Beiträge von musikwanderer

    Im August 1970 bei den Salzburger Festspielen: Auf dem Programm steht eine Reprise der "Zauberflöte" in der Inszenierung von Oscar Fritz Schuh und mit dem Bühnenbild von Teo Otto.


    Die Malaisse geschah direkt am Anfang. Peter Schreier als Tamino hatte gerade "Zu Hilde, zu Hilfe, sonst bin ich verloren" angestimmt, als sich der Vorhang wieder schloß. Die Wiener Philharmoniker verstummten peu a peu (wie bei Haydns "Abschiedssymphonie") und Wolfgang Sawallisch, der Dirigent des Abends, verließ sichtlich verärgert das Pult.


    Was war geschehen?


    Eine riesige Kulissenwand ließ sich wegen eines gerissenen Drahtseils nicht verschieben. Ein Sprecher trat vor den Vorhang und bat für die technische Panne um Verzeihung und gleichzeitig um Geduld. Etwa zwanzig Minuten später kam Sawallisch zurück und die Introduktion begann von neuem - Peter Schreier hatte sich in der Gewalt und ließ sich nichts anmerken, Profi halt. Der Beifall am Schluss des ersten Aktes war ungewöhnlich lang...

    Verspätet zwar nenne ich den Spanier Tomás de Torrejon y Velasco (1644-1728). Der Schüler von Hidalgo ist der Komponist der 1701 im peruanischen Lima aufgeführten Oper der neuen Welt. Der Text stammt von Calderón de la Barca - eine Version mit komischen Elementen und Figuren der von Ovid her bekannten Sage über Venus und Adonis.


    Tomas de Torrejon y Velasco (1644-1728): La Purpura de la Rosa (Exklusiv für jpc), 2 CDs


    Andrew Lawrence-King Edition. CD03 - La Púrpura De La Rosa - La ...

    1830, am 25. August, erlebte das Brüsseler Theater „La Monnaie“ nicht nur die Uraufführung von Aubers „Die Stumme von Portici“, sondern die Oper war auch der Anlass für eine Revolution gegen die ungeliebte niederländische Herrschaft. Auslöser war das Duett „Amour sacré de la patrie“ (Die heilige Liebe zum Vaterland). Das Publikum geriet in Erregung und als Massaniello mit einer Axt in der Hand sang: „Laufet zur Rache! Die Waffen, das Feuer! Auf dass unsere Wachsamkeit unserem Leid ein Ende bereite!“ erhob sich das Publikum und rief „Aux armes!“ (Zu den Waffen!). Die nach der Aufführung ausgelösten Unruhen führten zur belgischen Revolution und schließlich zur Unabhängigkeit Belgiens.

    1968 war Hans Werner Henzes Oratorium „Das Floß der Medusa“ Anlass für einen Skandal in Hamburg: Studenten hatten die Bühne besetzt und Spruchbänder, eine rote Fahne und ein Bildnis Che Guevaras aufgepflanzt. Damit sollte die Veranstaltung abgebrochen bzw. eine Diskussion mit dem Premierenpublikum erzwungen werden. Die Presse hatte den Eklat allerdings tatkräftig vorbereitet. Der Intendant des NDR, der das Konzert live übertragen wollte, sah sich genötigt, die Polizei zu rufen und den Saal stürmen zu lassen. Während Hans Werner Henze sich mit den Podiumsbesetzern solidarisierte und in die „Ho-Chi-Minh“- einstimmte, wurde der Librettist Ernst Schnabel irrtümlicherweise von der Polizei verhaftet. Die Veranstaltung musste schließlich abgebrochen werden, der NDR sendete stattdessen einen Mitschnitt der Generalprobe.

    Heinrich von Herzogenberg (1843-1900):
    DIE PASSION

    Kirchenoratorium in zwei Teilen für Gründonnerstag und Karfreitag op. 93

    Libretto vom Komponisten nach Texten der Heiligen Schrift.


    Uraufführung am 3. April 1897 in Berlin.


    Besetzung:
    Sopran, Alt, Tenor, Bariton, Bass

    Vierstimmiger gemischter Chor

    Harmonium und Orgel

    Streichorchester.


    Im ersten Jahrgang der von Friedrich Spitta und Julius Smend herausgegebenen Monatschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst (1896/97)
    findet sich eine Vorstellung des Werkes durch den Komponisten selbst, die hier ungekürzt im Wortlaut als authentische Werkeinführung wiedergegeben wird:


    Erster Teil.

    Der Einleitungschor über die Worte: „Lasset uns aufsehn auf Jesum...“ (Hebr.12,2 und Joh. 20,31) fordert die Gemeinde zur Betrachtung des Passionsgeschehens auf. Er ist in der Art eines Mottos, durchaus einstimmig und sehr knapp gehalten. Die harmonische Wendung vom C-dur auf den g-moll-Dreiklang, die hier im vierten Takt und noch an mehreren Stellen gebraucht wird, kehrt im zweiten Teile gleichsam als Leit-Harmonie oft wieder. Dem folgenden Gemeindechoral: „Halt im Gedächtnis Jesum Christ“ ist ein kurzes Orgelspiel voraus gestellt, welches die Anfangszeile der Melodie „Herr, wie du willst“ imitatorisch verwendet. Als Nachspiel dient die Umkehrung dieser Melodie.


    Der Evangelist erzählt dann von den Vorbereitungen zur Fußwaschung; der Chor schiebt bei Betrachtung der liebevollen Demut Jesu ein kurzes Stück ein: „Siehe, wie Jesus geliebt hatte die Seinen“ (Joh. 13,1) In den folgenden Wechselreden zwischen Petrus und Jesus sind die ihnen beigegebenen Motive festgehalten: Petrus charakterisiert sich durch die sich überstürzende Natur seiner noch nicht auf Erkenntnis beruhenden Liebe; Jesus durch die leise Wehmut, die den feierlich-priesterlichen Ton seiner Reden durchzieht. Nach den Worten des Evangelisten: „Da sahen sich die jünger untereinander an, und ward ihnen bange, von welchem er redete“ klopft sich die Gemeinde (der Chor) in eignem Schuldbewusstsein an die Brust: „Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz ...“ (Psalm 139, 23.24)


    Johannes thut die bange Frage: „Herr, wer ist’s?“ und Jesus giebt den eingetauchten Bissen an Judas Ischariot. Dieser entfernt sich, „und es war Nacht“, die Nacht der Sünde. Der Erkenntnis der Sünde folgt Reue und Buße; so fällt der Chor mit Worten aus Psalm 130 und 51 ein. Die Aufgabe war keine leichte, diesen Stoff, den nur ein großes selbständiges Werk erschöpfen könnte, auf den knappen Raum einer Zwischennummer zusammenzupressen, ohne die herrliche Dichtung um ihre Wirkung zu bringen. Ich glaubte sie durch starke aber kurzgefasste Thematik, nahe aneinander gerückte Kontraste, vor allem aber durch möglichst symmetrischen und durchsichtigen Bau lösen zu sollen.

    Nun wendet sich die Betrachtung dem Abendmahle zu. Die Gemeinde singt die beiden Strophen: „Schmücke dich, o liebe Seele“ und „Jesu, wahres Brot des Lebens“; eingeleitet wird der Gesang durch ein Vorspiel, in welchem sich die Violoncelle der Orgel anschließen und mit ihr die erste Melodiezeile imitatorisch verarbeiten. Nach der ersten Strophe treten die Bratschen mit Zwischenspiele hinzu; und als Nachspiel, das weiter ausgeführt ist, auch die Geigen und Bässe. Dieses Hereinziehen der Streichinstrumente geschah, um dem Vortrag mehr Ausdruck und Innerlichkeit zu verleihen, als der unbewegliche Orgelton allein geboten hätte. Ist der Musikchor von der Orgel aber durch einen zu weiten Raum getrennt, dann muss eben auf diesen Schmuck verzichtet werden, und die Orgel trägt diese Sätze auf kontrastierenden Klavieren allein vor. Die Einsetzungsworte werden in Form eines Ariosos, mit schlichten Melismen durchsetzt vorgetragen; ihnen folgt, mit Hinzutritt der Streichinstrumente, ein Satz von festerem Gefüge auf die Worte: „Bleibet in mir, und ich in Euch ...“ (Joh. 15,4.5).


    Unmittelbar an diese Segensworte Christi schließt sich ein großer Dankchor an. Der Text - er ist der „Lehre der zwölf Apostel“ entnommen - atmet den männlichen, freien und kräftigen Geist der früh-christlichen Kirche. Um den Ton dieser alten Hymne festzuhalten, aber auch um die Fülle des gebotenen Textes in eine einheitliche Form gießen zu können, griff ich auf den einstimmig rezitierenden, unbegleiteten Gesang zurück, wie ihn jene Zeiten kannten, wie er in der katholischen Kirche sich bis auf die heutigen Tage erhalten hat, ohne mich aber darum den musikalischen Motiven des gregorianischen Gesanges anzuschließen.


    Das Gebet, von dem wir nur einen Teil bringen konnten, zerfällt in einzelne Abschnitte, die jedesmal in einen litaneiartigen Ruf auslaufen. Um die Strophen von ihren Refrains zu trennen, gab ich erstere einem einstimmigen Männerchore, letztere dem vollen Chor mit Hinzutritt aller Instrumente. Dadurch entging ich auch der Gefahr der Monotonie, wiewohl sich diese Gruppe viermal zu wiederholen hat. Von demselben Gesichtspunkte ausgehend und wohl auch angeregt durch die größere Innigkeit zweier Stellen, ließ ich in der dritten und vierten Strophe auch die Männerstimmen kurze vierstimmige Sätzchen singen, jedoch unbegleitet wie ihre ganze Partie, und beiderseits durch einstimmige Stellen eingeschlossen. An den letzten Refrain schließt sich ein kurzes fugiertes „Amen“ des vollen Chores an.


    Der Evangelist leitet nun mit den Worten: „Solches redete Jesus, und hob seine Augen auf gen Himmel und sprach“, in das Hohepriesterliche Gebet über. Auch hier ist der Stoff in seiner Ausdehnung und Bedeutsamkeit ein gewaltiger. Professor Spitta hatte den glücklichen Gedanken, die Gebetsworte Jesu dreimal durch kurze Chöre zu unterbrechen; mit war dadurch aber die Aufgabe vorerst nur erschwert worden, da die Texte derselben formal und inhaltlich ganz selbständige Gebilde erforderten. Das Stück schließt mit den beiden Zeilen: „Liebe, dir ergeb‘ ich mich, dein zu bleiben ewiglich“ aus dem Chorale „Liebe, die du mich zum Bilde“. Ich stellte nun zwischen diesen Chorsätzen dadurch eine nicht nur musikalische, sondern auch Stimmungseinheit her, dass ich die Melodie dieser Choralzeilen unter die Singstimmen der drei vorausgehenden Chorsätze als basso ostinato legte. Die musikalische Einheitlichkeit war dadurch, sowie durch die immer wiederkehrende selbe Tonart dieser Zwischensätze, gerettet; der Stimmungswert dieser vorausgreifenden Verwendung des Chorales kann sich aber natürlich nur dem Wissenden erschließen: ein Schicksal, das diese Nummer mit vielen ähnlichen Gebilden bei Bach und Anderen teilt. Die Gebetsworte Jesu habe ich bei erhöhten Momenten der Empfindung auf die alte Intonation jenes Gebetes gegründet, das uns Jesus selbst gelehrt hat, des „Vater unser“, wie sie nicht nur in der alten, sondern auch in der evangelischen Kirche gebräuchlich ist.


    Mit den angeführten Choralzeilen im Sopran und einem zweimaligen Amen schließt diese Nummer; die Orgel leitet mit dem Anfangsmotiv der Melodie „An Wasserflüssen Babylon“ in den Schlusschoral des ersten Teiles über, der von der Gemeinde auf den Text: „Mein Lebetage will ich dich aus meinem Sinn nicht lassen“ gesungen wird.


    Zweiter Teil.

    Gleich mit dem Eingangschore des zweiten Teiles wandelt sich die Grundstimmung des Werkes um. Wie Jesus sich mit seinen Jünger vom Abendmahle erhebt und dem Ölberge zuschreitet, so rafft sich die Gemeinde auf, um ihm dorthin zu folgen. Der Chor singt die Worte: „Stehet auf und lasset uns mit Jesu gehen.“ Die fugierte Form wurde hier aus poetischen Gründen gewählt, um den allmählichen Aufbruch der Gemeinde zu schildern. Ein homophones Seitenthema über die Worte: „auf dass wir erkennen, dass er den Vater liebet und also thut, wie ihm der Vater geboten hat“, tritt zuerst in der Seitentonart, am Schlusse in der Haupttonart auf. In der Mitte des Stückes, in der Durchführung, bringt der Text: „Es kommt der Fürst dieser Welt, und hat nichts an ihm“ neue töne in das Gesamtbild; und so haben wir einen breit ausgeführten Sonatensatz vor uns. Die Gemeinde tritt unmittelbar nach dem Schlussakkord mit der Melodie: „Mach`s mit mir, Gott“ ein und singt die beiden Strophen: „Mir nach, spricht Christus, unser Held“, und „So lasst uns denn dem lieben Herrn mit Leib und Seel` nachgehen“. So öffnet sich, mit sanft ausklingenden Orgeltönen, das Portal zum Schauspiel der Qualen und Schmerzen des Erlösers. Die Gemeinde findet aber, im Besitz der Heilswahrheit, die Kraft und den Mut, die Trauer um das Leiden Christi mit Akzenten des Dankes, der innigen freudigen Gottesliebe, ja des Triumphes zu durchsetzen. Und darin unterscheidet sich diese Passion von allen ihren Vorläufern. Von der Handlung wird gerade nur so viel verwendet, wie als Grundlage für Betrachtung und Gebet erforderlich war.


