Ich danke abermals vielmals, lieber Peter Schünemann, und bin auch auf Weiteres sehr gespannt.
Lieber Joseph II.
Danke. Es ist mir ein Vergnügen.
Meine Position zum Thema "Gergiev" möchte ich verdeutlichen : Ich verdanke diesem Dirigenten seit 1989 viele unvergessliche Konzerte und Opernaufführungen, und letzten Endes verdanke ich es ihm, dass ich seit vielen Jahren in Mikkeli, in Finnland lebe. Seinetwegen besuchte ich 1995 erstmals das Mikkeli Musik-Festival, wurde "privat verbandelt" mit einer Mitarbeiterin und sah es als (unbezahlte, unbezahlbare) Ehre an, mit Gergiev über eineinhalb Jahrzehnte an der Programmplanung zusammen zu arbeiten.
Weder für mich noch für meine finnischen Kollegen war Gergievs Nähe zu Putin jemals ein Problem. Damit unterschied Mikkeli sich um nichts von anderen Festspielen und Orchestern. Aber : Dieser grausame, von Putin angezettelte Krieg gegen einen souveränen Staat veränderte alles, und ich finde Gergievs "Verbannung" von Events außerhalb Russlands vollkommen richtig.
In dem schon erwähnten Interview fragte Norman Lebrecht Gergiev : "Why a festival in the middle of nowhere?" Und Gergiev fand außerordentlich freundliche Worte über Finnland im Allgemeinen und Mikkeli im Speziellen, über die Reinheit der finnischen Natur. Nach bzw. inmitten des St. Petersburger Festivals "Stars der Weißen Nächte" sei Mikkeli für ihn und seine Musiker wie Urlaub. Meistens würde ein Programm gespielt, mit dem sein Orchester vertraut sei, und die Proben würden erst um 16 Uhr beginnen.
Um es deutlich zu sagen : Einen Grund für Mikkeli gibt es auf keinen Fall - das Geld. Als ich Gergiev einmal fragte, ob er wüsste, wieviel Mikkeli pro Konzert zahlte, also für ihn und Orchester, verneinte er. Bei meiner Antwort (30 000 €) lächelte er. Es gäbe Länder, in denen er allein so viel bekäme. Also wogen ein für ihn und seine Familie für mehrere Wochen angemietestes "Mökki" (Sommerhaus) alles auf, und so war Mikkeli das einzige oder eines der wenigen Festivals, in dem das Mariinsky Geld verlor anstatt es zu verdienen.
Man verstehe mich richtig, wenn ich dafür das Wort Treue oder Loyalität verwende - Treue gegenüber der Idee des Festivalgründers Seppo Heikinheimo, gegenüber Finnland und Mikkeli. Und wenn ich mich nicht sehr irre, lässt sich Gergievs Verhältnis zu Putin auch mit Loyalität umschreiben. Im Gegensatz zu 2014 ist heute nichts an Unterstützung für Putins Aggression zu hören. Eine öffentliche Distanzierung von Putins Politik von Gergiev zu erwarten, hieße zu verkennen, dass er nicht nur für sein eigenes Leben und das seiner Familie verantwortlich ist, sondern auch für seine musikalische "Familie", das Mariinsky-Theater mit seinen 5 Bühnen, 3 in St. Petersburg plus Vladivostok plus Vladikavkaz. Ich bin froh, nicht in Russland zu leben.....
Ich habe einmal mitbekommen, wie Putin "pfiff" und Gergiev "sprang". Als ich zu abschließenden Programmgesprächen in St. Petersburg war, informierte mich der damalige Operndirektor, das Mikkeli-Programm müsste leider geändert werden. Putin habe Gergiev in dieser Zeit zu einem Konzert mit dem Mariinsky-Orchester nach Kaliningrad "eingeladen", und dem könnte Gergiev sich selbstverständlich nicht entziehen. Ähnlichkeiten mit anderen solchen Events drängen sich auf.
Beste Grüße aus dem Land, das gerade zum 5. Mal nacheinander zum Land mit den glücklichsten Menschen gewählt wurde, und das trotz der Nähe zu Russland
Peter Schünemann