sein Dienstherr erweiterte nämlich sein südöstlich vom Neusiedler See gelegenes Jagdschloss in ihm eigener Prachtentfaltung zu einem ›zweiten Versailles‹; bei all dem Prunk gab es auch ein Opernhaus mit 400 Sitzplätzen. Dort war nun Haydns neue zentrale Wirkungsstätte.


    Nach einigen Besitzwechseln bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts, war es der Eisenstädter Männergesangsverein, der 1898 eine erste Gedenktafel mit dem Text:
    »Dem unsterblichen Mitbürger, den sein schöpferischer Geist aus diesen engen Mauern unter die Großen der Welt erhob«, anbringen ließ.
    1923 folgte eine weitere Gedenktafel: »In diesem Hause wohnte und wirkte Josef Haydn. 1766-1778«.


    Im Juni 1935 gelang es dem Burgenländischen Heimat- und Naturschutzverein drei Zimmer im ehemaligen Wohnhaus Haydns anzumieten und dort ein ständiges Haydn-Museum einzurichten. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging das Haus zusammen mit den verschiedenen Sammlungen in das Eigentum des Landes Burgenland über. 1998 konnte auch noch das Nachbarhaus erworben werden, wobei die Sammlung noch erweitert werden konnte.
    Die Räume sind mit originalen Möbeln der Zeit Haydns ausgestattet, aber man gewinnt nicht den Eindruck, als habe Haydn gerade eben erst das Haus verlassen ... dennoch sind tiefe Eindrücke möglich, und trotz vieler Umbauten ist es immer noch ein authentischer Ort.


    Das Haydn-Denkmal in Eisenstadt


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    Das Denkmal steht in unmittelbarer Nähe zu Haydns Gartenhäuschen und dem Kräutergarten in der Bürgerspitalgasse


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    Endlich, am 1. Mai 2018, wurde in Eisenstadt das Haydndenkmal enthüllt, die Presse beschreibt eine Höhe von 2,64 Meter.
    Noch im Frühling 2017 hatte der ORF und andere Presseorgane berichtet, dass das neue Haydn-Denkmal auf dem Platz vor der ehemaligen Nationalbank mit Blick auf das Schloss Esterhazy und unmittelbar neben dem bereits bestehenden Denkmal für Franz Liszt aufgestellt werden sollte, aber irgendwann verkündete Bürgermeister Thomas Steiner:
    »Nach mehreren Überlegungen schien dieser Platz am geeignetsten, in der Nähe des Gartenhäuschens, in dem Haydn der Legende nach einige Stücke komponierte.«


    Die Künstlerin Heidi Tschank hatte sich in einem Steinbruch im Kärntner Krastal einen Marmorblock ausgesucht und auch eifrig Haydns Musik gehört, wobei sie sich von einem frühen Haydn- Werk besonders inspirieren ließ - ›Die Tageszeiten‹, den Sinfonien 6 - 8.
    Weiterhin erklärte die Bildhauerin, dass die unregelmäßig gestalteten Spitzen und Ecken nach ihren Vorstellungen Haydns Bruch mit der Kontinuität darstellen soll, weil er sich vom gleichmäßigen Fortgang der Musik entfernte.


    Die Vorderseite des Denkmals ist von Notenlinien durchzogen und im oberen Drittel befindet sich eine Bronzebüste von Joseph Haydn, die als Relief gearbeitet ist, unter dem Relief, ebenfalls in Bronze, Haydns Signatur.
    Auf der Rückseite versteckt findet man in Stein gemeißelt:


    SYMPHONY
    6 · 7 · 8
    LE MATIN
    LE MIDI
    LE SOIR


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    Eine kleine Anekdote zum Franz Liszt-Denkmal vor der ehemaligen Nationalbank in Eisenstadt:


    Der Tag ging zur Neige als ich in Eisenstadt ankam, kurz frisch gemacht und runter ins Hotelrestaurant. Vom Ess-Platz aus war die Rückseite eines Denkmals erkennbar, auf die Frage:
    »Was ist denn das für ein Denkmal?« antwortete der Ober: »Mozart«.
    Da geht man etwas nachdenklich zu Bett, Eisenstadt und Mozart? ...
    Der Auskunft gebende Ober dachte sich wohl - Mozart geht in Österreich immer ...
    Noch vor dem Frühstück entstand dann dieses Foto, auch ohne Inschrift war Franz Liszt zu erkennen, der nun schon seit 1936 hier sitzt.


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    Eine Gedenktafel für Vera Little

    Witzlebenstraße 33, Berlin


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    Großes Foto der Gedenktafel: OTFW, Berlin



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    Das Foto der Straßensituation entstand im April 2025


    Am Montag, 3. Juni 2024 hatte die Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt in Verbindung mit dem Aktiven Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e. V. zur Enthüllung dieser Gedenktafel eingeladen.
    Grußworte sprachen:
    Joe Chialo, Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt
    Georg Friedrichs, Vorstandsvorsitzender der GASAG AG

    Laudatio:
    Frank Odjidja, Sänger und Musiklehrer, und Vera Block, Journalistin i. V. für Gwendolyn Bradley, US-amerikanische OPernsängerin und Gesangslehrerin.


    Anmerkung: Eine ausführliche Würdigung von Vera Little findet man im Thread ›Der Musiker Gräber‹ im Beitrag #877

    Vera Little

    Die erste schwarze Carmen an der Deutschen Oper Berlin

    Vera Little-Augustithis - *10. Dezember in 1928 Memphis - † 24. Oktober 2012 in Berlin


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    Dass man hier auch den Namen Hermann Prey findet ist reiner Zufall; des Sängers Daten sind *11. Juli 1929 - †22. Juli 1998


    Vera war am Mississippi im Südwesten von Tennessee zur Welt gekommen, einer Weltgegend, die einen nicht unbedingt an Operngesang denken lässt.
    Die Kleine wuchs in einer baptistischen Predigerfamilie auf; der Vater spielte Posaune und Mutter Ophelia Klavier; in manchen Publikationen wird die Mutter als Kirchenorganistin bezeichnet und vom Vater wird mitgeteilt, dass er Zugbegleiter war und Posaune spielte. also ein durchaus musikalisches Umfeld, in welchem auch der um zehn Jahre jüngere Bruder Booker heranwuchs, der in seinem kurzen Leben - er starb mit 23 Jahren an Urämie - eine gewisse Berühmtheit als Jazzmusiker und Komponist geworden war.
    Vera und ihre Geschwister wurden in ein gesellschaftliches Umfeld hineingeboren, das man sich heute eigentlich nicht mehr vorstellen kann und mag; erst 36 Jahre nach Veras Geburt tat sich diesbezüglich etwas in den USA, die Rassentrennung wurde aufgehoben.


    Vera kam zusammen mit einer Zwillingsschwester zur Welt, die jedoch im Teenager-Alter verstarb, ein Verlust, der sie lebenslang begleitete und den sie auch literarisch verarbeitete.
    Die gereifte Opernsängerin erinnert sich, dass sie schon in der Grundschule Aufmerksamkeit erregte, weil sie am lautesten gesungen habe.
    Als Vera einmal die Stimme einer ausgebildeten dunkelhäutigen Sängerin hörte war sie davon so begeistert, dass sie auch Sängerin werden wollte. Allerdings stellte sich heraus, dass man soweit nur durch Unterricht kommen konnte, der teuer war und unbezahlbar erschien. Aber es ergab sich dann, dass sich zu einer Gesangslehrerin ein gutes Verhältnis entwickelte und es zu einem siebenwöchigen Unterricht kam. Diese Gesangslehrerin war nicht irgendwer, sondern die erste schwarze US-Amerikanerin, die schon 1927 in Europa als Aida aufgetreten war - Florence Cole Talbert.


    Vera Little geht nun nach Alabama und studiert am ältesten US-amerikanischen Kunst-College für Schwarze. Einer ihrer Lehrer war ein jüdischer Emigrant aus Deutschland, der sie mit der Sprache und den Liedern von Schumann und Brahms vertraut machte.
    Nach fünf Jahren schließt sie ihr Gesangsstudium mit einem pädagogischen Diplom ab.
    Da zu dieser Zeit immer noch Rassentrennung in USA besteht, ist eine Karriere als Opernsängerin zunächst wenig vorstellbar. In den 1950er Jahren geht Vera Little nach New York, wo sich die Gelegenheit ergibt an einer sogenannten ›Blind Audition‹ teilzunehmen.
    Durch einen Vorhang verdeckt sang sie Gounods ›Königin von Saba‹ und bekam durch die Qualität ihrer Stimme die Rolle.
    Etwas später geriet sie in den Dunstkreis von Leontine Price, die damals schon als Star galt und bekam in der Oper »Four Saints in Three Acts« eine Nebenrolle.
    Als sie mit einer Broadway-Produktion am Théâtre des Champs-Elysées in Paris gastiert, hat Vera Little ihr Herz für Europa entdeckt, da möchte sie am liebsten bleiben.
    Wieder zurück in Amerika, bewirbt sie sich um ein Fulbright-Stipendium. In ihrer Situation ist das relativ schwierig, weil sie sich auf keine Hochschule berufen kann. Aber sie vermag ihre Bewerbung so zu gestalten, dass sie erfolgreich ist und wieder nach Europa kommen kann.


    Was sich dann ergab schildert Vera Little so:


    »Und dann bin ich wieder nach Paris gekommen, um französische Lieder zu singen und lernen, und dann bin ich immer in Europa geblieben, weil, ich hatte eine sehr schwierige Zeit in Amerika gehabt und ich wollte das nicht mehr wiederholen.«

    In Paris studierte sie bei dem französischen Tenor Georges Jouatte, der seine Kunst nach dem Ersten Weltkrieg auch für einige Jahre in Berlin - damals noch als Bariton - ausgeübt hatte; Jouatte war ein durchaus erfolgreicher Lehrer, er hat auch die später so anerkannte Régine Crespin ausgebildet.
    Als das Geld des Fulbright-Stipendiums aufgebraucht ist, organisiert Vera Little selbst Konzerte - es sind mehr als siebzig - und hat mit altfranzösischem Liedgut Erfolg, den größten übrigens in Deutschland. Wie sie nach Berlin kam, beschreibt sie in einem Gespräch:


    »Und dann kam ich nach Berlin, um einen Liederabend zu machen und man hat die Idee gehabt, vielleicht könnte auch eine Dunkelhäutige Carmen singen. Ich habe die Oper nicht gekannt, aber ich habe studiert und in einem Monat hatte ich die ganze Partie gelernt.«


    Am 4. Februar 1958 war es dann soweit, Carl Ebert stellt Vera Little an der Städtischen Oper seine dunkle Carmen vor, was einer Sensation gleichkam. Grace Bumbry gab ihr Carmen-Debüt in Basel erst 1960.
    Die Deutsche Oper Berlin war vor ihrer Wiedereröffnung in der Bismarckstraße, von 1945 bis 1961 im Theater des Westens beheimatet und wurde erst ab 1961 - auf Anregung von Ferenc Fricsay - zur Deutschen Oper Berlin.


    Wie man aus Presseberichten weiß, soll es am Premiere-Abend - ausgerechnet von jungen Leuten - Proteste gegen die Sängerin gegeben haben und es seien »Little go home« - Rufe zu hören gewesen. Aber die Unmutsäußerungen des Premierenabends wiederholen sich nicht, es folgen noch vierzehn weitere Vorstellungen. Der Musikkritiker Geerd Heinsen beurteilt Littles Stimme recht positiv und meint:
    »Die Little war stimmlich eine Wucht. Es war eine Carmen, wie man sie damals hörte, mit viel Brustton, orgelnd unten und oben eine gute Höhe. Damals war sie ein Ereignis.«


    Die Carmen-Darstellung von Vera Little hatte auch den Dirigenten Vittorio Gui so beeindruckt, dass er sie 1959 zu einem Konzert in den Vatikan einlud, wo sie in Anwesenheit von Papst Johannes XXIII. Bach-Kantaten sang. Die New York Times veröffentlichte damals sogar ein Foto das Sängerin und Pabst Hand in Hand zeigt.


    Nach Littles spektakulärer Carmen an der Berliner Oper dauerte es noch etwas, bis man sie in anderen Rollen wieder in Berlin sehen und hören konnte.
    Über ihr anderwärtiges Tun berichtete sie am 4. September 1958 in der Berliner Abendschau im Rahmen eines Interviews:


    »Ja, ich war in Brüssel, in Paris, in Süddeutschland, das heißt Baden-Baden, Stuttgart, Frankfurt und München.« Auf die Frage, was sie denn da alles gesungen habe gab sie Auskunft: »Beethoven Neunte Sinfonie und Liederabende in Baden-Baden, nicht wahr, und im Rundfunk habe ich Lieder gesungen, Brahms, Mahler und so.«


    Erst vier Jahre nach ihrem Berliner Bühnendebüt war sie wieder in der Berliner Oper zu hören, Rudolf Sellner, der von 1961 bis 1972 Generalintendant und Chefregisseur der Deutschen Oper war, holte Vera Little in der Rolle der Prinzessin Amneris in Verdis Aida wieder zurück. Dort war dann auch über viele Jahre hinweg ihre schwarze Kollegin Annabelle Benard engagiert, die 1961 nach Europa gekommen war.


    Auch in der zeitgenössischen Musik hinterließ Vera Little einige Spuren. In einer von Hans Heinz Stuckenschmidt durchgeführten Konzertserie mit experimenteller Musik, die 1962 zur besten Sendezeit aus der Kongresshalle live vom SFB-Fernsehen übertragen wurde, wirkte Vera Little, die zu Boris Blacher ein gutes Verhältnis hatte, mit. Im März 1963 konnte man die beiden im Großen Musikvereinssaal zu Wien in einem Nachmittagskonzert erleben, wo unter anderem auch die ›Fünf Spirituals für mittlere Stimme und Instrumentalsolisten, bearbeitet von Boris Blacher‹ uraufgeführt wurden, dieses Werk war dann erst im Oktober des Jahres in Berlin zu hören.
    Ron Simonds, der mit Vera Little befreundet war, berichtet, dass Vera Little bei Blacher regelmäßig Gesangsunterricht nahm und dass sie bei seiner Beerdigung gebeten wurde in der Kirche zu singen - sie sang Gershwins ›Summertime‹ ohne Begleitung.


    Bei der Uraufführung von Hans Werner Henzes Oper »Der junge Lord« an der Deutschen Oper Berlin im April 1965, wirkte Vera Little mit, wo man ihr die Rolle der Begonia, einer Köchin aus Jamaica, anvertraute.
    Inge Bachmann hatte das Libretto verfasst und soll den Ensemblemitgliedern die Charaktere auf dem Leib geschrieben haben. »Oh, kaltes Land, wo Leute gaffen ...«, heißt es da.


    Am 6. August 1966 wirkte Vera Little im Salzburger Großen Festspielhaus bei der Uraufführung von Henzes »Die Bassariden« unter dem Dirigat von Christoph von Dohnányi mit, wo sie Beroe, eine alte Sklavin, darzustellen hatte.


    Gottfried von Einem unterhält eine Liebesbeziehung zu Vera, aber es entwickelt sich auch eine Zusammenarbeit bei Liedkompositionen. In den Memoiren des Berliner Verlegers Wolf Jobst Siedler findet sich eine Stelle, die einen kleinen Einblick gewährt:


    »In Gottfried von Einems Begleitung war die sehr begabte und sehr schwarze amerikanische Mezzosopranistin Vera Little, die ihn ständig vom Trinken abzuhalten suchte, wogegen er sich aber erfolgreich wehrte: Husch, Husch, rauf auf die Palme, von der du doch erst gestern heruntergeklettert bist.«


    In seiner Autobiografie beschreibt Gottfried von Einem, dass es für ihn damals viele amouröse Abenteuer gab, die aber meist wenig Bestand hatten.