    Die nun folgenden Recitative des Evangelisten, auf die Melodie: „O Haupt voll Blut und Wunden“ aufgebaut, sind absichtlich in viel reicherem Maße mit Zwischen tönen, Erweiterungen u.s.w. durchsetzt als diejenigen des ersten Teiles. Nur selten tritt die Melodie ganz unverbrämt in die Erscheinung, und dann meist mit einer bestimmten, leicht herauszufindenden Absicht; so gleich anfangs bei den Worten: „Da nun Jesus wusste alles, das ihm begegnen sollte“, und später sogar im Munde von Pilatus: „Sehet, das ist euer König!“ Jesus hält durch die erste Partie, die Gefangennahme, wieder gewisse Harmonie- und Melodie-Eigentümlichkeiten fest, die mir der Situation zu entsprechen schienen. Die Kriegsknechte rufen ihr zweimaliges „Jesum von Nazareth“ - das zweite Mal um einen halben Ton höher - auf Grundlage von Akkorden, die gegen die vorhergehenden stark kontrastieren. Hier zeigt sich schon ein Kunstmittel an, das in der Folge stets verwendet wird, wo es gilt, auch die Chöre der Juden von dem Übrigen loszulösen und herauszuheben; es ist, als ob ein Riss durchs Bild ginge, so oft die feindlichen Mächte eintreten.


    Ergriffen von den liebeüberströmenden Worten Jesu: „Suchet ihr denn mich, so lasset diese gehen“, singt der Chor über leisen und ruhigen Harmonien: „Der Herr ist mein Licht und mein Heil ...“; als Mittelsatz tritt zu den Worten: „Darum so die Bösen an mich wollen ...“ (Psalm 27,1.2) ein heftiges und rauhes Thema in kurzem Fugato ein. - An die weitere Erzählung vom Knechte Malchus und die Worte Jesu: „Soll ich den Kelch nicht trinken ...“ knüpft der Chor eine Bearbeitung des Chorales: „Was Gott thut, das ist wohlgethan, muss ich den Kelch gleich schmecken ...“ Die Anknüpfung an das Wort „Kelch“ ist nur eine äußerliche; die innerliche beruht auf der Ergebung in Gottes Willen. Mit den ersten Melodieschritten, in ihrer Verkleinerung zu Achtelnoten, durchziehen die Streichinstrumente den ganzen Satz; die drei oberen Singstimmen bringen dazu die Motive der einzelnen Zeilen in Viertel-, der Bass in Halben-Noten.

    Die Erzählung schreitet bis zu den Worten Jesu fort: „Was schlägest du mich?“; hierauf folgt ein Arioso für eine Altstimme. War es schon an sich geraten, die allzudichte Aufeinanderfolge von Chorsätzen einmal zu durchbrechen, so schien mir gerade der Text: „Christus hat uns ein Vorbild gelassen ...“ (1.Petri 2, 21.23) weniger zu lyrischer Ausbreitung geeignet. Die Begleitung - ausnahmsweise nur dem Streichorchester überlassen - drückt in ihren Harmonien das schmerzliche Bild des geschlagenen göttlichen Antlitzes aus.


    Pilatus fragt: „Was bringet ihr für Klage wider diesen Menschen“, und die Juden antworten: „Wäre dieser nicht ein Übelthäter...“. Zum ersten Male erscheint das den Volkschören zugesellte Motiv, aus kreischenden und heulenden Tönen zusammengesetzt; ebenso gleich darauf: „Wir dürfen niemand töten.“ Im Verlaufe des Stückes trachtete ich, bei jedem neuen Eintritt dieser Chöre den Sprung in den Tonarten immer zu vergrößern. Da das Orchester stets vorausschlägt, bietet sich der Ausführung keine nennenswerte Schwierigkeit. - Der Sänger der Partie des Christus möge nicht übersehen, dass in den Verhören vor Kaiphas und Pilatus auch kraftvolle und stolze Töne angeschlagen werden; er hüte sich aber vor aufgeregter Leidenschaftlichkeit. Den Worten: „Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme“ fügt das Harmonium zwei Takte schmerzlichen und doch ergebenen Ausdrucks hinzu, die in der Folge wiederkehren und an Bedeutung gewinnt.


    Pilatus thut endlich die große Frage: „Was ist Wahrheit?“; auf schwankenden Harmonien wird mit dem Motiv des folgenden Stückes in dasselbe übergeleitet; wie ein Echo tönt es vielfältig zurück: „Was ist Wahrheit?“ Und nun wird derselbe Gedanke zuerst von Solostimmen, dann vom Chor mit der ängstlichen Frage: „Herr, wohin sollen wir gehen?“ erfasst. In immer dichterer Verstrickung kanonischer Imitationen werfen sich die Stimmen das Thema zu; die Stimmung wächst bis zu leidenschaftlicher Höhe an, um sofort zu verzweifelter Ratlosigkeit zusammenzusinken. Da ertönt, zuerst von einer Stimme vorgetragen, dann vom Chor aufgenommen, die erlösende Antwort: „Du hast Worte des ewigen Lebens“; und es entwickelt sich über die folgenden Worte: „Wer da bleibet in deiner Rede, der wird die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird ihn frei machen“ ein Wechselgesang zwischen Solo- und Chorstimmen, der zu einem breiten und kräftigen Schluss führt. In dieser Stimmung kann nun die Orgel das Motiv der Frage wieder aufnehmen, denn diese hat ihre Beantwortung im glauben gefunden; und die Gemeinde darf mit den Liedstrophen: „Ach bleib mit deinem Worte ...“ und „ Ach bleib mit deinem Glanze ...“ diesen Abschnitt beschließen.


    Die folgenden Partien des Evangeliums kann ich hier übergehen, da das Allgemeine darüber schon gesagt ist. - Der Evangelist singt bei der Stelle: „Da überantwortete er Jesum, dass er gekreuziget würde“ auf dem Wort „gekreuzigt“ eine schmerzerfüllte Tonreihe, die, mit kleiner rhythmischer Umgestaltung, das ganze folgende Stück - eine Bearbeitung des Chorales „Herzliebster Jesu“ - durchzieht. Der zu Grunde gelegte Text: „O große Lieb`, o Lieb` ohn` alle Maßen, die dich gebracht auf diese Marterstraßen! Ich lebte mit der Welt in Lust und Freuden, und du mußt leiden!“ atmet eine so leidenschaftliche Beteiligung der christlichen Gemeinde an den Schreckensbildern der Kreuzigung, dass sich der Ausdruck fast bis zu dramatischer Höhe steigern durfte.

    Nach den Worten des Evangelisten: „Allda kreuzigten sie ihn“, die der früheren Tonfigur unterlegt sind, setzt im Harmonium ein neues Motiv ein, welches mit seinen harmonischen Rückungen und Verschränkungen später als Folie für die letzten Worte Jesu am Kreuz dienen wird. Hier galt es, die furchtbare Szene mehr anzudeuten, durch wortlose Tonsprache mehr zu verhüllen als zu schildern. In stockender und fast flüsternder Weise vollendet dann der Evangelist seinen Satz. - Nach den ersten, Maria und Johannes betreffenden Worten Jesu entwickelt sich eine Bearbeitung des Chorales: „O du Liebe meiner Liebe“. Mit der Verkürzung des Themas umspielen die Bratschen einen freien Satz von vier Solostimmen, während dem Alt-Chor die Melodie zugeteilt ist.

    Das Evangelium wird beschlossen: „Und neigete das Haupt und verschied“. Hier war der Moment gegeben, die durch Christi Tod erlöste Gemeinde aus der menschlichen Trauer zum großen Gesichtspunkt des Triumphes zu erheben, bis zu jenem mystischen Gedanken: „Das Lamm, das erwürget ist, ist würdig zu nehmen Ehre, Preis und Lob“. Unvermittelt durften jedoch diese Töne nicht angeschlagen werden, und so stellte sich der Text: „Weine nicht; siehe es hat überwunden der Löwe, der da ist vom Geschlechte Juda“, beide Grundstimmungen in sich vereinigend, zwischen die Trauer um den Tod Jesu und den Siegeshymnus der erlösten Christenheit. Ich habe es seit meiner frühesten Bekanntschaft mit Bachs Matthäuspassion immer als nicht hingehörend empfunden, dass die Gemeinde nach dem Tode Jesu sich in Einzelindividuen auflöst, und jeder für sich an seinen eigenen physischen Tod denkt, statt seine Gedanken auf die Überwindung des Todes der Menschheit durch Jesu Opfertod zu richten. Bei Professor Spitta fand ich zu meiner Genugthuung denselben Gedankengang vor, und so wagten wir etwas, das in dieser Konsequenz ohne Vorgang ist. Die Zeit wird entscheiden, ob wir damit einen Missgriff gethan haben; anfängliches Befremden allein könnte uns nicht davon überzeugen.


    Diese Nummer hat folgenden Gang: Auf einem einzelnen fremden Tone, der anfangs noch gar keine Tonart zu erkennen giebt, klopft die Bratsche in unregelmäßigen Pulsschlägen wie ein Herz, das im Schmerz still zu stehen droht. Die einzelnen Stimmen des Chores rufen sich - aber thränenüberströmt - die Mahnung zu: „Weine nicht!“ und raffen sich bei den Worten „Siehe, es hat überwunden der Löwe...“ in kurzer Steigerung zweimal zu höchster Kraft empor; dann sinkt der Chor in die Tiefe: „Weine, weine nicht!“ Und nun, nach kurzer Pause, ertönt in glänzenden, aber feierlichen Akkorden die Siegeshymne: „Das Lamm, das erwürget ist...“ Die folgende Amen-Fuge ist von diesen Tönen durchzogen und steigert sich in der Koda bis zu höchster Wucht und Breite.

    Unmittelbar daran - um den Überschuss der Helligkeit gegen den Schluss hin wieder abzudämpfen - schließt der Chor, in leisen Harmonien, die Melodie: „O Haupt voll Blut und Wunden“ mit dem Vers: „Du hast mich ja erlöset“, durchsetzt mit Betrachtungen der Solostimmen über den Text: „Daran haben wir erkannt die Liebe, dass er sein Leben für uns gelassen hat, auf daß wir in ihm Frieden haben. In der Welt habt ihr nun Angst; aber seid getrost: er hat die Welt überwunden.“ Die Gemeinde fällt mit dem Vers: „Hilf, dass ich ja nicht wanke“ ein, und nach dem Beschluss: „Gottlob, es ist vollbracht!“ erhebt sie sich, bei ihrem Ausgange noch durch ein ernst-kräftiges Orgelnachspiel begleitet. Es liegt in einer kürzeren und einer längeren Fassung; je nach der Größe der Gemeinde mag die eine oder andere gewählt werden; beherrscht ist das Nachspiel von der ersten Zeile des Schlusschorales; der längeren Fassung ist eine Choralfuge in die Mitte gestellt.


    Musste der Komponist schon bei Abfassung dieses Werkes der allzu persönlichen Laune seiner künstlerischen Phantasie Schranken setzen, so hofft er, dass es ihm auch als Berichterstatter gelungen sein wird, den Standpunkt reiner Sachlichkeit keinen Augenblick aus dem Augen zu verlieren. Dass er aber schließlich doch für sein Werk einstehen musste, wird ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden.

    Josef Mysliveček (1737-1781):
    ISACCO FIGURA DEL REDENTORE, OSSIA ABRAMO ED ISACCO
    (Isaak, ein Vorbild des Erlösers oder Abraham und Isaak)

    Oratorium in zwei Teilen

    Libretto von Pietro Metastasio nach dem Buch Genesis, Kapitel 22

    Originalsprache: Italienisch.


    Uraufführung in der Fastenzeit des Jahres 1776 in Florenz.


    Besetzung:
    Abraham, Stammvater der Kinder Israels (Bass)

    Isaak, sein einziger Sohn (Tenor)

    Sara, seine Frau (Sopran)

    Gamari, Freund Isaaks (Mezzosopran oder Alt)

    Ein geflügelter Himmelsbote (Sopran).


    Ort und Zeit: Israel in biblischer Zeit.


    Erster Teil.

    Seinem Sohn Isaak schildert Abraham Erlebnisse aus seinem langen Leben. Und von den Geschichten des Vaters kann der Junge nicht genug bekommen - er hört immer wieder andächtig zu. Er verspricht dem Vater auch, ein anständiger Mensch zu sein, die Ehre Gottes hochzuhalten und sich seiner Herkunft stets bewusst zu bleiben. Zwischen Vater und Sohn, kann man sagen, besteht ein inniges Verhältnis.


    Aber dann geschieht etwas eigenartiges, in der Konsequenz sogar schreckliches: Ein Engel verlangt von Abraham, dass er seinen einzigen Sohn Isaak zum Zeichen des Gehorsams gegenüber Gott als Opfer darbringen soll. Tief bestürzt über Jahwes Gebot wagt der Erzvater Abraham keinen Widerspruch und beginnt mit den Vorbereitungen, das grausame Gebot des Herrn zu erfüllen. Als er seine Frau Sara informiert, entgleisen deren Gesichtszüge; sie fragt sich, ob Gott es ernst gemeint hat. Das Scheiden von ihrem Sohn fällt ihr schwer, aber sie stimmt auch ihrem Mann zu, wenn er sagt, dass man dem Willen des Herrn gehorchen muss. Und der betroffene Sohn Isaak ahnt nicht, welchen Auftrag Gott seinem Vater gegeben hat und er verabschiedet sich von seiner Mutter und seinem Freund Gamari: Bald wird er wieder zurück sein - Hirten und Freunde kommen hinzu und wünschen eine „Gute Reise“.


