Wolfgang:
Also es ist mir ehrlich gesagt ziemlich unbegreiflich, wie dir mein Beitrag derartig die Zornesröte ins Gesicht treiben konnte. Ich habe meine Beiträge in diesem Forum immer offen aus der Perspektive eines (zunehmend informierteren) Anfängers auf dem Gebiet der klassischen Musik geschrieben. Das lege ich gerne offen, da ich mir der dadurch notwendigen Relativität meines Urteils in vielen Bereichen durchaus bewusst bin.
Dass heißt aber nicht, dass ich mir das Recht auf eine eigene Meinung absprechen lasse. Ich bemühe mich immer darum, diese so qualifiziert wie möglich abzugeben, und so viel Neues wie möglich auf diesem Gebiet zu lernen. Deshalb finde ich es schon ziemlích beleidigend, wenn ich von Dir Anfänger so ziemlich mit Ignorant gleichgesetzt wird.
Wenn ich mich, wie ich in diesem Thread von vorneherein klargestellt habe, auf ein für mich noch völlig neues Gebiet, nämlich das des Kunstliedes, vorwage, dann heißt dass nicht, dass ich nicht die Erfahrungen und Maßstäbe, sowie die Kenntnis meiner eigenen Vorlieben, die ich in anderen Gebieten der klassischen Musik erworben habe, auf dieses neue Gebiet übertragen kann.
Da ist zunächst einmal die Erfahrung, dass es in jedem Bereich der klassichen Musik so etwas wie ein "Kernrepertoire" gibt, mal ganz blasphemisch ausgedrückt, eine "Top 20". Und ich persönlich halte es nun einmal für die vernünftigere Methode, mich zunächst mit diesem Kernrepertoire vertraut zu machen, bevor ich in abgelegenere Gefilde schweife. Da ich weiss, dass einige derjenigen Mitschreiber hier, die über eine weit größere CD-Sammlung, und über wesentlich weitergehende Kenntniss als ich verfügen, so ein ganz klein bisschen bei Fragen wie der meinigen die genau gegenteilige Tendenz haben, nämlich von ihnen selbst erst kürzlich entdeckte, so gut wie unbekannte "Perlen" zu empfehlen, hielt und halte ich es für angemessen, klarzustellen, dass das nicht ganz das ist, wonach ich im Moment suche.
Was nicht heißen soll, dass mich solche Werke nicht in ein paar Jahren, wenn meine Klassik-Sammlung weiter ausgebaut ist, interessieren und faszinieren werden - das würde ich jedenfalls hoffen. Aber mir persönlich erscheint es immer ein bisschen kontraproduktiv, wenn auf Fragen zum Thema "Ich kenne mich auf dem Gebiet der klassischen Musik noch nicht aus, wo soll ich anfangen?" nicht Werke von Bach, Beethoven, Brahms, Schubert oder Schumann (Liste nicht abschließend), die seit über einem Jahrhundert den Kernbestand der Konzertprogramme ausmachen, empfohlen werden, sondern ein möglichst unbekanntes Werk eines möglichst unbekannten Komponisten - weil das so fetzig oder so exotisch ist?!
So ganz allein stehe ich mit dieser Einschätzung übrigens nicht - da sehe man sich nur einmal die vom Grammophone Classical Good CD Guide zusammengestellte "Suggested Basic Library" Liste an, oder die gezielte Gewichtung innerhalb der auf http://www.classical.net veröffentlichten "Basic Repertoire List".
Was den Ausnahme- / Referenzcharakter angeht so ist die Erklärung eigentlich recht simpel: da es absehbar noch eine ganze Weile hin ist, bis meine Klassiksammlung, von Ausnahmefällen abgesehen, das Stadium der vorsätzlichen Doppelt- und Dreifachbesetzung von Werken erreichen wird, ist mir natürlich daran gelegen, dass die eine Aufnahme, die ich mir von einem Werk zulege, eine ausgezeichnete ist. Und es ist mir jetzt relativ gleichgültig, ob du das für arrogant hältst, ich nehme auch für mich in Anspruch, eine herausragende Aufnahme eines Werkes zu erkennen, auch wenn es schwierig ist, es allgemeingültig in Worte zu fassen, was eine solche Aufnahme ausmacht, da es sich in den unterschiedliche Bereiche der klassischen Musik unterschiedlich ausdrückt. Dass es darüber hinaus noch persönliche Vorlieben gibt, habe ich erst vor kurzem an anderer Stelle ausführlicher ausgeführt - aber die entwickele ich halt lieber auf von vorneherein sehr hohem Niveau und die Empfehlungen eines Grammophone oder Penguin Guide sowie des hochgeschätzten Forums hier bieten mir dafür erfahrungsgemäß sehr gute Ausgangspunkte von denen aus ich dann meine eigene Entscheidung treffe.
