Als diese Diskussion noch jung, da las ich was von Standardrepertoire und Einsteigern. Die Diskussion war erfrischend und ich, einer dieser Einsteiger, beschloss, ein paar Worte über das Thema aus Sicht eines Einsteigers, der sich momentan mit dem sogenannten "Standardrepertoire" auseinandersetzt, von mir zu geben. Wie ich sehe, nahm die Diskussion einen rasanten Verlauf. Schöner Grabenkampf hat sich da entwickelt. Weiß nicht ob uns das weiterbringt, ist aber interessant zu lesen. Ich probiere es trotzdem mal.
Ich würde gerne einmal etwas gezielter auf den Begriff Einsteiger und den Begriff Standardrepertoire eingehen. Es gibt sicherlich Einsteiger, die kaufen sich eine Box bei Aldi, definieren das für sich als Standardrepertoire und sind auf Jahre damit zufrieden, weil sie sich gar nicht intensiv mit der Thematik auseinander setzten wollen. Ein Feuer im Kamin, eine schöne Flasche Rotwein und etwas klassische Musik im Hintergrund... Mehr brauchen sie nicht und das finde ich völlig in Ordnung. Ich finde es nicht in Ordnung, wenn man solche, oder andere Menschen, die sich auf eine Epoche oder einige wenige Komponisten beschränken, angreift und bloßstellt. Wofür ich dankbar bin, sind Menschen, die Schätze heben, neues entdecken, das Entdeckte weitertragen und somit ein Publikum schaffen, für Werke, die sonst vielleicht für immer in Vergessenheit geraten wären.
So eine Aldi Box besitze ich auch, aber für mich persönlich war es eben nur ein Einstieg. Und nun kämpfe ich mich durch das Standardrepertoire. Für mich war und ist es schwierig, dieses Standardrepertoire überhaupt zu identifizieren. Klar kannte ich Mozart, Bach oder Beethoven. Aber wer kam eigentlich vor wem? Was war dazwischen, davor und danach. Ich hatte keine Ahnung von Epochen. Heute kenne ich die Epochen und die berühmtesten Komponisten. Von vielen dieser Komponisten kenne ich berühmte Werke. Von anderen habe ich auch schon "unbekannteres" gehört. Was ist Standardrepertoire? Ein unbekanntes Werk eines "großen" bekannten Komponisten oder auch bekanntere Werke eher unbekannter Komponisten? Für einen Einsteiger stellt sich das alles etwas anders dar.
Das was ich für mich als Standardrepertoire definiere, formiert sich erst langsam vor meinem geistigen Auge (oder Ohr). Ich schließe hier aber keine Epoche aus. Was ist "Neue Musik"? Mahler, weil er bis ins 20. Jahrhundert hineinkomponierte? Schostakowitsch? Bartók? Patterson? Ich denke, da ist kein "unbekannter" Komponist dabei? Oder doch? Klar, für den, der bei der Aldi-Box stehen blieb vielleicht schon. Und so wie ich versucht bin den Aldi-Einsteiger zu belächeln, werde ich vielleicht hier belächelt. Ich wusste bis vor meinem Einstieg letztes Jahr nicht einmal, dass es einen Komponisten Dvorak gab und heute bin ich schon bei Schostakowitsch angelangt, der für viele zum Standardrepertoire gehört und den andere möglicherweise als Exoten oder "moderne" Musik ablehnen.
Aber ging es FoN denn um alte und neue Musik? Ich denke nein. Es ging um eher unbekannte bzw. vergessene Komponisten im Gegensatz zu heute noch weltberühmten. Ich habe hier bereits eine Meinung. Die ist noch nicht fürchterlich gefestigt, aber ich möchte sie dennoch kundtun. Vielleicht könnt ihr ja noch dazu beitragen sie zu festigen. - Ich glaube nicht daran, dass von den Marketing-Abteilungen der großen Labels versucht wird Geschmack und Stil vorzuschreiben und Profit damit zu machen. In der Pop Musik mag das anders sein - ich behaupte, da ist das heute so. Aber beim Standardrepertoire der Klassik, und ich definiere dies mal als die von FoN angesprochenen, von vielen verschiedenen Künstlern eingespielten bzw. aufgeführten Werke, handelt es sich um Musik (korrigiert mich wenn ich hier falsch liege) die sich z.T. vor vielen hundert Jahren etablieren und (vor allem!) bis heute halten konnte. Natürlich wurde auch im 17ten, 18ten und 19ten Jahrhundert gesteuert und auch damals spielte Glück eine große Rolle. Aber die Musik kann bis heute begeistern. Sie wurde überliefert aus einer Zeit, in der man sich unendlich weit von der Erfindung irgendwelcher Tonträgern entfernt sah. Das kann kein Mist sein. In der Popmusik werden heute Trends bedient, die zuvor oft künstlich geschaffen wurden. Davon wird vermutlich nicht viel übrig bleiben. Ein Werk hingegen, dass vor mehreren hundert Jahren komponiert wurde und heute noch zum Standardrepertoire gehört, hat eben irgend etwas Besonderes. Es unterhält besonders gut, macht fröhlich, nachdenklich, begeistert, macht Gänsehaut, ist besonders raffiniert, virtuos, war zu seiner Zeit bahnbrechend, richtungsweisend, neuartig, ein Meilenstein...
Für mich sehe ich da noch eine Menge Arbeit (im positiven Sinne) vor mir, ohne die ausgelatschten Pfade verlassen zu müssen. Vielleicht ist dies der Grund warum es eben von diesen Werken so viele Einspielungen, Aufführungen und Informationen gibt. Weil es so viele Einsteiger wie mich gibt, die Jahre damit verbringen, die Vielfalt der Großen und Bekannten zu ergründen, an denen sich die Unbekannten vermutlich messen lassen müssen, solange diese Art der Musik von Menschen gehört wird. Und ich werde das Gefühl nicht los, dass diejenigen, die das Standardrepertoire ausgelassen und sich von Anbeginn nur mit "exotischem" befasst haben, auch eine Menge verpassen. Ich freue mich auf beides - das Standardrepertoire und die Exoten, denn ich liebe in erster Linie die Musik an sich und deren Vielfalt.
Liebe Grüße
Euer Gallo