Georg Friedrich Händel (1685-1759):
FLORIDANTE
Dramma per musica in drei Akten - Libretto von Paolo Antonio Rolli nach einer Vorlage von Francesco Silvani
Uraufführung am 9. Dezember 1721 im Londoner King's Theatre, Haymarket
DIE PERSONEN DER HANDLUNG
Floridante (Alt), Prinz von Thrakien, Feldherr von
Oronte (Baß), König von Persien
Timante (Sopran), Prinz von Tyrus, als Gefangener mit dem Namen Glicone
Coralbo (Baß), Persischer Statthalter
Rossane (Sopran), Tochter von Oronte
Elmira (Alt), angebliche Tochter Orontes
Statisterie: Hofstaat, persische Offiziere und Soldaten, Wachen, Gefangene, Sklaven, Dienerschaft, Volk
Das Geschehen ereignet sich um das Jahr 950 v.Chr.
INHALTSANGABE
ERSTER AKT
Ein Wald bei der Stadt Tyrus.
Rossane und Elmira warten voller Sehnsucht auf die Rückkehr des thrakischen Heeres, das unter dem Feldherrn Floridante aus einem Krieg gegen die Tyrer zurückkehren soll. Die Nachricht, daß der thrakische Prinz mit seiner Streitmacht die Flotte der Tyrer zerstört hat, war in Windeseile dem siegreichen Heer vorausgeeilt. Vor allen Dingen Elmira gibt sich ungeduldig und dennoch voller Hoffnung:
Dimmi, oh spene! / Sage mir, Hoffnung, wann kommt der Liebste zurück?
Rossane sieht in diesem Augenblick das Heer am Horizont auftauchen. Näher kommend erkennt sie den Helden an der Spitze seiner Truppen. Elmira fährt in ihrer begonnenen Arie fort:
Godi, oh spene! / Freue dich, Hoffnung, er kehrt zurück!
Rossane beneidet, ohne jedoch eifersüchtig zu sein, Elmira und erinnert sie daran, daß der Vater den Prinzen Floridante als Gatten ihrer Schwester ausersehen hat. Die Hochzeit war schon vor dem Kriegszug von Oronte bestimmt worden. Des Königs Hoffnung, die dem Zuschauer jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt ist, Floridante würde in einer Schlacht sein Leben verlieren, hat sich nicht erfüllt.
Daß Rossane nicht eifersüchtig oder neidisch auf Elmiras Glück ist, hat einen gewichtigen Grund: sie soll, ebenfalls auf Geheiß ihres Vaters, den ihr völlig unbekannten Prinzen von Tyrus heiraten. Ohne ihn je gesehen zu haben, ist dieser Fremde trotzdem ihr Traummann geworden. Daran hat auch der Ausgang der Schlacht, bei der die Tyrer als Verlierer vom Feld zogen, nichts geändert:
Mà un dolce mio pesniero / Ein Hoffnungsstrahl drängt sich mir ins Herz.
Pensiero lusinghiero / Verlockender Gedanke, du darfst nicht Täuschung sein!
Szenenwechsel in das persische Feldlager.
Mit einem Marsch wird Floridante begrüßt. Sein Sieg, so meint er stolz, ist eine weitere Perle für die Krone des persischen Königs. Für ihn völlig unerwartet kommt Elmira hinzu, die ihm viel näher steht, als Oronte, und begrüßt ihn feurig. Floridante jubelt:
Alma mia, sì, sol tu sei / Meine Seele, nur du allein bist mir Wonne und Ehre.
Mit Elmira, aber zunächst im Hintergrund bleibend, traf auch Rossane im Feldlager ein. Nun kommt sie hervor und gratuliert Floridante zu seinem Sieg, weist aber auch auf die Hilfe von ganz oben hin: auf Zeus. Floridante dankt herzlich seiner zukünftigen Schwägerin und sie fragt ihn, wer der beiseite stehende Gefangene sei. Der junge Mann hat die Frage auch gehört und stellt sich als Glicone vor. Er bezeichnet sich als einen Verlierer mit edler Abkunft. Floridantes Antwort läßt Rossane aufhorchen: er will den König fragen, ob er Glicone als Geschenk an Rossane übergeben darf.
