Beiträge von Felix Meritis

    Das auch, aber mir gefallen zudem sowohl die dritte Sinfonie als auch die Hebriden. Auf jeden Fall verträgt Mendelssohn die etwas dramatischere Gangart Chaillys sehr gut, wie ich finde.


    Profitieren tut auf jeden Fall der Lobgesang (vor einigen Jahren erschienen) von Chaillys Zugriff. Bei der ursprünglichen Version der Hebriden finde ich allerdings, dass sie viel weniger perfekt ist als das von Mendelssohn schließlich veröffentlichte.

    Es geht doch nicht darum, nur das zu hören, was aktuelle im Forum Konsens ist (das kann sich ja auch ändern): ich werde mich mit Joannes Roehl und Felix Meritis nie über über Brendel einigen können. Macht aber doch nix.


    Nein, das macht gar nichts. Ich jedenfalls verabscheue Sendungsbewusstsein und akzeptiere daher jede andere Sicht- bzw. Hörweise. Das, was ich aber schon für wichtig halte, ist seine Meinung so zu formulieren, dass andere nicht allzu sehr vor den Kopf gestoßen werden. Da habe ich mich natürlich auch schon des öfteren schuldig gemacht (im Gegensatz zu Dir).


    Zum Thema des Threads: Ich würde mir wünschen, das Forum hätte mehr wienerischen Charakter, und zwar wienerisch im Sinne von "Wiener Kaffeehaus". Nichts ermöglicht Geistesflüge verlässlicher als eine ungezwungene Atmosphäre. Den "Leistungsanspruch", den Alfred immer wieder stellt, empfinde ich daher als kontraproduktiv. Intellektuelle Leistungen lassen sich nämlich nicht genau planen. Ich entschuldige mich hier für die Offenheit, aber als Wiener liegt mir dieses Forum natürlich am Herzen. Außerdem bin ich überzeugt, dass Alfred eben genau der Typ Mensch ist, der das Forum in diesem Sinne leiten könnte. Im Moment besteht noch eine ziemliche Diskrepanz zwischen Alfreds persönlichen Bemühungen (Telefonanrufe) und die unterkühlte Atmosphäre im Forum.

    Ergänzen würde ich nun aus historischer Perspektive: Buchbinder spielt Beethoven tendentiell nicht aus der Sicht des 18., sondern eher des 19. Jahrhunderts im Sinne von Eduard Hanslick. Der Formalismus Hanslicks verbannt das Expressive als nichtschöne, sondern unschöne „pathologische“ Gefühligkeit und macht das Klassische ernüchtert an der „tönend-bewegten Form“ fest. Und wie bei Hanslick ist auch bei Buchbinder das Dynamische der Gefühle auf den puren Bewegungscharakter reduziert – als der objektivistische Rest, welcher übrig bleibt, wenn man von den subjektiv-bewegenden Gefühlsqualitäten abstrahiert. Was so aber verloren geht ist eben das über das „Schöne“ hinausgehende „Erhabene“, die expressive Subjektivität des 18. Jahrhunderts, das „Leiden“ des Beethovenschen Sturm und Drang, was emanzipatorisches Aufbegehren überhaupt erst motiviert.


    Spät aber doch, lieber Holger, möchte ich ein paar Sätze zu Deinem langen an mich gerichteten Post schreiben. Die Argumente, die Du anführst, sind für mich eben geradezu paradigmatisch für das Denken der Romantik, und ich bin mir nicht sicher, inwiefern Hanslicks Vorstellungen wesentlich von der Ästhetik des 18. Jahrhunderts abweichen? Kehrt die Musik Mozarts oder Haydns das Pathologische hervor? Nicht, dass ich wüsste. Inwiefern, entspricht hier Buchbinders Ansatz also nicht dem 18. Jahrhundert? Den von Dir mehrmals zitierten CPE Bach finde ich hier als Zeuge der Romantik eher unpassend. Ihm schien es mehr um ein Aufbrechen des barocken Formalismus gegangen sein, und darum der Neigung der Barockmusik, Einzelstücke im Affekt gleichmäßig durchzukomponieren, entgegenzutreten. Ich jedenfalls empfinde CPE Bachs Musik eindeutig als stilisiert und nicht als romantische Musik im Sinne des 19. Jahrhunderts (also "Bekenntnismusik"). Auch in der Pathetique höre ich noch viel Stilisierung heraus (welch großer Unterschied z.B. zum Finalsatz der Mondscheinsonate!), den kreatürlichen Schrei dafür weniger. Trotz des zweifellos emotionalen Gehalts ist die Pathetique mMn "schön", also ein ganz klar klassisches Werk. Leider weiß ich nicht, ob Beethoven diese Sonate in späteren Jahren noch zu Gehör brachte. Ich vermute allerdings nein, da er seine früheren Werke fast immer als obsolet betrachtete - sowohl kompositionstechnisch als auch "inhaltlich".
    Aber: ich halte eine sehr große Bandbreite von Interpretationen für legitim. Hier bin ich schon ähnlicher Meinung wie Brendel, denn der Interpret soll eben interpretieren. Musik ist interaktiv.