    »Drei Frauen aus dieser unstabilen Zeit, mit denen ich dauerhafte Verhältnisse einging und die mir damals besonders wichtig waren, verdienen es, in diesen Erinnerungen eigens hervorgehoben zu werden. Die eine war Vera Little, meine schwarze Freundin. Diese großartige, hochgewachsene Sängerin, eine wirkliche ›Frau von Welt‹, lernte ich in Genf kennen. Mit ihr unternahm ich einige Reisen, sie war dem Luxus zugetan und war mir teuer, in beiden Bedeutungen des Wortes. Ihre exotische und dominierende Erscheinung machte gewöhnlich großen Eindruck und ich wurde von manchen Kollegen und Bekannten zutiefst beneidet ...«


    In Berlin blieb Vera Little dann für Jahrzehnte fest verankert und entwickelte sich allmählich zur Diva, die einen flotten Sportwagen fuhr, sich in der angesagten Künstlerszene gut auskannte und eigentlich zu einer ›Berlinerin‹ geworden war. Dennoch schreibt sie 1993 in einer Erzählung:

    »Etwas in mir war jedoch müde geworden, müde, in einem fremden Land zu sein, eine von wenigen zu sein, die immer noch zu beweisen versuchten, dass ich und andere meiner Art wertvoll, edel und ehrenhaft genug waren, um mit Menschen einer anderen Art, eines anderen Volkes, einer anderen Rasse zu leben!«


    Aber sie war auch an der Wiener Staatsoper zu Gast, wo sie im Januar 1964 ihren ersten Auftritt als Amneris im »Aida« hatte; das Wiener Staatsopernarchiv hat 92 Auftritte in 16 verschiedenen Rollen festgehalten.


    Mit 42 Jahren tritt Vera Little in den Stand der Ehe und hat nun einen Bindestrich im Namen, auf Plakaten und in Programmheften steht künftig: Vera Little-Augusthitis und sie war darauf mächtig stolz.
    Der Ehemann, Stylianos-Savvas Augustithis war ein weltweit bekannter Mineraloge; aus der Quelle Ron Simonds ist zu entnehmen: »Er war ein großer, fröhlicher Kerl namens Savas, der immer in Shorts herumhüpfte«; eines Tages zeigte er sogar ein Stück vom Mond herum, das er zur Analyse bekommen hatte.
    Eine ›normale‹ Ehe konnte das nicht werden, man lebte eine Fernbeziehung, nach zwanzig Jahren ist die Ehe am Ende, es geht das Gerücht, dass die griechische Schwiegermutter dieser Verbindung reserviert gegenüberstand.


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    Enttäuschend war für Vera auch das Erlebnis mit der eigenen Mutter, als diese aus Amerika anreiste und ihre Tochter als Ulrica in Verdis »Maskenball« erlebte, da war von Seiten der Mutter keinerlei Stolz oder Begeisterung zu bemerken, über das was die Tochter geschafft hatte, das hat Vera schon arg getroffen.
    Sie sang immerhin mit Größen wie Birgit Nilsson oder Placido Domingo und nicht nur an der Wiener Staatsoper, sondern auch an der Mailänder Scala und bei den Salzburger Festspielen und auf die Bühne der Berliner Oper muss man ja auch erst mal kommen, zum Beispiel als La Cieca in »La Gioconda«, eine ihrer Glanzrollen; da hielt das Publikum den Atem an, wenn die ›blinde‹ Vera Little sich rückwärts zum ›Voce die Donna‹ bewegte.
    An der Deutschen Oper in Berlin sang sie alle wichtigen Partien ihres Fachs. und das Haus war ihre künstlerische Heimat.


    Am 30. Juni 1989 gab sie dort ihre letzte Vorstellung; als Carmen ging sie von der Bühne ab, wo es in dieser Rolle 1958 begonnen hatte, fast vierzig Jahre war sie Mitglied der Deutschen Oper Berlin.
    Vera Little wurde auch literarisch tätig, sie hat drei Gedichtbände und eine Sammlung von Erzählungen veröffentlicht; einige ihrer Büchlein sind noch antiquarisch zu bekommen, zum Beispiel das im Frieling-Verlag 1999 erschienene »Der einsame Priester und die Samstagsesser». Es handelt sich dabei um kleine Schilderungen; die Aufzeichnungen dieser fünfzehn Geschichten beginnen am 30. Juli 1978 und enden am 9. Januar 1993. Auf den linken Seiten ist der Text deutsch, und rechts in englischer Sprache zu lesen.


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    Von 1977 bis 2010 lebte Vera Little in der Witzlebenstraße 33, in Berlin-Charlottenburg, etwa tausend Meter vom Opernhaus entfernt, dann erfolgte der altersbedingte Umzug in eine Senioreneinrichtung; am 24. Oktober 2012 starb sie in ihrer Wahlheimat Berlin und wurde ordnungsbehördlich beigesetzt. Ihre letzte Ruhe fand sie in einem ›halbanonymen Urnengrab‹, etwa 15 Kilometer von ihrer langjährigen Wohnadresse entfernt, auf dem Neuen St. Michael Kirchhof im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg im Ortsteil Mariendorf. Ganz klein ist ihr Name da zu finden, aber seit dem Sommer 2024 wird Vera Little an der Fassade ihrer langjährigen Wohnadresse mit einer Berliner Gedenktafel gewürdigt.


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    Von hier aus geht man etwa 100 Meter geradeaus und wendet sich dann nach rechts


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    In diesem metallenen Buch sind die Namen der hier bestatteten eingetragen


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    Ausschnitt aus einer Buchseite



    Praktischer Hinweis:
    Neuer St. Michael-Friedhof, Gottlieb-Dunkel-Straße 29, 12099 Berlin
    Die genaue Stellenbezeichnung ist 01-MU-43-175, aber die Orientierung anhand der Fotos ist einfacher.


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    Abschlusskonzert der Liedakademie

    HEIDELBERGER FRÜHLING


    Das Kunstlied - ein schon oft totgesagtes Genre - feierte in Heidelberg ›fröhliche Urständ‹, das Liedfestival zog in 2025 immerhin 24 Prozent mehr Besucher an als im Vorjahr;
    diesmal kamen zu 28 Veranstaltungen etwa 4600 Interessierte.

    Man darf das Abschlusskonzert der Stipendiaten schon als den Höhepunkt des HEIDELBERGER FRÜHLING bezeichnen. Es wurden 28 Lieder von 18 Komponisten interpretiert,
    wobei Richard Strauss in der Häufigkeit vor Franz Schubert lag und Robert Schumann erstaunlicherweise überhaupt nicht zu Gehör kam - eine Zeitaufnahme.
    Der Vortrag eines Schubert-Liedes war für die Kursteilnehmer ein vom Veranstalter vorgegebenes ›Muss‹.


    Um an diesem Vormittag hier auf der Bühne wirken zu können, mussten einige Hürden überwunden werden, denn etwa 200 Musikerinnen und Musiker (1995 oder später geboren) hatten sich beworben. So ist es also kein Wunder, dass bei diesem Abschluss-Konzert 13 exzellente Künstler auf der Bühne standen.


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    Von links nach rechts:
    Thomas Hampson / Zhengyu Li / Bo Wang / Mariia Boichenko (dahinter Julius Backer) / Clemens Seewald /
    Verena Kronbichler / Neima Fischer / Katharina Bierweiler / Wilma Kvamme / George Needham /
    Aksel Rykkvin / Roza Herwig / Elitsa Desseva / Thorsten Schmidt / Susan Manoff



    Ein Blick ins Programm:


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    JohannesBrahms (1833-1897)
    Es rauschet das Wasser
    Verena Kronbichler Mezzosopran, Clemens Seewald Bariton, Mariia Boichenko Klavier


    Gustav Mahler (1860-1911)
    Wer hat das Liedlein erdacht
    Roza Herwig Mezzosopran / Julius Backer Klavier


    Henriëtte Bosmans (1895-1952)
    Les médisants
    Roza Herwig Mezzosopran / George Needham Klavier


    Alexander von Zemlinsky (1871-1942)
    Vöglein Schwermut
    Wilma Kvamme Mezzosopran / George Needham Klavier


    Franz Schubert (1797-1828)
    Sehnsucht D 879
    Aksel Rykkvin Bariton / George Needham Klavier


    Johannes Brahms (1833-1897)
    Kommt dir manchmal in den Sinn op. 103/7
    Verena Kronbichler Mezzosopran / Lal Karaalioğlu Klavier


    Stanisław Moniuszko (1819-1872)
    Do Nimna
    Bo Wang Bass-Bariton / Lal Karaalioğlu Klavier


    Edvard Grieg (1843-1907)
    Lys Nat op. 70/3
    Aksel Rykkvin Bariton / George Needham Klavier


    Zur Rosenzeit
    Katharina Bierweiler Mezzosopran / Mariia Boichenko Klavier


    Fazıl Say (*1970)
    Memlketim
    Neima Fischer Sopran / Lal Karaalioğlu Klavier


    Viktor Kosenko (1896-1938)
    Sumnyi ya (C
    YMHUŬ я)


    Clemens Seewald Bariton / Mariia Boichenko Klavier


    Franz Schubert (1797-1828)
    Der Wanderer an den Mond D 870
    Zhengyu Li Bass-Bariton / Mariia Boichenko Klavier


    Kurt Weill (1900-1950)
    Youkali
    Katharina Bierweiler Mezzosopran / Julius Backer Klavier


    Richard Strauss (1864-1949)
    Die Nacht
    Neima Fischer Sopran / Julius Backer Klavier


    Traum durch die Dämmerung
    Clemens Seewald Bariton / Lal Karaalioğlu Klavier


    Hat gesagt - bleibt´s nicht dabei
    Verena Kronbichler Mezzosopran / Mariia Boichenko Klavier


    - P A U S E -


    Claude Debussy (1862-1918
    Romance d´Ariel
    Neima Fischer Sopran / Lal Karaalioğlu Klavier


    Franz Schubert (1797-1828)
    Fischerweise D 881
    Zhengyu Li Bass-Bariton / George Needham Klavier


    Kurt Weill (1900-1950)
    Surabaya Johnny
    Roza Herwig Mezzosopran / Julius Backer Klavier


    Georg Kreisler (1922-2011)
    Du bist neurotisch
    Clemens Seewald Bariton / Julius Backer Klavier


    Gustav Mahler (1860-1911)
    Scheiden und meiden
    Wilma Kvamme Mezzosopran / Mariia Boichenko Klavier


    Richard Strauss (1864-1949)
    Ach weh, mir unglückhaftem Mann
    Bo Wang Bass-Bariton / George Needham Klavier


    Gustav Mahler (1860-1911)
    Ablösung im Sommer
    Katharina Bierweiler Mezzosopran / Mariia Boichenko Klavier


    Ralph Vaughan Williams (1872-1958)
    The Vagabond
    Zhengyu Li Bass-Bariton / Julius Backer Klavier


    George Butterworth (1885-1916)
    Loveliest of trees
    Clemens Seewald Bariton / George Needham Klavier


    Peter I Tschaikowsky (1840-1893)
    Sred shumnovo bala
    Roza Herwig Mezzosopran / George Needham Klavier


    Wolfgang Erich Korngold (1897-1957)
    Liebesbriefchen
    Verena Kronbichler Mezzosopran / Julius Backer Klavier


    Franz Schubert (1797-1828)
    An die Leier D 737
    Aksel Rykkvin Bariton / George Needham Klavier


    Richard Strauss (1864-1949)
    Morgen
    Wilma Kvamme Mezzosopran / Mariia Boichenko Klavier


    Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847
    Hebe deine Augen auf (a cappella)
    Roza Herwig Mezzosopran / Neima Fischer Sopran / Verena Kronbichler Mezzosopran



    Die Stimmlagen Mezzosopran und Bariton war gut vertreten, aber Basso profundo und Tenor waren nicht im Angebot.
    Oben wurde ja bereits festgestellt, dass das künstlerische Niveau hoch war, jeden Vortrag im Detail zu würdigen, würde einen Mordsaufwand bedeuten, aber es sollte berichtet werden,
    dass zwei Stücke ganz außergewöhnlich applaudiert wurden:


    Die niederländische Mezzosopranistin Roza Herwig und ihr Klavierpartner Julius Backer boten Kurt Weills »Surabaya Johnny« auf wirklich umwerfende Weise dar, das war ohne Frage Weltklasse!

    Auch der Wiener Bariton Clemens Seewald, wiederum mit Julius Backer am Flügel, konnte mit seinem »Du bist neurotisch« von Georg Kreisler, Begeisterungsstürme entfachen.


    Die beiden letztgenannten Vorträge sind eben bei einem ›normalen‹ klassischen Liederabend eher nicht im Programm zu finden, aber ein Liedprogramm von solchem Ausmaß,
    wie es zum Abschluss des HEIDELBERGER FRÜHLING geboten wurde, ist außergewöhnlich!

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    Beispiel der Zusammenarbeit - George Needham und Bariton Zhengyu Li


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    Beispiel der Zusammenarbeit - Julius Backer und Verena Kronbichler


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    Schlussgesang (a cappella) - Neima Fischer, Roza Herwig und Verena Kronbichler



    Das nächste Liedfestival in Heidelberg ist für die Zeit vom 13. bis 21. Juni 2026 geplant.


    Fotos: Susanne Lencinas / HEIDELBERGER FRÜHLING

    Liederabend Dorothea Röschmann Sopran / Magnus Svensson Klavier


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    »Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit«, Karl Valentin war ein kluger Mann und hatte das klar erkannt; 90 Minuten nach Gerrit Illenberger
    betrat Dorothea Röschmann mit Magnus Svensson die Bühne, das ist auch für den passiven Hörer eine kleine Herausforderung ...


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    »Ein großer Liederabend von Dorothea Röschmann beim Heidelberger Frühling«, so kann man diesen Liederabend-Bericht überscheiben,
    aber zunächst einmal die nüchterne Darstellung des Programms:


    Franz Schubert (1797-1828)

    Nachtstück D 672


    Robert Schumann (1810-1856)

    Gedichte der Königin Maria Stuart op. 135

    Abschied von Frankreich
    Nach der Geburt ihres Sohnes
    An die Königin Elisabeth
    Abschied von der Welt
    Gebet


    Frauenliebe und Leben op. 42

    Seit ich ihn gesehen
    Er, der Herrlichste von allen
    Ich kann´s nicht fassen, nicht glauben
    Du Ring an meinem Finger
    Helft mir ihr Schwestern
    Süßer Freund, du blickest
    An meinem Herzen, an meiner Brust
    Nun hast du mir den ersten Schmerz getan


    - Pause -


    Johannes Brahms (1833-1897)

    Alte Liebe op. 72/1
    Auf dem Kirchhofe op. 105/4
    Der Tod, das ist die kühle Nacht op. 96/1
    Unbewegte laue Luft op. 57/8
    Liebestreu op. 3/1
    Meine Liebe ist grün op. 63/5
    Wir wandelten op. 96/2
    Nachtigall op. 97/1
    Von ewiger Liebe op. 42/1


    Arnold Schönberg (1874-1951)

    Brettl-Lieder (Auswahl)

    Galathea
    Gigerlette
    Der genügsame Liebhaber
    Mahnung
    Arie aus dem ›Spiegel von Arcadien‹


    Selten steht Schuberts melancholisches »Nachtstück« am Programmanfang, aber vielleicht sollten Mayerhofers Worte zu Schumanns Schweigen als Liedkomponist hinführen und in den folgenden Zyklen ging es ja auch um den Tod.


    Die folgenden fünf - der Königin Maria Stuart zugeschriebenen - Gedichte komponierte Schumann 1852 und schenkte sie zu Weihnachten seiner Frau; sie gelten als seine letzten Liedkompositionen, wortgebunden und in einfacher Melodienführung, weit weg vom Liederjahr 1840.