Nun erscheint des Königs Statthalter, Coralbo, und bringt Floridante einen Brief von Oronte, den er laut liest. Der Inhalt ist brisant und für Floridante ebenso unerklärlich wie lähmend: „Floridante, übergebe Coralbo dein Kommando und begebe dich weg aus meiner Nähe. Oronte, König der Perser.“
Unter den Umstehenden löst das Schreiben Verwunderung, Staunen und Ratlosigkeit aus. Elmira und Rossane wollen sofort zum König und Vater eilen, um den Grund für den unverständlichen Entschluß zu erfahren und sich außerdem für Floridante einsetzen. Die sich als Unparteiische betrachtende Rossane besingt Floridantes Tugend:
Dopo l'ombe d'un fiero sospetto / Laß zunächst den dunklen Verdacht schweigen.
Elmira und Floridante sind entsetzt und zittern vor Angst und Zorn. Sie beteuern ihre Liebe zueinander und wollen lieber den Tod suchen als sich trennen zu lassen. Der völlig ahnungslos bestrafte Feldherr steigert sich in eine philosophisch-tragödienhafte Beschreibung seines Zustands: er will dem ärgsten Blitzstrahl des ihm zürnenden Schicksals nicht weichen.
Verwandlung in das königliche Gemach im Palast.
Rossane führt ein vorwurfsvolles Gespräch mit ihrem Vater und erwartet vor allen Dingen eine klare Antwort auf für alle Unerklärliches. Hat nicht Floridante für ihn Ruhm und Ehre errungen und große Beute aus dem Feldzug mitgebracht? Hat er nicht Elmira zur Frau des Prinzen bestimmt? Oronte kann das nicht bestreiten und zeigt sich plötzlich erschüttert über Elmiras Liebe zu Floridante. Er argumentiert jedoch dunkel mit Staatsinteressen, die seine Pläne umgeworfen haben:
Finchè lo strale non giunge als segno /
Man soll Gedanken nie offenbaren, ehe der Pfeil nicht das Ziel traf.
(Diese Argumentation läßt den Zuschauer aufhorchen: entweder äußert der König hier einen Allgemeinplatz oder er ist einfach nur hinterhältig. Die Analogie zum britischen Königshaus finden einige Kommentatoren wichtig: Georg I. sandte oft genug Ehemänner von Frauen, die ihm gefielen, zu diplomatischem Dienst in ferne Länder.)
Oronte entfernt sich, aber Rossane findet keine Zeit zum Nachdenken, denn Glicone tritt auf die Szene. Auf ihre Erkundigungen nach Timante erfährt sie, daß sich ihr Traummann mit einem Schiff retten konnte. Glicone berichtet weiter, daß Timante immer von ihrer Schönheit geschwärmt habe. Rossane seufzt und gibt Glicone damit zu erkennen, daß sie den tyrischen Prinzen liebt. Darüber ist er sehr erfreut und äußert sich nach Rossanes Abgang in einer Arie philosophisch über die verwundenen Pfade des Glücks. Er wird sich momentan auch noch nicht als Timante zu erkennen geben.
Der königliche Thronsaal im Palast.
Floridante ist vor Oronte getreten und begehrt Auskunft über die ihm unerklärlichen Entscheidungen des Königs. Die hinzukommende Elmira dringt auf den Vater ein und beide äußern nun die Erwartung, daß die versprochene Heirat vollzogen wird. Oronte ist sichtbar um eine Antwort verlegen und gibt schließlich die Anweisung, daß sich Floridante sofort auf ein vor Anker liegendes Schiff begeben soll um schnellstmöglich Persien zu verlassen. Der so Ausgestoßene findet das Urteil mit deutlichen Worten ungerecht und Elmira äußert ihre Verzweiflung. Die Verliebten schließen mit einem Duett den ersten Akt ab:
Ah mio caro, se tu parti / Oh, mein Lieber, du mußt scheiden.
Ah mia cara, se tu resti / Du, meine Liebe, ich muß bleiben.
ZWEITER AKT
Die Gemächer Rossanas im Palast.
