Beiträge von Luca

    Ich habe diesen Ory im Radio gehört und muss sagen, dass es für mich eine positive Überraschung gewesen ist. Florez ist, wie immer, ein Profi und kennt sein Handwerk. Eine große Stimme und ein Phänomen ist er nicht, aber heute ist Florez bestimmt einer der wenigen, die den Beruf namens "Sänger" ehren anstatt ihn zu diskreditieren. Von der Damrau hatte ich eher dessay-artige Clownaden erwartet, aber fand sie besonders im ersten Akt, weniger im Duett des zweiten Aktes, sehr spontan und immer bereit, virtuos zu experimentieren. Gerade nach einer Anna Bolena ohne jegliche Variation, Ornament und Spontaneität, war es, trotz gewißer Probleme und Unschönheiten bei der Damrau, eine Freude, Belcanto so frisch und virtuos gesungen bekommen zu haben. Die DiDonato fand ich blaß und ziemlich unsicher. Pertusi ist nie ein großer Künstler gewesen, nunmehr ist er am Ende der Karriere und singt Gott weiß wie. Das Dirigat fand ich ziemlich uninspiriert und langweilig. Man hörte im Radio, dass das Publikum sich recht amüsiert hat. Anscheinend war die Inszenierung sehr lustig. Würde gerne die Meinungen unserer Forianer dazu hören.

    Ach ja - beinahe hätte ich nich vergessen, daß auch Stressresistenz und eine "robuste Gesundheit" gefordert sind - eine "Idealbestzung" die für ihre andauernden Absagen berüchtrigt ist - stellt einen Unsicherheitsfaktor für jedes Opernhaus dar.


    Also da zielen ja die Intendanten ganz, ganz falsch, denn das was man heute bei einer ganzen Schar von Sängern als Erkrankung kennt, ist ja eigentlich nichts anderes als ein körperliches Unbehagen oder gar eine Krise, die mit stimmlichen Problemen zusammenhängen und nicht damit, dass in den Kulissen zu viel Wind weht und die Sänger Schnupfen bekommen. Da kann der Sänger gesundheitlich so fit wie nur möglich sein, aber wenn er wegen seiner schlechten technischen Vorbereitung (heute die Regel) der Belastung nicht gerecht werden kann, dann kann keine 100 %-ige Gesundheit helfen.


    Ja, vielleicht gehöre ich dazu. Mich interessiert zwar auch die Gesangstechnik eines Sängers oder Sängerin, aber die Schönheit der Stimme steht bei mir absolut im Vordergrund. Fleta, Cortis, Martinelli; aber nicht Lauri-Volpi. Mir muß eine Stimme gefallen und muß zu der jeweiligen Rolle passen, dann interessieren mich weniger seine Atemtechnik oder Stimmführung. Darum gehören del Monaco und Corelli (nicht in allen Opern) zu meinen Big Five!.


    Bei mir ist es so, dass ich eigentlich alle möglichen Timbres hinnehmen kann, wenn ich höre, dass die Stimme gesund ausgegossen wird. Das Timbre lässt sich mehr oder weniger bearbeiten, aber letztendlich es es ja DAS, was als eine natürliche Gegebenheit bleibt und auch nicht so viel verändert werden kann. Dewswegen bewundere ich besonders die Sänger, die ein unschönes oder gar uninteressantes Timbre besitzen, die aber mit ihrer Kunsfertigkeit Wunder tun. Was für ein Timbre hat z.B. Tito Schipa? Dieser Mann ha ja NICHTS, weder ein besonderes Timbre, noch eine besonders breite Stimmextension. Aber immerhin hat er es geschafft, zu einem der Größten zu werden. Auch das Timbre einer Ljuba Welitsch gefällt mir nicht besonders, aber ich schätze und liebe sie trotzdem für ihre Phraiserung und Sicherheit.
    Letztendlich kann ja aber das Timbre als solches von dem gesamten Komplex der Phraiserung, Stimmführung und allem, was zu Gesang gehört, gar nicht separat herausgehört werden. Wir hören ja eigentlich nie nur da Timbre, sondern schon immer eine musikalische Phrase mit den und den Eigenschaften. Das Timbre ist ja nie identisch mit sich selbst. Deswegen ist es für mich auch nicht das erste Kriterium.
    Ich habe eine kleine Nebenleidenschaft für seltene Ausnahmen von Sängern, bei denen ich technische Probleme konstatieren muss, aber die so viel Stimme haben, dass mich einfach bloß vor diesem naturbegnadeten Material Respekt ergreift. So ist es für mich bei Del Monaco oder einer Jessye Norman. Heute kann ich z.B. eine Guleghina nie streng genug behandeln, trotz ihrer äußerst mangelhaften Technik, denn sie hat eine imposante, bedeutende Stimme, die von sich aus schon einiges übernimmt, was bei anderen einfach eine Höllenarbeit verlangt.

    Ich persönlich glaube und so versuche ich auch alle meine Kritiken zu schreiben, dass die Krtik eines Sängers soweit wie möglich fern ab jeglicher Eindrücke von Vorbildern usw geschehen muss, um eine Objektivität, und damit auch eine Qualität zu erreichen: Man sollte den Sänger bei seiner Beurteilung da abholen, wo er ist und nicht da, wo wir ihn gerne hätten. Aus diesem grund mag ich halt auch nicht so sehr allgemein formulierte Verrisse über sänger, die zweiffellos ihre Erfolge hatten, denn irgendwo muss dieser Erfolg ja her kommen.


    Ich kann dem nicht ganz zustimmen. Der Sänger gehört zwangsweise zu einer Geschichte der Interpretationsgeschichte, zu einer Tradition von Gesangsidealen und -techniken und wird nicht an einem Nullpunkt abgeholt, sondern in diesem breiten und komplexen Horizont. Vergleiche sind nie aufgezwungen, sondern stellen sich natürlich und selbstverständlich ein. Ganz banal gesagt, Hören ist immer schon den Unterschied hören (siehe mein Motto :D ).
    Früher, vor der Recording-Ära war der geschichtliche Horizont viel "kleiner", weil man die aktuellen Sänger nur mit denen vergleichen konnte, die man noch live erlebt hatte. Heute ist es aber ein Faktum und eine unausweichliche Notwendigkeit, dass der Vergleichshorizont auf das Erbe von einem ganzen Jahrhundert (und ein bisschen mehr) ausgebreitet wird. Das ist keine Ungerechtigkeit gegenüber den aktuellen Sängern, sondern ihre unmittelbarste kulturelle Kondition. So wird heute gehört und beurteilt.
    An ein "Scheitern" aller moderner Sänger an diesen Übermaß am musikalischen Erbe und an Vergleichen glaube ich nicht. Eine Sutherland z.B. kam nach Callas und hatte eine monumentale Karriere, trotz der Vergleiche, hat selber tausend erfolgreiche Aufnahmen gemacht. Wenn wir vom Abfall der Gesangskunst sprechen, dann sollten die Gründe wieder in den materiellen Problemen des Berufs selber gesucht werden - Lehrer, Studium, Agenturen, Kompetenz etc.


