Johann Adolf Hasse
(1699-1783):
ATTILIO REGOLO
Dramma
per musica in drei Akten
Libretto
von Pietro
Metastasio
Originalsprache:
Italienisch
Uraufführung
im Karneval 1750 in Dresden, Hoftheater.
Personen
der Handlung:
Attilio
Regolo, ehemaliger röm. Konsul, jetzt karthagischer Gefangener
(Countertenor)
Tito
Manlio, Konsul von Rom (Tenor)
Attilia,
Tochter des Attilio Regolo (Mezzosopran)
Publio,
Attilio Regolos Sohn, römischer Questor, verliebt in Barce
(Sopran)
Barce,
vornehme Dame in Karthago, jetzt Sklavin des Publio
(Mezzosopran)
Licinio,
römischer Volkstribun, Verlobter der Attilia (Bariton)
Amilcare,
karthagischer Botschafter, Verlobter der Barce (Sopranist)
Ort und Zeit:
Rom in vorchristlicher Zeit.
Vorrede
(aus Meyers Konversationslexikon (4. Auflage von 1888; Band. 13,
Seite 669):
Der römische Feldherr Marcus Attilius Regulus
stammte aus einem plebejischen Geschlecht, wurde 267 v. Chr.
römischer Konsul, focht gegen die Sallentiner, unterwarf die Stadt
Brundusium [heute Brindisi]. 256, zum zweiten mal Konsul, segelte er
mit L. Manlius Vulso und 300 Schiffen nach Sizilien, schlug hier bei
Eknomos unweit Heraklea die karthagische Flotte, setzte dann nach
Afrika über und siegte 255 bei Adys, verlor aber dann gegen den von
Karthago zu Hilfe gerufenen Lakedämonier Xanthippos Sieg und
Freiheit. Nach der Niederlage der Karthager bei Panormos (250) ward,
wie erzählt wird, Regulus mit einer karthagischen Gesandtschaft nach
Rom geschickt, um Frieden oder Auswechslung der Gefangenen
auszuwirken. Obwohl von dem Gelingen dieser Mission seine eigene
Freiheit abhing, da er im entgegengesetzten Fall geschworen hatte, in
die Gefangenschaft zurückzukehren, trat er im Senat doch als Gegner
des karthagischen Antrags auf und kehrte sodann mit der abschlägigen
Antwort [des Senats] nach Karthago zurück. Nach der Sage sollen ihm
die Karthager zur Rache die Augenlider abgeschnitten und ihn so den
brennenden Sonnenstrahlen ausgesetzt, zuletzt in ein mit eisernen
Nägeln ausgeschlagenes Fass eingeschlossen und dasselbe einen Berg
hinabgerollt haben.
Erster
Akt.
Vorhof zu dem vor der Stadt Rom gelegenen Palast des
Konsuls Manlio. Eine breite Treppe führt zu einem großen Portal,
das den Eingang zu Manlios Wohnung bedeutet.
Attilia,
Tochter des Konsuls Attilio Regolo, der sich in karthagischer
Gefangenschaft befindet, bemüht sich intensiv, die Römer zu
Befreiung ihres Vaters zu bewegen:
[…] Ach, wie lange soll
denn Regulus zum Erstaunen der ganzen Welt im verächtlichen
Sklavenstande seufzen? […] Ein Jahr geht nach dem andern dahin und
niemand bedenkt, dass er in der Knechtschaft lebt. […] Oh Vater! Oh
Rom! Oh undankbare Römer.
Sowohl der
Volkstribun Licinio als auch Konsul Manlio räumen der Tochter
Attilios dazu das Recht ein, obwohl Roms Staatswohl eigentlich eine
andere Priorisierung hat.
Inzwischen
ist, was nicht allgemein bekannt gegeben wurde, Attilio in Rom mit
einer karthagischen Delegation eingetroffen; sie haben den Auftrag,
mit Rom über die Freilassung der Gefangenen zu verhandeln. Falls
diese Verhandlungen keinen Erfolg haben sollten, droht Attilio in
Karthago der Tod. Der kathargische Gesandte ist übrigens der
Verlobte von Publios Sklavin Barce, Amilcare.
