Gedanken über Entwicklungen und Hintergründe großer Künstler
Es gibt eine Menge empirischer Gründe dafür anzunehmen, dass in der >Erstbegegnung von Liebenden<
im Wesentlichen bereits die charakteristischen Elemente späterer Beziehungsverwicklungen eine Rolle spielen..................
In einer Erstbegegnung findet man überzufällig häufig bedeutsame Phaenomene wie Sympathie und Antipathie.
>Passt es oder passt es nicht<
ist hier oft die Frage oder DER Punkt auf den es anzukommen scheint.
Anders formuliert: WAS gibt für spätere Entwicklungen offensichtlich überzufällig häufig >>den Ausschlag oder den TON an<< (???)..............
Auch wenn man bei diesen Auftakt - Beispielen zunächst an erwachsene Personen und deren individuelle Eigenarten denkt, die zu ihrem Kennenlernungsprozess geführt haben.............
so treten erstaunlich ähnliche Befunde zu Tage, wenn man sich mit den >ANFÄNGEN< von MUSIKERN beschäftigt....
WIE ist es bei der ersten Begegnung, der Bekanntschaft mit einem Musikinstrument, welches dem Berufsmusiker zu einem lebenslangen Begleiter wird?
Wenn man die >Erstbegegnung<
als bedeutsamen Auftakt einer Beziehung betrachtet,
WIE beeinflusst dann die Entscheidung für Geige oder Klavier das weitere Verhältnis zum Instrument?
Beim Lesen der Biographien großer Instrumentalisten, ist mir insbesondere aufgefallen und DAS konstatiere ich hiermit :, ....
dass die überwiegende Mehrzahl grosser Künstler bereits in einem sehr frühen Alter zu ihrem Instrument kommt. Das Durchschnittsalter liegt bei ca fünf Jahren. DAS dürfte von der Allgemeinheit ähnlich eingeschätzt werden.
Ich möchte dazu einladen genauer hinzugucken, bezüglich der prägenden Faktoren oder Determinanten, die für die
>ALLES entscheidende Weichenstellung<
in Punkto Instrumentenwahl und Karriere, eine entscheidende Rolle gespielt haben.
Einige Beispiele:
Der vierjährige Barenboim erlebt mit, wie sein Vater, ein leidenschaftlicher Amateurmusiker, als Klavierbegleiter Konzerte mit einem Geiger gibt.
Er äussert daraufhin den Wunsch, seinerseits Geige zu lernen, „damit ich mit meinem Vater spielen konnte“. Kurze Zeit später ist er dabei, als sein Vater Klavierduette mit einem Freund spielt. Daraufhin stellt der Bub Daniel fest, dass er kein anderes Instrument als der Vater zu erlernen braucht, um
>mit ihm < spielen zu können.....
und entscheidet sich daraufhin erleichtert für das Klavier.
Der große Menuhin erinnert sich an das Hahnekrähen in der Nachbarschaft und fügt hinzu:
„Seit ich denken kann gab es immer Musik“
Als eindeutig früheste Kindheitserinnerung hat Elly Ney die Stimme ihres Vaters zwischen Trompetensignalen – der Vater war beim Militär – vor dem geistigen Ohr......
Bei Arrau ist es das Klavierspiel der Mutter
Bei Ida Haendel die traurigen jüdischen Weisen, die die Mutter singt
Bei Rubinstein Fabriksirenen und Zigeunermusik
Bei Kempff der Orgelklang des sonntäglichen Gottesdienstes.......
Aus diesen Beispielen wird deutlich, dass ausnahmslos alle Musiker, die von frühen Kindheitserlebnissen berichten,
KLANGERLEBNISSE beschreiben:
Erinnerungen an die elterlichen Stimmen, an die Geräusche und Töne der häuslichen Umgebung und an das Musizieren der Eltern. Es scheint eine frühe Aufgeschlossenheit der späteren Musiker für akustisches Material zu geben.
Der aktiven Hinwendung zu einem Instrument, die nur im Vordergrund einer einzigen frühesten Erinnerung steht, führt zu Neugier, Interesse, dem Wunsch den Eltern nahe zu sein, deren Spiel zu lauschen und sich quasi nebenbei musikalische Grundkenntnisse anzueignen.
Gidon Kremer, der vierjährig das elterliche Geigenspiel nachahmt, äußert sich In seiner Autobiographie (1993) pointiert:
„Auch wenn ich selber zum Stöckchen gegriffen habe, hat man mir die Geige in die Hand gedrückt.“
Ney schreibt: „Mir bangte vor den Erwartungen des Vaters“,
der fest an eine „grössere Zukunft“ seiner Tochter glaubt, aber der Ansicht ist, man müsse der Begabung durch „feste Zucht“ nachhelfen.