    Das Argumentieren gegen die Kriterien kommt mir oft so vor, als würde ein Schutzwall für eine Bequemlichkeit aufgebaut, in der man sich einfach dem sinnlichen Reiz der Stimmen hingibt ohne den Kopf benutzen zu müssen.


    Auch ich habe das selbe Gefühl. Es wird mit Emotions- und Unmittelbarkeitsargumenten spekuliert, die bewußt den historischen Kontext der Aufführung und sein Gehören zu einer ganzen Tradition ignorieren. Man tut so - und zwar auf eine ganz künstliche Weise - als ob, z.B. vor der Wiener Bolena keine andere Bolena existiert hätte und plädiert dafür, diese an frühere, nicht mehr lebendige Leistungen nicht zu messen. Sonst würde man angeblich der aktuellen Leistung nie gerecht werden und ihr Wert als jetztiges, spontanes Ereignis nivellieren. Diese Einstellung ist aber alles andere als unmittelbar und hat nichts von der Spontaneität, von der sie so schwärmt. Damit wird sogar fast direkt eingestanden, dass im Vergleich zu den früheren Bolenas diese einfach nicht standhalten kann!
    Eine Aufführung wirkt nicht spontan, weil sie aus dem Nichts auftaucht (wenigstens im Falle schon bekannter, alter Werke), sondern weil sie gerade im Rahmen einer langen und problematischen Tradition von Interpretationen, die auf eine oder andere Weise die musikalische Gesellschaft im Ohr oder wenigstens auf CD hat, es schafft, den Eindruck zu geben, als ob das Werk im selben Moment komponiert wäre. Das ist, was Spontaneität und das ständige Gefühl an Neuheit spendet, ohne die so eine "tote" Kunst wie die Oper gar nicht leben kann.
    WIe schon oben angeführt, ist nun aber die Platzierung vieler Sänger in einer Tradition für gewisse Leute nicht wünschenswert, da die "Konkurenz" zu stark sein kann.
    Das Problem ist nicht das ständige Erinnern, sondern gerade das Vergessen - ein kulturelles Moment der letzteren Jahrzente, in denen die Mehrheit der "Publika" einfach die Einstellung zur Oper geändert hat. Leider kompromittiert diese "neue" Einstellung das materielle Funtkionieren des Opernwesens selber.


    So viel meinerseits zur Relevanz des allgemeinen geschichtlichen Rahmens der Stimmbeurteilung.

    Ich persönlich weise auf keinen Fall auf eine "Ausnahmeerscheinung" wie die Callas, wenn ich von der Schlechtigkeit der Netrebko rede. Und so "selten" waren gute oder hervorragende Sängerinnen früher auch nicht. Das ist das Problem. Zur gleichen Zeit oder in der Zeit dicht aneinander gab es die Callas, die Gencer, die Souliotis, später fast gleichzeitig die Sutherland, die Caballe, die Sills, eine ziemlich gute Olivia Stapp und Marisa Galvany oder Gilda Cruz-Romo, dann Carol Vaness, die Gruberova, vor zwei Jahren noch die Devia (anscheinend hat sie heute auf morgen zu singen aufgehört...), eine ältere June Anderson, die Stoyanova (die glücklicherweise die Wiener Inszenierung im 2013 übernimmt)!
    Das Problem ist nicht, dass es heute NIEMANDEN gibt, der etwas anständig singen könnte, sondern dass die Opern systematisch unadäquat besetzt werden und den Anforderungen und der völlig anti-musikalischen Logik des Agenturen-Star-Systems folgen. Die Netrebko ist - mit Callas verglichen oder nicht! - einfach eine Fehlbesetzung.
    Und dafür brauche ich nicht mal mit dem Kopf in der Partitur ihrer Leistung zu folgen. Die Partitur nutzt höchstens um einige Details zu überprüfen. Wenn ich mehrere Aufführungen des Werkes kenne, dann kann ich auch VERGLEICHEN und klar einsehen, dass sie die Partie miserabel vereinfacht, verflacht und NICHTS vom Virtuosismus hat, der solchen Belcanto-Rollen Sinn verleiehen, und NICHTS vom dramatischen Gewicht hat, das die Bolena als eine Rolle einer großen tragedienne (wie sie die Giuditta Pasta gewesen sein muss) braucht. Sie weiß einfach nicht, wie den Phrasen Sinn zu geben, wie sie abzurunden, wie eine dramatische und musikalische Kohärenz in der Rolle zu schaffen. Alles ist random und indifferent.


    Wenn die meisten der heutigen Stars eine minimale Technik in ihrem Fach hätten, würden sie auch nicht so oft mit ihren Vorgängern verglichen werden, aber leider muss man das ständig tun, sonst riskiert man, das Werk nicht mehr wiedererkennen zu können.
    Unverschämt fand ich, dass im philologischen Zeitalter so vieles in dieser Anna Bolena weggestrichen wurde, um es den Sängern bequemlich zu machen. Das Traurige ist aber, dass auch diese Kürzungen nicht helfen und das Gesamtniveau genauso schlecht bleibt. Man wirft der Bolena von Callas und Gavazzenni gerade die drastischen Kürzungen vor. Geradezu eine Ironie der Geschichte ist es, dass damals gekürzt wurde, obwohl es Sänger gab, die die ganzen da-capo frei hätten singen können, und dass heute auch die Kürzungen nicht helfen!