Glicone tritt zu Rossane und begrüßt sie sehr herzlich. Die Prinzessin berichtet ihm, daß ihr zugetragen wurde, daß jenes Schiff, auf dem Timante sich befunden haben soll, den tyrischen Prinzen nicht an Bord hatte. Glicone findet tröstende Worte und gibt vor, nicht nur eine Nachricht von Timante, sondern sogar ein Bildnis für sie zu haben. Nachdem er Rossane das Bild übergeben hat, fügt Glicone noch hinzu, daß Timante sich aus wichtigem Grund an einer unbekannten Stelle verborgen halte. Rossane ist einerseits mißtrauisch und verwirrt, andererseits, weil sie glauben will, was sie sich wünscht, auch sehr glücklich:
Gode l'alma innamorata / Die Wendung kommt der Seele gelegen, sie verkündet Glück.
Als Rossane gegangen ist, kommt der als Mohr verkleidete Floridante und erhält von dem alleine auf der Szene befindlichen Glicone die Bestätigung, daß man ihn nicht erkennen kann. Der Gefangene verspricht ihm, stets treu zu ihm zu halten. Jetzt kommt auch Elmira und gibt freudig zu, daß Floridante ihr auch verkleidet lieb und teuer ist. Sie erzählt den beiden Männern, daß sich Rossane entschlossen hat, mit ihnen zusammen die Flucht zu wagen. Man will aber die Nacht abwarten, um dann im Schutze der Dunkelheit gemeinsam zu entkommen.
Rossane kommt zurück und bittet Glicone, ebenfalls mit ihnen zu fliehen. Der beschließt, jetzt seine wahre Identität preiszugeben. Vor den Anwesenden gibt er sich als der tyrische Prinz Timante zu erkennen. Es folgt ein kurzes Gespräch, das von Freude und Vertrauen gekennzeichnet ist. Rossane und Timante gestehen sich ihre Liebe. Und Floridante wendet sich ebenso verliebt an Elmira:
Bramo te sola, non penso all'impero / Nur dich begehre ich, nicht die Herrschaft.
Floridante geht, um sich zu verstecken. Nicht nur auf Rossanes Wunsch, sondern auch aus eigenem Interesse will Timante sich ebenfalls ein Versteck suchen. Als Schritte zu hören sind, geht auch Rossane ab.
Oronte kommt und erklärt der erst erstaunten, dann immer mehr sich empörenden Elmira, er liebe sie - aber nicht als seine Tochter, sondern als Frau. Diese Inzestankündigung ist Elmira zuviel: „Ich soll die Gattin des Vaters werden? Fürchtest du nicht Erd und Himmel?“ Nach einer kleinen Pause, die wie ein Erschrecken des Königs wirkt, erklärt ihr Oronte, sie sei nicht seine Tochter. Als einst mörderische Krieger über das Land herfielen und ihn schließlich auf den Thron setzten, habe er sie gerettet. Elmira begreift sofort das Ungeheuerliche: sie ist die als verschwunden geltende Thronerbin und der Mann, den sie als ihren Vater ansah, ist der Mörder ihres richtigen Vaters. Es ist für Elmira eine Unverschämtheit, daß der Mörder und Usurpator ihres Thrones sie nun als Frau und Königin haben will:
Barbaro! t'odio a morte, mà più / Schändlicher! Ich hasse dich bis zum Tode!
Nach Elmiras zornigem Abgang ordnet Oronte ihren Wutausbruch der Tatsache zu, daß sie die Nachrichten erschüttert haben und er will ihr Zeit geben, sich an die neue Situation zu gewöhnen. Dann tritt aber sofort sein wahrer Charakter zu Tage: „Nein, nicht warten! Das Schicksal muß man am Schopfe fassen!“
Verwandlung: eine Gegend nahe dem Hafen.
Timante und Rossane warten im Versteck auf die anderen, um gemeinsam die Flucht zu wagen. Sie äußern sich beide bedrückt.
An anderer Stelle wartet Elmira auf ihren geliebten Floridante. Als der endlich erscheint, tritt von einer anderen Seite auch Oronte auf. Elmira flüstert Floridante zu, Oronte mit seinem Dolch zu töten. Weil Floridante immer noch als Mohr verkleidet ist und vom König auch nicht erkannt wird, kann er gegenüber Oronte so tun, als sei er als Sklave unterwegs, um Elmira zu ihrem Geliebten zu bringen. Oronte wird jedoch über das Verhalten dieses angeblichen Sklaven wütend und läßt ihn von den ihn begleitenden Wachen in Ketten legen. Die Gefahr mißachtend, in der er schwebt, äußert sich Floridante ebenso tapfer wie auch mit Verachtung für den König.
