Beiträge von florian

    Frau Hessler ist seit gut 20 Jahren Pressesprecherin des Nationaltheaters München und trägt inzwischen wohl den Titel einer Direktorin. Die Strukturen eines Opernhauses dürften ihr gut vertraut sein, doch einen Intendanten beobachten und ihm zuarbeiten und eine Intendanz leiten sind zwei verschiedene Paar Schuh. Vor einigen Jahren bewarb sich Frau Hessler als Kulturreferentin von München, unterlag aber.


    Florian

    Den Höreindruck durch eine CD kann ich nicht bestätigen. Dafür fehlt mir die CD. Trotzdem gewann ich einen fulminanten Eindruck - und zwar vorgestern Abend auf Arte, wo der Pianist polnisch-ungarischer Herkunft anderhalb Stunden während einer Tournee durch Osteuropa porträtiert wurde.
    Anderszewski hat sich einen Eisenbahnwaggon umbauen lassen zu einer Art Wohnmobil inklusive Küche und Steinway-Flügel. Diesen Waggon läßt er an die Züge auf seiner Tourneeroute anhängen und seinen Flügel am jeweiligen Konzertort in den Saal transportieren (erinnert irgendwie an Horowitz). Und so fährt der Künstler auf nicht alltägliche Weise durch die Lande, und wenn das Kind im Manne zum Vorschein kommt, dann setzt er sich für ein paar Stationen auch mal zum Lokomotivführer und spielt auf seine Art Eisenbahn.
    Auf der Reise präsentierte sich ein charmanter, weltläuifiger, sprachgewandter, jugendlich wirkender Musiker von ungemeiner Gedankentiefe, der ewig auf der Suche zu sein scheint und mich in seinen künstlerischen Anforderungen an sich selbst etwas an Carlos Kleiber erinnert. Bei einem Konzert in Paris spielte er eine Partita von Bach, kam hinter die Bühne und erklärte, er habe nur 30% dessen gegeben, was er vermöge, ging auf die Bühne zurück und teilte dem verdutzten Publikum mit, er sei mit seiner Interpretation nicht zufrieden und werde daher die Partita jetzt noch einmal spielen. Wo gibt es solche Skrupelhaftigkeit mit der eigenen Leistung sonst im Konzertbetrieb?
    Man sah Anderszewski bei einer CD-Einspielung des Beethoven KK 1 mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, die er auch dirigierte (eine spielerisch-mitreißende Interpretation, in der sich die Freude der Musiker am delikaten Wechselspiel auf den Gesichtern widerspiegelte) sowie mit dem Brahms KK 2 mit dem Philharmonia Orchester unter Gustavo Duhamel. Gleichzeitig erklärte Anderszewski, er wolle fortan weitgehend auf Klavierkonzerte verzichten, da dies zu viele Kompromisse mit sich bringe.
    Und zwischendurch spielte in seinem Waggon ständig Mozart, darunter die halbe Zauberflöte, während er redete. Seine Liebe zu Mozart scheint nicht frei von Fanatismus zu sein. Natürlich empfindet er sich als Pole Chopin verpflichtet, doch bevorzugt er eine dosierte Annäherung, denn Chopin als ständiger Begleiter seiner Konzerte führe rasch zur Übersättigung. Manches, was er sagt, wirkt etwas exzentrisch, anderes tiefgründig durchdacht. Mich beeindruckte die Glaubwürdigkeit seines künstlerischen Strebens, die bei aller Intellektualität eine naive Lauterkeit nicht ausschließt.
    Meinethalben hätte der Porträt-Film noch weitergehen können - ein übrigens exzellent gemachter Film von einem polnischen Franzosen, dessen Namen mir Schwierigkeiten macht, der mir aber mit einem Porträt des alten Sjatoslaw Richter (mit Fischer-Dieskau als dessen deutscher Stimme) in bester Erinnerung ist.
    So wie sich Piotr Anderszweski in diesem Porträt vorstellte, haben wir es mit einem Künstler zu tun, der sich nur sehr bedingt dem üblichen Klassikbetrieb zur Verfügung zu stellen scheint. Ich war von diesem mir bisher unbekannten Pianisten sehr angetan. Eine überzeugende Persönlichkeit, nicht nur musikalisch.


    Florian

    Liebe Diotima,


    Du hast diesen Musikschrank von 1952 so präzise beschrieben, wir müssen den gleichen gehabt haben. Ich meine, das Wunderding war ein Telefunken-Erzeugnis gewesen, aber da kann ich mich auch irren. Und 1952 - da zählte ich bereits acht stattliche Lenze, stolz mit meinen musiklischen Erweckungserlebnissen paradierend - nicht immer zur Freude der Familie, die sich um den Kasten versammelten, um sich an Unterhaltungs- und Quizsendungen zu ergötzen, was ja ganz hübsch sein mochte, doch meine eigenen Entdeckungsfahrten nicht selten erheblich störte. Komisch, was einem jetzt aus diesen frühen Tagen so alles einfällt.


    Salute, salutate


    Florian

    Es war wohl anno 1952. In unserem Haus wohnte im Dachjuchhe ein junges Ehepaar, das nach Kanada auswanderte und seinen Hausrat verkaufte. Darunter nicht etwa ein Radio (wir hatten keins), sondern einen ausgewachsenen Musikschrank. Mein Vater erwarb dieses staunenswerte Gerät, das ich natürlich sofort ausprobierte. Ein Musikschrank 1952 - das war eine Rarität sondergleichen, die wir uns nur wegen der günstigen Gelegenheit leisten konnten. Auch Platten waren beigegegeben, natürlich 78er, die heute kein Mensch mehr kennt. Ich entdeckte Lehárs "Land des Lächelns" auf Polydor mit Peter Anders und Trude Eipperle, das ich rauf und runter nudelte. Dann Mantovani mit Tangos sowie Marschmusik, die mich allerdings weniger interessierte. Sogar eine Langspielplatte von Telefunken war vorhanden, und zwar Weihnachtslieder mit Tiana Lemnitz. Ob ich die Nachbarschaft mit diesem Liedgut im Hochsommer begeisterte, entzieht sich meiner Kenntnis.
    Unvergeßlich dann das Weihnachtsfest selbst. Der erste eigene Plattenerwerb der Familie. Da präsentierte mein Vater der staunenden Verwandtschaft zwei Columbia-LPs mit dem dritten Akt der "Walküre", einem Mitschnitt der gerade wieder eröffneten Bayreuther Festspiele unter Karajans Leitung. Astrid Varnay, Sigurd Björling und Leonie Rysanek waren die Protagonisten. Ich war hin und weg und war von dem Musikmöbel nicht mehr wegzubringen. Das war der Beginn meiner lebenslangen Beschäftigung mit der Oper im allgemeinen und Wagner im besonderen. 64 DM kosteten diese beiden Platten, ein kleines Vermögen, für mich als Zweitklässler schlicht unvorstellbar. Heute noch habe ich diese zwei kostbaren Platten, wenn auch längst vom Zahn der Zeit erheblich angenagt. Kürzlich übermannte mich die Nostalgie, und ich kaufte diese jetzt auf CD wieder veröffentlichte Aufnahme, und ich muß sagen, die Qualität der Interpretation, die einst den kleinen Buben begeisterte, hat heute noch vor dem Ohr des Erwachsenen Bestand.
    Als dann auch Platten mit Klavierkonzerten ins Haus kamen (Beethoven 4 und 5, Grieg, Schumann), atmete meine von soviel Wagnerei leicht genervte Mutter erleichert auf. Doch auch das hatte Folgen. Kaum auf dem Gymnasium, meldete ich mich, ohne jemanden zu fragen, zum Klavierunterricht an. Es war die erste eigenständige Entscheidung meines Lebens, die ich nie bereut habe - auch wenn meine Familie diesen kühnen Entschluß mit der entgeisterten Frage quittierte, wo um Himmels willen wir denn ein teures Klavier hernehmen sollten. Daß bei der Oma in einer Abstellkammer ein altes Klavier ungenutzt herumstand, hatten alle längst vergessen, inklusive die Oma, nur ich nicht...


    Florian

    Sternstunden in der Oper? Alle Aufführungen mit Carlos Kleiber am Pult des Münchner Nationaltheaters, als da waren Otello, La Traviata, Fledermaus und Rosenkavalier, den ich sechsmal sah. Jede Vorstellung war ein Festspiel. Man spürte förmlich die Suggestionskraft, mit der er alle Mitwirkenden zu Höchstleistungen anspornte. Als jemand, der seit 50 Jahren die Oper besucht, habe ich etliche Erfahrungen gesammelt, aber nie wieder eine solche Ausnahmeerscheinung wie diesen Carlos Kleiber erlebt.