    Gamari aber hat gemerkt, dass es Abraham und Sara nicht gut geht; er glaubt, Sorgen und Nöte in den Gesichtern der Eltern seines Freundes Isaak sehen zu können. Und Sara erzählt ihm tatsächlich, was Jahwe befohlen ihrem Mann befohlen hat. Aber auch Gamari stimmt Abrahams Diktum zu, dass man dem Herrn zu gehorchen hat. Wir sind, sagt er, auf dieser Erde alle nur Pilger, und der Tod tritt an jeden Menschen heran, mal früher, mal später.


    Zweiter Teil.

    Abraham und Isaak haben sich zum Opferaltar begeben und Sara lässt die Ungewissheit über das Schicksal ihres Sohnes keine Ruhe. Sie schickt ihnen einen Boten nach, der ihr über den Verlauf berichten soll. Dem Boten hat sich auch Gamari angeschlossen und er berichtet Sara nach seiner Rückkehr, dass er Isaak noch lebend vorgefunden habe.


    Und der Delinquent Isaak? Der ahnt inzwischen, was mit ihm geschehen soll. Tatsächlich unterbricht ein Himmelsbote die Opferhandlung, der Abraham das Messer wegnimmt. Der bis zum bitteren Ende gehorsame Abraham hört, dass Jahwe kontrollieren wollte, wie weit sein Knecht bereit sei, seinen, Gottes Willen, zu erfüllen. Die Emotionen dominieren, als die beiden wieder zu Hause eintreffen.


    Abraham meditiert, weshalb ein Mensch, der Pech und Unglück gewohnt ist, derart aus der Fassung geraten kann, wenn ihm etwas Gutes widerfährt. Sara freut sich, dass die Familie wieder zusammen ist. Und Isaak lässt sich die Gedanken, die er auf dem Opferstein hatte, nochmals durch den Kopf gehen.

    Selbst den Engel hält es nicht im Himmel. Er kommt noch einmal auf eine Tasse Tee vorbei und verkündet Abraham eine reichhaltige Nachkommenschaft. Alle singen Jahwes Lob...


    © Manfred Rückert

    Carl Orff (1895-1982):
    DE TEMPORUM FINE COMOEDIA
    (Das Spiel vom Ende der Zeiten)

    Oratorienoper in drei Teilen

    Libretto vom Komponisten nach Sibyllinischen Weissagungen und Orphischen Hymnen

    Originalsprachen: Altgriechisch, Lateinisch, Deutsch.


    Uraufführung 1973 bei den Salzburger Festspielen.


    Besetzung:
    9 Sibyllen (3 dramatische Soprane, 4 Mezzosoprane, 2 Alte)

    Anachoreten (Tenor, 5 Baritone, 2 Bässe, 1 tiefer Bass)

    Die letzten Menschen (3 gemischte Chöre, 1 kleiner Chor [Soprane und Mezzos] im Orchester

    Chorführer (Sprecher)

    Lucifer (Sprecher)

    Alt solo, Tenor solo, Knabenstimmen.


    Ort und Zeit: Am Ende der Zeit.



    Erster Teil: Die Sybillen.
    Neun Sibyllen verkünden weh schreiend die Schrecken des Weltgerichtes. Sie behaupten, dass Egoismus die Quelle allen Übels ist und die Besitzgier der Menschen jeden Krieg anheizt. Deshalb ist an eine Erlösung des Menschengeschlechts nicht zu denken. Deren Los aber wird schrecklich sein – der Baum löst sich auf, die Sibyllen schweben durch die Luft davon und setzen dabei ihre Klagen fort.


    Die Frage ist, ob man dieses Klagen ernst nehmen muss. Man kann – und etliche tun das auch – der Meinung sein, dass es kein Strafgericht geben wird, weil es Gott auch nicht gibt. Die „Schuld“ (eine Begriff, den man hinterfragen muss) wird am Ende der Zeit vergessen und machen demzufolge auch Sanktionen überflüssig. Ein frühchristlicher und sonderbarer Heiliger, der aus Alexandria stammende Origines (er ist nicht so prominent wie der Herr Augustinus) denkt sich für die Zeit nach dem Ende aller Zeit Geschöpfe aus, die materielos existieren sollen. Denn Materie ist ein Fluch und als einst Engel gegen ihren Schöpfer rebellierten, bekamen sie zur Strafe Materie zugeteilt. Der eine mehr der andere weniger, je nach Größe der Schuld. Origines macht die Materie zu dem Rohstoff erkalteter Liebe. Das heißt aber auch, dass die Materie die Konsequenz der Sünde ist, denn die Welt besteht ja aus Materie. Er prognostiziert, dass nach reichlicher Sünde die Welt vernichtet wird – und dann ist alles wieder so schön wie vorher.


    Die Sibyllen haben schwebend zu gehört und bleiben bei ihrer Meinung. Sie prophezeien, dass die Gerechten – sofern es überhaupt welche gibt – nicht gerettet und sogar mit den Gottlosen zugrunde gehen werden. Auch werden alle Elemente verschwinden: Feuer zum Kochen, Trinkwasser fehlt und die Atemluft ist nur noch in Spuren da. Zu guter Letzt stürzt auch noch Himmelsgewölbe ein und alles ist dunkel.



    Zweiter Teil: Die Anachoreten.

    Man könnte über solche Aussichten ins Schwitze kommen. Doch Gelehrte sehen das anders und die Anachoreten wieder ganz anders. Sie glauben an die Ankündigung des Strafgerichts, glauben auch, dass nach würdig und nichtswürdig sortiert wird. Was im Umkehrschluss natürlich heißt, dass Luzifer Anspruch auf einen fairen Prozess hat. Und auch die Verbüßung von individueller Schuld erfolgt nicht in irgendeiner fernen Zukunft, sondern jederzeit, denn man kennt ja das Sprichwort, wonach Gott kleine Sünden sofort bestraft. Aber die immer wieder gestellte Frage nach dem Datum steht seit Jahrhunderten im Raum, und eine zufriedenstellende Antwort kennt kein Gelehrter, kein Kirchenvater, keine Eminenz und kein Papst.


    Weil der Mensch aber ein Resultat erwartet, zaubert man sich einen Traumgott zurecht, dem seltsame Theologen mehr Kompetenz zutrauen, als den Sibyllen. Die Traumbilder, die vorgegaukelt werden, sind allerdings nicht erhebend. Vor allen Dingen signalisieren sie zum Ende der Zeiten einen völligen Verfall der Wohnkultur, denn die Lebewesen kriechen aus Löchern. Gesichter hat keiner mehr, an ihre Stelle treten Masken. Eine signalisiert Glück, die andere Entsetzen. Der Handel bietet keine Auswahl an.


    Beunruhigt denken alle nur an das Ende und fragen, ob man genügend Vorbereitungen getroffen hat. Besonders bemerkenswert ist die Feststellung, dass die Sonne implodiert und die Massen gegen Dunkelheit und leergefegten Himmel protestieren. Die Erde ist ja ohnehin kahl, sie rotiert wie wahnsinnig und der Boden verliert sich unter dem Schritt.


    Die Anachoreten können nicht länger beschönigen, denn sie müssen ihre Auffassung den Sibyllen annähern. Die letzten Menschen rufen und flehen gegen einen Himmel, der stumm bleibt. Man erwartet, dass dem Spuk endlich ein Ende gemacht wird, aber Gott schweigt und der Mensch, dialogunfähig geworden, ist mit sich allein.



    Dritter Teil: Dies illa.
    Plötzlich kommt Rettung aus einer Gegend, aus der man sie zuletzt erwartet hätte: Luzifer tritt als Lichtbringer in Erscheinung. Vergessen scheint, dass er vor Urzeiten schon einmal Feuer hatte legen wollen, aber am Höchsten gescheitert war, worauf die Folge sein Höllensturz war. Aber er öffnete weit die Pforten seiner Hölle, damit es die Menschen auch ohne Sonne warm haben. Die Menschheit wird noch begreifen, dass er, den man man nun Höllenfürst nennt, es mit ihnen gut meint, weil das Feuer doch läutert.


    Was aber ist mit dem großen Auge am Horizont? Es zerbricht in Millionen Einzelteile, denn es kann die Milliarden Schandtaten auf der Erde nicht kontrollieren, es ist gescheitert.


    Die Frage, wer Luzifer war und ist, wird nie befriedigend beantwortet werden. Er ist aber der einzige, der noch ein Gesicht hat. Alles, was an ein Ungeheuer erinnert, ist obsolet und die Bilder, die sich beispielsweise ein (zugegebenes Genie wie) Hieronymus Bosch ausgedacht und auf Malerleinwände gepinselt hat, kann man nicht mehr ernst nehmen, denn wenn Luzifer seine Helme oder Hüte abnimmt, sieht man seine roten Haare auf die Schulter fallen. Kann er die Menschheit vielleicht „zu neuen Ufern“ führen?


    Jedenfalls ist die Lösung, die Carl Orff anbietet, dass eine neue Einheit von Geist und Materie entstehen und die alte Schöpfung vernichtet werden muss, nicht befriedigend, denn die „Neue“ ist nicht klar definiert. Es scheint wohl so zu sein, dass jeder zu seinen Lebzeiten auch seine Fehltritte abbüßen muss, weil ansonsten die Schuldenberge zu groß sind, die nicht bereinigt werden könnten. Wir hoffen, können nur hoffen, dass sie weniger Murks aufweist…


    © Manfred Rückert

    Karl Martin Reinthaler (1822-1896): Jephta und seine Tochter, 2 CDs


    jpc hat Reinthalers Werk - ich muss sagen: leider - gsstrichen. Wolfgang Helbich hat dieses Oratorium in einer nach meiner Meinung nach hörenswerten Interpretation bei cpo eingespielt. Man muss sich allerdings - soweit man das Opus von Händel kennt - von dessen Klangwelt verabschieden, wird aber sofort von einer gänzlich anderen Klangwelt unmittelbar eingenommen.

    Carl Martin Reinthaler (1822-1896):
    JEPHTA UND SEINE TOCHTER

    Oratorium in zwei Teilen nach dem Alten Testament vom Komponisten.

    Uraufführung (näheres nicht ermittelt) in Wuppertal unter Carl Reinicke.


    Besetzung:
    Jephta (Bass)

    Miriam, seine Tochter (Sopran)

    Ein Mädchen (Alt)

    Ephraim (Tenor)

    Ein weiteres Mädchen (Sopran)

    Ein Prophet (Bass)

    Vierstimmiger Chor.


    Ort und Zeit: Im Heiligen Land, etwa 1300 v. Chr.


    Erster Teil, erstes Bild: Die Not der Kinder Israels.
    Die Israeliten beklagen sich über Gott, weil er angeblich zu wenig unternimmt, um es vor Schaden zu bewahren. Der Feind versucht nämlich gerade, Israel zu zertreten. Durch den Mund eines Propheten stellt Jahwe aber die Klagen als Hirngespinst dar: hat er das Volk nicht aus den Händen der Ägypter und Philister befreit? Haben sie ihm das je gedankt? Abgewandt haben sie sich von ihm und auch noch fremden Göttern gehuldigt. Denen klagten sie ihr Leid und baten sie um Hilfe und Jahwe stellt daraufhin seine Hilfe zurück. Das göttlich-prophetische Donnerwetter zeigt Wirkung, denn die chorischen Äußerungen lassen erkennen, dass die Einsicht, Gottes Wohltaten nicht ausreichend gewürdigt zu haben, gestiegen ist.


    Eine Jungfrau schaltet sich ein: sofern man Gott sucht, wird er sich auch finden lassen. Er verstößt nicht für alle Zeiten, kündet sie, sondern wird sich auch gnädiglich erbarmen. Der Prophet rät, dass die Flehenden ihre Kleider zerreißen, sich baden und dann neu gewandet vor das Angesicht Jahwes treten. Die Israeliten bekräftigen, dass der Herr in jeder Art von Bedrängnis die einzige Zuflucht und grundsätzlich der alleinige König von Israel ist. Er möge seine Knechte trösten und sein Angesicht über sie leuchten lassen, damit sie wieder gesund werden. Er allein ist König von Israel, den das Volk um Hilfe nun anfleht.


    Zweites Bild: Jephtas Erwählung.

    Miriam, die Tochter Jephtas, und ihre Freundinnen haben vom Auszug der Kinder Israels aus Ägypten Vorstellungen, die man im Reich der Fabulierkünste verorten muss und deren Wahrheitsgehalt schwer nachvollziehbar ist. Als die Israeliten aus fremdem Lande in Kanaan ankam, war Juda sein Heiligtum und Israel seine Herrschaft.


    Jephta aber hatte Probleme mit seinen Stiefbrüdern - und wegen seiner unehelichen Geburt haben ihn die Verwandten ausgestoßen. Gott hat die Frevler nun in des Feindes Hand gegeben. Jahwe, der Herr, tut ihnen an, was sie ihm angetan haben. Sie wollten seine klagende Stimme nicht hören, und sie trieben ihn aus dem Haus des Vaters in die Wüste. Er weinte, flehte, doch seine Brüder wollten ihn nicht bei sich wohnen lassen. Nun ist Jephta der Fremde unter den Heiden.


    Miriam sagt, dass der Vater vergeben der Familie das Üble vergeben soll. Hat Gott ihm die schweren Prüfungen auferlegt? Ratschläge gibt es reichlich, auch von Ungefragten: Er soll sein Herz den Brüdern zuneigen, die sich reuig an ihn gewandt haben. Den Grimm soll er fahren lassen, weil Jahwe seinen Zorn an der Familie auslassen könnte. Wenn sich Jephta aber gütig zeige und in Jacobs Haus zurückkehre, wird der Allmächtige die Feinde schlagen.