    Hallo, lieber Manfred
    kennst Du diese Arie gesungen von Luciano Pavarotti? Wenn ja, laß´mich bitte Deine Meinung wissen. Falls Du diese Aufnahme nicht kennst, solltest Du sie Dir unbedingt besorgen.
    Herzliche Grüße und ein schönes WE
    CHRISSY


    Entschudige, Chrissy, dass ich an Manfreds Stelle antworte, aber es gibt mehrere, sogar sehr viele Aufnahmen der Puritani mit Pavarotti.
    Meine Lieblingsaufnahme ist der Live-Mittschnitt aus Catania mit Gabriella Tucci (Ende der 60er). Da brennt jede Note im "A te o cara".


    Gute Nacht,
    L.

    Ich möchte den u. a. Mitschnitt noch erwähnen:



    Mit einem außerordentlichen Dirigat von Levine! Für mich ist er der einzige, der in der letzten Minute der Oper (die genauso albern ist, wie die gesamte musikalisch-dramatische Struktur des fünften Aktes!) eine richtige, glaubwüdrige, natürliche Spannung zu schaffen imstande ist. Wie er das Tempo beschleunigt und dann agressiv und hastig mit dem Massaker fertig wird!

    Wer kann wie Corelli "Vittoria! Vittoria" in der Tosca singen? Hätten die heutigen Tenöre nur ein fünftel seines Squillo!



    Im französischen Fach kann ich ihn kaum ertragen und im belcanto Repertoire nur mit großen Abstrichen.

    Kein Don Jose?
    Raoul?... trotz der Vereinfachungen...
    Poliuto?... trotz aller Kompromisse...

    Alfredo Kraus hat ienmal gesagt: " Den Part, den im verismo das Orchester übernimmt, muß beim belcanto die Gesangsstimmme übernehmen." Das heißt für mich, daß die Charakterisierung und die Konturen der Charaktere, die im verismo viel ausdrucksstärker in die Gesangsstrimme hineinkomponiert wurden, und auch in den Orchesterstimmen und aus den Regieanweisungen geprägt werden, im belcanto allein mit der Singstimme stehen und fallen.


    Allzu viel Orchesterbegleitung gibt es in der Regel nicht hinter der man sich verstecken kann. Das und das stimmliche "Korsett" (wie Callas es einmal genannt hat) in das man schlüpfen muß um diese Opern stilgerecht singen UND interpretieren zu können, zusammen mit der großen Herausforderung was eine glaubhafte Interpretation dieser oft nicht ganz plausiblen Figuren betrifft, sind die ganz großen Herausforderungen des belcanto Repertoires. Milanov hat einmal über die Norma gesagt: "It´s easy, if you sing it wrong."


    Wohlgemerkt, Interpretion aus der Musik heraus, mit stimmlichen Mitteln, Farben, dynamische Schattierungen, mezza voce, messa di voce - das ist es was ich eigentlich in fast immer auf der Opernbühne vermisse. Was ist Interpretaion? Kniefälle, Händeringen, verzweifeltes Stolpern und "sich-Herumschleppen" - wie es Shicoff gerne tut - ist das Interpretation - ist das überhaupt Schauspiel?? Interpretation muß für mich aus erster Linie aus der Partitur, aus der Singstimme kommen - und da tut sich bei "kalten und ausdrucksarmen" Sängern wie Gruberova, Kraus und Sutherland oft mehr als bei den großen Händeringern, Schluchzern und Stolperern - nur sind genau das die außermusikalischen Effekte, mit denen man leichter "blenden" kann.


    Danke!!!

    Das Einzige, was in dieser Inszenierung "geführt" wurde, waren die Busen der Netrebko. Ich weiß nicht ob sie das auf Geheiß des Regisseurs, des Kameramanns oder durch ihre eigene Initiative tat, aber jedesmal, wo sie heftige Bewegungen machen oder sich in eine horizontale oder quasi-horizontale Pose stellen konnte, hat sie die aus dem Dekolletee durch heftiges Atem großzügig schwellenden Busen demonstriert. Diese ganzen "Regieeinfälle", die dazu da waren, die Netrebko auf jeden Preis irgendwo - auf dem Bett, auf den Treppen - mit dem Kopf gegen die Bühne (d.h. mit dem Dekolletee direkt aufs Publikum) liegen zu lassen, waren so gewollt und sie hat das Alles auf eine so künstliche und pornographisch plumpe Weise getan, dass es mir, ehrlich gesagt, für mich, für sie und für Alle peinlich wurde.

    Ich entschuldige gar nichts, ich führe Kriterien an, die für mich wichtig sind, um eine qualitative Rezension zu schreiben. Und für mich als Sänger gehört nun mal auch dazu, ob ich als "Kriitker" herausfinden kann, ob das gebotene durch eine schlechte Tagesform schlecht ist. Wenn ein Sänger ständig einen "schwarzen Tag" hat, dann sollte er überlegen, ob es am Tag liegt....


    Hatte die Netrebko sowohl am 2. als auch am 5. April schwarze Tage? Hat sie, wenn sie Belcanto singt, ständig schwarze Tage?


    Lyrische Abweichung:
    Ich mag dir als Sänger wieder mal zu radikal erscheinen, aber ich als leidenschaftlicher Hörer finde es ziemlich unschön, dass heute so oft, allzu oft, unverschämt oft erst der Intendant die Szene betreten muss und die Starsänger für ihre angebliche Krankheit entschuldigen muss, damit ihre unzureichenden Leistungen nicht zu stark kritisiert werden und dass sie dann doch Beifall bekommen, weil sie krank so gut gesungen haben. Das ist heute schon die Regel. Was ist das für ein Gefühl an professioneller Realisierung, wenn man eine Diva des erbettelten Beifalls ist? Ich kann einfach nicht glauben dass heutzutage die Mehrheit der Sänger von einem Virus betroffen ist, das nur in ihrem Beruf verbreitet ist und dass sie so oft krank werden. Ich finde es ziemlich unwürdig. Als leidenschaftlicher Hörer fühle ich den riesengroßen Mangel an musikalischen Persönlcichkeiten, denen ich mich voll anvertrauen kann, von ihrer Aufführung mich ganz hinreißen lassen kann und deren Größe nich von diesen ständigen kleinlichen Entschudigungen kompromittiert wird. Persönlichkeiten, denen man dann auch die Grippe an einem Abend verzeiht, nicht aber weil sie krank sind, sondern weil sie große Sänger sind und mit vollem Selbstvertrauen und voller Beherrschung seines Berufs die Bühne betreten. Das heutige Star-System hat aber keine festen Persönlichkeiten nötig. Nur Einwegsänger. Ich würde gerne Sänger sehen, die nicht permanent außermusikalische Entschuldigungen vorschieben, bevor sie zu singen anfangen und die sich nicht ständig jammernd unter dem Schirm Auch-wir-sind-ja-Menschen halten.