    Florian

    Ehrlich gesagt, "Spaß" hat mir Musik nie gemacht. Sie war mir seit je innerstes Bedürfnis, gegen das ich mich weder wehren wollte noch konnte. Ich kann mich noch nicht mal an eine Art Initialzündung erinnern, die diesen Prozeß in musicis ausgelöst hatte. Mag sein, daß ich mich gegen diesen "Spaß" instinktiv wehre, weil er in den letzten 15-20 Jahren - nicht zuletzt auch durch die Werbung - geradezu inflationär benutzt wird. Das geht hin bis zu Spaß-Gesellschaft, in der alles und jedes verfügbar sein soll - zum Ablenken, zum Zeit-totschlagen. Mag auch sein, daß meine Abwehr gegen dieses Wort auf andere überinterpretiert wirkt, vor allem auf junge Leute, die sich wundern, warum ein alter Zausel wie ich ein solches Wortgewicht in den Begriff wuchtet. Wobei es mir natürlich fernliegt, anderen den Spaß zu verderben. Für mich selbst war von Anfang an ein anderer Begriff maßgeblich: Neugier. Aus dieser Neugier gewann ich Freude an der Entdeckung, Begeisterung und - ja auch das - Erschütterung. Das ist, für mein Verständnis, weit mehr als Spaß...


    Florian

    Heute und Morgen Sinfoniekonzert mit dem Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Herbert Blomstedt.


    Programm:
    - Mozart: Sinfonie Nr. 34
    - Bruckner: Sinfonie Nr. 9


    Kenne Blomstedt zwar von einigen CDs, doch live ist dies eine erste Begegnung. Bin gespannt. Bruno Walter sagte mal irgendwo, ein Dirigent fände den wirklichen Zugang zu Bruckner erst jenseits der 50. In sofern müßte der 80jährige Blomstedt einiges zu bieten haben.


    Florian

    Bei groß dimensionierter Orchesterbesetzung wird es selbst in einem großzügig bemessenen Orchestergraben eng. Man sitzt reichlich dicht vor- und hintereinander. Und dann kommen die extrem lauten Teile einer Oper zur Exekution, beispielsweise bei Strauss und Wagner. Die Hörner blasen die Fagottisten und Flöten weg, die Posaunen und Trompeten die Streicher. Das Orchester "dreht auf", und im Regelfall ist der Effekt fürs Publikum imponierend. Nur - wie halten die Musiker gegenseitig diese extremen Fortissimo-Stellen aus? Auf Dauer könnte man davon doch schlicht einen Gehörschaden davontragen, was wiederum ja reichlich berufsschädigend sein könnte. Gibt es da irgendwelche Hilfsmittel zur "Selbstverteidigung"? Vielleicht könnte ein Praktiker meine etwas hilflose Frage beantworten.


    Florian

    Der Bayreuther Schalldeckel ist schon eine feine Sache. Der Gesamtklang ist schlicht fantastisch und erzielt eine musikalische Wirkung, die man bei Wagner andernorts nicht findet. Jimmy Levine soll diese Einrichtung für sich persönlich sehr angenehm empfunden haben, denn seine Unsichtbarkeit erlaubte es ihm, sein schweißtreibendes Geschäft mit Handtuch zu absolvieren...


    Merkwürdig, daß im Münchner Prinzregententheater, im Innern ein Nachbau von Bayreuth, zumindest bei Wagner auf die Benutzung des Deckels verzichtet wird. Aber vermutlich war Herr Lorin Maazel, der Dirigent einer Tristan-Aufführung, aus persönlichen Gründen dagegen.


    Normalerweise bevorzuge ich im Theater einen Platz, von dem aus Orchester und Dirigent gut zu sehen sind. Ich finde es spannend und aufschlußreich, die Damen und Herren Musici bei ihrer Arbeit zu beobachten, vor allem dann, wenn sie wirklich als Künstler ihres Fachs gefordert sind. Und gelegentlich entschädigt die Konzentration auf den Orchestergraben für absurde Bühnenbilder und Inszenierungen, deren Rätselspiele mich als Zuschauer nicht selten langweilen. Da ist die musikalische Arbeit am Werk u.U. spannender zu beobachten, vor allem auch, weil man eine Menge über die Instrumentationskunst eines Komponisten gleichsam am lebenden Objekt lernen kann. Und wenn ein wirklich kompetenter Dirigent den Laden schmeißt, ist es ein Vergnügen, ihm zuzuschauen, wie er Akzente setzt.


    Neulich war ich in einer Otello-Vorstellung. Das Bühnenbild, vier Akte lang aus diversen Laufstegen vom Schnür- bis zum Bühnenboden bestehend, war von gediegenem Schwachsinn. Den Otello sang der körperlich sehr gewöhnungsbedürftige Johan Botha, der leider dermaßen korpulent ist, daß ihm körperliche Bewegungsabläufe kaum möglich sind. Was für die Darstellung eines extrem eifersüchtigen Menschen denn doch zu wenig ist. Er steht und singt. Trotzdem war der Abend kein Verlust. Ich saß in der ersten Reihe direkt vor den Hörnern und beobachtete interessiert die vier Herren bei ihrem Wechselspiel. Otello wurde zu einer Art Hornkonzert à quatre. Natürlich litt der Gesamtklang von meinem Sitz aus ein wenig. Doch das Zusammen- und Wechselspiel der Hörner war faszinierend. Normalerweise bleiben einem diese Details verborgen. Und schon begann die Fragerei. Warum hat Verdi an einer Stelle einem Horn einen einzigen Viertel- oder gar Achtelton in die Partitur geschrieben, obwohl das für den Gesamtklang eigentlich unerheblich erscheint. Schließlich hat sich der alte Meister ja was dabei gedacht. Warum eine normalerweise kaum hörbare Nuance in der "Fülle des Wohllauts"? Auch dies ein Rätselspiel, aber doch weitaus interessanter als das des Bühnenbilds.


    Zweimal erlebte ich die Orchestermusiker an ungewohnter Stelle. Einmal bei einer Aufführung der "Lady Macbeth von Mzensk" von Schostakowitsch in Kassel, wo - als Teil der Inszenierung - das Orchester auf der Bühne eine Art Halbkreis um die Spielfläche bildete. Der Gesamtklang war erstaunlicherweise gut und die optische Wirkung durchaus überzeugend. Zum anderen eine "Parsifal"-Aufführung bei den Tiroler Festspielen in Erl. Das dortige Festspielhaus ist für Passionsspiele konzipiert, so daß ein Orchestergraben gar nicht vorhanden ist. Gustav Kuhn, Dirigent und Leiter dieses sommerlichen Unternehmens, plazierte sein nicht gerade kleines Orchester an der Rückseite der Bühnenwand, so daß die Spielfläche wie in einem Schauspielhaus direkt von der ersten Zuschaureihe begrenzt wurde. Seitliche Monitore stellten für die Sänger den Kontakt mit dem hinter ihnen agierenden Dirigenten her. Auch hier war das Ergebnis durchaus frappierend. Der Orchesterklang erreichte den Zuschauerraum klar und deutlich, ohne jede Dumpfheit. Schwerer hatten es die Sänger. Denn jede Unsicherheit, Textunverständlichkeit etc. erreichte den Hörer ohne den "Schutzwall" des Orchesters.


    Florian

    Im Anhang der "Erinnerungen" von Andor Foldes (Limes Verlag/Ullstein 1993) ist eine Liste seiner Plattenaufnahmen beigegeben. Fast alle Einspielungen sind ursprünglich bei DGG erschienen (Albeniz, Bach, Barber, Bartók, Beethoven, Brahms, Chopin, Copland, Debussy, de Falla, Kodaly, Liszt, Mozart-Konzerte, Poulenc, Rachmaninoff, Strawinsky);
    Mozart-Sonaten, Schubert-Sonaten, Impromptus und Moments musicaux sowie Schumanns Kreisleriana, Carnaval, Kinderszenen und Papillons bei EMI. Schwerpunkt seiner Aufnahmetätigkeit war Bartók.


    Ich lernte Foldes in den späten 50er Jahren mit dem zweiten Rachmaninoff-Konzert bei DGG kennen. Der Pianist lernte das Konzert speziell für diese Aufnahme. Doch bereits am ersten Tag kam es zum Eklat, als in einer Pause der Aufnahmeleiter Foldes bat, doch "mit etwas mehr Schmalz" zu spielen. Konsterniert antwortete Foldes: "Die DGG kann zwar mein Spiel kaufen, nicht aber meine Auffassung", stürmte tobend davon und reiste ab. Zurück blieb ein irritiertes Aufnahmeteam inklusive Orchester und Dirigent von 104 Leuten. Erst ein halbes Jahr später konnte die Aufnahme beendet werden - natürlich mit einem anderen Aufnahmeleiter.


    Foldes galt als Wunderkind. Mit vier Jahren entdeckte er das häusliche Klavier. Erste Lehrerin war seine Mutter. Mit acht Jahren debütierte er mit Mozarts Konzert KV 450, ein Jahr später folgte Beethovens C-Dur-Konzert. Zu der Zeit wurde der Wunderknabe in die Budapester Franz-Liszt-Akademie als Student aufgenommen, wo ihn Ernst v. Dohnanyi in Klavier, Leo Weiner in Komposition und Ernst Unger im Dirigieren unterrichteten. Seine Konzertlaufbahn, die er nach der Diplomprüdung 1932 begann, unterbrach Foldes, unzufrieden mit seinem nach eigener Einschätzung allzu aufs Virtuose angelegten Spiel, um Philosophie und Sprachwissenschaften zu studieren. Erst 1939, mit 26 Jahren, genügte er seinen eigenen Ansprüchen, so daß er offiziell seine Konzerttätigkeit wieder aufnahm. 1939 bis 1954 lebte er in den USA und erwarb die amerikanische Staatsbürgerschaft.