    Die Ältesten der Kinder Israels bitten Jephta wegen seiner militärischen Kompetenz mit ihnen gegen den Feind zu ziehen. Jephta schimpft, dass sie ihn aus seinem Elternhaus vertrieben haben und nun, in Verlegenheit gekommen, seine Hilfe wollen. Es versteht sich, dass man einem Schlachtenführer etwas bieten muss: zunächst dass Versprechen, ihn als Oberhaupt aller zu bestimmen, die in Gilead wohnen. Jephta reicht das nicht; er will ein lebenslanger Richter in Israel werden. Wird man ihm diesen Wunsch erfüllen?


    Drittes Bild: Die Feinde.

    Chorisch werden Jephtas Widersacher gewarnt: Fliehen sollen sie, denn der Bogen ist gespannt und die Pfeile stecken im Köcher zum Abschuss bereit. Am Lagerfeuer machen sich die Kämpfer gegenseitig mit solchen Sprüchen Mut. Aber die verzagten Herzen muss man aufmunternd sagen, dass Gott der Herr mit seinem Volk ist und helfen wird.


    Jephta erhebt sich von seinem Lager und ruft seine lahmen Krieger, dass sie aufstehen, sich bewaffnen und mutig kämpfen sollen.


    Die Feinde klopfen ebenfalls große Sprüche: Baal wird ihnen den Sieg gegen den Feind verleihen. Sie werden mit Schwert und Pfeilen kämpfen. Und tatsächlich schläft Baal nicht, denn die Kinder Israels stehen auf verlorenem Posten, einige fliehen, während Jephta sich auf Beschwörungen verlegt, und plötzlich eine kuriose Idee hat: wenn Gott ihm, Jephta, den Sieg gewährt, will er dem Höchsten die erste Person, die ihm in der Heimat entgegen kommt, als Opfer darbringen. Spricht es mit Überzeugungskraft, allerdings ohne weitere Überlegungen angestellt zu haben – dann zieht er mit seinen Kriegern nochmals in die Schlacht. Und jetzt weichen die Ammoniter zurück.



    Zweiter Teil, viertes Bild: Der Sieg und das Leid.

    Freundinnen versuchen, Miriams unruhiges Herz ruhig zu stellen. Sie bitten zum Beispiel, ein Lied über Israels Freiheit zu singen. Die Angesprochene ergänzt, wenn Israel tatsächlich frei ist, soll man Harfen und Zimbeln nehmen, damit sie den Kriegern mit ihrem ihrem Vater frohen Mutes entgegen gehen können. Einschränkend muss man jedoch sagen, dass der Sieg nicht phänomenal war, denn große Erfolge werden mit Pauken und Trompeten angekündigt. Trompeten- und Paukengeschmetter ist hier nicht angesagt, aber man singt und die Töchter Judas vollführen sogar traditionelle Reigentänze, um Jahwe zu ehren.


    Miriam geht auf den Vater zu, um ihn zu begrüßen – und reibt sich erstaunt die Augen, denn Jephta ist unübersehbar niedergeschlagen. Sie versteht es nicht und bekommt zur Antwort, dass er seinen Mund aufgetan und dem Herrn dummes Zeug geschworen hat. Er kann dieses Schwur natürlich nicht widerrufen, er ist an ihn gebunden. Warum hat er, fragt er sich, dieses gar lieblich anzuschauende Kind großgezogen? Kann der Herr wirklich so grausam sein und auf der Einhaltung des Gelübdes bestehen? Das Volk ist ebenfalls ratlos, kommt mit Sprüchen wie „dass vor dem Herrn niemand bestehen kann“ oder, dass „der Herr im Himmel der Herrscher über alles und über jedes“ ist.


    Miriam teilt die Meinung des Volkes. Wenn man einen Eid geschworen hat, muss man ihn einlösen. Sie jedenfalls wird sich nicht querstellen, will aber mit anderen Jungfrauen in die Berge gehen, um zwei Monde lang ihre Jugend zu beweinen.


    Die Tränen der Freundinnen fließen und der Reigentanz ist mit Wehklagen verbunden. Es sind Gegensätze, die verdaut werden wollen. Miriam verlangt, das Weinen einzustellen, es betrübt sie und bricht ihr das Herz. Sie ist des Herrn Magd und seine Güte wird sie umfangen.


    Fünftes Bild: Die Entscheidung.

    Ephraim, ein junger Krieger hat schon seit längerem ein Auge auf Miriam geworfen. Und nun muss er hören, dass sie geopfert werden, und dass sie auf Nimmerwiedersehen in die Grube fahren soll. Kann der ewige Gott das wollen? Nein, sagt er, der Herr soll die Hand des Mörders verdorren lassen! Die Berge von Gilboa und die Hügel sollen einstürzen, und es soll weder regnen noch tauen, wenn solche böse Tat geschieht! Die Söhne Israels sollen jedenfalls Jephtas Übermut nicht unterstützen, denn es ist ein Gräuel vor dem Herrn, unschuldiges Blut zu vergießen. Ephraim schlägt vor, den Anmaßenden zu überfallen und zu verprügeln. Die Krieger stimmen zu.


    Jephta ist sich aber auch nicht Klar, ob er seine Tochter opfern oder genau dieses Opfer verweigern soll. Er ist, ganz klar und auch verständlich, in seelischen Nöten. Das Umfeld spricht sich gegen dass Opfer aus und Gott gibt ihm kein Zeichen. Vielleicht betet er aus diesem Grund zu Jahwe und verweist in dem Zwiegespräch auf Abraham, dem er in seiner Güte geholfen hat.


    Miriam aber geht wie ein Lamm zur Schlachtbank, ist dabei sogar verzückt. Sie geht ohne Angst aus dieser Welt und lobt dabei noch den Herrn. Das Volk schaltet sich ein, es fürchtet singend die Rache Jahwes, wenn das Opfer nicht vollzogen wird. Wie so oft kommt Hilfe aus dem Mund eines Propheten, der sich als Sprachrohr Jahwes versteht: Der zum Opfer bereite Jephta soll Miriam nicht töten, denn sie ist auch Gottes Tochter, der kein Leid geschehen soll – so jedenfalls verkündet es der Prophet, Jephta reagiert mit sichtbarer Erleichterung und dankt sich artig dem Propheten für seine Worte. Der Herr ist wirklich barmherzig, gnädig, geduldig und von großer Güte. Miriam wird leben und ihr Mund wird sein Lob überall verkünden. Der Madrigalchor wird sie hierbei unterstützen und stimmt das "Halleluja" an!


    © Manfred Rückert

    Rezső Sugár, (1919-1988):
    SAVONAROLA

    Oratorium in fünfzehn Bildern für Soli, Kinder- und gemischten Chor und Orchester.

    Libretto von einem unbekannten Autor nach einer ungarischen Erzählung.

    Originalsprache: Ungarisch.


    Entstehungszeit: 1979.


    Besetzung:
    Savonarola, Dominikanermönch und Bußprediger (Bariton)

    Domenico, Ordensbruder (Bass)

    Rodrigo Borgia, Papst Alexander VI. (Bariton)

    Lorenzo Medici, Stadtherr von Florenz (Bass)

    Francesco di Puglia, Franziskanermönch (Tenor)

    Drei Wortführer der Opposition.


    Ort und Zeit: Florenz, Ende des 15. Jahrhunderts.


    Erstes Bild.

    Der Karneval ist in Florenz die Zeit für Ausgelassenheit mit Gesang und Tanz. Auch in diesem Jahre zieht ein Festumzug durch die Straßen der Stadt. Und wieder sind es lebende Bilder aus der griechisch-römischen Antike, die von den Zuschauern mit bissigen oder auch nicht jugendfreien Kommentaren bedacht werden. Ein Wagen mit dem düsteren Kriegsgott Mars ist nur kurz ein Grund für Erstarrung, dann ergreift der Frohsinn wieder die Menschen.


    Zweites Bild.

    Diese Ausgelassenheit, verbunden mit manchen Obszönitäten, ist einem Mann ein Dorn im Auge: dem Bußprediger Savonarola. Der Mönch greift zu drastischen Worten, die in der Drohung mit dem „Ewigen Feuer“ gipfelt.


    Drittes Bild.

    So gerne das Volk den Karneval feiert, so kann es sich mehrheitlich der Wirkung der Worte Savonarolas nicht entziehen und gelobt sogar Besserung. Es argumentiert allerdings auch, dass es für ein tugendhaftes Leben keine geeigneten Vorbilder in der Stadt gibt - auch im Hause der Medici, dem regierenden Fürstenhaus, nicht. So weiß man doch, dass Lorenzo de Medici den armen Waisenmädchen die Mitgift raubt. Auch nervt sie der politische Führungsstil des Herrschers und man gibt zu, dass der nur mit reichlich Wein zu ertragen ist.


    Viertes Bild.

    Es ist aber auch normal, dass es Gegner des Bußpredigers gibt: Drei engagierte Bürger protestieren gegen ihn, aber die große Mehrheit verteidigt Savonarola, weil sie glauben, dass er für alle nur das Beste will, dass man von seinen politischen Ansichten keine Ahnung hat.


    Fünftes Bild.

    Lorenzo, dem man den Beinamen „der Prächtige“ gegeben hat, liegt im Sterben. Er hat nach Savonarola rufen lassen (der seine Politik bekämpft) und bittet ihn, ihm in der Todesstunde beizustehen.


    Sechstes Bild.

    Savonarola hat kein Problem damit, aber er stellt Bedingungen, wenn er dem Medici den Weg ins Jenseits ebnen soll:

    1. Lorenzo soll an die unendliche Gnade des Herrn glauben, was für diesen kein Problem darstellt.

    2. Er soll allen Waisenkindern das geraubte Geld zurückgeben, was der Prinz zumindest in Aussicht stellt.

    3. Diese Bedingung ist die Schwierigste, denn er soll dem Volk die Republik zurückgeben - und dazu schweigt Lorenzo. Nur: ohne diesen Verzicht gibt es keine Absolution!


    Siebtes Bild.

    Ein Liebhaber von Orgien wird Papst: Rodrigo Borgia besteigt als Alexander VI. den päpstlichen Thron und Savonarola hetzt die Bevölkerung gegen ihn auf, weil er dessen Lebenswandel nicht akzeptiert. Das unbestimmte Schicksal der Kirche erregt unter den einfachen Menschen Besorgnis


    Achtes Bild.

    Die Bevölkerung ist auch unzufrieden, weil das Leben der einfachen Menschen immer freudloser und unerträglicher wird. Den Dominikaner Savonarola drängt es plötzlich nach politischer Macht und er sieht sich heftiger Opposition ausgesetzt. Durch Spendenaufrufe will er das allgemeine Elend lindern und die Tränen trocknen, was wiederum Zustimmung findet.


    Neuntes Bild

    Das Elend der Armen interessiert die Reichen nicht; sie wollen den Glanz von Florenz erhalten: die prächtigen Bauten und die zahlreichen Kunstwerke sollen den Ruhm der Stadt in die Welt tragen. Einerseits ist man dem Bußprediger zugetan, weil er sich sozial engagiert, verübelt ihm aber, dass er den Karneval als Sündenpfuhl ausrotten möchte. Wenn es nach ihm geht, sollen vornehme Kleider, Bücher und Musikinstrumente und alles, was zur Sünde verführt, vernichtet werden. Der Eiferer ruft zum Bildersturm auf.


    Zehntes Bild.

    Die „Verbrennung der Eitelkeiten“ nimmt ungeahnte Ausmaße an.


    Elftes Bild.

    Savonarola hat es offensichtlich zu weit kommen lassen - er sitzt nun zwischen allen Stühlen. Natürlich fordert die Kirche Enthaltsamkeit vom Kirchenvolk (selbst hält man sich in den oberen Etagen für sakrosankt!), aber Savonarola übertreibt es und wird immer anmaßender. Er geht deutlich in die Opposition gegenüber dem Papst, der auf keinen Fall auf die Prachtentfaltung verzichten will. Und der Heilige Stuhl greift zum letzten Mittel gegen Savonarola: die Exkommunikation.


    Zwölftes Bild.

    Allgemeine Verstörung auf breiter Ebene: Ein Franziskanerpater namens Francesco di Puglia fordert Savonarola auf, sich der Feuerprobe zu unterziehen. Zu diesem Schritt ist der sogar bereit, doch ein Ordensbruder, Fra Domenico, will (man darf das „naiv“ nennen), den Feuerzauber stellvertretend auf sich nehmen. Die drei oppositionellen Wortführer sind mit dieser Lösung auch einverstanden, denn, so denken sie, wer ins Feuer tritt, kann ihm auch nicht entkommen.


    Dreizehntes Bild.

    Eine Prozession zieht psalmodierend zum großen Platz des Rituals. Die genannten drei oppositionellen Wortführer sind aber misstrauisch und verlangen, dass Domenico den weiten Mantel ablegt, denn der könnte verzaubert sein und seinen Träger schützen. Nicht genug damit, wollen sie, dass Savonarola sich weit abseits stellt, um den „Stellvertreter“ nicht spirituell beeinflussen zu können. Und das Kreuz darf natürlich nicht mit ins Feuer genommen werden. Diese Verzögerungen lassen das Volk murren, wobei außerdem plötzlich die Natur sich durch Sturm und Regen bemerkbar macht. Das Feuer kann jedenfalls nicht entfacht werden. Und das Kirchengericht hat auch inzwischen gesprochen: die Feuerprobe wurde verboten!


    Vierzehntes Bild.

    Das Volk aber verlangt nach dem Spektakel und will nicht nach Hause gehen. Die drei Wortführer hetzen es außerdem auf: Savonarola habe sich mit den Mächten der Unterwelt zusammengetan, die den Sturm herbeigeführt haben, um dem Volk jegliches Vergnügen zu nehmen.



    Fünfzehntes Bild.