    Auf eines würde ich gerne hinweisen: Wenn ich von früheren Bolena-Aufnahmen spreche, dann sind es meistens Live-Aufnahmen (Callas, die nicht mehr junge Gencer, mehrere Live-Mittschnitte der Gruberova und Devia, die Bolena der alten Sutherland aus Toronto und New York etc.) mit ihren vielen Defekten, aber viel, viel Professionalismus und Einheitlichkeit der Ausführung. Im Falle der Netrebko geht nicht nur um elementare generelle technisch-stilistische Probleme, sondern auch überhaupt darum, dass sie eine für sich völlig fremde Musik zu singen scheint. Ich weiß nicht, was sie von der Poetik des Werkes "Anna Bolena" versteht.
    Was dann eine Studio-Aufnahme einer Beverly Sills betrifft, dann ist das Argument einer nachbearbeiteten Leistung immer noch nicht gültig, weil die Sills eine der wenigen Sängerinnen war, die direkt auf der Bühne Abende lang Wunder wirken konnte. Man höre nur die Live-Aufnahme des "Assedio di Corinto" von Rossini aus Mailand.
    Man kann doch alle Sänger nicht immer wieder dadurch entschuldigen, dass auch sie Menschen, unvollkommen und verletzlich seien, wo doch völliig andere Probleme relevant sind.

    Unterschiede gibt es, was die Welt auch lebendig hält. Und gerade deine Ansicht kann wegen deines Wissens dieses Forum enorm bereichern. Aber meiner Meinung nach wird man zur Kompetenz von anderen berufen nicht durch sich selber.


    Natürlich. Ein Anzeichen davon ist, wenn ein Dialog funktioniert. Und das funktioniert hier, glaub ich. Wenigstens mit gewissen Personen, seien sie von derselben oder von einer unterschiedlichen Meinung.



    Um wieder am Thema des Threads weiterzuarbeiten, würde ich noch einmal rekapitulieren, warum ich, außer der Abwesenheit von Respekt für die Partitur, die Mängel in der Koloratur und anderen technischen musiklaischen Ausdrucksmitteln so problematisch fand. Wie in jeder anderen Belcanto-Rolle führt eine technische Begrenzung, die Abwesenheit dieser oder jener vokalen Fähligkeit notwendigerweise zur Begrenzung der Ausdrucksstärke der Rolle. Ich fand es äußerst symptomatisch, dass hier jemand gesagt hat, vielleicht liege es auch an der Musik von Donizetti, dass die Vorstellung nicht packend gewirkt habe.
    Anna Bolena von Donizetti ist bestimmt eines seiner größten Meisterwerke (zwischen den wirklich komplett großen Opern wie Lucia, Maria Stuarda, Roberto Devereux, der Liebestrank, Don Pasquale oder La favorita). Besonders was die Partie der Protagonistin betrifft, besitzt die Rolle eine unendliche Möglichkeit an Facettierung - Melancholie, Zweifel, Liebe, Würde, Angst, Wahnsinn, Ambition. Dafür stehen die Noten von Donizetti da. Die Musik, diese ganzen Verzierungen, Legati, Deklamati, Koloraturen, Triller usw. sind ein unendliches Material, zum Leben erweckt zu werden - durch eine volle Realisierung dieser technischen Vorschriften und den Einsatz einer großen musikalisch-artistischen Sensibilität. Bei Anna Netrebko musste techniksbedingt Vieles aufs Minimale reduziert werden, die da capi, bzw. die Variationen in vielen Fällen (im 21. Jahrhundert, wo man wegen der philologischen Strenge in der Aufführung so stolz ist!) weggelassen werden. Die Sängerin war gezwungen, um die Bolena glaubwürdig zu gestalten, nach ziemlich vulgär veristischen und äußerlichen Ausdrucksmitteln zu greifen. Königliches und majestätisches gab es wenig bei ihr. Die Gruberova, Devia, Sills und andere leichteren Soprane hatten vielleicht auch nicht den "Teig" in der Stimme, wie die Callas oder in den letzten Jahren die allzu früh von den Szenen verschwundere bemerkenswerte Darina Takova, aber majestätisch waren sie immer und haben nie das stilistsche Feld des Belcanto verlassen müssen, um ene Belcanto-Rolle glaubwürdig zu machen.
    Das wäre noch ein Einwand von mir.
    Ich würde mich auf eine weitere Diskussion sehr freuen, falls sie ohne Beschimpfungen verlaufen kann.

    Lieber Wotan,


    anders kann es, meiner Meinung nach, auch nicht sein. Schwarz auf Weiß steht wer was und wie schreibt und Unterschiede gibt es. Noch einmal: pseudo-demokratische Einstellungen und "Seid umschlungen, Millionen!" werde ich nicht vortäuschen. Das wird sehr unehrlich von mir sein.

    Lieber Wotan,
    diesen Exkurs hab ich noch deswegen gemacht, weil ich das Gefühl habe, dass man hier einige das Wort Technik einfach missverstehen und davor sogar Angst bekommen.


    Liebe Fides,
    ich habe keine Absicht, eine pseudo-demokratische Einstellung vorzutäuschen, wo ich doch ganz fest überzeugt bin, dass es, erstens, zwischen dir und mir einen riesengroßen Kompetenzunterschied gibt und dass es, zweitens, überhaupt nicht möglich ist, mit dir über irgendetwas konstruktiv zu diskutieren.
    Damit mag unser "Dialog" ausgeschöpft sein.


    Ich habe im TV nur den Schluss gesehen und war sehr überrascht von den Beifallsstürmen. Da können doch nicht nur Laien Zuschauer gewesen sein. Das Wiener Publikum ist doch sonst immer so kritisch.