    Besondere Bedeutung maß Andor Foldes seiner Begegnung mit Erich Kleiber zu. Kleiber war 1938 für einen Beethoven-Zyklus mit allen Sinfonien und Klavierkonzerten an sechs Abenden nach Budapest eingeladen worden. Ernst v. Dohnanyi, Edwin Fischer, Walter Giesking und Arthur Schnabel waren die Solisten der Konzerte Nr. 1,3,4 und 5. Für das zweite Konzert, das "leichte , machte Kleiber den Vorschlag, einen kleinen Wettbewerb unter jungen ungarischen Pianisten zu veranstalten. Als Prüfungsaufgabe stellte Kleiber Passagen aus dem fünften Klavierkonzert. Der Sieger sollte als Solist verpflichtet werden. Natürlich kämpfte, neben etlichen anderen, auch Andor Foldes um diese Ehre. Die nachmals berühmte Annie Fischer war seine "gefährlichste" Konkurrentin. Dreimal darf man raten, wem Kleiber die Siegesplame zuerkannte. Drei Monate hatte Foldes Zeit, um dieses "leichte" zweite Klavierkonzert vozubereiten.


    Über die Proben mit Erich Kleiber schreibt Foldes: "Selten habe ich so viel über Zusammenspiel, überhaupt über Beethovenspiel gelernt.. Plötzlich war das Zusammenspiel federnd und leicht, die Funken begannen zu sprühen, das Leben wurde zu einer Wonne, und mein Auftreten mit Erich Kleiber gestaltete sich zu einem großen Erfolg für mich, den jungen Pianisten, der zum erstenmal im 'großen Beethoven-Zyklus' spielen durfte."


    Florian

    Vermute mal, daß nach dieser weltstürzenden Kultur-Nachricht Lenny Bernstein durch die Himmelsgänge stürmt, um Herbie zur Rede zu stellen. Der ewige Gegenspieler nun auch noch im posthumen Ruhmesglanz eines Compositeurs?
    Ich bin sicher, die DGG wird nicht zögern, von Frau Eliette die Genehmigung einzuholen, den weitläufigen Garten der Villa in Anif umgraben zu dürfen, in der Hoffnung, weitere kompositorische Preziosen ans Tageslicht zu befördern. Verschollenes weckt bekanntlich immer archäologische Neugier - warum nicht auch in Karajans Gärtlein? Ich selbst wäre an dem Konzert für 23 Kochtöpfe, Raspelholz, wohltemperierte Glücksamulette und Blasorchester interessiert.


    Bei der Sinfonie der Zehntausend, wohl das Hauptwerk, das Josephus verdienstvollerweise der staunenden Öffentlichkeit vorstellt, bin ich bezüglich der Besetzung freilich etwas irritiert. Können die Berliner Philharmoniker wirklich mindestens 200 Streicher und 100 Bläser aufbieten? Oder sind ihnen nicht die Wiener Philharmoniker kollegial zur Seite gesprungen, weil sich dieses Mammutwerk eigentlich nur gemeinsam stemmen läßt? Fragen über Fragen...


    Florian

    Zu den bekanntesten Musik-Dynastien zählt sicher die Strauß-Familie: Vater Johann Strauß nebst seinen drei Söhnen Johann, Josef und Eduard.

    Im Sinne einer angeheirateten Verwandtschaft sei Josef Suk genannt, der Schwiegersohn Antonin Dvoraks.


    Bei der bereits erwähnten Puccini-Dynastie wird als Urvater der Orgelbauer Carlo Puccini erwähnt, dessen Lehrjahre um 1670 datiert werden.
    Die kompositorische Begabung wurde kontinuierlich von Generation zu Generation vererbt:
    1. Stammvater Giacomo Puccini (1712-1781)
    2. Antonio Puccini (1747-1832)
    3. Domenico Puccini (1771-1815)
    4. Michele Puccini (1813-1864)
    5. Giacomo Puccini der Jüngere (1858-1924)
    Mit Giacomo dem Jüngeren erreicht die kompositorische Begabung der Dynastie ihren Höhepunkt und Abschluß. Giacomos Sohn Tonio war ohne jegliches musikalische Talent und ergriff den Ingenieursberuf.

    Florian

    Eien Kostprobe aus dem "Völkischen Beobachter" vom 10.2.1933, demonstrierend, mit wes Geistes Kind man es bei Paul Graener zu tun hat:
    "Wie weit es unter dem vierzehnjährigen marxistischen Regime gekommen ist, bewies ein Konzert [in der Staatl. Hochschule für Musik Berlin], das die Klasse des Herrn Gmeindl [dort 1922-45 Kompositionslehrer] geben durfte. Was da an wüsten Tönen auf die leidende Menschheit losgelassen wurde, spottet jeder Beschreibung. So war es kein Wunder, wenn nach dem ersten Stück der Komponist Prof. Dr. Paul Graener aufstand und in den Saal rief: 'Meine Damen und Herren! Dieses klägliche Gestammel wagt man Ihnen als deutsche Kunst an einer deutschen Hochschule für Musik zu bieten. Ich protestiere dagegen als deutscher Künstler.'"
    Graener verließ daraufhin lautstark die Veranstaltung in Begleitung von sechs Mitgliedern des Kampfbundes für Deutsche Kultur.
    Der Direktor der Hochschule Georg Schünemann wurde noch 1933 fristlos entlassen. Graener wurde 1935 Vizepräsident der Reichsmusikkammer. Seine Opern bei den Oberen des 3. Reichs erfreuten sich großer Beliebtheit, und zwar, wie es offiziell hieß, wegen ihrer "bewußt deutschen Haltung."


    Auszug aus einem Aufsatz Graeners in: Die Musik vom Juni 1933:
    "Die falschen Propheten des Fortschritts und die ihnen allzu dienstbare Presse, deren Vertreter fast ausnahmslos artfremden, internationalen und liberalistischen Kreisen angehörten, vermochten durch viele Jahre das naivere Publikum vom wahren Wesen deutscher Kunst abzudrängen, indem sie ihm neue Scheinideale aufdrängte, indem sie das, was wirklich deutsch und echt (Romantik!) war, als rückständig bezeichneten und es lächerlich machten, indem sie Künstler - meist gegen deren innerstes Fühlen - zwangen, die haarsträubendsten Kakophonien als 'interessant' und 'voll tiefer Problematik' zur Diskussion zu stellen, um somit selbst als interessant und auf der Höhe der Zeit zu erscheinen. ... Nun aber, wo das Volk sich selbst wiederfindet, wo seine Seele emporsteigt, wie der Phönix aus der Asche, wo sein verdorrtes Herz wieder aufblüht, nun will es auch, daß seine Kunst wieder gesundet, will eine Kunst, an der es wieder teilhaben kann, die von seinem Herzblut durchtränkt ist, die seine Seele widerspiegelt. Es will wieder Romantik - härter wohl als die Vorfahren - es will wieder Schönheit - mag und soll sie herb sein - und es will wieder mitsingen können, so wie es bei den Alten, Unvergeßlichen mitgesungen hat. Ihr deutschen Künstler, hört Ihr die Stimme Eures Volkes?"


    Brief Graeners an die Privatkanzlei Adolf Hitler vom 19.2.36:
    "Mein Führer! Am Freitag d. 28. d. M. dirigiere ich meine Oper 'Der Prinz von Homburg' in der Staatsoper. Seit dem ersten Erscheinen des Werkes im März 35 hegte ich die Hoffnung, daß Sie, mein Führer, den Besuch einer Aufführung ermöglichen möchten. In jahrelanger Arbeit habe ich versucht, mit dieser Oper ein nationales Kunstwerk zu schaffen und ich wäre glücklich, wenn Sie, mein Führer, diese von mir zum ersten Mal geleitete Vorstellung am 28. d. M. mit Ihrer Gegenwart beehren würden. In tiefster Ergebenheit Ihr Paul Graener."


    Von einer Tagung der Reichsfachschaft deutscher Komponisten sandte Graener im Mai 1936 folgendes Grußtelegramm an Hitler: "Die erste Reichstagung der deutschen Komponisten auf Schloß Burg an der Wupper sendet Ihnen, mein Führer, als dem ersten Künstler der deutschen Nation in steter Einsatzbereitschaft ergebenste Treue. Paul Graener im Namen der Reichsfachschaft Komponisten in der Reichsmusikkammer."


    1942 erhielt Graener zu seinem 70. Geburtstag "im Auftrag von Reichsminister Dr. Goebbels mit dessen Bild die vom Führer verliehene Goethe-Medaille".