    Ganz anders dann Opus 42, Frauenliebe und Leben, ein Zyklus, der immer noch eher selten im Konzertsaal zu hören ist, von ganz großem musikalischem Gehalt.
    ›Selten‹, kann für Heidelberg allerdings nicht gelten, denn Julia Kleiter sang diesen Zyklus hier an gleicher Stelle am 16. Juni 2023.
    Aber dass man »Frauenliebe und Leben« hier so schnell wieder erleben konnte, ist dem Umstand geschuldet, dass der Konzertveranstalter den Ticketinhabern am 16. Mai 2025 per E-Mail mitteilte, dass Frau Röschmann das vorgesehene Programm geändert hat.
    Die Gedichte der Königin Maria Stuart blieben dem Programm erhalten, aber ursprünglich waren Lieder von Gustav Mahler, Hugo Wolf und Alban Berg vorgesehen.


    Man konnte gut vorbereitet dasitzen, denn schon vor zehn Jahren hatte Dorothea Röschmann Schumanns Opus 42 auf CD aufgenommen.
    Ein junger Mann - in der ersten Reihe - war von ›Helft mir ihr Schwestern‹ so begeistert,
    dass er das mit kräftigem Beifall zum Ausdruck brachte.
    Dem Kenner fiel dann auf, dass zwischen dem siebten und letzten Lied eine ungewöhnlich lange Pause entstand - ... und damit sind die erwähnenswerten Vorkommnisse genannt.


    Dorothea Röschmann hatte mal wieder vorzüglich gesungen, wogegen Magnus Svensson einen etwas ›hölzernen‹ Eindruck machte, wenn man das mit der CD-Aufnahme vergleicht, wo die Sängerin von Mitsuko Uchida begleitet wurde.


    Ein Blick zurück:
    Anlässlich eines Röschmann-Konzerts in Frankfurt am Main (Beitrag #88 vom Januar 2018)
    schrieb ich:

    »Vielleicht sollte man noch erklären, was sich hinter dem Begriff »vorzüglich« verbirgt. Da war zunächst absolute Bühnenpräsens und man hätte meinen können, dass hier ein Lehrfilm für angehende Liedsänger gedreht wird, für jeden Laut hatte diese Sängerin eine spezielle Lippenstellung parat und was dabei herauskam war vom Allerfeinsten in punkto Textverständlichkeit. Bewundernswert! Mag es ganz vorne vielleicht um eine Nuance »übertrieben« gewirkt haben, dann sollte man bedenken, dass die Interpretin auch der letzten Reihe verpflichtet ist.«


    An dieser Einschätzung hat sich sieben Jahre später nicht geändert, der Pausen-Applaus war entsprechend.


    Nach der Pause dann eine kleine Enttäuschung, als das Podest mit einem Notenständer bestückt war, zumindest bei den folgenden neun doch sehr bekannten Brahms-Liedern hätte man das nicht unbedingt erwartet, aber Gerhaher - nicht minder berühmt - macht das inzwischen ja auch. Der Gesangsqualität tat das keinen Abbruch, das ist mehr eine Sache der Optik.


    Bei der Auswahl von Schönbergs »Brettel-Liedern« ging Dorothea Röschmann voll aus sich heraus und breitete ihr stimmliches Potenzial aus, das letzte bum bum bum! ...
    löste dann einen Jubelsturm der Begeisterung aus.


    Damit hatte das Duo zwei Zugaben provoziert:
    Gustav Mahler - »Rheinlegendchen«
    Franz Liszt - »Es muss ein Wunderbares sein«


    Fotos: Susanne Lencinas / HEIDELBERGER FRÜHLING

    Liederabend Gerrit Illenberger Bariton / Gerold Huber Klavier


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    Am Flügel der altbewährte Gerold Huber

    Der 1993 in Heidenheim geborene Sänger hat bereits einen ›ordentlichen‹ Beruf, nämlich ein Bachelorstudium der Ingenieurwissenschaften und ein Masterstudium der Luft- und Raumfahrt in München; dazu passend, ist er auch zweimaliger Deutscher Meister im Streckensegelflug und stellte auch mehrere Rekorde in dieser Disziplin auf.


    In Heidelberg ist er kein Neuling mehr, bereits 2023 konnte man ihn hier in der Liedakademie hören und im September 2024 nahm Illenberger auch beim Internationalen Wettbewerb für Liedkunst in Stuttgart teil; die Opernbühne ist ihm ebenfalls vertraut.
    Aber nun war in der altehrwürdigen Universitätsaula zu Heidelberg ein einstündiger Liederabend am Spätnachmittag zu gestalten.
    In Gerold Huber hatte der Sänger nun einen erfahrenen Pianisten zur Seite, der offenbar immer zur Stelle ist, wenn es um Liedbegleitung geht.


    Zunächst standen die zwölf Eichendorff- Gedichte von Schumanns Liederkreis op. 39 auf dem Programm:


    In der Fremde ›Aus der Heimat hinter den Blitzen rot‹
    Intermezzo
    Waldgespräch
    Die Stille
    Mondnacht
    Schöne Fremde
    Auf einer Burg
    In der Fremde ›Ich hör´ die Bächlein rauschen‹
    Wehmut
    Zwielicht
    Im Walde
    Frühlingsnacht


    Robert Schumann bezeichnete diese Lieder in einem Brief an seine spätere Ehefrau als sein ›aller Romantischstes‹. Die Niederschrift des Liederkreises erfolgte im Mai 1840; am 12. September 1840 fand dann die lang ersehnte und erstrittene Hochzeit statt - ›Sie ist deine, sie ist dein!‹, in »Frühlingsnacht«, dem Zyklus-Abschluss, findet das jubelnden Ausdruck.


    Gerrit Illenberger sang diese doch sehr berühmten Lieder recht ordentlich, aber da hat der geübte Hörer eben ein Dutzend ganz großer Liedsänger im Ohr und vergleicht wie dieser und jener das singt oder gesungen hat.
    »Waldgespräch«, »Im Walde« und »Frühlingsnacht«, also die lebendigeren Lieder, lagen dem Sänger besonders gut, bei Liedern mit der Tempobezeichnung ›Zart, heimlich‹ oder ›Adagio‹, zum Beispiel »Auf einer Burg«, hätte man sich etwas mehr Differenziertheit vorstellen können.


    Auf Schumann folgten Lieder von Claude Debussy:
    Trois mélodies de Verleine


    La mer est plus belle que les cathédrales
    Le son du cor s´afflige vers les bois
    L´échelonnement des haies


    Trois poémes de Mallarmé


    Soupir
    Placet futile
    Éventail


    Die Übersetzung der Texte von Paul Verleine konnten im Programmheft mitgelesen werden, so dass man wenigstens grob den Inhalt der Lieder erfassen konnte.


    Vier von Gustav Mahler vertonte Lieder - eine Auswahl aus »Des Knaben Wunderhorn«,
    bildeten den offiziellen Abschluss des einstündigen Konzerts.


    Der Schildwache Nachtlied
    Wer hat das Liedlein erdacht?
    Das irdische Leben
    Der Tamboursg´sell


    Gerrit Illenberger gelang es diese überwiegend unfrohen Gestalten glaubhaft darzustellen,
    mit der Zugabe »Du bist wie eine Blume« war man wieder zu Schumann zurückgekehrt.


    Foto: Susanne Lencinas / HEIDELBERGER FRÜHLING

    Liederabend Anja Mittermüller Mezzosopran / Richard Fu Klavier


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    In der Debütreihe »Unbewegte laue Luft« stellte sich am späten Nachmittag die noch recht junge - 2003 in Österreich geborene - Mezzosopranistin in der Alten Aula der Universität Heidelberg vor. Sie konnte mit ihrem Klavierbegleiter Richard Fu selbstbewusst hier auftreten, denn die beiden hatten im September des Vorjahres beim International Song Competition in der Wigmore Hall den Hauptpreis gewonnen.


    Anja Mittermüller gestattete einen tieferen Einblick in ihr Schaffen, im Programm waren immerhin sieben Komponisten vertreten, wobei der allgemein versierte Kenner des deutschen Kunstliedes zu Fernando Obradors der Nachhilfe bedurfte.


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    »An den Mond in einer Herbstnacht« ist ein eher weniger bekanntes Schubert-Lied und lang noch dazu, die weiteren Schubert-Lieder waren dem Ohr dann vertraut und wesentlich kürzer.


    »Unbewegte laue Luft« gab diesem Nachmittag den Titel, ein Brahms-Lied, das den Interpreten einigen Spielraum gibt und darauf die wohl allgemein bekanntere »Mainacht«, wunderschön gesungen.


    Hugo Wolf wurde mit einem Liedbeitrag berücksichtigt und bei den drei Liedern von Fernando Obradors war die sprachliche Kompetenz der Sängerin zu bewundern, dieses
    Aquel sombrero de monte
    hecho con hojas de palma.
    ¡Ay!
    ¡Ay! ¡ay que me le lleva el río!
    ¡Ay! ¡Ay! ¡ay que me le lleva el agua! ...


    kommt recht flott daher und Richard Fu hatte am Klavier auch einiges zu tun.


    Bei Rachmaninow und Tschaikowsky waren wohl die meisten Zuhörer sprachlich überfordert und mussten sich an der beigefügten deutschen Übersetzung orientieren.


    Den Abschluss bildeten fünf Lieder von Gustav Mahler, nach Texten von Friedrich Rückert. Als Anja Mittermüller nach fast einer Stunde - es war ein Konzert ohne Pause - ihren Vortrag mit Mahlers »Ich bin der Welt abhanden gekommen« beendete, hatte sie ihre Hörer überzeugt, die dankbaren Applaus spendeten.
    Mit Franz Liszt kam nun ein weiterer Komponist hinzu; als Zugabe:
    »Es muss ein Wunderbares sein«.


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    Resümee: Das Interpreten-Duo konnte voll überzeugen, dass Anja Mittermüller die jüngste Gewinnerin in der Geschichte des oben angeführten Londoner Wettbewerbs war, ist eine ganz beachtliche Leistung, man kann sich glücklich schätzen, sie in Heidelberg gehört zu haben.


    Fotos: Susanne Lencinas / HEIDELBERGER FRÜHLING

    Zweierlei Ehrungen für den Jahrhundertsänger Dietrich Fischer-Dieskau


    Exakt am 28. Mai 2025 waren im Rahmen des »Heidelberger Frühling« zwei Veranstaltungen zum 100. Geburtstag des Sängers angesagt.


    Mittwochnachmittags hatte man vier Personen dazu auserkoren etwas zu diesem Jubiläum zu sagen, ein Programm dazu gab es nicht, man durfte gespannt sein ...


    Zunächst trat Dieter Borchmeyer, Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Heidelberg ans Mikrofon,
    um das gut gefüllte Auditorium zu begrüßen, wobei er die tiefe und Jahre dauernde Verbundenheit von Fischer-Dieskau und der Universität Heidelberg zum Ausdruck brachte.
    Dietrich Fischer-Dieskau bekam im Oktober 2003 die Ehrendoktorwürde.


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    Dieter Borchmeyer


    Danach war Thomas Hampson mit einer sogenannten ›Listening Session‹ angesagt, wobei er von ihm ausgewählte Gesangsstücke einspielte, man hörte Fischer-Dieskau als Lied- Oratorien - und Opernsänger. Hampson streute in seinen Vortrag einige Episoden ein und die Ehrfurcht vor dem großen Kollegen, mit dem er in Duzfreundschaft verbunden war, kam während des Vortrags immer wieder zum Vorschein.


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    Thomas Hampson


    Dann war die Musikwissenschaftlerin Dr. Natasha Loges an der Reihe; die seit 2022 an der Musikhochschule in Freiburg lehrt. Sie rührte einen mit Bildern angereicherten Cocktail an,
    der dem ›Geburtstagskind‹ in keiner Weise gerecht wurde.
    Sie projizierte Fotos an die Wand, die eine im Zweiten Weltkrieg zerstörte Stadt und die Fließbandproduktion des VW-Käfers zeigten, das deutsche Wirtschaftswunder war das Thema.
    Auch kam zur Sprache, dass Wolfgang Fortner und Hans Werner Henze Mitglieder der NSDAP waren, da durfte natürlich ein Foto von Herbert von Karajan nicht fehlen.


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    Dr. Natasha Loges

    Ein immer berühmter werdender Bariton sang nun in dieser Zeit für die wieder entstehende gutbürgerliche Oberschicht und ließ die gute alte Zeit wieder hochleben.
    Aber er sang keine Kompositionen von Frauen, die es weltweit gibt.
    Wie man aus einem Interview mit dem Bayrischen Rundfunk (2023) weiß, ist Frau Loges am Arabischen Golf aufgewachsen und hat ein Problem mit Musikprogrammen,
    bei denen ausschließlich Musik von ›toten weißen Männern‹ gespielt wird ...
    Übrigens wurde man auch professoral aufgeklärt, dass es in naher Zukunft durch KI möglich sein wird, die Stimme von Dietrich Fischer-Dieskau so exakt nachzubilden,
    dass man keinen Unterschied mehr hört.

    Der Vortrag von Natasha Loges wurde mit reichlich Beifall bedacht, woran sich der Berichterstatter nicht beteiligen mochte, schließlich hatte er Dietrich Fischer-Dieskau jahrzehntelang
    in diversen Konzertsälen erlebt, auch in Heidelberg.


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    Julian Prégardien

    Der vorläufige Abschluss der Veranstaltung blieb Julian Prégardien vorbehalten - den ich als Sänger sehr schätze - aber wenn er meint, dass Clara Schumann als Komponistin ihrem Gatten als Komponistin ebenbürtig war, dann reibt man sich doch die Augen.


    Natürlich mochten Dieter Borchmeyer und Thomas Hampson das von Frau Loges Vorgetragene nicht so einfach stehen lassen und es entspann sich auf dem Podium eine rege Diskussion.
    Intendant Thorsten Schmidt musste schließlich darum bitten, dass man den Saal räumt und die Diskussionen im Foyer fortsetzt, weil die Alte Aula nun für einen Liederabend zur Verfügung stehen muss; Benjamin Appl, der letzte Schüler Fischer-Dieskaus war zum Liederabend angesagt.


    Der Liederabend zu Ehren von Dietrich Fischer-Dieskau

    Und dieser Liederabend hatte es in sich; das war eine wohldurchdachte Programmgestaltung, die das Leben und Wirken des großen Sängers aufleuchten ließ.
    Aber man mochte nicht in der Haut der Veranstalter stecken; ganz, ganz kurzfristig musste der für den Abend vorgesehene Pianist James Baillieu krankheitsbedingt absagen und Benjamin Appl setzte einiges in Bewegung, um Sholto Kynoch ans Heidelberger Klavier zu bekommen, der zu diesem Zeitpunkt etwa die Hälfte des recht ›bunten‹ Programms kannte.


    Das Programm war nicht - wie sonst allgemein üblich - nach Komponisten geordnet, sondern folgte den Lebensstationen Dietrich Fischer-Dieskaus.