Oronte gibt noch Anweisung, auch Elmira hart anzufassen. Doch auch die läßt sich durch die drohende Gefahr nicht abschrecken und pariert - den Akt damit schließend:
Mà che vuoi più da me /
Was willst du noch von mir? Dir bleibt nur mein Verderben und Sterben, gewonnen hast du nichts.
DRITTER AKT
Rossanes Gemach im Palast.
Timante ist bei Rossane und erzählt ihr die Geschehnisse der Gefangennahme von Elmira und Floridante, die er aus seinem Versteck gesehen hat. Rossane ist nicht nur traurig, sondern fühlt sich auch hilflos. Timante versucht, sie zu beruhigen:
Nò, non piangete, pupille belle / Nicht weinen, ihr schönen Augen.
Verwandlung in Elmiras Gemach.
Der persische Statthalter Coralbo ist zur Bewachung bei Elmira abgestellt. Rossane tritt in das Zimmer. Dabei erfährt sie, daß ihre Schwester eigentlich Elisa heißt und die letzte Überlebende der ausgelöschten Familie der Ninos ist. Diese Geschichte macht Coralbo sofort hellhörig: Oronte als Usurpator? Das muß Folgen haben.
Elmira gibt im weiteren Gespräch zu verstehen, daß sie an Suizid denkt und Rossane äußert daraufhin, sie wolle auf keinen Fall allein zurückbleiben. Wenn sie jetzt auch keine Schwestern mehr sind, fühlen sie sich dennoch als solche; Jahre des Zusammenlebens kann man nicht einfach tilgen. Hier greift Coralbo ein und erklärt, daß das Volk das brutal ermordete Herrscherhaus noch nicht vergessen hat und gerade Elisa immer noch verehrt:
Non lasciar oppressa della sorte perrir quell'alma forte / Tu dir nichts an.
Dein starkes Herz muß leben. Du hast das Glück der scheinbar Hoffnungslosen.
Jetzt kommt Oronte und berichtet grimmig vom Tode des Mohrensklaven. Elmira wankt und scheint zusammenbrechen zu wollen. Sofort schlägt der König einen anderen Ton an und behauptet, er habe nur ihre Gefühle gegenüber Floridante erforschen wollen. Elmira wird klar, daß Oronte das Geheimnis des Mohren kennt und jetzt sinkt sie tatsächlich ohnmächtig zu Boden.
Oronte hat durch seine Wache Floridante holen lassen. In Ketten wird der einstige Feldherr hereingeführt. Die auf dem Boden liegende Elmira hält er zunächst für tot, zeigt sich aber erfreut, als sie sich plötzlich aufrichtet. Oronte kündigt beiden den baldigen Tod an, geht davon und läßt sie dann mit höhnisch-verächtlichem Blick alleine zurück.
Floridante äußert sich selig, daß er für und mit Elmira sterben darf. Und Elmira stimmt dem mit der Bemerkung zu, daß der Tod der Sklaverei unter Oronte vorzuziehen sei.
Szenenwechsel in Rossanes Gemach wie am Aktanfang.
In großer Eile kommt Timante in Rossanes Gemach und erzählt ihr, daß er bewaffnete Freunde in der Stadt verteilt habe, denen sich außerdem Überläufer aus der königlichen Wache angeschlossen hätten. Sie wollen den Weg für die Flüchtenden frei halten. Rossane aber sieht sich als Erbin des Reiches und will, daß die Kerker gestürmt werden, um Elmira und Floridante zu befreien. Auf dieses Ansinnen reagiert Timante zögerlich, ja zweifelnd, wird aber durch einen Liebesschwur Rossanes überzeugt:
O cara spene del mio diletto / O teure Hoffnung liebender Wonne, mein Herz glaubt fest an deine Treue.
Nach diesem Schwur ist Timante bereit, sich für Rossanes Willen einzusetzen:
Amor commanda, onore invita / Amor befiehlt mir, es ruft mich die Ehre.
Verwandlung in den Kerker.