    Man könnte diese Zitate fortführen, doch denke ich, daß deutlich wurde, Graener war keiner der üblichen Mitläufer, sondern aktiver Teilhaber des Nationalsozialismus im Funktionärsrang mit erheblichem Einfluß auf die Musikpolitik des 3. Reiches.


    Ich denke, ein abgeschlossenes Leben, zur Historie geworden, ist nicht nur nach dem hinterlassenen Werk zu beurteilen, sondern auch nach Lebensumständen und Geisteshaltung. Alles andere wäre schizophren - jedenfalls im historischen Sinne.


    Florian

    Liebe Jolanthe,


    daß das hohe Preisgeld sinnvoll verwendet werden wird, das ist wohl anzunehmen. Zumal Domingo nun wirklich ein integrer Mann ist (habe ihn mal kennengelernt).


    Noch ein Hinweis für den Domingo-Fan/die Domingo-Fanin (geht diese weibliche Form wirklich?? - wohl eher female fan, vermute ich): Der Herr Sangeskünstler weilt derzeit in New York, alldieweil er morgen in der Met
    den Maurizio in Adriana Lecouvreur von Ciléa singen wird (neben Maria Guleghina in der Titelrolle). Das war vor 40 Jahren seine Einstandsrolle an der Met und die gibt er morgen zur Feier dieses Jubiläums zum besten. Dir bleibt es unbenommen, mit einem Pikkolo auf das Wohl des Gefeierten zu trinken, während er so vor sich hin singt, denn die Aufführung wird morgen live im Rundfunk ab 19 Uhr übertragen - jedenfalls bei uns in Bayern in Bayern 4 Klassik. Es schließen sich außerdem an: Österreich 1, Hessischer Rundfunk 2 und DeutschlandKultur. Ob auch ein WDR-Senderdabei ist, weiß ich nicht.


    Mit einem gedachten "hohen C"
    Florian

    Opernball? Das ist wie "Dinner for One" an Silvester. The same precedure als every year! Im Sketch-Klassiker gehts freilich für den Betrachter lustiger zu.
    So lange der offensichtlich unvermeidliche "Mörtel" jedoch das heimliche Maskottchen der Veranstaltung ist, ist mir um all das Gewurle der Adebeis nicht bange. Was für ein vermülltes Ego muß ein armer reicher Mann haben, daß er es nötig hat, angeblich hochprominente Frauen für diese Festivität einzukaufen. Könnte sein Frack auf Peinlichkeiten reagieren, der Mann stünde im Hemde da - bestenfalls.


    Und was den Opernball betrifft, den Zwielicht dem Gregor unter die Nase reibt. Den werden die Haydn-Forscher inzwischen an Richard Heuberger weitergereicht haben. Denn der hat ein Werk dieses Namens erfolgreich in die Welt gesetzt und die Operetten-Liebhaber walzerselig ins bekannte chambre séparée eingeladen.


    Florian

    Hi,


    gerade den Nachrichten entnommen. Heute wurde der erste Träger des neuen Birgit-Nilsson-Preises bekanntgegeben: Placido Domingo. Frau Nilsson hat eine Stiftung gegründet und vor ihrem Tode noch den ersten Preisträger in einem versiegelten Brief festgelegt, der heute geöffnet wurde. Nach Meinung der Stifterin ist Domingo einer der größten Sänger aller Zeiten.


    Ungewöhnlich ist die Höhe des Preisgelds, geradezu nobelpreisverdächtig. Es beläuft sich auf sage und schreibe eine Million €. Wenn man freilich berücksichtigt, wie ekstatisch derzeit mit Milliardensummen um sich geworfen wird, nimmt sich diese Million geradezu "bescheiden" aus, und der Opern-Kultur kann es ja gewiß nicht schaden. Denn ich gehe davon aus, daß Domingo diese Million nicht zur Renovierung seines Arbeitszimmers ausgeben wird - wie jüngst erst ein US-Banker, als sein Laden schon am Zusammenbrechen war.


    Florian

    Weiter oben tauchte der Name Fritz Wunderlichs als Vergleich auf. In einem längeren Rundfunkinterview gab sich Beczala geradezu schwärmerisch als Bewunderer Wunderlichs zu erkennen. Er habe vor etlichen Jahren im Warschauer Opernhaus in einem Raum hinter der Bühne zufällig eine Plattenaufnahme gehört, die ihn so gefesselt habe, daß er sich nach dem Namen des Sängers erkundigte. Seitdem sei er Wunderlichs Stimme geradezu verfallen. Der sei ein unerreichbares Vorbild. Einen Vergleich lehnte er ab. Mittlerweile sei er mit Wunderlichs Familie in Kontakt getreten, sei herzlich aufgenommen worden und habe im Haus der Witwe wunderschöne Abende verlebt.


    Daß der Mann nach Deutschland kam ohne kaum mehr als "Bitte" und "Danke" sagen zu können, jetzt aber ein sehr gewähltes Deutsch spricht (besser als so mancher "Eingeborene"), und das sehr flüssig und nahezu akzentfrei, verblüffte mich nicht wenig.


    Beczala wirkte in diesem Interview nicht nur sehr sympathisch, sondern erwies sich zudem als hochintelligent. Für einen Sänger seiner Statur sei Mozart das A und O aller Bemühungen. Ohne Mozart gehe gar nichts. Zudem war er sich der Gefährdungen einer modernen Sängerlaufbahn sehr bewußt, warnte temperamentvoll vor dem vorzeitigen Verschleiß durch die Verlockungen des Gewerbes. Unwillkürlich dachte man als Hörer an seinen Kollegen Villazon, ohne daß er ihn genannt hätte. Also ein Mann, der sehr genau weiß, was er tut und sich vom Ruhm in seinen Entscheidungen nicht allzu sehr beeindrucken läßt. Man müsse rechtzeitig lernen, Nein zu sagen, das sei eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Karriere - nicht weniger wichtig sei ein intaktes Familienleben (er läßt derzeit ein Haus bei Krakau bauen), aus dem er Kraft schöpfe. Ein bodenständiger, vernunftbegabt-nüchtern wägender Mensch im skeptisch betrachteten Sonnenschein des Erfolgs. Und ganz "nebenbei": seine Stimme fasziniert mich schon sehr...


    Florian

    Alsdann ein da capo für das allseits bekannte AN-"Phänomen", diesmal in einem Zusammenhang, den ich so nicht erwartet hätte. Meine Quelle ist eine ausgiebige Reportage des Bayerischen Fernsehens vom letzten November.


    Es begab sich in dem berühmten Passionsspielort Oberammergau im Oberbayerischen, wo sich alle zehn Jahre fast das ganze Dorf zu einem Passionsspiel versammelt. Eine, man kann sagen, weltweit beachtete Veranstaltung, da auch Asiaten und vor allem Amerikaner herbeieilen. Anno 2000 kamen 500 000 Zuschauer. Das Festspielhaus fasst 5000 Plätze. Welches Opern- oder Konzerthaus könnte sich solcher Fülle rühmen?


    Leider lassen sich offenkundig die Millionen, die die Gemeindekasse überschwemmen, nicht vollständig über die "Dürre" der spielfreien Jahre strecken, so daß man 2008 im Gemeinderat über einen lukrativen Event nachsann. Dabei verfiel man auf die Idee, die auch hier namentlich bekannte Anna Netrebko für ein Opernkonzert zu engagieren. Das Münchner Rundfunkorchester sollte assissiteren. Die Anfrage fand erfreuliche Resonanz, Frau Netrebko sagte zu, die Dorfältesten rieben sich die Hände. Und die Rechnung ging auf. Innerhalb kürzester Zeit war das Festspielhaus ausverkauft. Ein satter Gewinn stand zu erwarten.


    Dann die Katastrophe. Frau Netrebko sagte wegen Schwangerschaft das Ereignis ab. Diese Begründung mußte als höhere Gewalt gelten und war vertraglich unanfechtbar. Was aber tun? Vermutlich beriet man sich mit irgendwelchen Experten (wir leben ja im Zeitalter der Experten bis zum Überdruß). Jedenfalls tauchte als "Ersatz" der Name der Sängerin Renée Fleming auf, von der es hieß, sie nicht weniger berühmt und würde folglich für das ausverkaufte Haus Ehre einlegen. Die Freude war groß, als Renée Fleming sich bereit erklärte einzuspringen.


    Leider war die Freude kurz, denn nachdem die Besetzungsänderung bekannt gemacht worden war, wurde ca. die Hälfte der Karten zurückgegeben. Der erwartete Gewinn für die Gemeinde schmolz wie Butter an der Sonne dahin, der Kassierer raufte sich die Haare, doch natürlich mußte das Konzert stattfinden.


    Dann die Szene der TV-Reportage während der Veranstaltung. Der Reporter marschierte mit seinem Mikrofon durch eine ansehnliche Menge, die außerhalb des Festspielhauses sommerabendlich flanierte und dabei sich von der verschmähten Sängerin durchaus unterhalten ließ, da die Musik dank der nicht überdachten Bühne auch außerhalb gut zu hören war.


    Mehrfach outeten sich Leute vor der Kamera als Konzert-Verweigerer wegen Netrebkos Absage. Nein, sie wären nur an dieser berühmten Sängerin interessiert. Wer dagegen war schon Renée Fleming. Der Name sage gar nichts. Aber die singe doch, wie man gerade hören könne, ausgezeichnet - so der Reporter. Mag ja sein, so eine Replik, doch für eine Unbekannte gäbe man nicht sein Geld her.


    Die interviewten Herrschaften, meist soigniert dreinblickende ältere Ehepaare, ließen sich in ihrem "Kennerurteil" nicht beeinträchtigen. Hätte der Reporter sie gefragt, ob sie sich in ihren Entscheidungen von dem üblichen Werberummel beeinflussen ließen, sicher hätten sie diese Unterstellung empört zurückgewiesen.


    Florian

    Endlich wären wir nach all den (wichtigen?) Kleiderfragen bei dem Hamburger Event wieder angelangt, dessen technische Umsetzung ich mir ziemlich aufwendig vorstelle.


    Um von profanen Events zu sprechen: Wir haben in München im Sommer während der Festspiele regelmäßig seit Jahren vier dieser Spezies. Aus der Oper wird auf den Max-Joseph Platz eine Oper auf eine riesige Leinwand übertragen. Am Ende der Vorstellung kann das Publikum im Opernhaus Beifall oder Mißfallen nur kurz äußern, da die Künstler zum "eigentlichen" Applaus auf den Platz eilen. Vor dem Marstall spielt das Bayerische Staatsorchester ein Sinfoniekonzert (Unvergeßlich Mahlers Zweite unter Mehta, die wegen Regens doppelt so lange dauerte als üblich, beträchtliche Teile des Publikums aber ausharren ließ.) Beide Aufführungen sind kostenlos und werden von Tausenden von Menschen besucht (Einmal sprach eine Zeitung von 10 000). Man steht, sitzt oder liegt oder flaniert, soweit dies in der Menge möglich ist.


    Außerdem geben vor der Feldherrenhalle die Münchner Philharmoniker und tags darauf das Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks Sinfoniekonzerte. Diese Veranstaltungen sind bestuhlt und daher kostenpflichtig, werden aber nicht weniger frequentiert als die beiden ersten. So erscheint auch der Odeonsplatz jedes Mal von Menschen überflutet.


    Innerhalb von ca. 14 Tagen wartet München also regelmäßig mit Massenspektakel der klassischen Musik auf, was natürlich auch Würstchenbuden, Wein- und Bierausschank etc. einschließt. Alle vier Events haben eines gemeinsam: das Publikum umfaßt alle Altersklassen vom Kleinkind bis zum Greis und zudem hört der größte Teil dieses Publikums auch wirklich zu, nimmt ohne Murren massenbedingte Unannehmlichkeiten in Kauf. Und sicher gibt es eine Menge Leute, die beispielsweise Beethoven IX unter Mehta oder Bruckner IV unter Nagano oder Die Walküre mit Domingo und Meier etc. das erste Mal in ihrem Leben hören und das mehr als nur "interessant" finden.


    Im Übrigen ist das ja alles nicht neu. Früher gab es bei den Berliner Philharmonikern sog. Volkskonzerte mit Speis und Trank bei geringem Eintritt. Und heute versammeln sich ca. 20 000 Menschen einmal im Jahr in der Waldbühne, lassen sich dabei vom Fernsehen ablichten und haben offensichtlich an Darbietungen und Atmosphäre einen Mordsspaß. Was gibt es da eigentlich zu diskutieren, frage ich mich verblüfft?


    Natürlich hat das auch mit dem Versuch zu tun, sich neue Hörerschichten zu erschließen. Das halte ich schlicht für selbstverständlich, wobei das, was man heute so gewichtig Marketing nennt, auch nicht so furchtbar neu ist. Ich darf vielleicht an zwei Beispiele erinnern, die mir gerade so einfallen. Richard Strauss war sich nicht zu schade, während einer USA-Tournee in einem Kaufhaus ein Orchester zu dirigieren. Und der selige Johann Strauß exekutierte, ebenfalls in den USA, ein Massenorchester mit Tausenden von Musikern, so daß er sich der Hilfe von Sub-Dirigenten bedienen mußte. Wie das halbwegs ordentlich funktionierte, bleibt mir zwar schleierhaft; Mahlers "Sinfonie der Tausend" aber muß später dagegen vom Aufwand her wie ein Kammerkonzert gewirkt haben. Natürlich war auch hier das Marketing der Vater des Gedankens. Johann Straussens Darbietung mag eine Art "musikalischer" Exzess gewesen sein, er demonstriert indessen, daß schon im späteren 19. Jh. auch weltberühmte Komponisten wenig Skrupel kannten, wenn es darum ging, sich neues Publikum auf unkonventionelle Weise zu erschließen, damit der berühmte Rubel rolle.. Denn daß am Ende jeder Argumentationskette um die Mobilisierung der hehren Kunst der schnöde Mammon steht, ist keine Binsenweisheit unserer Tage. Auch die Altvorderen hatten schon Ideen...


    Einen Vorteil haben solche Events allemal: Kleiderfragen kommen gar nicht erst auf.


    Florian

    Ich denke, es macht einen Unterschied, ob man um lebende Legenden weiß, oder ob man sie erlebt hat. Die Auftritte von vier Legenden bleiben mir unvergeßlich: Karl Böhm, Astrid Varnay, Martha Mödl und Dietrich Fischer-Dieskau.


    Etwa ein Jahr vor seinem Tod dirigierte Karl Böhm in München noch einmal drei Fidelio-Aufführungen. Den alten, gebrechlichen Mann in den Orchestergraben zu bugsieren war keine leichte Aufgabe, was freilich durch den extremen Auftrittsapplaus kaschiert wurde. Jeder im Publikum spürte, daß dies eine letzte Begegnung auf Niemmerwiedersehen war. Böhm dirigerte mehr mit den Augen, denn mit den Händen, die nur noch kleinste Bewegungen ausführten, doch die Musiker saßen auf der Stuhlkante und spielten das ihnen nun wirklich im Schlaf vertraute Werk, als gälte es ihr Leben. Jeder war sich der Einzigartigkeit der Situation bewußt. Nie werde ich die III. Leonoren-Ouvertüre vor dem letzten Bild vergessen. Nach ihrem Ende kam es zu einem kollektiven Aufschrei des Publikums, daß man fürchten mußte, der tonnenschwere Kristalllüster würde aus seiner Deckenverankerung reißen. Daß die emotional aufgeputschte Begeisterung einer lebenden Legende galt, darüber gab es keine Sekunde einen Zweifel. Unvergeßlich.


    Astrid Varnay und Martha Mödl, die großen Heroinen der 50er und 60er Jahre, standen noch im höchsten Alter auf der Bühne, Frau Mödl fast bis zu ihrem Tod - beide natürlich in kleinen und kleinsten Rollen, aber mit einer sängerdarstellerischen Intensität, die andere Sänger, 40/50 Jahre jünger, im Traum nicht erreichen würden. Ihre Auftritte waren Kabinetstücke, besonders Varnays Amme im Boris Gudunow und Mödls steinalte Gräfin in Pique Dame. Es waren völlig rollendeckende Miniporträts, die das Publikum stets in Bann zog. Und gerade weil die Stimmen brüchig waren, hatte man immer das Gefühl: so und nicht anders muß es sein! Wenn die Damen zum Schlußbeifall vor den Vorhang traten, prasselte der Applaus, als hätten sie gerade die Isolde bewältigt. Und wenn Frau Varnay jenseits der 70 ihre Klytämnestra vorstellte, hatte so manche Elektra in der großen Szene mit ihrer Mutter alles an Gestaltungskraft aufzubieten, um nicht ins Hintertreffen zu geraten. Die in einem langen Sängerdarsteller-Leben erworbene Meisterschaft noch im hohen Alter in kleineren und kleinen Rollen überzeugend präsentieren zu können war ein künstlerischer Zugewinn, der die Legende der Damen Varnay und Mödl bekräftigte.


    Ein "letztes Mal" war auch die Begegnung mit dem damals, im Herbst 2007, 82jährigen Dietrich Fischer-Dieskau, der erfreulicherweise noch heute als lebende Legende seinen Lebensabend verbringt. Es war in einem Akademiekonzert des Bayerischen Staatsorchesters unter Kent Nagano, in dem Fischer-Dieskau eine der beiden Sprecher-Rollen in Bernd-Alois Zimmermanns Ecclesiastische Aktion für zwei Sprecher und Bass übernahm (der andere Sprecher war der Schauspieler Gerd Böckmann, der Bass war Michael Volle) - ein groß besetztes, kompliziertes Werk, nach dessen Vollendung der Komponist aus dem Leben schied. Sicher - die Besonderheit dieses Zeugnisses moderner Tonkunst war aller Aufmerksamkeit wert; gleichwohl konnte es kaum verwundern, daß sich diese Aufmerksamkeit vor allem auf Fischer-Dieskau konzentrierte, war doch hier noch einmal diese lebende Legende zu besichtigen. Und so schloß der ausgiebig-starke Beifall zu Anfang und Schluß auch die Ungewöhnlichkeit des Augenblicks ein; Beifall für eine weltumspannende Lebensleistung, Beifall der Dankbarkeit jenseits des gegenwärtigen Anlasses - ein Beifall, der in seiner Emotionalität speziell für lebende Legenden reserviert erscheint.


    Florian

    Diese genaue Beschreibung eines Opernabends würde jedem überregionalen Feuilleton zur Ehre gereichen. Gratulation. Der Leser bekommt eine ziemlich prägnante Vorstellung von einer Vorstellung, die als Rarität in den Spielplänen gelten muß. Um so bedauerlicher ist nach diesem Arbeitsaufwand das schwarze Loch des Schweigens, das diesen Thread bedrohlich lähmt. Hängt das damit zusammen, daß selbt die Taminen des Münchner Umkreises vor der Begutachtung dieses Ausnahmewerks zurückschrecken? Ich besuchte die gestrige Vorstellung und war Teil eines Publikums, das sich von dem von Dir beschriebenen wohltuend unterschied. Zur Pause klatschte man mit Bedacht, aber verwundert, am Schluß ausgiebig. Nebenbei: waren die nackten Männer, die als Geister kopfüber vom Schnürboden herabbaumelten, von der Macbeth-Inszenierung ausgeliehen worden? Seltsame Duplizität.


    Ja, dieser Doktor Faustus ist im herkömmlichen Sinne inhaltlich und musikalisch sperrig, kein Freudenfest für den Gourmet. Inhaltlich, weil der "gemeine Bildungsbürger" allenfalls Goethes Faust I im Kopf hat. Und dann sitzt er im Theater und fragt sich verstört, wann ihm endlich das Gretchen-Drama den Ariadne-Faden an die Hand gibt. Doch Busoni hat einen eigenständigen Faust-Kosmos komponiert, der sich am wenigsten an Goethe orientiert, und wo er sich inspirieren läßt, greift er auf ältere Quellen zurück. Und man vergesse nicht den Zeitpunkt der Komposition: Erster Weltkrieg und die unmittelbare Zeit danach. Da gewinnen die Frivolitäten der Hybris, der Allmachtsphantasien und des notwendigen Scheiterns, worum es Busoni hier geht, eine philosophische Dimension, die ihre Aktualität der unmittelbar erlebten Menschheitkatastrophe schuldet. Aus solchen Erlebniswelten lassen sich keine populären Melodienseligkeiten gewinnen. Das wäre, wie man so schön sagt, eine contradictio in adiecto. Stattdessen begibt sich eine Art moderner Parlando-Oper, die ihre musikalische Kraft aus dem Wort bezieht (Ferruccio Busoni hat das Libretto selbst geschrieben und zwar auf Deutsch). Das Gesamtbild rundet sich nur, wenn der Zuschauer Musik und Wort die selbe Aufmerksamkeit schenkt. Anders gesagt: die Musik ergibt sich aus dem Wort, was man in den instrumentalen Einfärbungen recht gut erkennen kann (also kein Streit à la "Capriccio" von Strauss). Ich saß direkt vor der 5 Hörnern und den Holzbläsern, was eigentlich für den Gesamtklang nicht so vorteilhaft ist, in diesem Falle mir aber die Gelegenheit gab, die genau kalkulierte Instrumentation in der linken Orchesterhälfte in all ihren Nuancierungen zu studieren. Das große Orchester in Wagner-Besetzung trumpft in den seltensten Fällen kollektiv auf (am ehesten noch in der Schenkenszene), sondern wird höchst differenziert, zum Teil kammermusikalisch eingesetzt, was Busoni einmal mehr als Meister der Instrumentation ausweist.


    Busoni steht mit diesem Werk zwischen Elektra und Wozzeck, ohne daß diese zeitliche Nähe stilistisch weiterhelfen würde. Er bleibt in der harmonischen Tradition, arbeitet mit kleinteiligen Motivfloskeln und erhebt das Lapidare dank der instrumentalen Verwebungen und Einfärbungen zu großer Kunst. Von diesem Ansatz her ist der Weg zu Janacek nicht weit - trotz aller Unterschiedlichkeit, denn Busoni hat seinen Wurzelgrund nicht wie Janacek in der Folklore.


    Ferruccio Busoni schrieb eine Oper des menschlichen Scheiterns. Ist es ein Zufall, daß das Werk, wenn auch nur um weniges, unvollendet blieb? Der Schluß blieb unkomponiert, obwohl er bis zu seinem Tode dazu durchaus noch Zeit gehabt hätte. Oder war das Finale bar jeder Erlösungs-Apotheose ein künstlerischer Kraftakt, an dem auch der Komponist scheiterte? Es wäre dem Werk durchaus angemessen und konsequent.


    Ich habe den Doktor Faustus erstmals vor 27 Jahren in Frankfurt in einer Inszenierung von Hans Neuenfels gesehen. Damals spielte man die Jarnach-Komplettierung. Neuenfels inszenierte den Schluß, wie es Busonis Libretto ursprünglich vorsieht, also die visionäre Verwandlung des toten Kindes in einen nackten Jüngling, in dem sich Fausts Sohn symbolisiert. Der Komponist zögerte indessen, diese Version in die Partitur zu übernehmen.


    Es wäre reizvoll, die Frankfurter Neuenfels-Inszenierung von 1981 mit der gegenwärtigen Münchner Fassung zu vergleichen. Allein - 27 Jahre fordern ihren Tribut, und es wäre vermessen vorzugaukeln, ich könnte mich noch an relevante Details dieser ersten Darbietung erinnern. Erinnerlich ist freilich, wenn auch in aller Blässe, ein handfester Skandal und mein Unverständnis, warum ein Teil des Publikums so empört tobte. Faust war Günter Reich und Mephistopheles William Cochran - dies wiederum hat seltsamerweise das ach so selektive Gedächtnis gespeichert.


    Florian

    Ich habe Ernst Kozub in etlichen Rollen in seiner Frankfurter Zeit auf der Bühne erlebt. Unvergeßlich sein Siegmund in der Walküre mit Georg Solti, dem damaligen GDM der Frankfurter Oper, am Pult. Eines meiner eindrücklichsten Wagner-Erlebnisse. Kozub zählte zu jenen Sängern mit einem unverwechselbaren Timbre. Als Heldentenor hätte der Mann Operngeschichte schreiben können, wenn nicht, ja wenn...


    Dazu Sir Georg in seinen Erinnerungen: "Kozub hatte eine erstklassige Stimme, war aber nicht in der Lage, sich gleichzeitig an die Musik und den Text zu erinnern. Er schaffte entweder die Noten oder die Worte, aber nie beides. Wir litten beide, wenn wir an einer Rolle arbeiteten, und doch sang er in vielen meiner Inszenierungen mit großem Erfolg. Seine Stimme war so schön - er war einer der besten Heldentenöre, die ich je gehört hatte. Leider starb er, bevor seine internationale richtig begonnen hatte."


    Das Lernen war eine Qual. Solti paukte ihm die Partien quasi Note für Note und Wort für Wort ein. Wenn dann auf der Bühne auch noch die Nerven versagten, dann erlebte man bestenfalls einen mittelmäßigen Abend, wenn überhaupt. Solti vergleicht Kozub mit Reiner Goldberg, der später ja auch mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, die ihm die ganz große Karriere verbauten.


    Kozub sollte in Soltis berühmter Ring-Einspielung die beiden Siegfriede singen. Alle Versuche, ihm die gewaltigen Partien einzupauken, reichten nicht für eine Plattenaufnahme, obwohl die Studiobedingungen eigentlich seine Schwäche hätte kompensieren müssen. Schade. So griff der Maestro auf den bewährten Wolfgang Windgassen zurück.


    Florian

    Zugegeben, es läßt sich in diesem Thema wohlig baden. Längst ist es eine Mode unserer westlichen Wettbewerbsgesellschaft geworden, zu allem und jedem ein Ranking zu basteln. Von den größten Deutschen über die besten Universitäten und die berühmt-berüchtigte Pisa-Studie bis zu den besten Fachärzten und den besten Autos. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Da mußten auch mal die Orchester drankommen. Von Unis und Pisa abgesehen, stehen im Regelfall TV und Zeitschriften hinter diesen Rankings, weil deren Redaktionen endlos über Themen brüten, wie man sein Publikum bei der Stange halten kann. Und schon feiert das geheiligte Marketing wieder mal fröhliche Urständ. Was für ein Unsinnswust. Ich bin gespannt, wann uns ein Ranking mit den besten Nobelpreisträgern beglücken wird...


