Helga Kosta - * 1. Dezember 1920 Hamburg - † 24. Januar 2014 Steffisburg (Schweiz)
Zum heutigen Todestag von Helga Kosta
Unter diesem Stein haben drei Musiker ihre letzte Ruhe gefunden, aber Helga Kosta, die eigentlich mit ihrem bürgerlichen Namen zunächst Helga Stabinski hieß und nach der zweiten Heirat Koerfgen, hatte in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg den berühmtesten Namen in der Familie.
Helga hatte offensichtlich eine Menge Erbmasse von ihren Eltern - die sich in Berlin kennenlernten - mitbekommen. Damals war Elsa Koch an der Königlichen Oper eine aufstrebende Sängerin und Gustav Stabinski noch Student an der Musikakademie.
Somit ist auch der der Künstlername ›Kosta‹ erklärt, die ersten zwei Buchstaben stammen von der Mutter, die restlichen drei vom Vater.
Das Kind kam in Hamburg zur Welt, weil der Vater dort engagiert war. Die Mutter war in dieser Saison in Dessau verpflichtet und reiste mit dem acht Tage alten Baby zur Probe von »Rheingold«, wo sie von Hans Knappertsbusch mit den Worten begrüßt wurde:
»Meine Rheintochter hat en Kind jekricht«.
Die kleine Helga hat Musik bereits mit der Muttermilch eingesogen, denn Mama nahm den Säugling mit ins Opernhaus, legte das Baby in einen Wäschekorb und stillte zwischen den zwei Arien, wenn sie die Königin der Nacht in der »Zauberflöte« sang - so war das im Jahr 1920!
Ansonsten musste sich die kleine Helga an ein Wanderleben gewöhnen; schon die Einjährige verlor die Eltern aus den Augen, weil diese mit einem großen Ensemble:
Solisten, Chor, Ballett, Orchester zu einer Reise nach Nord- und Südamerika aufbrachen.
1922 bis 1923 blieb das Kind bei Freunden auf einem Gut in Mecklenburg; als Mama wieder zurück kam, erkannte Helga natürlich ihre Eltern nicht mehr.
Zwei Jahre verbrachte die wieder vereinte Familie danach in Königsberg in einer möblierten Wohnung mit Garten, einschließlich Urlaub an der nahen Ostsee. In Königsberg suchte sich die Kleine dann auch schon passende Töne auf dem Klavier zusammen, um gehörte Melodien nachzuspielen - man hatte schon Radio - was zu einem Erfolgserlebnis führte.
In der Saison 1927/28 war die Sängerfamilie wieder geteilt; Mama sang in Danzig und hatte die Tochter bei sich, während Gustav Stabinski seine Kunst in Basel darbot.
Dann war die Familie für die Dauer von drei Jahren am selben Ort, nämlich in Basel, das war von 1928 bis 1931. Aber es war eben ein Künstleraufenthalt ohne Haushalt; man wohnte in einer Pension und unabhängig vom Tagesplan der Eltern - mit Proben und Vorstellungen - hatte nun Helga ihre regelmäßigen Mahlzeiten und fühlte sich in Basel so richtig zuhause, Basel wurde für sie ein Stück Heimat.
Im Alter von sieben Jahren wurde Helga für Klavier und Solfége Musiktheorie in Basel angemeldet; aber auch - auf Wunsch des Vaters - zur »Christian Science«-Sonntagsschule.
Nach Aussage von Helga Kosta habe ihr letzteres einen festen Halt gegeben, um das weitere Leben zu meistern.
Währen die Tochter also mit dem Leben in Basel ganz zufrieden war, hatte Kammersängerin Elsa Koch am Theater mit Intrigen zu kämpfen, was sie veranlasste dem Basler Theater in der zweiten Saison den Rücken zu kehren. Die Mutter begab sich im Folgenden auf Konzerttournee und kam zwischendurch mal zu Besuch.