    Ich persönlich falle in das typische Wagnerschema "muss man lieben oder hassen" nicht hinein. Von den Opern gefällt mir - so weit ich sie kenne - nur Rheingold als ganzes wirklich gut. Aber diverse Instrumentalstücke aus den Opern finde ich an Genialität nicht zu überbieten und seine Wesendoncklieder mag ich auch sehr. Sorry!


    Ansonsten polarisieren oft weniger die Komponisten als der Umgang mit ihnen. Im Grunde polarisiert nämlich sogar Mozart bereits ein wenig, da er von manchen als "göttlich" etc.. tituliert wird und schon relativ harmlose Fragen, z.B. weshalb das Klarinettenkonzert denn im Vergleich mit anderen Konzerten Mozarts so besonders sei, anhaltendes Vorhofflimmern auslösen können. Bei Schönberg wiederum gibt es wohl kaum Anhänger, die nicht verstünden, dass andere mit dieser Musik nichts anfangen können. Allerdings ist die hyperemotionale, beleidigte Anfechtung der 2. Wiener Schule im höchsten Masse polarisierend. Chacun a son goût....

    Ohne Analyse fällt einem kaum auf, dass seine melodischsten Werke wie das Violinkonzert oder die 2. Sinfonie nicht weniger dicht und komplex sind als Stücke wie die 1. oder 4. Sinfonie.


    Findest Du das Violinkonzert so melodiös? Ich finde eher erstaunlich, dass es ohne grosse Melodien (im ersten Satz) trotzdem so wirkungsvoll ist. Natürlich werden wir hier mit einem rein binären Ansatz, melodiös/Verarbeitung, Brahms nicht beikommen können. Trotzdem ist es für mich so, dass Brahms in einigen Werken demonstrativ eine Melodie voranstellt (op. 8, op. 38, op. 78) und in anderen reine Motivarbeit betreibt (op. 51/1, op. 100, op. 108, etc..). Wenn ich meinen Werdegang als Brahmshörer rekonstruiere, dann war es so, dass mir zunächst nur die Werke mit klar erkennbarer Melodie gefielen, die anderen dagegen uninspiriert vorkamen. Natürlich sehe ich das heute nicht mehr so, obwohl sich meine alten Präferenzen praktisch kaum geändert haben.



    Schuberts Wandererphantasie beruht ja auf einem Lied - primär motorisch ist sie mir also nie vorgekommen.

    Ich habe vom ersten SQ Tschaikowskis zwei Aufnahmen: eine vom Borodinquartett (plus beide anderen Quartette und Streichsextett) und die von den Emersons (gekoppelt mit dem Amerikanischen und Borodins Zweitem). Obwohl ich eigentlich kein besonderer Fan der Emersons bin, haben sie hier eine tolle Platte hingelegt.




    Tschaikowskis Kammermusik finde ich erstaunlich stark - erstaunlich deshalb, weil er kleine Besetzungen, vor allem mit Klavier, nach eigener Aussage eigentlich nicht schätzte.

    A propos Borodin: wenn Yagura so begeistert vom Amerikanischen Quartett und Tschaikowskis erstem SQ ist, dann würde ich unbedingt Borodins zweites SQ empfehlen. Dieses ist das dritte im Bunde der slawischen Superhitquartette.