Was soll denn deiner Meinung nach die Alternative sein, insbesondere bei einem so weiten Themenkreis wie dem Kunstlied? Mich bei meinem nächsten Besuch bei Saturn in Köln durch die vielleicht Hunderte von CDs allein im Bereich Schubert / Schumann Lieder durchhören um mir dann eine rauszusuchen? Einfach eine blind herausgreifen, nach dem Motto "wenn es denen wert war, diese Darbietung auf CD zu bannen, dann wird es für mich unwissenden Anfänger allemal reichen"? Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein.
Was die historischen bzw. verhusteten Lifeaufnahmen angeht, so ist das eine der angesprochenen persönlichen Präferenzen von mir. MICH kann so etwas ganz erheblich stören - genauso wie es mich nervt wenn Leute im Lesesaal einer Fachbibliothek lauthals die Party vom Vorabend, Fußballresultate oder ihre anstehenden Urlaubspläne diskutieren während ich versuche etwas zu recherchieren und mich zu konzentrieren. Ich weiss es gibt Leute, die können das einfach "ausblenden" ich gehöre nicht dazu, deshalb habe ich das in meiner Anfrage auch so spezifiziert. Was natürlich in gewisser Weise eine grobe Verallgemeinerung darstellt - ich selbst besitze einige hervorragende Lifeaufnahmen ohne jede Hust-Kaskaden, es geht also anscheinend auch ohne - und einige historische Aufnahmen, die ich wirklich liebe. Aber, was letztere angeht (gemeint sind hier Aufnahmen aus den 30er und 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts), so hege ich doch die Befürchtung dass gerade bei Aufnahmen von Sängerstimmen die historische Aufnahmetechnik doch dazu neigt, Stimmen zu verfärben (?), weshalb ich hier instinktiv zunächst einmal nicht zu "Schelllackschätzchen" greifen würde. Und was die Darbietungsbeeinträchtigungen aus Zuschauerkreisen angeht, so möchte ich nur apropos bemerken, dass die darbietenden Künstler darüber i.d.R. auch nicht berade begeistert sind, es gibt halt nur unterschiedliche "Techniken" mit so etwas fertig zu werden. Aber es ist durchaus nicht ungehört, dass ein Künstler es auf die eine oder andere Art deutlich gemacht hat, dass er seinen Vortrag erst fortsetzend werde, wenn die betreffende Störung aufgehört hat.
So, was gab's noch? Ach ja, das Ultra-Gekünstelte...
Das war, wie ich mit meinem Hinweis auf den "Rückschlag-Effekt" hatte andeuten wollen ein Verweis auf die Nachwirkungen eben jener Forellen-Tortur im Musikunterricht (vor nunmehr schon etlichen Jahren). Eines, was mir davon in Erinnerung geblieben ist (ausser dass ich den dämlichen Fisch gebraten und verspeist sehen wollte) war, dass ich die Art des Vortrags damals wirklich unerträglich gekünstelt empfand. Weshalb ich, als ich, mitsamt des Tod und Verklärung und der Metamorphosen von Richard Strauss vor einiger Zeit auch seine Vier letzten Lieder erwarb, mit einiger Verblüffung feststellte, dass diese auf mich eben gerade nicht derartig "übertrieben gekünstelt" wirkten, sondern schlicht wunderschön, und nunmehr eigentlich mein Lieblingsstück auf dieser Aufnahme.
Auch würde ich, wenn ich mir die Thomas Quasthoff - Autobiographie anschaue, die ich gerade zu lesen begonnen habe (übrigens auch ein ausgezeichneter Weg, so nebenher etwas mehr über Kunstlieder und Liedgesang zu erfahren), davon ausgehen, dass es durchaus verschiedene Schulen der Interpretation und Vortragsweise von Liedern gibt. Und ob ich diese Unterschiede beurteilen könnte, können wir einmal dahingestellt lassen (ich gehe natürlich, arrogant wie ich bin, davon aus, dass ja
), denn schließlich war die Bitte, wenn möglich, diese Unterscheidung zu treffen, an den werten, und ohne Zweifel wesentlich erfahreneren Kreis der Taminoianer gerichtet

Grüße
katlow