    Das Publikum ist auch von Curas Pagliacci hingerissen. Das Publikum als solches kann man ja nicht dafür anklagen, es sei "unkompetent". Das Publikum nimmt mir mehr oder weniger Lust das hin, was ihm vorgetragen wird. Das war leider bestimmt auch so, als die allgemeine Gesangsqualität noch höher stand. Das große Problem heute ist die Abwesenheit an Kritik, an offizieller komptenter Kritik, die sich vom Enthusiasmus des Publikums, das qualitative Unterschiede wenig beachtet, distanziert und den Sänger eine andere Stimme hören läßt, als die des klatschenden Publikums.

    Auf jeden Fall ist meine Unterscheidung "Geschmacksfan - Technikfan" nicht glücklich, daher habe ich sie auch sofort in Anführungszeichen gesetzt. Aber in der Kürze der Zeit musste ich das so schreiben. Aber ich glaube, du hast mich richtig verstanden. Mir ging es darum zu zeigen, dass man nicht, nur weil man sich in konstruktiven Beiträgen auf seinen Geschmack verlässt und das nicht mit technischen Ausdrücken belegt, im Niveau unter einem Termini kundigen Hörer steht (der natürlich auch seinen Geschmack hat).


    Technische Ausdrücke und die Berufung auf Technik kann ja eigentlich ganz mißleitend wirken, denn letztendlich was versteht man unter Gesangstechnik?
    Das ist doch keine esoterische, geheime Lehre, die irgendwo im Himmel steht und vom Sänger angeeignet werden muss. Gesangstechnik meint natürlich allgemeine Regeln und Hinweise für ein gutes körperliches Gelingen der Sache Gesang, aber in erster Linie ist Technik für mich das intime Wissen des Sängers um seine eigenen körperlichen Bedingungen, wie sie auszuarbeiten und wie sie einzusetzen. Man lese "Meine Gesangsmethode" von dem großen Tenor Hipolito Lazaro. Die "Einweihung" in die Gesangskunst beginnt mit einer Aufforderung an den Anfänger, sich selber kennenzulernen, nicht mit einer Aufzwingung allgemeingültiger Regel. Die allgemeinste Regel ist nichts anderes, als diese Forderung, seine eigenen Fähigkeiten adäquat messen zu können.
    Die Gioconda hatte früher an einem anderen Ort das Problem angesprochen, dass heutzutage die jungen Sänger zu schnell in die Opernindustrie hineingezogen werden und dass sie gar keine Zeit haben, ihre eigenen Fähigkeiten zu befragen und sich mit ihrem eigenen Körper zu familiarisieren. Das ist ein Grundstück der Technik. Auch wenn ich von Atemtechnik spreche. Es gibt natürlich allgemeingültige Regeln, wie man darauf hinarbeitet, aber in erster Linie ist es eine innere Komplizität des Sängers mit sich selbst, ein festes Bewusstsein und Vertrauen in seinen eigenen Fähigkeiten. Gerade das machte die Solidität der früheren Sänger aus, die ich so schätze, oder auch die einer Gruberova, die ich wegen ihres Stils und der nun altersbedingten Detonierung schwer erträglich finde, aber sie für ihre Ausdauerkraft und... Technik (!) bewundere. Die Schwäche der meisten der jungen Sänger liegt für mich nicht im Faktum, dass sie irgendwelchen orthodoxen und absolut wahren Regeln der Gesangstechnik entsprechen, sondern dass es ihnen gerade an diesem Vertrauen und dem intim-individuellen Wissen ihrer eigenen körperlichen und psychischen Bestimmungen und Ressourcen fehlt. Deshalb auch der Mangel an Persönlichkeit, Individualität und Willen. Deshalb so viel Abhängigkeit von Agenturen und Dritten.
    Das ist für mich das ganz allgemeine Problem mit dem Technikmangel.
    Im konkreten Fall der Wiener Bolena finde ich aber auch noch den Mangel an Komptenz und Verständnis für die Stilistik des Werkes problematisch.

    Liebe Fides,


    deine "Beiträge" sehe ich persönlich nicht als Attacken, sondern einfach als albern und destruktiv. Wenn ich mich über etwas oder über andere stelle, dann über solche Beiträge. Entschuldige für diesen persönlichen Ton, aber das passiert seit einiger Zeit immer wieder.



    Lieber Wotan,
    die Unterscheidung zwischen Technikfan und Geschmacksfan finde ich ziemlich irreführend. Das kann natürlich wieder darauf zurückgeführt werden, dass ich ein Technikfan bin und diese Unterscheidung deswegen verneine, aber so stoßen wir auf eine schlechte Unendlichkeit in der Diskussion.
    Mehr oder weniger "relativ" ist in diesem Falle, m.E., eher der Unterschied, den es zwischen den verschiedenen Ansatzpunkten der Diskutanten gibt. Jeder hat eine verschiedene fachliche Bagage und spricht eine gewisse musikalische Sprache. Dass es aber in dieser Unterschiedlichkeit auch Kompetenzgrade gibt, muss man, denk ich, schon akzeptieren.
    Wenn man deinem Unterschiede folgt, dann bin auch ich Geschmacksfan, denn mein Geschmack ist Geschmack für Technik und technisch sichere Sänger. Und nicht weil ich Gesangstechnik als solche schätze, sondern weil ich finde, dass damit das Gesangsniveau bemerklich wächst und mir als leidenschaftlchem (männlich-emotionalem :D ) Hörer mehr Freude spendet.


    Die Netrebko kann schon was, sie ist z.B. eine überzeugende Manon, aber viel kann sie auch nicht und dem riesengrossen Hype entspricht sie erst recht nicht. SIe mag eine der besten Sängerinnen von Heute sein, aber das sagt dann wiederum Vieles (und nichts Gutes) über den heutigen Zustand der Gesangskunst aus.
    Ein anderer Grund, warum dein Unterschied mir nicht besondrs relevant erscheint, ist, dass - wie es auch schon Caruso hingelegt hat - es hier nicht so sehr um die Netrebko geht, sondern um das Werk "Anna Bolena", das gewisse Ansprüche und eine gewisse (natürlich immer revidierbare und revoluzionierbare) Stilistik besitzt und ganz bestimmte technische, rein technische Bedingungen vorstellt, nämlich vollfunktionierende Koloratur, Triller und eine steinsolide Atemtechnik. Besonders die letzte, da ohne eine gute Atemtechnik führt man auch keine richtigen Koloraturen aus und auch für Triller bleibt innerhalb langer Legato-Phrasen wenig Sauerstoff in den Lungen. Dann kommen aber noch die generelleren Probleme die letztlich Caruso aufgezählt hat. Das Alles bringt zu einem Bündel von Mängel, die für mich jedwege Glaubwürdigkeit der Netrebko in dieser Rolle radikal infrage stellen.