    Das kann ich zwar ansatzweise nachvollziehen, aber ich meine einerseits doch fast immer sehr deutlich einen persönlichen Stil zu hören, der diese Pole zusammenbringt, und sehe andererseits Brahms nicht unbedingt als Sonderfall. Es gibt auch Hörer, die sehr deutlich Lohengrin Tristan vorziehen (oder umgekehrt), Schuberts Forellenquintett und Streichquintett sind eher noch weiter auseinander als Brahms 1. und 3. Klaviertrio. Und ob alle Freunde von Beethovens Pastorale seine späten Quartette ebenso mögen (wenn sie sie überhaupt schon mal gehört haben), ist wohl auch eine offene Frage. Von Komponisten mit oft sehr unterschiedlichen Schaffensperioden wie Schönberg oder Stravinsky gar nicht anzufangen.


    Schönberg und Strawinsky treffen noch am ehesten, was ich gemeint habe (wobei der spätere Strawinsky ja eher ignoriert wird). Es ist mMn bei Brahms etwas anders als bei Beethoven und Schubert, denn diese beiden hielten mehr oder weniger an ihrem grundsätzlichen Kompositionsstil fest: thematische Arbeit bei Beethoven, Lyrismus bei Schubert. Brahms changiert aber zwischen diesen beiden fundamentalen Ansätzen. Ein gutes Beispiel wären eben die Klaviertrios. Während die einen meinen, das erste sei dem letzten turmhoch überlegen, da es das schönere Material habe, sagen die anderen, das erste wäre weniger interessant, da es weniger motivisch durchgearbeitet sei. Bei Beethoven, Schubert, Mendelssohn, Dvorâk, Tschaikowsky, etc.. sehe ich solch eine Bipolarität des grundsätzlichen Ansatzes nicht (teilweise bei Dvorák, wenn er Brahms nacheifert).

    Eigentlich meinte ich selbst im Thread zu den Brahms-Streichquartetten ganz etwas anderes - etwas, was sich nicht für einen Lästerthread eignet ;) . Ich finde Brahms' Musik changiert sehr zwischen den Polen "Lyrismus" und "klassische Strenge". Aus diesem Grund "polarisiert" Brahms die Freunde seiner Musik, von denen ein Teil eher den lyrischen Brahms schätzt, der andere den beethovesken. Ich gehöre zu ersterer Gruppe und finde, Brahms hat oft gegen seine eigene Veranlagung als lyrischer Romantiker komponiert.


    Allgemein zu Brahms: natürlich hat er polarisiert (früher viel mehr als heute) - schon aufgrund seiner Gegenstellung zu den Neudeutschen. Brahms wurde zur Ikone der Konservativen, Menbdelssohn zu deren"Urahn" (der schlechte Ruf des letzteren bis vor kurzem geht zu einem guten Teil darauf zurück) . Dazu hat Brahms aktiv durchaus beigetragen. Ich persönlich habe damit kein Problem, sondern eher mit den Brahms-Hagiographien der Musikwissenschaft bis vor kürzerer Zeit. Brahms wird da sehr oft als eine Art Beethoven zweiter Klasse gegen andere Komponisten ins Feld geführt und zum "Größeren" erklärt. Diese Art zu denken hat aber in jüngerer Zeit sehr abgenommen, weshalb das Polarisierungspotential doch stark abgenommen hat.

    Vor Edwin Baumgartner bei Tamino und evtl. einigen Diskussionen im englischsprachigen rec.music.classical.recordings hatte ich nie den Eindruck, dass Brahms polarisiert. Zwar ist kaum eines seiner Werke so ein Einsteigerstück wie einzelne Sinfonien von Haydn, Mozart, Beethoven, Dvorak oder gar Moldau und Morgenstimmung, hatte ich, sobald ich breiter klassische Musik hörte, immer den Eindruck, dass Brahms ein unbestrittener und weitgehend auf breiter Front geschätzter Klassiker sei, ähnlich wie Mozart oder Beethoven (im Gegensatz zu Bruckner oder Mahler, die mir vergleichsweise exotisch bzw. "acquired taste" schienen).