Ähnlich war es bei William Primrose. Beim Geigenunterricht des Vaters gerne anwesend, ahmt er ihn spielerisch nach. Der Vater, gescheiterter Konzertgeiger, ist begeistert darüber, kauft dem Sohn sogleich eine Viertelgeige
und hält ihn zum Üben an,
wo doch Primrose, ähnlich wie Milstein,
viel lieber mit anderen Jungs Fussball gespielt hätte.
Moore spricht gar von sich als dem
„unwilligen, plärrenden Kind, das von der Mutter zum Klavier gezerrt wurde".......
und fügt anschaulich hinzu:
„Es war wie auf einem Tandem – ich steuerte, von hinten angetrieben“
Die Mutter sei nämlich so ehrgeizig gewesen und habe mit ihm eine Rivalin besiegen wollen, deren Tochter zur gleichen Zeit wie Moore mit dem Klavierunterricht beginnt.
Ein wichtiger Punkt ist folglich,
wie die Identifikationswünsche der Kinder für Bedürfnisse der Eltern in Beschlag genommen werden.
Später im Leben wird dieser Umstand sehr unterschiedlich von den Instrumentalisten aufgenommen....
also teils positiv aber auch negativ.
Der grosse Pianist Sauer ist im Nachhinein froh über den Zwang der Mutter, ebenso wie Moore.
Menuhin betrachtet es als ein „unabänderliches Faktum, dass Kinder die Wünsche der Eltern und Lehrer erfüllen sollen.“
Kremer dagegen, klagt heftig darüber,
spricht von der >> Nötigung<<, der er sich fügen musste.
Der spielerische Nachahmungs- und Identifikationsdrang stellt offenbar für den Ehrgeiz mancher Eltern eine Versuchung dar,
daraus >mehr< zu machen.......
meistens war es ihnen selbst vom Schicksal verwehrt worden.
„Ein musikalisches Talent tritt nicht so plötzlich auf wie der Kasperl in der Pantomime“ (Menuhin)
Es ist also meistens die Orientierung an den elterlichen Vorbildern....
DAS ist auffällig aber eher wenig überraschend.
Eine >Wahlfreiheit< im Sinne einer >freien Auswahl<,
liegt also im Allgemeinen nicht vor.
Besonders Aufschlussreiches bringt der analytische Blick auf den jungen Rubinstein zu Tage.
Dieser ist quasi als Nachzügler in eine wohlhabende Fabrikantenfamilie hineingeboren worden.
„ein arg verspäteter und nicht sehrwillkommener Gast.“
Als Zweijähriger kommt er mit dem Klavier dadurch in Berührung, dass für seine älteren Schwestern eines angeschafft wird.
Schon zu der Zeit fällt seine imitatorische Begabung auf.
Er lauscht aufmerksam dem Klavierunterricht der Schwestern und kann bald Gehörbildungskunststücke vorführen.
Er beschreibt, wie das Wohnzimmer, nachdem die vielen älteren Geschwister „mit ihrem Lärm“ weg sind,
zu seinem „Paradies“ wird, dessen Mittelpunkt das Instrument bildet.
Er überwindet das Gefühl der Einsamkeit mit dem Spielen.
Seinen Vater, den er als scharfsinnigen Geschäftsmann mit einer Neigung zu Philosophie und erlesenen Umgangsformen beschreibt,
hätte lieber gesehen, wenn der Sohn Geige, ein in seinen Augen edleres Instrument gespielt hätte.......
doch zerschlägt Rubinstein wütend die ihm geschenkte Geige und bezieht dafür Prügel.
Der Grand Signeur unter den Pianisten schreibt:
„Mich verlangte nach Polyphonie, nach Harmonien, nicht nach dem dünnen Ton der Violine, die so oft verstimmt ist und stets eines Begleitens bedarf.“
Beide Elternteile kann man als >musikfern<, bezeichnen, Begabungen im musikalischen Bereich sind von ihnen nicht bekannt.
Zwingt sich hier also die Frage auf, wie der Junge zu dieser zweifelsfreien, begeisterten frühen Eigenentscheidung kommt,
einem in dieser Art im Vergleich mit vielen anderen grossen Solisten einmaligen Vorgang.
Eine spekulative Erkärung möchte ich wagen:
das abgelehnte Kind, das eigentlich abgetrieben werden sollte, hat möglicherweise in der hochpositiven Besetzung des Klaviers, das gar nicht speziell für ihn angeschafft wird,
eine Wunscherfüllung ausleben können.
Ich komme darauf, weil Rubinstein in seinem Buch keinen Hehl aus diesem enorm kränkenden Gefühl der Ablehnung macht,
die er stetig zu spüren scheint.
So zweifelsfrei, so 100%zig, so begeistert, wie er die Ankunft des Klaviers
(für die Schwestern bestimmt) begrüßt, durchlebt......
wünscht sich jedes Kind die Akzeptanz durch die eigenen Eltern.
Rubinstein fühlt sich jedoch häufig wie der „unwillkommene Gast“ zu Hause.