    DIE ERSTEN BEGEGNUNGEN

    Franz Schubert (1797-1828)

    Liebesbotschaft D 957/1
    Am Bach im Frühling D 361
    Der Musensohn D 764


    KINDHEIT IN BERLIN

    Albert Fischer-Dieskau (1865-1937)

    Heidenröslein (aus dem Singspiel »Sesenheim«)


    Klaus Fischer-Dieskau (1921-1994)

    Nocturne I op. 1/1 (Ausschnitt)
    Wehmut op. 2/3


    JUGEND UND DIE ERSTEN SCHRITTE ALS SÄNGER

    Johannes Brahms (1833-1897)

    Wie bist du, meine Königin op. 32/9


    SOLDAT IM 2. WELTKRIEG (1944/45)

    Hugo Wolf (1860-1903)

    Andenken

    Aribert Reimann (1936-2024)

    Tenebrae (aus: Fünf Celan-Lieder)


    KRIEGSGEFANGENSCHAFT (1945-1947)

    Christian Sinding (1856-1941)

    Sylvelin op. 55/1


    Peter I. Tschaikowsky (1840-1893)

    Nur wer die Sehnsucht kennt op. 6/6


    Eduard Künnecke (1885-1953)

    Ich bin nur ein armer Wandergesell (aus der Operette »Der Vetter aus Dingsda«


    HEIMKEHR NACH BERLIN (1947)

    Hanns Eisler (1898-1962)

    Die Heimkehr (aus Hollywooder Liederbuch)


    Edvard Grieg (1843-1907)

    Der Traum


    BEGINN EINER BEISPIELLOSEN KARRIERE

    Johannes Brahms (1833-1897)

    Vier ernste Gesänge op. 121


    LIEDBEGLEITER UND WEGGEFÄHRTEN

    Franz Schubert (1797-1828)

    An mein Klavier D 342


    Samuel Barber (1910-1981)

    A Green Lowland of Pianos op. 45/2


    Benjamin Britten (1913-1976)

    Proverb III (aus: Songs and Proverbs of William Blake op. 74)


    SCHMERZLICHER VERLUST DER GATTIN IRMEL (1963)

    Carl Loewe (1796-1869)

    Süßes Begräbnis op. 62/4


    TOD DER MUTTER THEODORA (1966)

    Hanns Eisler (1898-1962)

    Mutters Hände


    EHELEBEN
    Ruth Leuwerik (1965-1967), Kristina Pugell (1968-1975), Julia Varady (1977-2012)

    Franz Grothe (1908-1982)

    Ausschnitt der Filmmusik zu »Der Vater braucht eine Frau«


    Franz Schubert (1797-1828)

    Liebhaber in allen Gestalten D 558


    Clara Schumann (1819-1896)

    Liebst du um Schönheit op. 12/2


    EPILOG

    Carl Maria von Weber (1786-1826)

    Meine Lieder, meine Sänger op. 15/1


    Franz Schubert (1797-1828)

    Litanei auf das Fest Allerseelen D 343
    An die Musik D 547


    Dass gut gesungen wurde, versteht sich fast am Rande, denn Benjamin Appl hat sich über diesen Abend hinaus dauerhaft einen Ruf als Liedsänger erworben; aber es wurde nicht nur gesungen, der in Heidelberg wohlbekannte Marco Albrecht trug mit Rezitationen zum Gelingen des Abend bei. Der ersprießliche Abend wurde mit ganz großem Beifall bedacht.


    Als Zugabe war noch Über allen Gipfeln ist Ruh´... zu hören.


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    FOTOS: Nico Rademacher / HEIDELBERGER FRÜHLING



    Den Pianisten und Liedbegleiter Wilhelm von Grunelius - heute hat er Geburtstag - habe ich auf der Liste in Beitrag #721 nicht gefunden, also füge ich hier mal etwas ein.
    Beim Hören der CD ROMANTIC BASS DUETS stieß ich auf den Namen; im Booklet ist auch ein Foto von allen Beteiligten zu sehen, aber das ist als Privatfoto von Harald Stamm gekennzeichnet, also kann ich es hier nicht einfach einfügen. Auch im Internet sind Fotos von Wilhelm von Grunelius zu finden.


    Den Nachruf seiner Universität und zwei CD-Aufnahmen füge ich als Beispiele seines Wirkens bei.


    Wilhelm von Grunelius *23. Mai 1942 - † 28. August 2020


    Wilhelm von Grunelius wurde 1978 als Professor für Klavier an die damalige Hochschule der Künste in Berlin berufen.
    Er studierte Klavier bei Heinrich Elter, Karl Engel und Gerhard Puchelt, Komposition bei Ernst Pepping und Hans Chemin-Petit.
    Als Pianist war er früh als Liedbegleiter bekannt und gesucht. Er hielt Meisterkurse für Liedinterpretation, initiierte und leitete ab 1974 eine Liederabendreihe in Berlin, für die er international bekannte Künstler wie José van Dam, Luigi Alva, Pilar Lorenga, Sylvia Geszty, seinen Gesangskollegen an der Hochschule der Künste Harald Stamm und viele andere gewinnen konnte.
    Seine Kompositionen für kammermusikalische Besetzungen für Klavier, Orgel und Gesang wurden zum bleibenden Bestandteil der Repertoires.
    Als Hochschullehrer bleibt er durch seine künstlerische Unbedingtheit, seine Großzügigkeit, Integrität, Gradlinigkeit und seinen freien Geist in Erinnerung.




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    Diese CD wurde im familiären Kreis geboren; Kurt Moll und Harald Stamm waren befreundet und die Idee soll eigentlich vom Pianisten ausgegangen sein, der dann unverzüglich zur Repertoire-Recherche in die einschlägigen Bibliotheken aufbrach.




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    Eigentlich werden hier keine Rezensionen zu den gezeigten CDs geschrieben, sondern eher nüchterne Daten zum Booklet und den Interpreten mitgeteilt, was eine Entscheidung beeinflussen kann, diese CD zu erwerben oder auch nicht.
    In diesem Falle sollte man aber doch etwas mehr aussagen und die eigene Begeisterung, die ja nicht jeder teilen muss, mit einbeziehen.
    Die Aufnahmen entstanden 2019 und ein Seitenblick auf die vorher eingestellte Einspielung von Erna Berger zeigt, dass beide Damen diesen Zyklus gegen Ende ihres aktiven Berufslebens auf Tonträgern festgehalten haben, also kann man auch davon ausgehen, dass mit entsprechender Lebenserfahrung gesungen wurde.
    Renée Fleming gehört ja zu den ganz Großen; ihrer Gesangskunst fand zum Beispiel Anerkennung, indem sie für 18 Grammy Anwards nominiert wurde und fünfmal gewann.


    Mit einem Fulbright-Stipendium und etwas Schulfranzösisch kam sie 1984 in Frankfurt an, eigentlich wollte sie lieber nach Frankreich oder Italien, aber es ergab sich eben so.
    Der intensive Sprachkurs in Deutschland gefiel ihr ausgezeichnet und sie war offensichtlich gut, denn der Dozent nahm sie zum Ende des Kurses beiseite und sagte,
    dass sie jederzeit Karriere mit Sprachen machen könne, wenn das Singen nicht erfolgreich wäre.
    Aber nach Studien mit Aleen Augér und Elisabeth Schwarzkopf war die Sängerin erfolgreich bis zum heutigen Tage.


    Mit der deutschen Sprache ging es schließlich auch in der täglichen Praxis immer besser, sie selbst schildert die Entwicklung so:


    »Ich verstand kein Wort - kein einziges Wort. Und die Familie Schulz machte auch keinerlei Zugeständnisse, weder sprachen sie langsamer, noch drückten sie sich schlichter aus. Sie lebten einfach ihr Leben weiter - brachten mir das Stricken bei und wie man essbare Pilze findet und echte Kerzen am Weihnachtsbaum anzündet; sie redeten über Kunst und Wissenschaft - und sprachen, als könnte ich alles mühelos verstehen. Und schließlich verstand ich auch. Nach diesem einen Jahr des völligen Eintauchen in Sprache und Kultur beherrschte ich das Deutsche annähernd fließend, und im Laufe der Zeit immer besser.«


    Nachdem sie von der Opernabteilung der Hochschule abgelehnt worden war, arbeitete sie ein ganzes Studienjahr mit Hartmut Höll ausschließlich am deutschen Lied.
    Im Jahr 2001 kam es schließlich zum ersten gemeinsamen Auftritt; über ihren ehemaligen Lehrer sagt sie:


    »Ich habe Hartmut in einer Reihe von Konzerten in der Carnegie Hall mit Fischer-Dieskau gehört, und man wusste nicht, ob man dem Sänger oder dem Pianisten zuhören sollte.
    Hartmut war ein ebenbürtiger Partner und erfüllte sein Spiel mit soviel Farbe, Ausdruck und Vielfalt, dass es unglaublich reichhaltig wurde.«


    Es ist insgesamt eine sehr gute CD, wenn man alle Aufnahmen, die Schumanns Opus 42 flankieren, betrachtet - ganz herrlich Mahlers ›Ich bin der Welt abhanden gekommen‹,
    man muss es einfach erwähnen!


    Wohltuend sind die relativ langen Pausen zwischen den einzelnen Lied-Blöcken.
    Es wurde beim Opus 42 auch als Besonderheit empfunden, dass das vor Glück überschäumende, noch nicht einmal eine Minute dauernde siebte Lied,
    nahtlos in das Schlusslied übergeht. Wie der hocherfahrene Liedbegleiter Hartmut Höll und Renée Fleming hier zusammenarbeiten ist atemberaubend.


    Aber um nicht nur eine persönliche Betrachtungsweise hier alleine stehen zu lassen, sei eine Meinung von NDR Kultur zitiert:


    »Mit Hartmut Höll hat sich Renée Fleming einen sehr versierten Liedbegleiter ausgesucht. Was der langjährige Klavierpartner von Dietrich Fischer-Dieskau am Klavier zaubert, ist schlichtweg atemberaubend. Mühelos gelingt ihm die nicht immer einfache Balance zwischen feinfühligem Begleiten und selbstständiger Interpretation. Welche Farben und Schattierungen er aus dem Klavierpart herausholt, welche Geschichten er unter dem Gesangspart noch zusätzlich erzählt, das kann zu Tränen rühren – zum Beispiel der Schluss des Liederzyklus ›Frauenliebe und Leben‹, der dem Klavier vorbehalten ist.«


    Noch eine auf Fakten basierende Anmerkung zum Booklet. Es hat 28 Seiten auf denen alle Liedtexte und Allgemeines zu dieser CD in Französisch, Deutsch und Englisch abgedruckt sind. Man sollte zum Studium des Heftchens gute Augen mitbringen, denn die Texte Schrifttype entspricht etwa 6 oder 7 Punkt.

    The blind spot I »Goethe und die Frauen«

    Julian Prégardien und Kristian Bezuidenhout gestalten einen Liederabend im Rahmen der Schwetzinger SWR Festspiele.


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    ›The blind spot‹ - was soll man damit anfangen? Der Strich dahinter sagt, dass dem ersten Abend noch ein zweiter folgt.


    Klar ist, dass es um Goethes Frauen geht, genauer gesagt - am ersten Abend - um die Frauen in Goethes jüngeren Jahren, es handelt sich um die Zeit zwischen 1770 und 1775, als sich Goethe dem Jurastudium widmete.
    Da war die Pfarrerstochter Friederike Brion, Charlotte Buff (eigentlich bereits vergeben) und die Bankierstochter Lili Schönemann.


    Letztes Jahr war Julian Prégardien in einer Hamburger Ausstellung von einem Bild mit dem Titel ›The blind spot‹, das die Künstlerin Margit Jäschke als Collage gefertigt hatte, so begeistert, dass er es erwarb. Die Collage zeigt eine Salonszene im frühen 19. Jahrhundert; man kann drei Frauenfiguren erkennen, wobei der obere Teil der Figuren durch Stoffflicken verdeckt ist, was die Nicht-Wahrnehmung von Frauen im 18. und 19. Jahrhundert versinnbildlicht; man ahnt zwar was dahinter ist, aber ganz genau sieht man es nicht.


    Prégardiens Intension war es nun, den Flicken, der den Blick auf die Frauen verdeckt, wegzunehmen und zu zeigen was dahinter steckt. Das Programm, beziehungsweise die beiden Programme, nehmen darauf Bezug, dass Frauen Goethe zu einigen großen Werken inspirierten.


    Der Sänger wollte also an diesem Abend nicht nur singen, sondern mit seiner Sprechstimme auch moderieren und aus Goethe-Briefen, die er an die oben genannten Damen schrieb, vorlesen. Aber zur Eröffnung des Abends wurde gesungen, es erklang »Das Veilchen«, wohl zu Ehren des Komponisten, der im Sommer 1763 am kurpfälzischen Hof konzertierte.


    Unter der Überschrift FRIEDERIKE erklangen Ludwig van Beethovens ›Mailied‹ op. 52 Nr 4 und ›Mit einem gemalten Band‹, wobei zwischen beiden Liedern ein an Friederike gerichteter Brief verlesen wurde und nach dem zweiten Beethoven-Lied noch einer.
    Von Franz Schubert waren - passend zum Thema Friederike - die Lieder ›Willkommen und Abschied‹ sowie ›Heidenröslein‹ ausgewählt.


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    Nun war CHARLOTTE an der Reihe; dieser Teil wurde mit Schuberts ›Ganymed‹ eröffnet.
    Im Weiteren folgten Beethovens ›Wonne der Wehmut‹ op. 83 Nr. 1, ›Prometheus‹ von Schubert und ›Neue Liebe, neues Leben‹ WoO 127. Man war nun mit den Briefen in den Jahren 1772 / 1774 angekommen, Charlotte Buff war due Adressatin.
    Der interessierte Konzertbesucher war durch das Programmheft informiert, dass da noch was von Johann Friedrich Reichardt und Mendelssohn Bartholdy kommt.


    Aber urplötzlich kamen da ganz seltsame Töne aus dem Hammerklavier ...
    ja das ist doch Jules Massenet ... - eifriges Blättern im Programm, Monsieur Massenet war nicht zu finden.
    Und dann schleuderte Julian Prégardien ›Pourquoi me réveiller‹ in den Saal, dass man fast das Atmen vergaß; anschließend adäquater Applaus.
    Eine Anfrage bei der Festspielleitung ergab, dass es Herr Prégardien nicht im Programm gedruckt sehen wollte. Über die Gründe kann spekuliert werden:
    Entweder wollte er sich die Entscheidung das zu singen - je nach aktueller stimmlicher Verfassung - bis zum Konzertabend vorbehalten oder er wollte das Publikum überraschen; letzteres ist ihm mit Sicherheit gelungen.


    Zur dritten Liebschaft - LILI - wurden zwei Stücke von Johann Friedrich Reichardt zu Gehör gebracht: ›Vom Berge‹ und ›Höret alle mich, ihr Götter‹, die Arie des Valerio aus dem Singspiel »Erwin und Elmire«.
    Dazwischen von Felix Mendelssohn Bartholdy: ›Gruß‹ op. 19 Nr. 5 und ›Neue Liebe‹ op. 19 Nr. 4.


    Nicht auf der Bühne präsent, aber im Hintergrund als Ko-Kuratorin arbeitend, ist Cornelia Weidner zu nennen, diese Liederabende fanden in Kooperation mit der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie Stuttgart statt.


    Julian Prégardien hatte diesen Konzertabend als Sänger und Moderator fest im Griff und veranlasste sein Publikum zu Begeisterungsstürmen, ein schöner Lohn für harte Arbeit,
    die er sich aber nicht anmerken ließ.
    Natürlich sang er, wie inzwischen schon gewohnt, selbstbewusst seine Verzierungen, aber ein Sänger dieser Qualität darf das, schließlich ist das Interpretation.
    ›Gnadenlos‹ forderte das Publikum Zugaben, deren drei kamen schließlich zur Aufführung:
    ›Im Frühling‹ (D 882)
    ›Der Musensohn‹ (D 764)
    Als es immer noch keine Ruhe gab, hielt die Operette hier Einzug, natürlich zum Thema passend, etwas aus Franz Léhars »Friederike«.


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    Nach erfolgreicher Arbeit vor begeistertem Publikum



    Der Abend kann auf SWR Kultur am Samstag, 24. Mai, 12:30 - 14:00 Uhr im Mittagskonzert nachgehört werden.
    Der Zweite Abend - Konzert vom 17. Mai - wird am Samstag, 31. Mai, 12:30 - 14:00 Uhr gesendet.