    Brahms angeblicher Konservativismus geistert aber schon sehr lange herum - ob´s stimmt oder nicht, sei mal dahingestellt - und namhafte Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts waren stramm antibrahmsianisch (Tschaikowsky, Strawinsky, Britten, eigentlich auch Strauss, ...). Im Konzertsaal war er natürlich immer präsent, aber das gilt ja auch für Mendelssohn.


    Das Menuett in der e-Moll Sonate empfinde ich als ähnlich wie den zweiten Satz der Mondscheinsonate: ein Werbeblock im Kinofilm ;)


    Das Vermeiden von sanglichen Melodien ist eben der Stein des Anstosses, denn seine Motive haben für mich nicht die Prägnanz Beethovens. Viel eher ist Brahms - entgegen dem Klischee - ja eigentlich ein genialer Melodiker (was man schon an den zu Volksliedern gewordenen Melodien Brahmsens merkt). Ich jedenfalls ertappe mich immer wieder dabei Brhamssche Melodien auf der Strasse vor mich her zu singen. Brahms hätte also mehr wie Dvorák schreiben sollen und nicht umgekehrt :D

    Brahms scheint mir ein Komponist zu sein, der mehr polarisiert als andere, obwohl mir nicht völlig klar ist warum. Die Einschätzung nicht nur seiner Person im allgemeinen sondern auch der einzelnen Werke variiert viel mehr als bei anderen. Ich kann zum Beispiel nicht nachvollziehen, weshalb der sympathische (aber mit den Ecksätzen verglichen wenig spektakuläre) Mittelsatz der e-Moll Sonate von manchen als sperrig empfunden wird. Vielleicht weist seine Musik einfach mehr Bandbreite an Ausdruck auf als die von anderen Komponisten: von ungehemmtem Melos (1. Streichsextett) bis zu stacheliger Reduktion (3. Klaviertrio). Bei Beethoven ist mMn selbst in den sperrigsten Werken, die Diskrepanz geringer. Jedenfalls ist für jeden was bei Brahms dabei - egal ob man von Schubert/Dvorâk kommt wie ich, oder von Beethoven so wie Du.

    Ja, bei Brahms scheinen wir irgendwie unterschiedlich gepolt zu sein.


    Die 1. Cellosonate hat mich beim ersten Hören bereits restlos begeistert. Ich kann mich noch gut erinnern, als ich sie zum ersten Mal im Konzert gehört habe (von Sol Gabetta gespielt). Den ersten Satz finde ich extrem romantisch im Ausdruck - sehr sonor. Das faszinierende an dem Werk ist auch, dass es für Amateure sehr gut zu spielen ist (zumindest der Cellopart). Bei der 2. Cellosonate bin ich mir da nicht so sicher :pinch:

    Es geht hier um Expressivität und nicht um Klassizität. Hinweisen kann ich hier nur auf die Musikwissenschaft - die ausführlich diskutierte "expressivistische Wende" in der Musikliteratur nach 1750. In diesem Kontext ist der Titel "Pathetique" zu sehen. An einer Fachkonferenz mit diesem Thema habe ich mich übrigens beteiligt.


    Doch noch ein Nachtrag: wie verstehst Du hier Klassizität? Offensichtlich nicht im Sinne von "klassischer Stil". Die Sturm und Drang Werke von Haydn sind doch auch Werke, die der inneren Logik des klassischen Stils folgen. Ebenso wie Mozarts und Clementis Moll Sonaten. Klassisch heißt wohl im allgemein verbreiteten Sinne nicht "ausdruckslos", denn dann wären ja ein Großteil der Meisterwerke der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht "klassisch".

    Gerade Buchbinder ist jemand, der im Konzert ungemein dynamisch und lautstark zur Sache geht - viel "härter" spielt als viele andere. Die Annahme, dass ausgerechnet er sich an den Vorgaben eines schmächtigen Hammerflügels von 1800 orientiert, erscheint mir von daher ziemlich abwegig.


    Das stimmt. Das Interessante ist bei Buchbinder, dass er dieselben Werke immer wieder ganz unterschiedlich spielt. Auch die jetztige Einspielung sind nur Mitschnitte von Live-Konzerten und keine Studioaufnahmen, die "Ewigkeitswert" haben sollen.