    Tatsächlich bist du mir in dieser Hinsicht zu radikal (und ich dir wahrscheinlich viel zu liberal). Ich verstehe halt nicht, wie du anderen ihre Meinung als falsch hinstellen kannst Damit gibts du allen hier im Forum zu verstehen, dass - in deinen Augen - nur deine Meinung die richtige ist und die anderen, die nicht deiner Meinung sind, keine Ahnung haben.


    So ist es natürlich nicht. Es gibt (zum Glück) viele im Forum und außerhalb, denen ich Recht gebe, mit denen ich einverstanden bin und deren Meinung ich wiederhole oder aufgreife.
    Das Hauptproblem in einer solchen Diskussion über Stimmen und Opernaufführungen ist, glaube ich, dass einige halt nicht akzeptieren, dass es doch eine gewisse objektive, technische Dimension in dieser Kunst gibt, die mit ganz bestimmten Kriterien definiert werden kann und die dann auch überhalb der Geschmacksargumente steht. Dann kommt noch der historische Horizont der Aufführungspraxis und der Stilistik verschiedener Opernrichtungen hinzu. In diesem Falle Belcanto.
    Es geht einfach um Niveauunterschiede in der Argumentation.
    Nichts Persönliches, nur Business.

    Das ist etwas völlig anderes was du jetzt schreibst. Du differenzierst, sagst wo die Fehler waren. Davor waren deine fünf Punkte so formuliert, dass es nicht nur auf die Anna Bolena, sondern gleich auf alles, was sie singt, zutreffen hätte können. Daher auch meine so allgemeine Gegenformulierung.
    Man muss Fr. Netrebko ja nicht mögen. Ich ziehe auch zum Beispiel eine Krassimira Stoyanova dreimal ihr vor. Dann rede ich nicht von schön sondern breche in Lobeshymnnen aus, wie im Herbst im Dortmunder Otello. Und auch wenn Fr. Netrebko diesen Abend aus Sicht eines Fachmanns verhauen hat, muss man ja nicht gleich mit der verbalen Brechstange losprügeln (alles in Bezug auf deine fünf Punkte von oben). Auch wenn ich mich immer noch frage, wie es sein kann, dass andere Leute, die auch Ahnung haben von Singen zu einem anderen Urteil kommen. Ist das dann schon Geschmackssache?


    Meine Punkte beziehen sich tatsächlich nicht nur auf die Bolena der Netrebko, sondern können auch verallgemeinert werden, denn in allen von ihr gesungenen Belcanto-Rollen hat sie gezeigt, dass sie unfähig ist, die elementarsten Vorbedingungen des Belcanto-Fachs zu erfüllen (siehe nochmals die Triller, Koloraturen, feste Legato-Linie etc.). So war es in ihrer Lucia, Elvira, Norina...
    Es tut mir leid, wenn ich unerträglich radikal erscheine, aber wenn einer, der "Ahnung von Stimmen hat", diese Bolena in einer oder anderen Weise lobt, hat er dann eben KEINE Ahnung von Stimmen oder von Donizetti. Mit der DOnizetti-Tradition hatte die Bolena der Netrebko sehr wenig zu tun. Das "Neue", was sie uns dargeboten zu haben mag, ist nichts Neues. Viel Routine, Banalität, Einfallslosigikeit und knappes Durchkommen.
    Und ein Publikum, das Triumphe und große Künstler braucht. Ich schätze die Intention, gezielt hat das Publikum aber wieder mal falsch. Der Hype hat allerdings funktioniert. Einen Kritiker oder eine Kritkergruppe gibt es auch nicht, die kompetent und KRITISCH die Sache analysieren würden. Alles Sternstunde, Jahrhundertsleistung, Äonen-Aufführung und Sensation. Seit einiger Zeit gleichen alle Texte der Kritiker, besonders im deutschsprachigen Raum, aufs kleinste einander. Der selbe abstrakte, hymnische Wortschatz, so gut wie kein Verständnis der Operngeschichte und der Stimmen und ein Haufen Opportunismus.

    Schon wieder verstehe ich deine gewaschene Kritik gegenüber einer heutigen Sängerin nicht. So wie du hier über sie schreibst, könnte man meinen sie habe den Beruf verfehlt. Ich kenne auch - ebenso gesangskundige Kritiker - die genau das Gegenteil von dem behaupten, was du sagst. Wer hat denn nun Recht?
    Ich selber würde nie von der Netrebko behaupten, dass sie eine erstklassige Sängerin ist. Aber ich würde jetzt über sie schreiben, dass sie
    1. durchaus schon einen gelungen Triller gesungen hat.
    2. auch schon schiwerige verziehrungen hinbekommen hat;
    3. schon sehr viele Töne auch im langen Legato auf der richtigen Tonhöhe getroffen hat
    4. auch in dramatischer Lage natürlich klingen kann


    1. Wenn das, was sie z.B. im "Al dolce guidami" getan hat, richtige Triller sind, dass bin ich der Kaiser von China. Man höre sich doch bitte eine Gruberova (noch in ihrem Alter!) an. Das sind Triller.
    2. Entschuldigung, aber wenn du die Oper erst kennengelernt hast und weder die Aufnahmen der Sills, der Sutherland, der Callas, der Gencer oder anderer kennst noch in die Partitur nicht hineingeschaut hast, wie kannst du mir sagen, dass sie die Vezierungen hinbekommen hat, wo doch sie keine einzige Koloratur richtig sauber gesungen hat. Das ist leider ein akustisches objektives Faktum. Ob dann die Netrebko immer noch gefällt, weil sie Anna Netrebko ist (erstklassig oder nicht), das ist eine andere Sache.
    3. Wieder einmal bitte ich diese Interpretation der Bolena mit einigen anderen zu vergleichen. Von Legato ist es überhaupt schwierig, im Falle der Netrebko zu reden, da sie - wie auch schon unsere Gioconda hingewiesen hat - allzuhäufig nach Luft geschnappt hat und dort, wo legiert werden musste, stets neu aufatmen musste, weil die Atemtechnik der Netrbko einfach nicht ausreicht, um den langen Phrasen der Bolena, die nur durch ein perfektes Legato Sinn ergeben, gerecht zu werden. Von Verzierungen, Variation und Phantasie ist ja gar keine Rede mehr. Es geht um die "blanke Existenz" bei ihr.
    4. Wenn die aufgeblasenen Töne im ersten Finale und in der "Coppia iniqua" natürlich klingen, dann weiß ich nicht mehr, über welches Belcanto wir reden. Dass sie die ganze letzte Stretta einfach durchgeschrien hat, scheint mir auch ganz unmittelbar einleuchtend zu sein. Zum Glück bin ich nicht der einzige, der es gehört hat.