    Und dieses Volk ist nun aufsässig und verlangt nach dem tödlichen Schauspiel. Laut schreiend behauptet es, dass der Bußprediger Savonarola sich gegen das Leben versündigt hat und diese Meinung hat sogar der Kinderchor! Aber wir Nachgeborene wissen es besser, denn die Historiker haben genauestens geforscht…


    © Manfred Rückert

    Johann Heinrich Rolle (1716-1785):
    WEIHNACHTSORATORIUM

    Libretto von einem unbekannten Autor.


    Uraufführung am 23. Dezember1769 im Seidenkramer-Innungshaus zu Magdeburg und am 21. Dezember 1771 an gleicher Stelle.


    Besetzung:
    Soli: Sopran, Alt, Tenor und Bass

    Vierstimmiger Chor

    Orchester: Trompeten, Pauken, Hörner, Querflöten, Oboen, Fagotte;

    Violinen I und II, Viola, Violoncello, Kontrabass, Chitarrone, Cembalo und Orgel.


    Notizen zum Komponisten.
    Johann Heinrich Rolle wurde 1716 als Sohn des Komponisten und Organisten Christian Friedrich Rolle in Quedlinburg geboren. Ersten Unterricht erteilte ihm der Vater, der übrigens zu den Bewerbern um das Leipziger Thomaskantorats gehörte, das aber Johann Sebastian Bach erhielt.


    Rolle senior wurde 1721 zum Direktor musices nach Magdeburg berufen, wo sein Sohn in die Altstädtische Schule ging, an der bereits Georg Philipp Telemann gelernt hatte. 1734 wurde Rolle junior Organist an der Magdeburger Petrikirche. Ein oft erwähntes Studium in Leipzig ist bis heute nicht nachweisbar. Seine Mitwirkung in der Hofkapelle Friedrichs II. in Berlin (als Geiger und Bratschist) ist dagegen belegt. Hier traf Rolle mit berühmten Zeitgenossen wie Carl Philipp Emanuel Bach, Johann Joachim Quantz, den Brüdern Benda und Graun zusammen. 1746 kehrte Rolle nach Magdeburg zurück, wurde Organist an der Johanniskirche und 1752 der Nachfolger seines verstorbenen Vaters.


    Charles Burney (von Christoph Daniel Ebeling übersetzt) hat Rolle als einen „feurigen und gedankenreichen Komponisten beschrieben“, der sich durch seine „Werke für die Kirche rühmlichst bekanntgemacht hat. In der Tat hat er, wie es auch in der Magdeburger Bestallungsurkunde heißt, schon „zu Lebenszeiten seines seel. Vaters“ durch die Komposition von „Kantaten für die hiesigen Kirchen“ überzeugt.


    Ob und inwieweit das hier besprochene „Weihnachtsoratorium“ jedoch als „Kirchenmusik“ zu gelten hat, ist fraglich, denn Johann Heinrich Rolle veranstaltete seine Konzerte in dem auf der Südseite des „Alten Marktes“ gelegenen „Seidenkramer-Innungshaus“. Die Idee war im Kreis des „Gelehrten Clubs“ entstanden, wo Rolle mit Johann Ludwig Gleim, Johann Georg Sulzer, Friedrich Gottlieb Klopstock, Christoph Christian Sturm und seinen beiden bevorzugten Textern Johann Samuel Patzke und August Hermann Niemeyer bekannt wurde.


    Notizen zum Werk.
    In Berlin und Wien sind je eine handschriftliche Partitur vorhanden, die Rolles Werk als ein Oratorium bezeichnen, obwohl es von der Aufführungsdauer nur etwa 45 Minuten in Anspruch nimmt und von daher besser als Kantate zu bezeichnen wäre. Abgesehen von diesem äußerlichen Merkmal ist dieses Weihnachtsoratorium ein Beispiel für die seinerzeit beliebte Form eines betrachtenden Chorwerks. Johann Georg Sulzer beschreibt das in der „Allgemeinen Theorie der schönen Künste“ von 1777 wie folgt:

    Ein mit Musik aufgeführtes geistliches, aber durchaus lyrisches und kurzes Drama, zum gottesdienstlichen Gebrauch bey hohen Feyertagen. Die Benennung des lyrischen Dramas zeiget an, daß hier keine sich allmälig entwickelnde Handlung, mit Anschlägen, Intriguen und durch einanderlaufenden Unternehmungen statt haben.


    Rolles Textdichter ist nicht bekannt. Er schildert nicht die Weihnachtsgeschichte nach Lukas, noch gibt es arkadische Hirtenszenen (wie sie etwa Ramler in seinem Opus „Die Hirten bei der Krippe zu Bethlehem“ geschrieben hat). Da der Stoff als bekannt vorausgesetzt wurde, verzichtete der Dichter darauf, dieses weithin bekannte Geschehen zu schildern, sondern er bringt religiöse Betrachtungen in seinem Text unter und führt nach italienischem Vorbild allegorische Figuren ein (Glaube, Freude, Andacht, Vertrauen, Tochter Zion des alten und Tochter Zion des neuen Bundes).


    Notizen zur Musik.
    Am Beginn des Oratoriums hören wir eine festliche, von Clarinen und Pauken getränkte Sinfonia, durchaus passend zum weihnachtlichen Geschehen. Der nachfolgende Chor greift ein Wort des Propheten Jesaja auf:

    Ach, daß du den Himmel zerrissest, und führest herab, daß die Berge von dir zerflössen wie im heiligen Wasser von heftigem Feuer versiedet (Jesaja 64,1).
    Dieser Moll-Satz kontrastiert zum lichten Dur der Sinfonia und erweist sich als für Rolles Kompositionen symptomatisch, nämlich mit einfachen Kunstgriffen die Situation anschaulich vorstellen. Die „Tochter Zion des alten Bundes“ (dem Sopran anvertraut) meldet ihre Freude auf die Ankunft eines Mittlers oder Vertreters Jehovas an, aber der Chor (in der Rolle des Volkes) glaubt es nicht, muss, wie es ausgedrückt wird, weiterhin warten. Die Szene wird durch ein akkordisches, vom Orchester begleitetes Rezitativ geschlossen:

    Wird denn die Sehnsucht nicht gestillet?
    Das personifizierte Vertrauen (für den Bass gesetzt) tritt mit einer Da-capo-Arie auf, auf die im anschließenden Rezitativ die Gewissheit ausdrückt, dass „jetzt die Zeit erfüllt ist“.


    Es folgen lyrisch-betrachtende Musikstücke, die z.B. von der Glaubensgewissheit über die Ankunft des Messias berichten, und in einem anderen Duett eine italienisch beeinflusste Melodie diesen Gedanken weiterspinnt - eines der empfindsamsten Stücke in Rolles Partitur, das auch im B-Teil durch die Wendung nach Moll keine trüben Gedanken aufkommen lässt.


    Weiters kommen die Ereignisse auf dem Feld bei den Hirten und folgend im Stall zu Bethlehem zur Sprache, wobei auch immer wieder der Heilstat Gottes gedacht wird. Tonmalereien zeigen den Engel des Herrn auf die Erde kommend, wie er den Hirten die Freude über die Geburt des Heilands mitteilt. Und die Äußerung der Hirtenschar - natürlich nur für die Männerstimmen gesetzt - aber sehr kurz gehalten, bekommen auch das Zittern der Hirten durch entsprechende „instrumentale Malereien“ in die Noten geschrieben. Es sind die Pauken und Trompeten, die diesem Teil das weihnachtliche Gepränge geben.


    Der Schlussteil des Oratoriums besingt die Erfüllung aller Prophezeiungen und Rolle lässt durch zwei Hörner den Glanz von Weihnachten erstrahlen. Der Schlussgesang (auch von den Hörnern begleitet) besteht aus dem Lied (Melodie Wittenberg 1524)

    Der Sohn des Vaters, Gott von Art,
    ein Gast in der Welt hier ward
    und führt uns aus dem Jammertal,
    er macht uns Erben in sein’m Saals.
    Kyrieleis.
    Das hat er alles uns getan,
    sein groß Lieb zu zeigen an.
    Des freu sich alle Christenheit
    und dank ihm des in Ewigkeit.
    Kyrieleis.

    Mit dem strahlenden Instrumentalklang, der schon dein Eingangschor beherrscht hat, geht nun, durch die Hörner zu einem würdigen Ende gebracht, dieses kurze Weihnachtsoratorium zu Ende.


    © Manfred Rückert

    Andreas Romberg (1767-1821):
    DER MESSIAS

    Oratorium in drei Teilen für Soli, Chor und Orchester

    nach der Dichtung von Friedrich Gottlieb Klopstock zusammengestellt von Johann Friedrich Reichardt


    Uraufführung wahrscheinlich 1800 in Hamburg; Belege für eine Aufführung gibt es nicht.


    Besetzung:
    Tenor (Eloa)

    Sopran (Eva)

    Bass (Adam, Stimme des Messias)

    Tenor (Benjamin)

    Tenor (Jedidda)

    Vierstimmiger Chor

    Orchester: Violinen I und II, Viola,, Violoncello, Kontrabass, Flöten, Oboen, Klarinetten, Fagott, Horn, Trompeten und Pauken.



    Informationen zum Komponisten.

    Andreas Jakob Romberg (geboren 1767 in Vechta und gestorben 1821 in Gotha) gehört zu den Vergessenen im Musikbetrieb. Der zum Violinvirtuosen ausgebildete und später auch als Komponist reüssierende Romberg gehörte zu Lebzeiten zu den Gefeierten, geriet aber nach seinem Tod schnell in Vergessenheit. Allenfalls weiß ein Musiklexikon, dass er Schillers „Lied von der Glocke“ und dass „Messias“-Epos von Friedrich Gottlieb Klopstock (in der Bearbeitung von Johann Friedrich Reichardt) in Musik gesetzt hat. Wenn der Musik-Freund ins Detail geht, erfährt er noch, dass Romberg die Messias-Partitur dem Verleger Simrock mit den Worten „als etwas Rares, was nur von Kennern und echten Liebhabern gekauft wird“ angeboten hat. Und genau diese Wortwahl machte seinem Opus dann den Garaus, denn Simrock ahnte wohl, dass das Oratorium für ihn kein Verkaufsschlager werden würde und lehnte den Druck ab. Romberg war bestimmt enttäuscht und hat die Partitur auch keinem anderen Verleger angeboten - eines von vielen Werken, die für die Schublade bzw. ein Archiv komponiert wurden.


    Informationen zum Dichter Klopstock und Bearbeiter Reichardt.

    Ganz anders Klopstocks Messias-Epos: Es gehörte damals zu den bekanntesten und weit verbreitetsten Dichtungen. Zwischen 1748 und 1773 entstanden und in 20 Gesänge gegliedert und galt das Werk als Inbegriff einer gehobenen wie auch empfindsamen Sprache. Und hier kommt der Musikschriftsteller und Komponist (von Singspielen und empfindsamen Liedern), Johann Friedrich Reichardt, ins Spiel. Er war ein Bewunderer von Klopstocks Dichtung und kam auf die Idee, eine Auswahl für eine Komposition zu treffen. Tatsächlich gelang es ihm, eine überschaubare Auswahl von Klopstocks Texten zu schaffen, die trotzdem die Aussage und den Gehalt des Werkes behielt. Und diese Auswahl ließ er 1782 im Musikalischen Kunstmagazin veröffentlichen und knüpfte daran die Bitte oder Anregung an Komponisten, seine Kurzfassung zu vertonen. Ob Reichardt übrigens selbst den Versuch einer Komposition unternommen hat, ist nicht bekannt.


    Informationen zum Werk.

    Zehn Jahre nach der Veröffentlichung von Reichardts Fassung, also 1792, lernte Andreas Romberg dessen Version kennen. Damals war er als Geiger mit seinem Cello spielenden Vetter Bernhard in der renommierten Bonner Hofkapelle tätig, in der auch Koryphäen wie der junge Ludwig van Beethoven und Antonin Reicha spielten; außerdem genoss er Unterricht bei Christian Gottlob Neefe, der auch als Lehrer Beethovens bekannt ist. In der Arbeit dieser Hofkapelle lernte Romberg die Sinfonien Haydns und die der so genannten Mannheimer Schule kennen. Der bis dahin nur als Violinvirtuose bekannte Musiker hatte bis dato auch nur Konzerte für sein Instrument und eine Messe in B-Dur geschrieben (in einer Abschrift erhalten geblieben und neuerdings in einer kritischen Notenausgabe auch gedruckt). In der Folgezeit wurde Andreas Romberg mehr und mehr vom Virtuosen zum Komponisten.


    Romberg war fasziniert von Reichardts Bearbeitung des Klopstock-Textes und setzte sie sofort in Musik. Zu Ostern 1793 wurde der „Messias“ in Bonn „in Gegenwart des Kurfürsten und sämtlichen Adels“ uraufgeführt. Als kurz darauf Napoleons Truppen nach Bonn kamen, löste sich die kurfürstliche Hofkapelle aus und die Rombergs verließen Bonn Richtung Hamburg. Hier konnte Andreas Romberg zunächst als freier Künstler Fuß fassen und arbeiten, doch die Kontinentalsperre, ausgelöst durch Napoleons imperialistischen Drang, zwang ihn 1815 nach Gotha.


    Um das Jahr 1800 muss Rombergs Messias-Musik in Hamburg aufgeführt worden sein. Kurt Stephenson, der 1938 eine Biografie über Romberg verfasst und veröffentlicht hat, weiß von einer Aufführung zu berichten. Merkwürdigerweise gibt es keine irgendwie geartete Dokumentation oder auch Berichte über dieses Konzert – weder in Zeitungen noch in privaten Äußerungen oder Schriften. Auch von Klopstock gibt es keine Äußerung, was man eigentlich hätte erwarteten können, weil er ja über ein solches Projekt informiert gewesen wäre.