Floridante befindet sich angekettet in seiner Zelle; im Gang steht die ebenfalls in Ketten geführte Elmira mit Wachen. Sie spricht mit einem Giftbecher in der Hand von einer barbarischen Tyrannei, Floridante dagegen von einem Unmenschen. Beide meinen König Oronte. Und beide wollen den Giftbecher nehmen, um einer Gefangenschaft zu entgehen und ein selbstbestimmtes Ende zu finden. Die Liebenden bewegen sich aufeinander zu und wollen sich küssen - da erscheint wütend Oronte, entwindet Elmira schnell den Giftpokal und übergibt ihn in eindeutiger Bestimmung Floridante. Vorerst, so sagt er, soll nur er sein Leben lassen. Dann befiehlt er den Wachen, Elmira, die er doch angeblich so liebt, noch viel stärker zu fesseln und sie ihm vom Leibe zu halten. Ihm ist offensichtlich nicht klar, daß sich gerade ein Umschwung zu seinem Nachteil ereignet.
Plötzlich entsteht nämlich Unruhe hinter der Szene; Oronte kommt aber nicht mehr dazu, Fragen nach dem Grund des Aufruhrs zu stellen, denn bewaffnete Soldaten stürmen die Szene. Vornweg erscheinen Coralbo und Timante, die Floridante umgehend den Giftbecher entreißen. Oronte kann nur erstaunt „Treulose!“ hervorbringen, dann befiehlt ihm Timante, sofort das Schwert fallen zu lassen, andernfalls sterbe er auf der Stelle. „Aufruhr“ ruft Oronte als nächstes in die Runde, da wird er bereits gefesselt.
Coralbo fordert Elisa/Elmira zur Thronbesteigung auf, denn nur ihr komme es als letzte aus dem alten Herrschergeschlecht zu, Persien zu regieren. Dann ergeht die Bitte, sich dem versammelten Volk zu zeigen. Elisa dankt Coralbo für seine Worte und Unterstützung und wendet sich an Floridante mit der Bitte, sie auf dem ferneren Lebensweg zu begleiten:
Sì, coronar vogl'io col nobil serto d'or / Ja, ich will dich selber krönen mit dem Kranz aus edlem Gold.
Oronte weiß jetzt, daß er seine Rolle ausgespielt hat, beschwert sich aber trotzdem aufgeregt bei Coralbo über den Verrat an ihm:
Che veggio? che sento? catene, tormento / Ich fühle, ich sehe Ketten; bin nun König ohne Herrschaft.
Elisa wendet sich nun mit einer Ansprache an das Volk und dankt für die Treue ihrer Untertanen. Sie verspricht für die Zukunft gerechtes Handeln und Frieden. Rossane aber zeigt sich als mitleidige Tochter und bittet für den schuldig gewordenen Vater um Gnade. Elisa kann diese Gnade nicht aussprechen; zu sehr ist sie gefangen in Lug und Trug durch das schändliche Verhalten Orontes. Sie gibt die Entscheidung an Floridante ab, der soll den Spruch über den Usurpator fällen. Und Floridante zeigt die erwartete Größe: er läßt Gnade vor Recht ergehen; das Verzeihfinale der Barock-Oper hat begonnen. Mit Dank an Zeus gibt er gleichzeitig Elisa sein Wort, daß er die Liebe zu ihr höher setzt, als die auf ihn zukommenden Pflichten als Gemahl der Herrscherin.
Elisa aber verfügt, daß dieser glückliche Tag im ganzen Land ein immerwährender Festtag sein soll. Alle Anwesenden vereinigen sich zu einem abschließenden Jubelchor:
Quando pena la costanza, spera pur / Wenn der Treue Gefahren drohen, glaubt sie doch an Trost und Glück.
INFORMATIONEN ZUM WERK
Händels Situation zu Beginn der 1720er Jahre war nicht rosig. Seit drei Jahren herrschte für ihn eine opernlose Zeit vor. Zwar unterstützte ihn König Georg I., der schon als hannoverscher Kurfürst sein Arbeitgeber gewesen war; außerdem stand Händel an der Spitze der neu gegründeten „Royal Academy of Music“, für die er auf dem Kontinent ein erstklassiges Ensemble, hauptsächlich italienischer Provenienz, zusammengestellt hatte.
Aber es gab sehr schnell Unstimmigkeiten: die konservativen Kreise im Opern-Direktorium standen dem „Deutschen“ Georg I. reserviert gegenüber, sympathisierten dagegen offen mit dem im Exil lebenden katholischen Thronprätendenten. Als Hauskomponist hatte Händel außerdem in Giovanni Bononcini einen Konkurrenten bekommen, dem es gelang, mit leichten und liedhaften Arien das Publikum zu gewinnen; in Paolo Rolli, dem italienischen Sekretär der Oper, hatte Händel zudem einen nicht nur intriganten, sondern auch einen zunächst wenig bühnenerfahrenen Librettisten.