    Florian

    Komisch, daß dieser Thread so überhaupt nicht anspringt. Dabei war Siegfried Köhler ja keineswegs nur eine lokale Größe. In München dirigierte er beispielsweise in Kleibers Nachfolge zeitweise die "Fledermaus". Aufnahmen von ihm schlummern in diversen deutschen Rundfunkanstalten, so beim Hessischen und Bayrischen Rundfunk. Ich selbst erlebte in Köln ein sehr souveränes "Rosenkavalier"-Dirigat, abgesehen von Vorstellungen in seinem Wiesbadener Stammhaus, wo er mich u.a. mit einer ausgezeichneten "Walküre" und einem geradezu festspielreifen "Mathis der Maler" erfreute. Leider machte der Mann von sich selbst wenig her, stand im Dienst des Werks und nicht im Dienst seiner selbst. Köhler besaß eine Tugend, über die weit Berühmtere nicht immer verfügen: er konnte mit den Sängern mitatmen und große Orchestermassen sehr differenziert austarieren und nicht zuletzt auch da, wo es notwendig ist, begleiten. Köhler zählt zu jenen Leitungspersönlichkeiten in der Opernwelt, die das Fundament
    legen für jene Qualität, ohne die ein "berühmter Maestro" bei seinem Gastspiel recht alt aussehen würde.


    Florian

    Man könnte die Sache natürlich auch mal umdrehen und fragen, welche weltbekannten Potentaten es auf die Opernbühne geschafft haben.


    Dabei fällt mir spontan Kaiser Napoleon ein, der in Prokofiews Mammutoper "Krieg und Frieden" von 1945 (nach Tolstois Roman) als Bariton auftritt. Nebenbei: Ich kenne keine andere Oper dieses personalen Ausmaßes, denn es treten, abgesehen von Regimentern von Chören, 71 Solisten auf.


    Selbst Lenin hat die Bühnenbretter betreten, allerdings in einer Sprechrolle, und zwar in der Oper "Der Sturm" (1939), eine Komposition Tichon N. Chrennikows, des berühmt-berüchtigten Minnesängers der Stalin-Propaganda, der erst kürzlich hochbetagt und bis zuletzt uneinsichtig verstarb.


    Es würde mich nicht wundern, wenn auch Stalin höchstselbst in einer der Propaganda-Opern der Sowjetunion als gütiger deus ex machina das Bühnenpersonal bereichert hätte, kenne aber kein konkretes Beispiel.


    Wer hinter diesen Opernfiguren steckt, bedarf indessen keiner besonderen Erklärungen. Über sie sind ganze Bibliotheken zusammen geschrieben worden. Und selbst diejenigen, die keine ausgeprägten historischen Kenntnisse besitzen, verbinden mit diesen Namen konkrete Vorstellungen.


    Florian

    Die Oper:


    Andrea Chénier von Umberto Giordano ( 1867-1948) - Giordanos vierte und erfolgreichste Oper, ein Hauptwerk des italienischen Verismo.
    Den Text schrieb der bekannte Puccini-Librettist Luigi Illica, allerdings nicht für Giordano, sondern für den heute kaum noch bekannten Komponisten Alberto Franchetti (1860-1942), dessen Hauptwerk, die Oper Cristoforo Colombo (1892; zweite Fassung 1923), zeitweise einige Beachtung fand. Als Franchetti auf Illicas Libretto verzichtete, übernahm Giordano im Sommer 1894 die Rechte und begann mit der Komposition, die im Januar 1896 abgeschlossen und am 28. März 1896 an der Mailänder Scala uraufgeführt wurde. Illica benutzt in seinem Text die Französische Revolution nicht nur als Folie und atmosphärischen Hintergrund für eine übliche Dreiecksgeschichte aus Liebe, Haß, Eifersucht und Rivalität (Sopran und Tenor gegen Bariton), sondern setzt die Revolution als Movens der Handlung ein. Zudem übernahm Illica auch Anregungen von Henri de Latouches, dem Herausgeber der Werke Chéniers, sowie von den Brüdern Goncourt, Théophile Gautier und Arsène Housaye.
    Nicht nur der Titelheld dieser Oper ist eine historische Figur. Auch in Nebenrollen sind Namen aus der Revolutionszeit verzeichnet; so der öffentliche Ankläger Antoine Fouqier-Tinville, der 1795 selbst hingerichtet wurde, oder René Dumas, der Präsident des Tribunals für öffentliche Sicherheit, der zusammen mit Robespierre exekutiert wurde.


    Der historische André Chénier


    Der französische Dichter André Marie de Chénier wurde am 30. Oktober 1762 in Konstantinopel als Sohn des Schriftstellers und französischen Generalkonsuls Louis de Chénier (gest. 1786 in Paris) und einer Griechin aus dem Hause Santi-l'Homaka geboren. Nach der Rückkehr der Familie nach Frankreich trat André als Cadet-gentilhomme ins Heer ein, entsagte aber einer militärischen Laufbahn, als er seine Passion für die Dichtkunst entdeckte. Eine Bildungsreise nach Italien und Griechenland fand bereits in Italien aus gesundheitlichen Gründen ihr Ende. Fortan lebte der junge André dank der elterlichen Geldmittel reichlich unbeschwert als freier Dichter und "jugendlicher Held" in der Damenwelt. 1788 ließ er sich für zwei Jahre als Gesandtschaftssekretär nach London verpflichten, kehrte aber nach Ausbruch der Revolution nach Paris zurück.


    Chénier vertrat die Ideale der Französischen Revolution in Wort und Schrift, war gleichzeitig aber auch ein leidenschaftlicher Kritiker ihrer Exzesse. Als Mitglied im Club der Gemäßigten verfaßte er seine berühmte Streitschrift "Avis aux Francais sur leurs véritables ennemis". Heftig griff er die Sansculotten an, was ihm die Gegnerschaft des eigenen zwei Jahre jüngeren Bruders einbrachte, Marie-Joseph de Chéniers (1764-1811), der mit seinen vielfältigen Amtsfunktionen, aber auch als Dramatiker André in der öffentlichen Aufmerksamkeit überragte (in ihrer künstlerischen Wirkung zwei frühe französische "Brüder Mann" sozusagen). Als sich die Willkürschaft der Jakobiner wie eine Sturzwelle über Paris ergoß, war André Chénier seines Lebens nicht mehr sicher. 1793 flüchtete er nach Versailles, wagte sich aber im Frühjahr 1794 wieder in den Hexenkessel Paris, wo er am 7. März verhaftet wurde - wie es heißt, mehr durch Zufall als durch gezielte Verfolgung. Als im Juni/Juli La Grande Terreur, die Schreckensherrschaft, ihren Höhepunkt erreichte, wurde André Chénier am 25. Juli auf die Guillotine geschleppt und wie so viele andere - allein in diesen wenigen Wochen 1285 Todesurteile - enthauptet, drei Tage vor dem Sturz Robbespierres.


    André Chénier gilt als der bedeutendste französische Lyriker des 18. Jhs. Er schulte seine Begabung an Vorbildern der griechischen und römischen Antike, vor allem an Tibull, Properz und Theokrit, war zudem in der europäischen Dichtkunst seines Jahrhunderts bestens bewandert.
    Seine bukolischen Gedichte orientieren sich natürlich an der Antike; seine Elegien kreisen in bildhaft-plastischer Sprache um Liebe, Freundschaft und Natur. In den Oden und Jamben verbinden sich Harmonie und Präzision der Form mit der Ausdruckswelt der Gefühle. Zu seinen Lebzeiten wurden nur zwei Gedichte gedruckt. Seine "Karriere" als Lyriker begann posthum mit einer Erstausgabe 1819 dank des Engagements von Henri de Latouches. Das zunächst nur fragmentarisch verfügbare Werk wurde durch neu entdeckte Funde im Verlauf der nächsten Jahrzehnte immer weiter vervollständigt. Die Romantiker betrachteten Chénier als einen ihrer Vorläufer.


    Florian

    Dieses löbliche Forum benannte sein Gründer zwar Tamino, doch hat man an der Pforte erst einmal Alfreds "Prüfungen" überstanden, gellt einem kein zweifaches "Zurück" mehr entgegen. Da hat es der Opern-Tamino sicher schwerer... Aber hier sucht ja auch niemand seine Pamina. Oder?


    Ein Wort noch zu der berühmten Hemmschwelle, die im Kulturbereich, nicht nur in der Musik, immer dann geradezu inflationär als Argument benutzt wird, wenn es in der Zunft der Feuilleton-Publizisten mal wieder en vogue ist, das Desinteresse junger Leute an der sogenannten Hochkultur zu beklagen. Besinnungsaufsätzer als Ritual, die mich seit meiner eigenen Jugend in den fünfziger und sechziger Jahren durch die Jahrzehnte hindurch getreulich begleitet haben.