    Auf Deine anderen Aussagen möchte ich nicht mehr eingehen hier. Mit so etwas zerschießt man nur den Thread. Nimm halt bitte zur Kenntnis, dass mich die Wortwahl bei der Buchbinderbesprechung sehr irritiert hat. Danke.

    Schumanns Quartette finde ich nun nicht uneingängiger als seine übrige Kammermusik. Wenn man mal einen Reißer wie das Klavierquintett ausklammert, sehe ich keine so großen Unterschiede zwischen zB den Quartetten und den Trios.


    Ich schon, obwohl ich "mit Einschränkungen" schrieb. Die ersten beiden Quartette finde ich zwar teilweise faszinierend aber schon sehr unorthodox (sehr seltsam sind die jeweiligen Kopfsätze). Wirklich sehr gut finde ich das dritte Streichquartett. Trotzdem finde ich praktisch alle Kammermusikwerke mit Klavier eingängiger, nicht nur das Quintett, sondern auch das Quartett (mein Lieblingswerk von Schumann), die ersten beiden Klaviertrios und die Volksstücke.


    Auch bei Brahms empfinde ich so, sogar noch stärker. Problematisch finde ich sie natürlich nicht hinsichtlich der Qualität sondern der, wie mir scheint, etwas ängstlichen Fixierung auf die klassische Tradition (Brahms vernichtete ja eine große Anzahl von Quartetten). In keiner anderen Werkgruppe misstraut er der Melodie und dem lyrischen Ausdruck so sehr wie hier.

    Ich bin davon überzeugt, leiber Felix, dass wir uns alle gewundert hätten, wenn Beethoven damals schon auf einem Steinway D hätte spielen können. Das hätte Vieles verändert. Aber er hatte keinen. Aber ich habe mal gelesen, dass ein (österreichischer?) Klavierbauer names Steinweg, (der sich nach seiner Auswanderung nach Amerika in Steinway umbenannte), Instrumente gebaut hat, die der Klaviermusik Beethovens angemssen waren. Ich glaube nicht, dass Beethoven, ausgerechnet Beethoven, auf einem Steinway und im Besitz seines Hörsinns, sich in der Interpetation seiner Pathétique mehr Zurückhaltung auferlegt hätte als Gilels oder Richter.


    Der Punkt, lieber Willi, ist doch, dass Beethoven die Pathetique in dieser Form gar nicht geschrieben hätte, hätte er einen Steinway zur Verfügung gehabt. Dir als eingefleischtem Beethovenliebhaber erzähle ich wohl nichts neues, wenn ich in Erinnerung rufe, dass Beethoven seine Sonaten meistens auf ein Instrument maßschneiderte (Waldstein, Hammerklavier, etc..). Beethoven, der von seinen früheren Kompositionen nie wieder etwas wissen wollte (egal wie gut sie waren), hätte Jahrzehnte später die Pathetique garantiert nicht auf einem klangstärkeren Instrument aufgeführt. Aber ist ja egal. Ich selbst habe nichts gegen den Steinway - soll erlaubt sein! - aber man sollte Interpretationen, die sich an den Umständen der Entstehungszeit von Werken orientieren, nicht verdammen. Dazu gehört auch ein "zeitgemäßer Ausdruck", der teilweise von den damaligen technischen Gegebenheiten abhängig gewesen ist (aber natürlich nicht nur). Darum ging es mir.


    Bezüglich Gilels: ich besitze keine Studioeinspielung sondern bezog mich auf diesen Mitschnitt aus Moskau, 1968:
    http://www.youtube.com/watch?v=j1yGKHVhs_E
    Natürlich sehr gut gespielt, aber mir persönlich zu donnernd.

    Derzeit jedoch - während ich den Beitrag schreibe - höre ich erneut die Nr 1 (zum dritten oder vierten Mal) - und kann meine Ablehnung nicht mehr aufrechterhalten - scheinbar muss man die Werke öfter hören um sie zu lieben.....


    Diese Ansicht hielt ich früher für etwas klischeehaft, inzwischen kann ich aber über weite Strecken zustimmen. Viel von Brhams, das ich jetzt mag oder sogar tatsächlich liebe, konnte ich ursprünglich nicht leiden. Die SQ von Brahms schätze ich inzwischen deutlich mehr, allerdings kann hier von Liebe keine Rede sein. Ich halte die Werke nach wie vor für problematisch und für deutlich weniger attraktiv als das meiste andere aus Brahmsens Kammermusik (trifft mit Einschränkungen auch auf Schumann zu, allerdings).