Die Gefühle
aller Beteiligten wechseln zwischen Hoffnung und Freude. Ganz
besonders arg hat es Publio, den Gästebetreuer, Sohn Attilios und
Bruder der Attilia, getroffen, denn er musste die distanzierte und
zugleich disziplinierte Haltung seines Vaters erfahren. Publio ist in
seine Sklavin Barce verliebt, ist sich aber sicher, dass das seinem
Vater nicht gefallen wird. Als nämlich die Gesandtschaft angelandet
ist, will Barce wissen, wer der karthagische Gesandte ist und Publio
nennt ihr den Namen Amilcare, worauf Barce erstaunt wie
erschrocken fragt, ob es der Sohn des Hannon sei. Diese Frage bejaht
Publio und Barce entfährt ein verräterisches Oh, mein Abgott.
Publio reagiert daraufhin mit Argwohn, doch als Barce, aus
Dankbarkeit, weil sie bei Publio und seiner Schwester Attilia viel
Trost fand, Publio ihre Liebe zu Amilcare mitteilen will, weist er
sie zurück, weil er in die Freude des Tages kein Gift schütten
will.
Szenenwechsel:
Das Innere des Bellona-Tempels mit Sesseln für die römischen
Senatoren und für die Gesandten. An den Eingängen, die den Blick
auf das Kapitol und den Tiber freigeben, stehen Liktoren.
Amilcare
entbietet den versammelten Senatoren den Gruß der Räte von
Karthago. Er trägt im Namen der Räte von Karthago auch vor, dass es
deren Wille sei, die Waffen schweigen zu lassen und den Frieden
zwischen beiden Städten zu forcieren. Tito Manlio nimmt die Rede
Amilcares zum Anlass Attilio Regolo zu bitten, seinen ehemaligen
Sitz im Rund der Senatoren wieder einzunehmen.
Attilio
Regolo rät den Senatoren, die karthagischen Vorschläge als für Rom
unehrenhaft und gefährlich zurückzuweisen. Mehr noch: er ist schon
im Senat nicht bereit, seinen früheren Platz einzunehmen, er weigert
sich später auch, seinen Kindern in sein eigenes Haus zu folgen. Er
wird, wie er mitteilt, im Gesandtschaftsquartier bleiben, da er nicht
mehr der Mann von früher ist.
Barce aber
ist an einem Gefangenenaustausch genauso stark interessiert, wie die
Römer. Sie bestürmt Attilia, die Senatoren gegen Regolos Ratschlag
aufzuwiegeln:
[…]
Geh, Attilia, wende allen Fleiß an, ehe sich die Väter auf’s neue
versammeln. Jetzt ist es Zeit, alle Kunst und Beredsamkeit
anzubringen.
Zweiter
Akt.
Gesandtschaftspalast vor der Stadt; die Loggia
gewährt den Blick auf Rom.
Es gibt
Probleme, die Attilio Regolo klären muss. Große Dispute entstehen
nach Vorhaltungen, die sein Sohn Publio und sein ehemaliger Rivale
Tito Manlio, der neuerdings ein neugewonnener Freund ist, und sein
zukünftiger Schwiegersohn Licinio ihm machen. Das ist jedoch zu
bewältigen; allerdings sind Vorwürfe, die seine Tochter Attilia
erhebt, von ganz anderem Kaliber, denn sie hat sich seinen
Ratschlägen an die Senatoren nicht angeschlossen. Ihr Widerspruch
lässt Attilio vor Wut schäumen, er sieht seine Tochter als seine
Feindin. Er fragt:
[…]
Wer hat dich
berufen, an den allgemeinen Angelegenheiten teilzunehmen? […]
Attilio
gelingt es, vorerst Tito Manlio von der Richtigkeit seines Vorgehens
zu überzeugen, denn er erhält die Zusage des Konsuls, ihn zu
unterstützen. Die Gemüter sind jedoch alle in Aufregung, auch (und
vor allem) Attilia.
Szenenwechsel
in eine Galerie des Palastes.
Der an sich
von seiner Haltung überzeugte Attilio kämpft trotzdem mit sich
selbst, gewinnt aber schließlich seine Überzeugung zurück.