    Unter den Figuren, die Klopstock sprechen lässt, ragt der unbiblische Eloa heraus. Er ist bei Klopstock ein Führer der Engelschar, der Ersterschaffene aller Seraphinen. Insofern ist er auch in Reichardt Version eine wichtige Figur. Er droht den Menschen zunächst das Gottesgericht an, wandelt sich aber dann zu einem Lobenden des einzigen Gottes, nachdem der Messias seine Mission erfüllt hat. Das wird ihm durch zwei umfangreiche Arien ermöglicht, die ihm Romberg in dritten Teil seines Oratoriums gönnt. Der Komponist hält sich zwar an die barocke Form des A-B-A, durchschreitet dabei aber ein weites Feld motivischer Entwicklung. Im harmonischen und klanglichen Reifeprozess greift Romberg in die Welt der Romantik voraus. Ansonsten sind seine Arien an die barocke Da-capo-Arien-Form angelehnt, aber die musikalische Harmonik greift immer wieder in die Sphäre der Klassik und Romantik voraus. Die Choreinwürfe sind dagegen schlicht gehalten.


    Um 1802 hat Romberg seine Partitur einer gründlichen Überarbeitung unterzogen. Romberg hat die einer grundlegenden Überarbeitung unterzogen, bei der u.a. auch ein neuer Schlusschor, „Lob, Anbetung und Preis und Ehre“, hinzugefügt wurde.


    © Manfred Rückert

    Aulis Sallinen (*1935):
    BARAB
    BAS-DIALOGE
    Kammeroratorium in sieben Szenen für fünf Sänger, einen Erzähler und sieben Spielern
    (Klavier – Violine – Violoncello – Flöte – Klarinette - Akkordion – Percussion).
    Eine Auftragskomposition des Musikfestivals von Naantali.
    Libretto von Lassi Nummi nach biblischen Texten
    Originalsprache: Finnisch.

    Entstanden 2002/2003.

    Besetzung:
    Barabbas (Bariton)
    Die Frau (Mezzosopran)
    Judas (Bassbariton)
    Das Mädchen (Sopran)
    Der Jüngling (Tenor)
    Einer der zwölf (Erzähler)

    Ort und Zeit: Jerusalem zu Beginn unserer Zeitrechnung.


    1.
    Der Komponist setzt Verse von Lassi Nummi an den Beginn des Oratoriums, die durchaus Poesie haben, aber inhaltlich wenig aussagen. Auch der biblische Bericht ist mehr als dürftig, deshalb hat Barabbas’ Lebensgefährtin das erste Wort:
    Irgendwo lauscht irgendwer, gestimmt von Furcht.
    Irgendwer hört jedes Rauschen in der Nacht.
    In der schwarzen Nacht wacht jetzt nicht auf! Wacht noch nicht auf!
    Im schwarzen Raum der Zeit,
    Tausend Galaxien voneinander getrennt,
    nähern wir uns einander mit Lichtgeschwindigkeit.

    Es sind Gedanken über die Jugend, das Glück und die Zärtlichkeit, über das Schweigen und über Stille und Ewigkeit.


    2.

    Das Äquivalent zu Barabbas ist Judas, der sich darüber beklagt, gegen seinen Willen zur Rolle des Verräters gekommen zu sein. Er benutzt Worte des Hiob (die dem Komponisten auch gefallen haben). Die Zeit auf Erden flieht dahin, nichts Gutes und auch kein Glück zurücklassend.


    Einer von Jesu Jüngern sagt, dass sich die prophetischen Schriften durch Judas erfüllt haben. Aber dieser Judas verzweifelt, denn er fürchtet sich vor den Schmerzen, die ihm Jahwe für seine Tat bereiten wird. Warum also soll er sich bemühen, wo er doch für immer und alle Zeiten schuldig gesprochen wurde? Wo ist Gerechtigkeit für ihn? Eine Chance der Verteidigung für sein Verhalten sieht er nicht!


    Einer anderer Jünger Jesu offenbart, dass Judas schon lange vor seiner Geburt von Gott ausersehen wurde, die alten prophetischen Worte zu erfüllen. Und er kann sich noch so sehr sträuben (er kann es auch lassen), aber Gott hat das „Rollenspiel“ schon vor Urzeiten vorgesehen.


    3.

    Barabbas steht allein, denn seine früheren Gefährten haben ihn bei seiner Verhaftung verlassen. Er weiß, dass auf Märkten, in den Häusern, alles normal weitergeht. Wieder meldet sich einer von den Zwölfen, der gehört haben will, dass der Landpfleger Pilatus den Juden vorgeschlagen hat, einen Gefangenen ihrer eigenen Wahl freizugeben (und hoffte, dass sie den „Judenkönig“ erwählten) – sie aber erkoren tatsächlich den Mörder Barabbas.


    Judas lobt die Treue der Frau, die zu ihm gehalten hat. Sie war seine Wärme und das Licht in der Dunkelheit. Seinen Platz als Verbrecher hat nun Jesus inne. Und Landpfleger Pilatus überließ ihn der Willkür des Pöbels, berichtet einer der Zwölf, der dann hinzufügte, dass der „Meister“ dann für jenen Barabbas inhaftiert wurde.


    Barabbas aber konnte seine Augen nicht von dem Geschehen auf Golgatha abwenden: im Versteck sah er jenen dort hängen, wo er normalerweise gehangen hätte. Er sah aber auch in den Gesichtern der anderen Gekreuzigten, was Todesfurcht bedeuten kann. Barabbas aber verließ Golgatha, er hatte genug gesehen, und er trank einen Becher Wein nach dem anderen.


    4.

    Judas aber klagt immer noch über sein Schicksal, dass er nicht wenden konnte. Kann es sein, dass es ihm vorbestimmt wurde, fragt er sich. Ihm blieb nichts anderes übrig, als die Dinge laufen zu lassen. Der Höchste habe ihm das Erdendasein gewährt, das Umfeld wurde ihm zugeteilt – Liebe hat er bekommen und sein Geist wurde vor Schaden bewahrt.


    Aber was Jahwe, der Höchste, tatsächlich mit ihm im vorhatte, blieb ihm verschlossen. Nun sind seine Lebenstage gezählt; müde ist Judas geworden und er bittet um Trost vom Gott der Väter.


    5.

    Das Stück wendet sich nun, da alles gesagt ist, nach dem Willen der Autoren dem Hohelied des Salomo zu. Und da ist ein junges und schönes Mädchen, das die Winde auffordert, zu ihr zu kommen. Denn ihr Freund ist eingeladen, edle Früchte zu schmausen. Der junge Mann hat ähnliche Wünsche: er will Myrrhen und Balsam riechen, will Wein probieren und Milch trinken. Er behauptet, dass seine Geliebte Wesen so wertvoll „wie des Pharao Stute“ ist und ihre Augen so schön glänzen wie die einer Taube. Die so Angesprochene sagt, sie sei entweder die Rose zu Saron oder eine Lilie im Tal. Die beiden geraten ins Schwärmen und er sagt noch, dass sie wie eine Lilie unter Dornen sei, was nichts anderes bedeutet, dass er sie für die Schönste unter den Töchtern des Landes hält.


    Später erzählt sie dann, dass er sie in seinen Weinkeller geführt und sich dann wie ein „Panier“ über sie gelegt habe. Sie sei später hungrig geworden und habe nach Trauben und Äpfeln verlangt. Sie beschwört die Töchter Jerusalems, dass sie sich nicht lustvoll gebärden sollen, um ihre Sinne nicht unnötig zu reizen. Wenn sie mit ihrem Freund schläft, möchten sie nicht geweckt werden, weil sie von allein aufwachen wollen.


    6.

    Eine gedankliche Umorientierung ist notwendig: Eine Frau versucht, in einem Gespräch Barabbas’ Aufmerksamkeit zu wecken. Sie erklärt, dass ein Prediger gesagt habe, auf dieser Welt sei alles eitel. Welchen Nutzen bringt es dem Menschen, wenn er leidend geboren wurde? Er lädt sich jeden Tag Mühe und Schmerzen auf. Ein Geschlecht löst das andere ab, aber die Erde hat Bestand und bleibt ewiglich. Ist das wirklich so? Die Aufgabe der Sonne ist es, auf- und unterzugehen. Wenn sie damit fertig ist, läuft sie zu ihrem alten Platz zurück und der Zyklus geht von vorn los. Barabbas bestätigt, dass die Sonne auf- und untergeht, aber wenn es hell ist, kann man leben.


    Wieder muss man gedanklich sich umorientieren: Das Mädchen hat die merkwürdig Bitte, dass er sie „wie ein Siegel auf sein Herz“ pressen soll und dann will sie auf seinen Arm genommen werden. Einigkeit herrscht zwischen beiden, dass die Liebe stark wie Eisen und Tod ist. Merkwürdig auch die geäußerten Vergleiche: sie ist eifersüchtig und unersättlich wie ein Friedhof. Oder: ihre Blitze sind gleich den Feuerblitzen und Flammen des Himmels. Auch: Das Wasser soll die Liebe nicht auslöschen und die Ströme sie nicht ertränken. Wahr ist, dass durch das Licht Helligkeit in die Welt kommt, wogegen man die Dunkelheit als den Kontrast sehen muss. Der Schoß und das Grab beispielsweise sind beide dunkel.


    Zurück zum freigekommenen Mörder: Fürchtet sich Barabbas vor dem Tode? Weniger den Tod fürchtet er, als die Unsterblichkeit. Ihm wäre es am Liebsten, wenn seine Reise in die ewige Nacht der sanften Dunkelheit führt – in die gnädige Leere und das Vergessen. Er ist sich mit seiner Gefährtin einig, dass in der Begrenztheit des Lebens seine Schönheit liegt.


    Und diese liegt in Wohltaten, zärtlichen Gedanken und in der Beständigkeit der Tugend.


    7.

    Ein Gedicht von Lassi Nummi leitet das Finale ein. Einer der Zwölf leiht ihm seine Stimme:

    Eine große, liebliche Melancholie:
    ich habe schon alles.
    Und so, wie ich es sehe,
    auch das innere Gefühl für das, was vergeht.
    Ich bin schon leicht,
    bin ganz nutzlos geworden.
    Eins fehlt noch
    in dem bis zum Rand gefüllten
    Kelch der Demut,
    ein Tropfen:
    mein eigener Tod, der Tod selbst.

    Alle sehen den Strom des Lebens von der Geburt bis zum unvermeidlichen Tod fließen. Barabbas wendet sich an die Zedern, die sich auf den Bergen des Libanons erheben; sie sollen ihm sagen, ob es jenseits dieser Welt, die wir sehen können, etwas Unsichtbares, Großes, Stilles und Geheimes gibt.


    Die Frau weiß zu berichten, dass ER kam, um sie zu suchen und zu finden. Das Königreich ist nahe, denn es ist in euch. ER, der auf dieser Erde wandelte, ginge in unserer Mitte und sagte: „Es ist in Euch““ Alle wiederholen diesen Satz. Judas verkündet, dass ER, der die Gestalt eines Dieners annahm, verspottet, verhöhnt und gekreuzigt wurde, sagte: „Meinen Frieden gebe ich Euch.“


    © Manfred Rückert


    Alessandro Scarlatti (1660-1725):
    CAINO OVERO IL PRIMO OMICIDIO

    (Kain oder der erste Mord)
    Oratorium in zwei Teilen

    Libretto vermutlich von Antonio Ottoboni; Vorlage ist das Buch Genesis, Kapitel 4.

    Originalsprache: Italienisch.


    Uraufführung : Fastenzeit 1707 in Venedig.


    Besetzung:
    Caino, Kain (Alt)

    Abel, in der Partitur „Abelle“ (Sopran)

    Eva (Sopran)

    Adamo, Adam (Tenor)

    Voce di Dio, Stimme Gottes (Alt)

    Voce di Lucifero, Stimme Luzifers (Bass)


    Ort und Zeit: Biblische Zeit.


    Erster Teil.

    Die Handlung setzt nach der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies ein. Diese Vertreibung aus der Nähe des Schöpfers ist ein einschneidendes Ereignis in der Familien- Entwicklung und Adam gibt sich selbst die Schuld an diesem Unglück. Die Liebe zu seinem Weibe Eva hat ihn leichtgläubig werden und offensichtlich falsch handeln lassen.


    Aber auch Eva hat tiefsitzende Schuldgefühle; sie akzeptiert deshalb die Strafe Gottes, das Paradies verlassen zu müssen. Abel ist nachfühlend und versucht, seine Eltern zu trösten. Er verweist auf seine Opfergaben, mit denen er Gott besänftigen will. Das empört wiederum Kain, der argumentiert, dass es ihm als dem Erstgeborenen zustehen würde, diese Opfer darzubringen. Vater Adam mag keinen Streit in der Familie und bittet darum, den Zwist brüderlich beizulegen. Beide sollen, sagt er, opfern, aber bedenken, dass es wichtiger sei, Gott ein reuevolles Herz darzubringen. Das findet auch Mutter Eva als ein wichtiges Argument; sie ergänzt, dass beide Söhne ihre Gaben auf den jeweiligen Scheiterhaufen lagen sollten.


    Sie bittet Gott, dass er die Opfer ihrer Kinder annehmen möge. Doch die jetzt sichtbare Reaktion ist ein abermaliges Ärgernis für Kain, denn bei Abels Brandopfer lodert Flamme auf, während seine Flamme nur rußt. Das ist für den beleidigten Kain Grund genug, seinem Bruder Rache zu schwören. Adam und Eva bemerken das Nahen Gottes und fordern dazu auf, den Geboten des Höchsten in Demut zu folgen.


    Nach einer feierlichen Zwischenmusik verkündet die göttliche Stimme, dass Abels Opfer angenommen wurde. Sie rät Abel, seine Nachkommen zur Frömmigkeit zu erziehen. Eva und Adam prägen diese Worte ihren Söhnen ein. Sie seien nicht als Ratschläge, sondern als Gebote zu verstehen. Die Stimme Luzifers fordert Kain auf, sein Recht durchzusetzen und Abel zu töten. Kain geht darauf ein. Um sein Ziel zu erreichen, will er dem Bruder Freundschaft vortäuschen. Kain lädt Abel heimtückisch ein, seine Felder zu besichtigen. Abel bittet seinen Bruder, bei einer gefährlichen Wegstelle die Führung zu übernehmen. Beide besingen ihre brüderliche Eintracht.


    Zweiter Teil.

    Kain und Abel haben sich auf den Weg zu ihren Feldern gemacht und rasten gerade an einem Bach, an dem Abel übermüdet einschläft. Das nutzt Kain sofort und erschlägt seinen Bruder.


    Der Mord ruft Gott auf den Plan, der mit seiner dröhnenden Stimme Kain nicht nur zur Rede stellt, sondern ihn sogar verflucht. Er kündigt ihm an, dass die Menschen ihm mit Verachtung begegnen werden. Doch Kain nimmt Gottes Strafe ohne Murren an, glaubt aber mit einer gewissen Hoffnung sagen zu dürfen, dass sie nicht lange währen werde, da er schon bald tot sein werde. Bis dahin will er aber auf jeden Fall ein reuevolles Leben führen und bittet Gott, dass er ihm diesen Erdenwandel genehmigt und dann auch einen schnellen Tod gewährt. Gott entgegnet, dass er ihm durch ein Mal auf seiner Stirn vor der Gewalt durch andere schützen werde; aber er kündigt auch an, dass sein Leben und Wandeln auf der Erde seine Strafe sein werde. Verzweifelt weiß Kain nicht mehr, ob er leben oder sterben will.


    Eine düstere Zwischenmusik kündigt eine neue Entwicklung an: Luzifer erscheint und lobt Kain für seine Tat. Er behauptet von sich, dass seine Macht derjenigen Gottes gleichkomme. Darauf geht Kain aber nicht ein, sondern nimmt in Gedanken Abschied von seinen Eltern.


    Das Elternpaar Eva und Adam spürt, dass etwas nicht stimmt. Sie sorgen sich in einem Duett um ihre Söhne. Noch wissen sie nichts von dem Brudermord Kains. Aber dann informiert die Stimme Abels sie über den Brudermord und bittet sie, nicht über seinen Tod zu trauern, da ihm das Paradies sicher sei. Dennoch beweint Eva ihre beiden Söhne – den Ermordeten und den Vermissten. Auch Adam trauert um beide Söhne. Er weiß, dass der eine unschuldig war, erkennt in Kain aber auch seinen Sohn. Das Geschehene kann er nicht rückgängig machen, aber er kann es als göttlichen Willen und warnendes Beispiel für andere gelten lassen. Er bittet Gott um weitere Nachkommen, damit aus seinem Blut einst der Erlöser geboren werden könne. Gott verspricht ihm dies und ergänzt, dass seine Liebe nicht verloren sei. Er selbst, der Verachtete, werde zum Erlöser werden. Eva und Adam freuen sich auf die verheißene Zukunft.


    Anmerkungen:

    Dieses Oratorium trägt deutlich opernhafte Züge, den die Charaktere bestreiten die Handlung ohne Einschaltung eines Testo, eines Erzählers. Auch verlangt der Komponist keinen Chor. Das Instrumentarium besteht lediglich aus Streichern und Basso continuo. Es gibt mehrere Accompagnato-Rezitative, die zur Verstärkung des Ausdrucks und zur Kennzeichnung der Stimme Gottes sowie der Stimme Abels nach dessen Tod dienen. Scarlatti verwendete dabei zwei unterschiedliche Techniken: Die Stimme Gottes wird ausschließlich von gehaltenen Akkorden begleitet, die Stimme Abels hingegen hat eine bewegte Begleitung. Anders als in seinen früheren Oratorien verzichtete Scarlatti hier vollständig auf Strophenarien. Während er früher in den Arien eine reine Basso-continuo-Begleitung bevorzugte, werden diese nun fast ausnahmslos von Streichern begleitet, meist mit unisono geführten Violinen. Solistisch eingesetzte Instrumente sorgen für eine weitere Differenzierung. Eine Besonderheit dieses Werks ist der persönliche Auftritt Gottes als Solist. Aus theologischen Gründen wurde dieser Charakter üblicherweise mehrstimmig vertont, oder seine Worte wurden von einem Boten (Engel) übermittelt. Auftritte Luzifers hingegen waren in Oratorien zu dieser Zeit bereits häufig anzutreffen.


    Scarlatti komponierte die meisten seiner insgesamt 38 Oratorien und ähnlichen geistlichen Werke in Rom. Erhalten sind davon nur 21. Sein „Oratorio a 6 voci“ Il primo omicidio allerdings entstand dem Titelblatt der Partitur zufolge im Januar 1707 in Venedig. Am Ende des Manuskripts steht der Vermerk „7 Gennaio 1707“ (7. Januar 1707). Der Librettist ist nicht angegeben. Die meisten Quellen gehen davon aus, dass der Text von Antonio Ottoboni stammt. Das Libretto erschien erstmals 1706 bei Antonio Bortoli in Venedig unter dem Titel CAIN / OVERO / IL PRIMO OMICIDIO / Trattenimento Sacro per Musica / à sei Voci, / MUSICA DEL SIGNOR / ALESSANDRO SCARLATTI. 1710 gab es eine weitere Ausgabe bei Antonio de’Rossi in Rom.


    Die Partitur galt lange Zeit als verschollen. Sie wurde erst 1964 wiedergefunden.Das Oratorium wurde am 3. September 1966 in der Cripta di S. Domenico bei der XXIII. Muaikwoche Siena in einer auf Basis des Manuskripts erstellten Fassung von Mario Fabbri und Bruno Rigacci erstmals wieder der Öffentlichkeit vorgestellt.


    © Manfred Rückert

    Franz von Suppè (1819-1895):
    EXTREMUM JUDICIUM (Das Gericht der Toten)

    Requiem-Oratorium in zwei Teilen für, Chor und Orchester - Libretto von Otto Prechtler

    Originalsprache: Latein


    Uraufführung des Requiems am 22. November 1855 in der Wiener Piaristenkirche; eine Aufführung des überarbeiteten Werks zu einem Oratorium ist nicht belegt.


    Besetzung:
    Soli: Sopran, Alt, Tenor und Bass

    Chor: Vierstimmig

    Orchester: Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Hörner, Trompeten, Pauken;

    Violinen I und II, Viola, Violoncello, Kontrabass.


    Notizen zu Komponist und Werk.

    Francesco Ezechiele Ermengildo Cavaliere Suppè Demelli wurde am 18. April 1819 in Split als Sohn eines österreichischen Beamten geboren. 1832 entstand als erstes Werk die „Missa dalmatica“, die der 13jährige noch vier Jahrzehnte später einer Publikation für würdig erachtete. Nach der Schulzeit ging Francesco auf Wunsch des Vaters zu einem Jurastudium nach Padua, wo er Rossini, Donizetti und Verdi kennenlernte. Als der Vater 1835 starb und die Mutter, eine gebürtige Wienerin, den Haushalt im dalmatinischen Zara auflöste und mit dem Sohn in ihr Wiener Elternhaus zog, spielte für den Sohn die Juristerei keine Rolle mehr, sondern er begann, nein, kein Musikstudium, sondern der Medizin. Aber auch der Beruf als Arzt war kein Lebensziel, denn Franz von Suppè studierte bei Ignaz von Seyfried und Simon Sechter - letzterer übrigens der Lehrer von vielen bekannten Musikern, unter ihnen auch Anton Bruckner.


    Der wichtigste Helfer für die Bestrebungen des jungen Suppè zu einem Musiker war aber der Direktor des Theaters in der Josefstadt, Franz Pokorny. Er ließ ihn - ohne Bezahlung -vor das Orchester seines Theaters treten und, weil Pokorny auch den Theatern in Baden, Ödenburg und Preßburg vorstand, auch in diesen Häusern dirigieren. Von 1842 bis 1844 war Suppè hauptsächlich in Preßburg tätig, nicht nur als Hausdirigent, sondern auch als Komponist von Begleitmusiken, Ouvertüren und Einlageliedern in bekannte Opern. 1845 wurde Suppè Kapellmeister am Theater an der Wien, für das sein Mentor Pokorny auch noch zuständig war. An diesem Haus arbeitete von 1846 bis 1848 übrigens auch Albert Lortzing, mit dem Suppè Freundschaft schloss.


    1850 starb Pokorny und sein Schützling vollendete 1855 seinen persönlichen Nachruf für den Mentor, das hier vorliegende „Requiem“ in d-Moll. Das Werk hat seinerzeit großen Anklang gefunden, vor allem durch seinen „Schuss Italianità“ in der Partitur. Der Wiener Aufführung folgten weitere Aufführungen, aber Suppès Werdegang als Komponist der „Leichten Muse“ sorgten dafür, dass sein Requiem plötzlich als nicht „religiös“ genug und als „zu heiter“ kritisiert wurde - es verschwand in der Schublade und wurde schließlich ganz vergessen.


    An dieser Stelle kommt Otto Prechtler, österreichischer Staatsbeamter und Librettist von Dramen ins Spiel: er hat den Requiem-Text um lateinische Worte ergänzt, die zwischen Theatralischem und Geistlichem changieren, und Suppè hat diesen Text seiner Requiem- Vertonung hinzugefügt. Ob damit ein neues Genre, ein Requiem-Oratorium, geschaffen wurde, ist hier zweitrangig. Wichtiger ist die Feststellung, dass Prechtlers Dichtungen den Text der Totenmesse noch mehr Effektivität verleihen. Dabei ist die Struktur des Requiems erhalten geblieben. Es wurden allerdings keine Hinweise auf eine Aufführung dieser Fassung gefunden.


    Inhaltliches zum ersten Teil des Requiem-Oratoriums.
    Nach einem groß angelegten Präludium folgen Introitus (Requiem aeternam dona eis, Domine) und Kyrie-Bitte, komponiert für Soli, Chor und Orchester. Daran schließt sich ein Tenor-Solo an, in dem der „Tag des Zorns, Tag der Rache“ („Dies irae“) mit drastischen Worten angekündigt wird: Tote werden ihr „morsches Gebein“ regen und die Seelen werden schließlich vor Gott stehen, der das große Buch der menschlichen Sünden bereits in der Hand hält. Die Posaune ruft immer lauter, ist folglich bis in die hintersten Winkel der Erde zu hören. Die Toten aller Zeiten drängen heran und flehen um Gnade, harren aber auch auf den Richterspruch aus „dem Munde des Herrn“.


    Und genau diese Beschreibung des Solo-Tenors wird im folgenden „Tuba mirum spargens sonum“ (geschrieben für den Solo-Bass, Chor und Orchester) bestätigt. Der Solo-Sopran greift dann mit Schilderungen des Geschehens vor dem Weltenrichter ein: Unzählige Menschen, Männer wie Frauen, Bettler und Könige, harren der Worte des Höchsten und fleht ihn um Rettung an. Das wird auch im folgenden „Rex tremendae majestatis“ (König schrecklicher Gewalten) zum Ausdruck gebracht.


    Der Solo-Tenor erinnert daran, dass Gott der Herr sich von seinem Thron aus an die „sündige Welt“ wendet, und dass sich nun alle Reumütigen an die Leiden erinnern, die er als Gott-Sohn am Kreuz erlitten hat. Der Tenor berichtet und erinnert daran, dass das „Lamm“ auf Golgatha für jeden Menschen starb, und dass er noch in seiner Todesstunde dem reumütigen Schächer am Kreuz neben ihm vergab. Aus diesem Grunde ist die Bitte der Menschheit um Gnade gerechtfertigt. Auf das gesungene „Recordare“ (mit dem „Ingemisco“) folgt der Solo-Bass mit einer Betrachtung über die Menschheit, die vielfach dem Bösen verfallen sind und die auch jetzt nicht von ihm, dem Verderber, lassen können. Doch dann singt er

    Et jam, ecce lux
    Und sie
    h! Und sieh! Da wird’s hell.
    Engel umschweben der Gläubigen Haupt
    und tragen des Dankes Gebet zu Gottes Thron empor!


    Eine Komposition für Solo-Quartett, Chor und Orchester ist das sich anschließende „Confutatis maledictis“, das zunächst mit Unisono-Posaunen den strengen Text untermalt, das aber im nächsten Vers („Oro supplex“) in mildere Sphären (mit Orgel) ausweicht. Und diese milde Melodie herrscht auch im nächsten, für den Solo-Alt komponierten Stück vor, denn der „Engel des Friedens“ gleitet „sanft auf die Erde hinab“ und er bringt Hoffnung und Ruhe „in jegliches Herz“. Er bittet „bei deinem Kreuze, o Herr“ die Menschheit an jenem „Weltgerichtstag, wo der Reue Tränen fließen werden, mit Gnade zu behandeln.


    Es ist der Solo-Alt, der nun das „Lacrymosa dies illa“ zu einer vom Englischhorn sanft begleiteten Melodie vorträgt, die der Chor dann im „dona eis requiem“ übernimmt, wobei das abschließende „Amen“ in tragische Töne umschlägt.


    Inhaltliches zum zweiten Teil.
    Der im Amen des Lacrymosa angeschlagene Ton wird nun im Offertorium („Domine Jesu Christi“) übernommen und erhält einen zusätzlichen bedrohlichen Klang durch die eingesetzten Posaunen. Suppè fand eine ganz der Romantik zugewandte Melodie mit auf- und abschwellendem Chorklang, die „Jesus Christus, König der Herrlichkeit“ musikalisch beschreibt. In einem Gebet bitten die Völker, dass der Weltenherrscher die Menschen vor dem „Rachen des Löwen“ bewahren möge, und dass sie nicht von der Hölle verschlungen werden, sondern dass der heilige Michael alle ins helle Licht führen möge.