    Liederabend von Georg Zeppenfeld
    und Gerold Huber in der Frankfurter Oper


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    PROGRAMM


    Franz Schubert 1797-1828


    Der Wanderer D 489


    Liebesbotschaft D 957/1
    Kriegers Ahnung D 957/2
    Ständchen D 957/ 4
    Das Fischermädchen D 957/10
    Ihr Bild D 957/9
    Abschied D 957/7
    Aufenthalt D 957/5
    Die Stadt D 957/11
    Der Doppelgänger D 957/13


    Promotheus D 674


    - Pause -


    Johannes Brahms 1833-1897

    ›Fünf Lieder für eine tiefe Stimme‹


    Mit vierzig Jahren
    Steig auf, geliebter Schatten
    Mein Herz ist schwer
    Sapphische Ode
    Kein Haus, keine Heimat


    O wüsst´ ich doch den Weg zurück op. 63/8
    Auf dem Kirchhofe op. 105/4


    ›Vier ernste Gesänge‹ op. 121
    Denn es geht dem Menschen wie dem Vieh
    Ich wandte mich und sah an
    O Tod, wie bitter bist du
    Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete


    Zugaben:


    Carl Loewe 1796-1869


    Der selt´ne Beter op. 141
    Totentanz op. 44


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    Das Programm dieses Frankfurter Liederabends am 13. Mai 2025, war identisch mit dem was die beiden Künstler am Reformationstag 2024 in der Dresdner Semperoper geboten hatten, man kann das im Beitrag #181 nachlesen. Aber es war keineswegs langweilig, weil man das alles bereits kannte; wiederum wurde man in allergrößtes Erstaunen versetzt, wenn man zusah und hörte wie der Sänger mit seiner lyrischen Bass-Stimme Worte zu Tönen formte, das war einfach bewundernswert!


    Judith von Sternburg hat ihren Beitrag in der Frankfurter Rundschau, wo sie von diesem Liederabend berichtet, mit dem Zitat ›Manche schöne Perle in seiner Tiefe ruht‹ überschrieben.
    Das Duo Zeppenfeld / Huber förderte an diesem Abend so manche schöne Perle zutage; selbst als der Sänger beim ›Ade, Du muntre, Du fröhlichen Stadt‹ mal kurz den Faden verlor,
    war bewundernswert, in welch eleganter Weise er das kaum merklich ausbügelte.


    Wenn man etwas kritisieren wollte, dann diese furchterregenden ernsten Gesänge im Wonnemonat Mai, wo alles aufblüht, die passten weit besser zum Reformationstag.
    Dabei ist allerdings zu bedenken, dass der Sänger ein weltweit gefragter Opernsänger ist, der ständig in diesem Metier präsent sein muss - als Hunding, Daland, König Marke, Gurnemanz, Landgraf Hermann, Heinrich der Vogler, Veit Pogner ...
    und nicht primär als Konzertsänger unterwegs ist.


    Aber bei Zeppenfeld bemerkt man in keiner Weise, dass er kein typischer Konzertsänger ist; was er mit seiner lyrischen Bass-Stimme interpretiert ist einfach ganz wunderbar,
    so dass man sich schwertut etwas besonders hervorzuheben, das lässt sich bei so einem gekonnten Gesamtvortrag nur subjektiv machen.
    Die Auswahl aus dem »Schwanengesang« gehört natürlich immer zu den bekannten Schubert-Liedern und »Prometheus« beeindruckt stets in seiner Gewaltigkeit,
    zumindest wenn einer wie Zeppenfeld das singt, da hat sich der Sänger seine Pause redlich verdient.


    Nach der Pause folgten zunächst fünf Lieder, die von Johannes Brahms für eine tiefe Stimme geschrieben wurden - »Mit vierzig Jahren«, mit diesem schönen Rückert-Text,
    wurde der zweite Teil des Konzertabends eröffnet und Sänger, Pianist und Publikum waren wieder hochkonzentriert bei der Sache.
    Wenn man dann auf dem ›Kirchhofe‹ zu tun hat und daran erinnert wird, dass es dem Menschen wie dem Vieh ergeht, ist das ein echter Stimmungskiller, was nur durch eine hochkünstlerische Gestaltung ausgeglichen werden kann, und das war bei diesem Frankfurter Liederabend gegeben.


    Großer Applaus am Ende, der sich zum Jubel mit Bravorufen steigerte, was die Interpreten bewog noch zwei Zugaben zu gewähren.


    Carl Loewes »Der alte Dessauer« war dann nochmals ein ganz besonderer Höhepunkt - Stimme, Körpersprache und sparsame Gestik, war hier zu bestaunen.
    Danach sagte Zeppenfeld an: »Eine Patrone haben wir noch im Lauf« - es folgte »Der Totentanz«.
    Trotz der vielen trüben Gedanken im zweiten Teil, hatte man den Eindruck, dass das Publikum beglückt nach Hause ging, weil es einen künstlerisch hervorragenden Abend erlebt hatte.


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    Ein erfolgreicher Abend im Opernhaus Frankfurt ist zu Ende


    Fotos: Barbara Aumüller

               

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    Erna Berger
    Während die letzte hier eingestellte CD der Serie »Frauenliebe und Leben« erst kürzlich erschien, ist die nun folgende Aufnahme im September 1956 in Berlin -Zehlendorf entstanden, da liegen also fast sieben Jahrzehnte dazwischen, das ist hörbar, weil die nachgewachsene Generation ganz anders singt und sich die Aufnahmetechnik enorm weiterentwickelt hat.
    Erna Berger war eine berühmte Sängerin ihrer Zeit und trat 1954 als Zerlina in Mozarts »Don Giovanni« von der Opernbühne ab. Man bescheinigte ihr Seele und Süße, also Qualitäten von Ausdruck und Timbre für mädchenhafte Partien wie Susanna, Zerlina, Ännchen oder auch Norina und Gilda. Dramatische Partien wie Konstanze oder Butterfly waren ihre Sache nicht; nach ihrem Abgang von der Opernbühne gab sie noch Konzerte. Und ein Novum - mit achtzig Jahren sang sie bei einer Fernsehsendung noch Franz Schuberts »Im Abendrot«,
    wie Kenner bemerken: ›noch immer mit bemerkenswert jugendlicher Stimme.‹


    Jürgen Kesting schreibt in seinem dicken Buch unter anderem:


    »Berger hat eine Reihe sehr schöner Liedaufnahmen, teilweise mit *Michael Raucheisen, hinterlassen. Sicher war ihr Timbre zu hell für das ›Zwielicht‹ aus Schumanns Opus 39, aber sie singt diesen Zyklus wie auch ›Frauenliebe und -leben‹ mit einer derartigen Musikalität und schlichten Innigkeit, dazu mit so zauberhaft glockiger Tongebung, daß man die Grenzen der Stimme alsbald vergißt.«


    *Bei Frauenliebe und Leben wird Erna Berger von dem Pianisten Ernst-Günther Scherzer am Klavier begleitet. Das Booklet umfasst 23 Seiten, wobei keine Liedtexte abgedruckt sind.
    Der Text - in Deutsch und Englisch - bietet einen Einblick in die Biografie von Erna Berger und Hermann Prey, sowie das Schaffen von Hugo Wolf und Robert Schumann. Es wird auch darauf hingewiesen, dass es sich bei diesen Aufnahmen um die ›späte‹ Erna Berger und den ›frühen‹ Hermann Prey handelt.

    Nachklapp zum Liederabend vom 5. Mai 2025:


    Also die Wiedergabe dieses Konzerts kam heute gut aus dem Radio, wobei die Sendung noch durch eine zusätzliche Einblendung von »Nacht und Träume« aus dem Archiv des SWR erweitert wurde, die Julian Prégardien vor zehn Jahren - zusammen mit dem Vater auf der Bühne stehend - bei den Schwetzinger Festspielen sang.
    Allerdings wurden die drei Zugaben des Abends nicht mitgesendet.


    Schwetzinger SWR Festspiele 2025 Mittagskonzert vom 10.5.2025


    Ein expressiver Liederabend

    Liederabend Julian Prégardien - Tenor / Anna Gebhardt - Klavier


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    Das Ambiente zum Liederabend


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    In den letzten Jahren war zu beobachten, dass diverse Versuche unternommen wurden, den Liederabend zu modifizieren, was zum Teil recht fragwürdige Ergebnisse lieferte, aber mitunter auch recht ordentliche Veranstaltungen zuwege brachte.
    Etwa gleichzeitig war auch zu bemerken, dass nicht mehr alle Sänger dem ›Schönsingen‹ oberste Priorität einräumten; anlässlich eines Liederabends von Florian Boesch im Mai 2014 schrieb ich:

    »Es könnte ein Paradigmenwechsel sein - könnte, das heißt noch lange nicht, dass es einer ist oder wird, das ist schließlich ein großes Wort.«


    Inzwischen sind auch Georg Nigl und andere hinzugekommen und - eben gerade gehört - Julian Prégardien, der das wieder auf andere Art macht und Verzierungen hinzu interpretiert, was Vater Christoph schon viele Jahre zuvor, allerdings in weit sparsamerer Form, praktizierte.


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    Es war ein fast lupenreiner Schubert-Abend, den Julian Prégardien seinem Publikum präsentierte, er betrat das Podium im legeren Straßenanzug und offenen Hemd und jede ›kammersängerliche‹ Attitüde fehlte, die in den Bericht eingefügten Fotos vermitteln davon einen Eindruck.
    Die Gedanken gingen zum Pfingstmontag 2010 zurück, wo damals - fast am gleichen Ort -Vater Christoph Prégardien der Öffentlichkeit seinen Sohn als Lied-Sänger präsentierte.


    »Im Abendrot« war das erste Lied im Programm, das recht gut zur optischen Stimmung passte und der angeleuchtete Rokoko-Stuck und kluge Gestaltung der Zuschauerblöcke trugen wesentlich dazu bei dem Ganzen einen Hauch von Intimität zu geben, man fühlte sich wie bei einer Schubertiade zur Zeit des Komponisten, der Mozartsaal mit der üblichen Bestuhlung kann diese Atmosphäre nicht bieten.
    Als zweites Lied stand »Auf dem Wasser zu singen« auf dem Wunschzettel des Publikums,
    die Typografie des Programmzettels zeigt an, wann dann jeweils Beifallskundgebungen statthaft waren, dazwischen moderierte Julian Prégadien eloquent, wobei er nicht nur über Musikalisches sprach, sondern auch im Wortlaut die Wunschgründe der Einreicher verlas und anwesenden Geburtstagskindern gratulierte, die dann an ihrem Ehrentag mit Publikumsbeifall bedacht wurden. Bei diesen Zwischenplaudereien vertrat der Sänger auch die Ansicht, dass zum Beispiel das Lied »Du bist die Ruh« sowohl bei Hochzeiten als auch Beerdigungen gesungen werden kann.


    Anknüpfend an alte Zeiten, wo es im Rundfunk und Fernsehen Sendungen mit dem Titel:
    ›Sie wünschen - wir spielen‹ gab, war es bei den diesjährigen SWR-Festspielen möglich, den Ticketkauf mit einem Wunschlied von Franz Schubert zu verbinden, man konnte seinen Musikwunsch sogar begründen. Die Wünsche mussten bis zum 27. April beim Sender eingereicht werden. Es war angekündigt, dass Julian Prégardien an diesem Abend nicht nur singt, sondern auch moderiert. Aus den meistgenannten Liedern sollte eine Auswahl getroffen werden, die Prégardien mit eigenen Favoriten ergänzen wollte; man konnte also gespannt sein ...


    Mit »Auflösung« und »Der Wanderer« wurde das Programm nun fortgesetzt, danach folgten zwei Lieder aus »Winterreise«, was der Anlass ist, etwas über den schludrigen Progammzettel zu sagen - es heißt eben nicht »Lindenbaum«, sondern »Der Lindenbaum« und es heißt auch nicht »Musensohn« sondern »Der Musensohn«; Haarspalterei? Aus meiner Sicht nicht ...


    Es besteht hier nicht der Ehrgeiz jeden einzelnen Liedvortrag zu analysieren und zu bewerten, hier ist ›do it yourself‹ am Radio angesagt, denn dieser besondere Liederabend wurde aufgezeichnet und kann in aller Ruhe nachgehört und individuell bewertet werden.
    Was dem Hörer fehlt, ist die Atmosphäre des Live-Erlebnisses, der Schreiber ist selbst sehr gespannt, wie die Übertragung herauskommt.


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    Zu den hier eingefügten Fotos soll aber versucht werden, an sich Unbeschreibliches zu beschreiben. Wenn man diesen Abend mit Liederabenden vor dreißig oder noch mehr Jahren vergleicht, stellt man fest, dass Welten dazwischen liegen.
    Man sollte Julian Prégardien als ›Gesamtkunstwerk‹ betrachten; seine Darbietungen wirken ›locker vom Hocker‹ mit sehr viel darstellerischer Qualität und Intensität und bewegen sich dabei auf ganz hohem sängerischen Niveau, so dass sein Liedgesang mitunter ganz neue Empfindungen beim Zuhörer weckt. Scheinbar mühelos breitet Julian Prégardien sein ›Material‹ aus, vom kaum noch wahrnehmbaren Pianissimo bis zur höchsten Strahlkraft der Stimme. Alle Personen, die sich da äußern - ob Winterreisender oder Müllerbursche - wirken bei ihm extrem glaubhaft.


    Als herausragendes Stück wirkte das »Abendlied«, ›Der Mond ist aufgegangen‹, ein bekannter Text von Matthias Claudius, der in der einfachen Vertonung von Johann Abraham Peter Schulz weithin bekannt ist, was man von Schuberts Abendliedern - unter dieser Überschrift gibt es fünf von ihm vertonte Lieder (D.276 / D.382 / D. 499 / D475 / D.578) - nicht sagen kann. An diesem Abend brachte Prégardien die im Konzertsaal sehr selten zu hörenden Vertonung D.499 zu Gehör.
    Und da war sie wieder, die Stärke des Sängers, auch Unbekanntes so zu gestalten, dass man an seinen Lippen hing.


    Anna Gebhardt saß huldvoll ins Publikum lächelnd auf ihrer Klavierbank, wenn Zwischenapplaus aufbrandete, wohlwissend, wer der ›Star‹ des Abends war, aber der aufmerksame Hörer nahm die beiden schon als Duo wahr und die Pianistin kam auch preisgekrönt nach Schwetzingen.
    »An die Musik« bildete den offiziellen Konzertschluss, einen Ton nach unten transponiert, damit das Publikum mit summen kann ...


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    Bei Darbietung der Zugaben gingen dann Frau Gebhardt die Noten aus, sie hatte während des Konzerts das Umblättern selbst gemanagt, nun musste sie sich das Tablet des Gesangspartners ausleihen und ein Herr aus dem Publikum stellte sich freundlicherweise als ›Umblätterer‹ zur Verfügung.


    Das Duo gewährte noch drei Zugaben, wobei »Sehnsucht nach Italien« von Fanny Hensel etwas aus dem Rahmen fiel, aber dennoch passte, weil es ein Hinweis auf eine ebenfalls von Julian Prégardien gesungene und moderierte Veranstaltung am 16. und 17. Mai war; hier geht es dann um ›Goethe und die Frauen‹, beziehungsweise ›Die Frauen um Goethe‹.


    Die Schwetzinger Festspiele stehen 2025 unter dem Motto »Verführung«, man gewann den allgemeinen Eindruck, dass das Publikum des Abends diese Verführung genoss,
    in eine bessre Welt entrückt worden zu sein.


    Das Konzert kann am Samstag, 10. Mai 2025 in SWR Kultur von 12:30 - 14:00 Uhr
    gehört werden.



    Das Programm:


    Franz Schubert 1797-1828


    Im Abendrot D.799
    Auf dem Wasser zu singen D.774


    Auflösung D.807
    Der Wanderer D.489


    Erstarrung D.911
    Der Lindenbaum D.911/5


    Ungeduld D.795/7
    Die liebe Farbe D.795/16
    Die böse Farbe D.795/17


    Im Frühling D.882
    Der Musensohn D.764


    Ständchen D. 957
    Die Taubenpost D.957


    Du bist die Ruh D776


    Abendlied D.499
    Nacht und Träume D.827


    An die Musik D.547


    Zugaben:


    Die Forelle D.550


    Sehnsucht nach Italien Fanny Hensel


    Willkommen und Abschied D.767



    Die Konzert-Fotos wurden freundlicherweise von den SWR-Festspielen zur Verfügung gestellt.