Vielleicht ist es aber auch die Nachricht aus dem Senat, dass dort in
seinem Sinn entschieden wurde. Jetzt ruft er Publio zu sich und
ermahnt ihn, standhaft zu bleiben und für seine Schwester zu sorgen.
Publio aber ist bemüht, seinem Vater nachzueifern und beschließt,
Barce frei zu geben, damit sie mit ihrem Verlobten Amilcare in die
Heimat zurückkehren kann. In der letzten Szene dieses Aktes sind die
jungen Leute in ihrem Bemühen bestrebt, Attilio zu retten (der in
Karthago wohl mit Repressionen zu rechnen hat), die jungen Frauen
haben allerdings unterschwellig Zweifel an dem Erfolg.
Dritter
Akt.
Ein Saal zu ebener Erde im Gesandtenpalast, der
einen Blick in den Garten frei gibt.
Attilio ist
überzeugt, dass Tito Manlio der Richtige ist, der seine
Angelegenheiten regelt. Er bittet ihn also folgerichtig, dass er für
Attilia und Publio eine Art Vaterstellung einnimmt, wenn er wieder in
Karthago ist. Mit Publio verabredet er, mit Manlio einen
Volksaufstand anzuzetteln, der seiner Rettung dienen soll.
Nochmals
muss er seine Entscheidung, nach Karthago zurückzukehren, gegen
Anwürfe der unterschiedlichsten Kreise und Personen abwehren.
Amilcare bietet, wohl aus einer tiefen Dankbarkeit für die Freigabe
seiner Verlobten Barce, Attilio einen Fluchtweg an. Aber auch Publio
und Attilia haben Ideen, wie man dem Vater aus misslichen Situationen
helfen kann: sie nennen Gründe, die die Verbindlichkeit von seinem
Rückkehrversprechen nach Karthago annullieren könnten.
Während
Attilias Kinder sich bemühen, ihren Vater zu verstehen, warum er
partout nach Karthago zurückkehren möchte, gerät der Botschafter
Karthagos, Amilcare, in großen Zorn und schwört sogar Rache, weil
Attilio ihn als „Barbar“ nicht ernst nimmt.
Szenenwechsel: Prächtige
Säulengänge am Tiber-Ufer. Eine Brück führt zum vordersten der
startklaren Schiffe. Auf den Schiffen sind die Karthager, bereit zur
Abfahrt, an Land die Römer, die den Zutritt zu den Schiffen
verweigern.
Das Volk
der Römer ist, unter der Führung von dem Tribun Licinio, in
Aufruhr, er trotzt sogar Tito Manlio, dem Konsul, der nicht verstehen
will, warum Attilios Wunsch, nach Karthago zurückzukehren, nicht
erfüllt werden sollte. Licinio besteht darauf, dass das Volk von Rom
„die Majestät“ ist, deren Wunsch Priorität hat. Und die
Majestät besteht darauf, dass Attilio Regolo in Rom verbleibt.
Attilio
regt sich auf: Soll er einen Meineid begehen? Hat er nicht in
Karthago geschworen, zurückzukehren, wenn es keine Einigung zwischen
Rom und Karthago gibt? Die aufgekommenen Fragen beantwortet Attilio
selbst: er will nicht meineidig werden, besteht dagegen darauf,
seinen Schwur zu erfüllen. Eine lange Rede führt dazu, dass Tribun
Licinio schließlich aufgibt und die Römer sich bereit erklären,
Attilio Regolo ziehen zu lassen. Der Meinungsumschwung gelingt und
Attilio geht auf das Schiff während die Römer von ihrem Helden
Abschied nehmen.
Anmerkungen:
Johann Adolf Hasset gehörte einst zu den berühmtesten
Musikern seiner Zeit, wurde dann aber durch den Wandel der Musik
schnell vergessen und kommt nun wieder „ans Licht“ der
Musikfreunde: Hasse, am 25. März 1699 in Bergedorf bei
Hamburg getauft (das genaue Geburtsdatum ist nicht bekannt). Er
wurde, Bach nicht unähnlich, in eine Musikerfamilie hineingeboren,
die nämlich die Organistenstelle in St. Peter und Paul in Bergedorf
versah. Hasses Urgroßvater, ebenfalls Peter oder auch Petrus
genannt, war einst Schüler von Jan Pieterszon Sweelinck.