    Der Bass ruft zum Gebet für alle Menschen auf, auch für die, die im dunklen Schoß der Erde ruhen. Er bittet den Friedensengel, seine Flügel auszubreiten und kühlend über jene ungezählten Toten zu schweben. Das folgende „Hostias“ mit dem verbundenen „Quam olim Abrahae“ übernimmt der Solo-Bass, dem Chor und Orchester zugeführt werden. Es kommt dann dem Solo-Tenor zu, die Menge zum Lobe Gottes aufzurufen. Daran schließt sich der mehrmalige Sanctus-(Heilig)Ruf (für Chor und Orchester komponiert) an, bevor das „Hosianna in exelsis“ den Text abschließt. Vor dem „Benedictus“, in dem der „Gesegnete des Herrn“ angekündigt und gleichzeitig gelobt wird, darf der Solo-Alt auf diesen „Gesegneten“ hinweisen und ihn preisen. Der Solo-Sopran versucht, zu trösten:

    Preces et lacrymas fundite modo pro eis
    Opfert als letztes Geleit eure Tränen für sie,
    die geschieden von dieser Welt, von der sie auch immer zurückkommen;
    doch im besseren Jenseits erwarten sie uns, wo sie in Wolken die Tränen sammeln
    die wir geweint für sie und sie flehen zu Gott, dass diese Wolken sich über uns
    ergießen als kühlender, segnender Tau.
    Lamm des Himmels. Erlöser der Erde, gib ihnen Seligkeit und ewige Ruh’!


    Jede Requiem-Komposition schließt das „Agnus Dei“ (und das „Lux aeterna“) ab. Es gibt jedoch Komponisten, die auch das „Libera me“, eine Gebetsbitte an den Gott des Himmels und der Erden, vertonen - wie es auch Suppè getan hat. Vor diesem Gebet spricht es der Solo-Bass direkt an:

    Et jam preces ultima fiat pro mortuis fratribus nostris.
    Und nun unser letztes Gebet für der Entschlafenen Ruh!
    Befreie uns, o Herr, vom Tod, vom ewigen Tod am Tage des Gericht’s,
    wenn Erde und Himmel vergeht,
    wenn du kommst. Mit Feuer zu richten das sünd’ge Geschlecht.
    Zitternd nun blick ich zu dir, wenn den Urteilsspruch tönt
    und dein Zorn mich zermalmt, jenen Tag, dem Tag des Zorn“s,
    des Elends und Unglücks, der große, bitt’re Tag
    zermalmt mein sündiges Herz.
    Gib mir und allen die ewige Ruhe und das ewige Licht leuchte ihnen und mir.


    Und genau das, was der Solo-Bass bereits gesagt und gesungen hat, ist der Inhalt des die Komposition abschließenden „Libera me“, das Chor und Orchester anstimmen und dann, mit Rückgriff auf die Eingangsworte „Requiem aeternam dona eis, Domine, et lux perpetua luceat eis“, auch eine musikalische Reminiszenz an den Eingangschor vornehmen.


    © Manfred Rückert

    Georg Philipp Telemann (1681-1767):
    KAPITÄNSMUSIK 1738

    bestehend aus dem geistlichen Oratorium

    WOHL DEM VOLKE
    und der Serenata

    ES LOCKET DIE TROMMEL MIT WIRBELNDEN SCHLÄGEN
    aufgeführet anlässlich des jährlichen Ehren- und Freudenmahles der Herrn Bürger-Capitaines der Stadt Hamburg am 28. August 1738.

    Libretto von Jacob Friedrich Lamprecht (1707-1744).


    Besetzung:
    Hammonia, Allegorie Hamburgs (Sopran)

    Ihre Begleiterinnen:

    Die Andacht (Sopran)

    Die Gerechtigkeit (Bass)

    Die Wahrheit (Bass)

    Das Vertrauen (Tenor)

    Die Unachtsamkeit (Tenor)

    Chor: Sopran, Alt, Tenor, Bass (singen Hammonias Kinder und die Schäfer an der Elbe).

    Instrumentarium: 1 Blockflöte, 1 Traversflöte, 2 Oboen, 1 Fagott, 2 Hörner, 1 Querpfeife und 1 Trommel; Violine 1 und 2, Viola, Violoncello, Kontrabass, Cembalo, Orgel.


    Vorwort.

    Die Reichs- und Handelsstadt Hamburg hatte zu Telemanns Zeit etwa 75.000 Einwohner, wurde von einer mächtigen und geschützbewehrten Befestigungsanlage umgeben, die sämtliche Schrecken des Dreißigjährigen Krieges ferngehalten und 1686 auch die dänischen Truppen abgewehrt haben.


    Verteidigt wurden die Bastionen von ungefähr 2000 Söldnern des Stadtmilitärs und von Angehörigen der Bürgerwache. Jedes der fünf Kirchspiele musste ein Regiment von etwa 1000 Mann stellen, dem ein Ratsherr (heute Senator) im Rang eines Oberst (Colonell-Herr) vorstand. Die Bürgerwache konnte ihm Ernstfall auf 10.000 Mann erhöht werden.


    Im 17. Jahrhundert gab es alljährlich des Festmahl (Convivium) des aus 67 Mitgliedern bestehenden Offizierscorps. Das Festmahl, bestehend aus drei Gängen, fand immer am 1. Donnerstag nach dem Bartholomäustag (= 24.August) entweder im Herrensaal des Eimbeckschen Hauses oder im 1670 erbauten Drillhauses an der Binnenalster statt. Und zu diesen Convivien musste immer eine festliche Musik, bestehend aus einem geistlichen Oratorium und einer weltlichen Serenata, aufgeführt werden.


    Telemann komponierte seine erste und nicht erhalten gebliebene „Kapitänsmusik“ 1723, der noch weitere 35 folgen sollten. Davon sind aber nur neun erhalten geblieben, darunter auch die hier vorgestellte.


    Das Libretto schrieb der in Hamburg geborene, dann wegen des Studiums der Philosophie und Rechtswissenschaft nach Berlin und Leipzig umgezogene Bürger Jacob Friedrich Lamprecht. Wieder zurück in Hamburg war er Redakteur der bedeuten Tageszeitung „Hamburgischer Correspondent“ und gründete später die moralische Wochenschrift „Der Menschenfreund“ und schrieb u.a. auch die Texte zu den Kapitänsmusiken von 1737 und 1738. Lamprecht starb schon 1744 an der Tuberkulose.


    Zum Oratorium „Wohl dem Volke“.
    Entsprechend der Tradition wird schon zu Beginn des geistlichen Teils dieser Kapitänsmusik Gott für das Wohlergehen Hamburgs gedankt. Es sind Worte aus dem 33.-Psalm, Verse 12 und 20:

    Wohl dem Volke, dess’ der Herr sein Gott ist, das Volk, das er zum Erbe erwählet hat. Unsere Seele harret auf den Herrn, er ist unsere Hilfe und Schild
    die der Chor vorträgt.


    Unmittelbar nach diesem groß angelegten Eingangschor treten sechs Allegorien auf, die die Stadt Hamburg und ihre Tugenden darstellen. Für die (sozusagen: kleine) Dramatik sorgt die Allegorie der „Unachtsamkeit“ im Finale (und nur dort tritt sie in Erscheinung), weil sie wenig von Gottes Segen hält und deshalb auch von den übrigen Allegorien gescholten wird. Dazwischen aber wird des langen Friedens in Hamburg gedacht, wird dem „Heiligen Wesen“ immerwährender Dank dargebracht. Diese Aussage will die Andacht auf Gott bezogen interpretieren, denn ansonsten ist auf der Erde alles nur Staub. Der Herr aber hat Hamburg und seine Bewohner nicht vergessen.


    Die schon erwähnte Allegorie der Unachtsamkeit spielt dann im Finale die Unbekümmerte, die Unbedachte, die die Lobeshymnen auf Gott nicht nachvollziehen kann – sie jedenfalls biete immer volle Schüsseln besten Fleisches und bester Fische. Nicht zu verachten ist auch der Rebensaft, den Besten, den sie gerne kredenzt. Das Resümee lautet bei ihr:

    Was gehet mich die Welt sonst an? […] Was soll ich in den kurzen Tagen
    mich lange noch mit Überlegung plagen?
    Bei träger Fröhlichkeit vergess ich selbst die Lust.
    Ich ess und trink mit ungerührter Brust.
    So hab ich hier schon manches Jahr vollbracht.
    Was brauch ich mehr? Ich hab genug gedacht.


    Diese Meinung akzeptieren die anderen Allegorien nicht, weisen die Unachtsamkeit mit dem Attribut „Lasterhaft“ hinweg und sehen im Schlussgesang (Verse aus Johann Francks Choral) nur Gott als Beschützer der Stadt, dem jeder Dank gebührt:

    Herr Gott, wir danken dir
    und bitten, du wollst geben,
    daß wir auch künftig stets
    in stolzer Ruhe leben.
    Krön uns mit deinem Gut,
    erfüll jetzt nach Begier,
    o Vater, unsern Wunsch!
    Herr Gott, wir danken dir.


    Zur Serenata: „Es locket die Trommel mit wirbelnden Schlägen“.
    Der zweite Teil der Kapitänsmusik ist das weltliche Pendant zum geistlichen Oratorium und insofern auch als starker Kontrast geplant worden. Da die Colonell-Herrn und Captains aber „Militärisches“ hören wollten, war es für die Autoren Lamprecht und Telemann selbstverständliche Pflicht, den Erwartungen zu entsprechen. Dabei hat der Librettist einen weiten Blick über Hamburg hinaus getan – und auf den Krieg, den Kaiser Karl VI. und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation zusammen mit Russland gegen die Türken führten, hingewiesen. Die Reichsstadt Hamburg wurde, weil sie hauptsächlich vom Transithandel lebte, bedroht. Diese Hinweise zu aktuellen Ereignisse finden sich in den Kapitänsmusiken aller Jahre immer wieder und die „Moral von der Geschicht“ war auch immer die gleiche: Hamburg lebt in Frieden und in Sicherheit und will es auch nicht anders haben. Folglich hat Lamprecht dieses Thema aufgegriffen und die Serenata mit einer „Battaglia“ eröffnet:

    Der Adler führt die Legionen
    für (vor) Stamb
    ols* schon erschrecktes Tor.
    Er lässt in den geschärften Klauen
    Das Schwert zum Fall der Türken schauen,
    Der Geist Eugenens* (geht uns vor.

    *Mit Stambol ist Byzanz, heute Istanbul, gemeint und „der Geist Eugenes“ ist ein Hinweis auf Prinz Eugen, der 1718 den Türken-Feldzug siegreich für das Haus Habsburg beendete.


    Diesmal waren die Armeen der Habsburger und der Russen nicht erfolgreich und die von Prinz Eugen eroberten Gebiete mussten an die Türken zurückgegeben werden. Jacob Fr. Lamprecht musste in seinem Libretto zugestehen, dass das auch damals schon bekannte Sprichwort, dass Hochmut vor dem Fall kommt, zutreffend ist. Seine Prahlerei, die er dem „Kriegsgeist“ in den Mund legt, ist allerdings weniger von Aggression geprägt, sondern von Wehrhaftigkeit. Insofern ist dem Heldenchor (am Beginn der Serenata) die Antwort entgegengesetzt:

    Holder segensreicher Friede,
    Ursprung unsrer Sicherheit,
    Laß uns deinen Ölzweig decken,
    Laß uns deine Wollust schmecken,
    Werde nie der Wohnung müde,
    Holder segensreicher Friede,
    Ursprung unsrer Sicherheit.


    Man darf den Text nicht mit heutigen Wertvorstellungen hören und lesen, denn seinerzeit waren Kriege ein Teil des Lebens. Es galt aber immer, den Eindruck eines Angreifers zu vermeiden, und die Verteidigung in den Vordergrund des Handelns zu schieben. 1738 war es so, dass man sich um den Kaiser scharte (wobei hier nicht der Ort ist, den Angreifer wie den Verteidiger zu benennen), und Lambrechts Text als das zu nehmen, was er wahrscheinlich auch ist: Propaganda für den Kaiser und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation.


    Zur Hinterfragung der Begriffe „deutscher Mut“ oder „deutsche Helden“ muss man sich wohl vor Augen führen, dass der „große Krieg“ (1618-1648) gerade mal 90 Jahre zurück lag, sich aber im Gedächtnis der Deutschen festgesetzt hatte. Und man muss sich vergegenwärtigen, dass weitere Kriege noch bevorstanden (die drei „Schlesischen“ beispielsweise), und das Deutschland in gefühlt tausende Kleinstaaten zersplittert war. Es darf schon wundern, dass in Lamprechts Text auch vom „Deutschen Ruhm“ die Rede ist, während die Begriffe Deutsch und Deutschland nur selten fielen, wenn überhaupt. Aber Hamburg ist in dieser Kapitänsmusik immer wieder genannt und die Stadt war ein Teil des Reiches, das Karl VI. beherrschte.


    Ein nur kurzer Rückblick – nämlich auf das Jahr 1965 – bringt die Wieder-Entdeckung dieser Kapitänsmusik, die während der 2. Telemann-Festtage in Magdeburg mit dem Titel „Friedens-Oratorium“ erstmals nach der Uraufführung erklang. Allerdings hatte die Zensur in der DDR den originalen Text nicht erlaubt, mussten Konzessionen gemacht werden.


    Telemanns Œuvre wäre um manches ärmer, wenn es die sog. Gelegenheitswerke nicht gäbe. Der Komponist hätte – ganz sicher – ein Nasenrümpfen über seine Gelegenheitswerke mit Lachen quittiert, denn für ihn und seine Zeitgenossen waren das natürlich keine minderwertigen Kompositionen.


    © Manfred Rückert