    Die heute korrekte Schreibweise "Frauenliebe und -leben"

    ? Also die Leute um Kate Lindsey - siehe Beitrag #228 - kamen wohl zu der Erkenntnis, dass die Originalausgabe korrekt ist.

    Nun habe ich das mal ›ergoogelt‹ und die Künstliche Intelligenz hat so geantwortet:


    Die richtige Schreibweise für den Gedichtzyklus und den Liederkreis ist "Frauenliebe und Leben". Es gibt zwar auch andere Schreibweisen wie "Frauen-Liebe und Leben" oder "Frauenliebe und -leben", aber "Frauenliebe und Leben" ist die am häufigsten verwendete und korrekte Form

    Lieber kalli,

    da kommt ja mal wieder die ›Geschmacksfrage‹ ins Spiel ...
    Ohne das jetzt nochmal nachzuhören kann ich aber sagen, dass mir unter meinen nun fast 80 Aufnahmen Jessye Norman sehr positiv aufgefallen ist.
    Aus meiner Sicht ist jedoch für Interessenten von Schumanns Opus 42 eine Aufnahme mit Brigitte Fassbaender unverzichtbar!


    Das dürfte wohl die neueste veröffentlichte Aufnahme von Frauenliebe und Leben sein.


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    Diese CD ist im Digipack-Format gefertigt und enthält neben dem Zyklus ›Frauenliebe und -Leben‹ auch noch drei andere Schumann-Lieder sowie Lieder von Gabriel Fauré.
    Kate Lindsey - an renommierten Häusern und Festspielen tätig - sagt, dass ihre Gedanken um den unendlichen Kreislauf von Anfang und Ende sie dazu bewogen diese CD aufzunehmen:


    »Ich wollte, dass diese beiden großen Zyklen aus weiblicher Perspektive in diesem Programm nebeneinander stehen. In beiden geht es um Unschuld, Entdeckung, Freude, Trauer und schließlich um ein tieferes Verständnis des Lebens, das nur durch Erfahrung gewonnen werden kann.«


    Diese CD erschien erstmals am 28. März 2025. Das Booklet umfasst 47 Seiten und alle Texte - auch die der gesungenen Lieder - sind in drei Sprachen (E / F / D) abgedruckt.


    Kate Lindsey berichtet in zum Teil sehr persönlicher Darstellung über die Entstehung dieser CD - Textauszug:


    »Anfang Dezember 2023, in den immer kürzer werdenden Wintertagen, in denen der Boden mit einer dünnen Schneeschicht bedeck war, betraten Éric Le Sage und ich den Konzertsaal Grand Manége in Namur, Belgien, um diese CD aufzunehmen.«


    Persönliche Anmerkung:
    Es ist immer wieder bemerkenswert, was sich mit der Stimme alles herausarbeiten und darstellen lässt, eben noch der Überschwang des Glücks im siebten Lied und dann diese Zäsur ...
    Allein wie das Wort ›leer‹ im letzten Lied gesungen wird, zeigt, welche Möglichkeiten diverse Interpretationen bieten.


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    Diese CD entstand im Mai 2015 in der Wigmore Hall, London. Das Booklet umfasst 41 Seiten und bietet den Text in drei Sprachen an: D / F / E.
    Es sind alle Liedtexte abgedruckt.
    Die Scheibe ist so konzipiert, dass zunächst Robert Schumanns Liederkreis, op. 39 zu hören ist, dann die ›Sieben frühe Lieder‹ von Alban Berg
    - danach kommt der Zyklus ›Frauenliebe und -Leben‹, op. 42.


    Im Booklet-Text wird darauf hingewiesen, dass es Gemeinsamkeiten zwischen Alban Berg und Schumann gab, nämlich das literarische Interesse;
    das ist nicht zu bestreiten, aber ein etwas eigenartiges Argument ...


    Da der Booklet-Text auf die ausführenden Künstlerinnen keinen Bezug nimmt, sei hier ein kleiner Hinweis zu den Interpretinnen eingefügt:


    Bei den Salzburger Festspielen1995 wurde die in Flensburg geborene Dorothea Röschmann international bekannt,
    seit 2017 ist sie Kammersängerin an der Deutschen Staatsoper Berlin.
    Pauschalierend kann man sagen, dass sie ihre Kunst praktisch an allen bedeutenden Häusern der Welt erfolgreich darbietet.

    Die Klavierbegleiterin Mitsuko Uchida, in Tokio geboren und in London lebend, ist ebenfalls hochdekoriert; unter anderem Trägerin der Goldenen Mozart-Medaille des Mozarteums Salzburg und des Praemium Imperiale der Japan Art Association. Im Jahr 2009 wurde sie zur Dame Commander of the Order of the BritishEmpire ernannt.


    Bei der 59. Grammy-Verleihung 2017 in Los Angeles, erhielt diese CD in der Kategorie »Klassisches Sologesangsalbum« das Goldene Grammophon.


    Eine persönliche Anmerkung:
    Der lerchenhafte Gesang Röschmanns ist beeindruckend und was die beiden Damen in dem Lied »Auf einer Burg« und im Schlusslied des Opus 42 bieten ist einfach atemberaubend.

    Zum heutigen Todestag von Hermin Esser


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    Hermin Esser - * 1. April 1928 Rheydt - † 17. April 2009 Wiesbaden


    Als Hermin Esser in Rheydt geboren wurde, war das noch eine eigenständige Stadt, die aber seit 1974 zu Mönchengladbach gehört.
    Der etwas seltene Vorname soll, wie man in der Familie erzählt, eine Fehlleistung des Standesbeamten gewesen sein und man verweist auf das spaßige Geburtsdatum des 1. April; ursprünglich sollte der Knabe nämlich Erwin heißen.


    In WESTDEUTSCHE ZEITUNG vom 16. Mai 1964 findet man einen Beitrag, der mit der Headline »Vier Brüder - vier Tenöre« überschrieben ist und im weiteren Text erfährt man:


    »Klein und unscheinbar liegt das Haus der Eheleute Adolf und Gertrud Esser an der Steinfelder Straße 21 in Geistenbeck. Vier Sängerbrüder nennen es ihre Heimat. Zwei wirken als Solisten an bekannten Bühnen, zwei sind Tenöre in Rheydter Chören, und Vater Esser singt seit Jahrzehnten in der Sanssouci Rheydt.«; dieser Quartettverein, ein Meisterchor des Sängerbundes NRW, war zu dieser Zeit einer der besten Männerchöre Deutschlands.


    In der Familie wurde Radiomusik gehört und alles nachgesungen was da aus dem Lautsprecher kam, wobei sich natürlich Tenorstimmen besonderer Beliebtheit erfreuten, aber Vater Esser hatte auch schon ein Gesangsverbot angedacht, weil es ihm, trotz eigener Sangeslust, zu viel wurde.


    Adolf Esser glaubte, dass er und seine vier Söhne ihre guten Stimmen der Mutter beziehungsweise der Großmutter verdanken, denn die beiden sollen von früh bis spät Volks- und Kirchenlieder gesungen haben.


    Hermin Esser hatte eine künstlerische Doppelbegabung und hätte auch Kunstmaler werden können; Kopien von namhaften Künstlern wie Dürer, Cézanne, Thoma, Renoir, Modersohn-Becker und Picasso ... waren für ihn kein Problem.
    Entsprechend diesem Talent verdiente er seinen Lebensunterhalt zunächst als Graveur,
    was seiner zeichnerischen Begabung entsprach und seine Brüder waren auch in diesem Metier tätig.
    Er machte sich aber gleichzeitig als Tenor einen guten Namen in seiner heimatlichen Umgebung, dem traditionell sangesfreudigen Rheinland.
    Allmählich reifte die Idee einer anderen beruflichen Orientierung, Hermin Esser hatte den Entschluss gefasst Architekt zu werden, wobei jedoch vorher eine Maurerlehre zu absolvieren war, weshalb er als Umschüler bei einer Baufirma anfing und hier Karriere als Geselle und Polier machte. Also wurde künftig auch am Bau aus purem Vergnügen gesungen, größere Auftritte gab es bei Richtfesten.
    Durch gelegentlich kleine Solopartien beim Chor und bei Festen wurde man auf seine Stimme aufmerksam und riet ihm bei einem Gesangspädagogen vorzusingen.
    Obwohl er schon als Kind mehrmals in der Oper gewesen war, verschwendete er keinen Gedanken daran mal selbst auf der Bühne zu stehen, weil er Hemmungen hatte und sich das nicht zutraute.
    Als er aber beruflich in Düsseldorf zu tun hatte, konfrontierte ihn eine befreundete Dame mit einem Zeitungsausschnitt:
    ›Morgen Aufnahmeprüfung des Schumannkonservatoriums in Düsseldorf‹ - Da fährst Du hin!
    Er fügte sich widerstrebend.


    Man hatte den 16-Jährigen in den letzten Kriegsmonaten 1944/45 noch zur Heimatverteidigung eingezogen, 1946 wurde er aus englischer Kriegsgefangenschaft entlassen.
    Deutschland lag in Trümmern, was Essers Chef fragen ließ: »Wat willste hier jetzt Kunst machen? Die Zukunft liegt im Bau«.
    Aber schließlich stellte sich heraus, dass Hermin Essers Zukunft am Robert-Schumann-Konservatorium Düsseldorf lag, wo Franziska Martienßen-Lohmann - eine Gesangspädagogin von legendärem Ruf - von 1949 bis 1969 eine Meisterklasse für Gesang leitete; von Weimar kommend, hatte sie mit 62 Jahren in Düsseldorf nochmals einen Neustart gemacht.


    In der Rückschau meinte Esser, dass die Martienßen-Lohmann etwas der Welt entrückt war:
    »ein bisschen von ´ner anderen Welt, mit viel Theorie, die nicht immer hinhaute in der Praxis. Etwa wenn sie uns beibrachte: ›Der Sänger bestimmt das Tempo!‹ Aber versuch das mal bei ´nem Karajan«.
    Esser sah ganz klar, dass er damals noch ein grober Klotz war, der aus Spaß und Freude drauf los sang, aber ihm seine Gesangslehrerin Kultur beibrachte, etwa wenn sie mit ihm Lieder von Hugo Wolf sang, mit ganz genauer Detailarbeit an Text und Artikulation.
    »Damals habe ich gelernt, dass gute Sänger wissen, was sie singen«, meinte der große Tenor im Rückblick auf seine sängerischen Anfänge des professionellen Singens.
    Aber man darf sich vorstellen, dass sich die große Dame des Gesangs auch aus ›mütterlichen‹ Gefühlen des jungen Mannes in besonderem Maße annahm, zumindest lässt sich das aus Essers Äußerungen so herauslesen. Aber da war auch eine Menge Selbstbewusstsein, denn Esser stellt nüchtern fest: »In kurzer Zeit war ich da´n Star.«


    Trotzdem hatte weder die Wiener Staatsoper noch die Mailänder Scala angerufen, zum ersten Engagement ging es ans neu erbaute Krefelder Stadttheater. Bei seinem ersten Auftritt kann er studieren, wie der Radames seine Rolle bewältigt, Esser selbst war als Bote tätig. Da für ihn zunächst keine tragenden Rollen vorgesehen waren, trieb er seine Selbststudien und verbrachte die Tage damit bei Proben aller Art zuzusehen und die neue Welt des Theaters in sich aufzunehmen. Dies zahlte sich bald aus, nämlich als Hendrikus Rootering den Fenton in »Die lustigen Weiber von Windsor« absagen musste.
    Esser bot sich an den Part zu übernehmen, weil er den gesamten szenischen Ablauf aus dem ff kannte und hatte den Erfolg, dass er zukünftig mit Rootering alternierte, nicht nur als Fenton, sondern auch als Belmonte und Narraboth.
    Hermin Essers Monatsgage betrug damals 380 D-Mark. Als der nächste Arbeitsvertrag unterschrieben werden sollte, war der Jung-Tenor zu der Ansicht gelangt, dass das fortan 100 D-Mark mehr sein sollten, was Intendant Erich Schumacher nicht akzeptieren mochte.


    Hermin Esser konnte dem Intendanten Schumacher dankbar sein, denn es war ihm möglich nach Gelsenkirchen zu wechseln, wo er dann mit einem Monatssalär von 700 D-Mark weit besser gestellt war.
    Aber der Aufstieg ging gleich weiter - bei einem Vorsingen an der Kölner Oper hörte auch der später so berühmt gewordene Joachim Herz mit, der unverzüglich und einigermaßen aufgeregt nach der Ostberliner Komischen Oper berichtete: »Hier ist ein Tenor, so was habt ihr noch nicht in der Sammlung!«
    Prompt folgte eine Einladung nach Berlin, wo Walter Felsenstein über acht strapaziöse Tage hinweg mit Esser immer nur die erste Szene aus der »Zauberflöte« probte. Ab 1957 ist dann Felsenstein sein Chef.
    Von wegen ›Heldentenor‹ - an der Komischen Oper Berlin singt er neben Tamino auch Belmonte, den Alfred in »La Traviata«, den Rudolf in »La Bohéme« und - ganz besonders spektakulär - den Kalaf in »Turandot«, wo das Haus tobte, wenn er ›Keiner schlafe‹ gesungen hatte. Natürlich wurde da noch in deutscher Sprache gesungen, auch im Schallplattenquerschnitt unter dem Dirigenten Horst Stein.


    Essers Verhältnis zu Felsenstein war insofern zwiespältig, dass der Tenor zwar klar erkannte, dass er in dieser Zeit sehr viel gelernt hatte, aber der Chef sich in der Regel sehr dominant produzierte und keinerlei Widerspruch duldete. Esser selbst berichtete aus dieser Zeit, dass Felsenstein auf andere Theater regelrecht eifersüchtig war und seine guten Leute natürlich unbedingt im Haus halten wollte.
    Als sich für Esser die Chance eröffnete an der Berliner Staatsoper den Manrico im »Troubadour« zu singen, wusste Felsenstein dies zu verhindern; ebenso verstand der Berliner Chef ein geplantes Vorsingen in Bayreuth abzubiegen. Als dann schließlich 1961 noch der Mauerbau hinzukam, sah Hermin Esser für sich bessere Möglichkeiten im Westen.


    Bei einem hochoffiziellen Vorsingen mit Orchester und unter Anwesenheit aller Tenöre der Wiesbadner Oper, kam es dort zum Engagement und fortan war das Staatstheater zu seiner Stammbühne geworden. An diesem Haus war von 1961-1974 Heinz Wallberg Generalmusikdirektor.