    Ich habe einmal gelesen, im Paris der 1780 under 1790er Jahre waren beinahe 90% der gespielten Symphonien von Haydn. In London dürfte es wohl ähnlich ausgesehen haben. Wie hätte Haydn die Gattung der Symphonie also nicht beeinflussen sollen? Ich denke - ohne jetzt ganz sicher zu sein - dass das viersätzige Schema mit Tanzsatz nur durch Haydn so verankert werden konnte (indem ihm Beethoven hier folgte).

    Das rührt mich ja nun fast zu Tränen! Der Beitrag 40 stammt aus dem Jahr 2008, heute haben wir 2014 - ist also immerhin 6 Jahre alt. Das war nicht nur mein Erstlingsbeitrag hier in Tamino, sondern auch mein erster Versuchsballon in Sachen Interpretationsvergleich, den ich dann erst einmal nicht weiter verfolgt habe. So wie ein Interpret nach so vielen Jahren die Sicht auf ein Werk ändern darf, gilt das auch für den Rezensenten und sein Bild von einer Interpretation. Das wäre inkonsistent nur, wenn man außer Acht läßt, dass der Mensch ein zeitlich existierendes, geschichtliches Wesen ist.


    Dass ein ca. 50-jähriger (?), der sich sein ganzes Leben mit Klaviermusik auseinandergesetzt hat, hier Welpenschutz für einen nur 6 Jahre alten Beitrag einfordert, finde ich schon erstaunlich. Mich stört aber nicht einmal, dass Du Brendels Interpretation jetzt mehr schätzt, sondern der despektierliche Schreibstil, der einst Brendel traf, jetzo Schiff und Buchbinder. Ich bin ja eigentlich nicht der größte Liebhaber Brendels Beethoveninterpretationen, aber was Du da geschrieben hast, geht selbst mir Lichtjahre zu weit. Detto jetzt bei Schiff und Buchbinder. Schiff meistert übrigens ohne Probleme die Bartókschen Klavierkonzerte, und da soll er bei der Pathetique schlapp machen? Meiner Meinung nach eine unlogische Unterstellung.
    Ich habe auch nicht gesagt, Gilels liefere nur Tastendonner - viel eher tut er das auch aber nicht nur. Jedenfalls ist dieser Spielstil zu Zeiten Beethovens nicht realisierbar gewesen. Dadurch wird Gilels' Ansatz nicht illegitim, aber Exklusivität darf er wohl auch kaum für sich beanspruchen. Die Pathetique ist nun einmal früher Beethoven und mit anderthalb Beinen noch in der Klassik. C-Moll Sonaten haben auch Mozart und Haydn geschrieben - sind das etwa keine klassischen Sonaten? Die Vorschreibung "pathetique" hat auch Präzedenzen, etwa in Clementis fis-Moll Sonate op. 25. Da Beethoven sowohl Mozart als auch Clementi bewunderte, ist es nicht zu abwegig, die Pathetique in dieser Tradition zu sehen.
    Ich finde Buchbinders Interpretation durchaus angemessen, ohne jetzt emotionalere Interpretationen ablehnen zu wollen. Trotzdem: für historischer korrekt halte ich Buchbinder. Du bist jemand, der an Beethoven vonseiten der Romantik herantritt, das merkt man schon bei den von Dir bevorzugten Pianisten (Gilels, Berman, ABM). Nichts dagegen, aber bitte mehr Abstand und Fairness bei den Bewertungen.

    Dieser Kommentar erscheint mir nicht gerade als ein starker Moment: Erstens einmal ist allein die Tatsache, wie lange sich ein Interpret mit einem Werk beschäftigt, noch keine Garantie für absolute Qualität. Zum zweiten interessieren mich pauschalisierende Rezensionen reichlich wenig, wenn es um eine Einzelbeurteilung geht. Ich selbst habe habe ja eine durchweg sehr positive Rezension von Buchbinders op. 7 geschrieben.