Von alledem ist zwar nicht viel nach außen gedrungen; die Streitereien begannen aber, als während der Komposition von FLORIDANTE Händels Favoritin für die Rolle der Elmira, Margherita Durastanti, nach dem Sommerurlaub krankheitsbedingt nicht nach London zurückkehrte. Als die Direktion dann durchsetzte, daß die Schülerin Bonioncinis und, wichtiger noch, die Geliebte des Earl of Peterborough, Anastasia Robinson, zur Primadonna aufstieg, war der Krach da.
Es war bei der Neubesetzung von Rollen durchaus normal, daß Arien neu komponiert wurden, die dann auf die Fähigkeiten und Vorlieben der Sänger zugeschnitten waren. Auf diese Änderungen ließ sich Händel aber nur dann ein, wenn es in sein Konzept paßte. Im Fall der Elmira, der wichtigsten Rolle von FLORIDANTE, wollte der Komponist aber keine Kompromisse eingehen. Da die Robinson jedoch tatsächlich die Elmira sang, muß Händel sie letztendlich doch wohl eingegangen sein.
Die Kompositionsarbeit zu FLORIDANTE begann im Oktober 1721 und Händel schloß die Partitur am 28. November ab. Schon am 9. Dezember fand die Uraufführung statt. Die Titelpartie sang der berühmte Senesino. Trotz der vielen herrlichen Arien sagen Händel-Liebhaber und Musikforscher gleichermaßen, daß die Oper das Niveau von „Radamisto“ aus dem Jahre zuvor nicht erreicht. Es fehle, so die Argumentation, an Dramatik, wie sie in „Rinaldo“ anzutreffen ist; es gibt keine großen kriegerischen Kampfszenen, wie man sie in „Teseo“ finden kann und Götterdonnern und Furienauftritte gibt es auch nicht. Dramatik entsteht nur in dem Maße, wie es die opera seria der Zeit zuließ.
In der Opernsaison 1721/22 der „Royal Academy of Music“ wurde FLORIDANTE fünfzehnmal aufgeführt; 1727 und 1733 kam sie nochmals auf den Londoner Spielplan. Man kann daher von einer freundlichen, aber keineswegs enthusiastischen Aufnahme sprechen. Der erwartete finanzielle Erfolg, den Händel dringend brauchte, fand nicht statt.
Erwähnenswert ist jedoch, daß ab dieser Opernsaison auf Händels Vorschlag ein neues Subskriptions-System eingeführt wurde, das mit dem heutigen Abonnementssystem zu vergleichen ist. Es sollte stabile Einnahmen für die Akademie bringen. Die Tickets waren durchnumeriert und in der Folge brachte es tatsächlich finanzielle und Planungs-Sicherheit für die Akademie und für das Publikum Verkaufspreissenkung ebenso wie Platzsicherheit.
FLORIDANTE kam bereits am 26. April 1723 nach Hamburg und brachte es hier auf elf Aufführungen, wie wir aus den Aufzeichnungen von Johann Mattheson wissen. Wie damals üblich, wurden die Arien im originalen Italienisch gesungen, die Rezitative in deutscher Übersetzung. Hamburg gab der Oper den Titel „Der thrakische Prinz Floridante“.
Händels Autograph und die Direktionspartitur befinden sich in der British Library in London. Nach diesen Originalen hat Friedrich Chrysander seine Notenausgabe erstellt; sie erschien im Januar 1876 in Leipzig.
Die deutschen Einzitierungen in der Inhaltsangabe bedienen sich der Übersetzung des italienischen Librettos von Karin Zauft (Göttinger Händel-Gesellschaft, 1990) und dem Booklet der bei Hungaroton erschienenen Disc-Aufnahme unter der Leitung von Nicholas McGegan.
© Manfred Rückert für Tamino-Opernführer 2011
unter Hinzuziehung folgender Quellen:
Albert Scheibler: Die 53 Bühnenwerke des Georg Friedrich Händel
Heinz Wagner: Die Oper
Silke Leopold: Händel. Die Opern
Hans Dieter Clausen: [t]akte 1/2009