Nun wurde der Vater nach Berlin gerufen, eine Stadt voller Möglichkeiten; wieder einmal bezog man eine möblierte Wohnung. Die Mutter auf Tournee, der Vater voll im Geschäft mit Proben und Vorstellungen und Tochter Helga auf einer Privatschule. In Zeitungsberichten ist zu lesen, dass Helga Stabinski eigentlich Pianistin werden wollte und das Klavierspiel bei ihrer Großtante, Emma Koch. einer Liszt-Schülerin, erlernt hat.
Ab 1933 wurde es für Vater und Tochter in Berlin schwierig, weil der Vater Jude war und Helga in der Schule nicht die Frage beantworten konnte, wann der ›Führer‹ Geburtstag hat.
Eines unschönen Tages wurde Vaters Ensemble zum Intendanten beordert, der seiner Mannschaft erklärte: »Wer Jude oder jüdisch versippt ist, wird sofort entlassen.«
Also blieb Gustav Stabinski nichts anderes übrig als auch auf Tourneen zu gehen, die ihn nach Holland und in die Schweiz führten; unter anderem sang er auch mit Richard Tauber vor dem Holländischen Königshaus.
Helga wollte unbedingt von Berlin weg, obwohl ihr der Abschied von ihren Eltern schwer fiel; eine Tante holte sie wieder zurück nach Basel, wo sie dann für zwei Jahre blieb, bis ihre Mutter krank wurde und die nun Fünfzehnjährige wieder nach Berlin musste, weil ihre Mutter erkrankte. Aber Helga war auch nicht die Gesündeste und litt unter Blutarmut, also reiste sie nach Polen, zu einer Cousine ans Meer - nicht ganz ungefährlich; wie sie später mitteilte, soll es ein falscher Kinderausweis gewesen sein.
Vater Stabinski hatte zwar 1921/22 deutsche Papiere bekommen, aber nun wurden alle ausgebürgert, die nach 1918 eingebürgert wurden, womit man staatenlos geworden war.
Nun durften die Eltern 1937 endlich für ein Radiokonzert einreisen; mit einer Aufenthaltsbewilligung von 48 Stunden. Nach dem Konzert entschied die Mutter:
»Ihr bleibt hier und ich rette, was zu retten ist in Berlin.«
Nach acht Monaten kam die Mutter wieder aus Berlin zurück, findige Leute hatten ein Konzert im Münster arrangiert, damit das mit dem Einreisevisum glatt ging. Die Mutter blieb in der Schweiz; man wohnte in einer Mansardenwohnung mit gemietetem Klavier.
Stabinskis Honorare wurden immer schmaler und die Mutter rannte von Schüler zu Schüler, damit etwas Geld ins Haus kam. Eine Schülerin erstattete Anzeige, worauf die Aufforderung der Fremdenpolizei kam, die Schweiz binnen 48 Stunden zu verlassen.
Jemand, der die Möglichkeit dazu hatte, sorgte dann für eine ständige Aufenthaltsbewilligung des Kantons Basel-Stadt.
Helga Stabinski hatte sich um Stellen beworben, aber Mama glaubte klar zu sehen, dass Helga keine Arbeitsbewilligung bekommt und meinte:
»Arbeitsbewilligung bekommst du nicht, also lerne singen. Musikalisch bist du, Stimme hast du, Klavier spielen kannst du auch, also arbeiten wir gesanglich.«
Nur Gesang war da nicht, Tochter Helga arbeitete auch in einer Pension, um so zum Lebensunterhalt beizutragen. Trotz einiger Schwierigkeiten im Vorfeld, gab Elsa Koch einen Lieder- und Arienabend, der sehr erfolgreich war und ihr auch himmlische Kritiken einbrachten; ein Kritiker schrieb:
»Das war die Vollendung der Vollendung, ein Erlebnis.« Die so Gelobte war 45 Jahre alt und stellte im März 1939 nüchtern - zu ihrer Tochter gewandt - fest:
»So werde ich nie mehr singen, jetzt bist du dran.«
Und so geschah es dann auch; im November gab Helga ihr erstes Konzert und gleich folgte der erste Auftritt im Rundfunk mit der Absage: »Wir hörten im Radio Basel eine selten schöne Stimme. Diese Stimme gehörte Helga Stabinski.«
In diesem Zusammenhang ist es interessant, wie sehr Sendeanstalten damals noch auf Sängerinnen und Sänger angewiesen waren, die direkt vor dem Mikrophon agierten.