    Die Netrebko ist unfähig:
    1. einen Triller zu singen;
    2. die einfachste Verzierung (Vokalise, Koloratur oder wie man das auch nennen mag) auszuführen;
    3. ohne Intonationsprobleme eine lange, einheitliche Legato-Linie zu singen;
    4. bei dramatischeren Szenen, wo heftigeres "accento" verlangt wird, die Stimme im Zentrum nicht künstlich aufzublasen, in der Höhe nicht zu schreien und die Emission "in den Fugen" zu behalten.


    Was die ersten beiden Punkte angeht, ist die Partitur der Anna Bolena voll von Trillern und Koloraturen. Da stellt sich also die Frage: WAS singt denn eigentlich die Netrebko?
    Was die beiden letzten Punkte angeht, das steht nirgendwo, ist aber eine Art "ungeschriebenes Gesetz" und gehört zu jeder Ausführung, die unter der Kategorie "Klassischer Gesang" untergebracht wird. Oder ist man inzwischen so modern, dass man Intonation nicht mehr nötig findet?

    Ich habe mir im Vorfeld einige Literatur über die Oper gesucht und hatte gelesen, dass die Partie der Anna von Donizetti nicht für einen ausgesprochenen Koloratursopran geschrieben wurde, ebenso wie bei der "Lucia" wurden von den verschiedenen Interpretinnen Änderungen und Kadenzen je nach Stimmlage vorgenommen, so dass viele Jahre echte Koloraturpartien daraus wurden. Erst Callas und ihre Epigonen legten die Partie wieder dramatischer an. In diesem Zusammenhang muss man wohl auch die Interpretation von Netrebko sehen.


    Ja, das ist richtig. Die Partie wurde für Giuditta Pasta (vielleicht die berühmteste Sängerin des 19. Jahrhunderts, erste Norma, erste Amina...) geschrieben, die eigentlich auch als ein Mezzo gelten konnte. Sie hatte, laut Überlieferung, eine starke Mittellage, so, dass sie auch Mezzopartien singen konnte, und ein hohes Register, das bis zum D oder Dis reichte. Die für sie geschriebenen Rollen sind immer sehr zentral. Deswegen war die Callas bei der WIederentdeckung der Rolle die perfekte Besetzung. In den späteren Jahren haben es mehrere "leichtere" Soprane vorgenommen, diese Rolle zu singen. So transformierte z.B. die grandiose Beverly Sills die Bolena in eine Koloratur-Rolle. Genauso wie in einer anderen ihrer Paraderollen wie Pamira in der Besetzung von Korinth von Rossini, machte sie aus einer zentralen Partie eine Rolle für Koloratur-Feuerwerke und transponierte alle möglichen Stellen, wo nach Tradition variiert werden konnte in die höhere Lage. Dasselbe tat auch die alte Sutherland. In den letzten Jahren taten es die Gruberova und die Mariella Devia.
    Das Problem mit Anna Netrebko ist nun, dass sie weder in die eine noch in die andere Kategorie hineingehört. Ein Koloratursopran ist sie nicht, um die gesamte Partie in einem extrem hohen Register durchzuhalten (von der totalen Abwesenheit an jedweder agilita- und Verziehrungstechnik gar nicht zu reden), aber auch ein zentraler Sopran ist sie nicht oder gar ein Mezzo (im echten Sinne eines Mezzo, d.h. nicht eines kurzen Soprans, wie es heute die meisten Mezzos sind, sondern einer Stimme, die frei im zentralen und unteren Register singen kann und dann auch noch solde in der Höhe ist). Weder stilistisch noch expressiv hat sie genügend Ressourcen, um als ein lyrischer Sopran dieser Partie den Ausdrucks- und Umfangsraum zu geben, den entweder ein drammatischer Mezzo oder eine volle Koloratursopranistin auf zwei verschiedene Weisen es schaffen könnten. Die Bolena der Netrebko bleibt ungesalzt und fade, wenn nicht überfordert.
    Vom Stimmtypus konnte ihre Bolena mit der der Scotto verglichen werden, die auch ein lirico oder vielloeicht sogar ein lirico-leggero gewesen ist (die aber ständig für ihre Stimme zu schwere Partien gesungen hat!) und große Schwierigkeiten mit der Rolle gehabt hat. DIe Scotto hatte aber ein Talent zum Phrasieren und Gestalten, die unübertrefflich bleiben, und damit konnte die sie eine gültige Bolena darbieten. Der Netrebko fehlt es leider auch an diesem echten Verständnis des Belcanto-Stils und einer flexiblen Orientierungsfähligkeit im Phrasengewebe.

    Wie willst du über Allgemeinplätze hinauskommen, wenn du die Aufnahmen von Callas, Sutherland, Sills, Gruberova und Theodossiou nicht kennst?


    Von all diesen Interpretationen ist die Netrebko meilenweit entfernt!


    :hello: LT


    Bitte nur die Theodossiou nicht. :D Die frühere Theodossiou kann vielleicht noch hinzugezählt werden,aber das, was Th. seit Jahren mit dem Belcanto-Repertoire macht, ist... Gotteslästerung :D


    Callas, Sutherland, Sills, Gencer und Gruberova, würde ich sagen.
    Die Netrebko hat ja selber erklärt, dass sie sich die Aufnahmen von Callas und Gencer angehört hätte... Anscheinend hat die Anja nicht herausgehört, dass die Bolena neben korrekter Intonation und einer homogenen Stimmpositionierung auch noch Koloratur braucht.