    Mit Heinz Wallberg erarbeitete Hermin Esser dann in Wiesbaden seine großen Wagner-Partien und im Großen Sängerlexikon kann man nachlesen wie es mit dem Wagner-Gesang bei Hermin Esser weiterging:


    »1966 wirkte er erstmalig bei den Festspielen von Bayreuth mit, und zwar als Froh im »Rheingold«. In den folgenden Jahren sang er dort eine Anzahl von Wagner-Partien, so 1967 den Walther von der Vogelweide im »Tannhäuser« und den Lohengrin, 1967-70 den David und 1975 den Walther von Stolzing in den »Meistersingern«, 1970-71 und nochmals 1979 den Erik im »Fliegenden Holländer«, 1972-74 und 1977 den Tannhäuser. 1966-69 den Froh, 1971-72 und 1975 den Siegmund, 1970-75 den Loge im Ring-Zyklus, 1975 und nochmals 1981 den Tristan (wobei er mit großem Erfolg für den erkrankten René Kollo einsprang) 1972 gastierte er in Turin, 1973 sang er an der Oper von Monte Carlo den Tristan, 1973-74 wurde er an der Oper von Rom als Parsifal gefeiert, 1973 bei der Sadler's Wells Opera London als Tristan, 1973-77 an der Staatsoper von Wien (u.a. als Tristan und als Parsifal), 1972 an der Grand Opéra Paris (als Tristan).«


    1966 wurde Esser von einem Telefonanruf überrascht; in Bayreuth brauchte man dringend einen Froh, weil dort ein Tenor kurzfristig abgesagt hatte und da am nächsten Morgen eine Orchesterprobe mit Karl Böhm angesetzt und die Sache eilig war, lehnte Esser zunächst ab, weil er zu dieser Rolle überhaupt keine Beziehung hatte.
    Kümmerte sich dann aber um die Noten und sah, dass dieser Froh ja nur ein paar Sätze zu singen hat und er sagte sich »Verdammt, die haste doch bis morgen«, er lernt die Partie vom Tonband.
    Sogleich sagte er in Bayreuth zu, musste allerdings für Wiesbaden einen Ersatz-Ottavio besorgen.
    Für anderthalb Jahrzehnte ist Esser nun ständiger Gast der Bayreuther Festspiele und singt dort insgesamt vierzehn Rollen. 1967 musste Sándor Kónya in Bayreuth ersetzt werden, da hörte man als Lohengrin dann James King, Jess Thomas und Hermin Esser, wobei letzterer ursprünglich nur als einer der vier brabantischen Edlen besetzt war. Hermin Esser kommentierte das einmal so:
    »Wenn wat wackelte, hieß es immer: Wo is der Hermin?« Aber er bemerkte auch:
    »Beim Publikum hat man als Einspringer nicht immer den besten Ruf. Die meinen dann leicht, sie hätten ›nur‹ einen Ersatz bekommen.«


    Also kein Wunder, dass die Presse vom Heldentenor sprach, aber Esser sah die Sache etwas kritisch und meinte:
    »Diese Einteilerei von heute in die Fächer, die geht mir auf den Geist. Denken Sie zum Beispiel an Lilli Lehmann, die sang Zerline und Donna Anna wechselweise. Daneben Norma, die Philine in ›Mignon‹, die Isolde und die Brünnhilde. Heute denkt man in viel zu engen Grenzen.«


    Hermin Esser wollte das nicht; die Tenorpartien von Wagner, Verdi, Puccini, Mozart, Tschaikowsky, Bizet und vielen anderen waren für ihn gleichwertig.
    So sang er in Wiesbaden den Ferrando in »Cosi fan tutte« und drei Tage später den Othello. Eine andere Probe seines Könnens zeigte er in Hannover, wo der Intendant Hans-Peter Lehmann sehr erstaunt war, dass Esser kurz nach einem Einsatz als Tristan - eine mörderisch schwere Rolle des Tenorfachs - die Contenance aufbringt für einen Rudolf, der an der Seite von Helen Donaths Mimi alle Register italienischer Gesangskultur zu ziehen vermag.


    Ab 1963 hatte Hermin Esser seinen Lebensmittelpunkt in Naurod, am Rande des Taunus, einem Ort, der seit 1977 zur Landeshauptstadt Wiesbaden gehört.
    Die Nähe des Frankfurter Flughafens war für den weltweit agierenden Sänger von Vorteil, denn er gastierte nicht nur in großen mitteleuropäischen Häusern, sondern auch in Moskau und 1972 an der Lyric Opera of Chicago, wo er neben Birgit Nilsson in sechs Vorstellungen der »Walküre« den Siegmund sang.


    Ein langjähriges Hüftleiden, dem sich später noch ein Herzleiden hinzugesellte, zwangen Hermin Esser zum frühzeitigen Abbruch seiner Laufbahn.
    Die letzten Produktionen waren 1988 in Berlin an drei Opernhäusern:
    ›Mahagonny‹ / Theater des Westens - ›Totenhaus‹ / Deutsche Oper - ›König Lear‹ / Komische Oper.
    An der Staatsoper Hamburg war Esser dann noch in ›Ritter Blaubart‹ zu hören.
    Als sich Hermin Esser 1989 an der Semper-Oper endgültig von der Opernbühne verabschiedete, sang er den Herodes in »Salome«, aber er hatte seinen Abschied vorher nicht öffentlich bekannt gemacht.

    Anlässlich seines 70. Geburtstages erfuhr Hermin Esser im Foyer des Theaters eine Ehrung durch den Wiesbadener Richard-Wagner-Verband.
    Am 19. April 1988 gab er hier ein Konzert mit Liedern und Opernausschnitten, bei dem seine Töchter, die Sopranistin Konstanze und die Geigerin Eva mitwirkten.


    Bis ins siebte Lebensjahrzehnt war die Tenorstimme intakt und Esser konnte sich rückblickend nicht erinnern auch nur einmal abgesagt zu haben, auch das ist eine ganz beachtliche Leistung von Seltenheitswert. Er führte das auf seine fast lebenslang robuste Natur zurück, die ihm leider in seinen allerletzten Jahren abhandenkam.


    In Künstlerkreisen nannte man Hermin Esser ›Den rettenden Engel von Bayreuth‹ und man kann Wolfgang Wagner zitieren, der kundtat:


    »dem Hermin müsste man am Festspielhügel ein Denkmal setzen, er hat so viele Vorstellungen durch sein uneigennütziges Einspringen gerettet.«


    Ein Kuriosum war sein Einspringen bei einer »Meistersinger«-Aufführung, wo er, noch im David-Kostüm, nachdem der Stolzing nicht mehr weitersingen konnte, das Preislied und den Schluss der Festwiese sang. Das raunende und nichtsahnende Publikum dachte es wäre ein neuer Regieeinfall von Wolfgang Wagner.


    Zur Trauerfeier kamen Beileidsbekundungen aus Bayreuth, Eva Wagner ist die Patentante der jüngsten Tochter Eva Esser. Unter den Trauergästen war auch Essers langjähriger Sängerkollege Franz Crass.


    Praktischer Hinweis:
    Man geht am Friedhof Naurod durch das kleine Holztor links neben der Trauerhalle vorbei bis einige kleine Stufen kommen und geht auf einen Baum zu, der mitten im Weg steht; dort wendet man sich nach links zum Feld der Erdwahlgräber: Das Grab von Hermin Esser befindet sich in der dritten Reihe von oben ziemlich nahe am Weg.


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    Das Foto zeigt die Trauerhalle im Hintergrund


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    Winterreise - Ein Liederabend in der Staatsoper Berlin

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    Ein besonderer Liederabend war das in vielerlei Hinsicht allemal, zumindest aus der Sicht eines Besuchers, der im Verlaufe seines langen Lebens schon sehr viele Liederabende erlebt hat, ein paar Dutzend ›Winterreisen‹ inbegriffen, allerdings noch keine von einer Frau gesungenen Interpretation.


    Man denkt sich natürlich schon etwas dabei, wenn man sechshundert Kilometer zu so einer Veranstaltung fährt, uninformiert sollt man so etwas eher nicht tun; also hat man vorher schon positive und negative Kritiken gelesen und den Entschluss gefasst sich ein eigenes Bild zu machen. Es ist ein inszenierter Liederabend; solche Sachen mag ich eigentlich eher nicht, aber wenn eine Sängerin wie Joyce DiDonato so etwas in Szene setzt, dann sieht das natürlich etwas anders aus, denn man weiß, dass man hier eine ganz außergewöhnliche Stimme hören kann und der russische Pianist / Dirigent Maxim Emelyanychev hat sich in der Musikwelt auch schon einige Meriten erworben. Mit diesem Liederabend wurden am 11.April 2025 die Festtage an der Staatsoper Unter den Linden eröffnet.


    Schuberts »Winterreise« war ja über viele Jahrzehnte hinweg allgemein eine Domäne der Männerstimmen; aber bereits in der Wintersaison 1909/10 hatte die Altistin Behr-Schnabel in Berlin die »Winterreise« vorgetragen, wobei sie von ihrem Mann, Artur Schnabel, begleitet wurde.
    In dieser Zeit sang auch Elena Gerhardt das Werk im Konzertsaal und nahm sogar acht Lieder aus der »Winterreise« auf Schallplatten auf. In jüngerer Zeit folgten Christa Ludwig und Brigitte Fassbaender - und danach schlossen sich noch einige Damen an ...


    Und welchen künstlerischen Ansatz wählte nun Joyce DiDonato?
    Sie sagt, dass sie sich immer wieder die Frage stellte: »Aber was ist mit ihr?« Immerhin hatte sie von Liebe gesprochen. Da sie in Müllers Gedichten keine Antwort fand, hat sich die Sängerin eben eine Geschichte ausgedacht:


    »Was wäre, wenn er ihr seine letzten Tagebücher vor seinem Aufbruch geschickt hätte?
    Ein gequältes und schmerzliches Szenario, mit dem man konfrontiert wird: Was wäre, wenn seine letzten Worte sie als eine Art von Selbstmordankündigung erreicht hätten? Was, wenn er wollte, dass sie ihn verstünde? Seinen Schmerz verspüre? Seine Qual und Verzweiflung erfahre? Sie zwingen würde, neben ihm zu wandern? Und was, wenn sie seine Briefe lesen würde? Wort für Wort. Immer wieder.
    Was geschieht mit dieser Reise im Winter, wenn wir sie durch das Empfinden derjenigen erleben, die solche Qual und Verzweiflung ausgelöst hat? Die überlebt hat. Die zurückbleibt. Wie sieht das gleiche Geschehen in der unterschiedlichen Perspektive zweier Einzelpersonen aus? Sie sind eine enge Verbindung eingegangen, die sich nicht so leicht trennen oder übergehen lässt.
    Ein wahres Meisterwerk könnte man auch daran erkennen, dass es offen für eine neue Sichtweise ist.
    Was also ist mit ihr, die von Liebe sprach? Dies könnte auch ihre Reise sein ...«


    Nun saß man also gespannt da - die Staatsoper war voll besetzt - und war schon durch die besondere Atmosphäre eingestimmt, weil nicht der sonst übliche, schwarzglänzende Flügel von Steinway & Sons auf der Bühne stand, sondern ein historisches Erard-Klavier.


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    Joyce DiDonato kam im Stile einer Diva herein gerauscht, nahm an dem kleinen Tischchen Platz und griff, etwas in Gedanken versunken, nach dem Büchlein ...
    Nun folgte Interpretation vom Allerfeinsten; die Stimme der Sängerin ist von solcher Farbenvielfalt, dass damit auch kleinste Nuancen herausgearbeitet werden können, die der Hörer aber nur auskosten kann, wenn er die weit oben an der Wand eingeblendeten Texte völlig ignoriert.
    In Sachen ›inszenierter Liederabend‹ hat man ja schon wahre künstlerische Katastrophen erlebt, zum Beispiel die 2023 von Florian Boesch dargebotene »schöne Müllerin«.
    Von solchem Firlefanz konnte in der Staatsoper keine Rede sein, da galt es wirklich der Kunst und man ist ganz subjektiv geneigt von einem ›Gesamtkunstwerk‹ zu sprechen, das an diesem Abend dargeboten wurde; einfach beeindruckend, wie das alles zusammen passte: der altehrwürdige ›Erard‹, die gekonnte und stimmige Lichtführung und zwei Interpreten von Rang.
    Joyce DiDonato sagt ganz allgemein: »Für mich ist Musik keine leere Hülle, kein bloßer Klang. Es geht immer um die Botschaft dahinter.« Und das merkt man an einem solchen Abend deutlich. Da war beim Vortrag keine große Theatralik - bei ›Es zieht ein Mondenschatten‹ ein dezenter Blick nach oben, desgleichen bei der Krähe, die mit der Wanderin aus der Stadt gezogen war. Die meisten Lieder wurden am Flügel stehend gesungen und Maxim Emelyanychev blätterte selbst um, eine Szenerie mit viel Anmut.
    Joyce DiDonato bediente sich nie billiger Effekte, wird nie aufdringlich, melodramatisch oder rührselig; was sie mit voller und halber Stimme in diesen 24 Liedern auszudrücken vermag ist einfach bewundernswert, nebenbei bemerkt, nicht in ihrer Muttersprache.
    Als DiDonato mit »Der Leiermann« endet, wird die Bühne in ein fahles warm grau violettes Licht getaucht - wie Keno-David Schüler vom ›Tagesspiegel‹ »eisig blaues Licht« sehen konnte, wird mir ewig ein Rätsel bleiben ...
    Und zu schreiben, dass die Sängerin »zuweilen hörbar mit der deutschen Sprache ringt«, ist einfach ungehörig und maßlos übertrieben.


    Nach etwa zehn Sekunden brach dann großer Jubel los, den sich die Protagonisten redlich verdient hatten. Nach diversen Verbeugungen für die standing Ovations bedankte sich DiDonato mit einer kleinen Ansprache in Englisch, wobei sie Zusammenhalt und Gemeinschaft erwähnte, die sie heute Abend erlebt habe, und dass gerade Kunst Mut mache.


    Ein Novum folgte - ansonsten nicht üblich - es gab noch eine Zugabe: »Morgen« von Richard Strauss.
    Nachdem auch die Zugabe entsprechend bejubelt war, nahm Maxim Emelyanychev energisch die Noten vom Klavier und machte unmissverständlich klar, dass jetzt Schluss ist.


    Joyce DiDonato hatte die »Winterreise« 2019 in der New Yorker Carnegie Hall gesungen, wobei sie von Yannick Nézet-Séguin begleitet wurde. Von dieser Aufführung gibt es eine CD. Das nun bei den Berliner Festtagen Gebotene dürfte der Aufnahme von 2019 überlegen sein. Es war eigentlich ein unbeschreiblich schöner Abend, dennoch wurde versucht ein paar subjektive Eindrücke zu schildern.

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    Diese CD ist im Digipack-Format gefertigt und enthält neben dem Zyklus ›Frauenliebe und -Leben‹ auch noch Schumanns Opus 135, sowie die Strauss-Lieder ›Die Nacht‹ und ›Zueignung‹.


    Die Aufnahme entstand 2016; über die Sängerin findet man auf der Plattenhülle folgenden Text:


    »Ljiljana Winkler absolvierte ein Gesangsstudium in der Klasse von Prof. Yaron Windmüller an der Hochschule für Musik Saarbrücken. Darüber hinaus studierte sie Liedgestaltung bei Prof. Irwin Gage und entwickelte ihre sängerische Persönlichkeit bei berühmten Gesangspädagogen wie Ilena Cotrubas, Rudolf Piernay und Barbara Bonney weiter.


    Bereits während ihres Studiums gewann Ljiljana Winkler zahlreiche erste Preise in Gesangswettbewerben. Die Jury der Märkischen Kulturkonferenz e. V. begründete die Vergabe des Märkischen Stipendiums für Musik wie folgt:
    › Ljiljana Winkler hat eine außerordentliche stimmliche und musikalische Begabung.
    Neben ihrem darstellerischen Talent überzeugt sie vor allem mit der Fähigkeit, Musik und Wort zu einer untrennbaren Einheit verschmelzen zu lassen‹.


    Ihre künstlerische Laufbahn begann sie am Saarländischen Staatstheater. Es folgten Engagements u. a. am Theatre National de Luxembourg, an der Oper im Rathaus Konstanz, beim Wiener Operettensommer, an der Kammeroper Neuburg und an der Opera Factory in Freiburg.
    Ihre Konzerttätigkeit im Bereich Kunstlied wie auch mit kammermusikalischen Ensembles runden die künstlerische Tätigkeit ab. Ihre künstlerische Spannweite ist breit, sie reicht von Alter Musik bis zu zeitgenössischen Werken. Ljiljana Winkler ist als Dozentin für Gesang an der Universität Augsburg tätig.«

    Eine Erklärung zu Schumanns Opus 42, oder den gedruckten Text zum gesungenen Zyklus findet man in der Umverpackung dieser CD nicht.