Aber nun folgte keineswegs eine steile Karriere als Rundfunksängerin, die ein auskömmliches Einkommen sicherte, denn die nun folgenden Aktivitäten wurden nicht mit Bargeld, sondern mit Naturalien entgolten. Mit Kollegen vom Radio wurde sie aufgeboten für Schweizer Soldaten an Kompanieabenden zu singen - so wie es damals in Europa aussah, war es nachvollziehbar, dass die Landesverteidigung zu einem besonderen Thema geworden war; die Auftrittsorte waren im Vorfeld immer eine geheime Sache.
Auch Wohltätigkeitsveranstaltungen in Heilstätten von Tuberkulosekranken in Davos wurden besucht.
1942 sang Helga Stabinski mit ihren Kollegen vom Rundfunk sogar bei der Weihnachtsfeier des Generalstabs vor Henri Guisan, ein in der Schweiz verehrter Mann, der vermutlich verhinderte, dass die deutsche Wehrmacht durch die Schweiz marschierte; man muss das hier erwähnen, um sich in die Situation der Familie Stabinski hineindenken zu können.
Der Vater wollte unbedingt von der Schweiz weg, weil er fürchtete, dass auch die Schweiz überrannt wird. Gustav Stabinski streckte seine Fühler aus; Mutter und Tochter - für letztere gab es sogar einen Vertrag für Radio New York - hätten in die USA reisen dürfen, aber dem Vater verweigerte man das Visum, worauf die Mutter erklärte, dass dann alle hierbleiben.
Für Helga kam es zu einer Liebschaft mit einem Arzt und Gustav Stabinski gab den ›Macho‹, indem er erklärte, dass seine Tochter um fünf vor halbzwölf zu Hause zu sein hat, »ansonsten schmeiß ich sie raus.« Die junge Frau war damals so um die 22 Jahre.
Also wurde aus der Sache nichts, aber Helga hatte immer wieder beim Radio zu tun und war da dem Chef eines kleinen Orchesters aufgefallen, der sie für den Kursaal Bern engagierte; drei bis vier Auftritte am Tag, Tagesgage 25 Franken. Vater moserte: »Meine Tochter, die Kaffeehaussängerin!«. Der Orchesterchef war ein genialer Musiker alter Schule, Geiger, Dirigent und Komponist, die 23-Jährige war beeindruckt; Gustav Stabinski bezeichnete diesen Mann als »versoffenes Genie« und traf damit ins Schwarze.
Am 1. Juni 1943 gab es die Sängerin Helga Stabinski nicht mehr; die Mutter hatte argumentiert, dass es nicht ratsam sei unter dem Namen der Eltern aufzutreten, es würden positive wie auch negative Vergleiche gezogen.
Nun trat also Helga Kosta im Kursaal auf; mit doppelter Gage, es gab nun 50 Franken Tagesgage. Das Publikum war wieder einmal begeistert, aber es gab immer und immer wieder Schwierigkeiten mit der Fremdenpolizei. Helga Kosta wollte mit einem Programm Schweizer Dialektlieder auftreten, aber mit dem Verdikt, dass sie Ausländerin sei, wusste die eidgenössische Fremdenpolizei das zu verhindern.
Dennoch kam es immer wieder zu Engagements, so auch im Winter 1943/44, wobei die Garderoben - kriegsbedingt - nicht geheizt waren, was eine Lungenentzündung zur Folge hatte.