    Eben weil Buchbinder op. 7 Deiner Meinung nach so gut eingespielt hat, wäre es doch einigermaßen vernünftig, davon auszugehen, dass er sich bei seinem Ansatz zur Pathetique etwas gedacht hat, oder? Einem Weltklassepianisten wie Buchbinder bei einem solchen Repertoirestück, dass er technisch im kleinen Finger hat, "Unvermögen" vorzuwerfen, halte ich für arg vermessen. Dasselbe gilt für Deine Einschätzung von Schiffs Spiel als "hölzern". Dieses Wort suggeriert technische Schwächen, die bei Schiff in dieser Form wohl kaum vorliegen dürften. Schiffs Einspielung kenne ich nicht, aber Buchbinders Ansatz finde ich ganz hervorragend. Er wählt einen sehr klassischen Ansatz, was aber zur Entstehungszeit des Werkes sehr gut passt. Dass Mozarts c-Moll Sonate Vorbild gewesen sein dürfte, liegt wohl auf der Hand, oder? Natürlich kann man Gilels vorziehen, inwiefern sein Tastendonner aber zum damaligen Instrument Beethovens passt (ein Streicherflügel), sei mal dahingestellt.
    Ich finde Deine Besprechungen manchmal ziemlich inkonsistent. Bei op. 13 beklagst Du, der Kopfsatz wäre von Buchbinder nicht leidenschaftlich und wild genug gespielt, weil die Tempovorschreibung "Allegro di molto e con brio" laute. Die selbe Tempovorschreibung hat aber auch der im Grundcharakter freundliche Kopfsatz von op. 7. Im Gegenzug hast Du bei der Mondscheinsonate von den Interpreten eingefordert, sie sollten daraus ein "Kehrausfinale" machen, obwohl die Tempovorschrift "Presto agitato" (!) lautet. Ein weiteres Beispiel für diese Inkonsistenz wäre Deine Einschätzung von Brendels später Einspielung der Pathetique, die Du hier vor einigen Jahren hineingestellt hast (Beitrag Nr. 40 in diesem Thread):


    Zitat

    Alfred Brendels Vortrag dieses Adagio cantabile ist für mich eine doch herbe Enttäuschung! Seine Melodie fließt nicht, läßt jede Art von souveräner Freiheit und schwelgerischer Großzügigkeit vermissen. Hat sich Brendel etwa von Beethovens Vortragsbezeichnung Adagio verleiten lassen, die er allzu wörtlich nimmt, also um keinen Preis in die flüssigere Gangart eines Andante verfallen möchte? Es entsteht so der Eindruck einer gewissen schulmeisterlichen Bravheit und Betuhlichkeit, der schönen Behaglichkeit einer biedermeierlichen Idylle. Aufzureizen vermag solch gediegenes Spiel lediglich durch altmodisch-maniriertes Nachschlagen der Tasten, dessen Sinn man nicht so recht einsieht.



    Man vergleiche das mit Deinem letzten Beitrag, Nr. 290!!


    Jeder kann sich mal irren oder seine Meinung ändern - aber ein bisschen Bescheidenheit gegenüber diesen Ausnahmekünstlern wäre schon ganz nett.


    Interessante Formulierung. Welche musikalischen Werke von sagen wir einmal vor 1900 entsprechen dem "musikalischen Zeitgeschmack"?


    Wenn ich nicht wüsst´, dass der Washietl von der Presse vor einigen Jahren verstorben ist, hätte ich geglaubt, Deine wahre Identität endlich gefunden zu haben ;) .


    Ich meine wiederum, dass die Gerüchte über das angebliche Ableben des Dr. Engelbert Washietl maßlos übertreiben... ;)

    Bei Boulez schließe ich mich unbedingt an! Sein Bartók (hier stellvertretend seine alten Aufnahmen, die neuen habe ich auch), Strawinsky und Debussy sind absolut hervorragend. 3 Punkte.





    Zum Standardrepertoire gehören auch Bach und Händel. Und hier gilt meine große Zuneigung Eliot Gardiner. Sowohl seine Aufnahmen der Händelschen Oratorien als auch der großen Suiten, so wie seine Bach-Kantaten sind grandios. 3 Punkte.