Vielleicht noch ein paar Worte zur Ausgangsfrage, den Komponisten Siegfried Wagner betreffend. Ich habe in meinem CD-"Repertoire" seine Opern Schwarzschwanenreich, Bärenhäuter, Wahnopfer, Bruder Lustig, Sternengebot und Banadietrich (bis auf eine Ausnahme alle Marco Polo). Außerdem drei CD mit sämtlichen Ouvertüren, erschienen bei cpo.
Was ich an Siegfried W. bewundere, ist sein Mut, vielleicht auch sein Mut der Verzweiflung, dem übermächtigen Vater in derselben Profession nachzufolgen (wo er doch eigentlich Architekt werden wollte). Auch wenn er sich auf das Genre der Märchenoper (mit nicht selten kryptischen Inhalten) spezialisierte, um den Helden und Göttern des Ahnen nicht in die Quere zu kommen, so blieb er doch lebenslang "der Sohn", der schwer um seine eigene künstlerische Reputation kämpfen mußte und eigentlich doch spürte, daß er sub specie aeternitatis auf verlorenem Posten stand. Daß er unter der Fuchtel der regierenden Cosima und unter dem Einfluß der Bayreuther Kultgemeinde überhaupt einen eigenen kompositorischen Weg fand, grenzt an ein Wunder. Chapeau!
Tragisch wie so manches in diesem Leben ist indessen, daß dieser kompositorische Weg in einer Sackgasse endete - im Gegensatz zu seinem Lehrer Engelbert Humpderdink, der, nicht weniger konservativ, mit seinen beiden Märchenopern Hänsel und Gretel, wo es orchestral zum Teil heftig "wagnert", und Königskinder (der Neubelebung, wie gerade in München geschehen, durchaus wert) diesem Genre beachtens- und hörenswerte Werke geschenkt hat.
Man kann nicht behaupten, daß sich Siegfried Wagner kompositorisch von seinen Zeitgenossen inspirieren ließ. Die Opern des Duz-Freundes Richard Strauss registrierte er nur mit verwundertem Kopfschütteln, die Radikalität von Salome und Elektra hatten in Wahnfried keine gute Presse, ihr Erfolg indessen löste Neidreflexe aus. Und die neuen musikalischen Strömungen in Europa machten Wahnfried zu einer Wehrburg des Konservatismus - Richard Wagner Alpha et Omega. (Man denke, wie der Zeitgenosse Puccini gerade diese modernen Strömungen wie ein Schwamm aufsaugte und, eingebunden in die italienische Operntradition, etwas völlig Eigenständiges zu formen wußte).
In diesem Klima konservativer Abwehr entstand eine Musik, die sich handwerklich durchaus hören lassen konnte. Siegfried konnte recht gut instrumentieren. Doch was er instrumentierte, war allenfalls gefällig, freundlich, jovial - so wie es der Wesensart des Komponisten entsprach. Was hingegen fehlte, was der geniale Funke, die Inspiration jenseits aller handwerklichen Fertigkeit, die die einem Werk erst ihren Karatgehalt gibt. Von den sechs Opern Siegfried Wagners, die ich bis jetzt hörte, hat bei mir keine mehr als archivalisches Interesse ausgelöst. Daß irgendwo in dieser Musik ein Diamant seiner Entdeckung harrt, halte ich für reichlich unwahrscheinlich. Vereinzelte Aufführungen seiner Opern nach 1945 haben nur kurzzeitige Neugier erwecken können.
Eine voluminöse, fakten- und inhaltsreiche Biographie Siegfried Wagners legte Peter Pachl bei Nymphenburger vor. Wer sich mit einem "tragischen Helden" der Musikgeschichte näher befassen will, ist hier bestens versorgt.
Florian