Lieber Holger66,
vielen Dank für Deinen sehr persönlichen Beitrag und Impuls zum Thema dieses Threads. Was Du von Deinem Aufenthalt in Österreich schreibst, zeugt von einer tiefen und aufrichtigen Beschäftigung mit Bruckner und dem Willen, den Komponisten und sein Werk zu begreifen. Ich kann vieles dessen, was Du schreibst, gut nachvollziehen, auch wenn ich selbst nie die Bruckner-Stätten besucht habe. Deine Überzeugung, dass Bruckners katholischer Glaube einen Schlüssel zum Verständnis seines Werks darstellt, teile ich, wie ich es überhaupt für wichtig halte, Person und Umfeld eines Künstlers zu betrachten. In Bezug auf Literatur habe ich vor sehr vielen Jahren in der Schule gelernt, dass man Werke zum einen "immanent", also aus sich selbst heraus und zum anderen aus dem jeweiligen Kontext heraus begreifen kann. Ich denke beide Aspekte haben ihre Berechtigung und auf die Musik trifft dies ebenso zu. Aber selbst aus sich selbst heraus verstanden entfaltet diese Musik bei mir eine starke Wirkung (s.u.)
Was mich an Bruckner beeindruckt ist ebenfalls die Gesamtkonzeption der Werke - da hat tatsächlich einer musikalische Kathedralen errichtet, und möchte damit eine Botschaft in die Welt senden - so kommt es bei mir an. In irgendeinem Beiheft las ich einmal, dass Bruckner das Orchester wie eine Orgel behandle, indem er es in verschiedene Register aufteilt und diese nebeneinander stellt. Mag sein, jedenfalls hat er etwa ganz Eigenes und Unverwechselbares geschaffen und das lässt sich sicherlich an diversen Aspekten festmachen: Form, zyklisch-motivischer Geschlossenheit, motivischer Arbeit, Choralhaftigkeit der Motive, Klang - alles spannend zu verfolgen.
Was bei mir regelmäßig als Gesamteindruck nach dem Hören bleibt ist ein Empfinden von "Erhabenheit" der Musik, ein durchaus religiös zu nennendes Ergriffen sein, dass ich in vergleichbarer Form von Bachs und Mahler Musik kenne. Ob Bruckner genau dies bei seinen Hörern erreichen wollte? Vielleicht ...
Viele Grüße aus Berlin,
Stefan