Der Krieg war vorbei, zur Weihnacht 1945 erfolgte die Eheschließung, die schon zu diesem Zeitpunkt recht fragwürdig war und wohl besser unterblieben wäre. Im Dezember 1946 kam der kleine Peter zur Welt, Helga Kosta war Mutter geworden und versuchte aus dem Scherbenhaufen was zu machen. Um ein Spotlight auf die Verhältnisse zu werfen:
»Der Pfändungsbeamte kam beruflich zu uns und abends als Fan ins Konzert.«
Im Sommer 1953 wurde diese ereignisreiche Ehe geschieden, aber in diesen acht Jahren gab es trotzdem für Helga Kosta auch eine sängerische Weiterentwicklung.
1949 erreichte Helga Kosta ein Anruf vom Theater in Biel-Solothurn:
»Ich habe sie gehört und möchte sie engagieren. Sie sind meine Königin der Nacht.«
Der so Anfragende war Direktor Leo Delsen vom kleinsten Theater der Schweiz - ein richtiger ›Striese‹, das Theater damals ein Hort von Asylanten.
Nun erklärte Frau Kosta, dass sie keinerlei Ambitionen hätte ans Theater zu gehen, aber Delsen, von Haus aus selbst Sänger, wische die Bedenken zur Seite und erklärte: »Die Königin ist eine Stehpartie.« Vermutlich hatte ihr die Mutter die Geschichte mit der »Zauberflöte« in Dessau erzählt.
Der musikalische Oberleiter vom Stadttheater Bern war von der Darbietung der Königin so angetan, dass er ihr ein festes Engagement als Koloratur- und lyrische Sängerin anbot.
Kostas Antrittspartie in Bern war dann die Tempelpriesterin Leila in Bizets »Perlenfischer«.
In den Sommermonaten wurde dann wieder im Kursaal gesungen.
Ein Jahr nach der Scheidung kam es zu einer zweiten Eheschließung; der Wohnsitz war in Bern und Peters Opa wollte nicht mehr alleine sein, Elsa Koch war 1953 verstorben, also zog man etwas beengt zusammen.
Helga Kosta war als Königin auch außerhalb des Stadttheaters Bern gefragt, so dass es zu relativ vielen Gastspielen kam, auch außerhalb der Schweiz, wie zum Beispiel in Bonn oder Köln. Man konnte sich nun mit einiger Mühe auch in guter Lage ein Häuschen bauen, aber der Beruf des Gatten machte schließlich erforderlich, dass man nach Basel zog und im Spätsommer 1960 Goldiwil aufgeben musste.
Die Umzüge sind eine Sache für sich, es waren nicht unzählige, wie man in solchen Fällen gerne sagt, aber so viele, dass ein genaues Zählen sehr viel Mühe bereiten würde, Helga Kosta sagte einmal: »Ich bin ein ewiger Wandervogel«
Die meiste Zeit ihres Lebens hatte sie im Berner Oberland verbracht, ist aber immer auch wieder nach Berlin, die Stadt ihrer Kindheit gekommen; oft ist sie die Strecke Schweiz-Berlin hin- und hergeflogen, um bei RIAS-Berlin Aufnahmen zu machen.
Helga Kosta betätigte sich auch pädagogisch und organisierte dann Konzerte für ihre Schülerinnen, um diese voranzubringen.
Nach 37 Ehejahren verlor Frau Koerfgen ihren Mann, der sie so treu in der Schweiz herum chauffiert hatte, manchmal zu zwei »Zauberflöten« an einem Tag. Etwa 400 Mal soll sie diese Rolle gesungen haben.
Sie schrieb einmal:
»In meinem geliebten Goldiwil haben wir ein Familiengrab. Meine Eltern und mein Mann haben dort ihre Ruhe gefunden. Mein Platz ist reserviert - Blick auf die Berge und den Thunersee. Ich bin dankbar für alles Schöne, das ich erleben durfte, jetzt bereits 65 Jahre als Schweizerin - daher ›Die Schweizer Nachtigall‹ - aber sie singt nicht mehr.«
Praktischer Hinweis:
3624 Goldiwil ob Thun / Friedhof Dorfstraße 63
Man geht links am Kirchturm vorbei und findet dahinter den kleinen Friedhof