Verständlich wird so auch die Wut des Jungen, als der Vater ihm die Geige schmackhaft machen will und damit ausdrückt, dass er die stellvertretende, symbolische Dimension in der Zuwendung seines Sohnes zum Klavier nicht erkennt.
Interessanterweise zeigt sich in Rubinsteins Begründung der Abneigung gegenüber der Geige die frühe starke Autonomisierungstendenz des abgelehnten Kindes.
Er will ein Instrument , das OHNE Begleiter
(man könnte denken: OHNE Familie)
seine Wirkung entfalten kann und nicht so oft „verstimmt“ ist
wie beispielsweise seine Mutter,
die während Rubinsteins Kindheit an chronischer Bronchitis und Asthmaanfällen litt und sich nach seiner Schilderung nur
„wohl und glücklich“ fühlte, wenn sie einen kranken Verwandten pflegen konnte,
nie aber im alltäglichen Zusammensein mit ihrem jüngsten Kind.
Diese Gedanken sind zwar spekulativ, doch sind sie nicht frei aus der Luft gegriffen, sondern Interpretation der dargestellten Kindheitssituation
durch den Meister selbst.
Natürlich sind es Gefühle von denen er spricht und keine Fakten....
aber so entstehen Leidenschaften oft,
auf einem ganz persönlichen Hintergrund von Kränkung und/oder Enttäuschung.
Nochmals zu Gerald Moore, weil die Rivalitätsgeschichte seiner Mutter mit der Nachbarin für seine Karriere auch so einen Knackpunkt darzustellen scheint.
Schliesslich ist er überhaupt dadurch an sein Instrument gelangt.
Die Mutter, so schreibt er, habe händeringend nach ETWAS gesucht,
womit sie ihre Nachbarin habe ausstechen können.
Da er (sehr selbstkritisch äussert) eigentlich zu nichts getaugt und damals auch zu nichts recht Lust gehabt habe.......
ausser, ein wenig zur Musik, habe er eben Klavierunterricht bekommen.
Da stellt sich ja fast die Frage, was wäre geworden wenn die Nachbarstochter nun Geige gespielt hätte.......
wer weiss was wir heute mit dem Namen Gerald Moore verbinden würden, oder ob der Name uns völlig unbekannt wäre.
Natürlich ist nicht klar, wie viel seine etwas ironische Schilderung die Zusammenhänge um des komischen Effekts willen etwas verkappt darstellt.
Letzlich lässt der grosse „Begleiter“ aber keinen Zweifel daran,
dass er ohne den mütterlichen Willen,
nicht zu dem geworden wäre was er fast fünfzig Jahre gewesen ist.
Als Letztes vielleicht zu Milstein.
Er war mein Lieblingsgeiger bis Kremer diese Position einnahm,
zusammen mit Zehetmayr und diese Beiden wiederum sind seit ein paar Jahren von Christian Tetzlaff abgelöst worden.
Damals aber, vor gut 40 Jahren,
habe ich Milstein 3x LIVE gehört
und höre ihn im Geiste noch heute. (vor allem „DIE Chaconne“)
Eigentlich habe ich alle Künstler, über die ich mir hier mit prägnanten Daten ihrer Biographien vom Anfang ihres Lebens ein wenig auseinandersetze,
noch LIVE gehört.
(ausser Bauer und Rubinstein.....für letzteren habe ich versucht in Basel Karten zu kriegen--vergeblich)
Eindeutig ist Milstein wenn er schreibt:
„Eigentlich hatte ich überhaupt keine Lust dazu Geige zu lernen.
Meine Mutter nahm mir die Entscheidung ab.“
Seine Eltern waren gar nicht so sehr musikalisch interessierte Menschen,
aber sehr begeisterungsfähige, die das Wunderkind Jascha Heifetz im Konzert gehört hatten.
Den gleichen sagenhaften Erfolg hätten sie sich für den eigenen Sohn erträumt. Ob es Milstein’s Bescheidenheit ist, wenn er fortführt, NICHT durch besondere Musikalität Signale ausgesendet zu haben, die den Wunsch der Eltern nachvollziehbar gemacht hätten.......
Aber wir wissen heute wie es gekommen ist.
So unterschiedlich die Anfänge einiger grosser Instrumentalisten uns auch vorkommen mögen,
eine FREIE WAHL,
im Sinne einer >bewussten Auswahl< des Instrumentes
findet praktisch nicht statt.
Das Leben mit seinen Verkettungen.................
und die Eltern, die wir uns nun mal nicht aussuchen können,
sind aus der Rückschau manchmal
>wie ein Sechser im Lotto<.
Während ich diese letzten Zeilen schreibe, spielt Im Hintergrund auf einer CD Nathan Milstein die berühmte Chaconne................
Und ich hoffe Euch mit meinen
>> Gedanken über Entwicklungen und Hintergründe grosser Künstler <<
ein wenig – trotz der analytische Brille – (oder gerade wegen dieser)
habe ein wenig > UNTERHALTEN < können.
Gruss........................“Titan“