    Carl Czerny - * 21. Februar 1791 in Wien - † 15. Juli 1857 in Wien


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    Carl wurde geradezu ins Musikleben hineingeboren, sein Vater, Wenzel Czerny, war als Musiker und Pianist aus Böhmen nach Wien gekommen und es dauerte nicht lange, dann war dieser vielseitige Mann in Wiener Musikerkreisen sehr bekannt: als Pianist, Organist Oboist und Sänger, aber er erteilte auch Musikunterricht, reparierte Musikinstrumente und kopierte Noten. Mit diesen Tätigkeiten verdiente er seinen Lebensunterhalt.
    Der Knabe soll schon im Alter von drei Jahren am Klavier gesessen haben, wo ihm die Grundlagen des Klavierspiels vom Vater auf einem Cembalo beigebracht wurden.
    Der Sechsjährige konnte dann schon Musikstücke nach dem Gehör nachspielen.
    Unter den vielen Musikern, die im Elternhaus - wo tschechisch gesprochen wurde - verkehrten, war auch der Geiger Wenzel Krumpholz, der den Jungen etwas wie Vortrag und Ästhetik lehrte und ihm auch eine Vorstellung vom in dieser Zeit noch jungen Beethoven vermittelte.
    Als Carl zehn Jahre alt war, hielt es Krumpholz für angebracht, den hochbegabten Knaben Beethoven vorzustellen. Nachdem Carl Czerny einige Beethoven-Werke gespielt hatte, meinte Beethoven:
    »Der Knabe hat Talent, ich selber will ihn unterrichten und nehme ihn als meinen Schüler an.«
    Krumpholz hatte Carl auch mit Moritz von Lichnowsky, dem jüngeren Bruder des Fürsten Karl von Lichnowsky, Freund und Mäzen Beethovens, bekannt gemacht, woraus sich ergab, dass der Junge dem Erstgenannten morgens fast täglich einige Stunden auswendig Beethovens Werke vorspielte, wofür er dann monatlich mit einem finanziellen ›Geschenk‹ entlohnt wurde.

    Der Vater hatte eine grundsolide Basis geschaffen, denn Wenzel Czerny legte großen Wert auf technisches Können und Disziplin. Beethovens Unterricht beschränkte sich nicht nur auf das Klavierspiel, er gab auch Anleitungen zur Komposition. Carl Czerny sah seine Entwicklung rückblickend so:


    »Ohne die Anleitung meines Vaters und der künstlerischen Inspiration, die ich von Beethoven und anderen erhielt, wäre mein Weg ein anderer gewesen. Es ist zum größten Teil Beethovens Schuld, dass ich Musiker geworden bin; wie könnte ich meine unendliche Dankbarkeit ausdrücken?«


    Die technische Grundlage war bei dem Jungen sicher schon sehr ausgeprägt als er zu Beethoven kam, aber der Meister sagte seinem Schüler, zumindest ist das so überliefert:


    »Technik ist wichtig, aber das Herz muss mitspielen. Spiel nicht wie eine Maschine.
    Ich möchte, dass du jeden Ton fühlst und verstehst, warum er genau so und nicht anders gespielt werden muss.«


    1800 hatte Czerny in den berühmten Augartenkonzerten als Pianist mit Mozarts c-Moll-Konzert debütiert und 1804 wurde am gleichen Ort mit der Ouvertüre in c-Moll erstmals eine Komposition von ihm aufgeführt.


    Schließlich ging das Lehrer-Schüler-Verhältnis nach etwa zehn Jahren in Freundschaft über. Das waren keine Klavierstunden im üblichen Sinne, sondern ein ganz enges und intensives Lehrer-Schüler Verhältnis. Beethoven nahm Czerny oft zu seinen Konzertveranstaltungen mit und ließ ihn auch an seiner Kompositionsarbeit teilhaben.
    Carl Czerny berichtet auch darüber, dass er einmal unter Aufsicht vom Meister Beethoven das 1. Klavierkonzert in C-Dur op.15 aufführen durfte.
    In der Literatur wird von einem gemeinsamen Meister-Schüler Projekt von 1803 berichtet, nämlich der Aufführung von Beethovens drittem Klavierkonzert in c-Moll, Op. 37, bei der Czerny als Pianist auftrat und Beethoven das Orchester dirigierte.
    Eine weitere musikalische Zusammenarbeit fand bei der ›Missa Solemnis‹ in D-Dur, Op. 123 statt, wo Beethoven Czerny mit der Aufgabe betraute einige Orchesterpassagen zu transkribieren und für künftige Aufführungen vorzubereiten.
    Der 17-jährige Czerny konnte Beethovens Klavierwerke auswendig spielen, eine Leistung die allgemeine Bewunderung fand. Beethoven hatte seinem Musterschüler ein Zeugnis ausgestellt, das beinhaltet, dass Czerny auf dem Pianoforte solche sein 14-jähriges Alter übersteigende, außerordentliche Fortschritte gemacht habe, dass er sowohl in diesem Anbetrachte als auch in Rücksicht seines zu bewunder[n]den Gedächtnisses aller möglichen Unterstützung würdig geachtet werde.
    Diese Empfehlung war eigentlich dazu gedacht dem jungen Mann auf einer geplanten ›Wunderkind‹-Reise durch Europa Türen zu öffnen, aber wegen der Koalitionskriege mit Frankreich kam diese Reise dann nicht zustande.


    Im weiteren Verlauf seines Lebens trat er relativ wenig als Klaviervirtuose in Konzertsälen in Erscheinung, er soll unter starkem Lampenfieber gelitten haben. Als Klavierpädagoge hatte sich Czerny einen sehr guten Ruf erworben; er war einer der ersten Komponisten die die Bezeichnung Etüde als Titel wählten, und diese Czerny-Etüden sind heute noch weltweit im Einsatz und spielen in der pianistischen Ausbildung immer noch eine große Rolle.
    In Wien war Carl Czerny ein Klavierpädagoge der beim höchsten Adel und den ersten Familien unterrichtete; sogar Beethoven vertraute ihm seinen Neffen Karl als Schüler an.
    Carl Czerny war also in die Fußstapfen seines Vaters als ›Klavierlehrer‹ getreten.


    1816 hatten Carl Czernys Eltern die damals achtjährige(?) Anna Caroline de Belleville bei sich aufgenommen, die dann für drei Jahre Czernys Schülerin war; man muss das Geburtsdatum mit einem Fragezeichen versehen, weil Eltern von ›Wunderkindern‹ oft des Geburtsdatum manipulieren, damit das Wunder ein bisschen länger dauert.
    Carl Czerny übermittelt das Ereignis so:


    »Im Jahr 1916 nahmen meine Eltern die kleine, damals zehnjährige Ninette Belleville in Kost und Wohnung und ich zur musikalischen Ausbildung. Es war eines der seltensten musikalischen Talente, und da sie sich nach dem Willen ihres Vaters der Musik widmen sollte, so hatte ich nun eine Schülerin, welche auch durch zahlreiches öffentliches Produzieren meinen schon ohnehin bedeutenden Lehrerruf vermehrte.«


    Sein berühmtester Schüler dürfte wohl Franz Liszt gewesen sein, der als Elfjähriger am 1. Dezember 1822 mit dem Einverständnis seines stolzen Lehrers zum ersten Mal in Wien auf einer öffentlichen Bühne spielte.
    Als Liszt dann schon im folgenden Jahr in die Postkutsche stieg und Richtung Paris rollte, war Czerny davon nicht gerade begeistert und fragte brieflich bei Liszts Vater an ob der Junge auch fleißig mit dem Metronom üben würde und schob die Mahnung nach, man möge sich durch übertriebenes Lob nicht irre machen lassen.


    Es würde in diesem Rahmen zu weit führen, wollte man auf alle Czerny-Schüler eingehen, die später bedeutend wurden, aber Theodor Leschetizky sollte noch genannt werden, der 1841 mit einem Klavierkonzert von Carl Czeny in Lemberg debütierte und später selbst ein bedeutender Lehrer wurde.


    Nach mehr als drei Jahrzehnten stellte Carl Czerny 1836 das Unterrichten ein und lebte als freischaffender Komponist. Carl Czerny war ja nicht besonders reisefreudig und kam den Einladungen von Liszt und Moscheles nach Paris oder England nicht nach. Sprachschwierigkeiten hätte er nicht gehabt, denn er beherrschte Französisch, Englisch, Italienisch und Tschechisch.
    1836 besuchte er Leipzig, 1837 war er dann doch noch in London und Paris. Schließlich ist 1846 auch eine Reise nach Mailand und der Lombardei bekannt; man darf vermuten, dass Czerny in den genannten Städten seine Verleger besuchte.
    Sein Freundeskreis war überschaubar und er mied auch große Gesellschaften. Aber er besaß eine große Bibliothek und galt allgemein als gebildeter Mensch. In dieser Bibliothek spielten die Werke von Walter Scott eine besondere Rolle, denn Czerny vertonte vier dieser Werke; diese ›Romantischen Fantasien‹ sind Klavierduette von epischer Breite, wo Czerny populäre schottische Melodien einfließen lässt.


    Schließlich war er auch als Komponist tätig und bienenfleißig. Abends und nachts komponierte er nicht nur Klavieretüden und Klavierschulen für seine Schüler, sondern auch Klaviersonaten, Kammermusik, Sinfonien, Violinsonaten, Kirchenmusik, Streichquartette und Opernparaphrasen, wobei sich Letztere in Wien damals großer Beliebtheit erfreuten.
    Insgesamt soll Carl Czerny mehr als 2000 Werke komponiert haben und Eduard Hanslick merkte damals schon an, dass man Czernys kompositorische Vielseitigkeit nicht unterschätzen sollte.


    Bedeutend war auch seine 1838 erschienene Klavierschule Opus 500 mit dem allesumfassenden Titel: »Vollständige theoretisch-practische Pianoforte-Schule, von dem ersten Anfange bis zur höchsten Ausbildung fortschreitend«.
    Und da war noch mehr ›Vollständiges‹, Carl Czerny übersetzte Anton Reichas »Vollständiges Lehrbuch der musikalischen Composition« vom Französischen ins Deutsche und machte Anmerkungen dazu. Um den Titel wirklich vollständig zu zitieren muss man noch hinzufügen:
    »Ausführliche und erschöpfende Abhandlung über die Harmonie (den Generalbass) die Melodie, die Form und Ausarbeitung der verschiedenen Arten von Tonstücken, den Gebrauch der Gesangsstimmen, die gesammte Instrumentirung, den höheren Tonsatz im doppelten Contrapunct, die Fuge und den Canon, und über den strengen Satz im Kirchenstyl.«
    Carl Czerny war auch einer der maßgeblichen Herausgeber Bachscher Klavierwerke im 19. Jahrhundert.


    Der aus eher ärmlichen Verhältnissen kommende Carl Czerny war ein vermögender Mann geworden, lebte aber sehr bescheiden. Die hauswirtschaftlichen Dinge regelte seit vielen Jahren ein Ehepaar. Neben seiner musikalischen Arbeit konnte Czerny keine Partnerin finden, um eine Familie zu gründen.
    Er war Frühaufsteher; im Sommer begann für ihn der Tag um 5 Uhr, im Winter um 7 Uhr.
    Der frugale Mittagstisch wurde von Wasser begleitet, ein Souper soll nie stattgefunden haben.


    Aber der 66-Jährige machte sich Gedanken um seinen Nachruhm; zehn Tage vor seinem Tod schrieb er an einen Verleger, der mal wieder Etüden von ihm erbeten hatte:


    »Auch schrieb ich Ihnen, wie schwer es ist, in dieser beschränkten Form immer etwas neues und hübsches zu finden, und wie höchst zuwider mir das Fabrizieren von solchen Kindereyen ist, da dergleichen für meinen Künstlerberuf nur nachtheilig sein kann. Durch ernste Compositionen, denen ich jetzt seit Jahren meine Zeit widme (Quartette, Sinfonien, Kirchenwerke etc.) hoffe ich, wenn mir Gott noch so langes Leben schenkt, diesen Fehler wieder zu verbessern, den ich immer nur aus Gefälligkeit gegen die Herren Veleger beging ...«


    Die ursprüngliche Beisetzung fand am 18. Juli auf dem Matzleinsdorfer Friedhof statt.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich auf dem Wiener Zentralfriedhof; links vom Haupteingang, an der Friedhofsmauer aufgereiht, befinden sich etwa hundert Ehrengräber. Das Grab von Carl Czerny hat die Nummer 49.


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    CZERNY-CD.jpg

    Seit dem 1. Dezember 2018 hat sich in diesem Thread nichts mehr Positives getan, aber in der Zwischenzeit sind die meisten CD-Bilder verschwunden. In den nächsten Wochen werde ich versuchen diesen Thread visuell zu restaurieren, denn das scheint mir sinnvoll zu sein, wenn jemand etwas Bestimmtes sucht.


    Es war recht interessant die mehr als zweihundert Beiträge nochmal quer zu lesen, da stehen Sachen wie:
    »ich bin niemand, der Schumann je verherrlicht hätte ...«

    Elina_CD_bearbeitet.jpg


    Dieser Tage habe ich nun die schon 2020 entstandene Aufnahme mit Elīna Garanča gehört, und da hat sich eine neue Situation ergeben, denn nun weiß ich nicht,
    wen ich mehr verherrlichen soll - Robert Schumann, Elīna Garanča oder Malcolm Martineau?


    Das sagt aus, dass ich die vorliegende Aufnahme von ›Frauenliebe und Leben‹ für eine rundum gelungene Sache halte.
    Corona machte es möglich, die weltweit begehrte Sängerin hat diese Zeit sinnvoll genutzt und als 44-Jährige diese Lieder-CD besungen;
    nach dem Schumann-Zyklus folgen noch 13 Lieder von Johannes Brahms.


    Matthias Siehler schrieb bei »RONDO«:
    »Hier hat sich keine Operndiva verirrt, hier ist eine Meisterin zu Hause.«


    Irgendwie hatte es sich zufällig ergeben, dass dies nun meine 75. Aufnahme dieses Zyklus ist, und wenn sich dann helle Begeisterung einstellt, ist das schon eine Aussage!


    Da wird jubiliert und getrauert, Elīna Garančas Stimme besitzt einen solchen Farbenreichtum, dass sie alles was darzustellen ist auch auszudrücken vermag.
    Für die Sängerin ist Deutsch ja eine Fremdsprache, aber außer einem etwas zu stark betonten ›r‹ im ersten Lied - man schämt sich ein bisschen das zu schreiben - ist an der Aussprache nichts zu deuteln, man kann nur ahnen, welcher Fleiß hier aufgewendet wurde, um dieses Ergebnis zu präsentieren.


    Aber Elīna Garanča kennt diesen Zyklus ja von Kindesbeinen an, sie war oft dabei, wenn ihre Mutter diese Lieder sang, denn sie entstammt einer Musikerfamilie; der Vater war Chordirigent und ihre Mutter, Anita Elīna Garanča, war Professorin für Gesang an der Musikakademie in Riga.
    Vor dieser CD-Aufnahme hatte Elīna Garanča den Zyklus auch schon im Konzertsaal gesungen.


    Im Booklet finden sich einige kluge Gedanken dieser Frau, die zeigen, was sie von dem Text hält; die oft geäußerte Kritik an dem angeblich traditionellen Frauenbild in dem vertonten Text kann Garanča nicht nachvollziehen:


    »Es geht hier nicht um Unterdrückung oder Aufopferung. Das sind nicht die richtigen Worte. Es geht vielmehr im ganz positiven Sinne darum, sich liebend hingeben zu wollen.
    Man muss viel Mut haben, um sich freiwillig liebend und aufopfernd hinzugeben.«
    Aus Sicht der Sängerin ist das vierte Stück - ›Du Ring an meinem Finger‹ - Schlüsselstück und Wendepunkt zugleich.
    »Diese Entscheidung, den letzten Schritt zu machen und in die Ehe zu treten, ist der Kern, auf dem alles Weitere aufbaut. Es ist eine Lebensentscheidung.«


    Das Booklet umfasst 23 Seiten in Deutsch und Englisch, die Kulturjournalistin Dorothea Walchshäusl hat zu dieser CD einen zweiseitigen Text verfasst. Alle Liedtexte sind abgedruckt.