    Die Hemmschwelle wird mit der gleichen wohlfeilen Münze gehandelt wie die Klage über den Mangel an Zeit. Was nicht heißt, daß im Einzelfall dies durchaus zutreffen mag - wie es mir auch nicht zukommt, dieses Argument, das manche der neuen Mitglieder für ihr Zögern hier anführen, zu kritisieren. Man müßte den "Neuen" eher attestieren, daß es ihnen gelungen ist, ihre persönliche Hemmschwelle durch Neugier zu überwinden - eine Neugier, die sich in Herausforderung verwandelt, sich einem meist unbewußten Lernprozeß auf einem ungeübten Feld zu stellen. In welchem Ausmaß, da bleibt natürlich jedem selbst überlassen.
    Denn man sollte nicht vergessen, daß einem die Kunst und somit auch die Musik allemal einen Lernprozeß abverlangt; die Suggestion, man könne sich Kunst lediglich servieren lassen ohne eigenes Zutun, ist ein schlichtes Ammenmärchen - jedenfalls dann, wenn man Kunst nicht als Event mißversteht, als small talk, in dem man gegenseitig seine Oberflächlichkeit beklatscht und damit nur sein faktisches Desinteresse camoufliert.


    Ich weiß, daß an jeder Generalisierung eine Achillesferse klebt. Dennoch behaupte ich, bezogen auf die berühmte "öffentliche Meinung": Wo der Klagegesang über die scheinbar unüberwindlichen Hemmschwellen angestimmt wird, da handelt sich meist um schlichtes Desinteresse. Übrigens, Kinder sind gegen solche Hemmschwellen immun. Dafür ist ihre Neugier, die zum Lernen und Entdecken einlädt, zum Glück viel zu ausgeprägt.


    Florian

    Ich möchte einen warnenden Hinweis geben:
    Jüngst brachte die EMI alle Beethoven-Konzerte neu heraus, und zwar mit Evgeny Kissin, Sir Colin Davis und dem London Symphony Orchestra.
    Ich habe diese Kassette jetzt bereits zweimal umgetauscht. Es bestehen erhebliche Pressfehler im dritten Satz des 4. KKs. Bei meinem ersten Exemplar war der Schlussakkord technisch verhunzt. Im zweiten Exemplar versagte die Aufnahme bereits in der Satzmitte den Dienst. Um unliebsame Überraschungen dieser Art zu vermeiden, empfehle ich, den gesamten 3. Satz beim Händler abzuhören. Wie mir ein Verkäufer sagte, haben verärgerte Kunden scharenweise ihre Kassetten zurückgegeben - diese technische Schludrigkeit ist also kein Einzelfall.


    Florian

    Lieber Zwielicht,


    auch Lucic war rollendeckend besetzt, natürlich. Es kommt ja nicht von ungefähr, daß Verdi in jenem besagten Brief der Lady geradezu befiehlt, nicht "schön" zu singen, vom Sänger des Macbeth indessen dies gerade nicht verlangt (mit einer Ausnahme) - aus gutem Grund. Denn den Reiz macht die stimmliche Kontrastwirkung aus. Hier die starke Frau, dort der schwache Mann, ausgeformt in unterschiedlichen Anforderungen an die Stimmen der Protagonisten. Dahinter steht wohl Verdis Absicht, die Triebstruktur des Bösen in ihren verschiedenen Facetten musikalisch-darstellerisch auszuleuchten. Wäre Macbeth eine zweite Lady, ginge dieser geniale Charakterisierungseffekt verloren; ein verdoppelter nicht-belkantesker Gesang würde, sozusagen "todsicher", den musikalischen Spannungsreiz abtöten. Verdi fordert allerdings eine Ausnahme: Im Duett soll sich Macbeth der Lady stimmlich angleichen.


    Verdi fordert explizit in einem Brief an den Textdichter Cammarano am 23.11.1848: "Ich möchte die Lady Macbeth häßlich und böse haben. ... ich möchte, daß die Lady nicht singt; ... ich möchte für die Lady eine rauhe, erstickte, hohle Stimme haben; ... die Stimme der Lady sollte etwas Teuflisches haben."


    Das bezieht sich also nicht nur auf die berühmte Nachtwandlerszene, sondern auf die gesamte Partie. Wie erinnerlich liest die Lady zu Beginn ihres ersten Auftritts laut einen Brief, um unmittelbar danach in den Gesang überzuleiten. Dabei soll die Protagnistin den rauhen, hohlen Ton ihrer Sprache in den Gesang übernehmen - genial erdacht vom Komponisten, doch auf der Bühne unheimlich schwer zu realisieren. Eine reine Arienkünstlerin ist da völlig überfordert - und ich habe schon einige überforderte Ladies erlebt.


    Und nochmals Verdi: "Macht darauf aufmerksam, daß die Hauptstücke der Oper diese beiden sind: das Duett zwischen der Lady und ihrem Mann und die Nachtwandlerszene. Wenn diese Stücke verlorengehen, ist die Oper erledigt; und diese Stücke dürfen absolut nicht gesungen werden. Man muß sie mit einer recht hohlen und verschleierten Stimme darstellen und deklamieren: Ohne das kann es keine Wirkung geben." In keiner anderen Oper hat Verdi die stimmlichen Anforderungen an seine Sänger derart radikal formuliert wie im "Macbeth".


    Beste Grüße
    Florian

    War gestern in der dritten "Macbeth"-Vorstellung. Tumultarisches seitens des Publikums begab sich nicht - sieht man einmal davon ab, daß nach der Pause kurz Unruhe aufkam, als die Damen und Herren Chor-Doubles (der Chor singt größtenteils unsichtbar hinter der Szene), nur mit Unterhosen bekleidet, frontal zum Publikum hin zu urinieren begannen (jede bessere Feministin mußte geschockt sein, daß die Männer hier immer noch im Stehen pinkeln...). Da war für manchen die Grenze des Zumutbaren wohl erreicht, obwohl sich der Protest sehr in Grenzen hielt. Mich beschäftigte nicht das Zumutbare, sondern der dramaturgische Sinn dieses Exhibitionismus. Und der erschloss sich mir nicht.
    In toto war es wohl die in ihren Bildern radikalste Inszenierung, die ich je auf einer Opernbühne gesehen habe. Die Schlächterei, zu der Menschen seit Olims Zeiten fähig sind, wurde mit theatralischen Mitteln geradezu ausgewalzt. Ich gestehe, daß mich das zeitweise doch verstörte, da meine persönlichen Möglichkeiten, mich in diese Mordwelten zu versetzen, begrenzt sind. Wer sieht sich schon gerne mit der "Bestie Mensch" so schonungslos konfrontiert? Und doch machte für mich trotz mancher inneren Gegenwehr diese Inszenierung Sinn. Kusej verweigert jede Glättung oder gar Maskierung menschlicher Destruktionsmöglichkeiten, was einem bürgerlichen Publikum, zu dem auch mich zähle, schon einige Beschwernis macht. Da diese Welt aber seit dem 2. Weltkrieg von an die 200 weiteren Kriegen heimgesucht wurde, hat dieser "Macbeth" eine grausige Aktualität. Kusej bietet keine aufgesetzte Horrorfilm-Adaption um schnöd-billiger Effekte willen, sondern er zeichnet mit theatralischen Mitteln den Horros nach. Das ist legitim, auch wenn man sich innerlich dagegen sträuben mag. So ließen die sechs jungen Männer, die eine ganze Szene lang nackt kopfüber an Seilen über dem Meer der Totenschädel baumelten (das können nur sehr sportive, quickgesunde Leute körperlich durchstehen), keinerlei Voyerismus aufkommen. Sie symbolisierten jene Schlachtopfer jedweder Willkürherrschaft, die jeden Augenblick gewärtig sein müssen, Teil jener Totenschädel-Walstatt zu werden, auf die sie herabblicken. Ein "unangenehmes", aber packendes Bild. Unvergeßlich auch das schäbige Zelt, das sich vier Akte lang als eine Art Bundeslade des Macht- und Herrschaftswahns ausstellt, um am Ende, als es zerstört wird, als ein Nullum, ein Nichts entlarvt zu werden.
    Die sängerisch-darstellerischen Leistungen waren imposant, allen voran die Lady der Nadja Michael, deren körperliche Fragilität einen geradezu demonstrativen Gegensatz zur Monstrosität der Gedankenwelt bot, in der sich die Lady bewegt. Die Intensität ihres Spiels erinnerte mich an die begnadete Gestaltungskraft von Inge Borkh (deren Bühnenpräsenz den wenigsten hier noch ein Begriff sein dürfte). Die schneidende Schärfe der Stimme von Frau Michael halte ich für rollendeckend. Leider hat sie aber die Angewohnheit, die hohen Töne gleichsam mit Anlauf zu nehmen - mit dem Nachteil, daß manche so gar nicht unwichtiger "Zwischentöne" dabei verloren gehen. Ob man bei einiger Bemühung ändern könnte? Lucic, der Titelheld, verbreitete eitel Wohllaut, soweit die Rolle ihm dies gestattete. Macbeth in all seiner Schwäche als Zauberlehrling des Mordens fand in diesem Sänger einen überzeugenden Interpreten. Und Nicola Luisetti, der junge Dirigent, mußte sich nicht wie in der Premiere (die im am Radio hörte) albern-unberechtigten Buhs aussetzen, sondern konnte vom Publikum jenen Applaus entgegennehmen, der seinem souveränen Dirigat zustand.


    Florian