    Also, von der Netrebko denk ich, dass sie einfach zureichend durch die Partie durchkam. Sie hat, sagen wir, so gesungen, wie man eine Belcanto-Partie noch in den 50-ern gesungen hätte, ohne den Callas-Ansatz oder dann der Sutherland-Renaissance. Die Koloratur ist immer noch nicht da (auch in den einfacheren Koloratur-Teil wie den wenigen Stellen im "Coppia iniqua"), Intonationsprobleme stören mehrfach die volle Entwicklung der musikalischen Linie (siehe "Al dolce guidami" und Gebet) und letztendlich ist sie von der Rolle sehr überfordert. Siehe wiederum die letzte Stretta.
    Eine Ausdrucksstärke "trotz" dieser technischen Mängel fand ich auch nicht. Sie wirkte, wie auch die anderen Sänger, ziemlich blaß, monoton und banal. (Garanca und D'Arcangelo sind ja sowieso blaß; das gehört einfach zu ihrer Wesensbestimmung). Der Meli ist stets bereit, sich die Kehle auszuschreien.
    Das Dirigat von Pido war, m.E., richtig skandalös. So viel Schmutz und Uneinheit im Klang kann man nur ganz schwer mit einem so guten Orchester wie dem der Staatsoper erreichen.
    Kurz gesagt, wieder mal eine "Sternstunde", von der viel gesprochen werden wird, man wird die Netrebko die Bolena des XXI. Jahrhunderts nennen, wie die Bartoli nur Norma des XXI. Jahrhunderts wurde (Gott sei dank nur für einige Tage!), und dann wird Alles wieder in die Vergessenheit geraten und das "Star system" wird neue Sensationen produzieren.

    Da hast Du wirklich Recht! ABER: wann gab es denn in den letzten 50 Jahren einen wirklich herausragenden Kaiser. Ich habe mit Hopf, King, Thomas, Ritzmann, Heppner, Seiffert, Moser und Winbergh einige Kaiser gehört, mit denen man durchaus zufrieden sein konnte, aber keiner von ihnen hat die Partie wirklich so gesungen, dass man gar nicht mehr auf die Idee gekommen wäre, es müsste noch besser gehen.


    Am ehesten würde ich das über den Kaiser von Robert Ilosfalvy sagen - aber auch nur in den ersten Aufführungen, die er gesungen hat - später habe ich ihn leider dann auch in einer Verfassung gehört, in der er die Partie nicht mehr hätte singen sollen. Schade, dass Konya, der ja ein idealer Bacchus war, nie den Kaiser gesungen hat! Ihn hätte ich mir toll vorstellen können!


    Das stimmt... der Kaiser ist so eine "unmögliche" Rolle mit ihrer schrecklich hohen Tessitur, ein bisschen wie Bacchus. Auch mit dem Bacchus hat man ja seit der Nachkriegszeit ständig Schwierigkeiten. Der letzte wirklich glaubwürdige und stimmsichere Bacchus war vielleicht Rosvaenge...
    Seiffert finde ich schon ziemlich befriedigend als den Kaiser. Außer der technischen Sicherheit hat er ja noch diese sehr schöne Legato-Linie. Da sieht man, dass ein Franz Völker sein Muster gewesen sein mag.
    Diese Tenor-Rollen von Strauss sind einfach... schlecht geschrieben :D absichtlich oder unabsichtlich :D


    Vom Ilosfalvy kenn ich nur einige Operetten-Arien, nichts anderes. Meinst du, er hätte so eine Spinto-Partie singen können? Der Konya hätte ja eigentlich ganz schön gelitten, wenn man daran denkt, dass die extrem hohen Noten nie sein "point fort" gewesen sind... Aber einen vollen, melancholischen und kaiserlichen Kaiser hätte er bestimmt gegeben. Auch die meisten großen Isolden hatten nicht die sichersten hohen H und C im ersten und zweiten Akt, aber sind immer noch große Isolden gewesen. :)

    Danke, Jolanthe.




    Lieber Rodolfo, ich bin (wie erwartet) etwas skeptisch. An die Bolena haben sich schon einige für die Rolle prinzipiell unadäquate Sängeirnnen herangewagt, wie dei Gruberova oder Devia und sind dank ihrer glänzenden Technik zu mehr oder weniger positiven Ergebnissen gekommen, aber hat die Netrebko die nötige technische Bagage, um als lyrischer Sopran den Anforderungen dieser überschwierigen Partie gerecht zu werden?... Schon in der Lucia musste sie ja auf große Kompromisse eingehen.
    Die Maria Stuarda mag noch eine Rolle sein, der sie mehr oder weniger gerecht werden könnte. Die Elisabetta aus dem Devereux ist geradezu eine Mörderrolle und an Schwierigkeit bestimmt mit einer Norma gleichzusetzen. Ich habe den Verdacht, die Netrebko hat noch gar nicht in die Partitur hineingeschaut...
    Ich wünsche ihr jedenfalls viel Erfolg bei der Premiere der Bolena. Möge sie uns zeigen, dass sie inzwischen als Belcanto-Sängerin gewachsen ist.


    Ja, lieber Luca, da thematisierst Du ebenso knapp wie zutreffend das ganze Problem. Eigentlich möchte man sich über Vogts gut sitzende und technisch einwandfreie Tenorstimme freuen. Andererseits langweilt er mit seinem fast anämischen Singen.
    Im Lohengrin kann man das im ersten Akt noch stimmig finden aber spätestens im dritten Akt nicht mehr.
    Gut gefallen hat er mir aber als Paul in Korngolds "Die Tote Stadt" , wo ich sein zurückhaltendes, fast eindimensionales Singen ganz faszinierend fand. Das wirkte geradezu verdichtend wie in einem Schwarz-Weiss-Film.
    Auch als Prinz in der "Rusalka" hat er mich durch einen großartig gesungenen dritten Akt sehr überzeugt. Die Todessüchtigkeit des letzten Duettes habe ich selten so transzendierend gehört wie von ihm. Und er ist natürlich auch einer der ganz wenigen, die mit der exponierten Tessitura keine Probleme haben!


    Florestan, Stolzing uns ähnliche Partien würde ich aber denn doch lieber von anderen Tenören hören.


    Auch seinen Kaiser au der Frau ohne Schatten finde ich etwas lahm und monoton. Im ersten Akt nichts vom jägerischen Elan, im zweiten nichts von der Zerrißenheit, im dritten nichts von echtem Jubel.