Johann Adolf kam 1718 als Tenorist an die Hamburger und 1719 an die
Braunschweiger Oper. Schon 1721 brachte er seine erste Oper mit
großem Erfolg heraus und begab von sich dann 1722 auf eine Reise
nach Neapel, wo er Schüler von Nicola Porpora und Alessandro
Scarlatti wurde. Mit seinen Kompositionen fand Johann Adolf Hasse
sofort Anklang und heimste Erfolge ein.
1727 wurde er Kapellmeister am Ospedale degl’Incurabili in
Venedig und ehelichte 1730 die berühmte Sängerin Faustina Bordoni
(1700-1781), die in ihres Mannes Opern die Mezzopartien sang und
später auch mit Händel in London arbeitete.
In dieser Zeit konvertierte Hasse zum Katholizismus.
Das Ehepaar Hasse-Bordoni reiste nach Dresden, wo Johann Adolf Hasse
nach der Aufführung einer Oper aus eigener Feder mit dem Titel
„Königlich polnischer und kurfürstlich sächsischer
Kapellmeister“ ausgezeichnet wurde.
Nach weiteren Opernerfolgen in Venedig, Parma, Mailand, Turin, Rom
Bologna und Wien trat das Künstlerpaar 1733 in sächsische Dienste,
und das 30 Jahre lang, allerdings von ausgedehnten Gastspielreisen
immer wieder unterbrochen. Italienische Städte, aber auch München,
Berlin, Paris und London waren Stationen ihrer Triumphe. 1750 wurde
Hasse in Dresden zum Oberkapellmeister ernannt, aber 1760 fiel ein
großer Teil seiner Manuskripte der Beschießung von Dresden durch
die Preußen zum Opfer.
Nach dem Tode von Kurfürst Friedrich August II. im Jahre 1763 wurden
die Verträge mit dem Künstlerehepaar wegen akuten Geldmangels nicht
mehr erneuert. Daraufhin verlegten die Hasse-Bordonis ihre Wohnsitz
zunächst nach Wien, dann 1773 nach Venedig, wo der weltberühmte
Komponist 1783, zwei Jahre nach seiner Gemahlin, am 16. Dezember
verstarb.
Hasse hinterließ 56 Opere serie, wovon 32 auf Texte von Pietro Metastasio, komponiert wurden. Außerdem hat
er 13 Intermezzi für Opern geschrieben. Ferner gibt es 11 Oratorien,
Messen, Requiem, Psalmen, Motetten, Hymnen und Litaneien, von denen
viele nur als Handschriften erhalten sind. Aus seiner Feder stammen
aber auch Flöten-, Violin- und Hornkonzerte (mit Orchester),
außerdem Solosonaten, Trio- und Cembalosonaten sowie
Gelegenheitskompositionen, wie beispielsweise die Trauer-Musik zum
Tode des Kurfürsten Friedrich August II. Man kann aber, ohne zu
übertreiben, behaupten, dass Hasses ganzes Schaffen von der Oper
beeinflusst war, dass sie wegen der Veränderungen des Musikstils sich aber auch schnell überlebt hatte.
Abschließend sei noch ein Wort zum italienischen Dichter Pietro
Metastasio (1698-1782) verloren: der gebürtige Römer zählt, im
Grunde bis heute, zu den bedeutendsten Opern-Librettisten. Seine
Werke wurden von zahlreichen Komponisten nicht nur immer wieder
vertont, sie wurden auch oft als Schauspiel ohne Musik aufgeführt.
Metastasio ging vom französischen Klassizismus aus, ohne sich starr
dran zu halten. Die Sprache ist gefeilt formuliert, die Handlungen
spitzen sich zwar dramatisch zu, die Konflikte lösen sich aber durch
die wachsende Einsicht der Handelnden. Diese Vorgehensweise entsprach
der optischen Lebensauffassung des Rokoko, war vielleicht unernst,
begeisterte aber seinerzeit das Publikum. Daher war eine Oper mit
einem Libretto von dem Literaten von vornherein ein Erfolg sicher.
In
der deutschsprachigen Wikipedia kann man eine Auflistung der Werke
Metastasios finden, sogar mit Angaben der Vertonungen.
Quelle: